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Allgemeine Zeitung. Nr. 49. Augsburg (Bayern), 18. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] der anarchischen Republik, wie Louis Blanc, Victor Hugo, Quinet, Gam-
betta u. s. w. befinden sich gemäßigte Republicaner wie Favre, Martin,
Dufraisse, Littr e, Vacherot, Peyrat, und selbst Orleanisten, wie Thiers und
Leon Say, befinden sich darunter. Die Admirale Saisset und Pothuau
und General Frebault waren bisher bonapartistisch und werden jetzt repu-
blicanisch sein. Jhre Wahl verdanken sie der Vertheidigung von Paris.
Jn Milliere ist das communistische Arbeiter=Element vertreten. Seine Ge-
sinnungsgenossen, Assy ( bekannt als Leiter der letzten Arbeitseinstellung in
Creuzot ) und Flourens, erhielten nur 36,000 Stimmen, sind also nicht
gewählt.

Zur festgesetzten Stunde ( am 12 d. ) ist die Contribution der Stadt
Paris von 200 Millionen in die Hände des Grafen Bismarck abgeliefert
worden, es waren 50 Mill. in Baar, 50 Mill. in Noten der Bank von
Frankreich und der Rest in Wechseln auf London.

Jm Departement der Haute = Marne wurden lauter Orleanisten
gewählt: Prinz Joinville, Baron Lesperut, De Beurget, Peltreau=Ville-
neuve und Du Brieul. Von 78,000 eingeschriebenen Wählern betheiligten
sich 68,001 an der Wahl -- gewiß ein erfreuliches Zeichen.

Jn Havre sind gewählt: Thiers, Pouyer=Quertier, Buee, Maire
von Elbeuf, und Cordier, Mitglied der Handelskammer in Rouen, sämmt-
lich gemäßigte Republicaner.

Nizza, 14 Febr. Meinem Bericht von vorgestern hab' ich fol-
gendes nachzutragen. Der Präfect Dufraisse ist am 11 d. nach Bordeaux
abgereist. Vor seiner Abreise erließ er noch einen Aufruf an die Einwohner
unserer Stadt, worin er seine Maßregeln zu rechtfertigen suchte, Ruhe
und Vertrauen zu den Behörden empfahl, und voraussetzte daß man seinen
Wünschen "namentlich in Betreff der gemeindlichen Angelegenheiten" ent-
sprechen werde. Jn einer zweiten Proclamation kündigte er an: er gehe
nach Bordeaux um dort das Departement der Seealpen zu vertreten und
für einen ehrenvollen und sicheren Frieden zu arbeiten. Leider hat ein
nicht zurückgenommenes Decret der Regierung der nationalen Vertheidigung
den Grundsatz ausgesprochen daß Präfecten in ihren Verwaltungsbezirken
nicht gewählt werden können. Unter den Verhafteten befinden sich die an-
gesehensten Männer der Stadt: so der Advocat Verola, ein Sohn des Depu-
tirten Piccon, ein Geistlicher Hr. Simon, der bei seiner Verhaftung gröblich
mißhandelt wurde, und Hr. Martin, der Gerant des "Diritto." Die größere
Anzahl der sich hier aufhaltenden Fremden scheint die Vorgänge vom 9 ziem-
lich leicht genommen zu haben, wenigstens sah man mehrere derselben, na-
mentlich Russen und Engländer, als Zuschauer auf den Straßen und Plä-
tzen der Stadt promeniren, als handle es sich um irgendein ganz friedliches
Schauspiel. Der "Avenir" brachte das Decret mittelst dessen der Prä-
fect, Hr. Dufraisse, die Herausgabe des "Diritto" untersagte. Es ist ein
sehr umfangreiches Schriftstück in der bureaukratischen Schreibweise welche
die Erlasse französischer Verwaltungsbeamten auch unter der Republik noch
kennzeichnet, und beginnt mit den Worten: "Wir, der Präfect der Meer-
alpen, decretiren, in Erwägung ec. " Die Anklage welche der Suspension
des "Diritto" zu Grunde liegt, geht auf Hervorrufung von Unordnungen
dahier aus Anlaß der Wahlen und auf Anstiftung zur Lostrennung Nizza's
von Frankreich. Ein weiteres Decret des Präfecten unterdrückt die "Voce
di Nizza," weil dieses Blatt in seiner ersten Nummer vom 10 d. alle Ar-
tikel der mit Beschlag belegten Nummer des "Diritto" abdruckt. -- Das
Wahlergebniß ( mit Ausnahme von Saint Auban und Coursegoules ) ist
folgendes: Garibaldi 20,314, Bergondi 14,275, Piccon 13,285, Dufraisse
12,585, Borriglione 12,097, Fieraud 7732, Adam 6824, Lefevre 5974,
Thiers 4723, J. Favre 3974, De Barreme 3663, Ricciotti Garibaldi
1797, Louis Blanc 1738, Passy 1108 und Cl. Laurier 637.

Jtalien.

== Rom, 13 Febr. Damit in der Tagespresse hier nichts fehle,
hat Mazzini eben mit der Publication des Blattes "Roma del Popolo"
den Anfang machen lassen. Der vorzüglichste Mitarbeiter außer ihm ist
G. Ceneri, früher einer conservativen Fraction zugehörend. Das Blatt
erinnert in allem an die "Jtalia del Popolo." Die Zahl von Mazzini's
Gesinnungsverbundenen und sonstigen politischen Freunden ist zwar hier
nicht groß, desto größer aber ist die unmittelbar hinter ihm stehende Par-
tei. -- Freunde und Freundinnen der Musik, mit der Fähigkeit das Aus-
gezeichnetste zu leisten, unterhielten eine ebenso gebildete wie zahlreiche
Hörerschaft vorgestern Abends mit den Schätzen unserer Tondichtung.
Wohl jeder schied mit dem Bedauern daß so viel Zauber mit dem flüchti-
gen Augenblick dahinstirbt. Der Ertrag des Concerts übertraf die Erwar-
tungen, die Eintrittskarten waren mit Rücksicht auf den Zweck absichtlich
hochgehalten. Er ist bestimmt für die in Frankreich verwundeten deut-
schen Krieger neben andern Gaben aus der Fremde auf dem Altar des Va-
terlandes niedergelegt zu werden. -- Der silber=goldene Ehrenkranz welchen
die Münchener Freunde und Verehrer Friedrich Overbecks auf dessen Ruhe-
stätte niedergelegt wünschten, fand, wie erwähnt, vorerst in des verstorbe-
nen Meisters Atelier ein Plätzchen, bis sein Grabdenkmal in der Kirche St.
[Spaltenumbruch] Bernardo gesetzt ist. Doch auch dann ist keine Aussicht mehr da den Todten
in der beabsichtigten Weise zu ehren, da der Pfarrer von St. Bernardo er-
klärte: ein derartiges Weihgeschenk sei in einer römischen Kirche nicht zulässig.
Und wie viele Votive hängen dennoch da zu Hunderten an den Wänden für so
manche obscure Zwecke aus! Jmmerhin ist die Wendung vielleicht weniger
zu beklagen. Denn in dem zur Genehmigung vorliegenden Bauplan für
die Erweiterung der Stadt steht die Kirche St. Bernardo mit ihrem gro-
ßen Cistercienserkloster zur Expropriation mit obenan, um in den Palast
des Senats umgeschaffen zu werden. -- Ohne die Zerstreuungen des
Carnevals wäre es wohl schon jetzt zu neuen Zusammenstößen der
zwei politischen Gegentheile gekommen, denn auf beiden Seiten wird stark
geschürt und in die Kohlen geblasen. Die Klerikalen glauben fest an ihre
Sicherheit, sie verschmähen in den Angriffen jede ehrenhafte Selbstbeschrän-
kung, die Furie will sich durch Vernunft nicht bedeuten lassen, aber am
Ende fliegt jederlei Art von Unflath von hüben und drüben, der in dem
Pfuhl einer aufgeregten Gegenwart unter dem grünen Schimmel verborgen
lag. Denn die officiösen Blätter wollen nah und fern Vorbereitungen zu
einem Kreuzzug entdeckt haben, der, nach Rom hineingeschmuggelt, das neue
öffentliche Wesen über den Haufen zu werfen bestimmt sei. Pater Curci
wird von der "Nuova Roma," die seine Freitagspredigt in der Jgnaz-
Kirche besuchen ließ, der Aufwieglung zur Auflehnung wider die bestehende
Gewalt angeklagt. Dazu kommen unliebsame Demonstrationen, wie vor
einigen Tagen, als ein Nationalgardist zur Gruft gebracht werden sollte
und die zum Geleit erschienenen Priester sich sofort entfernten, sobald sie
die mitziehende dreifarbige Fahne erblickten. Den Palastfesten der libe-
ralen Aristokratie zur Huldigung des piemontesischen Fürstenpaars scheint
die Gegenseite, mit dem aus Florenz zurückerwarteten Principe Borghese
an der Spitze, nun auch ihre Soireen entgegen stellen zu wollen, um einen
Anlaß zu haben die hohen Gäste nicht einzuladen. An Kundgebungen
wird es da nicht fehlen, die beliebteste Coiffüre der Damen dieser Partei
sind Kränze aus Mariendistel und Passionsblumen. Nun, es ist ja
Carneval.

Schweden und Norwegen.

Stockholm, 12 Febr. Dem Reichstag ist nunmehr der Gesetz-
entwurf zur Reorganisation des Heeres auf Grundlage der allgemeinen
Wehrpflicht vorgelegt worden. Die Wehrpflicht soll sich auf die Zeit vom
vollendeten 20. bis zum 40. Lebensjahr erstrecken, die ersten sieben Jahre
in der Linie, die übrigen im Landsturm. Die sieben Altersclassen der Linie
werden so vertheilt daß die erste Classe die Recruten, die zweite und dritte
die Ersatztruppen, die vierte und fünfte das erste, die sechste und siebente
Classe das zweite Aufgebot bilden, während die Mannschaften der Special-
waffen in den beiden ersten Jahren der Recrutenclasse, in den fünf folgen-
den Jahren den Ersatztruppen angehören. Der Landsturm wird in zwei
Aufgebote getheilt. Zum ersten Aufgebot gehören die fünf jüngsten Alters-
classen; dasselbe kann bei eintretender Kriegsgefahr ganz oder theilweise
zum Dienst einberufen werden, und ist dazu bestimmt etwaige Lücken in
der Feldarmee auszufüllen, solange der Krieg innerhalb der Gränzen des
Landes geführt wird. Das zweite Aufgebot darf nur innerhalb des
Landsturmbezirks verwendet werden, muß aber selbst für seinen Unterhalt
sorgen.

Rumänien.

Bukarest, 8 Febr. Wenn der Brief des Fürsten Karl von
Rumänien, welchen die "Allg. Ztg." am 27 Jan. veröffentlichte, in Mittel-
Europa ein so gewaltiges Aufsehen erregte und neue Kriegsbefürchtungen
hervorrief, so wird man es begreiflich finden daß seine Wirkung in Rumä-
nien selbst noch viel bedeutender war. Seitdem die Dynastie=Frage auf-
getreten, sind alle anderen Fragen, selbst die Finanzkrisis und die Eisen-
bahn=Differenzen, in den Hintergrund getreten. Natürlich gehen die Mei-
nungen über diesen hochwichtigen Gegenstand weit auseinander; trotzdem
aber glaube ich schon heute sagen zu können daß jetzt, nachdem der Gegen-
stand zur Sprache gebracht worden ist, die Befürchtung daß der Fürst das
Land verlassen könnte schon weniger gerechtfertigt ist als früher. Auch
der "Romanul," das Hauptorgan der "Rothen," hat sich endlich über den
Brief ausgesprochen. Zuerst erklärte er denselben für unbedingt apokryph,
um am andern Tage zu sagen daß er eines bessern belehrt sei, und densel-
ben für echt halte. Wenn trotzdem das Blatt der Rothen über das Schrei-
ben mit höchst anständiger Mäßigung und Zurückhaltung sich äußert, und
nur sagt: Rumänien werde seine constitutionellen Rechte und Freiheiten
sowohl nach innen wie nach außen zu vertheidigen wissen, so kann dieß
wohl als ein Zeichen angesehen werden daß auch den Rothen ein Licht
über die Lage des Landes aufgegangen ist. Dazu mag die Lage der fran-
zösischen Republik und die Nachricht vom Rücktritte Gambetta's, von dessen
Ueberschwänglichkeit die hiesigen Republicaner alles hofften, nicht wenig
beigetragen haben. Man kann überhaupt von den Rumänen nicht behaup-
ten daß sie den Verhältnissen nicht Rechnung zu tragen wüßten. Bis zum
2 Sept. 1870 hatten sie ihre Hoffnungen auf den Kaiser Napoleon gesetzt,

[Spaltenumbruch] der anarchischen Republik, wie Louis Blanc, Victor Hugo, Quinet, Gam-
betta u. s. w. befinden sich gemäßigte Republicaner wie Favre, Martin,
Dufraisse, Littr é, Vacherot, Peyrat, und selbst Orleanisten, wie Thiers und
Léon Say, befinden sich darunter. Die Admirale Saisset und Pothuau
und General Frébault waren bisher bonapartistisch und werden jetzt repu-
blicanisch sein. Jhre Wahl verdanken sie der Vertheidigung von Paris.
Jn Millière ist das communistische Arbeiter=Element vertreten. Seine Ge-
sinnungsgenossen, Assy ( bekannt als Leiter der letzten Arbeitseinstellung in
Creuzot ) und Flourens, erhielten nur 36,000 Stimmen, sind also nicht
gewählt.

Zur festgesetzten Stunde ( am 12 d. ) ist die Contribution der Stadt
Paris von 200 Millionen in die Hände des Grafen Bismarck abgeliefert
worden, es waren 50 Mill. in Baar, 50 Mill. in Noten der Bank von
Frankreich und der Rest in Wechseln auf London.

Jm Departement der Haute = Marne wurden lauter Orleanisten
gewählt: Prinz Joinville, Baron Lespérut, De Beurget, Peltreau=Ville-
neuve und Du Brieul. Von 78,000 eingeschriebenen Wählern betheiligten
sich 68,001 an der Wahl -- gewiß ein erfreuliches Zeichen.

Jn Havre sind gewählt: Thiers, Pouyer=Quertier, Buée, Maire
von Elbeuf, und Cordier, Mitglied der Handelskammer in Rouen, sämmt-
lich gemäßigte Republicaner.

Nizza, 14 Febr. Meinem Bericht von vorgestern hab' ich fol-
gendes nachzutragen. Der Präfect Dufraisse ist am 11 d. nach Bordeaux
abgereist. Vor seiner Abreise erließ er noch einen Aufruf an die Einwohner
unserer Stadt, worin er seine Maßregeln zu rechtfertigen suchte, Ruhe
und Vertrauen zu den Behörden empfahl, und voraussetzte daß man seinen
Wünschen „namentlich in Betreff der gemeindlichen Angelegenheiten“ ent-
sprechen werde. Jn einer zweiten Proclamation kündigte er an: er gehe
nach Bordeaux um dort das Departement der Seealpen zu vertreten und
für einen ehrenvollen und sicheren Frieden zu arbeiten. Leider hat ein
nicht zurückgenommenes Decret der Regierung der nationalen Vertheidigung
den Grundsatz ausgesprochen daß Präfecten in ihren Verwaltungsbezirken
nicht gewählt werden können. Unter den Verhafteten befinden sich die an-
gesehensten Männer der Stadt: so der Advocat Verola, ein Sohn des Depu-
tirten Piccon, ein Geistlicher Hr. Simon, der bei seiner Verhaftung gröblich
mißhandelt wurde, und Hr. Martin, der Gerant des „Diritto.“ Die größere
Anzahl der sich hier aufhaltenden Fremden scheint die Vorgänge vom 9 ziem-
lich leicht genommen zu haben, wenigstens sah man mehrere derselben, na-
mentlich Russen und Engländer, als Zuschauer auf den Straßen und Plä-
tzen der Stadt promeniren, als handle es sich um irgendein ganz friedliches
Schauspiel. Der „Avenir“ brachte das Decret mittelst dessen der Prä-
fect, Hr. Dufraisse, die Herausgabe des „Diritto“ untersagte. Es ist ein
sehr umfangreiches Schriftstück in der bureaukratischen Schreibweise welche
die Erlasse französischer Verwaltungsbeamten auch unter der Republik noch
kennzeichnet, und beginnt mit den Worten: „Wir, der Präfect der Meer-
alpen, decretiren, in Erwägung ec. “ Die Anklage welche der Suspension
des „Diritto“ zu Grunde liegt, geht auf Hervorrufung von Unordnungen
dahier aus Anlaß der Wahlen und auf Anstiftung zur Lostrennung Nizza's
von Frankreich. Ein weiteres Decret des Präfecten unterdrückt die „Voce
di Nizza,“ weil dieses Blatt in seiner ersten Nummer vom 10 d. alle Ar-
tikel der mit Beschlag belegten Nummer des „Diritto“ abdruckt. -- Das
Wahlergebniß ( mit Ausnahme von Saint Auban und Coursegoules ) ist
folgendes: Garibaldi 20,314, Bergondi 14,275, Piccon 13,285, Dufraisse
12,585, Borriglione 12,097, Fieraud 7732, Adam 6824, Lefèvre 5974,
Thiers 4723, J. Favre 3974, De Barrême 3663, Ricciotti Garibaldi
1797, Louis Blanc 1738, Passy 1108 und Cl. Laurier 637.

Jtalien.

== Rom, 13 Febr. Damit in der Tagespresse hier nichts fehle,
hat Mazzini eben mit der Publication des Blattes „Roma del Popolo“
den Anfang machen lassen. Der vorzüglichste Mitarbeiter außer ihm ist
G. Ceneri, früher einer conservativen Fraction zugehörend. Das Blatt
erinnert in allem an die „Jtalia del Popolo.“ Die Zahl von Mazzini's
Gesinnungsverbundenen und sonstigen politischen Freunden ist zwar hier
nicht groß, desto größer aber ist die unmittelbar hinter ihm stehende Par-
tei. -- Freunde und Freundinnen der Musik, mit der Fähigkeit das Aus-
gezeichnetste zu leisten, unterhielten eine ebenso gebildete wie zahlreiche
Hörerschaft vorgestern Abends mit den Schätzen unserer Tondichtung.
Wohl jeder schied mit dem Bedauern daß so viel Zauber mit dem flüchti-
gen Augenblick dahinstirbt. Der Ertrag des Concerts übertraf die Erwar-
tungen, die Eintrittskarten waren mit Rücksicht auf den Zweck absichtlich
hochgehalten. Er ist bestimmt für die in Frankreich verwundeten deut-
schen Krieger neben andern Gaben aus der Fremde auf dem Altar des Va-
terlandes niedergelegt zu werden. -- Der silber=goldene Ehrenkranz welchen
die Münchener Freunde und Verehrer Friedrich Overbecks auf dessen Ruhe-
stätte niedergelegt wünschten, fand, wie erwähnt, vorerst in des verstorbe-
nen Meisters Atelier ein Plätzchen, bis sein Grabdenkmal in der Kirche St.
[Spaltenumbruch] Bernardo gesetzt ist. Doch auch dann ist keine Aussicht mehr da den Todten
in der beabsichtigten Weise zu ehren, da der Pfarrer von St. Bernardo er-
klärte: ein derartiges Weihgeschenk sei in einer römischen Kirche nicht zulässig.
Und wie viele Votive hängen dennoch da zu Hunderten an den Wänden für so
manche obscure Zwecke aus! Jmmerhin ist die Wendung vielleicht weniger
zu beklagen. Denn in dem zur Genehmigung vorliegenden Bauplan für
die Erweiterung der Stadt steht die Kirche St. Bernardo mit ihrem gro-
ßen Cistercienserkloster zur Expropriation mit obenan, um in den Palast
des Senats umgeschaffen zu werden. -- Ohne die Zerstreuungen des
Carnevals wäre es wohl schon jetzt zu neuen Zusammenstößen der
zwei politischen Gegentheile gekommen, denn auf beiden Seiten wird stark
geschürt und in die Kohlen geblasen. Die Klerikalen glauben fest an ihre
Sicherheit, sie verschmähen in den Angriffen jede ehrenhafte Selbstbeschrän-
kung, die Furie will sich durch Vernunft nicht bedeuten lassen, aber am
Ende fliegt jederlei Art von Unflath von hüben und drüben, der in dem
Pfuhl einer aufgeregten Gegenwart unter dem grünen Schimmel verborgen
lag. Denn die officiösen Blätter wollen nah und fern Vorbereitungen zu
einem Kreuzzug entdeckt haben, der, nach Rom hineingeschmuggelt, das neue
öffentliche Wesen über den Haufen zu werfen bestimmt sei. Pater Curci
wird von der „Nuova Roma,“ die seine Freitagspredigt in der Jgnaz-
Kirche besuchen ließ, der Aufwieglung zur Auflehnung wider die bestehende
Gewalt angeklagt. Dazu kommen unliebsame Demonstrationen, wie vor
einigen Tagen, als ein Nationalgardist zur Gruft gebracht werden sollte
und die zum Geleit erschienenen Priester sich sofort entfernten, sobald sie
die mitziehende dreifarbige Fahne erblickten. Den Palastfesten der libe-
ralen Aristokratie zur Huldigung des piemontesischen Fürstenpaars scheint
die Gegenseite, mit dem aus Florenz zurückerwarteten Principe Borghese
an der Spitze, nun auch ihre Soiréen entgegen stellen zu wollen, um einen
Anlaß zu haben die hohen Gäste nicht einzuladen. An Kundgebungen
wird es da nicht fehlen, die beliebteste Coiffüre der Damen dieser Partei
sind Kränze aus Mariendistel und Passionsblumen. Nun, es ist ja
Carneval.

Schweden und Norwegen.

Stockholm, 12 Febr. Dem Reichstag ist nunmehr der Gesetz-
entwurf zur Reorganisation des Heeres auf Grundlage der allgemeinen
Wehrpflicht vorgelegt worden. Die Wehrpflicht soll sich auf die Zeit vom
vollendeten 20. bis zum 40. Lebensjahr erstrecken, die ersten sieben Jahre
in der Linie, die übrigen im Landsturm. Die sieben Altersclassen der Linie
werden so vertheilt daß die erste Classe die Recruten, die zweite und dritte
die Ersatztruppen, die vierte und fünfte das erste, die sechste und siebente
Classe das zweite Aufgebot bilden, während die Mannschaften der Special-
waffen in den beiden ersten Jahren der Recrutenclasse, in den fünf folgen-
den Jahren den Ersatztruppen angehören. Der Landsturm wird in zwei
Aufgebote getheilt. Zum ersten Aufgebot gehören die fünf jüngsten Alters-
classen; dasselbe kann bei eintretender Kriegsgefahr ganz oder theilweise
zum Dienst einberufen werden, und ist dazu bestimmt etwaige Lücken in
der Feldarmee auszufüllen, solange der Krieg innerhalb der Gränzen des
Landes geführt wird. Das zweite Aufgebot darf nur innerhalb des
Landsturmbezirks verwendet werden, muß aber selbst für seinen Unterhalt
sorgen.

Rumänien.

Bukarest, 8 Febr. Wenn der Brief des Fürsten Karl von
Rumänien, welchen die „Allg. Ztg.“ am 27 Jan. veröffentlichte, in Mittel-
Europa ein so gewaltiges Aufsehen erregte und neue Kriegsbefürchtungen
hervorrief, so wird man es begreiflich finden daß seine Wirkung in Rumä-
nien selbst noch viel bedeutender war. Seitdem die Dynastie=Frage auf-
getreten, sind alle anderen Fragen, selbst die Finanzkrisis und die Eisen-
bahn=Differenzen, in den Hintergrund getreten. Natürlich gehen die Mei-
nungen über diesen hochwichtigen Gegenstand weit auseinander; trotzdem
aber glaube ich schon heute sagen zu können daß jetzt, nachdem der Gegen-
stand zur Sprache gebracht worden ist, die Befürchtung daß der Fürst das
Land verlassen könnte schon weniger gerechtfertigt ist als früher. Auch
der „Romanul,“ das Hauptorgan der „Rothen,“ hat sich endlich über den
Brief ausgesprochen. Zuerst erklärte er denselben für unbedingt apokryph,
um am andern Tage zu sagen daß er eines bessern belehrt sei, und densel-
ben für echt halte. Wenn trotzdem das Blatt der Rothen über das Schrei-
ben mit höchst anständiger Mäßigung und Zurückhaltung sich äußert, und
nur sagt: Rumänien werde seine constitutionellen Rechte und Freiheiten
sowohl nach innen wie nach außen zu vertheidigen wissen, so kann dieß
wohl als ein Zeichen angesehen werden daß auch den Rothen ein Licht
über die Lage des Landes aufgegangen ist. Dazu mag die Lage der fran-
zösischen Republik und die Nachricht vom Rücktritte Gambetta's, von dessen
Ueberschwänglichkeit die hiesigen Republicaner alles hofften, nicht wenig
beigetragen haben. Man kann überhaupt von den Rumänen nicht behaup-
ten daß sie den Verhältnissen nicht Rechnung zu tragen wüßten. Bis zum
2 Sept. 1870 hatten sie ihre Hoffnungen auf den Kaiser Napoleon gesetzt,

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[823/0007] der anarchischen Republik, wie Louis Blanc, Victor Hugo, Quinet, Gam- betta u. s. w. befinden sich gemäßigte Republicaner wie Favre, Martin, Dufraisse, Littr é, Vacherot, Peyrat, und selbst Orleanisten, wie Thiers und Léon Say, befinden sich darunter. Die Admirale Saisset und Pothuau und General Frébault waren bisher bonapartistisch und werden jetzt repu- blicanisch sein. Jhre Wahl verdanken sie der Vertheidigung von Paris. Jn Millière ist das communistische Arbeiter=Element vertreten. Seine Ge- sinnungsgenossen, Assy ( bekannt als Leiter der letzten Arbeitseinstellung in Creuzot ) und Flourens, erhielten nur 36,000 Stimmen, sind also nicht gewählt. Zur festgesetzten Stunde ( am 12 d. ) ist die Contribution der Stadt Paris von 200 Millionen in die Hände des Grafen Bismarck abgeliefert worden, es waren 50 Mill. in Baar, 50 Mill. in Noten der Bank von Frankreich und der Rest in Wechseln auf London. Jm Departement der Haute = Marne wurden lauter Orleanisten gewählt: Prinz Joinville, Baron Lespérut, De Beurget, Peltreau=Ville- neuve und Du Brieul. Von 78,000 eingeschriebenen Wählern betheiligten sich 68,001 an der Wahl -- gewiß ein erfreuliches Zeichen. Jn Havre sind gewählt: Thiers, Pouyer=Quertier, Buée, Maire von Elbeuf, und Cordier, Mitglied der Handelskammer in Rouen, sämmt- lich gemäßigte Republicaner. ♂ Nizza, 14 Febr. Meinem Bericht von vorgestern hab' ich fol- gendes nachzutragen. Der Präfect Dufraisse ist am 11 d. nach Bordeaux abgereist. Vor seiner Abreise erließ er noch einen Aufruf an die Einwohner unserer Stadt, worin er seine Maßregeln zu rechtfertigen suchte, Ruhe und Vertrauen zu den Behörden empfahl, und voraussetzte daß man seinen Wünschen „namentlich in Betreff der gemeindlichen Angelegenheiten“ ent- sprechen werde. Jn einer zweiten Proclamation kündigte er an: er gehe nach Bordeaux um dort das Departement der Seealpen zu vertreten und für einen ehrenvollen und sicheren Frieden zu arbeiten. Leider hat ein nicht zurückgenommenes Decret der Regierung der nationalen Vertheidigung den Grundsatz ausgesprochen daß Präfecten in ihren Verwaltungsbezirken nicht gewählt werden können. Unter den Verhafteten befinden sich die an- gesehensten Männer der Stadt: so der Advocat Verola, ein Sohn des Depu- tirten Piccon, ein Geistlicher Hr. Simon, der bei seiner Verhaftung gröblich mißhandelt wurde, und Hr. Martin, der Gerant des „Diritto.“ Die größere Anzahl der sich hier aufhaltenden Fremden scheint die Vorgänge vom 9 ziem- lich leicht genommen zu haben, wenigstens sah man mehrere derselben, na- mentlich Russen und Engländer, als Zuschauer auf den Straßen und Plä- tzen der Stadt promeniren, als handle es sich um irgendein ganz friedliches Schauspiel. Der „Avenir“ brachte das Decret mittelst dessen der Prä- fect, Hr. Dufraisse, die Herausgabe des „Diritto“ untersagte. Es ist ein sehr umfangreiches Schriftstück in der bureaukratischen Schreibweise welche die Erlasse französischer Verwaltungsbeamten auch unter der Republik noch kennzeichnet, und beginnt mit den Worten: „Wir, der Präfect der Meer- alpen, decretiren, in Erwägung ec. “ Die Anklage welche der Suspension des „Diritto“ zu Grunde liegt, geht auf Hervorrufung von Unordnungen dahier aus Anlaß der Wahlen und auf Anstiftung zur Lostrennung Nizza's von Frankreich. Ein weiteres Decret des Präfecten unterdrückt die „Voce di Nizza,“ weil dieses Blatt in seiner ersten Nummer vom 10 d. alle Ar- tikel der mit Beschlag belegten Nummer des „Diritto“ abdruckt. -- Das Wahlergebniß ( mit Ausnahme von Saint Auban und Coursegoules ) ist folgendes: Garibaldi 20,314, Bergondi 14,275, Piccon 13,285, Dufraisse 12,585, Borriglione 12,097, Fieraud 7732, Adam 6824, Lefèvre 5974, Thiers 4723, J. Favre 3974, De Barrême 3663, Ricciotti Garibaldi 1797, Louis Blanc 1738, Passy 1108 und Cl. Laurier 637. Jtalien. == Rom, 13 Febr. Damit in der Tagespresse hier nichts fehle, hat Mazzini eben mit der Publication des Blattes „Roma del Popolo“ den Anfang machen lassen. Der vorzüglichste Mitarbeiter außer ihm ist G. Ceneri, früher einer conservativen Fraction zugehörend. Das Blatt erinnert in allem an die „Jtalia del Popolo.“ Die Zahl von Mazzini's Gesinnungsverbundenen und sonstigen politischen Freunden ist zwar hier nicht groß, desto größer aber ist die unmittelbar hinter ihm stehende Par- tei. -- Freunde und Freundinnen der Musik, mit der Fähigkeit das Aus- gezeichnetste zu leisten, unterhielten eine ebenso gebildete wie zahlreiche Hörerschaft vorgestern Abends mit den Schätzen unserer Tondichtung. Wohl jeder schied mit dem Bedauern daß so viel Zauber mit dem flüchti- gen Augenblick dahinstirbt. Der Ertrag des Concerts übertraf die Erwar- tungen, die Eintrittskarten waren mit Rücksicht auf den Zweck absichtlich hochgehalten. Er ist bestimmt für die in Frankreich verwundeten deut- schen Krieger neben andern Gaben aus der Fremde auf dem Altar des Va- terlandes niedergelegt zu werden. -- Der silber=goldene Ehrenkranz welchen die Münchener Freunde und Verehrer Friedrich Overbecks auf dessen Ruhe- stätte niedergelegt wünschten, fand, wie erwähnt, vorerst in des verstorbe- nen Meisters Atelier ein Plätzchen, bis sein Grabdenkmal in der Kirche St. Bernardo gesetzt ist. Doch auch dann ist keine Aussicht mehr da den Todten in der beabsichtigten Weise zu ehren, da der Pfarrer von St. Bernardo er- klärte: ein derartiges Weihgeschenk sei in einer römischen Kirche nicht zulässig. Und wie viele Votive hängen dennoch da zu Hunderten an den Wänden für so manche obscure Zwecke aus! Jmmerhin ist die Wendung vielleicht weniger zu beklagen. Denn in dem zur Genehmigung vorliegenden Bauplan für die Erweiterung der Stadt steht die Kirche St. Bernardo mit ihrem gro- ßen Cistercienserkloster zur Expropriation mit obenan, um in den Palast des Senats umgeschaffen zu werden. -- Ohne die Zerstreuungen des Carnevals wäre es wohl schon jetzt zu neuen Zusammenstößen der zwei politischen Gegentheile gekommen, denn auf beiden Seiten wird stark geschürt und in die Kohlen geblasen. Die Klerikalen glauben fest an ihre Sicherheit, sie verschmähen in den Angriffen jede ehrenhafte Selbstbeschrän- kung, die Furie will sich durch Vernunft nicht bedeuten lassen, aber am Ende fliegt jederlei Art von Unflath von hüben und drüben, der in dem Pfuhl einer aufgeregten Gegenwart unter dem grünen Schimmel verborgen lag. Denn die officiösen Blätter wollen nah und fern Vorbereitungen zu einem Kreuzzug entdeckt haben, der, nach Rom hineingeschmuggelt, das neue öffentliche Wesen über den Haufen zu werfen bestimmt sei. Pater Curci wird von der „Nuova Roma,“ die seine Freitagspredigt in der Jgnaz- Kirche besuchen ließ, der Aufwieglung zur Auflehnung wider die bestehende Gewalt angeklagt. Dazu kommen unliebsame Demonstrationen, wie vor einigen Tagen, als ein Nationalgardist zur Gruft gebracht werden sollte und die zum Geleit erschienenen Priester sich sofort entfernten, sobald sie die mitziehende dreifarbige Fahne erblickten. Den Palastfesten der libe- ralen Aristokratie zur Huldigung des piemontesischen Fürstenpaars scheint die Gegenseite, mit dem aus Florenz zurückerwarteten Principe Borghese an der Spitze, nun auch ihre Soiréen entgegen stellen zu wollen, um einen Anlaß zu haben die hohen Gäste nicht einzuladen. An Kundgebungen wird es da nicht fehlen, die beliebteste Coiffüre der Damen dieser Partei sind Kränze aus Mariendistel und Passionsblumen. Nun, es ist ja Carneval. Schweden und Norwegen. Stockholm, 12 Febr. Dem Reichstag ist nunmehr der Gesetz- entwurf zur Reorganisation des Heeres auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht vorgelegt worden. Die Wehrpflicht soll sich auf die Zeit vom vollendeten 20. bis zum 40. Lebensjahr erstrecken, die ersten sieben Jahre in der Linie, die übrigen im Landsturm. Die sieben Altersclassen der Linie werden so vertheilt daß die erste Classe die Recruten, die zweite und dritte die Ersatztruppen, die vierte und fünfte das erste, die sechste und siebente Classe das zweite Aufgebot bilden, während die Mannschaften der Special- waffen in den beiden ersten Jahren der Recrutenclasse, in den fünf folgen- den Jahren den Ersatztruppen angehören. Der Landsturm wird in zwei Aufgebote getheilt. Zum ersten Aufgebot gehören die fünf jüngsten Alters- classen; dasselbe kann bei eintretender Kriegsgefahr ganz oder theilweise zum Dienst einberufen werden, und ist dazu bestimmt etwaige Lücken in der Feldarmee auszufüllen, solange der Krieg innerhalb der Gränzen des Landes geführt wird. Das zweite Aufgebot darf nur innerhalb des Landsturmbezirks verwendet werden, muß aber selbst für seinen Unterhalt sorgen. Rumänien. ♋ Bukarest, 8 Febr. Wenn der Brief des Fürsten Karl von Rumänien, welchen die „Allg. Ztg.“ am 27 Jan. veröffentlichte, in Mittel- Europa ein so gewaltiges Aufsehen erregte und neue Kriegsbefürchtungen hervorrief, so wird man es begreiflich finden daß seine Wirkung in Rumä- nien selbst noch viel bedeutender war. Seitdem die Dynastie=Frage auf- getreten, sind alle anderen Fragen, selbst die Finanzkrisis und die Eisen- bahn=Differenzen, in den Hintergrund getreten. Natürlich gehen die Mei- nungen über diesen hochwichtigen Gegenstand weit auseinander; trotzdem aber glaube ich schon heute sagen zu können daß jetzt, nachdem der Gegen- stand zur Sprache gebracht worden ist, die Befürchtung daß der Fürst das Land verlassen könnte schon weniger gerechtfertigt ist als früher. Auch der „Romanul,“ das Hauptorgan der „Rothen,“ hat sich endlich über den Brief ausgesprochen. Zuerst erklärte er denselben für unbedingt apokryph, um am andern Tage zu sagen daß er eines bessern belehrt sei, und densel- ben für echt halte. Wenn trotzdem das Blatt der Rothen über das Schrei- ben mit höchst anständiger Mäßigung und Zurückhaltung sich äußert, und nur sagt: Rumänien werde seine constitutionellen Rechte und Freiheiten sowohl nach innen wie nach außen zu vertheidigen wissen, so kann dieß wohl als ein Zeichen angesehen werden daß auch den Rothen ein Licht über die Lage des Landes aufgegangen ist. Dazu mag die Lage der fran- zösischen Republik und die Nachricht vom Rücktritte Gambetta's, von dessen Ueberschwänglichkeit die hiesigen Republicaner alles hofften, nicht wenig beigetragen haben. Man kann überhaupt von den Rumänen nicht behaup- ten daß sie den Verhältnissen nicht Rechnung zu tragen wüßten. Bis zum 2 Sept. 1870 hatten sie ihre Hoffnungen auf den Kaiser Napoleon gesetzt,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 49. Augsburg (Bayern), 18. Februar 1871, S. 823. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg49_1871/7>, abgerufen am 24.11.2024.