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Tübinger Chronik. Nr. 89. [Tübingen (Württemberg)], 25. Juli 1845.

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chentl. 3mal, Montag, Mitt-
woch u. Freitag u. kostet hier
und durch Boten bezogen mo-
natlich 9 kr. Durch die Post
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-
rückungsgebühr f. 1 Linie aus
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für
Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

[Spaltenumbruch]
Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. - - am
Neckarsthor u. bei Hrn -

- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 89. Freitag den 25. Juli. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Er war schon seit dem Morgen ausgegangen
und nichts hinderte mich, ebenfalls das Haus zu
verlassen. Je mehr ich mich der Kirche näherte,
je mehr fand ich Kraft und Entschlossenheit wieder,
um zu kämpfen und zu leiden. - Jch trat bewegt
in die Kirche ein, welche von Gläubigen erfüllt
war, und kniete in einem Beichtstuhle nieder. -
Seit einer halben Stunde mochte ich gebetet haben,
als ein Priester kam; er hatte weißes Haar, und
das flößte mir Vertrauen ein.

- Mein Vater, sagte ich zitternd zu ihm, ich
will eine große Sünde gestehen.

- Die Güte Gottes ist unbegrenzt, antwortete
er mit sanfter Stimme, und sie verzeiht immer dem,
welcher wahrhaft bereut.

- Ach! ich bereue, mein Vater! rief ich aus,
ich bereue!

Während ich die Worte meiner Beichte mit zit-
ternden Lippen sprach, hörte ich wider meinen Wil-
len die Stimme eines Priesters, der die Aufgebote
zur Vermählung laut vorlas. - Jch weiß nicht,
woher es kam, aber ich empfand eine so große Be-
wegung, daß ein Thränenstrom meinen Augen ent-
stürzte. Soll ich es gestehen? ich vergaß fast, daß
ich auf den Knieen in einem [unleserliches Material - 12 Zeichen fehlen]Beichtstuhle lag, und
wandte mein Haupt hin und hörte in stummer Auf-
merksamkeit zu. - Plötzlich hörte ich mitten unter
den Namen, welche der Priester aussprach, den
Seinen, ja den Seinen! er vermählte sich! Er, der
mir noch am Abend vorher von unserer nahen Ver-
bindung sprach, der mit sagte, daß er mich liebe,
daß er nie Jemand anders lieben würde, Er, dem
ich mich so vertrauend hingegeben hatte, der meine
Ehre, mein Leben in der Hand hatte, Er wurde
hier zum dritten und letzten Male mit einer Andern
aufgeboten.

Die junge Frau schien nocheinmal unter dem
Gewicht dieser furchtbaren Erinnerung zusammen-
brechen zu wollen; sie verhüllte ihr[unleserliches Material] Gesicht mit bei-
den Händen und schluchzte laut.

- Louise, sagte der Greis mit sanfter bewegter
Stimme, das ist eine Erinnerung aus der Vergan-
genheit, eine traurige Erinnerung, mein Kind, laß
es heut ihren letzten Tag seyn.

[Spaltenumbruch]

- Ja, antwortete die junge Frau und trock-
nete die Thränen, welche über ihr Gesicht flossen,
ja, nun Du es weißt, kann ich vergessen.

Louise hatte ihrem Manne die Hand gereicht
und während sie diese Hand, welche die ihre zugleich
als Zeichen der Güte und Verzeihung drückte, be-
trachtete, fuhr sie fort:

- Bei dieser unerwarteten Entdeckung glaubte
ich wahnsinnig zu werden, ich weiß nicht, was in
meinem Kopfe vorging, denn ich stand auf, ohne
daran zu denken, daß ich eine Minute früher auf
den Knieen lag und daß ein Priester den Anfang
meiner Beichte hörte. Jch hatte das Bewußtseyn
meiner Reue verloren und es blieb mir nichts
als das meines Unglücks. Jch stürzte aus der
Kirche, die Verzweiflung gab mir Kraft und ich
durchlief diesen Menschenhaufen. Jch lief nach
Hause, ohne Furcht ihn dort zu treffen, denn ich
ahnte, daß er den ganzen Tag abwesend seyn würde.
Bald hatte ich Alles zusammengepackt, was ich be-
saß, meine ärmlichen Kleider, den kleinen Strohhut,
auf dem meine Mutter selbst ein verschossenes Sammt-
Band befestigt hatte, und die Börse, in welche die
mütterliche Liebe die Ersparnisse langer Zeit nieder-
gelegt hatte. Jch kam nicht eher zur Ruhe, als bis
ich das Haus verlassen hatte und auf der Straße
ohne Zweck umherirrte. Bald blieben meine Augen
auf dem Schilde eines Hotel garni haften. Jch
trat ein und forderte ein Zimmer, in welchem ich
mich einschloß und in Thränen ausbrach. - Als
ich wieder zu mir kam, nahm ich eine Feder und
schrieb Folgendes:

"Sie werden mich nicht wieder sehen, denn ich
habe ihr Haus verlassen, um nie wieder zurückzu-
kehren. Jch gehe so arm hinaus, wie ich einge-
treten bin, ärmer noch, denn ich bin fern von mei-
ner Vaterstadt und einer beleidigten Mutter. Jch
komme aus einer Kirche, wo ich Jhre baldige Hei-
rath verkündigen hörte. Sie haben mich sehr leicht
getäuscht, mein Herr, sehr leicht; aber das eben ist
mein Stolz und meine Entschuldigung; ich war zu
rein, um die Schlechtigkeit der Reichen zu kennen,
zu rein, um eine Lüge zu ahnen.

Jch werde an meine Mutter schreiben und in
wenigen Tagen werde ich wieder bei ihr seyn, unter
dem schützenden Dache des Hauses, das ich nie
hätte verlassen sollen, wohin Sie die Thränen ewi-
ger Reue brachten, wo Sie die Schande eintreten
lassen wollten, aber Gott hat mich gerettet!"

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]
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Tübinger [Abbildung] Chronik.
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Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. – – am
Neckarsthor u. bei Hrn –

– in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 89. Freitag den 25. Juli. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Er war schon seit dem Morgen ausgegangen
und nichts hinderte mich, ebenfalls das Haus zu
verlassen. Je mehr ich mich der Kirche näherte,
je mehr fand ich Kraft und Entschlossenheit wieder,
um zu kämpfen und zu leiden. – Jch trat bewegt
in die Kirche ein, welche von Gläubigen erfüllt
war, und kniete in einem Beichtstuhle nieder. –
Seit einer halben Stunde mochte ich gebetet haben,
als ein Priester kam; er hatte weißes Haar, und
das flößte mir Vertrauen ein.

– Mein Vater, sagte ich zitternd zu ihm, ich
will eine große Sünde gestehen.

– Die Güte Gottes ist unbegrenzt, antwortete
er mit sanfter Stimme, und sie verzeiht immer dem,
welcher wahrhaft bereut.

– Ach! ich bereue, mein Vater! rief ich aus,
ich bereue!

Während ich die Worte meiner Beichte mit zit-
ternden Lippen sprach, hörte ich wider meinen Wil-
len die Stimme eines Priesters, der die Aufgebote
zur Vermählung laut vorlas. – Jch weiß nicht,
woher es kam, aber ich empfand eine so große Be-
wegung, daß ein Thränenstrom meinen Augen ent-
stürzte. Soll ich es gestehen? ich vergaß fast, daß
ich auf den Knieen in einem [unleserliches Material – 12 Zeichen fehlen]Beichtstuhle lag, und
wandte mein Haupt hin und hörte in stummer Auf-
merksamkeit zu. – Plötzlich hörte ich mitten unter
den Namen, welche der Priester aussprach, den
Seinen, ja den Seinen! er vermählte sich! Er, der
mir noch am Abend vorher von unserer nahen Ver-
bindung sprach, der mit sagte, daß er mich liebe,
daß er nie Jemand anders lieben würde, Er, dem
ich mich so vertrauend hingegeben hatte, der meine
Ehre, mein Leben in der Hand hatte, Er wurde
hier zum dritten und letzten Male mit einer Andern
aufgeboten.

Die junge Frau schien nocheinmal unter dem
Gewicht dieser furchtbaren Erinnerung zusammen-
brechen zu wollen; sie verhüllte ihr[unleserliches Material] Gesicht mit bei-
den Händen und schluchzte laut.

– Louise, sagte der Greis mit sanfter bewegter
Stimme, das ist eine Erinnerung aus der Vergan-
genheit, eine traurige Erinnerung, mein Kind, laß
es heut ihren letzten Tag seyn.

[Spaltenumbruch]

– Ja, antwortete die junge Frau und trock-
nete die Thränen, welche über ihr Gesicht flossen,
ja, nun Du es weißt, kann ich vergessen.

Louise hatte ihrem Manne die Hand gereicht
und während sie diese Hand, welche die ihre zugleich
als Zeichen der Güte und Verzeihung drückte, be-
trachtete, fuhr sie fort:

– Bei dieser unerwarteten Entdeckung glaubte
ich wahnsinnig zu werden, ich weiß nicht, was in
meinem Kopfe vorging, denn ich stand auf, ohne
daran zu denken, daß ich eine Minute früher auf
den Knieen lag und daß ein Priester den Anfang
meiner Beichte hörte. Jch hatte das Bewußtseyn
meiner Reue verloren und es blieb mir nichts
als das meines Unglücks. Jch stürzte aus der
Kirche, die Verzweiflung gab mir Kraft und ich
durchlief diesen Menschenhaufen. Jch lief nach
Hause, ohne Furcht ihn dort zu treffen, denn ich
ahnte, daß er den ganzen Tag abwesend seyn würde.
Bald hatte ich Alles zusammengepackt, was ich be-
saß, meine ärmlichen Kleider, den kleinen Strohhut,
auf dem meine Mutter selbst ein verschossenes Sammt-
Band befestigt hatte, und die Börse, in welche die
mütterliche Liebe die Ersparnisse langer Zeit nieder-
gelegt hatte. Jch kam nicht eher zur Ruhe, als bis
ich das Haus verlassen hatte und auf der Straße
ohne Zweck umherirrte. Bald blieben meine Augen
auf dem Schilde eines Hotel garni haften. Jch
trat ein und forderte ein Zimmer, in welchem ich
mich einschloß und in Thränen ausbrach. – Als
ich wieder zu mir kam, nahm ich eine Feder und
schrieb Folgendes:

„Sie werden mich nicht wieder sehen, denn ich
habe ihr Haus verlassen, um nie wieder zurückzu-
kehren. Jch gehe so arm hinaus, wie ich einge-
treten bin, ärmer noch, denn ich bin fern von mei-
ner Vaterstadt und einer beleidigten Mutter. Jch
komme aus einer Kirche, wo ich Jhre baldige Hei-
rath verkündigen hörte. Sie haben mich sehr leicht
getäuscht, mein Herr, sehr leicht; aber das eben ist
mein Stolz und meine Entschuldigung; ich war zu
rein, um die Schlechtigkeit der Reichen zu kennen,
zu rein, um eine Lüge zu ahnen.

Jch werde an meine Mutter schreiben und in
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dem schützenden Dache des Hauses, das ich nie
hätte verlassen sollen, wohin Sie die Thränen ewi-
ger Reue brachten, wo Sie die Schande eintreten
lassen wollten, aber Gott hat mich gerettet!“

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]
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Je mehr ich mich der Kirche näherte, je mehr fand ich Kraft und Entschlossenheit wieder, um zu kämpfen und zu leiden. – Jch trat bewegt in die Kirche ein, welche von Gläubigen erfüllt war, und kniete in einem Beichtstuhle nieder. – Seit einer halben Stunde mochte ich gebetet haben, als ein Priester kam; er hatte weißes Haar, und das flößte mir Vertrauen ein. – Mein Vater, sagte ich zitternd zu ihm, ich will eine große Sünde gestehen. – Die Güte Gottes ist unbegrenzt, antwortete er mit sanfter Stimme, und sie verzeiht immer dem, welcher wahrhaft bereut. – Ach! ich bereue, mein Vater! rief ich aus, ich bereue! Während ich die Worte meiner Beichte mit zit- ternden Lippen sprach, hörte ich wider meinen Wil- len die Stimme eines Priesters, der die Aufgebote zur Vermählung laut vorlas. – Jch weiß nicht, woher es kam, aber ich empfand eine so große Be- wegung, daß ein Thränenstrom meinen Augen ent- stürzte. Soll ich es gestehen? ich vergaß fast, daß ich auf den Knieen in einem ____________Beichtstuhle lag, und wandte mein Haupt hin und hörte in stummer Auf- merksamkeit zu. – Plötzlich hörte ich mitten unter den Namen, welche der Priester aussprach, den Seinen, ja den Seinen! er vermählte sich! Er, der mir noch am Abend vorher von unserer nahen Ver- bindung sprach, der mit sagte, daß er mich liebe, daß er nie Jemand anders lieben würde, Er, dem ich mich so vertrauend hingegeben hatte, der meine Ehre, mein Leben in der Hand hatte, Er wurde hier zum dritten und letzten Male mit einer Andern aufgeboten. Die junge Frau schien nocheinmal unter dem Gewicht dieser furchtbaren Erinnerung zusammen- brechen zu wollen; sie verhüllte ihr_ Gesicht mit bei- den Händen und schluchzte laut. – Louise, sagte der Greis mit sanfter bewegter Stimme, das ist eine Erinnerung aus der Vergan- genheit, eine traurige Erinnerung, mein Kind, laß es heut ihren letzten Tag seyn. – Ja, antwortete die junge Frau und trock- nete die Thränen, welche über ihr Gesicht flossen, ja, nun Du es weißt, kann ich vergessen. Louise hatte ihrem Manne die Hand gereicht und während sie diese Hand, welche die ihre zugleich als Zeichen der Güte und Verzeihung drückte, be- trachtete, fuhr sie fort: – Bei dieser unerwarteten Entdeckung glaubte ich wahnsinnig zu werden, ich weiß nicht, was in meinem Kopfe vorging, denn ich stand auf, ohne daran zu denken, daß ich eine Minute früher auf den Knieen lag und daß ein Priester den Anfang meiner Beichte hörte. 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Jch trat ein und forderte ein Zimmer, in welchem ich mich einschloß und in Thränen ausbrach. – Als ich wieder zu mir kam, nahm ich eine Feder und schrieb Folgendes: „Sie werden mich nicht wieder sehen, denn ich habe ihr Haus verlassen, um nie wieder zurückzu- kehren. Jch gehe so arm hinaus, wie ich einge- treten bin, ärmer noch, denn ich bin fern von mei- ner Vaterstadt und einer beleidigten Mutter. Jch komme aus einer Kirche, wo ich Jhre baldige Hei- rath verkündigen hörte. Sie haben mich sehr leicht getäuscht, mein Herr, sehr leicht; aber das eben ist mein Stolz und meine Entschuldigung; ich war zu rein, um die Schlechtigkeit der Reichen zu kennen, zu rein, um eine Lüge zu ahnen. Jch werde an meine Mutter schreiben und in wenigen Tagen werde ich wieder bei ihr seyn, unter dem schützenden Dache des Hauses, das ich nie hätte verlassen sollen, wohin Sie die Thränen ewi- ger Reue brachten, wo Sie die Schande eintreten lassen wollten, aber Gott hat mich gerettet!“ ( Fortsetzung folgt. )

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Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 89. [Tübingen (Württemberg)], 25. Juli 1845, S. [357]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik089_1845/1>, abgerufen am 21.11.2024.