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Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg (Bayern), 16. März 1871.

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[Spaltenumbruch] blicken -- nur unter schweren Kämpfen und nach Ueberwindung zahlloser Wi-
derwärtigkeiten konnte er bis hieher gelangen, vermochte er allmählich zu ge-
deihen und zu erstarken -- so freut es uns doppelt hier constatiren zu können
daß die Aufführung mit der er das erste Viertelhundert seiner Concerte schloß,
eine so wohl gelungene und beifällig aufgenommene war. Der Oratorien-
Verein muß uns alle Gattungen und Zweige der Musik, so weit dieselbe dem
Kunstgebiet angehören, repräsentiren. Er führt nicht nur Oratorien und an-
dere große Gesangswerke auf, er pflegt auch die selbständige Jnstrumentalmusik,
den Sologesang, das Concertspiel und die Kammermusik. Sein Repertoire ist
also ein sehr reichhaltiges und mannichfaltiges. Während er die Aufführung
zweier großen Oratorien ( Messias und Passionsmusik ) für den laufenden Monat
noch vorbereitet, gab er in der letzten Woche ein Kammerconcert, das eine Reihe
köstlicher Werke in trefflicher Ausführung brachte. Zunächst müssen wir rüh-
mend der Leistungen der HH. Venzl, Lehner, Hieber und Werner, Mitglieder
der kgl. Hofcapelle zu München, unserm Publicum stets hoch willkommene Gäste,
gedenken, welche Quartette von Mendelssohn Op. 44 Nr. 1 und Haydn Op 64
Nr. 1 und einen Quartettsatz ( C-moll ) von Schubert in meister= und muster-
hafter Wiedergabe vorführten. Wenn das Mendelssohn'sche Werk mit Aus-
nahme des zweiten und dritten Satzes etwas spröde und trocken sich darstellte,
so entzückte dagegen die mit unvergänglichem Zauber erfüllte Composition Vater
Haydns alle Hörer; aber auch Schuberts reizvolle Schöpfung, die wie eine hoch-
poetische duftige Märchenerzählung an den Hörer herantritt, gewann sich die
allgemeinste Sympathie. Wie schade daß dieses herrliche Quartett ein Torso
blieb! Mit den Jnstrumentalleistungen wetteiferten die gesanglichen, die in zwei
ebenso reichen und interessanten als entzückenden schönen Werken von S.
Schumann -- Spanisches Liederspiel Op. 74 und Spanische Liebeslieder Op.
138 -- bestanden. Diese fesselnden, charakteristischen, mit südlicher Farben-
pracht und glühender Empfindung ausgestatteten Tondichtungen fanden eine
höchst gelungene und entsprechende Ausführung. Die vier Gesangstimmen
wie das Clavieraccompagnement waren vorzüglich besetzt. Frl. M. v. Stieber
sang ihre nicht gerade dankbare Partie mit seltenem Ausdruck und dramati-
schem Feuer; Frl. Preyß die theils lieblichen und reizenden, theils leiden-
schaftlichen Duette mit hinreißender Gluth. Der Tenor Hr. Huber, dessen
schöne Stimme sich dem Ensemble trefflich vermählte, mußte eines seiner an-
sprechendsten Lieder wiederholen, und auch Hr. Hasselbeck ( Baß ) bewährte sich
als ein vorzüglicher Gesangskünstler, der mit seelenvollem Ton die wunderbare
Romanze: "fluthenreicher Ebro" und mit keckem sicheren Vortrag den originel-
len ebenfalls da capo begehrten "Contrebandiste" sang. Wie die Einzelge-
sänge und Duette gelangen auch die Quartettsätze tadellos; auch hier mußte
das pikante: "Mögen alle bösen Zungen" wiederholt werden. Hr. Denzer
( Pianoforte ) löste seine sehr schwierige Aufgabe in gewohnter trefflicher Weise.

Stuttgart, 12 März. Jn dem P. Kolb'schen Privatspital da-
hier, welches vom 27 Aug. 1870 bis zum 1 März 1871, also gerade ein hal-
bes Jahr lang, bestand, und der ärztlichen Leitung des Obermedicinalraths Dr.
v. Hölder unterstellt war, wurden in dieser Zeit 67 meist schwer verwundete
Soldaten aufgenommen und verpflegt. Aus Norddeutschland waren 46, aus
Süddeutschland 21 dieser Verwundeten, und im Durchschnitt blieb der Mann
50 1 / 2 Tage in Verpflegung. 11 dieser Verwundeten sind ihren Wunden er-
legen; genesen sind 48, und 8 derselben sind evacuirt. Wie sehr diese patrio-
tische Leistung eines Privatmanns unserer Stadt und dem Lande zur Ehre ge-
reicht, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Jhre Maj. die Königin be-
suchte das Kolb'sche Privatspital häufig, erkundigte sich eingehend nach dem
Befinden der Patienten, und spendete denselben leibliche wie geistige Erfrischun-
gen aller Art. Auch S. H. der Prinz Hermann zu Sachsen = Weimar und der
norddeutsche Gesandte Frhr. v. Rosenberg waren häufige Besucher des Spi-
tals. Nicht minder verdankt dasselbe vielen hiesigen Einwohnern Spenden
an Eßwaren, Getränken, Cigarren und allerhand Bequemlichkeiten.

Hamburg, 9 März. Der hieher zurückgekehrte geachtete Steuermann
R. eines genommenen norddeutschen Schiffes berichtet über die ihm und seinen
Gefährten widerfahrene Behandlung wie folgt: "Jn Calais war unser Em-
pfang, wie uns anfangs dünkte, schon recht schlecht; aber wir sollten eines
andern belehrt werden als wir ins Jnnere kamen. Jn den Städten durch
welche wir, theils mit Handschellen geschlossen, marschirten, giengen uns ge-
wöhnlich ein Tambour und ein Pfeifer voraus, ob um die Aufmerksamkeit auf
uns zu lenken, sei dahingestellt -- genug, unter dem sich rasch ansammelnden
Volke war es nicht allein der Pöbel der uns verhöhnte, nein, selbst gut geklei-
dete Personen, vornehmlich die Damen, hielten es nicht unter ihrer Würde uns
mit Koth zu bewerfen. Jn einer kleinen Stadt schleuderte sogar eine junge
Dame, im Augenblick keine andere Waffe zur Hand habend, meinem Neben-
mann mit einem haßsprühenden " Chien prussien!" ihren Sonnenschirm ins
Gesicht, während man aus den Fenstern den ärgsten Unrath auf uns herab-
warf. Jn Le Mans stellte sich ein langer pomadisirter Jüngling von etwa 18
Jahren vor mich hin, hielt mir die beringte Faust unter die Nase, und spie mir
mit einem mit schrecklicher Verzerrung ausgesprochenen " Vous Bismarck!"
ins Gesicht, so daß es meiner ganzen Selbstüberwindung und der kräftigsten
Zurückhaltung von Seiten meiner Mitgefangenen bedurfte um mich zu verhin-
dern den Menschen niederzuschlagen; freilich wäre das unser aller Tod gewesen,
aber es war wirklich zu viel. Jn Angers wurde uns jedoch das möglichste ge-
boten: nicht allein Unrath, nein, Steine, Töpfe, faule Eier, alles hagelte auf
uns nieder, so daß ein junger Officier der sich mit in dem Transport befand
eine schwere Wunde am Kopfe davontrug, und so mit vom Blut überströmtem
Gesicht durch die Stadt mußte. Einem meiner Mitgefangenen, dem es gestattet
worden an einem Springbrunnen sich eine Flasche mit Wasser zu füllen um
[Spaltenumbruch] den brennenden Durst zu stillen, wurde dieß von zwei Pfaffen und einigen
barmherzigen Schwestern mit Fußtritten und Schmähungen verweigert, und
das Wasser in dem Bassin eiligst aufgerührt um ungenießbar gemacht zu werden.
Nachts gieng's dann in die Gefängnisse. Endlich auf Belle Jsle angekommen,
erhielten wir täglich zweimal, um halb 12 Uhr und um 4 Uhr, eine Art Suppe
mit einigen Kohlblättern und pro Mann 1 / 4 Pfund Kartoffeln, d. h. dieß sollten
wir haben; gewöhnlich war in der Suppe gar nichts zu sehen. Hiezu erhielten
wir täglich einen Sou ( eine sehr große Verminderung der 100 Franken für
Officiere u. s. w. welche Gambetta dem Hrn. Bundeskanzler gegenüber geltend
machte ) , für welchen wir uns dann selbst Kaffee halten mußten; außerdem war
es uns gestattet uns von unseren Ersparnissen Tabak zu kaufen, was alle zehn
Tage eine kleine Düte von etwa 1 Loth abwarf. Als Entschädigung mußten
dann die Matrosen Steine klopfen. Wir logirten alle in einem großen Raum,
schliefen auf Pritschen und hatten nur eine wollene Decke zum Zudecken, was in
der mitunter strengen Kälte unsere Lage auch in dieser Hinsicht sehr schwer
machte, namentlich da der Koth in unseren Gefängnissen schuhhoch lag. Als
die Erlösungsstunde endlich schlug, war der Jubel natürlich ohne Gränzen, und
wir kamen, nachdem wir1 1 / 2 Tage per Eisenbahn langsam gefahren, bei unse-
ren Vorposten an, wo wir mit der größten Freude begrüßt und sehr warm em-
pfangen wurden." ( K. Z. )

sym3 Bremen, 11 März. ( Votanisch=Zoologischer Garten. )
Friede und Reichsfrühling vereint fangen schon an ihre Blüthen zu treiben.
Jn einer außerordentlichen, auch von Damen besuchten, Versammlung des Ge-
werbe- und Jndustrievereins traten gestern Abend der Botaniker Prof. Buchenau
und der Landschaftsgärtner Benque mit der Jdee eines botanisch = zoologischen
Gartens hervor, der sich an den Bürgerpark anlehnen und in seiner Art vor-
läufig einzig dastehen würde. Er hätte sich nämlich nicht allein aus Köln und
Frankfurt a. M. das Palmenhaus, aus Berlin und Hamburg das Aquarium,
aus Breslau die geognostischen Profile anzueignen, sondern soll durchweg pflan-
zen- und thiergeographisch angelegt werden; letzteres freilich nur hinsichtlich der
allein aufzunehmenden Classe der Vögel. Es wurde wohl nicht mit Unrecht
behauptet daß Vögel der anmuthig=sauberste Bestandtheil der zoologischen Gär-
ten, und zur Staffage eines landschaftlich=schönen botanischen Gartens vorzugs-
weise geeignet seien. Man will dann der Geographie gemäß im Westen Ame-
rika von Süd nach Nord mit den charakteristischen Pflanzenformen sich erstrecken
lassen, in der Mitte Europa einschließlich Nordafrika's, im Osten Asien. Die
Vögel werden thunlichst in ihre heimischen Umgebungen gerückt, ihre Unter-
bringung aber dem Styl der übrigen Anordnung angepaßt werden. Eine der-
artige Anlage kann nicht leicht irgendwo wichtiger sein als hier in der flachen
Niederung der Strom=Marsch, wo eine gewaltig sich ausdehnende Stadt ihren
Bewohnern alle Natur immer mehr aus dem Gesichte schiebt, ist aber auch be-
sonders gut zu entwickeln in dem feuchten Seeklima, das die hiesige Gegend
milder macht als Hannover, Kassel und München sind. Sie würde nach Prof.
Buchenau's Angabe mit 35,000 Thlrn. füglich zu beginnen sein, und man hofft
diese Summe aus verschiedenen dafür anzubohrenden Quellen öffentlicher Frei-
gebigkeit, trotz der Nachwehen des Krieges, bald flüssig zu machen.

Jndustrie, Handel und Verkehr.

* Hamburg. Das Postdampfschiff "Westfalia" ( von der Linie der Ham-
burg=Amerikanischen Paketfahrt=Actiengesellschaft ) , welches am 24 Febr. von Hamburg
abgieng, ist in New=York angekommen.

& Mailand, 12 März. Börsen= und Handelswochenbericht. Jm
ganzen genommen waren in der verflossenen Woche die Geschäfte beschränkt mit
unbedentenden Schwankungen in den Cursen. Die Baisse auf die Rente hat sich
erhalten, sie berührte den mindesten Curs von 57 und den höchsten von 57 20
sowohl prompt als Ende. Lombardische Banken gewannen weitere 25 Fr. Viele
unter den Gründern dieser Bank, im Verein mit Bankiers Mailands sowohl als
andern nationalen und des Auslandes, sind gesonnen eine Constructionsbank
zu errichten die auf den Bau von wichtigen Eisenbahnen afpiriren würde. Gold
und insbesondere Wechsel fest. Schlußcurse: Rente 56.85 prompt,56 7 / 8 Ende,
Nationalanlehen 1866 83.60, Tabaksactien 676, deren Obligat.470 1 / 2, Merionale
326, deren Obligat180 3 / 4, bezügl. Bons 418, Nationalbanken 2360, Lombard.
Banken 596, Kirchengüter 77 30, Lomb.=venet. Anlehen 185091 1 / 2 5proc. Stadt-
anlehen 186082 1 / 2, 20Fr.=Stück 21.10. Disconto nicht sehr gespannt, natürlich
für Bankfirmen. Fremde Devisen: Frankreich, Sicht,104 5 / 8, weniger 6 Proc.,
London 3 M. 26.38, mehr 3 Proc., Frankfurt a. M. 220 und3 1 / 2 Proc., Wien
208 3 / 4 und 5 Proc., Belgien und Schweiz, Sicht,104 3 / 4, mehr4 1 / 2 Proc. --
Seide: Die Erschlaffung der Geschäfte im Seidenartikel hat auch in der abgelaufenen
Woche und in noch fühlbarerer Weise angehalten. Die Befürchtung einer Geld-
krisis in Frankreich und, wenn man so will, die Furcht auch vor inneren Compli-
cationen in jenem heimgesuchten Lande haben den Käufern des hiesigen Marktes
eine größere Vorsicht eingeflößt als jene die in den letzten Februartagen ange-
wandt wurde. Nichtsdestoweniger wollen sich die Eigner zu Zugeständnissen ver-
stehen, und dieß war vielleicht die Hauptursache der beschränkten Geschäfte.
Es ist wohl wahr daß sowohl die französischen, insoweit dieß nach dem vom Land
erlittenen moralischen und materiellen Schaden möglich ist, als die schweizerischen
und rheinischen Fabriken mit vollen Händen arbeiten, ohne bei Zeiten den Be-
stellungen von Stoffen, insbesondere für Amerika, genügen zu können; bei alle
dem muß man jedoch nicht vergessen daß, so viel auch die Fabriken verfertigen,
immer noch starke Remanenzen verbleiben werden. Die Nachfrage begünstigte
insbesondere Tramen jeder Kategorie von den höchstfeinen zu Fr. 105 bis zu den
gangbarsten von Fr. 70--75, während in Rohfeide, wegen der zu hoch gehaltenen
Preise, sehr geringe Geschäfte stattgefanden haben. Beschränkt war auch die
Rachfrage nach Organsini, weil die Schweizermärkte gut damit versehen und Lyon
die fran ösisch verarbeitete Seide der italienischen vorzieht, daher sich die Preise
dieses Artikels schwach stationär in den Gränzen der vorwöchigen erhielten. Sehr
gesucht Strazze, Strust und Gallettame, jedoch zu den früheren Preisen.

[Ende Spaltensatz]
* ) Zwischen dem Reichsrath in abstracto und diesem Reichsrath ist denn doch
ein Unterschied, der nicht so obenhin verwischt werden darf. D. R.
** ) Die HH Magyaren lassen sich natürlich die Gelegenheit ein Wörtchen in eis-
leithanische Angelegenheiten dreinzureden nicht entschlüpfen; mit der " Ver-
fassungstreue " oder etwa platonischer Liebe zum Deutschthum hat aber ihre
Einmischung gewiß nichts gemein   D. R.

[Spaltenumbruch] blicken -- nur unter schweren Kämpfen und nach Ueberwindung zahlloser Wi-
derwärtigkeiten konnte er bis hieher gelangen, vermochte er allmählich zu ge-
deihen und zu erstarken -- so freut es uns doppelt hier constatiren zu können
daß die Aufführung mit der er das erste Viertelhundert seiner Concerte schloß,
eine so wohl gelungene und beifällig aufgenommene war. Der Oratorien-
Verein muß uns alle Gattungen und Zweige der Musik, so weit dieselbe dem
Kunstgebiet angehören, repräsentiren. Er führt nicht nur Oratorien und an-
dere große Gesangswerke auf, er pflegt auch die selbständige Jnstrumentalmusik,
den Sologesang, das Concertspiel und die Kammermusik. Sein Repertoire ist
also ein sehr reichhaltiges und mannichfaltiges. Während er die Aufführung
zweier großen Oratorien ( Messias und Passionsmusik ) für den laufenden Monat
noch vorbereitet, gab er in der letzten Woche ein Kammerconcert, das eine Reihe
köstlicher Werke in trefflicher Ausführung brachte. Zunächst müssen wir rüh-
mend der Leistungen der HH. Venzl, Lehner, Hieber und Werner, Mitglieder
der kgl. Hofcapelle zu München, unserm Publicum stets hoch willkommene Gäste,
gedenken, welche Quartette von Mendelssohn Op. 44 Nr. 1 und Haydn Op 64
Nr. 1 und einen Quartettsatz ( C-moll ) von Schubert in meister= und muster-
hafter Wiedergabe vorführten. Wenn das Mendelssohn'sche Werk mit Aus-
nahme des zweiten und dritten Satzes etwas spröde und trocken sich darstellte,
so entzückte dagegen die mit unvergänglichem Zauber erfüllte Composition Vater
Haydns alle Hörer; aber auch Schuberts reizvolle Schöpfung, die wie eine hoch-
poetische duftige Märchenerzählung an den Hörer herantritt, gewann sich die
allgemeinste Sympathie. Wie schade daß dieses herrliche Quartett ein Torso
blieb! Mit den Jnstrumentalleistungen wetteiferten die gesanglichen, die in zwei
ebenso reichen und interessanten als entzückenden schönen Werken von S.
Schumann -- Spanisches Liederspiel Op. 74 und Spanische Liebeslieder Op.
138 -- bestanden. Diese fesselnden, charakteristischen, mit südlicher Farben-
pracht und glühender Empfindung ausgestatteten Tondichtungen fanden eine
höchst gelungene und entsprechende Ausführung. Die vier Gesangstimmen
wie das Clavieraccompagnement waren vorzüglich besetzt. Frl. M. v. Stieber
sang ihre nicht gerade dankbare Partie mit seltenem Ausdruck und dramati-
schem Feuer; Frl. Preyß die theils lieblichen und reizenden, theils leiden-
schaftlichen Duette mit hinreißender Gluth. Der Tenor Hr. Huber, dessen
schöne Stimme sich dem Ensemble trefflich vermählte, mußte eines seiner an-
sprechendsten Lieder wiederholen, und auch Hr. Hasselbeck ( Baß ) bewährte sich
als ein vorzüglicher Gesangskünstler, der mit seelenvollem Ton die wunderbare
Romanze: „fluthenreicher Ebro“ und mit keckem sicheren Vortrag den originel-
len ebenfalls da capo begehrten „Contrebandiste“ sang. Wie die Einzelge-
sänge und Duette gelangen auch die Quartettsätze tadellos; auch hier mußte
das pikante: „Mögen alle bösen Zungen“ wiederholt werden. Hr. Denzer
( Pianoforte ) löste seine sehr schwierige Aufgabe in gewohnter trefflicher Weise.

Stuttgart, 12 März. Jn dem P. Kolb'schen Privatspital da-
hier, welches vom 27 Aug. 1870 bis zum 1 März 1871, also gerade ein hal-
bes Jahr lang, bestand, und der ärztlichen Leitung des Obermedicinalraths Dr.
v. Hölder unterstellt war, wurden in dieser Zeit 67 meist schwer verwundete
Soldaten aufgenommen und verpflegt. Aus Norddeutschland waren 46, aus
Süddeutschland 21 dieser Verwundeten, und im Durchschnitt blieb der Mann
50 1 / 2 Tage in Verpflegung. 11 dieser Verwundeten sind ihren Wunden er-
legen; genesen sind 48, und 8 derselben sind evacuirt. Wie sehr diese patrio-
tische Leistung eines Privatmanns unserer Stadt und dem Lande zur Ehre ge-
reicht, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Jhre Maj. die Königin be-
suchte das Kolb'sche Privatspital häufig, erkundigte sich eingehend nach dem
Befinden der Patienten, und spendete denselben leibliche wie geistige Erfrischun-
gen aller Art. Auch S. H. der Prinz Hermann zu Sachsen = Weimar und der
norddeutsche Gesandte Frhr. v. Rosenberg waren häufige Besucher des Spi-
tals. Nicht minder verdankt dasselbe vielen hiesigen Einwohnern Spenden
an Eßwaren, Getränken, Cigarren und allerhand Bequemlichkeiten.

Hamburg, 9 März. Der hieher zurückgekehrte geachtete Steuermann
R. eines genommenen norddeutschen Schiffes berichtet über die ihm und seinen
Gefährten widerfahrene Behandlung wie folgt: „Jn Calais war unser Em-
pfang, wie uns anfangs dünkte, schon recht schlecht; aber wir sollten eines
andern belehrt werden als wir ins Jnnere kamen. Jn den Städten durch
welche wir, theils mit Handschellen geschlossen, marschirten, giengen uns ge-
wöhnlich ein Tambour und ein Pfeifer voraus, ob um die Aufmerksamkeit auf
uns zu lenken, sei dahingestellt -- genug, unter dem sich rasch ansammelnden
Volke war es nicht allein der Pöbel der uns verhöhnte, nein, selbst gut geklei-
dete Personen, vornehmlich die Damen, hielten es nicht unter ihrer Würde uns
mit Koth zu bewerfen. Jn einer kleinen Stadt schleuderte sogar eine junge
Dame, im Augenblick keine andere Waffe zur Hand habend, meinem Neben-
mann mit einem haßsprühenden „ Chien prussien!“ ihren Sonnenschirm ins
Gesicht, während man aus den Fenstern den ärgsten Unrath auf uns herab-
warf. Jn Le Mans stellte sich ein langer pomadisirter Jüngling von etwa 18
Jahren vor mich hin, hielt mir die beringte Faust unter die Nase, und spie mir
mit einem mit schrecklicher Verzerrung ausgesprochenen „ Vous Bismarck!“
ins Gesicht, so daß es meiner ganzen Selbstüberwindung und der kräftigsten
Zurückhaltung von Seiten meiner Mitgefangenen bedurfte um mich zu verhin-
dern den Menschen niederzuschlagen; freilich wäre das unser aller Tod gewesen,
aber es war wirklich zu viel. Jn Angers wurde uns jedoch das möglichste ge-
boten: nicht allein Unrath, nein, Steine, Töpfe, faule Eier, alles hagelte auf
uns nieder, so daß ein junger Officier der sich mit in dem Transport befand
eine schwere Wunde am Kopfe davontrug, und so mit vom Blut überströmtem
Gesicht durch die Stadt mußte. Einem meiner Mitgefangenen, dem es gestattet
worden an einem Springbrunnen sich eine Flasche mit Wasser zu füllen um
[Spaltenumbruch] den brennenden Durst zu stillen, wurde dieß von zwei Pfaffen und einigen
barmherzigen Schwestern mit Fußtritten und Schmähungen verweigert, und
das Wasser in dem Bassin eiligst aufgerührt um ungenießbar gemacht zu werden.
Nachts gieng's dann in die Gefängnisse. Endlich auf Belle Jsle angekommen,
erhielten wir täglich zweimal, um halb 12 Uhr und um 4 Uhr, eine Art Suppe
mit einigen Kohlblättern und pro Mann 1 / 4 Pfund Kartoffeln, d. h. dieß sollten
wir haben; gewöhnlich war in der Suppe gar nichts zu sehen. Hiezu erhielten
wir täglich einen Sou ( eine sehr große Verminderung der 100 Franken für
Officiere u. s. w. welche Gambetta dem Hrn. Bundeskanzler gegenüber geltend
machte ) , für welchen wir uns dann selbst Kaffee halten mußten; außerdem war
es uns gestattet uns von unseren Ersparnissen Tabak zu kaufen, was alle zehn
Tage eine kleine Düte von etwa 1 Loth abwarf. Als Entschädigung mußten
dann die Matrosen Steine klopfen. Wir logirten alle in einem großen Raum,
schliefen auf Pritschen und hatten nur eine wollene Decke zum Zudecken, was in
der mitunter strengen Kälte unsere Lage auch in dieser Hinsicht sehr schwer
machte, namentlich da der Koth in unseren Gefängnissen schuhhoch lag. Als
die Erlösungsstunde endlich schlug, war der Jubel natürlich ohne Gränzen, und
wir kamen, nachdem wir1 1 / 2 Tage per Eisenbahn langsam gefahren, bei unse-
ren Vorposten an, wo wir mit der größten Freude begrüßt und sehr warm em-
pfangen wurden.“ ( K. Z. )

sym3 Bremen, 11 März. ( Votanisch=Zoologischer Garten. )
Friede und Reichsfrühling vereint fangen schon an ihre Blüthen zu treiben.
Jn einer außerordentlichen, auch von Damen besuchten, Versammlung des Ge-
werbe- und Jndustrievereins traten gestern Abend der Botaniker Prof. Buchenau
und der Landschaftsgärtner Benque mit der Jdee eines botanisch = zoologischen
Gartens hervor, der sich an den Bürgerpark anlehnen und in seiner Art vor-
läufig einzig dastehen würde. Er hätte sich nämlich nicht allein aus Köln und
Frankfurt a. M. das Palmenhaus, aus Berlin und Hamburg das Aquarium,
aus Breslau die geognostischen Profile anzueignen, sondern soll durchweg pflan-
zen- und thiergeographisch angelegt werden; letzteres freilich nur hinsichtlich der
allein aufzunehmenden Classe der Vögel. Es wurde wohl nicht mit Unrecht
behauptet daß Vögel der anmuthig=sauberste Bestandtheil der zoologischen Gär-
ten, und zur Staffage eines landschaftlich=schönen botanischen Gartens vorzugs-
weise geeignet seien. Man will dann der Geographie gemäß im Westen Ame-
rika von Süd nach Nord mit den charakteristischen Pflanzenformen sich erstrecken
lassen, in der Mitte Europa einschließlich Nordafrika's, im Osten Asien. Die
Vögel werden thunlichst in ihre heimischen Umgebungen gerückt, ihre Unter-
bringung aber dem Styl der übrigen Anordnung angepaßt werden. Eine der-
artige Anlage kann nicht leicht irgendwo wichtiger sein als hier in der flachen
Niederung der Strom=Marsch, wo eine gewaltig sich ausdehnende Stadt ihren
Bewohnern alle Natur immer mehr aus dem Gesichte schiebt, ist aber auch be-
sonders gut zu entwickeln in dem feuchten Seeklima, das die hiesige Gegend
milder macht als Hannover, Kassel und München sind. Sie würde nach Prof.
Buchenau's Angabe mit 35,000 Thlrn. füglich zu beginnen sein, und man hofft
diese Summe aus verschiedenen dafür anzubohrenden Quellen öffentlicher Frei-
gebigkeit, trotz der Nachwehen des Krieges, bald flüssig zu machen.

Jndustrie, Handel und Verkehr.

* Hamburg. Das Postdampfschiff „Westfalia“ ( von der Linie der Ham-
burg=Amerikanischen Paketfahrt=Actiengesellschaft ) , welches am 24 Febr. von Hamburg
abgieng, ist in New=York angekommen.

& Mailand, 12 März. Börsen= und Handelswochenbericht. Jm
ganzen genommen waren in der verflossenen Woche die Geschäfte beschränkt mit
unbedentenden Schwankungen in den Cursen. Die Baisse auf die Rente hat sich
erhalten, sie berührte den mindesten Curs von 57 und den höchsten von 57 20
sowohl prompt als Ende. Lombardische Banken gewannen weitere 25 Fr. Viele
unter den Gründern dieser Bank, im Verein mit Bankiers Mailands sowohl als
andern nationalen und des Auslandes, sind gesonnen eine Constructionsbank
zu errichten die auf den Bau von wichtigen Eisenbahnen afpiriren würde. Gold
und insbesondere Wechsel fest. Schlußcurse: Rente 56.85 prompt,56 7 / 8 Ende,
Nationalanlehen 1866 83.60, Tabaksactien 676, deren Obligat.470 1 / 2, Merionale
326, deren Obligat180 3 / 4, bezügl. Bons 418, Nationalbanken 2360, Lombard.
Banken 596, Kirchengüter 77 30, Lomb.=venet. Anlehen 185091 1 / 2 5proc. Stadt-
anlehen 186082 1 / 2, 20Fr.=Stück 21.10. Disconto nicht sehr gespannt, natürlich
für Bankfirmen. Fremde Devisen: Frankreich, Sicht,104 5 / 8, weniger 6 Proc.,
London 3 M. 26.38, mehr 3 Proc., Frankfurt a. M. 220 und3 1 / 2 Proc., Wien
208 3 / 4 und 5 Proc., Belgien und Schweiz, Sicht,104 3 / 4, mehr4 1 / 2 Proc. --
Seide: Die Erschlaffung der Geschäfte im Seidenartikel hat auch in der abgelaufenen
Woche und in noch fühlbarerer Weise angehalten. Die Befürchtung einer Geld-
krisis in Frankreich und, wenn man so will, die Furcht auch vor inneren Compli-
cationen in jenem heimgesuchten Lande haben den Käufern des hiesigen Marktes
eine größere Vorsicht eingeflößt als jene die in den letzten Februartagen ange-
wandt wurde. Nichtsdestoweniger wollen sich die Eigner zu Zugeständnissen ver-
stehen, und dieß war vielleicht die Hauptursache der beschränkten Geschäfte.
Es ist wohl wahr daß sowohl die französischen, insoweit dieß nach dem vom Land
erlittenen moralischen und materiellen Schaden möglich ist, als die schweizerischen
und rheinischen Fabriken mit vollen Händen arbeiten, ohne bei Zeiten den Be-
stellungen von Stoffen, insbesondere für Amerika, genügen zu können; bei alle
dem muß man jedoch nicht vergessen daß, so viel auch die Fabriken verfertigen,
immer noch starke Remanenzen verbleiben werden. Die Nachfrage begünstigte
insbesondere Tramen jeder Kategorie von den höchstfeinen zu Fr. 105 bis zu den
gangbarsten von Fr. 70--75, während in Rohfeide, wegen der zu hoch gehaltenen
Preise, sehr geringe Geschäfte stattgefanden haben. Beschränkt war auch die
Rachfrage nach Organsini, weil die Schweizermärkte gut damit versehen und Lyon
die fran ösisch verarbeitete Seide der italienischen vorzieht, daher sich die Preise
dieses Artikels schwach stationär in den Gränzen der vorwöchigen erhielten. Sehr
gesucht Strazze, Strust und Gallettame, jedoch zu den früheren Preisen.

[Ende Spaltensatz]
* ) Zwischen dem Reichsrath in abstracto und diesem Reichsrath ist denn doch
ein Unterschied, der nicht so obenhin verwischt werden darf. D. R.
** ) Die HH Magyaren lassen sich natürlich die Gelegenheit ein Wörtchen in eis-
leithanische Angelegenheiten dreinzureden nicht entschlüpfen; mit der „ Ver-
fassungstreue “ oder etwa platonischer Liebe zum Deutschthum hat aber ihre
Einmischung gewiß nichts gemein   D. R.
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[1280/0012] blicken -- nur unter schweren Kämpfen und nach Ueberwindung zahlloser Wi- derwärtigkeiten konnte er bis hieher gelangen, vermochte er allmählich zu ge- deihen und zu erstarken -- so freut es uns doppelt hier constatiren zu können daß die Aufführung mit der er das erste Viertelhundert seiner Concerte schloß, eine so wohl gelungene und beifällig aufgenommene war. Der Oratorien- Verein muß uns alle Gattungen und Zweige der Musik, so weit dieselbe dem Kunstgebiet angehören, repräsentiren. Er führt nicht nur Oratorien und an- dere große Gesangswerke auf, er pflegt auch die selbständige Jnstrumentalmusik, den Sologesang, das Concertspiel und die Kammermusik. Sein Repertoire ist also ein sehr reichhaltiges und mannichfaltiges. Während er die Aufführung zweier großen Oratorien ( Messias und Passionsmusik ) für den laufenden Monat noch vorbereitet, gab er in der letzten Woche ein Kammerconcert, das eine Reihe köstlicher Werke in trefflicher Ausführung brachte. Zunächst müssen wir rüh- mend der Leistungen der HH. Venzl, Lehner, Hieber und Werner, Mitglieder der kgl. Hofcapelle zu München, unserm Publicum stets hoch willkommene Gäste, gedenken, welche Quartette von Mendelssohn Op. 44 Nr. 1 und Haydn Op 64 Nr. 1 und einen Quartettsatz ( C-moll ) von Schubert in meister= und muster- hafter Wiedergabe vorführten. Wenn das Mendelssohn'sche Werk mit Aus- nahme des zweiten und dritten Satzes etwas spröde und trocken sich darstellte, so entzückte dagegen die mit unvergänglichem Zauber erfüllte Composition Vater Haydns alle Hörer; aber auch Schuberts reizvolle Schöpfung, die wie eine hoch- poetische duftige Märchenerzählung an den Hörer herantritt, gewann sich die allgemeinste Sympathie. Wie schade daß dieses herrliche Quartett ein Torso blieb! Mit den Jnstrumentalleistungen wetteiferten die gesanglichen, die in zwei ebenso reichen und interessanten als entzückenden schönen Werken von S. Schumann -- Spanisches Liederspiel Op. 74 und Spanische Liebeslieder Op. 138 -- bestanden. Diese fesselnden, charakteristischen, mit südlicher Farben- pracht und glühender Empfindung ausgestatteten Tondichtungen fanden eine höchst gelungene und entsprechende Ausführung. Die vier Gesangstimmen wie das Clavieraccompagnement waren vorzüglich besetzt. Frl. M. v. Stieber sang ihre nicht gerade dankbare Partie mit seltenem Ausdruck und dramati- schem Feuer; Frl. Preyß die theils lieblichen und reizenden, theils leiden- schaftlichen Duette mit hinreißender Gluth. Der Tenor Hr. Huber, dessen schöne Stimme sich dem Ensemble trefflich vermählte, mußte eines seiner an- sprechendsten Lieder wiederholen, und auch Hr. Hasselbeck ( Baß ) bewährte sich als ein vorzüglicher Gesangskünstler, der mit seelenvollem Ton die wunderbare Romanze: „fluthenreicher Ebro“ und mit keckem sicheren Vortrag den originel- len ebenfalls da capo begehrten „Contrebandiste“ sang. Wie die Einzelge- sänge und Duette gelangen auch die Quartettsätze tadellos; auch hier mußte das pikante: „Mögen alle bösen Zungen“ wiederholt werden. Hr. Denzer ( Pianoforte ) löste seine sehr schwierige Aufgabe in gewohnter trefflicher Weise. Stuttgart, 12 März. Jn dem P. Kolb'schen Privatspital da- hier, welches vom 27 Aug. 1870 bis zum 1 März 1871, also gerade ein hal- bes Jahr lang, bestand, und der ärztlichen Leitung des Obermedicinalraths Dr. v. Hölder unterstellt war, wurden in dieser Zeit 67 meist schwer verwundete Soldaten aufgenommen und verpflegt. Aus Norddeutschland waren 46, aus Süddeutschland 21 dieser Verwundeten, und im Durchschnitt blieb der Mann 50 1 / 2 Tage in Verpflegung. 11 dieser Verwundeten sind ihren Wunden er- legen; genesen sind 48, und 8 derselben sind evacuirt. Wie sehr diese patrio- tische Leistung eines Privatmanns unserer Stadt und dem Lande zur Ehre ge- reicht, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Jhre Maj. die Königin be- suchte das Kolb'sche Privatspital häufig, erkundigte sich eingehend nach dem Befinden der Patienten, und spendete denselben leibliche wie geistige Erfrischun- gen aller Art. Auch S. H. der Prinz Hermann zu Sachsen = Weimar und der norddeutsche Gesandte Frhr. v. Rosenberg waren häufige Besucher des Spi- tals. Nicht minder verdankt dasselbe vielen hiesigen Einwohnern Spenden an Eßwaren, Getränken, Cigarren und allerhand Bequemlichkeiten. Hamburg, 9 März. Der hieher zurückgekehrte geachtete Steuermann R. eines genommenen norddeutschen Schiffes berichtet über die ihm und seinen Gefährten widerfahrene Behandlung wie folgt: „Jn Calais war unser Em- pfang, wie uns anfangs dünkte, schon recht schlecht; aber wir sollten eines andern belehrt werden als wir ins Jnnere kamen. Jn den Städten durch welche wir, theils mit Handschellen geschlossen, marschirten, giengen uns ge- wöhnlich ein Tambour und ein Pfeifer voraus, ob um die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, sei dahingestellt -- genug, unter dem sich rasch ansammelnden Volke war es nicht allein der Pöbel der uns verhöhnte, nein, selbst gut geklei- dete Personen, vornehmlich die Damen, hielten es nicht unter ihrer Würde uns mit Koth zu bewerfen. Jn einer kleinen Stadt schleuderte sogar eine junge Dame, im Augenblick keine andere Waffe zur Hand habend, meinem Neben- mann mit einem haßsprühenden „ Chien prussien!“ ihren Sonnenschirm ins Gesicht, während man aus den Fenstern den ärgsten Unrath auf uns herab- warf. Jn Le Mans stellte sich ein langer pomadisirter Jüngling von etwa 18 Jahren vor mich hin, hielt mir die beringte Faust unter die Nase, und spie mir mit einem mit schrecklicher Verzerrung ausgesprochenen „ Vous Bismarck!“ ins Gesicht, so daß es meiner ganzen Selbstüberwindung und der kräftigsten Zurückhaltung von Seiten meiner Mitgefangenen bedurfte um mich zu verhin- dern den Menschen niederzuschlagen; freilich wäre das unser aller Tod gewesen, aber es war wirklich zu viel. Jn Angers wurde uns jedoch das möglichste ge- boten: nicht allein Unrath, nein, Steine, Töpfe, faule Eier, alles hagelte auf uns nieder, so daß ein junger Officier der sich mit in dem Transport befand eine schwere Wunde am Kopfe davontrug, und so mit vom Blut überströmtem Gesicht durch die Stadt mußte. 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Als Entschädigung mußten dann die Matrosen Steine klopfen. Wir logirten alle in einem großen Raum, schliefen auf Pritschen und hatten nur eine wollene Decke zum Zudecken, was in der mitunter strengen Kälte unsere Lage auch in dieser Hinsicht sehr schwer machte, namentlich da der Koth in unseren Gefängnissen schuhhoch lag. Als die Erlösungsstunde endlich schlug, war der Jubel natürlich ohne Gränzen, und wir kamen, nachdem wir1 1 / 2 Tage per Eisenbahn langsam gefahren, bei unse- ren Vorposten an, wo wir mit der größten Freude begrüßt und sehr warm em- pfangen wurden.“ ( K. Z. ) sym3 Bremen, 11 März. ( Votanisch=Zoologischer Garten. ) Friede und Reichsfrühling vereint fangen schon an ihre Blüthen zu treiben. Jn einer außerordentlichen, auch von Damen besuchten, Versammlung des Ge- werbe- und Jndustrievereins traten gestern Abend der Botaniker Prof. Buchenau und der Landschaftsgärtner Benque mit der Jdee eines botanisch = zoologischen Gartens hervor, der sich an den Bürgerpark anlehnen und in seiner Art vor- läufig einzig dastehen würde. Er hätte sich nämlich nicht allein aus Köln und Frankfurt a. M. das Palmenhaus, aus Berlin und Hamburg das Aquarium, aus Breslau die geognostischen Profile anzueignen, sondern soll durchweg pflan- zen- und thiergeographisch angelegt werden; letzteres freilich nur hinsichtlich der allein aufzunehmenden Classe der Vögel. Es wurde wohl nicht mit Unrecht behauptet daß Vögel der anmuthig=sauberste Bestandtheil der zoologischen Gär- ten, und zur Staffage eines landschaftlich=schönen botanischen Gartens vorzugs- weise geeignet seien. Man will dann der Geographie gemäß im Westen Ame- rika von Süd nach Nord mit den charakteristischen Pflanzenformen sich erstrecken lassen, in der Mitte Europa einschließlich Nordafrika's, im Osten Asien. Die Vögel werden thunlichst in ihre heimischen Umgebungen gerückt, ihre Unter- bringung aber dem Styl der übrigen Anordnung angepaßt werden. Eine der- artige Anlage kann nicht leicht irgendwo wichtiger sein als hier in der flachen Niederung der Strom=Marsch, wo eine gewaltig sich ausdehnende Stadt ihren Bewohnern alle Natur immer mehr aus dem Gesichte schiebt, ist aber auch be- sonders gut zu entwickeln in dem feuchten Seeklima, das die hiesige Gegend milder macht als Hannover, Kassel und München sind. Sie würde nach Prof. Buchenau's Angabe mit 35,000 Thlrn. füglich zu beginnen sein, und man hofft diese Summe aus verschiedenen dafür anzubohrenden Quellen öffentlicher Frei- gebigkeit, trotz der Nachwehen des Krieges, bald flüssig zu machen. Jndustrie, Handel und Verkehr. * Hamburg. Das Postdampfschiff „Westfalia“ ( von der Linie der Ham- burg=Amerikanischen Paketfahrt=Actiengesellschaft ) , welches am 24 Febr. von Hamburg abgieng, ist in New=York angekommen. & Mailand, 12 März. Börsen= und Handelswochenbericht. Jm ganzen genommen waren in der verflossenen Woche die Geschäfte beschränkt mit unbedentenden Schwankungen in den Cursen. Die Baisse auf die Rente hat sich erhalten, sie berührte den mindesten Curs von 57 und den höchsten von 57 20 sowohl prompt als Ende. Lombardische Banken gewannen weitere 25 Fr. Viele unter den Gründern dieser Bank, im Verein mit Bankiers Mailands sowohl als andern nationalen und des Auslandes, sind gesonnen eine Constructionsbank zu errichten die auf den Bau von wichtigen Eisenbahnen afpiriren würde. Gold und insbesondere Wechsel fest. Schlußcurse: Rente 56.85 prompt,56 7 / 8 Ende, Nationalanlehen 1866 83.60, Tabaksactien 676, deren Obligat.470 1 / 2, Merionale 326, deren Obligat180 3 / 4, bezügl. 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Es ist wohl wahr daß sowohl die französischen, insoweit dieß nach dem vom Land erlittenen moralischen und materiellen Schaden möglich ist, als die schweizerischen und rheinischen Fabriken mit vollen Händen arbeiten, ohne bei Zeiten den Be- stellungen von Stoffen, insbesondere für Amerika, genügen zu können; bei alle dem muß man jedoch nicht vergessen daß, so viel auch die Fabriken verfertigen, immer noch starke Remanenzen verbleiben werden. Die Nachfrage begünstigte insbesondere Tramen jeder Kategorie von den höchstfeinen zu Fr. 105 bis zu den gangbarsten von Fr. 70--75, während in Rohfeide, wegen der zu hoch gehaltenen Preise, sehr geringe Geschäfte stattgefanden haben. Beschränkt war auch die Rachfrage nach Organsini, weil die Schweizermärkte gut damit versehen und Lyon die fran ösisch verarbeitete Seide der italienischen vorzieht, daher sich die Preise dieses Artikels schwach stationär in den Gränzen der vorwöchigen erhielten. Sehr gesucht Strazze, Strust und Gallettame, jedoch zu den früheren Preisen. * ) Zwischen dem Reichsrath in abstracto und diesem Reichsrath ist denn doch ein Unterschied, der nicht so obenhin verwischt werden darf. D. R. ** ) Die HH Magyaren lassen sich natürlich die Gelegenheit ein Wörtchen in eis- leithanische Angelegenheiten dreinzureden nicht entschlüpfen; mit der „ Ver- fassungstreue “ oder etwa platonischer Liebe zum Deutschthum hat aber ihre Einmischung gewiß nichts gemein D. R.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg (Bayern), 16. März 1871, S. 1280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg75_1871/12>, abgerufen am 28.04.2024.