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Badener Zeitung. Nr. 13, Baden (Niederösterreich), 14.02.1900.

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erste Seite
Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Akonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5.--, gauzjährig K 10.--. Mit Zustellung ins Hans Baden: Vierteljährig K 3.--, halbjährig K 6.--
[g]anziährig K 12 --. Oesterreich-Ungarn: Mit Zusendung vierteljährig K 3.30, halbjährig K 6.50, ganzjährig K 13.--. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h., Somstag-Nummer
16 h. -- Inserate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erste, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einschaltungen berechnet, großere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die bestehenden Annoncen-Bureaux an die Administration gerichtet werden. -- Interessante Mittheilungen, Notizen und Correspon-
denzen werden nach Uebereinkunft bonoriert. Manuscripte werden nicht zurückgestellt. -- Redaction und Administration: Baden, Pfarrgasse Nr. 3.
[Abbildung] Erscheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung]
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage "Illustriertes Unterhaltungsblatt".)




Nr. 13. Mittwoch, den 14. Februar 1900. 20. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Stramme Abfertigung.

Die Unverfrorenheit, mit welcher sich die
jungczechischen Parteiführer herausnahmen, in der
Erklärung Engel's auf der Verständigungscon-
ferenz auch die Verhältnisse Schlesiens in die
Conferenzberathungen einzubeziehen und auf diese
Art, wie die czechische Pharisäerphrase lautete,
zur Einengung des nationalen Kampffeldes bei-
zutragen, haben dem lebhaftesten Widerspruche
aus Schlesien begegnet. Bereits haben sich die be-
deutendsten Gemeinden des Landes in ebenso
gepfefferten als wohlbegründeten Kundgebungen
derlei Einmischungen in Angelegenheiten Schlesiens
von Prag aus nachdrücklichst verbeten. Man weiß,
dass den Jungczechen ordentlich nicht wohl zu
Muthe ist, wenn sie nicht auch in Schlesien das
Wasser trüben können. Bekanntlich hatten sie
schon dem Grafen Taaffe mit diesen Zudring-
lichkeiten in den Ohren gelegen; allein dieser
hatte wiederholt und entschieden erklärt, man möge
ihn mit Schlesien, wo noch halbwegs erträgliche
Zustände herrschen, in Ruhe lassen. Das sagt
wohl unverblümt, dass Taaffe selbst von dem
Eingreifen der Czechen in Schlesien nur unleid-
liche Verhältnisse erwartete. Unter Badeni und
Thun kam es wirklich auch dahin. Die Sprachen-
verordnungen aus der Ära dieser beiden Kreuz-
köpfe brachte Gerichtsvorstände und Bezirkshaupt-
leute in Schlesien in gelinde Verzweiflung. In
drei Sprachen amtieren und ausfertigen, das
musste die babylonische Verwirrung auf die Spitze
treiben. Die geradezu schnurrigen Vorkommnisse,
welche jene hirnlosen Sprachenerlässe mit sich
brachten, waren so recht die Frucht der Nach-
[Spaltenumbruch] giebigkeit vor den czechischen Flausenmachern; die
Aufhebung dieser Verordnungen wirkte daher im
Lande wie eine Erlösung. Die Bevölkerung fühlt
sich viel sicherer und den Amtsweg weit rascher
und einfacher unter deutscher Verwaltung. Ja,
vielleicht kommt nirgends in Österreich der
deutschen Sprache als culturellem und staatlichem
Bindegliede zwischen drei Volksstämmen, von
denen die Czechen wie die Wasserpolaken noch
stark in den culturellen Kinderschuhen stecken, eine
solche Bedeutung zu, wie gerade in Schlesien.
Wie kämen übrigens auch die Polen im Ländchen
dazu, sich das Prager ezechische Patronat gefallen
zu lassen? Man hätte ja dann auch polnische
Delegierte den Conferenzen zuziehen müssen und
das hätte die "Einengung" des Kampffeldes
besonders erbaulich beleuchtet.

Dieser moralische Hinauswurf, den die jung-
czechischen Freibeuter mit ihren Versuchen erfuhren,
auch Schlesien in das Kampffeld einzubeziehen,
ist ein äußerst gesunder Dämpfer auf die mit
Größenwahn überhitzten Staatsrechtsköpfe. Die
Schlesier wissen also das unermessliche Glück nicht
zu würdigen, als Anhängsel und Nebenland der
Wenzelskrone von einem Generallanotage in Prag
aus commandiert zu werden. Die Staatsrechts-
Ochsenhaut, auf welcher die czechische Dido in
Schlesien sitzt, ist eben leider schmal und dem
möchte man in Prag durch ein wenig Import
nachhelfen. Es ist erfreulich, dass sich in Schlesien
Fortschrittler und Nationale stramm zusammen-
fanden in gemeinsamer Abwehr czechischer Ge-
lüste, um an die Kundgebungen des Landtages
vom December 1898 und März 1899 gegen den
Sprachenverordnungsspuk zu erinnern. Nochmals
[Spaltenumbruch] wurde betont, dass die seitherige Friedensstörung
im Lande lediglich die Frucht der czechischen
Hetzereien ist. Die Troppauer fragen sehr treffend,
ob sich denn wohl die Polen in Galizien eine
Einmengung zu Gunsten der Deutschen und
Ruthenen gefallen lassen würden? Die Deutschen
und auch die Polen Schlesiens bedanken sich für
das czechische Staatsrecht, und die Czechen in
Schlesien sind die letzten, die dort etwas zu reden
haben.

Es ist überhaupt merkwürdig, mit welchen
alles Recht und alle Bildung vernichtenden Maß-
regeln die Nichtdeutschen im Habsburgerreiche
auf alles Deutsche losgehen, wenn sie es irgend-
wo vereinsamt glauben. Wehe jedem deutschen
Volkssplitter, der nicht in innigster Verbindung
mit dem deutschen Hauptstocke ist und von der
deutschen Allgemeinheit nicht geschützt wird.
Einem verirrten Wanderer im Walde, der von
Wölfen überfallen wird, kann es leicht besser
ergehen. In Ungarn behandelt die Regierung die
Deutschen wie Heloten und ungarische Abgeord-
nete des Reichstages kehren sich gegen die un-
garische Regierung mit den schwersten Vorwürfen,
wenn die Regierung nicht sozusagen mit ge-
schliffenem Polizeisäbel in die Nationalitäten ein-
haut. Ein Minister, welcher sich von Billigkeit
gegenüber den Sachsen leiten ließe, würde im
ungarischen Reichstage eine Anklage wegen des
Verrathes wieder die Nation zu erfahren haben
und überdies von den ungarischen Studenten in
Pest wie ein Graf Lamberg behandelt werden.
Ja derselben würden die Nichtdeutschen in den
Reichen, die sie errichten würden, den Deutschen
übel mitspielen. In Galizien hat das Deutsch-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton



Die Brief-Adresse.

(Nachdruck verboten.)

Der Winter war ungewöhnlich streng. Ein
scharfer Nordost wehte, die Dächer der Häuser be-
deckten dichte Schneemassen, die Rinnsteine dicke
Eiskrusten.

An einem dieser kalten Tage hörte der Post-
secretär Robertin, als er sich eben an sein Pult setzen
wollte, das in Fächer eingetheilt war, in denen in
alphabethischer Reihenfolge die postlagernden Briefe
aufbewahrt wurden, ein leises Klopfen an der Thür
des dunklen Corridors, in dem das Publicum zu
warten pflegte.

Mit einem schnellen Griff öffnete Robertin den
kleinen Schalter und sofort erschien in der viereckigen
Öffnung ein großer, länglicher Kopf, der von brand-
rothem Haar umgeben war. Während der Postbeamte
neugierig dieses merkwürdige Gesicht anschaute, reckte
sich der Ankömmling empor, so dass man seine hagere
Figur, die von einem altmodischen Rock umschlossen
wurde, deutlich sehen konnte. Der Fremdling trug
ein kurzes Röckchen mit schon stark abgenutzten
Schnüren, dazu hellgraue Beinkleider, die wie ange-
klebt an seinen mageren Beinen saßen. Dieses Bild
der bittersten Armuth vervollständigte ein altes --
Fagott, das auf dem Rock unter dem linken Arme
befestigt war. Der arme Kerl zitterte vor Kälte,
er bot ein Bild des Jammers.


[Spaltenumbruch]

Auf dem abgehärmten Gesicht des armseligen
Menschen spiegelte sich ein maßloses Weh ab, welches
davon Zeugnis ablegte, dass er sich schwer plagen
musste, um sich über Wasser zu halten. Die Demuth,
welche aus seinen großen und ausdrucksvollen Augen
leuchtete, rührte sogar den hartgesottenen Beamten
Robertin, welcher in weniger barschem Tone, wie
sonst den Fremdling fragte:

"Was wünschen Sie?"

"Ich bitte sehr um Verzeihung", antwortete der
Fremde in reinem elsäßischen Dialect, "ich heiße
Zimmermann und wollte mich erkundigen ..."

"Sie fragen gewiss nach einem Briefe unter
dieser Adresse?"

"So ist es!"

"Und woher soll er sein?"

"Aus Schwalbach!"

Der Beamte steckte den Kopf in die Tiefe seines
Schrankes und zog nach einer Weile mit geübtem
Griffe einen Brief in einem schlichten Couvert her-
vor, auf den gleich oben mit ungelenken Schriftzügen
folgende Adresse gekritzelt war: "Herrn Zimmermann,
Musikkünstler, z. Z. in Paris. Postlagernd."

Diese sechs Zeilen, eine immer schlechter wie
die anderen geschrieben, ließen in Bezug auf Kalli-
graphie alles zu wünschen übrig.

Oberhalb dieser sechszeiligen Adresse prangte,
mit Blaustift geschrieben, eine Ziffer sowie ein Post-
vermerk, weil der Brief unfrankiert aufgegeben war.
Deshalb sollte der Empfänger bei der Aushändigung
des Briefes 20 Centimes Strafporto zahlen.

Robertin reichte Zimmermann den Brief. Nach-
dem dieser den Brief mit gespanntester Aufmerksamkeit
gelesen hatte, was einige Minuten erforderte, gab
Zimmermann den Brief dem Beamten wieder zurück.


[Spaltenumbruch]

"Ist der Brief nicht für Sie?" fragte dieser
verwundert.

"Ja -- nein, das heißt eigentlich .... Doch
nein, er ist nicht für mich", stotterte Zimmermann
verlegen, während eine Blutwelle in sein Gesicht
schlug.

"Nun, dann ist nichts weiter für Sie hier",
antwortete der Beamte ärgerlich.

"Dann werde ich so frei sein, ein anderesmal
wiederzukommen", sagte demüthig in bittendem Tone
der Mann mit dem Fagott und entfernte sich langsam.

Robertin hatte den wunderlichen Musikanten
schon vergessen, als er ihn nach Verlauf von etwa
drei Tagen wiederum vor sich bemerkte. Während
dieser Zeit war in der That ein Brief für Zimmer-
mann eingelaufen, jedoch mit der gleichen Adresse
wie vorher. Der Beamte ergriff unwillkürlich, da er
sich der Person des Empfängers wohl erinnerte, den
Brief im Schranke und hielt ihn Zimmermann hin.
Diese besondere Vorsicht war nöthig, da auch dieses
Couvert mit verschiedenen Schriftzügen und mit den-
selben ungeübten Buchstaben beschrieben war.

Nun wiederholte sich dieselbe Geschichte wie das
erstemal. Zimmermann betrachtete das Couvert von
allen Seiten. Nachdem er Buchstabe für Buchstabe
der so wunderlich geschriebenen Adresse entziffert
hatte, gab er den Brief kopfschüttelnd dem Beamten
zurück, verneigte sich mit der ihm eigenen Demuth
und entfernte sich.

Inzwischen waren wohl vierzehn Tage ver-
gangen, da erschien Zimmermann zum drittenmale
am Postschalter. Kaum hatte ihn Robertin erblickt,
als er den Entschluss fasste, dieses merkwürdige
Räthsel zu lösen. Der alte Beamte war im Grunde
eine gutmüthige Haut, aber er konnte es nicht ver-


Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Akonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5.—, gauzjährig K 10.—. Mit Zuſtellung ins Hans Baden: Vierteljährig K 3.—, halbjährig K 6.—
[g]anziährig K 12 —. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig K 3.30, halbjährig K 6.50, ganzjährig K 13.—. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h., Somstag-Nummer
16 h. — Inſerate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erſte, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, großere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon-
denzen werden nach Uebereinkunft bonoriert. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. — Redaction und Adminiſtration: Baden, Pfarrgaſſe Nr. 3.
[Abbildung] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung]
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtriertes Unterhaltungsblatt“.)




Nr. 13. Mittwoch, den 14. Februar 1900. 20. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Stramme Abfertigung.

Die Unverfrorenheit, mit welcher ſich die
jungczechiſchen Parteiführer herausnahmen, in der
Erklärung Engel’s auf der Verſtändigungscon-
ferenz auch die Verhältniſſe Schleſiens in die
Conferenzberathungen einzubeziehen und auf dieſe
Art, wie die czechiſche Phariſäerphraſe lautete,
zur Einengung des nationalen Kampffeldes bei-
zutragen, haben dem lebhafteſten Widerſpruche
aus Schleſien begegnet. Bereits haben ſich die be-
deutendſten Gemeinden des Landes in ebenſo
gepfefferten als wohlbegründeten Kundgebungen
derlei Einmiſchungen in Angelegenheiten Schleſiens
von Prag aus nachdrücklichſt verbeten. Man weiß,
daſs den Jungczechen ordentlich nicht wohl zu
Muthe iſt, wenn ſie nicht auch in Schleſien das
Waſſer trüben können. Bekanntlich hatten ſie
ſchon dem Grafen Taaffe mit dieſen Zudring-
lichkeiten in den Ohren gelegen; allein dieſer
hatte wiederholt und entſchieden erklärt, man möge
ihn mit Schleſien, wo noch halbwegs erträgliche
Zuſtände herrſchen, in Ruhe laſſen. Das ſagt
wohl unverblümt, daſs Taaffe ſelbſt von dem
Eingreifen der Czechen in Schleſien nur unleid-
liche Verhältniſſe erwartete. Unter Badeni und
Thun kam es wirklich auch dahin. Die Sprachen-
verordnungen aus der Ära dieſer beiden Kreuz-
köpfe brachte Gerichtsvorſtände und Bezirkshaupt-
leute in Schleſien in gelinde Verzweiflung. In
drei Sprachen amtieren und ausfertigen, das
muſste die babyloniſche Verwirrung auf die Spitze
treiben. Die geradezu ſchnurrigen Vorkommniſſe,
welche jene hirnloſen Sprachenerläſſe mit ſich
brachten, waren ſo recht die Frucht der Nach-
[Spaltenumbruch] giebigkeit vor den czechiſchen Flauſenmachern; die
Aufhebung dieſer Verordnungen wirkte daher im
Lande wie eine Erlöſung. Die Bevölkerung fühlt
ſich viel ſicherer und den Amtsweg weit raſcher
und einfacher unter deutſcher Verwaltung. Ja,
vielleicht kommt nirgends in Öſterreich der
deutſchen Sprache als culturellem und ſtaatlichem
Bindegliede zwiſchen drei Volksſtämmen, von
denen die Czechen wie die Waſſerpolaken noch
ſtark in den culturellen Kinderſchuhen ſtecken, eine
ſolche Bedeutung zu, wie gerade in Schleſien.
Wie kämen übrigens auch die Polen im Ländchen
dazu, ſich das Prager ezechiſche Patronat gefallen
zu laſſen? Man hätte ja dann auch polniſche
Delegierte den Conferenzen zuziehen müſſen und
das hätte die „Einengung“ des Kampffeldes
beſonders erbaulich beleuchtet.

Dieſer moraliſche Hinauswurf, den die jung-
czechiſchen Freibeuter mit ihren Verſuchen erfuhren,
auch Schleſien in das Kampffeld einzubeziehen,
iſt ein äußerſt geſunder Dämpfer auf die mit
Größenwahn überhitzten Staatsrechtsköpfe. Die
Schleſier wiſſen alſo das unermeſsliche Glück nicht
zu würdigen, als Anhängſel und Nebenland der
Wenzelskrone von einem Generallanotage in Prag
aus commandiert zu werden. Die Staatsrechts-
Ochſenhaut, auf welcher die czechiſche Dido in
Schleſien ſitzt, iſt eben leider ſchmal und dem
möchte man in Prag durch ein wenig Import
nachhelfen. Es iſt erfreulich, daſs ſich in Schleſien
Fortſchrittler und Nationale ſtramm zuſammen-
fanden in gemeinſamer Abwehr czechiſcher Ge-
lüſte, um an die Kundgebungen des Landtages
vom December 1898 und März 1899 gegen den
Sprachenverordnungsſpuk zu erinnern. Nochmals
[Spaltenumbruch] wurde betont, daſs die ſeitherige Friedensſtörung
im Lande lediglich die Frucht der czechiſchen
Hetzereien iſt. Die Troppauer fragen ſehr treffend,
ob ſich denn wohl die Polen in Galizien eine
Einmengung zu Gunſten der Deutſchen und
Ruthenen gefallen laſſen würden? Die Deutſchen
und auch die Polen Schleſiens bedanken ſich für
das czechiſche Staatsrecht, und die Czechen in
Schleſien ſind die letzten, die dort etwas zu reden
haben.

Es iſt überhaupt merkwürdig, mit welchen
alles Recht und alle Bildung vernichtenden Maß-
regeln die Nichtdeutſchen im Habsburgerreiche
auf alles Deutſche losgehen, wenn ſie es irgend-
wo vereinſamt glauben. Wehe jedem deutſchen
Volksſplitter, der nicht in innigſter Verbindung
mit dem deutſchen Hauptſtocke iſt und von der
deutſchen Allgemeinheit nicht geſchützt wird.
Einem verirrten Wanderer im Walde, der von
Wölfen überfallen wird, kann es leicht beſſer
ergehen. In Ungarn behandelt die Regierung die
Deutſchen wie Heloten und ungariſche Abgeord-
nete des Reichstages kehren ſich gegen die un-
gariſche Regierung mit den ſchwerſten Vorwürfen,
wenn die Regierung nicht ſozuſagen mit ge-
ſchliffenem Polizeiſäbel in die Nationalitäten ein-
haut. Ein Miniſter, welcher ſich von Billigkeit
gegenüber den Sachſen leiten ließe, würde im
ungariſchen Reichstage eine Anklage wegen des
Verrathes wieder die Nation zu erfahren haben
und überdies von den ungariſchen Studenten in
Peſt wie ein Graf Lamberg behandelt werden.
Ja derſelben würden die Nichtdeutſchen in den
Reichen, die ſie errichten würden, den Deutſchen
übel mitſpielen. In Galizien hat das Deutſch-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton



Die Brief-Adreſſe.

(Nachdruck verboten.)

Der Winter war ungewöhnlich ſtreng. Ein
ſcharfer Nordoſt wehte, die Dächer der Häuſer be-
deckten dichte Schneemaſſen, die Rinnſteine dicke
Eiskruſten.

An einem dieſer kalten Tage hörte der Poſt-
ſecretär Robertin, als er ſich eben an ſein Pult ſetzen
wollte, das in Fächer eingetheilt war, in denen in
alphabethiſcher Reihenfolge die poſtlagernden Briefe
aufbewahrt wurden, ein leiſes Klopfen an der Thür
des dunklen Corridors, in dem das Publicum zu
warten pflegte.

Mit einem ſchnellen Griff öffnete Robertin den
kleinen Schalter und ſofort erſchien in der viereckigen
Öffnung ein großer, länglicher Kopf, der von brand-
rothem Haar umgeben war. Während der Poſtbeamte
neugierig dieſes merkwürdige Geſicht anſchaute, reckte
ſich der Ankömmling empor, ſo daſs man ſeine hagere
Figur, die von einem altmodiſchen Rock umſchloſſen
wurde, deutlich ſehen konnte. Der Fremdling trug
ein kurzes Röckchen mit ſchon ſtark abgenutzten
Schnüren, dazu hellgraue Beinkleider, die wie ange-
klebt an ſeinen mageren Beinen ſaßen. Dieſes Bild
der bitterſten Armuth vervollſtändigte ein altes —
Fagott, das auf dem Rock unter dem linken Arme
befeſtigt war. Der arme Kerl zitterte vor Kälte,
er bot ein Bild des Jammers.


[Spaltenumbruch]

Auf dem abgehärmten Geſicht des armſeligen
Menſchen ſpiegelte ſich ein maßloſes Weh ab, welches
davon Zeugnis ablegte, daſs er ſich ſchwer plagen
muſste, um ſich über Waſſer zu halten. Die Demuth,
welche aus ſeinen großen und ausdrucksvollen Augen
leuchtete, rührte ſogar den hartgeſottenen Beamten
Robertin, welcher in weniger barſchem Tone, wie
ſonſt den Fremdling fragte:

„Was wünſchen Sie?“

„Ich bitte ſehr um Verzeihung“, antwortete der
Fremde in reinem elſäßiſchen Dialect, „ich heiße
Zimmermann und wollte mich erkundigen ...“

„Sie fragen gewiſs nach einem Briefe unter
dieſer Adreſſe?“

„So iſt es!“

„Und woher ſoll er ſein?“

„Aus Schwalbach!“

Der Beamte ſteckte den Kopf in die Tiefe ſeines
Schrankes und zog nach einer Weile mit geübtem
Griffe einen Brief in einem ſchlichten Couvert her-
vor, auf den gleich oben mit ungelenken Schriftzügen
folgende Adreſſe gekritzelt war: „Herrn Zimmermann,
Muſikkünſtler, z. Z. in Paris. Poſtlagernd.“

Dieſe ſechs Zeilen, eine immer ſchlechter wie
die anderen geſchrieben, ließen in Bezug auf Kalli-
graphie alles zu wünſchen übrig.

Oberhalb dieſer ſechszeiligen Adreſſe prangte,
mit Blauſtift geſchrieben, eine Ziffer ſowie ein Poſt-
vermerk, weil der Brief unfrankiert aufgegeben war.
Deshalb ſollte der Empfänger bei der Aushändigung
des Briefes 20 Centimes Strafporto zahlen.

Robertin reichte Zimmermann den Brief. Nach-
dem dieſer den Brief mit geſpannteſter Aufmerkſamkeit
geleſen hatte, was einige Minuten erforderte, gab
Zimmermann den Brief dem Beamten wieder zurück.


[Spaltenumbruch]

„Iſt der Brief nicht für Sie?“ fragte dieſer
verwundert.

„Ja — nein, das heißt eigentlich .... Doch
nein, er iſt nicht für mich“, ſtotterte Zimmermann
verlegen, während eine Blutwelle in ſein Geſicht
ſchlug.

„Nun, dann iſt nichts weiter für Sie hier“,
antwortete der Beamte ärgerlich.

„Dann werde ich ſo frei ſein, ein anderesmal
wiederzukommen“, ſagte demüthig in bittendem Tone
der Mann mit dem Fagott und entfernte ſich langſam.

Robertin hatte den wunderlichen Muſikanten
ſchon vergeſſen, als er ihn nach Verlauf von etwa
drei Tagen wiederum vor ſich bemerkte. Während
dieſer Zeit war in der That ein Brief für Zimmer-
mann eingelaufen, jedoch mit der gleichen Adreſſe
wie vorher. Der Beamte ergriff unwillkürlich, da er
ſich der Perſon des Empfängers wohl erinnerte, den
Brief im Schranke und hielt ihn Zimmermann hin.
Dieſe beſondere Vorſicht war nöthig, da auch dieſes
Couvert mit verſchiedenen Schriftzügen und mit den-
ſelben ungeübten Buchſtaben beſchrieben war.

Nun wiederholte ſich dieſelbe Geſchichte wie das
erſtemal. Zimmermann betrachtete das Couvert von
allen Seiten. Nachdem er Buchſtabe für Buchſtabe
der ſo wunderlich geſchriebenen Adreſſe entziffert
hatte, gab er den Brief kopfſchüttelnd dem Beamten
zurück, verneigte ſich mit der ihm eigenen Demuth
und entfernte ſich.

Inzwiſchen waren wohl vierzehn Tage ver-
gangen, da erſchien Zimmermann zum drittenmale
am Poſtſchalter. Kaum hatte ihn Robertin erblickt,
als er den Entſchluſs faſste, dieſes merkwürdige
Räthſel zu löſen. Der alte Beamte war im Grunde
eine gutmüthige Haut, aber er konnte es nicht ver-


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Nr. 13. Mittwoch, den 14. Februar 1900. 20. Jahrg. Stramme Abfertigung. Die Unverfrorenheit, mit welcher ſich die jungczechiſchen Parteiführer herausnahmen, in der Erklärung Engel’s auf der Verſtändigungscon- ferenz auch die Verhältniſſe Schleſiens in die Conferenzberathungen einzubeziehen und auf dieſe Art, wie die czechiſche Phariſäerphraſe lautete, zur Einengung des nationalen Kampffeldes bei- zutragen, haben dem lebhafteſten Widerſpruche aus Schleſien begegnet. Bereits haben ſich die be- deutendſten Gemeinden des Landes in ebenſo gepfefferten als wohlbegründeten Kundgebungen derlei Einmiſchungen in Angelegenheiten Schleſiens von Prag aus nachdrücklichſt verbeten. Man weiß, daſs den Jungczechen ordentlich nicht wohl zu Muthe iſt, wenn ſie nicht auch in Schleſien das Waſſer trüben können. Bekanntlich hatten ſie ſchon dem Grafen Taaffe mit dieſen Zudring- lichkeiten in den Ohren gelegen; allein dieſer hatte wiederholt und entſchieden erklärt, man möge ihn mit Schleſien, wo noch halbwegs erträgliche Zuſtände herrſchen, in Ruhe laſſen. Das ſagt wohl unverblümt, daſs Taaffe ſelbſt von dem Eingreifen der Czechen in Schleſien nur unleid- liche Verhältniſſe erwartete. Unter Badeni und Thun kam es wirklich auch dahin. Die Sprachen- verordnungen aus der Ära dieſer beiden Kreuz- köpfe brachte Gerichtsvorſtände und Bezirkshaupt- leute in Schleſien in gelinde Verzweiflung. In drei Sprachen amtieren und ausfertigen, das muſste die babyloniſche Verwirrung auf die Spitze treiben. Die geradezu ſchnurrigen Vorkommniſſe, welche jene hirnloſen Sprachenerläſſe mit ſich brachten, waren ſo recht die Frucht der Nach- giebigkeit vor den czechiſchen Flauſenmachern; die Aufhebung dieſer Verordnungen wirkte daher im Lande wie eine Erlöſung. 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Die Deutſchen und auch die Polen Schleſiens bedanken ſich für das czechiſche Staatsrecht, und die Czechen in Schleſien ſind die letzten, die dort etwas zu reden haben. Es iſt überhaupt merkwürdig, mit welchen alles Recht und alle Bildung vernichtenden Maß- regeln die Nichtdeutſchen im Habsburgerreiche auf alles Deutſche losgehen, wenn ſie es irgend- wo vereinſamt glauben. Wehe jedem deutſchen Volksſplitter, der nicht in innigſter Verbindung mit dem deutſchen Hauptſtocke iſt und von der deutſchen Allgemeinheit nicht geſchützt wird. Einem verirrten Wanderer im Walde, der von Wölfen überfallen wird, kann es leicht beſſer ergehen. In Ungarn behandelt die Regierung die Deutſchen wie Heloten und ungariſche Abgeord- nete des Reichstages kehren ſich gegen die un- gariſche Regierung mit den ſchwerſten Vorwürfen, wenn die Regierung nicht ſozuſagen mit ge- ſchliffenem Polizeiſäbel in die Nationalitäten ein- haut. 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Mit einem ſchnellen Griff öffnete Robertin den kleinen Schalter und ſofort erſchien in der viereckigen Öffnung ein großer, länglicher Kopf, der von brand- rothem Haar umgeben war. Während der Poſtbeamte neugierig dieſes merkwürdige Geſicht anſchaute, reckte ſich der Ankömmling empor, ſo daſs man ſeine hagere Figur, die von einem altmodiſchen Rock umſchloſſen wurde, deutlich ſehen konnte. Der Fremdling trug ein kurzes Röckchen mit ſchon ſtark abgenutzten Schnüren, dazu hellgraue Beinkleider, die wie ange- klebt an ſeinen mageren Beinen ſaßen. Dieſes Bild der bitterſten Armuth vervollſtändigte ein altes — Fagott, das auf dem Rock unter dem linken Arme befeſtigt war. Der arme Kerl zitterte vor Kälte, er bot ein Bild des Jammers. Auf dem abgehärmten Geſicht des armſeligen Menſchen ſpiegelte ſich ein maßloſes Weh ab, welches davon Zeugnis ablegte, daſs er ſich ſchwer plagen muſste, um ſich über Waſſer zu halten. Die Demuth, welche aus ſeinen großen und ausdrucksvollen Augen leuchtete, rührte ſogar den hartgeſottenen Beamten Robertin, welcher in weniger barſchem Tone, wie ſonſt den Fremdling fragte: „Was wünſchen Sie?“ „Ich bitte ſehr um Verzeihung“, antwortete der Fremde in reinem elſäßiſchen Dialect, „ich heiße Zimmermann und wollte mich erkundigen ...“ „Sie fragen gewiſs nach einem Briefe unter dieſer Adreſſe?“ „So iſt es!“ „Und woher ſoll er ſein?“ „Aus Schwalbach!“ Der Beamte ſteckte den Kopf in die Tiefe ſeines Schrankes und zog nach einer Weile mit geübtem Griffe einen Brief in einem ſchlichten Couvert her- vor, auf den gleich oben mit ungelenken Schriftzügen folgende Adreſſe gekritzelt war: „Herrn Zimmermann, Muſikkünſtler, z. Z. in Paris. Poſtlagernd.“ Dieſe ſechs Zeilen, eine immer ſchlechter wie die anderen geſchrieben, ließen in Bezug auf Kalli- graphie alles zu wünſchen übrig. Oberhalb dieſer ſechszeiligen Adreſſe prangte, mit Blauſtift geſchrieben, eine Ziffer ſowie ein Poſt- vermerk, weil der Brief unfrankiert aufgegeben war. Deshalb ſollte der Empfänger bei der Aushändigung des Briefes 20 Centimes Strafporto zahlen. Robertin reichte Zimmermann den Brief. Nach- dem dieſer den Brief mit geſpannteſter Aufmerkſamkeit geleſen hatte, was einige Minuten erforderte, gab Zimmermann den Brief dem Beamten wieder zurück. „Iſt der Brief nicht für Sie?“ fragte dieſer verwundert. „Ja — nein, das heißt eigentlich .... Doch nein, er iſt nicht für mich“, ſtotterte Zimmermann verlegen, während eine Blutwelle in ſein Geſicht ſchlug. „Nun, dann iſt nichts weiter für Sie hier“, antwortete der Beamte ärgerlich. „Dann werde ich ſo frei ſein, ein anderesmal wiederzukommen“, ſagte demüthig in bittendem Tone der Mann mit dem Fagott und entfernte ſich langſam. Robertin hatte den wunderlichen Muſikanten ſchon vergeſſen, als er ihn nach Verlauf von etwa drei Tagen wiederum vor ſich bemerkte. Während dieſer Zeit war in der That ein Brief für Zimmer- mann eingelaufen, jedoch mit der gleichen Adreſſe wie vorher. Der Beamte ergriff unwillkürlich, da er ſich der Perſon des Empfängers wohl erinnerte, den Brief im Schranke und hielt ihn Zimmermann hin. Dieſe beſondere Vorſicht war nöthig, da auch dieſes Couvert mit verſchiedenen Schriftzügen und mit den- ſelben ungeübten Buchſtaben beſchrieben war. Nun wiederholte ſich dieſelbe Geſchichte wie das erſtemal. Zimmermann betrachtete das Couvert von allen Seiten. Nachdem er Buchſtabe für Buchſtabe der ſo wunderlich geſchriebenen Adreſſe entziffert hatte, gab er den Brief kopfſchüttelnd dem Beamten zurück, verneigte ſich mit der ihm eigenen Demuth und entfernte ſich. Inzwiſchen waren wohl vierzehn Tage ver- gangen, da erſchien Zimmermann zum drittenmale am Poſtſchalter. Kaum hatte ihn Robertin erblickt, als er den Entſchluſs faſste, dieſes merkwürdige Räthſel zu löſen. Der alte Beamte war im Grunde eine gutmüthige Haut, aber er konnte es nicht ver-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener013_1900
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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 13, Baden (Niederösterreich), 14.02.1900, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener013_1900/1>, abgerufen am 21.11.2024.