Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg (Bayern), 10. März 1871.[Spaltenumbruch]
von der Geistlichkeit unterstützt um den bisherigen freiconservativen Ver- sym20 Aus Hohenzollern, 8 März. Die Wahl zum ersten deut- r. Coburg, 7 März. Die liberale Partei hat bei der am 3 März Oesterreichisch=ungarische Monarchie. sym13 Wien, 8 März. Gewiß haben die Angriffe gegen das Mini- ^ Wien, 8 März. Dem Verbote der öffentlichen Siegesfeste der Schweiz. Bern, 7 März. Die Jhnen bereits bekannte Verzögerung der Großbritannien. ^ London, 7 März. Jn Camden = House, Chiselhurst, sind alle [Spaltenumbruch]
von der Geistlichkeit unterstützt um den bisherigen freiconservativen Ver- sym20 Aus Hohenzollern, 8 März. Die Wahl zum ersten deut- r. Coburg, 7 März. Die liberale Partei hat bei der am 3 März Oesterreichisch=ungarische Monarchie. sym13 Wien, 8 März. Gewiß haben die Angriffe gegen das Mini- △ Wien, 8 März. Dem Verbote der öffentlichen Siegesfeste der Schweiz. ⨁ Bern, 7 März. Die Jhnen bereits bekannte Verzögerung der Großbritannien. △ London, 7 März. Jn Camden = House, Chiselhurst, sind alle <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jArticle"> <p><pb facs="#f0004" n="1160"/><cb/> von der Geistlichkeit unterstützt um den bisherigen freiconservativen Ver-<lb/> treter Blankenburg zu stürzen. Jn Bromberg siegte der von den Katholiken<lb/> und Polen aufgestellte Candidat über den Candidaten der Nationallibe-<lb/> ralen mit schwacher Mehrheit, und im vierten Oppelner Bezirk der Herzog<lb/> v. Ujest über den Candidaten der katholischen Verfassungspartei Ministe-<lb/> rialdirector Krätzig.</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p><abbr>sym20</abbr> Aus Hohenzollern, 8 März. Die Wahl zum ersten deut-<lb/> schen Reichstag fand unter mäßiger Betheiligung statt, es und wurde der<lb/> bisherige Vertreter Hohenzollerns, Kreisgerichtsdirector Evelt in Hechingen,<lb/> gewählt. Stets entschiedener Anhänger der deutsch=nationalen Politik, ge-<lb/> hörte er im Reichstag sowohl als im preußischen Abgeordnetenhause der<lb/> früheren altliberalen Partei an, welche einst mit dem rechten Flügel<lb/> der Nationalliberalen stimmte. Als in der letzten Sitzungsperiode des<lb/> preußischen Abgeordnetenhauses eine besondere Fractionsbildung der<lb/> früheren Altliberalen nicht stattfand, blieb er „Wilder.“ Jm demnächst<lb/> zusammentretenden deutschen Reichstag dürfte Evelt sich einer entschieden<lb/> national und zugleich gemäßigt liberal gesinnten Mittelpartei anschließen;<lb/> aber keinenfalls, obgleich er guter Katholik ist, der sogenannten katholischen<lb/> Partei des Centrums oder der Verfassungspartei.</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p><hi rendition="#aq">r</hi>. Coburg, 7 März. Die liberale Partei hat bei der am 3 März<lb/> vorgenommenen Wahl eines Abgeordneten zum deutschen Reichstage wie-<lb/> der einen glänzenden Sieg errungen. Die Betheiligung an dem Wahlacte<lb/> war allerdings keine besonders lebhafte zu nennen, von 9180 zur Wahl<lb/> berechtigten Bürgern waren im ganzen Herzogthum nur 3960 zur Wahl-<lb/> urne geschritten, aber 3825 Stimmen haben sich auf den Candidaten der<lb/> Liberalen, Hofrath Moriz Briegleb hier, vereinigt, dessen Wahl dadurch<lb/> gesichert ist. Durch Briegleb, der mit voller Aufrichtigkeit in den neu<lb/> geordneten Staat eintritt, und in seiner Bewerbungsrede um ein Mandat<lb/> im deutschen Parlament es für die erste Aufgabe des Reichstags bezeichnet<lb/> hat: die neugewonnene Einheit zu schützen, die Centralgewalt zu stärken,<lb/> die staatsbürgerliche Freiheit zu entwickeln, erhält die liberale Partei eine<lb/> tüchtige und parlamentarisch geschulte Kraft. Derselbe war früher ein<lb/> vielbeschäftigter Rechtsanwalt in hiesiger Stadt, und ist später in die<lb/> Privatdienste des Prinz=Gemahls von England und seines Oheims, des<lb/> Königs Leopold <hi rendition="#aq">I</hi> der Belgier, getreten. Jm Jahr 1848 war er Mitglied<lb/> des Fünfziger Ausschusses, Abgeordneter für das Herzogthum Coburg in<lb/> der verfassunggebenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., und<lb/> hatte dort einen Platz unter den dreißig Männern welche mit der Ab-<lb/> fassung des Entwurfs der deutschen Reichsverfassung betraut wurden.<lb/> Brieglebs Gegencandidat, der Auserkorene des hiesigen Arbeitervereins<lb/> und der Volkspartei, Fabricant und Gasdirector Geith, hat im ganzen<lb/> Lande nur 97 Stimmen erhalten.</p> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews"> <head> <hi rendition="#b #c">Oesterreichisch=ungarische Monarchie.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle"> <p><abbr>sym13</abbr> Wien, 8 März. 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Aber auch die ge-<lb/> botene Selbstbeherrschung könnte ihre Früchte tragen, insofern einerseits<lb/> das Publicum empfänglicher würde für Versicherungen des Ministeriums<lb/> die nicht sofort durch angehängte Ausstreuungen jeder Glaubwürdigkeit<lb/> entkleidet werden, und in so fern andererseits es der Regierung nicht er-<lb/> schwert würde diejenige Ruhe und Leidenschaftslosigkeit zu bewahren welche<lb/> allein ihr ein endliches Gelingen sichern kann. -- Ludwig <hi rendition="#g">Löwe,</hi> unser<lb/> großer mimischer Künstler, ist gestern Abends gestorben, bei vollem Be-<lb/> wußtsein, aber erst nach langem Kampfe seiner Riesennatur. Auch er<lb/> stammte „aus dem Reich,“ aus Rinteln in Kurhessen. Vor sechs Wochen<lb/> begieng er seinen 75. Geburtstag.</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p>△ Wien, 8 März. Dem Verbote der öffentlichen Siegesfeste der<lb/> deutschen Bevölkerung eine politische Bedeutung nach außen beizumessen,<lb/> wie es in einigen Organen und indirect auch in einer gestern im Reichs-<lb/> rath eingebrachten Jnterpellation geschieht, ist geradezu abgeschmackt. Jm<lb/> auswärtigen Amte hat man, wie ich höre, um diese rein polizeiliche -- an-<lb/> geblich im Jnteresse des Neutralitätsprincips erfolgte -- Maßregel gar<lb/> nicht gewußt. Es wird übrigens immer schwerer zu vertuschen daß dem<lb/> cisleithanischen Ministerium die gegenwärtige auswärtige Politik -- besser<lb/> gesagt deren gegenwärtiger Leiter -- nicht zu Gesichte steht, der es um<lb/> der guten Beziehungen zu Deutschland willen nicht entsprechen kann wenn<lb/> die Deutschen in Oesterreich selbst hintangesetzt werden. Auch was die<lb/><cb/> Beziehungen zu Rußland anbelangt, scheint man auf dem Judenplatz an-<lb/> ders zu denken als auf dem Ballplatz, und während man dem Grafen<lb/> Hohenwart den Wunsch zutraut Oesterreich heute lieber als morgen mit<lb/> Rußland eine Allianz schließen zu sehen, steht beim Grafen Beust das<lb/> Streben nach einem festen Zusammenstehen Oesterreichs und Deutschlands<lb/> im Vordergrund seiner Politik, deren friedfertiger Charakter die Erhaltung<lb/> guter Beziehungen auch zu Rußland keineswegs ausschließt. -- Bekannt-<lb/> lich hat der Recrutenausschuß des Abgeordnetenhauses die Entdeckung<lb/> gemacht daß das abgetretene Ministerium das von dem Tiroler Landtage<lb/> beschlossene, ohnehin mit dem Wehrgesetz in Widerspruch gerathene, Landes-<lb/> vertheidigungsgesetz eigenmächtig abgeändert habe. Die neue Regierung<lb/> lehnt nun, wie mir von unterrichteter Seite versichert wird, die Verant-<lb/> wortung für diese Unzukömmlichkeit, welche sie nicht in Abrede stellt, die<lb/> aber einem untergeordneten Beamten zu Last fallen soll, ab, und erklärt<lb/> sich bereit durch neuerliche Correctur den ursprünglichen Text wiederherzu-<lb/> stellen, doch wird der Hinweis nicht unterlassen daß diese Angelegenheit<lb/> nicht den Reichsrath, sondern den Tiroler Landtag angehe.</p> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews"> <head> <hi rendition="#b #c">Schweiz.</hi> </head><lb/> <p>⨁ Bern, 7 März. Die Jhnen bereits bekannte Verzögerung der<lb/> Rückkehr der Mannschaften der Bourbaki'schen Armee, welche morgen be-<lb/> ginnen und bis zum 18 d. beendigt sein sollte, ist für die Schweiz gewiß<lb/> höchst unangenehm; indessen konnten die Bundesbehörden nicht umhin<lb/> den von dem französischen Kriegsministerium hiefür vorgebrachten Grün-<lb/> den, wie Störung des Eisenbahnbetriebs bei Verri<hi rendition="#aq">è</hi>res und auf der Linie<lb/> Lyon = Paris, und Unmöglichkeit die für so viele Leute nothwendigen Le-<lb/> bensmittel in Savoyen in so kurzer Zeit aufzubringen, Rechnung zu tra-<lb/> gen, immerhin unter der Bedingung daß man französischerseits mit der<lb/> Beseitigung aller dieser Schwierigkeiten sich beeile, und unter dem aus-<lb/> drücklichen Vorbehalt vollständig freier Hand hinsichtlich der Richtung der<lb/> Jnternirtentransporte von Genf aus, falls die französische Bahnverwal-<lb/> tung nicht in der Lage sein sollte sie sofort abzunehmen. Was die Linie über<lb/> Pontarlier anbelangt, so hat die deutsche Militärbehörde die Zusicherung<lb/> ertheilt dem Transport der Jnternirten auf derselben kein Hinderniß in<lb/> den Weg legen zu wollen; eine nähere Verständigung hierüber liegt jedoch<lb/> zur Stunde noch nicht vor. Die Transporte selbst werden ein jeder un-<lb/> gefähr 1000 Mann stark sein, und sollen mit Sonderzügen über Verri<hi rendition="#aq">è</hi>res<lb/> täglich dreimal und über Genf täglich viermal befördert werden, ohne daß<lb/> der sonstige Bahnverkehr auf diesen Linien eine Störung erleidet. Die<lb/> Jnternirten in den Kantonen Freiburg, Wallis und Waadt werden ohne<lb/> Benutzung der Eisenbahn, mit Ausnahme der Ligne d'Jtalie, nach Sa-<lb/> voyen evacuirt. Jnternirte wie Bedeckungsmannschaften erhalten für den<lb/> Marschtag eine Mundportion, und erstere bis zum Augenblick ihrer Ueber-<lb/> gabe, welche an den Gränzstationen durch eidgenössische an französische<lb/> Stabsofficiere bewerkstelligt wird, ihren seitherigen täglichen Sold. Nach-<lb/> zügler der Bourbaki'schen Armee, unter denen leider viele Blatternkranke<lb/> sind, treffen übrigens noch immer in den Gränzorten des Jura ein, so daß<lb/> sich der Bundesrath genöthigt sah die Kantone Bern, Solothurn und Ba-<lb/> selland neuerdings zur strengsten Handhabung der Gränzpolizei aufzufor-<lb/> dern. -- Die augenblicklich für Vorberathung der Bundesverfassungs=Re-<lb/> vision in Bern tagende Commission hat Centralisirung des Militärwesens<lb/> beschlossen, soweit es Organisation, Jnstruction, Bewaffnung und persön-<lb/> liche Ausrüstung betrifft. Den Kantonen fällt die Tragung der Kosten<lb/> für die Kleidung zu. Dieser letztere Beschluß ist dem Stichentscheid des<lb/> Präsidenten der Commission, Hrn. Nationalraths Philippin aus Neuen-<lb/> burg, zu verdanken.</p> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews"> <head> <hi rendition="#b #c">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <p>△ London, 7 März. Jn Camden = House, Chiselhurst, sind alle<lb/> Vorbereitungen zum Empfang des Ex=Kaisers der Franzosen getroffen.<lb/> Wie es heißt, wird er sein Gefolge auf vier Personen beschränken ehe er<lb/> das Festland verläßt, um zum drittenmal in England ein Asyl zu suchen.<lb/> Das Haus in welchem er mit seiner Gattin und seinem kränklichen Sohne<lb/> zu wohnen gedenkt würde auch zu klein sein zum Hofhalten. Daß diese<lb/> weise Beschränkung seines Haushaltes jedoch mit seiner angeblichen Ar-<lb/> muth im Zusammenhang stehe brauchen wir deßhalb nicht anzunehmen.<lb/> Die sehr positiven Gerüchte von den ungeheuren Summen die er, in richti-<lb/> ger Würdigung des Unbestandes aller irdischen Dinge, bei Zeiten geborgen<lb/> haben soll, sind ebenso positiv von bonapartischer Seite her geläugnet wor-<lb/> den, und der hiesige Moniteur der Staatsstreichbande „La Situation“<lb/> wird nicht müde die Armuth des Kaisers als rührende Thatsache zu behan-<lb/> deln, und als das Ergebniß einer beispiellosen patriotischen Uneigennützig-<lb/> keit und Aufopferung der öffentlichen Meinung zur Bewunderung zu em-<lb/> pfehlen. Uneigennützigkeit war überhaupt die Stärke der Gesellschafts-<lb/> retter vom 2 December 1851. Trotzdem gilt die rührende Armuth für eine<lb/> romme Mythe. Nur so viel ist gewiß daß die bedeutenden Summen von<lb/> denen das Gerücht meldete, nicht auf den Namen Napoleons <hi rendition="#aq">III</hi> im Deposit-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1160/0004]
von der Geistlichkeit unterstützt um den bisherigen freiconservativen Ver-
treter Blankenburg zu stürzen. Jn Bromberg siegte der von den Katholiken
und Polen aufgestellte Candidat über den Candidaten der Nationallibe-
ralen mit schwacher Mehrheit, und im vierten Oppelner Bezirk der Herzog
v. Ujest über den Candidaten der katholischen Verfassungspartei Ministe-
rialdirector Krätzig.
sym20 Aus Hohenzollern, 8 März. Die Wahl zum ersten deut-
schen Reichstag fand unter mäßiger Betheiligung statt, es und wurde der
bisherige Vertreter Hohenzollerns, Kreisgerichtsdirector Evelt in Hechingen,
gewählt. Stets entschiedener Anhänger der deutsch=nationalen Politik, ge-
hörte er im Reichstag sowohl als im preußischen Abgeordnetenhause der
früheren altliberalen Partei an, welche einst mit dem rechten Flügel
der Nationalliberalen stimmte. Als in der letzten Sitzungsperiode des
preußischen Abgeordnetenhauses eine besondere Fractionsbildung der
früheren Altliberalen nicht stattfand, blieb er „Wilder.“ Jm demnächst
zusammentretenden deutschen Reichstag dürfte Evelt sich einer entschieden
national und zugleich gemäßigt liberal gesinnten Mittelpartei anschließen;
aber keinenfalls, obgleich er guter Katholik ist, der sogenannten katholischen
Partei des Centrums oder der Verfassungspartei.
r. Coburg, 7 März. Die liberale Partei hat bei der am 3 März
vorgenommenen Wahl eines Abgeordneten zum deutschen Reichstage wie-
der einen glänzenden Sieg errungen. Die Betheiligung an dem Wahlacte
war allerdings keine besonders lebhafte zu nennen, von 9180 zur Wahl
berechtigten Bürgern waren im ganzen Herzogthum nur 3960 zur Wahl-
urne geschritten, aber 3825 Stimmen haben sich auf den Candidaten der
Liberalen, Hofrath Moriz Briegleb hier, vereinigt, dessen Wahl dadurch
gesichert ist. Durch Briegleb, der mit voller Aufrichtigkeit in den neu
geordneten Staat eintritt, und in seiner Bewerbungsrede um ein Mandat
im deutschen Parlament es für die erste Aufgabe des Reichstags bezeichnet
hat: die neugewonnene Einheit zu schützen, die Centralgewalt zu stärken,
die staatsbürgerliche Freiheit zu entwickeln, erhält die liberale Partei eine
tüchtige und parlamentarisch geschulte Kraft. Derselbe war früher ein
vielbeschäftigter Rechtsanwalt in hiesiger Stadt, und ist später in die
Privatdienste des Prinz=Gemahls von England und seines Oheims, des
Königs Leopold I der Belgier, getreten. Jm Jahr 1848 war er Mitglied
des Fünfziger Ausschusses, Abgeordneter für das Herzogthum Coburg in
der verfassunggebenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., und
hatte dort einen Platz unter den dreißig Männern welche mit der Ab-
fassung des Entwurfs der deutschen Reichsverfassung betraut wurden.
Brieglebs Gegencandidat, der Auserkorene des hiesigen Arbeitervereins
und der Volkspartei, Fabricant und Gasdirector Geith, hat im ganzen
Lande nur 97 Stimmen erhalten.
Oesterreichisch=ungarische Monarchie.
sym13 Wien, 8 März. Gewiß haben die Angriffe gegen das Mini-
sterium an intensiver Stärke nicht verloren, nachdem namentlich das Ver-
bot einer öffentlichen Feier der deutschen Siege erlassen worden -- ein
Verbot welches allerdings von einzelnen Behörden in blindem Amtseifer
auch auf jede Feier in privaten Kreisen angewendet wurde -- aber man
kann doch im ganzen und großen bereits die Bemerkung machen daß jetzt
mehr und mehr eine hypothetische Form des Angriffs gewählt wird: wenn
das Cabinet dieses oder jenes thut. Jch will nicht behaupten daß dem eine
besondere Mäßigung oder gar ein erwachendes Vertrauen zu Grunde liege;
es ist vielmehr eine Taktik kluger Vorsicht gegenüber der allmählich auf-
merksamer werdenden Polizei und Staatsanwaltschaft. Aber auch die ge-
botene Selbstbeherrschung könnte ihre Früchte tragen, insofern einerseits
das Publicum empfänglicher würde für Versicherungen des Ministeriums
die nicht sofort durch angehängte Ausstreuungen jeder Glaubwürdigkeit
entkleidet werden, und in so fern andererseits es der Regierung nicht er-
schwert würde diejenige Ruhe und Leidenschaftslosigkeit zu bewahren welche
allein ihr ein endliches Gelingen sichern kann. -- Ludwig Löwe, unser
großer mimischer Künstler, ist gestern Abends gestorben, bei vollem Be-
wußtsein, aber erst nach langem Kampfe seiner Riesennatur. Auch er
stammte „aus dem Reich,“ aus Rinteln in Kurhessen. Vor sechs Wochen
begieng er seinen 75. Geburtstag.
△ Wien, 8 März. Dem Verbote der öffentlichen Siegesfeste der
deutschen Bevölkerung eine politische Bedeutung nach außen beizumessen,
wie es in einigen Organen und indirect auch in einer gestern im Reichs-
rath eingebrachten Jnterpellation geschieht, ist geradezu abgeschmackt. Jm
auswärtigen Amte hat man, wie ich höre, um diese rein polizeiliche -- an-
geblich im Jnteresse des Neutralitätsprincips erfolgte -- Maßregel gar
nicht gewußt. Es wird übrigens immer schwerer zu vertuschen daß dem
cisleithanischen Ministerium die gegenwärtige auswärtige Politik -- besser
gesagt deren gegenwärtiger Leiter -- nicht zu Gesichte steht, der es um
der guten Beziehungen zu Deutschland willen nicht entsprechen kann wenn
die Deutschen in Oesterreich selbst hintangesetzt werden. Auch was die
Beziehungen zu Rußland anbelangt, scheint man auf dem Judenplatz an-
ders zu denken als auf dem Ballplatz, und während man dem Grafen
Hohenwart den Wunsch zutraut Oesterreich heute lieber als morgen mit
Rußland eine Allianz schließen zu sehen, steht beim Grafen Beust das
Streben nach einem festen Zusammenstehen Oesterreichs und Deutschlands
im Vordergrund seiner Politik, deren friedfertiger Charakter die Erhaltung
guter Beziehungen auch zu Rußland keineswegs ausschließt. -- Bekannt-
lich hat der Recrutenausschuß des Abgeordnetenhauses die Entdeckung
gemacht daß das abgetretene Ministerium das von dem Tiroler Landtage
beschlossene, ohnehin mit dem Wehrgesetz in Widerspruch gerathene, Landes-
vertheidigungsgesetz eigenmächtig abgeändert habe. Die neue Regierung
lehnt nun, wie mir von unterrichteter Seite versichert wird, die Verant-
wortung für diese Unzukömmlichkeit, welche sie nicht in Abrede stellt, die
aber einem untergeordneten Beamten zu Last fallen soll, ab, und erklärt
sich bereit durch neuerliche Correctur den ursprünglichen Text wiederherzu-
stellen, doch wird der Hinweis nicht unterlassen daß diese Angelegenheit
nicht den Reichsrath, sondern den Tiroler Landtag angehe.
Schweiz.
⨁ Bern, 7 März. Die Jhnen bereits bekannte Verzögerung der
Rückkehr der Mannschaften der Bourbaki'schen Armee, welche morgen be-
ginnen und bis zum 18 d. beendigt sein sollte, ist für die Schweiz gewiß
höchst unangenehm; indessen konnten die Bundesbehörden nicht umhin
den von dem französischen Kriegsministerium hiefür vorgebrachten Grün-
den, wie Störung des Eisenbahnbetriebs bei Verrières und auf der Linie
Lyon = Paris, und Unmöglichkeit die für so viele Leute nothwendigen Le-
bensmittel in Savoyen in so kurzer Zeit aufzubringen, Rechnung zu tra-
gen, immerhin unter der Bedingung daß man französischerseits mit der
Beseitigung aller dieser Schwierigkeiten sich beeile, und unter dem aus-
drücklichen Vorbehalt vollständig freier Hand hinsichtlich der Richtung der
Jnternirtentransporte von Genf aus, falls die französische Bahnverwal-
tung nicht in der Lage sein sollte sie sofort abzunehmen. Was die Linie über
Pontarlier anbelangt, so hat die deutsche Militärbehörde die Zusicherung
ertheilt dem Transport der Jnternirten auf derselben kein Hinderniß in
den Weg legen zu wollen; eine nähere Verständigung hierüber liegt jedoch
zur Stunde noch nicht vor. Die Transporte selbst werden ein jeder un-
gefähr 1000 Mann stark sein, und sollen mit Sonderzügen über Verrières
täglich dreimal und über Genf täglich viermal befördert werden, ohne daß
der sonstige Bahnverkehr auf diesen Linien eine Störung erleidet. Die
Jnternirten in den Kantonen Freiburg, Wallis und Waadt werden ohne
Benutzung der Eisenbahn, mit Ausnahme der Ligne d'Jtalie, nach Sa-
voyen evacuirt. Jnternirte wie Bedeckungsmannschaften erhalten für den
Marschtag eine Mundportion, und erstere bis zum Augenblick ihrer Ueber-
gabe, welche an den Gränzstationen durch eidgenössische an französische
Stabsofficiere bewerkstelligt wird, ihren seitherigen täglichen Sold. Nach-
zügler der Bourbaki'schen Armee, unter denen leider viele Blatternkranke
sind, treffen übrigens noch immer in den Gränzorten des Jura ein, so daß
sich der Bundesrath genöthigt sah die Kantone Bern, Solothurn und Ba-
selland neuerdings zur strengsten Handhabung der Gränzpolizei aufzufor-
dern. -- Die augenblicklich für Vorberathung der Bundesverfassungs=Re-
vision in Bern tagende Commission hat Centralisirung des Militärwesens
beschlossen, soweit es Organisation, Jnstruction, Bewaffnung und persön-
liche Ausrüstung betrifft. Den Kantonen fällt die Tragung der Kosten
für die Kleidung zu. Dieser letztere Beschluß ist dem Stichentscheid des
Präsidenten der Commission, Hrn. Nationalraths Philippin aus Neuen-
burg, zu verdanken.
Großbritannien.
△ London, 7 März. Jn Camden = House, Chiselhurst, sind alle
Vorbereitungen zum Empfang des Ex=Kaisers der Franzosen getroffen.
Wie es heißt, wird er sein Gefolge auf vier Personen beschränken ehe er
das Festland verläßt, um zum drittenmal in England ein Asyl zu suchen.
Das Haus in welchem er mit seiner Gattin und seinem kränklichen Sohne
zu wohnen gedenkt würde auch zu klein sein zum Hofhalten. Daß diese
weise Beschränkung seines Haushaltes jedoch mit seiner angeblichen Ar-
muth im Zusammenhang stehe brauchen wir deßhalb nicht anzunehmen.
Die sehr positiven Gerüchte von den ungeheuren Summen die er, in richti-
ger Würdigung des Unbestandes aller irdischen Dinge, bei Zeiten geborgen
haben soll, sind ebenso positiv von bonapartischer Seite her geläugnet wor-
den, und der hiesige Moniteur der Staatsstreichbande „La Situation“
wird nicht müde die Armuth des Kaisers als rührende Thatsache zu behan-
deln, und als das Ergebniß einer beispiellosen patriotischen Uneigennützig-
keit und Aufopferung der öffentlichen Meinung zur Bewunderung zu em-
pfehlen. Uneigennützigkeit war überhaupt die Stärke der Gesellschafts-
retter vom 2 December 1851. Trotzdem gilt die rührende Armuth für eine
romme Mythe. Nur so viel ist gewiß daß die bedeutenden Summen von
denen das Gerücht meldete, nicht auf den Namen Napoleons III im Deposit-
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