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Tübinger Chronik. Nr. 91. [Tübingen (Württemberg)], 30. Juli 1845.

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[Beginn Spaltensatz]

Während sie so ihren Gedanken nachhing, öff-
nete sich leise die Thür vom Cabinet des Banquiers,
ohne daß Louise es hörte. Der Graf von Mirmont
trat ein und näherte sich langsam dem Stuhl der
jungen Frau. Einige Schritte hinter ihr blieb er
stehen und betrachtete sie stillschweigend.

( Fortsetzung folgt. )



Wie sieht's in der Welt aus?

Auf dem habsburgischen Ambrasser Stammbaum
stellt das Schlußblatt den Kaiser Franz mit seiner
letzten Gemahlin vor, die drei vorangegangenen,
Elisabeth, Ludovike und Therese, waren in Me-
daillons angebracht. Die Censurerledigung des Blat-
tes lautete: " Admittitur, jedoch ist dem Herausge-
ber die Unbescheidenheit zu verweisen, den Monarchen
mit seinen 4 Frauen darzustellen." Und als nun der
Leibarzt voll Wuth über dieses Polizeiedikt, es dem
Kaiser zeigte, entgegnete der gütige Fürst in der
heitersten Stimmung: "Schauts, schauts, ist das
nicht köstlich so eine aufrichtige Polizei zu haben,
die mirs ins Gesicht sagt, daß es unbescheiden sei,
vier Frauen zu haben? Jch habs ja nur nacheinan-
der gehabt, und nicht nebeneinander.

Gräfenberg. Prießnitz, der an Erfahrungen
immer reicher wird, wendet nur noch bei wenigen
Kranken das Schwitzen, statt dessen aber nasse, aus-
gewundene Leinentücher an, in welche der Patient
gewickelt und dann mit wollenen Decken und Bet-
ten bedeckt wird. Nachdem die Reaction erfolgt und
der Körper gehörig warm geworden ist, welcher Zu-
stand nach Verlauf einer halben bis einer ganzen
Stunde eintritt, wird der Kranke in das Bad ge-
bracht. Prießnitz hat gefunden, daß dieses sehr
einfache Verfahren die Hautthätigkeit und Ausschei-
dung des Krankheitsstoffes ebenso und besser beför-
dert, als das zuweilen angreifende Schwitzen, und
er sieht seine Bemühungen mit dem schönsten Er-
folge gekrönt. - Nach der letzten Nummer der
Badeliste beläuft sich die Anzahl der Kurgäste in
Gräfenberg, Freiwaldau und Bömischdorf auf mehr
als 600 und ist noch fortwährend im Zunehmen.
Fast alle europäische Nationen sind vertreten, und
selbst in dem fernen Amerika zollt man dem Ver-
dienste, welches sich Prießnitz um die leidende Mensch-
heit erworben hat, Anerkennung, was die zehn hier
anwesenden Amerikaner beweisen, welche die große
Reise unternommen haben, um unter den Händen
des schlesischen Landmannes von langjährigem chro-
nischem Siechthum zu genesen.

Zu Düsseldorf gab ein reicher Kaufmann
dieser Tage einem Handwerker, der seinem beim
Spielen in den Rhein gestürzten Sohne das Leben
gerettet hatte, zwei Thaler zur Belohnung, die der
Empfänger sofort dem Kloster der barmherzigen
Schwestern überwies. Tags darauf fiel ein Wach-
telhündchen in den Rhein; der Eigenthümer gab
dem Retter desselben einen Dukaten.

Jn den neyjorker Kirchen ist der Justinct einer
gewissen Gattung Spinnen kürzlich beobachtet wor-
den, die sich um recht ungestört zu seyn, alle
nach den - Armenbüchsen gezogen haben.

[Spaltenumbruch]

Jm Jahr 1407 war, nach den Berichten der
Chroniken, ein so kalter Sommer, daß alle Früch-
te verdarben, und eine große Hungersnoth ent-
stand, daß die Menschen Heu und Gras essen muß-
ten und in Sachsen der Bissen Brod wie eine
welsche Nuß groß, 3 Pfenning kostete. Diese klei-
nen Brödchen nannte man Marcusbrödchen und
man buck sie zum Andenken an die betrübte Zeit in
der Folge am Marcustage, wo sie dann, reich ge-
würzt den Namen Marcipan erhielten ( von
Marci panis, Brod des Marcus. )

Alter Spruch.
Wenn Alle wären reich,
Und wären Alle gleich,
Und wären All' am Tisch gesessen,-
Wer brächte ihnen denn das Essen?


Hiesiges.

Gegen=Aeußerung an Hrn. Müller auf des-
sen Vorschlag in den Numern 88 und 90. d. Bl.
wegen Kirchbauwesens. Jhr Anerbieten durch
Ueberlassung des 4ten Theils des Ertrags von Jh-
rem angekündigten umfassenden Verlags=Werk kann
von Jhren Mitbürgern nur mit gebührendem Danke
anerkannt werden; was jedoch die Ausführung des
Bau=Punktes betrifft, so möchten demselben unbe-
zwingliche Hindernisse entgegenstehen, indem ein 3-
faches Gewölbe samt Vorhallen, wenn auch nur von
Holz, für eine so große Kirche einen schwer zu be-
rechnenden, über unsere Kräfte gehenden Kostenauf-
wand *) verursachen würde. Ferner müßten die
Mauern der 2 Vorhallen neben dem Thurme noch
Wiederlager erhalten, da sie schon im jetzigen Zu-
stande Spuren der Baufälligkeit zeigen, das Schiff
der Kirche würde wegen unförmlicher Breite der
Kirche zur Höhe, und mangelnder Höhe=Lichter zu
dunkel, auch wäre zu befürchten, daß die Stimme
des Predigers den größern wiederhallenden Raum
nicht mehr ausfüllen würde. - Gehen wir also
ein für allemal von diesem Plane ab und auf einen
andern, noch wünschenswerthern, zugleich auch aus-
führbarern über: nemlich Herstellung der weibli-
chen
Kirchenstühle. Diese werden wohl schwerlich
in der ärmsten Dorfkirche unbequemer und in
der Richtung zu der, für unsere Kirche noch zweck-
mäßigsten gewählten Stelle der Kanzel, mangelhaf-
ter zu finden seyn, weßhalb es dem unbefangenen
Beobachter wirklich unbefreiflich erscheinen muß, wie
man sich schon so lange damit behelfen konnte, da
es sich ja nur darum handelt, daß neben der Un-
terstützung von Seiten des bemittelten Kirchenfonds
jeder [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]Eigenthümer eines Standes, ein Scherflein
beizutragen hätte, um sich auch in der Kirche, so
gut wie zu Haus, einen einfachen hölzernen Sitz
zu gewähren, denn von Pracht könnte hier keine
[Ende Spaltensatz]

*) Nach einem früher von Hrn. Gaab gemachten Ueber-
schlage zu Wölbung der Kirche mit Holz sollen sich die
Kosten ohne Gypser=Arbeit auf 11,000 fl. - mit Gypser-
Arbeit auf 13,000 fl. - belaufen.
    Die Redaction.
[Beginn Spaltensatz]

Während sie so ihren Gedanken nachhing, öff-
nete sich leise die Thür vom Cabinet des Banquiers,
ohne daß Louise es hörte. Der Graf von Mirmont
trat ein und näherte sich langsam dem Stuhl der
jungen Frau. Einige Schritte hinter ihr blieb er
stehen und betrachtete sie stillschweigend.

( Fortsetzung folgt. )



Wie sieht's in der Welt aus?

Auf dem habsburgischen Ambrasser Stammbaum
stellt das Schlußblatt den Kaiser Franz mit seiner
letzten Gemahlin vor, die drei vorangegangenen,
Elisabeth, Ludovike und Therese, waren in Me-
daillons angebracht. Die Censurerledigung des Blat-
tes lautete: „ Admittitur, jedoch ist dem Herausge-
ber die Unbescheidenheit zu verweisen, den Monarchen
mit seinen 4 Frauen darzustellen.“ Und als nun der
Leibarzt voll Wuth über dieses Polizeiedikt, es dem
Kaiser zeigte, entgegnete der gütige Fürst in der
heitersten Stimmung: „Schauts, schauts, ist das
nicht köstlich so eine aufrichtige Polizei zu haben,
die mirs ins Gesicht sagt, daß es unbescheiden sei,
vier Frauen zu haben? Jch habs ja nur nacheinan-
der gehabt, und nicht nebeneinander.

Gräfenberg. Prießnitz, der an Erfahrungen
immer reicher wird, wendet nur noch bei wenigen
Kranken das Schwitzen, statt dessen aber nasse, aus-
gewundene Leinentücher an, in welche der Patient
gewickelt und dann mit wollenen Decken und Bet-
ten bedeckt wird. Nachdem die Reaction erfolgt und
der Körper gehörig warm geworden ist, welcher Zu-
stand nach Verlauf einer halben bis einer ganzen
Stunde eintritt, wird der Kranke in das Bad ge-
bracht. Prießnitz hat gefunden, daß dieses sehr
einfache Verfahren die Hautthätigkeit und Ausschei-
dung des Krankheitsstoffes ebenso und besser beför-
dert, als das zuweilen angreifende Schwitzen, und
er sieht seine Bemühungen mit dem schönsten Er-
folge gekrönt. – Nach der letzten Nummer der
Badeliste beläuft sich die Anzahl der Kurgäste in
Gräfenberg, Freiwaldau und Bömischdorf auf mehr
als 600 und ist noch fortwährend im Zunehmen.
Fast alle europäische Nationen sind vertreten, und
selbst in dem fernen Amerika zollt man dem Ver-
dienste, welches sich Prießnitz um die leidende Mensch-
heit erworben hat, Anerkennung, was die zehn hier
anwesenden Amerikaner beweisen, welche die große
Reise unternommen haben, um unter den Händen
des schlesischen Landmannes von langjährigem chro-
nischem Siechthum zu genesen.

Zu Düsseldorf gab ein reicher Kaufmann
dieser Tage einem Handwerker, der seinem beim
Spielen in den Rhein gestürzten Sohne das Leben
gerettet hatte, zwei Thaler zur Belohnung, die der
Empfänger sofort dem Kloster der barmherzigen
Schwestern überwies. Tags darauf fiel ein Wach-
telhündchen in den Rhein; der Eigenthümer gab
dem Retter desselben einen Dukaten.

Jn den neyjorker Kirchen ist der Justinct einer
gewissen Gattung Spinnen kürzlich beobachtet wor-
den, die sich um recht ungestört zu seyn, alle
nach den – Armenbüchsen gezogen haben.

[Spaltenumbruch]

Jm Jahr 1407 war, nach den Berichten der
Chroniken, ein so kalter Sommer, daß alle Früch-
te verdarben, und eine große Hungersnoth ent-
stand, daß die Menschen Heu und Gras essen muß-
ten und in Sachsen der Bissen Brod wie eine
welsche Nuß groß, 3 Pfenning kostete. Diese klei-
nen Brödchen nannte man Marcusbrödchen und
man buck sie zum Andenken an die betrübte Zeit in
der Folge am Marcustage, wo sie dann, reich ge-
würzt den Namen Marcipan erhielten ( von
Marci panis, Brod des Marcus. )

Alter Spruch.
Wenn Alle wären reich,
Und wären Alle gleich,
Und wären All' am Tisch gesessen,–
Wer brächte ihnen denn das Essen?


Hiesiges.

Gegen=Aeußerung an Hrn. Müller auf des-
sen Vorschlag in den Numern 88 und 90. d. Bl.
wegen Kirchbauwesens. Jhr Anerbieten durch
Ueberlassung des 4ten Theils des Ertrags von Jh-
rem angekündigten umfassenden Verlags=Werk kann
von Jhren Mitbürgern nur mit gebührendem Danke
anerkannt werden; was jedoch die Ausführung des
Bau=Punktes betrifft, so möchten demselben unbe-
zwingliche Hindernisse entgegenstehen, indem ein 3-
faches Gewölbe samt Vorhallen, wenn auch nur von
Holz, für eine so große Kirche einen schwer zu be-
rechnenden, über unsere Kräfte gehenden Kostenauf-
wand *) verursachen würde. Ferner müßten die
Mauern der 2 Vorhallen neben dem Thurme noch
Wiederlager erhalten, da sie schon im jetzigen Zu-
stande Spuren der Baufälligkeit zeigen, das Schiff
der Kirche würde wegen unförmlicher Breite der
Kirche zur Höhe, und mangelnder Höhe=Lichter zu
dunkel, auch wäre zu befürchten, daß die Stimme
des Predigers den größern wiederhallenden Raum
nicht mehr ausfüllen würde. – Gehen wir also
ein für allemal von diesem Plane ab und auf einen
andern, noch wünschenswerthern, zugleich auch aus-
führbarern über: nemlich Herstellung der weibli-
chen
Kirchenstühle. Diese werden wohl schwerlich
in der ärmsten Dorfkirche unbequemer und in
der Richtung zu der, für unsere Kirche noch zweck-
mäßigsten gewählten Stelle der Kanzel, mangelhaf-
ter zu finden seyn, weßhalb es dem unbefangenen
Beobachter wirklich unbefreiflich erscheinen muß, wie
man sich schon so lange damit behelfen konnte, da
es sich ja nur darum handelt, daß neben der Un-
terstützung von Seiten des bemittelten Kirchenfonds
jeder [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]Eigenthümer eines Standes, ein Scherflein
beizutragen hätte, um sich auch in der Kirche, so
gut wie zu Haus, einen einfachen hölzernen Sitz
zu gewähren, denn von Pracht könnte hier keine
[Ende Spaltensatz]

*) Nach einem früher von Hrn. Gaab gemachten Ueber-
schlage zu Wölbung der Kirche mit Holz sollen sich die
Kosten ohne Gypser=Arbeit auf 11,000 fl. – mit Gypser-
Arbeit auf 13,000 fl. – belaufen.
    Die Redaction.
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[366/0002] Während sie so ihren Gedanken nachhing, öff- nete sich leise die Thür vom Cabinet des Banquiers, ohne daß Louise es hörte. Der Graf von Mirmont trat ein und näherte sich langsam dem Stuhl der jungen Frau. Einige Schritte hinter ihr blieb er stehen und betrachtete sie stillschweigend. ( Fortsetzung folgt. ) Wie sieht's in der Welt aus? Auf dem habsburgischen Ambrasser Stammbaum stellt das Schlußblatt den Kaiser Franz mit seiner letzten Gemahlin vor, die drei vorangegangenen, Elisabeth, Ludovike und Therese, waren in Me- daillons angebracht. Die Censurerledigung des Blat- tes lautete: „ Admittitur, jedoch ist dem Herausge- ber die Unbescheidenheit zu verweisen, den Monarchen mit seinen 4 Frauen darzustellen.“ Und als nun der Leibarzt voll Wuth über dieses Polizeiedikt, es dem Kaiser zeigte, entgegnete der gütige Fürst in der heitersten Stimmung: „Schauts, schauts, ist das nicht köstlich so eine aufrichtige Polizei zu haben, die mirs ins Gesicht sagt, daß es unbescheiden sei, vier Frauen zu haben? Jch habs ja nur nacheinan- der gehabt, und nicht nebeneinander. Gräfenberg. Prießnitz, der an Erfahrungen immer reicher wird, wendet nur noch bei wenigen Kranken das Schwitzen, statt dessen aber nasse, aus- gewundene Leinentücher an, in welche der Patient gewickelt und dann mit wollenen Decken und Bet- ten bedeckt wird. Nachdem die Reaction erfolgt und der Körper gehörig warm geworden ist, welcher Zu- stand nach Verlauf einer halben bis einer ganzen Stunde eintritt, wird der Kranke in das Bad ge- bracht. 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Ferner müßten die Mauern der 2 Vorhallen neben dem Thurme noch Wiederlager erhalten, da sie schon im jetzigen Zu- stande Spuren der Baufälligkeit zeigen, das Schiff der Kirche würde wegen unförmlicher Breite der Kirche zur Höhe, und mangelnder Höhe=Lichter zu dunkel, auch wäre zu befürchten, daß die Stimme des Predigers den größern wiederhallenden Raum nicht mehr ausfüllen würde. – Gehen wir also ein für allemal von diesem Plane ab und auf einen andern, noch wünschenswerthern, zugleich auch aus- führbarern über: nemlich Herstellung der weibli- chen Kirchenstühle. Diese werden wohl schwerlich in der ärmsten Dorfkirche unbequemer und in der Richtung zu der, für unsere Kirche noch zweck- mäßigsten gewählten Stelle der Kanzel, mangelhaf- ter zu finden seyn, weßhalb es dem unbefangenen Beobachter wirklich unbefreiflich erscheinen muß, wie man sich schon so lange damit behelfen konnte, da es sich ja nur darum handelt, daß neben der Un- terstützung von Seiten des bemittelten Kirchenfonds jeder ___________Eigenthümer eines Standes, ein Scherflein beizutragen hätte, um sich auch in der Kirche, so gut wie zu Haus, einen einfachen hölzernen Sitz zu gewähren, denn von Pracht könnte hier keine *) Nach einem früher von Hrn. Gaab gemachten Ueber- schlage zu Wölbung der Kirche mit Holz sollen sich die Kosten ohne Gypser=Arbeit auf 11,000 fl. – mit Gypser- Arbeit auf 13,000 fl. – belaufen. Die Redaction.

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 91. [Tübingen (Württemberg)], 30. Juli 1845, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik091_1845/2>, abgerufen am 04.10.2024.