Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 79. Augsburg (Bayern), 20. März 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] Spaltung kostete. Diese Spaltung kam durch die Religionsstreitigkeiten,
diese brachten uns die dreißigjährigen Kriegsleiden, diese uns die Zerrüt-
tung, diese uns Landesräuber von allen Seiten. Jst es nun nicht als ob
eine ausgestreckte Hand aus den Wolken auf das wieder eroberte Metz hin-
zeigte? Ausgestritten sind die blutigen Religionskämpfe, ausgelöscht soll
alle Zwietracht um der Religion willen sein, wenigstens soll sie unsere sitt-
liche, politische und wirthschaftliche Volkseinheit nicht mehr zerreißen.

Gesetzt jedoch, wir hätten Metz, diesen historisch und strategisch so
wichtigen Platz, wieder aufgeben müssen, so wäre die Nachricht peinlich und
niederschlagend gewesen, gleichwohl aber hätte sie keine innere Fiber un-
seres Herzens berührt. Die einen würden sich mit der Schleifung der
Metzer Festungswerke begnügen, die andern würden denken: das nächste-
mal werden wir Metz schon fester halten. Es wäre eben nur die rein ver-
ständige Erwägung welche hier am Platze wäre: wir würden zunächst nur
berechnen wo und wie theuer die Festung zu stehen käme, welche Metz das
Gegenspiel halten müßte.

Was ist es aber was uns bei Straßburgs Wiedergewinn das Herz
lachen macht? Weßhalb empfand jeder echte Deutsche den Verlust dieser
einen Stadt noch nach zweihundert Jahren als ein Wundweh des ganzen
Vaterlands? Viele erkennen den Grund, die meisten ahnen ihn doch. Das
Andenken daß die Wegnahme Straßburgs mitten im Frieden der größte
Schimpf für Deutschland war, kann es nicht mehr sein; denn jener Frevel
wurde ja seitdem überboten durch viele andere Thaten französischer Gier
und Frechheit. Oder ließ uns die Gewißheit keine Ruhe daß diese Festung
das Thor Deutschlands sei und uns jeden Augenblick mit französischen
Heeren überschwemmen könnte? O nein, wir wußten längst daß Straß-
burg nicht so stark mehr sei, und hatten ja Rastatt, Germersheim und Ulm
gebaut.

Aber denken wir uns, von unsern vielen uralten berühmten Städten
könnten Königsberg, Breslau, Erfurt, Hannover, Hamburg, ja selbst Danzig
oder Mainz verloren gehen. Das würde uns nicht so schmerzlich ergreifen
als die Nachricht: uns gehöre nicht mehr Nürnberg oder Köln, oder Lübeck,
oder Augsburg, oder Weimar, oder eine der jetzigen großen Residenzstädte.
Es hängt eben zu viel von der Geschichte unserer inneren Entwicklung an
Städten der letztern Art, und unter solchen, an welche sich für uns alle ein
Gefühl des Dankes und des Stolzes knüpft, war Straßburg eine der edel-
sten und vornehmsten.

Es ist das Werden und welthistorische Verdienst unseres Volkes das
auf solchen Punkten sich besonders deutlich abspiegelt. Nirgends aber
fühlen wir uns mehr angeregt von einem großen geschichtlichen deutschen
Leben als in Straßburg: in seinen Mauern ragt ein Münster empor, und
hier träumen wir uns gern zurück in den Münsterbau unserer zweitausend-
jährigen Geschichte. Jn keiner deutschen Stadt fand sich all die Jahrhun-
derte hindurch eine Bürgerschaft die deutscher dachte und fühlte in all ihren
bewegten Kreisen. Gerade hier, wie ein Hort gegen die unruhige Bran-
dung der Wälschen, entfaltete sich der Stolz und die Stärke des deutschen
Wesens, und wie in Magdeburg und Wien der Deutsche auf Wenden und
Ungarn tief herabsah, so schien es dem Elsäßer noch vor 80 Jahren als
tiefe Kränkung daß ein Wälscher sein Herr sei.

Es ist geraume Zeit her daß Lothringer Herzoge in unsern Kaiser-
schlachten eine Rolle spielten, wie Konrad auf dem Lechfeld und Theobald
im Gefolg des ersten Luxemburgers vor Florenz. Ganz anders ist unsere
Kaisergeschichte mit dem Elsaß verknüpft. Fast jeder von den alten Kaisern
die uns besonders ans Herz gewachsen sind, ist gern und oft in Straßburg
gewesen, und hat hier frohsinnig gewaltet wie auf seiner liebsten Pfalz.
Des großen Otto Gemahlin fand im Elsaß ein Stück Jtalien wieder. Der
zweite Heinrich, der letzte sächsische Kaiser, und der unglückliche vierte Hein-
rich der Salier fühlten sich häuslich wohl in Straßburg. Der Herrlichkeit
der Hohenstaufen, des Rothbarts und des zweiten Friedrichs, ist man im
Elsaß noch wohl eingedenk, nicht minder Rudolfs von Habsburg, der im
Bürgerrecht von Straßburg stand. Welch herzlichen Verkehr hatte Kaiser
Ludwig der Bayer mit den Straßburgern, die um seinetwillen von dem
Papste verflucht wurden. Als er starb, huldigten sie sofort seinem Feinde
Karl IV, denn dieser war jetzt der rechte Kaiser. Doch ließen sie es sich
nicht nehmen vor des Münsters Pforten durch ihren Bürgermeister dem
kaiserlich prangenden Luxemburger feierlich zu erklären: "Wenn sie ihm
huldigten, wollten sie damit in keiner Weise dem ehrenreichen Andenken
seines kaiserlichen Vorgängers zu nahe treten." Von den Straßburger
Studentenstreichen Kaiser Siegmunds wäre viel lustiges zu erzählen.
Natürlich war auch der ritterliche vielgeschäftige Max oft in Straßburg
und probirte dort in eigener Person vor Ammeister und Rath seine Ka-
nonen, denn Kaiser und Reichsstadt wetteiferten wer die besten Geschütze
gießen könne, und schenkten sie dann einander. Was aber unsern Kaisern
Straßburg so heimisch und werth machte, war nicht allein die herrliche Ge-
gend und köstliche Luft des Oberrheins, nicht allein die reiche glänzende
[Spaltenumbruch] Großstadt, die Menge ritterlicher und hochgebildeter Bürger, sondern vor
allem die fröhliche und wandellose Herzenstreue mit welcher sie zum Reichs-
haupte hielten. Straßburg war alleweil gut kaiserlich.

Jn Deutschland hat von jeher Fürstenthum und Adel viel ausgezeich-
netes geleistet, und der Bauernstand hat von jeher eine Grundlage unver-
wüstlicher Volksgesundheit abgegeben; allein das meiste und beste was
unser Volk zu seiner Eigenart und culturgeschichtlichen Größe erhob gieng
doch von Bürgern aus. Das deutsche Volk ist eben vorzugsweise ein
bürgerliches Volk. Nun ist aber gerade Straßburg eine Veste und ein
tiefer Brunnquell des deutschen Bürgerthums gewesen. Dieses hat hier
frühzeitig Gestalt und Bewußtsein gewonnen, es hat sich hier am höchsten
und stärksten entfaltet, und von hier gieng ein städtischer Antrieb in Politik
und Handel und Gewerbe aus, dessen Wirkungen sich viel weiter als am
Oberrhein verspüren ließen.

Aber auch auf geistigem Gebiet ergoß sich von Straßburg aus un-
aufhörlich ein lebendiger Strom um das deutsche Volk zu befruchten und
zu erfrischen. Jm Ausbilden unserer Sprache, im Dichten und Reimen,
in der Baukunst und jeglichem Kunstgewerb, in der Geschichtschreibung, in
der Versenkung der Gemüther in die tiefsten Geheimnisse des religiösen
Lebens, wie in jeder frischen Geistesfreiheit hat Straßburg wiederholt den
Ton angegeben. Wo hier vorzügliches in Kunst und Literatur geschieht,
steht gewöhnlich ein Straßburger Bürgermeister dahinter, und es ist nicht
so zufällig daß das schönste Werk der Ritterpoesie und das populärste
Reimbuch im Reformationsjahrhundert Straßburger Stadtschreiber zu
Verfassern hatten. Als es schien als wollte Deutschlands Ehre sich beinahe
ganz auf seine Hochschulen zurückziehen, da entfaltete die Straßburger Uni-
versität eine echt deutsche Hochblüthe, trotzdem daß die Stadt schon unter
französischem Scepter stand.

Das Andenken an dieses alles liegt in unserer Geschichte ausgebreitet,
wir stoßen allerwärts darauf, aber es erweckte auch jedesmal ein neues
trauriges Gefühl wenn wir unsere nationalsten Erinnerungen an eine Stadt
in der Fremde anknüpfen mußten. Soviel Jahrzehnte und Jahrhunderte
seit Straßburgs Verlust dahin gegangen, dieser Schmerz war bei jedem
der deutsch fühlte noch so frisch wie ehemals, ja um so peinlicher, je kräf-
tiger das Nationalgefühl erwachte. Mit einem edlen Theil unserer Ge-
schichte hieng auch unsere Volksehre an Elsaß und Deutsch=Lothringen, weil
es immerdar eine Schmach für ein starkes Volk ist Theile von sich fremder
Sprach= und Volkstyrannei zu überlassen. Das hat sich jetzt geändert.
Ein frisches Gefühl von Gesundheit durchströmt wieder ganz Deutschland.

Gott hat es gewollt daß wir im Nationalkriege gegen den ersten Na-
poleon den Rhein und im zweiten Nation alkrieg mit Frankreich gleich
Elsaß zusammen mit Deutsch=Lothringen wieder gewannen. An der Spitze
der Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich glänzen unvergänglich die
Namen Metz, Straßburg, Versailles. Wir aber wollen sie als ein freu-
diges Pfand ergreifen daß die alte Schuld und Sünde der Zwietracht ge-
büßt sei, und daß es uns mit Gottes Hülfe gelinge die großen Aufgaben
die sich aus Deutschlands neuer Weltstellung ergeben mit gesammelter Kraft
glücklich zu lösen.

Oberst Stoffel über die militärischen Verhältnisse
Preußens.

* Jm Anschluß an den in Nr. 61 u. 62 A. B. der "Allg. Ztg." mitgetheilten
Bericht des Obersten Stoffel, ehemaligen Militärattach e's bei der französischen
Botschaft in Berlin, vom 23 April 1868, lassen wir nach dem "Preuß.
Staats=Anz." weitere Ausführungen desselben über die militärischen Ver-
hältnisse Preußens folgen, welche vom 12 Aug. 1869 datirt sind, also noch
nicht ein Jahr vor der französischen Kriegserklärung geschrieben wurden:

1 ) Allgem eine Betrachtungen. Bis 1866, als Preußen nicht
mehr als 18 Millionen Einwohner zählte, war sein Anspruch auf die Herr-
schaft in Deutschland gerade in dem Verhältniß der Zahl seiner Bevölke-
rung und der geringfügigen Ausdehnung seines Gebiets beschränkt, welche
es zum Stand einer Macht zweiten Rangs herabminderten. Plötzlich aber
entdeckt sich diese Macht der Welt und sich selbst durch den Blitzstrahl von
1866. Hercules fühlt sich zum Manne gereift. Alsobald kennt dessen An-
spruch auf Herrschaft über alle germanischen Stämme keine Gränzen mehr.
Was nur eine Ahnung gewesen wurde Ueberzeugung, und heute herrscht
der Wunsch nach Verwirklichung der deutschen Einheit vor in ganz Preußen,
und wird vorherrschend bleiben allen Ereignissen, wie sie auch seien, zum
Trotz. Und man hüte sich wohl vor dem Glauben daß dieser Wille etwa
für eine Aenderung oder Abschwächung empfänglich ist; im Gegentheil, es
ist ein fester Entschluß, welcher mit der Zeit nur noch stärker werden wird.
Diesen Umstand als unbestreitbar zugelassen, macht noch ein anderer ebenso
nachdenklich. Wenn man fragt: warum Preußen sich nicht aller deutschen
Staaten nach der Schlacht bei Königgrätz bemächtigt habe, oder aus welchem
Grund es nicht heutzutage bei Vereinigung der Südstaaten mit dem Nord-
deutschen Bunde mehr Kühnheit entwickle, wird jedermann sofort ant-
worten: aus Furcht vor einem Kriege mit Frankreich. Und in der That,
nach welcher Seite Preußen auch seine Blicke wendet, wird es nur Frank-

[Spaltenumbruch] Spaltung kostete. Diese Spaltung kam durch die Religionsstreitigkeiten,
diese brachten uns die dreißigjährigen Kriegsleiden, diese uns die Zerrüt-
tung, diese uns Landesräuber von allen Seiten. Jst es nun nicht als ob
eine ausgestreckte Hand aus den Wolken auf das wieder eroberte Metz hin-
zeigte? Ausgestritten sind die blutigen Religionskämpfe, ausgelöscht soll
alle Zwietracht um der Religion willen sein, wenigstens soll sie unsere sitt-
liche, politische und wirthschaftliche Volkseinheit nicht mehr zerreißen.

Gesetzt jedoch, wir hätten Metz, diesen historisch und strategisch so
wichtigen Platz, wieder aufgeben müssen, so wäre die Nachricht peinlich und
niederschlagend gewesen, gleichwohl aber hätte sie keine innere Fiber un-
seres Herzens berührt. Die einen würden sich mit der Schleifung der
Metzer Festungswerke begnügen, die andern würden denken: das nächste-
mal werden wir Metz schon fester halten. Es wäre eben nur die rein ver-
ständige Erwägung welche hier am Platze wäre: wir würden zunächst nur
berechnen wo und wie theuer die Festung zu stehen käme, welche Metz das
Gegenspiel halten müßte.

Was ist es aber was uns bei Straßburgs Wiedergewinn das Herz
lachen macht? Weßhalb empfand jeder echte Deutsche den Verlust dieser
einen Stadt noch nach zweihundert Jahren als ein Wundweh des ganzen
Vaterlands? Viele erkennen den Grund, die meisten ahnen ihn doch. Das
Andenken daß die Wegnahme Straßburgs mitten im Frieden der größte
Schimpf für Deutschland war, kann es nicht mehr sein; denn jener Frevel
wurde ja seitdem überboten durch viele andere Thaten französischer Gier
und Frechheit. Oder ließ uns die Gewißheit keine Ruhe daß diese Festung
das Thor Deutschlands sei und uns jeden Augenblick mit französischen
Heeren überschwemmen könnte? O nein, wir wußten längst daß Straß-
burg nicht so stark mehr sei, und hatten ja Rastatt, Germersheim und Ulm
gebaut.

Aber denken wir uns, von unsern vielen uralten berühmten Städten
könnten Königsberg, Breslau, Erfurt, Hannover, Hamburg, ja selbst Danzig
oder Mainz verloren gehen. Das würde uns nicht so schmerzlich ergreifen
als die Nachricht: uns gehöre nicht mehr Nürnberg oder Köln, oder Lübeck,
oder Augsburg, oder Weimar, oder eine der jetzigen großen Residenzstädte.
Es hängt eben zu viel von der Geschichte unserer inneren Entwicklung an
Städten der letztern Art, und unter solchen, an welche sich für uns alle ein
Gefühl des Dankes und des Stolzes knüpft, war Straßburg eine der edel-
sten und vornehmsten.

Es ist das Werden und welthistorische Verdienst unseres Volkes das
auf solchen Punkten sich besonders deutlich abspiegelt. Nirgends aber
fühlen wir uns mehr angeregt von einem großen geschichtlichen deutschen
Leben als in Straßburg: in seinen Mauern ragt ein Münster empor, und
hier träumen wir uns gern zurück in den Münsterbau unserer zweitausend-
jährigen Geschichte. Jn keiner deutschen Stadt fand sich all die Jahrhun-
derte hindurch eine Bürgerschaft die deutscher dachte und fühlte in all ihren
bewegten Kreisen. Gerade hier, wie ein Hort gegen die unruhige Bran-
dung der Wälschen, entfaltete sich der Stolz und die Stärke des deutschen
Wesens, und wie in Magdeburg und Wien der Deutsche auf Wenden und
Ungarn tief herabsah, so schien es dem Elsäßer noch vor 80 Jahren als
tiefe Kränkung daß ein Wälscher sein Herr sei.

Es ist geraume Zeit her daß Lothringer Herzoge in unsern Kaiser-
schlachten eine Rolle spielten, wie Konrad auf dem Lechfeld und Theobald
im Gefolg des ersten Luxemburgers vor Florenz. Ganz anders ist unsere
Kaisergeschichte mit dem Elsaß verknüpft. Fast jeder von den alten Kaisern
die uns besonders ans Herz gewachsen sind, ist gern und oft in Straßburg
gewesen, und hat hier frohsinnig gewaltet wie auf seiner liebsten Pfalz.
Des großen Otto Gemahlin fand im Elsaß ein Stück Jtalien wieder. Der
zweite Heinrich, der letzte sächsische Kaiser, und der unglückliche vierte Hein-
rich der Salier fühlten sich häuslich wohl in Straßburg. Der Herrlichkeit
der Hohenstaufen, des Rothbarts und des zweiten Friedrichs, ist man im
Elsaß noch wohl eingedenk, nicht minder Rudolfs von Habsburg, der im
Bürgerrecht von Straßburg stand. Welch herzlichen Verkehr hatte Kaiser
Ludwig der Bayer mit den Straßburgern, die um seinetwillen von dem
Papste verflucht wurden. Als er starb, huldigten sie sofort seinem Feinde
Karl IV, denn dieser war jetzt der rechte Kaiser. Doch ließen sie es sich
nicht nehmen vor des Münsters Pforten durch ihren Bürgermeister dem
kaiserlich prangenden Luxemburger feierlich zu erklären: „Wenn sie ihm
huldigten, wollten sie damit in keiner Weise dem ehrenreichen Andenken
seines kaiserlichen Vorgängers zu nahe treten.“ Von den Straßburger
Studentenstreichen Kaiser Siegmunds wäre viel lustiges zu erzählen.
Natürlich war auch der ritterliche vielgeschäftige Max oft in Straßburg
und probirte dort in eigener Person vor Ammeister und Rath seine Ka-
nonen, denn Kaiser und Reichsstadt wetteiferten wer die besten Geschütze
gießen könne, und schenkten sie dann einander. Was aber unsern Kaisern
Straßburg so heimisch und werth machte, war nicht allein die herrliche Ge-
gend und köstliche Luft des Oberrheins, nicht allein die reiche glänzende
[Spaltenumbruch] Großstadt, die Menge ritterlicher und hochgebildeter Bürger, sondern vor
allem die fröhliche und wandellose Herzenstreue mit welcher sie zum Reichs-
haupte hielten. Straßburg war alleweil gut kaiserlich.

Jn Deutschland hat von jeher Fürstenthum und Adel viel ausgezeich-
netes geleistet, und der Bauernstand hat von jeher eine Grundlage unver-
wüstlicher Volksgesundheit abgegeben; allein das meiste und beste was
unser Volk zu seiner Eigenart und culturgeschichtlichen Größe erhob gieng
doch von Bürgern aus. Das deutsche Volk ist eben vorzugsweise ein
bürgerliches Volk. Nun ist aber gerade Straßburg eine Veste und ein
tiefer Brunnquell des deutschen Bürgerthums gewesen. Dieses hat hier
frühzeitig Gestalt und Bewußtsein gewonnen, es hat sich hier am höchsten
und stärksten entfaltet, und von hier gieng ein städtischer Antrieb in Politik
und Handel und Gewerbe aus, dessen Wirkungen sich viel weiter als am
Oberrhein verspüren ließen.

Aber auch auf geistigem Gebiet ergoß sich von Straßburg aus un-
aufhörlich ein lebendiger Strom um das deutsche Volk zu befruchten und
zu erfrischen. Jm Ausbilden unserer Sprache, im Dichten und Reimen,
in der Baukunst und jeglichem Kunstgewerb, in der Geschichtschreibung, in
der Versenkung der Gemüther in die tiefsten Geheimnisse des religiösen
Lebens, wie in jeder frischen Geistesfreiheit hat Straßburg wiederholt den
Ton angegeben. Wo hier vorzügliches in Kunst und Literatur geschieht,
steht gewöhnlich ein Straßburger Bürgermeister dahinter, und es ist nicht
so zufällig daß das schönste Werk der Ritterpoesie und das populärste
Reimbuch im Reformationsjahrhundert Straßburger Stadtschreiber zu
Verfassern hatten. Als es schien als wollte Deutschlands Ehre sich beinahe
ganz auf seine Hochschulen zurückziehen, da entfaltete die Straßburger Uni-
versität eine echt deutsche Hochblüthe, trotzdem daß die Stadt schon unter
französischem Scepter stand.

Das Andenken an dieses alles liegt in unserer Geschichte ausgebreitet,
wir stoßen allerwärts darauf, aber es erweckte auch jedesmal ein neues
trauriges Gefühl wenn wir unsere nationalsten Erinnerungen an eine Stadt
in der Fremde anknüpfen mußten. Soviel Jahrzehnte und Jahrhunderte
seit Straßburgs Verlust dahin gegangen, dieser Schmerz war bei jedem
der deutsch fühlte noch so frisch wie ehemals, ja um so peinlicher, je kräf-
tiger das Nationalgefühl erwachte. Mit einem edlen Theil unserer Ge-
schichte hieng auch unsere Volksehre an Elsaß und Deutsch=Lothringen, weil
es immerdar eine Schmach für ein starkes Volk ist Theile von sich fremder
Sprach= und Volkstyrannei zu überlassen. Das hat sich jetzt geändert.
Ein frisches Gefühl von Gesundheit durchströmt wieder ganz Deutschland.

Gott hat es gewollt daß wir im Nationalkriege gegen den ersten Na-
poleon den Rhein und im zweiten Nation alkrieg mit Frankreich gleich
Elsaß zusammen mit Deutsch=Lothringen wieder gewannen. An der Spitze
der Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich glänzen unvergänglich die
Namen Metz, Straßburg, Versailles. Wir aber wollen sie als ein freu-
diges Pfand ergreifen daß die alte Schuld und Sünde der Zwietracht ge-
büßt sei, und daß es uns mit Gottes Hülfe gelinge die großen Aufgaben
die sich aus Deutschlands neuer Weltstellung ergeben mit gesammelter Kraft
glücklich zu lösen.

Oberst Stoffel über die militärischen Verhältnisse
Preußens.

* Jm Anschluß an den in Nr. 61 u. 62 A. B. der „Allg. Ztg.“ mitgetheilten
Bericht des Obersten Stoffel, ehemaligen Militärattach é's bei der französischen
Botschaft in Berlin, vom 23 April 1868, lassen wir nach dem „Preuß.
Staats=Anz.“ weitere Ausführungen desselben über die militärischen Ver-
hältnisse Preußens folgen, welche vom 12 Aug. 1869 datirt sind, also noch
nicht ein Jahr vor der französischen Kriegserklärung geschrieben wurden:

1 ) Allgem eine Betrachtungen. Bis 1866, als Preußen nicht
mehr als 18 Millionen Einwohner zählte, war sein Anspruch auf die Herr-
schaft in Deutschland gerade in dem Verhältniß der Zahl seiner Bevölke-
rung und der geringfügigen Ausdehnung seines Gebiets beschränkt, welche
es zum Stand einer Macht zweiten Rangs herabminderten. Plötzlich aber
entdeckt sich diese Macht der Welt und sich selbst durch den Blitzstrahl von
1866. Hercules fühlt sich zum Manne gereift. Alsobald kennt dessen An-
spruch auf Herrschaft über alle germanischen Stämme keine Gränzen mehr.
Was nur eine Ahnung gewesen wurde Ueberzeugung, und heute herrscht
der Wunsch nach Verwirklichung der deutschen Einheit vor in ganz Preußen,
und wird vorherrschend bleiben allen Ereignissen, wie sie auch seien, zum
Trotz. Und man hüte sich wohl vor dem Glauben daß dieser Wille etwa
für eine Aenderung oder Abschwächung empfänglich ist; im Gegentheil, es
ist ein fester Entschluß, welcher mit der Zeit nur noch stärker werden wird.
Diesen Umstand als unbestreitbar zugelassen, macht noch ein anderer ebenso
nachdenklich. Wenn man fragt: warum Preußen sich nicht aller deutschen
Staaten nach der Schlacht bei Königgrätz bemächtigt habe, oder aus welchem
Grund es nicht heutzutage bei Vereinigung der Südstaaten mit dem Nord-
deutschen Bunde mehr Kühnheit entwickle, wird jedermann sofort ant-
worten: aus Furcht vor einem Kriege mit Frankreich. Und in der That,
nach welcher Seite Preußen auch seine Blicke wendet, wird es nur Frank-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews">
        <div type="jPoliticalNews">
          <p><pb facs="#f0002" n="1338"/><cb/>
Spaltung kostete. Diese Spaltung kam durch die Religionsstreitigkeiten,<lb/>
diese brachten uns die dreißigjährigen Kriegsleiden, diese uns die Zerrüt-<lb/>
tung, diese uns Landesräuber von allen Seiten. Jst es nun nicht als ob<lb/>
eine ausgestreckte Hand aus den Wolken auf das wieder eroberte Metz hin-<lb/>
zeigte? Ausgestritten sind die blutigen Religionskämpfe, ausgelöscht soll<lb/>
alle Zwietracht um der Religion willen sein, wenigstens soll sie unsere sitt-<lb/>
liche, politische und wirthschaftliche Volkseinheit nicht mehr zerreißen.</p><lb/>
          <p>Gesetzt jedoch, wir hätten Metz, diesen historisch und strategisch so<lb/>
wichtigen Platz, wieder aufgeben müssen, so wäre die Nachricht peinlich und<lb/>
niederschlagend gewesen, gleichwohl aber hätte sie keine innere Fiber un-<lb/>
seres Herzens berührt. Die einen würden sich mit der Schleifung der<lb/>
Metzer Festungswerke begnügen, die andern würden denken: das nächste-<lb/>
mal werden wir Metz schon fester halten. Es wäre eben nur die rein ver-<lb/>
ständige Erwägung welche hier am Platze wäre: wir würden zunächst nur<lb/>
berechnen wo und wie theuer die Festung zu stehen käme, welche Metz das<lb/>
Gegenspiel halten müßte.</p><lb/>
          <p>Was ist es aber was uns bei Straßburgs Wiedergewinn das Herz<lb/>
lachen macht? Weßhalb empfand jeder echte Deutsche den Verlust dieser<lb/>
einen Stadt noch nach zweihundert Jahren als ein Wundweh des ganzen<lb/>
Vaterlands? Viele erkennen den Grund, die meisten ahnen ihn doch. Das<lb/>
Andenken daß die Wegnahme Straßburgs mitten im Frieden der größte<lb/>
Schimpf für Deutschland war, kann es nicht mehr sein; denn jener Frevel<lb/>
wurde ja seitdem überboten durch viele andere Thaten französischer Gier<lb/>
und Frechheit. Oder ließ uns die Gewißheit keine Ruhe daß diese Festung<lb/>
das Thor Deutschlands sei und uns jeden Augenblick mit französischen<lb/>
Heeren überschwemmen könnte? O nein, wir wußten längst daß Straß-<lb/>
burg nicht so stark mehr sei, und hatten ja Rastatt, Germersheim und Ulm<lb/>
gebaut.</p><lb/>
          <p>Aber denken wir uns, von unsern vielen uralten berühmten Städten<lb/>
könnten Königsberg, Breslau, Erfurt, Hannover, Hamburg, ja selbst Danzig<lb/>
oder Mainz verloren gehen. Das würde uns nicht so schmerzlich ergreifen<lb/>
als die Nachricht: uns gehöre nicht mehr Nürnberg oder Köln, oder Lübeck,<lb/>
oder Augsburg, oder Weimar, oder eine der jetzigen großen Residenzstädte.<lb/>
Es hängt eben zu viel von der Geschichte unserer inneren Entwicklung an<lb/>
Städten der letztern Art, und unter solchen, an welche sich für uns alle ein<lb/>
Gefühl des Dankes und des Stolzes knüpft, war Straßburg eine der edel-<lb/>
sten und vornehmsten.</p><lb/>
          <p>Es ist das Werden und welthistorische Verdienst unseres Volkes das<lb/>
auf solchen Punkten sich besonders deutlich abspiegelt. Nirgends aber<lb/>
fühlen wir uns mehr angeregt von einem großen geschichtlichen deutschen<lb/>
Leben als in Straßburg: in seinen Mauern ragt ein Münster empor, und<lb/>
hier träumen wir uns gern zurück in den Münsterbau unserer zweitausend-<lb/>
jährigen Geschichte. Jn keiner deutschen Stadt fand sich all die Jahrhun-<lb/>
derte hindurch eine Bürgerschaft die deutscher dachte und fühlte in all ihren<lb/>
bewegten Kreisen. Gerade hier, wie ein Hort gegen die unruhige Bran-<lb/>
dung der Wälschen, entfaltete sich der Stolz und die Stärke des deutschen<lb/>
Wesens, und wie in Magdeburg und Wien der Deutsche auf Wenden und<lb/>
Ungarn tief herabsah, so schien es dem Elsäßer noch vor 80 Jahren als<lb/>
tiefe Kränkung daß ein Wälscher sein Herr sei.</p><lb/>
          <p>Es ist geraume Zeit her daß Lothringer Herzoge in unsern Kaiser-<lb/>
schlachten eine Rolle spielten, wie Konrad auf dem Lechfeld und Theobald<lb/>
im Gefolg des ersten Luxemburgers vor Florenz. Ganz anders ist unsere<lb/>
Kaisergeschichte mit dem Elsaß verknüpft. Fast jeder von den alten Kaisern<lb/>
die uns besonders ans Herz gewachsen sind, ist gern und oft in Straßburg<lb/>
gewesen, und hat hier frohsinnig gewaltet wie auf seiner liebsten Pfalz.<lb/>
Des großen Otto Gemahlin fand im Elsaß ein Stück Jtalien wieder. Der<lb/>
zweite Heinrich, der letzte sächsische Kaiser, und der unglückliche vierte Hein-<lb/>
rich der Salier fühlten sich häuslich wohl in Straßburg. Der Herrlichkeit<lb/>
der Hohenstaufen, des Rothbarts und des zweiten Friedrichs, ist man im<lb/>
Elsaß noch wohl eingedenk, nicht minder Rudolfs von Habsburg, der im<lb/>
Bürgerrecht von Straßburg stand. Welch herzlichen Verkehr hatte Kaiser<lb/>
Ludwig der Bayer mit den Straßburgern, die um seinetwillen von dem<lb/>
Papste verflucht wurden. Als er starb, huldigten sie sofort seinem Feinde<lb/>
Karl <hi rendition="#aq">IV</hi>, denn dieser war jetzt der rechte Kaiser. Doch ließen sie es sich<lb/>
nicht nehmen vor des Münsters Pforten durch ihren Bürgermeister dem<lb/>
kaiserlich prangenden Luxemburger feierlich zu erklären: &#x201E;Wenn sie ihm<lb/>
huldigten, wollten sie damit in keiner Weise dem ehrenreichen Andenken<lb/>
seines kaiserlichen Vorgängers zu nahe treten.&#x201C; Von den Straßburger<lb/>
Studentenstreichen Kaiser Siegmunds wäre viel lustiges zu erzählen.<lb/>
Natürlich war auch der ritterliche vielgeschäftige Max oft in Straßburg<lb/>
und probirte dort in eigener Person vor Ammeister und Rath seine Ka-<lb/>
nonen, denn Kaiser und Reichsstadt wetteiferten wer die besten Geschütze<lb/>
gießen könne, und schenkten sie dann einander. Was aber unsern Kaisern<lb/>
Straßburg so heimisch und werth machte, war nicht allein die herrliche Ge-<lb/>
gend und köstliche Luft des Oberrheins, nicht allein die reiche glänzende<lb/><cb/>
Großstadt, die Menge ritterlicher und hochgebildeter Bürger, sondern vor<lb/>
allem die fröhliche und wandellose Herzenstreue mit welcher sie zum Reichs-<lb/>
haupte hielten. Straßburg war alleweil gut kaiserlich.</p><lb/>
          <p>Jn Deutschland hat von jeher Fürstenthum und Adel viel ausgezeich-<lb/>
netes geleistet, und der Bauernstand hat von jeher eine Grundlage unver-<lb/>
wüstlicher Volksgesundheit abgegeben; allein das meiste und beste was<lb/>
unser Volk zu seiner Eigenart und culturgeschichtlichen Größe erhob gieng<lb/>
doch von Bürgern aus. Das deutsche Volk ist eben vorzugsweise ein<lb/>
bürgerliches Volk. Nun ist aber gerade Straßburg eine Veste und ein<lb/>
tiefer Brunnquell des deutschen Bürgerthums gewesen. Dieses hat hier<lb/>
frühzeitig Gestalt und Bewußtsein gewonnen, es hat sich hier am höchsten<lb/>
und stärksten entfaltet, und von hier gieng ein städtischer Antrieb in Politik<lb/>
und Handel und Gewerbe aus, dessen Wirkungen sich viel weiter als am<lb/>
Oberrhein verspüren ließen.</p><lb/>
          <p>Aber auch auf geistigem Gebiet ergoß sich von Straßburg aus un-<lb/>
aufhörlich ein lebendiger Strom um das deutsche Volk zu befruchten und<lb/>
zu erfrischen. Jm Ausbilden unserer Sprache, im Dichten und Reimen,<lb/>
in der Baukunst und jeglichem Kunstgewerb, in der Geschichtschreibung, in<lb/>
der Versenkung der Gemüther in die tiefsten Geheimnisse des religiösen<lb/>
Lebens, wie in jeder frischen Geistesfreiheit hat Straßburg wiederholt den<lb/>
Ton angegeben. Wo hier vorzügliches in Kunst und Literatur geschieht,<lb/>
steht gewöhnlich ein Straßburger Bürgermeister dahinter, und es ist nicht<lb/>
so zufällig daß das schönste Werk der Ritterpoesie und das populärste<lb/>
Reimbuch im Reformationsjahrhundert Straßburger Stadtschreiber zu<lb/>
Verfassern hatten. Als es schien als wollte Deutschlands Ehre sich beinahe<lb/>
ganz auf seine Hochschulen zurückziehen, da entfaltete die Straßburger Uni-<lb/>
versität eine echt deutsche Hochblüthe, trotzdem daß die Stadt schon unter<lb/>
französischem Scepter stand.</p><lb/>
          <p>Das Andenken an dieses alles liegt in unserer Geschichte ausgebreitet,<lb/>
wir stoßen allerwärts darauf, aber es erweckte auch jedesmal ein neues<lb/>
trauriges Gefühl wenn wir unsere nationalsten Erinnerungen an eine Stadt<lb/>
in der Fremde anknüpfen mußten. Soviel Jahrzehnte und Jahrhunderte<lb/>
seit Straßburgs Verlust dahin gegangen, dieser Schmerz war bei jedem<lb/>
der deutsch fühlte noch so frisch wie ehemals, ja um so peinlicher, je kräf-<lb/>
tiger das Nationalgefühl erwachte. Mit einem edlen Theil unserer Ge-<lb/>
schichte hieng auch unsere Volksehre an Elsaß und Deutsch=Lothringen, weil<lb/>
es immerdar eine Schmach für ein starkes Volk ist Theile von sich fremder<lb/>
Sprach= und Volkstyrannei zu überlassen. Das hat sich jetzt geändert.<lb/>
Ein frisches Gefühl von Gesundheit durchströmt wieder ganz Deutschland.</p><lb/>
          <p>Gott hat es gewollt daß wir im Nationalkriege gegen den ersten Na-<lb/>
poleon den Rhein und im zweiten Nation alkrieg mit Frankreich gleich<lb/>
Elsaß zusammen mit Deutsch=Lothringen wieder gewannen. An der Spitze<lb/>
der Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich glänzen unvergänglich die<lb/>
Namen Metz, Straßburg, Versailles. Wir aber wollen sie als ein freu-<lb/>
diges Pfand ergreifen daß die alte Schuld und Sünde der Zwietracht ge-<lb/>
büßt sei, und daß es uns mit Gottes Hülfe gelinge die großen Aufgaben<lb/>
die sich aus Deutschlands neuer Weltstellung ergeben mit gesammelter Kraft<lb/>
glücklich zu lösen.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jPoliticalNews">
          <head> <hi rendition="#c">Oberst Stoffel über die militärischen Verhältnisse<lb/>
Preußens.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#sup">*</hi> Jm Anschluß an den in Nr. 61 u. 62 A. B. der &#x201E;Allg. Ztg.&#x201C; mitgetheilten<lb/>
Bericht des Obersten Stoffel, ehemaligen Militärattach <hi rendition="#aq">é</hi>'s bei der französischen<lb/>
Botschaft in Berlin, vom 23 April 1868, lassen wir nach dem &#x201E;Preuß.<lb/>
Staats=Anz.&#x201C; weitere Ausführungen desselben über die militärischen Ver-<lb/>
hältnisse Preußens folgen, welche vom 12 Aug. 1869 datirt sind, also noch<lb/>
nicht ein Jahr vor der französischen Kriegserklärung geschrieben wurden:</p><lb/>
          <p>1 ) <hi rendition="#g">Allgem eine Betrachtungen.</hi> Bis 1866, als Preußen nicht<lb/>
mehr als 18 Millionen Einwohner zählte, war sein Anspruch auf die Herr-<lb/>
schaft in Deutschland gerade in dem Verhältniß der Zahl seiner Bevölke-<lb/>
rung und der geringfügigen Ausdehnung seines Gebiets beschränkt, welche<lb/>
es zum Stand einer Macht zweiten Rangs herabminderten. Plötzlich aber<lb/>
entdeckt sich diese Macht der Welt und sich selbst durch den Blitzstrahl von<lb/>
1866. Hercules fühlt sich zum Manne gereift. Alsobald kennt dessen An-<lb/>
spruch auf Herrschaft über alle germanischen Stämme keine Gränzen mehr.<lb/>
Was nur eine Ahnung gewesen wurde Ueberzeugung, und heute herrscht<lb/>
der Wunsch nach Verwirklichung der deutschen Einheit vor in ganz Preußen,<lb/>
und wird vorherrschend bleiben allen Ereignissen, wie sie auch seien, zum<lb/>
Trotz. Und man hüte sich wohl vor dem Glauben daß dieser Wille etwa<lb/>
für eine Aenderung oder Abschwächung empfänglich ist; im Gegentheil, es<lb/>
ist ein fester Entschluß, welcher mit der Zeit nur noch stärker werden wird.<lb/>
Diesen Umstand als unbestreitbar zugelassen, macht noch ein anderer ebenso<lb/>
nachdenklich. Wenn man fragt: warum Preußen sich nicht aller deutschen<lb/>
Staaten nach der Schlacht bei Königgrätz bemächtigt habe, oder aus welchem<lb/>
Grund es nicht heutzutage bei Vereinigung der Südstaaten mit dem Nord-<lb/>
deutschen Bunde mehr Kühnheit entwickle, wird jedermann sofort ant-<lb/>
worten: aus Furcht vor einem Kriege mit Frankreich. Und in der That,<lb/>
nach welcher Seite Preußen auch seine Blicke wendet, wird es nur Frank-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1338/0002] Spaltung kostete. Diese Spaltung kam durch die Religionsstreitigkeiten, diese brachten uns die dreißigjährigen Kriegsleiden, diese uns die Zerrüt- tung, diese uns Landesräuber von allen Seiten. Jst es nun nicht als ob eine ausgestreckte Hand aus den Wolken auf das wieder eroberte Metz hin- zeigte? Ausgestritten sind die blutigen Religionskämpfe, ausgelöscht soll alle Zwietracht um der Religion willen sein, wenigstens soll sie unsere sitt- liche, politische und wirthschaftliche Volkseinheit nicht mehr zerreißen. Gesetzt jedoch, wir hätten Metz, diesen historisch und strategisch so wichtigen Platz, wieder aufgeben müssen, so wäre die Nachricht peinlich und niederschlagend gewesen, gleichwohl aber hätte sie keine innere Fiber un- seres Herzens berührt. Die einen würden sich mit der Schleifung der Metzer Festungswerke begnügen, die andern würden denken: das nächste- mal werden wir Metz schon fester halten. Es wäre eben nur die rein ver- ständige Erwägung welche hier am Platze wäre: wir würden zunächst nur berechnen wo und wie theuer die Festung zu stehen käme, welche Metz das Gegenspiel halten müßte. Was ist es aber was uns bei Straßburgs Wiedergewinn das Herz lachen macht? Weßhalb empfand jeder echte Deutsche den Verlust dieser einen Stadt noch nach zweihundert Jahren als ein Wundweh des ganzen Vaterlands? Viele erkennen den Grund, die meisten ahnen ihn doch. Das Andenken daß die Wegnahme Straßburgs mitten im Frieden der größte Schimpf für Deutschland war, kann es nicht mehr sein; denn jener Frevel wurde ja seitdem überboten durch viele andere Thaten französischer Gier und Frechheit. Oder ließ uns die Gewißheit keine Ruhe daß diese Festung das Thor Deutschlands sei und uns jeden Augenblick mit französischen Heeren überschwemmen könnte? O nein, wir wußten längst daß Straß- burg nicht so stark mehr sei, und hatten ja Rastatt, Germersheim und Ulm gebaut. Aber denken wir uns, von unsern vielen uralten berühmten Städten könnten Königsberg, Breslau, Erfurt, Hannover, Hamburg, ja selbst Danzig oder Mainz verloren gehen. Das würde uns nicht so schmerzlich ergreifen als die Nachricht: uns gehöre nicht mehr Nürnberg oder Köln, oder Lübeck, oder Augsburg, oder Weimar, oder eine der jetzigen großen Residenzstädte. Es hängt eben zu viel von der Geschichte unserer inneren Entwicklung an Städten der letztern Art, und unter solchen, an welche sich für uns alle ein Gefühl des Dankes und des Stolzes knüpft, war Straßburg eine der edel- sten und vornehmsten. Es ist das Werden und welthistorische Verdienst unseres Volkes das auf solchen Punkten sich besonders deutlich abspiegelt. Nirgends aber fühlen wir uns mehr angeregt von einem großen geschichtlichen deutschen Leben als in Straßburg: in seinen Mauern ragt ein Münster empor, und hier träumen wir uns gern zurück in den Münsterbau unserer zweitausend- jährigen Geschichte. Jn keiner deutschen Stadt fand sich all die Jahrhun- derte hindurch eine Bürgerschaft die deutscher dachte und fühlte in all ihren bewegten Kreisen. Gerade hier, wie ein Hort gegen die unruhige Bran- dung der Wälschen, entfaltete sich der Stolz und die Stärke des deutschen Wesens, und wie in Magdeburg und Wien der Deutsche auf Wenden und Ungarn tief herabsah, so schien es dem Elsäßer noch vor 80 Jahren als tiefe Kränkung daß ein Wälscher sein Herr sei. Es ist geraume Zeit her daß Lothringer Herzoge in unsern Kaiser- schlachten eine Rolle spielten, wie Konrad auf dem Lechfeld und Theobald im Gefolg des ersten Luxemburgers vor Florenz. Ganz anders ist unsere Kaisergeschichte mit dem Elsaß verknüpft. Fast jeder von den alten Kaisern die uns besonders ans Herz gewachsen sind, ist gern und oft in Straßburg gewesen, und hat hier frohsinnig gewaltet wie auf seiner liebsten Pfalz. Des großen Otto Gemahlin fand im Elsaß ein Stück Jtalien wieder. Der zweite Heinrich, der letzte sächsische Kaiser, und der unglückliche vierte Hein- rich der Salier fühlten sich häuslich wohl in Straßburg. Der Herrlichkeit der Hohenstaufen, des Rothbarts und des zweiten Friedrichs, ist man im Elsaß noch wohl eingedenk, nicht minder Rudolfs von Habsburg, der im Bürgerrecht von Straßburg stand. Welch herzlichen Verkehr hatte Kaiser Ludwig der Bayer mit den Straßburgern, die um seinetwillen von dem Papste verflucht wurden. Als er starb, huldigten sie sofort seinem Feinde Karl IV, denn dieser war jetzt der rechte Kaiser. Doch ließen sie es sich nicht nehmen vor des Münsters Pforten durch ihren Bürgermeister dem kaiserlich prangenden Luxemburger feierlich zu erklären: „Wenn sie ihm huldigten, wollten sie damit in keiner Weise dem ehrenreichen Andenken seines kaiserlichen Vorgängers zu nahe treten.“ Von den Straßburger Studentenstreichen Kaiser Siegmunds wäre viel lustiges zu erzählen. Natürlich war auch der ritterliche vielgeschäftige Max oft in Straßburg und probirte dort in eigener Person vor Ammeister und Rath seine Ka- nonen, denn Kaiser und Reichsstadt wetteiferten wer die besten Geschütze gießen könne, und schenkten sie dann einander. Was aber unsern Kaisern Straßburg so heimisch und werth machte, war nicht allein die herrliche Ge- gend und köstliche Luft des Oberrheins, nicht allein die reiche glänzende Großstadt, die Menge ritterlicher und hochgebildeter Bürger, sondern vor allem die fröhliche und wandellose Herzenstreue mit welcher sie zum Reichs- haupte hielten. Straßburg war alleweil gut kaiserlich. Jn Deutschland hat von jeher Fürstenthum und Adel viel ausgezeich- netes geleistet, und der Bauernstand hat von jeher eine Grundlage unver- wüstlicher Volksgesundheit abgegeben; allein das meiste und beste was unser Volk zu seiner Eigenart und culturgeschichtlichen Größe erhob gieng doch von Bürgern aus. Das deutsche Volk ist eben vorzugsweise ein bürgerliches Volk. Nun ist aber gerade Straßburg eine Veste und ein tiefer Brunnquell des deutschen Bürgerthums gewesen. Dieses hat hier frühzeitig Gestalt und Bewußtsein gewonnen, es hat sich hier am höchsten und stärksten entfaltet, und von hier gieng ein städtischer Antrieb in Politik und Handel und Gewerbe aus, dessen Wirkungen sich viel weiter als am Oberrhein verspüren ließen. Aber auch auf geistigem Gebiet ergoß sich von Straßburg aus un- aufhörlich ein lebendiger Strom um das deutsche Volk zu befruchten und zu erfrischen. Jm Ausbilden unserer Sprache, im Dichten und Reimen, in der Baukunst und jeglichem Kunstgewerb, in der Geschichtschreibung, in der Versenkung der Gemüther in die tiefsten Geheimnisse des religiösen Lebens, wie in jeder frischen Geistesfreiheit hat Straßburg wiederholt den Ton angegeben. Wo hier vorzügliches in Kunst und Literatur geschieht, steht gewöhnlich ein Straßburger Bürgermeister dahinter, und es ist nicht so zufällig daß das schönste Werk der Ritterpoesie und das populärste Reimbuch im Reformationsjahrhundert Straßburger Stadtschreiber zu Verfassern hatten. Als es schien als wollte Deutschlands Ehre sich beinahe ganz auf seine Hochschulen zurückziehen, da entfaltete die Straßburger Uni- versität eine echt deutsche Hochblüthe, trotzdem daß die Stadt schon unter französischem Scepter stand. Das Andenken an dieses alles liegt in unserer Geschichte ausgebreitet, wir stoßen allerwärts darauf, aber es erweckte auch jedesmal ein neues trauriges Gefühl wenn wir unsere nationalsten Erinnerungen an eine Stadt in der Fremde anknüpfen mußten. Soviel Jahrzehnte und Jahrhunderte seit Straßburgs Verlust dahin gegangen, dieser Schmerz war bei jedem der deutsch fühlte noch so frisch wie ehemals, ja um so peinlicher, je kräf- tiger das Nationalgefühl erwachte. Mit einem edlen Theil unserer Ge- schichte hieng auch unsere Volksehre an Elsaß und Deutsch=Lothringen, weil es immerdar eine Schmach für ein starkes Volk ist Theile von sich fremder Sprach= und Volkstyrannei zu überlassen. Das hat sich jetzt geändert. Ein frisches Gefühl von Gesundheit durchströmt wieder ganz Deutschland. Gott hat es gewollt daß wir im Nationalkriege gegen den ersten Na- poleon den Rhein und im zweiten Nation alkrieg mit Frankreich gleich Elsaß zusammen mit Deutsch=Lothringen wieder gewannen. An der Spitze der Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich glänzen unvergänglich die Namen Metz, Straßburg, Versailles. Wir aber wollen sie als ein freu- diges Pfand ergreifen daß die alte Schuld und Sünde der Zwietracht ge- büßt sei, und daß es uns mit Gottes Hülfe gelinge die großen Aufgaben die sich aus Deutschlands neuer Weltstellung ergeben mit gesammelter Kraft glücklich zu lösen. Oberst Stoffel über die militärischen Verhältnisse Preußens. * Jm Anschluß an den in Nr. 61 u. 62 A. B. der „Allg. Ztg.“ mitgetheilten Bericht des Obersten Stoffel, ehemaligen Militärattach é's bei der französischen Botschaft in Berlin, vom 23 April 1868, lassen wir nach dem „Preuß. Staats=Anz.“ weitere Ausführungen desselben über die militärischen Ver- hältnisse Preußens folgen, welche vom 12 Aug. 1869 datirt sind, also noch nicht ein Jahr vor der französischen Kriegserklärung geschrieben wurden: 1 ) Allgem eine Betrachtungen. Bis 1866, als Preußen nicht mehr als 18 Millionen Einwohner zählte, war sein Anspruch auf die Herr- schaft in Deutschland gerade in dem Verhältniß der Zahl seiner Bevölke- rung und der geringfügigen Ausdehnung seines Gebiets beschränkt, welche es zum Stand einer Macht zweiten Rangs herabminderten. Plötzlich aber entdeckt sich diese Macht der Welt und sich selbst durch den Blitzstrahl von 1866. Hercules fühlt sich zum Manne gereift. Alsobald kennt dessen An- spruch auf Herrschaft über alle germanischen Stämme keine Gränzen mehr. Was nur eine Ahnung gewesen wurde Ueberzeugung, und heute herrscht der Wunsch nach Verwirklichung der deutschen Einheit vor in ganz Preußen, und wird vorherrschend bleiben allen Ereignissen, wie sie auch seien, zum Trotz. Und man hüte sich wohl vor dem Glauben daß dieser Wille etwa für eine Aenderung oder Abschwächung empfänglich ist; im Gegentheil, es ist ein fester Entschluß, welcher mit der Zeit nur noch stärker werden wird. Diesen Umstand als unbestreitbar zugelassen, macht noch ein anderer ebenso nachdenklich. Wenn man fragt: warum Preußen sich nicht aller deutschen Staaten nach der Schlacht bei Königgrätz bemächtigt habe, oder aus welchem Grund es nicht heutzutage bei Vereinigung der Südstaaten mit dem Nord- deutschen Bunde mehr Kühnheit entwickle, wird jedermann sofort ant- worten: aus Furcht vor einem Kriege mit Frankreich. Und in der That, nach welcher Seite Preußen auch seine Blicke wendet, wird es nur Frank-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte manuell im Double-Keying-Verfahren. Die Annotation folgt den formulierten Richtlinien.

Besonderheiten der Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen.
  • Druckfehler: ignoriert.
  • fremdsprachliches Material: nur Fremdskripte gekennzeichnet.
  • Kolumnentitel: nicht übernommen.
  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg79_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg79_1871/2
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 79. Augsburg (Bayern), 20. März 1871, S. 1338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg79_1871/2>, abgerufen am 24.04.2024.