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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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athmigen Begrüßung freien Lauf läßt, fährt der behende Berliner mit seiner Fri¬
volität und seinem Witze dazwischen.

Dazu kommt die locale Eifersucht. Seit den Eisenbahnen ist Leipzig wie
eine Vorstadt Berlins, und Theater, Concert, Handel und Wandel geben hinläng¬
lichen Stoff zu Vergleichungen, zu neidischen Kritiken.

Bei dieser Volksstimmung fand der angehende Volksmann einen bestimmten
Stoff vor, populär zu werden: nämlich Lästerung auf den preußischen Staat, und
Apotheose der sächsischen Humanität, Aufklärung und Höflichkeit. Dem Rheinlän¬
der war eine solche Stimmung gegen Preußen schon geläufig, er durfte nur dem
Drange seines Herzens folgen, um populär zu werden.

Ein zweites Moment war mehr localer Natur. Ich sagte schon, der demo¬
kratische Sinn Leipzigs erkennt nur den Unterschied von großen und kleinen Buch¬
händlern. Aber auch schon dieser Unterschied ist ihm zuwider. Die großen Kauf¬
leute geben Soireen, es wird Thee getrunken, sie tragen ein officielles Interesse
für Beethoven und Mendelssohn zur Schau, sie haben Verbindungen in Dresden
und Berlin, und literarische Notabilitäten -- Professoren und dramatische Dichter,
welche mehr als drei Stücke auf die Bühne gebracht, -- haben bei ihnen Zutritt.
Gegen diesen Luxus reagirt die Bierbank der kleinen Philister. Es scheint hier
unangemessen, durch überflüssige Buchgelehrsamkeit, durch Kennermienen oder durch
Equipagen dem schlichten Verstand eines gebildeten Mannes imponiren zu wollen,
der die Leipziger Zeitung und das Tageblatt liest, und darin ziemlich Alles findet,
was zum richtigen Leben und zur wahren Bildung nothwendig ist. Wer in diesen
Kreisen sich Geltung verschaffen will, darf nur zwei Seiten seines Wesens hervor¬
kehren: Biederkeit und guten Periodenbau; im Uebrigen muß er sich hüten, irgend
etwas zu sagen, was die Uebrigen nicht schon ebensogut wissen und fühlen. Jede
Notiz, die noch nicht im Tageblatt gestanden, wird mit Mißtrauen aufgenommen,
als ein Attentat auf die Gleichheit des Wissens.

Die Stelle eines Theater-Einnehmers gibt dieser Popularität einen sichern
Halt. Alle Freunde von der Bierbank gehen Abends an der Loge vorüber, Jedem
wird ein besonderer, auf den Charakter und Stand des Mannes berechneter Hände¬
druck zu Theil, mit obligater Frage nach Frau, Kindern, Geschäften und Stadtbe¬
gebenheiten, und eingestreutem bedenklichem Kopfschütteln über den Lauf der Welt,
und dazu die beständige Maske einer gutmüthig resignirten leidenden Miene, die
Jeden zu dem mitleidigen Gedanken veranlaßt: mein Gott, wie kann ein solcher
Mann in so untergeordneten Verhältnissen leben!

Ein solcher Mann! Denn seines Gleichen durfte man zwar nicht imponiren,
doch hatte die Abneigung gegen Fürsten, Minister, Soldaten und Preußen, gegen
die russische Knute und die Gewandhausconcerte, gegen Censur und Adel verschie¬
dene Grade; je größer die Intensivität dieser Abneigung, je länger und tönender
die Perioden, in denen man ihr Luft machte, je blumenreicher die Gleichnisse, in

athmigen Begrüßung freien Lauf läßt, fährt der behende Berliner mit seiner Fri¬
volität und seinem Witze dazwischen.

Dazu kommt die locale Eifersucht. Seit den Eisenbahnen ist Leipzig wie
eine Vorstadt Berlins, und Theater, Concert, Handel und Wandel geben hinläng¬
lichen Stoff zu Vergleichungen, zu neidischen Kritiken.

Bei dieser Volksstimmung fand der angehende Volksmann einen bestimmten
Stoff vor, populär zu werden: nämlich Lästerung auf den preußischen Staat, und
Apotheose der sächsischen Humanität, Aufklärung und Höflichkeit. Dem Rheinlän¬
der war eine solche Stimmung gegen Preußen schon geläufig, er durfte nur dem
Drange seines Herzens folgen, um populär zu werden.

Ein zweites Moment war mehr localer Natur. Ich sagte schon, der demo¬
kratische Sinn Leipzigs erkennt nur den Unterschied von großen und kleinen Buch¬
händlern. Aber auch schon dieser Unterschied ist ihm zuwider. Die großen Kauf¬
leute geben Soiréen, es wird Thee getrunken, sie tragen ein officielles Interesse
für Beethoven und Mendelssohn zur Schau, sie haben Verbindungen in Dresden
und Berlin, und literarische Notabilitäten — Professoren und dramatische Dichter,
welche mehr als drei Stücke auf die Bühne gebracht, — haben bei ihnen Zutritt.
Gegen diesen Luxus reagirt die Bierbank der kleinen Philister. Es scheint hier
unangemessen, durch überflüssige Buchgelehrsamkeit, durch Kennermienen oder durch
Equipagen dem schlichten Verstand eines gebildeten Mannes imponiren zu wollen,
der die Leipziger Zeitung und das Tageblatt liest, und darin ziemlich Alles findet,
was zum richtigen Leben und zur wahren Bildung nothwendig ist. Wer in diesen
Kreisen sich Geltung verschaffen will, darf nur zwei Seiten seines Wesens hervor¬
kehren: Biederkeit und guten Periodenbau; im Uebrigen muß er sich hüten, irgend
etwas zu sagen, was die Uebrigen nicht schon ebensogut wissen und fühlen. Jede
Notiz, die noch nicht im Tageblatt gestanden, wird mit Mißtrauen aufgenommen,
als ein Attentat auf die Gleichheit des Wissens.

Die Stelle eines Theater-Einnehmers gibt dieser Popularität einen sichern
Halt. Alle Freunde von der Bierbank gehen Abends an der Loge vorüber, Jedem
wird ein besonderer, auf den Charakter und Stand des Mannes berechneter Hände¬
druck zu Theil, mit obligater Frage nach Frau, Kindern, Geschäften und Stadtbe¬
gebenheiten, und eingestreutem bedenklichem Kopfschütteln über den Lauf der Welt,
und dazu die beständige Maske einer gutmüthig resignirten leidenden Miene, die
Jeden zu dem mitleidigen Gedanken veranlaßt: mein Gott, wie kann ein solcher
Mann in so untergeordneten Verhältnissen leben!

Ein solcher Mann! Denn seines Gleichen durfte man zwar nicht imponiren,
doch hatte die Abneigung gegen Fürsten, Minister, Soldaten und Preußen, gegen
die russische Knute und die Gewandhausconcerte, gegen Censur und Adel verschie¬
dene Grade; je größer die Intensivität dieser Abneigung, je länger und tönender
die Perioden, in denen man ihr Luft machte, je blumenreicher die Gleichnisse, in

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[370/0005] athmigen Begrüßung freien Lauf läßt, fährt der behende Berliner mit seiner Fri¬ volität und seinem Witze dazwischen. Dazu kommt die locale Eifersucht. Seit den Eisenbahnen ist Leipzig wie eine Vorstadt Berlins, und Theater, Concert, Handel und Wandel geben hinläng¬ lichen Stoff zu Vergleichungen, zu neidischen Kritiken. Bei dieser Volksstimmung fand der angehende Volksmann einen bestimmten Stoff vor, populär zu werden: nämlich Lästerung auf den preußischen Staat, und Apotheose der sächsischen Humanität, Aufklärung und Höflichkeit. Dem Rheinlän¬ der war eine solche Stimmung gegen Preußen schon geläufig, er durfte nur dem Drange seines Herzens folgen, um populär zu werden. Ein zweites Moment war mehr localer Natur. Ich sagte schon, der demo¬ kratische Sinn Leipzigs erkennt nur den Unterschied von großen und kleinen Buch¬ händlern. Aber auch schon dieser Unterschied ist ihm zuwider. Die großen Kauf¬ leute geben Soiréen, es wird Thee getrunken, sie tragen ein officielles Interesse für Beethoven und Mendelssohn zur Schau, sie haben Verbindungen in Dresden und Berlin, und literarische Notabilitäten — Professoren und dramatische Dichter, welche mehr als drei Stücke auf die Bühne gebracht, — haben bei ihnen Zutritt. Gegen diesen Luxus reagirt die Bierbank der kleinen Philister. Es scheint hier unangemessen, durch überflüssige Buchgelehrsamkeit, durch Kennermienen oder durch Equipagen dem schlichten Verstand eines gebildeten Mannes imponiren zu wollen, der die Leipziger Zeitung und das Tageblatt liest, und darin ziemlich Alles findet, was zum richtigen Leben und zur wahren Bildung nothwendig ist. Wer in diesen Kreisen sich Geltung verschaffen will, darf nur zwei Seiten seines Wesens hervor¬ kehren: Biederkeit und guten Periodenbau; im Uebrigen muß er sich hüten, irgend etwas zu sagen, was die Uebrigen nicht schon ebensogut wissen und fühlen. Jede Notiz, die noch nicht im Tageblatt gestanden, wird mit Mißtrauen aufgenommen, als ein Attentat auf die Gleichheit des Wissens. Die Stelle eines Theater-Einnehmers gibt dieser Popularität einen sichern Halt. Alle Freunde von der Bierbank gehen Abends an der Loge vorüber, Jedem wird ein besonderer, auf den Charakter und Stand des Mannes berechneter Hände¬ druck zu Theil, mit obligater Frage nach Frau, Kindern, Geschäften und Stadtbe¬ gebenheiten, und eingestreutem bedenklichem Kopfschütteln über den Lauf der Welt, und dazu die beständige Maske einer gutmüthig resignirten leidenden Miene, die Jeden zu dem mitleidigen Gedanken veranlaßt: mein Gott, wie kann ein solcher Mann in so untergeordneten Verhältnissen leben! Ein solcher Mann! Denn seines Gleichen durfte man zwar nicht imponiren, doch hatte die Abneigung gegen Fürsten, Minister, Soldaten und Preußen, gegen die russische Knute und die Gewandhausconcerte, gegen Censur und Adel verschie¬ dene Grade; je größer die Intensivität dieser Abneigung, je länger und tönender die Perioden, in denen man ihr Luft machte, je blumenreicher die Gleichnisse, in

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Bremen : Staats- und Universitätsbibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-05-24T15:31:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/5>, abgerufen am 27.11.2024.