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Die Bayerische Presse. Nr. 131. Würzburg, 1. Juni 1850.

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[Spaltenumbruch] losschlagen; bald käme bessere Zeit hierfür. Die
Trauben sind sauer; sie hängen zu hoch!

Dem Vogesenboten wird aus Zweibrücken
vom 27. Mai geschrieben: Gestern fielen hier
arge Soldatenexcesse vor. Auf dem Tivoli sollte
ein Bürgerball stattfinden. Um Reibungen zu
vermeiden, namentlich auch um zu verhindern, daß
die weibliche Gesellschaft zu gemischt und dadurch
dem beabsichtigten Feste ein falscher Chrakter auf-
gedrückt werde, hatte man beschlossen, keine Sol-
daten zuzulassen. Den Offizieren der Garnison
war dies, so viel man hörte, selbst lieb. Gegen
9 Uhr Abends nun kamen die Chevauxlegers in
großen Trupps in das Tanzlokal gezogen, und
ohne daß ihnen die geringste Veranlassung zum
Streite gegeben worden wäre, begannen sie als-
bald die Gläser, Tische und Bänke zu zertrüm-
mern und die Gäste zu verfolgen. Diese suchten
sich durch rasche Flucht zu retten; leider fielen
jedoch einige bedeutende Verwundungen vor. Die
Bemühungen der Offiziere, namentlich des kom-
mandirenden Oberstlieutenants, zur Herstellung der
Ordnung hatte bei den rasenden Tumultanten
nicht den geringsten Erfolg. Später drangen diese
wüthend in die von dem Tanzlokale entfern-
tern Bierzimmer, in welchen sich viele angesehene
Bürger und Beamten befanden und vor Mißhand-
lungen sich gleichfalls nur durch schleunige Flucht
retten konnten. Wir zweifeln nicht, daß eine rasche
und strenge Bestrafung die schuldigen Soldaten
ereilen und den in Eigenthum und Leben betroh-
ten Bürgern, wie dem verletzten "Gesetz und Ord-
nung " die gebührende Sühne werde.

Darmstadt, 29. Mai. Die Führer der Go-
thaer haben in alle Theile unsers Landes Befehle
ausgesendet, Adressen an die Regierung zu schicken.
Dasselbe war schon von Erfurt aus geschehen, es
bedurfte jedoch persönlicher Anwesenheit, um das
Wenige zu Stande zu bringen. Der Plan eines
Theiles, der Aufgebrachtesten, geht jetzt dahin,
einstweilen die Wühlerei zu befördern, damit dann
durch das Gefühl der Schwäche und Lebensun-
fähigkeit Hessen der Gothaer Politik definitiv in
die Arme geworfen werde. Die Demokratie hat
zwar offen die angebotene Hand mit Hohn zurück-
gewiesen, wie es einem solchen sich selbst ausge-
stellten Armuthszeugnisse gegenüber nicht anders
geschehen konnte, dabei aber sehen die Radicalen
gewiß jede Unterstützung ihres Auflösungs= und
Zersetzungswerks recht gern und lachen mit Recht
über die selbstgefällige Einbildungskraft, die wähnt,
nach Gutdünken wieder den Sturm beschwören u.
die Gewässer bannen zu können. Die Stellung
unserer Regierung ist übrigens, wird die Aufgabe
begriffen, keineswegs schwierig. Eine feste Poli-
tik, die kleine Mittel verschmäht und große mit
eiserner Consequenz durchführt, würde bald zeigen,
wohin die Masse der Unentschiedenen, die aus
Zweifel ohne Furcht hin und her getrieben wer-
den, oder aus Gewohnheit gewisse Schlagwörter
nachsprechen, sich wendet: der Kern des Volkes
ist noch gesund und wird es bleiben, wenn man
den Muth hat, entschlossen die Hand an die fau-
len Stellen zu legen. Ein anderer Theil der
Gothaer calculirt wie folgt: der Frankfurter Con-
greß werde durch Preußens Widerstand zur völli-
gen Auflösung des deutschen Gesammtverbands
führen; Deutschland zerfalle dann in fünf oder
sechs Staatengruppen und das Bedürfniß des
Schutzes nach Außen werde, wo "Deutschland"
als nicht mehr bestehend keinen Schutz mehr bie-
ten könne, zum Aufgehen der kleineren Staaten
in irgend einem größeren nöthigen. Ohne alle
Aussicht auf Erfolg ist leider dieses Raisonnement
nicht, traurig interessant bleibt aber doch immer,
daß man sich nicht scheut, den krankhaftesten Er-
scheinungen den Namen "deutsch=nationaler" Ge-
sinnung zu geben.

   

Leipzig, 28. Mai. Vorgestern und gestern
haben wir auf einem benachbarten Dorfe blutige
Exzesse zwischen Schützen und Civilisten gehabt.
Seit dem Mai vorigen Jahrs kamen an verschie-
denen Orten in Leipzig und der Umgegend häu-
fig Reibungen zwischen den hiesigen Schützen und
den sogenannten demokratischen Turnern vor, de-
[Spaltenumbruch] ren Veranlassung bald dem einen, bald dem an-
dern Theile Schuld gegeben wurde und die ge-
wöhnlich in sehr heftigen Schlägereien sich kund
gaben, in denen bald diese, bald jene Partei siegte.
Hiedurch wuchs die Erbitterung auf beiden Sei-
ten in einer Weise, daß ein tödtlicher Haß dar-
aus entstand und die demokratischen Turner sich
veranlaßt fühlten, mit Waffen die Tanzplätze zu
besuchen. Vorgestern fanden sich fünf Schützen
im Gasthause zu den drei Mohren in den Kohl-
gärten ein und bezeigten dadurch ihre friedliche
Gesinnung, daß sie ihre Seitengewehre an der
Wand aufhängten und sich zum Theil unter die
Tänzer mischten. Demohngeachtet kam es sehr
bald zu Händeln; einer von den ruhig sitzenden
Schützen wurde von hinten angefallen und mit
einer Stoßwaffe durch den Rücken bis in die
Lunge gestochen, so daß er eine Stunde darauf
starb. Die übrigen wurden ebenfalls mehr oder
minder schwer verwundet und liegen im Hospitale.
Gestern gegen Abend strömten nun viele Schützen
und Neugierige hinaus, und es kam wieder zu
einer Schlägerei, in welcher starke Verwundungen
vorkamen, die dießmal hauptsächlich die Turner tra-
fen. Der eine ist sehr bedenklich am Kopfe ver-
wundet. Militärpatrouillen, welche sodann hin-
beordert wurden, stellten die Ruhe her und nah-
men Verhaftungen vor. Die Drei, welche den
Schützen erstochen haben, sowie viele Andere sind
eingefangen worden, und man hofft endlich die
Ruhe herstellen zu können. Man bedauert den
Erstochenen um so mehr, als er allgemein für
einen friedliebenden Mann galt.

   

Wien, 26. Mai. Daß man bei den Confe-
renzen in Warschau zunächst an Frankreich denke,
darauf deuten manche Symptome. So sagt die
neueste "Oesterr. Corresp.": "Es gilt in Frank-
reich nicht bloß Frankreich, sondern Moral, Reli-
gion, Eigenthum, Familie und Bildung, mit ei-
nem Wort die heiligsten Güter der Gesellschaft
zu retten. Die Umstimmung der Gemüther, die
Erwärmung und Erfüllung derselben mit der re-
ligiös = politischen Jdee des anti = revolutionären
Fortschritts muß hinzutreten, damit der dort be-
gonnene Prozeß sich glücklich vollende. Das Re-
sultat wird sich für Europa in jedem Fall höchst
folgereich gestalten. Endet er friedlich, so kommen
dem Welttheil die Folgen der natürlichen Rück-
wirkung der damit verbundenen Belehrung zu
gute. Verläuft er sich in einem verheerenden
Bürgerkrieg, oder glückt es sogar der sozialisti-
schen Partei, einen vorübergehenden Sieg zu er-
streiten, nun, denn geht die Pflicht Frankreich zu
retten unzweifelhaft von Frankreich auf Europa
über."

Frankreich.

Paris, 28. Mai. Der "Messager de la
Semaine" erzählt: "Am vorigen Mittwoch kam
ein als besonders excentrisch bekanntes Mitglied
des Berges sehr aufgeregt in der Nationalver-
sammlung an. Bald darauf begegnete er einem
Minister auf dem Corridor, redete ihn vertraulich,
jedoch in sichtbar ärgerlicher Stimmung an und
unterhielt ihn von der Geduld, Ruhe und edlen
Haltung des Volkes, das den Aufhetzern zum
Bürgerkriege mißtraue. Der Minister entgegnete:
Nichts desto weniger scheinen Sie selbst sich mit
dem Bürgerkriege zu beschäftigen. -- Was mei-
nen Sie? fragte der Montagnard. -- Allerdings
thun Sie es; woher kommen Sie jetzt? -- Von
meinem Platze, sagte ziemlich verlegen der Mon-
tagnard. -- Sie waren dort, aber noch nicht
lange, denn vor zwei Stunden waren Sie in
einer Weinschenke zu Belleville, wo Sie Solda-
ten zum Trinken aufforderten, um Sie ihrer Pflicht
untreu zu machen. Es gelang Jhnen nicht und
dies scheint Sie verdrossen zu haben. -- Zum
Teufel! rief der Montagnard aus, woher wissen
Sie das? -- Hier ist ein Bericht an mich, sagte
der Minister, ein Papier aus der Tasche ziehend;
hüten Sie Sich, daß Sie dort nicht nochmals
ertappt werden. Der Montagnard ging fort, ohne
weiter ein Wort hervorzubringen.

[Spaltenumbruch]

C Paris, 29. Mai. Die Gerüchte einer
Aussöhnung ja Verbindung Cavaignac = Girardin
gewinnen täglich am Bestand. Nicht ohne Be-
deutung ist daneben des Generals Lamoriciere
leidenschaftliches Auftreten in der gestrigen Sitz-
ung. Wie sehr diese Stellung des verschlossenen
Afrikaners, dem vielleicht Godefroy's Bild wieder
vor die Seele getreten ist, die Partei der Ordnung
beunruhigt, beweist die Haltung ihrer Journale.
Man fühlt wohl, welch' glühender Haß seit dem
December 1848 in der Brust dieses ehrgeizigen
Mannes und jedenfalls tüchtigen Soldaten wüthet.
Der Constitutionnel, als Senior der Ordnungs-
partei enthält heute sogar einen sehr langen Ar-
tikel unter der Ueberschrift: "General Cavaignac."
Wir entnehmen ihm folgende Stellen: "Des
Generals Cavaignacs Rolle ist weder eine ge-
wöhnliche, noch eine gleichgültige. Der Mann,
welcher 6 Monate lang Frankreichs souveräner
Dictator war, der keineswegs allen Ansprüchen,
aller Zukunft entsagt hat, der Mann verdient es,
daß man ihn studire, begreife oder erkläre. Viele
große Talente und Helden haben ein bescheidenes,
unscheinbares Leben mit dem Abwarten Eines
Tages, Einer Gelegenheit aufgezehrt. Dem Ge-
neral C. sind deren zwei zu Theil geworden. Die
erste hat er rühmlich benutzt, die zweite aber ver-
fehlt. Am 23. Juni 1848 bekämpfte er die
Anarchie der Straße, am 21. Mai 1850 ver-
schmähte er es, die Anarchie des Gesetzes zu be-
kampfen. C. hatte am 23. Juni eine große Stel-
lung für seine frühere bescheidene und drückende
Stellung eingetauscht. Mehr die Pietät, als der
Verstand ließen ihn das Andenken eines terroristischen
Vaters, eines communistischen Bruders, complotti-
render Freunde auf seine Schultern laden. Am
23. Juni entriß er sich dieser verdächtigen Um-
gebung, er ward der Mann der Ordnung, des
Gesetzes, des Landes. Dadurch gewann er alle
Manner, welche die Republik mehr dulden, als
annehmen, welche glücklich und sicher waren,
für jedes Ereigniß einen Demokraten bereit
zu haben, der zwar ein Hitzkopf, aber kein
Demagoge war, der niemals aus schwarzgalligem
und abgeschmacktem Fanatismus der Demokratie
Ordnung, Vaterland und Gesellschaft opfern
würde. Der 21. Mai trennt dieses Band, der
Anspruch vom 23. Juni ist verwirkt, der Mann
der Ordnung ist gewesen und General Cavaig-
nac wird wieder der Freund des National, der
Bruder des Communisten, der Gegner des Terro-
risten..... Eines Tages wird er sich selbst wie-
derholen, was wir ihm heute sagen: "Aus eige-
ner Schuld verloren Sie das Zutrauen der von
Jhnen Geretteten nie erringen Sie jenes der von
Jhnen mit Kartätschen Begrüßten. -- Die Union
ruft besorgt: "Die Chefs der Demagogie wollen
pfiffig werden, sie bedrohen die Gesellschaft nicht
mehr durch die Gewalt, sondern durch die List.
Die Demagogie will uns überrumpeln. -- Man
kann das Gesetz als angenommen betrachten. Die
Freunde desselben haben nur noch das Amende-
ment Vezier zu überwinden. Gelingt äuch dieß,
so ist das Gesetz ohne wesentliche Modifikation
angenommen. Die Nebenbestimmungen sind dann
rasch erledigt. Das diplomatische Corps hat be-
reits das gestrige Votum als entscheidend betrach-
tet und Couriere nach allen Richtungen abgesen-
det. -- Der neue sächsische Gesandte, Graf
Hohenthal hat dem Präsidenten der Republik
seine Creditive überreicht.

Jtalien.

Turin, 23. Mai. Diese Gewaltmaßregeln
unserer Regierung haben fast unter der ganzen
Bevölkerung, ( natürlich mit Ausnahme der, die
zur rothen Partei gehört ) die größte Entrüstung
hervorgerufen. Man begreift das Auftreten einer
Regierung nicht, die von jeher sich durch ihre
Anhänglichkeit an den römischen Stuhl ausgezeich-
net hat. Besonders ist bei allen diesen Umtrie-
ben der der Kirche feindlich gesinnten Partei das
Betragen des Königs ein wahres Räthsel. Jst
es die Constitution, die den Königen die Hände
bindet, oder der rothe Lord Palmerston, der seine

[Spaltenumbruch] losschlagen; bald käme bessere Zeit hierfür. Die
Trauben sind sauer; sie hängen zu hoch!

Dem Vogesenboten wird aus Zweibrücken
vom 27. Mai geschrieben: Gestern fielen hier
arge Soldatenexcesse vor. Auf dem Tivoli sollte
ein Bürgerball stattfinden. Um Reibungen zu
vermeiden, namentlich auch um zu verhindern, daß
die weibliche Gesellschaft zu gemischt und dadurch
dem beabsichtigten Feste ein falscher Chrakter auf-
gedrückt werde, hatte man beschlossen, keine Sol-
daten zuzulassen. Den Offizieren der Garnison
war dies, so viel man hörte, selbst lieb. Gegen
9 Uhr Abends nun kamen die Chevauxlegers in
großen Trupps in das Tanzlokal gezogen, und
ohne daß ihnen die geringste Veranlassung zum
Streite gegeben worden wäre, begannen sie als-
bald die Gläser, Tische und Bänke zu zertrüm-
mern und die Gäste zu verfolgen. Diese suchten
sich durch rasche Flucht zu retten; leider fielen
jedoch einige bedeutende Verwundungen vor. Die
Bemühungen der Offiziere, namentlich des kom-
mandirenden Oberstlieutenants, zur Herstellung der
Ordnung hatte bei den rasenden Tumultanten
nicht den geringsten Erfolg. Später drangen diese
wüthend in die von dem Tanzlokale entfern-
tern Bierzimmer, in welchen sich viele angesehene
Bürger und Beamten befanden und vor Mißhand-
lungen sich gleichfalls nur durch schleunige Flucht
retten konnten. Wir zweifeln nicht, daß eine rasche
und strenge Bestrafung die schuldigen Soldaten
ereilen und den in Eigenthum und Leben betroh-
ten Bürgern, wie dem verletzten „Gesetz und Ord-
nung “ die gebührende Sühne werde.

Darmstadt, 29. Mai. Die Führer der Go-
thaer haben in alle Theile unsers Landes Befehle
ausgesendet, Adressen an die Regierung zu schicken.
Dasselbe war schon von Erfurt aus geschehen, es
bedurfte jedoch persönlicher Anwesenheit, um das
Wenige zu Stande zu bringen. Der Plan eines
Theiles, der Aufgebrachtesten, geht jetzt dahin,
einstweilen die Wühlerei zu befördern, damit dann
durch das Gefühl der Schwäche und Lebensun-
fähigkeit Hessen der Gothaer Politik definitiv in
die Arme geworfen werde. Die Demokratie hat
zwar offen die angebotene Hand mit Hohn zurück-
gewiesen, wie es einem solchen sich selbst ausge-
stellten Armuthszeugnisse gegenüber nicht anders
geschehen konnte, dabei aber sehen die Radicalen
gewiß jede Unterstützung ihres Auflösungs= und
Zersetzungswerks recht gern und lachen mit Recht
über die selbstgefällige Einbildungskraft, die wähnt,
nach Gutdünken wieder den Sturm beschwören u.
die Gewässer bannen zu können. Die Stellung
unserer Regierung ist übrigens, wird die Aufgabe
begriffen, keineswegs schwierig. Eine feste Poli-
tik, die kleine Mittel verschmäht und große mit
eiserner Consequenz durchführt, würde bald zeigen,
wohin die Masse der Unentschiedenen, die aus
Zweifel ohne Furcht hin und her getrieben wer-
den, oder aus Gewohnheit gewisse Schlagwörter
nachsprechen, sich wendet: der Kern des Volkes
ist noch gesund und wird es bleiben, wenn man
den Muth hat, entschlossen die Hand an die fau-
len Stellen zu legen. Ein anderer Theil der
Gothaer calculirt wie folgt: der Frankfurter Con-
greß werde durch Preußens Widerstand zur völli-
gen Auflösung des deutschen Gesammtverbands
führen; Deutschland zerfalle dann in fünf oder
sechs Staatengruppen und das Bedürfniß des
Schutzes nach Außen werde, wo „Deutschland“
als nicht mehr bestehend keinen Schutz mehr bie-
ten könne, zum Aufgehen der kleineren Staaten
in irgend einem größeren nöthigen. Ohne alle
Aussicht auf Erfolg ist leider dieses Raisonnement
nicht, traurig interessant bleibt aber doch immer,
daß man sich nicht scheut, den krankhaftesten Er-
scheinungen den Namen „deutsch=nationaler“ Ge-
sinnung zu geben.

   

Leipzig, 28. Mai. Vorgestern und gestern
haben wir auf einem benachbarten Dorfe blutige
Exzesse zwischen Schützen und Civilisten gehabt.
Seit dem Mai vorigen Jahrs kamen an verschie-
denen Orten in Leipzig und der Umgegend häu-
fig Reibungen zwischen den hiesigen Schützen und
den sogenannten demokratischen Turnern vor, de-
[Spaltenumbruch] ren Veranlassung bald dem einen, bald dem an-
dern Theile Schuld gegeben wurde und die ge-
wöhnlich in sehr heftigen Schlägereien sich kund
gaben, in denen bald diese, bald jene Partei siegte.
Hiedurch wuchs die Erbitterung auf beiden Sei-
ten in einer Weise, daß ein tödtlicher Haß dar-
aus entstand und die demokratischen Turner sich
veranlaßt fühlten, mit Waffen die Tanzplätze zu
besuchen. Vorgestern fanden sich fünf Schützen
im Gasthause zu den drei Mohren in den Kohl-
gärten ein und bezeigten dadurch ihre friedliche
Gesinnung, daß sie ihre Seitengewehre an der
Wand aufhängten und sich zum Theil unter die
Tänzer mischten. Demohngeachtet kam es sehr
bald zu Händeln; einer von den ruhig sitzenden
Schützen wurde von hinten angefallen und mit
einer Stoßwaffe durch den Rücken bis in die
Lunge gestochen, so daß er eine Stunde darauf
starb. Die übrigen wurden ebenfalls mehr oder
minder schwer verwundet und liegen im Hospitale.
Gestern gegen Abend strömten nun viele Schützen
und Neugierige hinaus, und es kam wieder zu
einer Schlägerei, in welcher starke Verwundungen
vorkamen, die dießmal hauptsächlich die Turner tra-
fen. Der eine ist sehr bedenklich am Kopfe ver-
wundet. Militärpatrouillen, welche sodann hin-
beordert wurden, stellten die Ruhe her und nah-
men Verhaftungen vor. Die Drei, welche den
Schützen erstochen haben, sowie viele Andere sind
eingefangen worden, und man hofft endlich die
Ruhe herstellen zu können. Man bedauert den
Erstochenen um so mehr, als er allgemein für
einen friedliebenden Mann galt.

   

Wien, 26. Mai. Daß man bei den Confe-
renzen in Warschau zunächst an Frankreich denke,
darauf deuten manche Symptome. So sagt die
neueste „Oesterr. Corresp.“: „Es gilt in Frank-
reich nicht bloß Frankreich, sondern Moral, Reli-
gion, Eigenthum, Familie und Bildung, mit ei-
nem Wort die heiligsten Güter der Gesellschaft
zu retten. Die Umstimmung der Gemüther, die
Erwärmung und Erfüllung derselben mit der re-
ligiös = politischen Jdee des anti = revolutionären
Fortschritts muß hinzutreten, damit der dort be-
gonnene Prozeß sich glücklich vollende. Das Re-
sultat wird sich für Europa in jedem Fall höchst
folgereich gestalten. Endet er friedlich, so kommen
dem Welttheil die Folgen der natürlichen Rück-
wirkung der damit verbundenen Belehrung zu
gute. Verläuft er sich in einem verheerenden
Bürgerkrieg, oder glückt es sogar der sozialisti-
schen Partei, einen vorübergehenden Sieg zu er-
streiten, nun, denn geht die Pflicht Frankreich zu
retten unzweifelhaft von Frankreich auf Europa
über.“

Frankreich.

Paris, 28. Mai. Der „Messager de la
Semaine“ erzählt: „Am vorigen Mittwoch kam
ein als besonders excentrisch bekanntes Mitglied
des Berges sehr aufgeregt in der Nationalver-
sammlung an. Bald darauf begegnete er einem
Minister auf dem Corridor, redete ihn vertraulich,
jedoch in sichtbar ärgerlicher Stimmung an und
unterhielt ihn von der Geduld, Ruhe und edlen
Haltung des Volkes, das den Aufhetzern zum
Bürgerkriege mißtraue. Der Minister entgegnete:
Nichts desto weniger scheinen Sie selbst sich mit
dem Bürgerkriege zu beschäftigen. -- Was mei-
nen Sie? fragte der Montagnard. -- Allerdings
thun Sie es; woher kommen Sie jetzt? -- Von
meinem Platze, sagte ziemlich verlegen der Mon-
tagnard. -- Sie waren dort, aber noch nicht
lange, denn vor zwei Stunden waren Sie in
einer Weinschenke zu Belleville, wo Sie Solda-
ten zum Trinken aufforderten, um Sie ihrer Pflicht
untreu zu machen. Es gelang Jhnen nicht und
dies scheint Sie verdrossen zu haben. -- Zum
Teufel! rief der Montagnard aus, woher wissen
Sie das? -- Hier ist ein Bericht an mich, sagte
der Minister, ein Papier aus der Tasche ziehend;
hüten Sie Sich, daß Sie dort nicht nochmals
ertappt werden. Der Montagnard ging fort, ohne
weiter ein Wort hervorzubringen.

[Spaltenumbruch]

C Paris, 29. Mai. Die Gerüchte einer
Aussöhnung ja Verbindung Cavaignac = Girardin
gewinnen täglich am Bestand. Nicht ohne Be-
deutung ist daneben des Generals Lamoriciere
leidenschaftliches Auftreten in der gestrigen Sitz-
ung. Wie sehr diese Stellung des verschlossenen
Afrikaners, dem vielleicht Godefroy's Bild wieder
vor die Seele getreten ist, die Partei der Ordnung
beunruhigt, beweist die Haltung ihrer Journale.
Man fühlt wohl, welch' glühender Haß seit dem
December 1848 in der Brust dieses ehrgeizigen
Mannes und jedenfalls tüchtigen Soldaten wüthet.
Der Constitutionnel, als Senior der Ordnungs-
partei enthält heute sogar einen sehr langen Ar-
tikel unter der Ueberschrift: „General Cavaignac.“
Wir entnehmen ihm folgende Stellen: „Des
Generals Cavaignacs Rolle ist weder eine ge-
wöhnliche, noch eine gleichgültige. Der Mann,
welcher 6 Monate lang Frankreichs souveräner
Dictator war, der keineswegs allen Ansprüchen,
aller Zukunft entsagt hat, der Mann verdient es,
daß man ihn studire, begreife oder erkläre. Viele
große Talente und Helden haben ein bescheidenes,
unscheinbares Leben mit dem Abwarten Eines
Tages, Einer Gelegenheit aufgezehrt. Dem Ge-
neral C. sind deren zwei zu Theil geworden. Die
erste hat er rühmlich benutzt, die zweite aber ver-
fehlt. Am 23. Juni 1848 bekämpfte er die
Anarchie der Straße, am 21. Mai 1850 ver-
schmähte er es, die Anarchie des Gesetzes zu be-
kampfen. C. hatte am 23. Juni eine große Stel-
lung für seine frühere bescheidene und drückende
Stellung eingetauscht. Mehr die Pietät, als der
Verstand ließen ihn das Andenken eines terroristischen
Vaters, eines communistischen Bruders, complotti-
render Freunde auf seine Schultern laden. Am
23. Juni entriß er sich dieser verdächtigen Um-
gebung, er ward der Mann der Ordnung, des
Gesetzes, des Landes. Dadurch gewann er alle
Manner, welche die Republik mehr dulden, als
annehmen, welche glücklich und sicher waren,
für jedes Ereigniß einen Demokraten bereit
zu haben, der zwar ein Hitzkopf, aber kein
Demagoge war, der niemals aus schwarzgalligem
und abgeschmacktem Fanatismus der Demokratie
Ordnung, Vaterland und Gesellschaft opfern
würde. Der 21. Mai trennt dieses Band, der
Anspruch vom 23. Juni ist verwirkt, der Mann
der Ordnung ist gewesen und General Cavaig-
nac wird wieder der Freund des National, der
Bruder des Communisten, der Gegner des Terro-
risten..... Eines Tages wird er sich selbst wie-
derholen, was wir ihm heute sagen: „Aus eige-
ner Schuld verloren Sie das Zutrauen der von
Jhnen Geretteten nie erringen Sie jenes der von
Jhnen mit Kartätschen Begrüßten. -- Die Union
ruft besorgt: „Die Chefs der Demagogie wollen
pfiffig werden, sie bedrohen die Gesellschaft nicht
mehr durch die Gewalt, sondern durch die List.
Die Demagogie will uns überrumpeln. -- Man
kann das Gesetz als angenommen betrachten. Die
Freunde desselben haben nur noch das Amende-
ment Vezier zu überwinden. Gelingt äuch dieß,
so ist das Gesetz ohne wesentliche Modifikation
angenommen. Die Nebenbestimmungen sind dann
rasch erledigt. Das diplomatische Corps hat be-
reits das gestrige Votum als entscheidend betrach-
tet und Couriere nach allen Richtungen abgesen-
det. -- Der neue sächsische Gesandte, Graf
Hohenthal hat dem Präsidenten der Republik
seine Creditive überreicht.

Jtalien.

Turin, 23. Mai. Diese Gewaltmaßregeln
unserer Regierung haben fast unter der ganzen
Bevölkerung, ( natürlich mit Ausnahme der, die
zur rothen Partei gehört ) die größte Entrüstung
hervorgerufen. Man begreift das Auftreten einer
Regierung nicht, die von jeher sich durch ihre
Anhänglichkeit an den römischen Stuhl ausgezeich-
net hat. Besonders ist bei allen diesen Umtrie-
ben der der Kirche feindlich gesinnten Partei das
Betragen des Königs ein wahres Räthsel. Jst
es die Constitution, die den Königen die Hände
bindet, oder der rothe Lord Palmerston, der seine

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[0003] losschlagen; bald käme bessere Zeit hierfür. Die Trauben sind sauer; sie hängen zu hoch! Dem Vogesenboten wird aus Zweibrücken vom 27. Mai geschrieben: Gestern fielen hier arge Soldatenexcesse vor. Auf dem Tivoli sollte ein Bürgerball stattfinden. Um Reibungen zu vermeiden, namentlich auch um zu verhindern, daß die weibliche Gesellschaft zu gemischt und dadurch dem beabsichtigten Feste ein falscher Chrakter auf- gedrückt werde, hatte man beschlossen, keine Sol- daten zuzulassen. Den Offizieren der Garnison war dies, so viel man hörte, selbst lieb. Gegen 9 Uhr Abends nun kamen die Chevauxlegers in großen Trupps in das Tanzlokal gezogen, und ohne daß ihnen die geringste Veranlassung zum Streite gegeben worden wäre, begannen sie als- bald die Gläser, Tische und Bänke zu zertrüm- mern und die Gäste zu verfolgen. Diese suchten sich durch rasche Flucht zu retten; leider fielen jedoch einige bedeutende Verwundungen vor. Die Bemühungen der Offiziere, namentlich des kom- mandirenden Oberstlieutenants, zur Herstellung der Ordnung hatte bei den rasenden Tumultanten nicht den geringsten Erfolg. Später drangen diese wüthend in die von dem Tanzlokale entfern- tern Bierzimmer, in welchen sich viele angesehene Bürger und Beamten befanden und vor Mißhand- lungen sich gleichfalls nur durch schleunige Flucht retten konnten. Wir zweifeln nicht, daß eine rasche und strenge Bestrafung die schuldigen Soldaten ereilen und den in Eigenthum und Leben betroh- ten Bürgern, wie dem verletzten „Gesetz und Ord- nung “ die gebührende Sühne werde. Darmstadt, 29. Mai. Die Führer der Go- thaer haben in alle Theile unsers Landes Befehle ausgesendet, Adressen an die Regierung zu schicken. Dasselbe war schon von Erfurt aus geschehen, es bedurfte jedoch persönlicher Anwesenheit, um das Wenige zu Stande zu bringen. Der Plan eines Theiles, der Aufgebrachtesten, geht jetzt dahin, einstweilen die Wühlerei zu befördern, damit dann durch das Gefühl der Schwäche und Lebensun- fähigkeit Hessen der Gothaer Politik definitiv in die Arme geworfen werde. Die Demokratie hat zwar offen die angebotene Hand mit Hohn zurück- gewiesen, wie es einem solchen sich selbst ausge- stellten Armuthszeugnisse gegenüber nicht anders geschehen konnte, dabei aber sehen die Radicalen gewiß jede Unterstützung ihres Auflösungs= und Zersetzungswerks recht gern und lachen mit Recht über die selbstgefällige Einbildungskraft, die wähnt, nach Gutdünken wieder den Sturm beschwören u. die Gewässer bannen zu können. Die Stellung unserer Regierung ist übrigens, wird die Aufgabe begriffen, keineswegs schwierig. Eine feste Poli- tik, die kleine Mittel verschmäht und große mit eiserner Consequenz durchführt, würde bald zeigen, wohin die Masse der Unentschiedenen, die aus Zweifel ohne Furcht hin und her getrieben wer- den, oder aus Gewohnheit gewisse Schlagwörter nachsprechen, sich wendet: der Kern des Volkes ist noch gesund und wird es bleiben, wenn man den Muth hat, entschlossen die Hand an die fau- len Stellen zu legen. Ein anderer Theil der Gothaer calculirt wie folgt: der Frankfurter Con- greß werde durch Preußens Widerstand zur völli- gen Auflösung des deutschen Gesammtverbands führen; Deutschland zerfalle dann in fünf oder sechs Staatengruppen und das Bedürfniß des Schutzes nach Außen werde, wo „Deutschland“ als nicht mehr bestehend keinen Schutz mehr bie- ten könne, zum Aufgehen der kleineren Staaten in irgend einem größeren nöthigen. Ohne alle Aussicht auf Erfolg ist leider dieses Raisonnement nicht, traurig interessant bleibt aber doch immer, daß man sich nicht scheut, den krankhaftesten Er- scheinungen den Namen „deutsch=nationaler“ Ge- sinnung zu geben. ( F. O.=P.=Z. ) Leipzig, 28. Mai. Vorgestern und gestern haben wir auf einem benachbarten Dorfe blutige Exzesse zwischen Schützen und Civilisten gehabt. Seit dem Mai vorigen Jahrs kamen an verschie- denen Orten in Leipzig und der Umgegend häu- fig Reibungen zwischen den hiesigen Schützen und den sogenannten demokratischen Turnern vor, de- ren Veranlassung bald dem einen, bald dem an- dern Theile Schuld gegeben wurde und die ge- wöhnlich in sehr heftigen Schlägereien sich kund gaben, in denen bald diese, bald jene Partei siegte. Hiedurch wuchs die Erbitterung auf beiden Sei- ten in einer Weise, daß ein tödtlicher Haß dar- aus entstand und die demokratischen Turner sich veranlaßt fühlten, mit Waffen die Tanzplätze zu besuchen. Vorgestern fanden sich fünf Schützen im Gasthause zu den drei Mohren in den Kohl- gärten ein und bezeigten dadurch ihre friedliche Gesinnung, daß sie ihre Seitengewehre an der Wand aufhängten und sich zum Theil unter die Tänzer mischten. Demohngeachtet kam es sehr bald zu Händeln; einer von den ruhig sitzenden Schützen wurde von hinten angefallen und mit einer Stoßwaffe durch den Rücken bis in die Lunge gestochen, so daß er eine Stunde darauf starb. Die übrigen wurden ebenfalls mehr oder minder schwer verwundet und liegen im Hospitale. Gestern gegen Abend strömten nun viele Schützen und Neugierige hinaus, und es kam wieder zu einer Schlägerei, in welcher starke Verwundungen vorkamen, die dießmal hauptsächlich die Turner tra- fen. Der eine ist sehr bedenklich am Kopfe ver- wundet. Militärpatrouillen, welche sodann hin- beordert wurden, stellten die Ruhe her und nah- men Verhaftungen vor. Die Drei, welche den Schützen erstochen haben, sowie viele Andere sind eingefangen worden, und man hofft endlich die Ruhe herstellen zu können. Man bedauert den Erstochenen um so mehr, als er allgemein für einen friedliebenden Mann galt. ( N. Corr. ) Wien, 26. Mai. Daß man bei den Confe- renzen in Warschau zunächst an Frankreich denke, darauf deuten manche Symptome. So sagt die neueste „Oesterr. Corresp.“: „Es gilt in Frank- reich nicht bloß Frankreich, sondern Moral, Reli- gion, Eigenthum, Familie und Bildung, mit ei- nem Wort die heiligsten Güter der Gesellschaft zu retten. Die Umstimmung der Gemüther, die Erwärmung und Erfüllung derselben mit der re- ligiös = politischen Jdee des anti = revolutionären Fortschritts muß hinzutreten, damit der dort be- gonnene Prozeß sich glücklich vollende. Das Re- sultat wird sich für Europa in jedem Fall höchst folgereich gestalten. Endet er friedlich, so kommen dem Welttheil die Folgen der natürlichen Rück- wirkung der damit verbundenen Belehrung zu gute. Verläuft er sich in einem verheerenden Bürgerkrieg, oder glückt es sogar der sozialisti- schen Partei, einen vorübergehenden Sieg zu er- streiten, nun, denn geht die Pflicht Frankreich zu retten unzweifelhaft von Frankreich auf Europa über.“ Frankreich. Paris, 28. Mai. Der „Messager de la Semaine“ erzählt: „Am vorigen Mittwoch kam ein als besonders excentrisch bekanntes Mitglied des Berges sehr aufgeregt in der Nationalver- sammlung an. Bald darauf begegnete er einem Minister auf dem Corridor, redete ihn vertraulich, jedoch in sichtbar ärgerlicher Stimmung an und unterhielt ihn von der Geduld, Ruhe und edlen Haltung des Volkes, das den Aufhetzern zum Bürgerkriege mißtraue. Der Minister entgegnete: Nichts desto weniger scheinen Sie selbst sich mit dem Bürgerkriege zu beschäftigen. -- Was mei- nen Sie? fragte der Montagnard. -- Allerdings thun Sie es; woher kommen Sie jetzt? -- Von meinem Platze, sagte ziemlich verlegen der Mon- tagnard. -- Sie waren dort, aber noch nicht lange, denn vor zwei Stunden waren Sie in einer Weinschenke zu Belleville, wo Sie Solda- ten zum Trinken aufforderten, um Sie ihrer Pflicht untreu zu machen. Es gelang Jhnen nicht und dies scheint Sie verdrossen zu haben. -- Zum Teufel! rief der Montagnard aus, woher wissen Sie das? -- Hier ist ein Bericht an mich, sagte der Minister, ein Papier aus der Tasche ziehend; hüten Sie Sich, daß Sie dort nicht nochmals ertappt werden. Der Montagnard ging fort, ohne weiter ein Wort hervorzubringen. C Paris, 29. Mai. Die Gerüchte einer Aussöhnung ja Verbindung Cavaignac = Girardin gewinnen täglich am Bestand. Nicht ohne Be- deutung ist daneben des Generals Lamoriciere leidenschaftliches Auftreten in der gestrigen Sitz- ung. Wie sehr diese Stellung des verschlossenen Afrikaners, dem vielleicht Godefroy's Bild wieder vor die Seele getreten ist, die Partei der Ordnung beunruhigt, beweist die Haltung ihrer Journale. Man fühlt wohl, welch' glühender Haß seit dem December 1848 in der Brust dieses ehrgeizigen Mannes und jedenfalls tüchtigen Soldaten wüthet. Der Constitutionnel, als Senior der Ordnungs- partei enthält heute sogar einen sehr langen Ar- tikel unter der Ueberschrift: „General Cavaignac.“ Wir entnehmen ihm folgende Stellen: „Des Generals Cavaignacs Rolle ist weder eine ge- wöhnliche, noch eine gleichgültige. Der Mann, welcher 6 Monate lang Frankreichs souveräner Dictator war, der keineswegs allen Ansprüchen, aller Zukunft entsagt hat, der Mann verdient es, daß man ihn studire, begreife oder erkläre. Viele große Talente und Helden haben ein bescheidenes, unscheinbares Leben mit dem Abwarten Eines Tages, Einer Gelegenheit aufgezehrt. Dem Ge- neral C. sind deren zwei zu Theil geworden. Die erste hat er rühmlich benutzt, die zweite aber ver- fehlt. Am 23. Juni 1848 bekämpfte er die Anarchie der Straße, am 21. Mai 1850 ver- schmähte er es, die Anarchie des Gesetzes zu be- kampfen. C. hatte am 23. Juni eine große Stel- lung für seine frühere bescheidene und drückende Stellung eingetauscht. Mehr die Pietät, als der Verstand ließen ihn das Andenken eines terroristischen Vaters, eines communistischen Bruders, complotti- render Freunde auf seine Schultern laden. Am 23. Juni entriß er sich dieser verdächtigen Um- gebung, er ward der Mann der Ordnung, des Gesetzes, des Landes. Dadurch gewann er alle Manner, welche die Republik mehr dulden, als annehmen, welche glücklich und sicher waren, für jedes Ereigniß einen Demokraten bereit zu haben, der zwar ein Hitzkopf, aber kein Demagoge war, der niemals aus schwarzgalligem und abgeschmacktem Fanatismus der Demokratie Ordnung, Vaterland und Gesellschaft opfern würde. Der 21. Mai trennt dieses Band, der Anspruch vom 23. Juni ist verwirkt, der Mann der Ordnung ist gewesen und General Cavaig- nac wird wieder der Freund des National, der Bruder des Communisten, der Gegner des Terro- risten..... Eines Tages wird er sich selbst wie- derholen, was wir ihm heute sagen: „Aus eige- ner Schuld verloren Sie das Zutrauen der von Jhnen Geretteten nie erringen Sie jenes der von Jhnen mit Kartätschen Begrüßten. -- Die Union ruft besorgt: „Die Chefs der Demagogie wollen pfiffig werden, sie bedrohen die Gesellschaft nicht mehr durch die Gewalt, sondern durch die List. Die Demagogie will uns überrumpeln. -- Man kann das Gesetz als angenommen betrachten. Die Freunde desselben haben nur noch das Amende- ment Vezier zu überwinden. Gelingt äuch dieß, so ist das Gesetz ohne wesentliche Modifikation angenommen. Die Nebenbestimmungen sind dann rasch erledigt. Das diplomatische Corps hat be- reits das gestrige Votum als entscheidend betrach- tet und Couriere nach allen Richtungen abgesen- det. -- Der neue sächsische Gesandte, Graf Hohenthal hat dem Präsidenten der Republik seine Creditive überreicht. Jtalien. Turin, 23. Mai. Diese Gewaltmaßregeln unserer Regierung haben fast unter der ganzen Bevölkerung, ( natürlich mit Ausnahme der, die zur rothen Partei gehört ) die größte Entrüstung hervorgerufen. Man begreift das Auftreten einer Regierung nicht, die von jeher sich durch ihre Anhänglichkeit an den römischen Stuhl ausgezeich- net hat. Besonders ist bei allen diesen Umtrie- ben der der Kirche feindlich gesinnten Partei das Betragen des Königs ein wahres Räthsel. Jst es die Constitution, die den Königen die Hände bindet, oder der rothe Lord Palmerston, der seine

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Zitationshilfe: Die Bayerische Presse. Nr. 131. Würzburg, 1. Juni 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_bayerische131_1850/3>, abgerufen am 25.04.2024.