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Der Arbeitgeber. Nr. 675. Frankfurt a. M., 8. April 1870.

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[Spaltenumbruch] Völkern, sagt M. Chevalier, ist die große Straße der Civilisation,
auf welcher sie vorwärts schreiten sollten, verrammelt, fast unzugäng-
lich gemacht worden. Eine Reihe gewaltiger blutiger Zwischenfälle
hat das Menschengeschlecht aufgehalten. Die erbitterten und immer
wiederkehrenden Kriege der Fürsten sind hier in erster [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]Reihe zu
nennen. Dann kommen die Religionskriege, die inneren Spaltungen,
der Uebermuth der Großen, und zuweilen die unglaubliche Verblen-
dung der mittleren und volksthümlichen Klassen, die sie hinderten
ihre eigenen Jnteressen wahrzunehmen und ihre wirklichen Freunde
zu unterscheiden. Vom 16.--18. Jahrhundert wurde fast überall
das System befolgt, die Unterthanen ihrer natürlichen Freiheiten zu
berauben, und ihnen durch Sturm oder Erpressungen das Erträgniß
der Arbeit wegzunehmen. Das waren im Großen und Ganzen die
Ursachen, welche in ganz Europa ( doch stärker auf dem Kontinent
als in England ) den Fortschritt hemmten, und die Verwirklichung
der Hoffnungen auf ein besseres Loos 300--400 Jahre verzögerten."
Und diese Ursachen wirken nach und sind heute noch von Einfluß
auf die berührte Arbeiterfrage, soweit bei derselben von Gegensatz
zwischen Arbeit und Kapital die Rede ist. Man hat nicht gespart,
man hat das Kapital zerstört, und bis auf die neueste Zeit es min-
destens vielfach so falsch angewendet, daß hitzige Franzosen schon in
den nächsten Jahrzehnten ein soziales 1789 prophezeien. --

Eine Thatsache, die wir hier nicht verschweigen können, und
welche viel dazu beiträgt, daß der Antagonismus zwischen Arbeit und
Kapital sich täglich verschärft, und die vielleicht geeignet ist, die soziale
Revolution zu beschleunigen, ist die, daß täglich mehr Kapitalien dem
Spiel zugeführt werden, wodurch gewaltige Anhäufungen von
Besitz in wenigen Händen gebildet werden,
was wirth-
schaftlich stets nachtheilig ist; großer Besitz gibt übermäßige Macht,
die leicht mißbraucht werden kann. Dies ist auch die Ursache,
warum man das Associationswesen nur vorsichtig behandeln darf.
Dasselbe hat in Europa und Amerika bereits eine solche Ausdehnung
gewonnen, daß seine Schatten, Korruption in Folge übermäßiger
Macht, die in Amerika jetzt schon scharf auftreten, sich bereits über
das Meer herüber auf unsere Verhältnisse werfen. Vielfach wird die
Association schon zur Ausbeutung des Publikums gebraucht; wird
dieselbe gar auf das Spiel ausgedehnt, was heutzutage nur leider
zu sehr der Fall ist, so kann sie den sozialen Gährungsprozeß nur
beschleunigen. Jn Folge der großen technischen Fortschritte in unserer
Zeit ist die Kapitalbildung sehr erleichtert -- von dieser That-
sache will die Arbeiterbevölkerung profitiren, und darin steckt mit ein
Hauptgrund zu der heutigen Agitation. Diese Erleichterungen der
Kapitalbildung sind aber gerade wiederum die Ursache von großen
Kapitalansammlungen in Einer Hand, das Gefährlichste, was es für
den Arbeiter geben kann, und dies ist eine andere Ursache, welche
die geheimnißvollen Kräfte gegenwärtig in allen Arbeiterschichten
spielen läßt. Sieht man sich die Sache recht an, so geben diese Er-
klärungen indeß auch die Mittel an die Hand, eine weitere Entwick-
lung des Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zu verhindern,
und sogar friedlich aus dem Dilemma herauszukommen. Und dieses
Mittel basirt auf der Thatsache, daß es heutzutage leichter ist Kapital
zu bilden, wie früher. Die Arbeiterfrage ist gelöst, wenn alle Arbeiter
Kapitalisten sind -- so absurd dies klingen mag, so richtig ist es,
und wir sehen gar keinen Grund ein, warum dies nicht zu erreichen
wäre. Es können freilich nicht alle Menschen Kapitalisten sein, und
wenn es möglich wäre, würde es doch in Folge der menschlichen
Natur nicht eintreten; allein wir sehen gar keinen Grund, warum der
Arbeiter nicht Arbeiter und Kapitalist sein kann. Dies zu erreichen
gibt es viele Mittel, unter andern wiederum die Association, und
zwar nicht bloß die Association zur Verfolgung rein wirthschaftlicher
Zwecke, nein die politische Association muß hinzutreten, um Gesetze
und Einrichtungen verschwinden zu lassen, welche die Bildung und
Erhaltung des Kapitals stören; und zu diesen Störungen gehört haupt-
sächlich der heute bis zur Unerträglichkeit ausgebildete und entwickelte
Militarismus. Aber derselbe stammt nicht von gestern, und deßhalb
ist er in seinen Wirkungen auch so gefährlich und großartig schädlich
geworden. Schon Montesquieu sagt in seinem Esprit des lois: "Eine
neue Krankheit ist in Europa verbreitet, sie hat unsere Fürsten erfaßt
und führt sie zur Unterhaltung übermäßiger Heere. Sie tritt periodisch
mit verdoppelter Heftigkeit auf, und wird unvermeidlich ansteckend;
sobald Ein Staat seine Truppen vermehrt, beeilen sich die anderen,
ein Gleiches zu thun, so daß dabei nichts als der gemeinsame Ruin
herauskommt. Jeder Monarch erhält so viel Soldaten, als er nur
[Spaltenumbruch] brauchen würde, wenn alle seine Völker von Vernichtung bedroht
wären, und diese Kraftanstrengung Aller gegen Alle wird als Frie-
den
bezeichnet! Europa ist hierdurch derart ruinirt, daß Privat-
leute, wären sie in der Lage der drei reichsten Staaten dieses Welt-
theils, nicht zu leben hätten. Mit allen Reichthümern sind wir
arm, und indem wir die Soldaten mehren, werden wir einst nur
Soldaten haben und den Tartaren gleich stehen."

Die politischen Associationen, welche unsere gesellschaftlichen Ver-
hältnisse bessern wollen, müssen sich jedoch nicht nur gegen den kapi-
talzerstörenden Militarismus wenden, auch gegen den oft übertrie-
benen Luxus, den die Regierungen und die Fürsten, ja oft Gemeinden
treiben. Diese Associationen haben dahin zu wirken, daß die Gesetze,
die kapitalvernichtende oder privilegirende Wirkungen haben, auf-
gehoben und keine neuen derartigen erlassen werden; sie haben zu
bewirken, daß vor allem dem so schädlichen Konzessionswesen ein
Ende gemacht wird, was in Wahrheit nichts anderes als ein Pri-
vileg für das Kapital ist; sie haben die volle thatsächliche
Gleichheit aller Menschen
durchzusetzen, und alle Redensarten
wie Klassenkampf, Feindschaft zwischen Arbeit und Kapital ec. wer-
den verschwinden. Die Arbeit ist das Gemeingut Aller,
ebenso soll es das Kapital sein;
je mehr die Ver-
hältnisse eines Volkes sich durch diesen Satz bezeichnen lassen,
desto näher kommt das Volk dem wirthschaftlichen Jdeal, was eben
in nichts anderem gipfelt, als daß Alle arbeiten und
Alle Kapital besitzen sollen.
Vielleicht mag dieser Zu-
stand nie erreicht werden, allein annäherungsweise ist die
Ausführung möglich und hinreichend für das Glück einer Gesell-
schaft oder eines Volkes. Es geht auch nach der Verwirk-
lichung dieses Satzes das Streben unserer Zeit, und in konfusen
Köpfen ist man nur über die Mittel im Unklaren, dieselben herbei-
zuführen. Die Einen glauben ihn durch Aderlassen am Reichthum,
die Anderen durch Kommunismus, die Dritten durch Krieg zwischen
Arbeit und Kapital zu erreichen. Es ist möglich, daß der Wahn-
sinn, in Folge heftigen Gegendrucks, zu diesen Mitteln greift -- allein
den erwünschten Zustand auf die Dauer herbeizuführen, dazu ist keins
dieser Mittel geeignet; für die Schaffung besserer wirthschaftlicher
Zustände auf die Dauer kennen wir keine anderen Mittel, als die,
wodurch es möglich ist, Kapital zu erhalten und zu erzeugen: Spar-
samkeit, Arbeit
und Association in der weitesten Bedeutung; nur
dann werden die großen wirthschaftlichen Ungleichheiten verschwinden,
und die segensreichen Wirkungen, welche das Kapital an und für
sich hat, dem ganzen Volk zu gute kommen. Ob unser Jahrhundert
sich dieser Mittel bedienen wird, oder ob es zur sozialen Revolution
greift, -- dies hängt ganz davon ab, wie weit es gelingt die wirth-
schaftliche Wahrheit
zum Gemeingut der großen Masse zu machen.

* Volkswirthschaftliche Propaganda. Der Ausschuß für Handel
und Gewerbe des niederöstreichischen Gewerbe=Vereins hat die
Ausschreibung von Preisen für Verdienste bei Gründung von Vorschuß-
Vereinen beantragt, ein sehr zweckmäßiges Verfahren, was mit andern
Worten wohl nichts anderes sein wird als Erstattung der bei solchen
Gründungen verwandten Kosten. Wir wären im Genossenschafts-
wesen schon viel weiter, wenn es sich dergleichen Vereine angelegen
sein ließen, Reiseprediger zu honoriren, denn ohne Anregung und
Belehrung dauert es immer sehr lang, bis solche Genossenschaften
entstehen.

*L'Europe politique et socialevon Moritz Block.
( Paris bei Hachette u. Co. ) Jn diesem 628 Oktavseiten starken,
überaus reichhaltigen Buche macht der unermüdliche Verfasser den
Versuch, dem Skelett der statistischen Zahlen Fleisch und Farbe zu
verleihen, damit nicht bloß der Gelehrte und Verwaltungsmann den
heilsamen Zauber der wirklichen ( nicht eingebildeten ) Thatsachen kennen
lerne, sondern das gebildete Publikum im Allgemeinen. Jm Grund
behandelt das Buch denselben Gegenstand, wie Kolb's statistisches
Handbuch, während dieses aber fast nur Tabellen liefert, sind Ta-
bellen in Block's Werke seltene Ausnahmen. Er trägt die That-
sachen, welche den gegenwärtigen Zustand Europa's bilden mit der
Klarheit und Eleganz eines akademischen Lehrer's vor; und zwar hat
er von überall her die neuesten Thatsachen geliefert, oft mit treffen-
den Nutzanwendungen und gesunden Urtheil gewürzt, welches er aus
eigener Anschauung gesammelt hat; denn Block hat vor zwei Jahren

[Spaltenumbruch] Völkern, sagt M. Chevalier, ist die große Straße der Civilisation,
auf welcher sie vorwärts schreiten sollten, verrammelt, fast unzugäng-
lich gemacht worden. Eine Reihe gewaltiger blutiger Zwischenfälle
hat das Menschengeschlecht aufgehalten. Die erbitterten und immer
wiederkehrenden Kriege der Fürsten sind hier in erster [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]Reihe zu
nennen. Dann kommen die Religionskriege, die inneren Spaltungen,
der Uebermuth der Großen, und zuweilen die unglaubliche Verblen-
dung der mittleren und volksthümlichen Klassen, die sie hinderten
ihre eigenen Jnteressen wahrzunehmen und ihre wirklichen Freunde
zu unterscheiden. Vom 16.--18. Jahrhundert wurde fast überall
das System befolgt, die Unterthanen ihrer natürlichen Freiheiten zu
berauben, und ihnen durch Sturm oder Erpressungen das Erträgniß
der Arbeit wegzunehmen. Das waren im Großen und Ganzen die
Ursachen, welche in ganz Europa ( doch stärker auf dem Kontinent
als in England ) den Fortschritt hemmten, und die Verwirklichung
der Hoffnungen auf ein besseres Loos 300--400 Jahre verzögerten.“
Und diese Ursachen wirken nach und sind heute noch von Einfluß
auf die berührte Arbeiterfrage, soweit bei derselben von Gegensatz
zwischen Arbeit und Kapital die Rede ist. Man hat nicht gespart,
man hat das Kapital zerstört, und bis auf die neueste Zeit es min-
destens vielfach so falsch angewendet, daß hitzige Franzosen schon in
den nächsten Jahrzehnten ein soziales 1789 prophezeien. --

Eine Thatsache, die wir hier nicht verschweigen können, und
welche viel dazu beiträgt, daß der Antagonismus zwischen Arbeit und
Kapital sich täglich verschärft, und die vielleicht geeignet ist, die soziale
Revolution zu beschleunigen, ist die, daß täglich mehr Kapitalien dem
Spiel zugeführt werden, wodurch gewaltige Anhäufungen von
Besitz in wenigen Händen gebildet werden,
was wirth-
schaftlich stets nachtheilig ist; großer Besitz gibt übermäßige Macht,
die leicht mißbraucht werden kann. Dies ist auch die Ursache,
warum man das Associationswesen nur vorsichtig behandeln darf.
Dasselbe hat in Europa und Amerika bereits eine solche Ausdehnung
gewonnen, daß seine Schatten, Korruption in Folge übermäßiger
Macht, die in Amerika jetzt schon scharf auftreten, sich bereits über
das Meer herüber auf unsere Verhältnisse werfen. Vielfach wird die
Association schon zur Ausbeutung des Publikums gebraucht; wird
dieselbe gar auf das Spiel ausgedehnt, was heutzutage nur leider
zu sehr der Fall ist, so kann sie den sozialen Gährungsprozeß nur
beschleunigen. Jn Folge der großen technischen Fortschritte in unserer
Zeit ist die Kapitalbildung sehr erleichtert -- von dieser That-
sache will die Arbeiterbevölkerung profitiren, und darin steckt mit ein
Hauptgrund zu der heutigen Agitation. Diese Erleichterungen der
Kapitalbildung sind aber gerade wiederum die Ursache von großen
Kapitalansammlungen in Einer Hand, das Gefährlichste, was es für
den Arbeiter geben kann, und dies ist eine andere Ursache, welche
die geheimnißvollen Kräfte gegenwärtig in allen Arbeiterschichten
spielen läßt. Sieht man sich die Sache recht an, so geben diese Er-
klärungen indeß auch die Mittel an die Hand, eine weitere Entwick-
lung des Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zu verhindern,
und sogar friedlich aus dem Dilemma herauszukommen. Und dieses
Mittel basirt auf der Thatsache, daß es heutzutage leichter ist Kapital
zu bilden, wie früher. Die Arbeiterfrage ist gelöst, wenn alle Arbeiter
Kapitalisten sind -- so absurd dies klingen mag, so richtig ist es,
und wir sehen gar keinen Grund ein, warum dies nicht zu erreichen
wäre. Es können freilich nicht alle Menschen Kapitalisten sein, und
wenn es möglich wäre, würde es doch in Folge der menschlichen
Natur nicht eintreten; allein wir sehen gar keinen Grund, warum der
Arbeiter nicht Arbeiter und Kapitalist sein kann. Dies zu erreichen
gibt es viele Mittel, unter andern wiederum die Association, und
zwar nicht bloß die Association zur Verfolgung rein wirthschaftlicher
Zwecke, nein die politische Association muß hinzutreten, um Gesetze
und Einrichtungen verschwinden zu lassen, welche die Bildung und
Erhaltung des Kapitals stören; und zu diesen Störungen gehört haupt-
sächlich der heute bis zur Unerträglichkeit ausgebildete und entwickelte
Militarismus. Aber derselbe stammt nicht von gestern, und deßhalb
ist er in seinen Wirkungen auch so gefährlich und großartig schädlich
geworden. Schon Montesquieu sagt in seinem Esprit des lois: „Eine
neue Krankheit ist in Europa verbreitet, sie hat unsere Fürsten erfaßt
und führt sie zur Unterhaltung übermäßiger Heere. Sie tritt periodisch
mit verdoppelter Heftigkeit auf, und wird unvermeidlich ansteckend;
sobald Ein Staat seine Truppen vermehrt, beeilen sich die anderen,
ein Gleiches zu thun, so daß dabei nichts als der gemeinsame Ruin
herauskommt. Jeder Monarch erhält so viel Soldaten, als er nur
[Spaltenumbruch] brauchen würde, wenn alle seine Völker von Vernichtung bedroht
wären, und diese Kraftanstrengung Aller gegen Alle wird als Frie-
den
bezeichnet! Europa ist hierdurch derart ruinirt, daß Privat-
leute, wären sie in der Lage der drei reichsten Staaten dieses Welt-
theils, nicht zu leben hätten. Mit allen Reichthümern sind wir
arm, und indem wir die Soldaten mehren, werden wir einst nur
Soldaten haben und den Tartaren gleich stehen.“

Die politischen Associationen, welche unsere gesellschaftlichen Ver-
hältnisse bessern wollen, müssen sich jedoch nicht nur gegen den kapi-
talzerstörenden Militarismus wenden, auch gegen den oft übertrie-
benen Luxus, den die Regierungen und die Fürsten, ja oft Gemeinden
treiben. Diese Associationen haben dahin zu wirken, daß die Gesetze,
die kapitalvernichtende oder privilegirende Wirkungen haben, auf-
gehoben und keine neuen derartigen erlassen werden; sie haben zu
bewirken, daß vor allem dem so schädlichen Konzessionswesen ein
Ende gemacht wird, was in Wahrheit nichts anderes als ein Pri-
vileg für das Kapital ist; sie haben die volle thatsächliche
Gleichheit aller Menschen
durchzusetzen, und alle Redensarten
wie Klassenkampf, Feindschaft zwischen Arbeit und Kapital ec. wer-
den verschwinden. Die Arbeit ist das Gemeingut Aller,
ebenso soll es das Kapital sein;
je mehr die Ver-
hältnisse eines Volkes sich durch diesen Satz bezeichnen lassen,
desto näher kommt das Volk dem wirthschaftlichen Jdeal, was eben
in nichts anderem gipfelt, als daß Alle arbeiten und
Alle Kapital besitzen sollen.
Vielleicht mag dieser Zu-
stand nie erreicht werden, allein annäherungsweise ist die
Ausführung möglich und hinreichend für das Glück einer Gesell-
schaft oder eines Volkes. Es geht auch nach der Verwirk-
lichung dieses Satzes das Streben unserer Zeit, und in konfusen
Köpfen ist man nur über die Mittel im Unklaren, dieselben herbei-
zuführen. Die Einen glauben ihn durch Aderlassen am Reichthum,
die Anderen durch Kommunismus, die Dritten durch Krieg zwischen
Arbeit und Kapital zu erreichen. Es ist möglich, daß der Wahn-
sinn, in Folge heftigen Gegendrucks, zu diesen Mitteln greift -- allein
den erwünschten Zustand auf die Dauer herbeizuführen, dazu ist keins
dieser Mittel geeignet; für die Schaffung besserer wirthschaftlicher
Zustände auf die Dauer kennen wir keine anderen Mittel, als die,
wodurch es möglich ist, Kapital zu erhalten und zu erzeugen: Spar-
samkeit, Arbeit
und Association in der weitesten Bedeutung; nur
dann werden die großen wirthschaftlichen Ungleichheiten verschwinden,
und die segensreichen Wirkungen, welche das Kapital an und für
sich hat, dem ganzen Volk zu gute kommen. Ob unser Jahrhundert
sich dieser Mittel bedienen wird, oder ob es zur sozialen Revolution
greift, -- dies hängt ganz davon ab, wie weit es gelingt die wirth-
schaftliche Wahrheit
zum Gemeingut der großen Masse zu machen.

* Volkswirthschaftliche Propaganda. Der Ausschuß für Handel
und Gewerbe des niederöstreichischen Gewerbe=Vereins hat die
Ausschreibung von Preisen für Verdienste bei Gründung von Vorschuß-
Vereinen beantragt, ein sehr zweckmäßiges Verfahren, was mit andern
Worten wohl nichts anderes sein wird als Erstattung der bei solchen
Gründungen verwandten Kosten. Wir wären im Genossenschafts-
wesen schon viel weiter, wenn es sich dergleichen Vereine angelegen
sein ließen, Reiseprediger zu honoriren, denn ohne Anregung und
Belehrung dauert es immer sehr lang, bis solche Genossenschaften
entstehen.

*L'Europe politique et socialevon Moritz Block.
( Paris bei Hachette u. Co. ) Jn diesem 628 Oktavseiten starken,
überaus reichhaltigen Buche macht der unermüdliche Verfasser den
Versuch, dem Skelett der statistischen Zahlen Fleisch und Farbe zu
verleihen, damit nicht bloß der Gelehrte und Verwaltungsmann den
heilsamen Zauber der wirklichen ( nicht eingebildeten ) Thatsachen kennen
lerne, sondern das gebildete Publikum im Allgemeinen. Jm Grund
behandelt das Buch denselben Gegenstand, wie Kolb's statistisches
Handbuch, während dieses aber fast nur Tabellen liefert, sind Ta-
bellen in Block's Werke seltene Ausnahmen. Er trägt die That-
sachen, welche den gegenwärtigen Zustand Europa's bilden mit der
Klarheit und Eleganz eines akademischen Lehrer's vor; und zwar hat
er von überall her die neuesten Thatsachen geliefert, oft mit treffen-
den Nutzanwendungen und gesunden Urtheil gewürzt, welches er aus
eigener Anschauung gesammelt hat; denn Block hat vor zwei Jahren

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[0003] Völkern, sagt M. Chevalier, ist die große Straße der Civilisation, auf welcher sie vorwärts schreiten sollten, verrammelt, fast unzugäng- lich gemacht worden. Eine Reihe gewaltiger blutiger Zwischenfälle hat das Menschengeschlecht aufgehalten. Die erbitterten und immer wiederkehrenden Kriege der Fürsten sind hier in erster _____Reihe zu nennen. Dann kommen die Religionskriege, die inneren Spaltungen, der Uebermuth der Großen, und zuweilen die unglaubliche Verblen- dung der mittleren und volksthümlichen Klassen, die sie hinderten ihre eigenen Jnteressen wahrzunehmen und ihre wirklichen Freunde zu unterscheiden. Vom 16.--18. Jahrhundert wurde fast überall das System befolgt, die Unterthanen ihrer natürlichen Freiheiten zu berauben, und ihnen durch Sturm oder Erpressungen das Erträgniß der Arbeit wegzunehmen. Das waren im Großen und Ganzen die Ursachen, welche in ganz Europa ( doch stärker auf dem Kontinent als in England ) den Fortschritt hemmten, und die Verwirklichung der Hoffnungen auf ein besseres Loos 300--400 Jahre verzögerten.“ Und diese Ursachen wirken nach und sind heute noch von Einfluß auf die berührte Arbeiterfrage, soweit bei derselben von Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital die Rede ist. Man hat nicht gespart, man hat das Kapital zerstört, und bis auf die neueste Zeit es min- destens vielfach so falsch angewendet, daß hitzige Franzosen schon in den nächsten Jahrzehnten ein soziales 1789 prophezeien. -- Eine Thatsache, die wir hier nicht verschweigen können, und welche viel dazu beiträgt, daß der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital sich täglich verschärft, und die vielleicht geeignet ist, die soziale Revolution zu beschleunigen, ist die, daß täglich mehr Kapitalien dem Spiel zugeführt werden, wodurch gewaltige Anhäufungen von Besitz in wenigen Händen gebildet werden, was wirth- schaftlich stets nachtheilig ist; großer Besitz gibt übermäßige Macht, die leicht mißbraucht werden kann. Dies ist auch die Ursache, warum man das Associationswesen nur vorsichtig behandeln darf. Dasselbe hat in Europa und Amerika bereits eine solche Ausdehnung gewonnen, daß seine Schatten, Korruption in Folge übermäßiger Macht, die in Amerika jetzt schon scharf auftreten, sich bereits über das Meer herüber auf unsere Verhältnisse werfen. Vielfach wird die Association schon zur Ausbeutung des Publikums gebraucht; wird dieselbe gar auf das Spiel ausgedehnt, was heutzutage nur leider zu sehr der Fall ist, so kann sie den sozialen Gährungsprozeß nur beschleunigen. Jn Folge der großen technischen Fortschritte in unserer Zeit ist die Kapitalbildung sehr erleichtert -- von dieser That- sache will die Arbeiterbevölkerung profitiren, und darin steckt mit ein Hauptgrund zu der heutigen Agitation. Diese Erleichterungen der Kapitalbildung sind aber gerade wiederum die Ursache von großen Kapitalansammlungen in Einer Hand, das Gefährlichste, was es für den Arbeiter geben kann, und dies ist eine andere Ursache, welche die geheimnißvollen Kräfte gegenwärtig in allen Arbeiterschichten spielen läßt. Sieht man sich die Sache recht an, so geben diese Er- klärungen indeß auch die Mittel an die Hand, eine weitere Entwick- lung des Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zu verhindern, und sogar friedlich aus dem Dilemma herauszukommen. Und dieses Mittel basirt auf der Thatsache, daß es heutzutage leichter ist Kapital zu bilden, wie früher. Die Arbeiterfrage ist gelöst, wenn alle Arbeiter Kapitalisten sind -- so absurd dies klingen mag, so richtig ist es, und wir sehen gar keinen Grund ein, warum dies nicht zu erreichen wäre. Es können freilich nicht alle Menschen Kapitalisten sein, und wenn es möglich wäre, würde es doch in Folge der menschlichen Natur nicht eintreten; allein wir sehen gar keinen Grund, warum der Arbeiter nicht Arbeiter und Kapitalist sein kann. Dies zu erreichen gibt es viele Mittel, unter andern wiederum die Association, und zwar nicht bloß die Association zur Verfolgung rein wirthschaftlicher Zwecke, nein die politische Association muß hinzutreten, um Gesetze und Einrichtungen verschwinden zu lassen, welche die Bildung und Erhaltung des Kapitals stören; und zu diesen Störungen gehört haupt- sächlich der heute bis zur Unerträglichkeit ausgebildete und entwickelte Militarismus. Aber derselbe stammt nicht von gestern, und deßhalb ist er in seinen Wirkungen auch so gefährlich und großartig schädlich geworden. Schon Montesquieu sagt in seinem Esprit des lois: „Eine neue Krankheit ist in Europa verbreitet, sie hat unsere Fürsten erfaßt und führt sie zur Unterhaltung übermäßiger Heere. Sie tritt periodisch mit verdoppelter Heftigkeit auf, und wird unvermeidlich ansteckend; sobald Ein Staat seine Truppen vermehrt, beeilen sich die anderen, ein Gleiches zu thun, so daß dabei nichts als der gemeinsame Ruin herauskommt. Jeder Monarch erhält so viel Soldaten, als er nur brauchen würde, wenn alle seine Völker von Vernichtung bedroht wären, und diese Kraftanstrengung Aller gegen Alle wird als Frie- den bezeichnet! Europa ist hierdurch derart ruinirt, daß Privat- leute, wären sie in der Lage der drei reichsten Staaten dieses Welt- theils, nicht zu leben hätten. Mit allen Reichthümern sind wir arm, und indem wir die Soldaten mehren, werden wir einst nur Soldaten haben und den Tartaren gleich stehen.“ Die politischen Associationen, welche unsere gesellschaftlichen Ver- hältnisse bessern wollen, müssen sich jedoch nicht nur gegen den kapi- talzerstörenden Militarismus wenden, auch gegen den oft übertrie- benen Luxus, den die Regierungen und die Fürsten, ja oft Gemeinden treiben. Diese Associationen haben dahin zu wirken, daß die Gesetze, die kapitalvernichtende oder privilegirende Wirkungen haben, auf- gehoben und keine neuen derartigen erlassen werden; sie haben zu bewirken, daß vor allem dem so schädlichen Konzessionswesen ein Ende gemacht wird, was in Wahrheit nichts anderes als ein Pri- vileg für das Kapital ist; sie haben die volle thatsächliche Gleichheit aller Menschen durchzusetzen, und alle Redensarten wie Klassenkampf, Feindschaft zwischen Arbeit und Kapital ec. wer- den verschwinden. Die Arbeit ist das Gemeingut Aller, ebenso soll es das Kapital sein; je mehr die Ver- hältnisse eines Volkes sich durch diesen Satz bezeichnen lassen, desto näher kommt das Volk dem wirthschaftlichen Jdeal, was eben in nichts anderem gipfelt, als daß Alle arbeiten und Alle Kapital besitzen sollen. Vielleicht mag dieser Zu- stand nie erreicht werden, allein annäherungsweise ist die Ausführung möglich und hinreichend für das Glück einer Gesell- schaft oder eines Volkes. Es geht auch nach der Verwirk- lichung dieses Satzes das Streben unserer Zeit, und in konfusen Köpfen ist man nur über die Mittel im Unklaren, dieselben herbei- zuführen. Die Einen glauben ihn durch Aderlassen am Reichthum, die Anderen durch Kommunismus, die Dritten durch Krieg zwischen Arbeit und Kapital zu erreichen. Es ist möglich, daß der Wahn- sinn, in Folge heftigen Gegendrucks, zu diesen Mitteln greift -- allein den erwünschten Zustand auf die Dauer herbeizuführen, dazu ist keins dieser Mittel geeignet; für die Schaffung besserer wirthschaftlicher Zustände auf die Dauer kennen wir keine anderen Mittel, als die, wodurch es möglich ist, Kapital zu erhalten und zu erzeugen: Spar- samkeit, Arbeit und Association in der weitesten Bedeutung; nur dann werden die großen wirthschaftlichen Ungleichheiten verschwinden, und die segensreichen Wirkungen, welche das Kapital an und für sich hat, dem ganzen Volk zu gute kommen. Ob unser Jahrhundert sich dieser Mittel bedienen wird, oder ob es zur sozialen Revolution greift, -- dies hängt ganz davon ab, wie weit es gelingt die wirth- schaftliche Wahrheit zum Gemeingut der großen Masse zu machen. * Volkswirthschaftliche Propaganda. Der Ausschuß für Handel und Gewerbe des niederöstreichischen Gewerbe=Vereins hat die Ausschreibung von Preisen für Verdienste bei Gründung von Vorschuß- Vereinen beantragt, ein sehr zweckmäßiges Verfahren, was mit andern Worten wohl nichts anderes sein wird als Erstattung der bei solchen Gründungen verwandten Kosten. Wir wären im Genossenschafts- wesen schon viel weiter, wenn es sich dergleichen Vereine angelegen sein ließen, Reiseprediger zu honoriren, denn ohne Anregung und Belehrung dauert es immer sehr lang, bis solche Genossenschaften entstehen. *L'Europe politique et socialevon Moritz Block. ( Paris bei Hachette u. Co. ) Jn diesem 628 Oktavseiten starken, überaus reichhaltigen Buche macht der unermüdliche Verfasser den Versuch, dem Skelett der statistischen Zahlen Fleisch und Farbe zu verleihen, damit nicht bloß der Gelehrte und Verwaltungsmann den heilsamen Zauber der wirklichen ( nicht eingebildeten ) Thatsachen kennen lerne, sondern das gebildete Publikum im Allgemeinen. Jm Grund behandelt das Buch denselben Gegenstand, wie Kolb's statistisches Handbuch, während dieses aber fast nur Tabellen liefert, sind Ta- bellen in Block's Werke seltene Ausnahmen. Er trägt die That- sachen, welche den gegenwärtigen Zustand Europa's bilden mit der Klarheit und Eleganz eines akademischen Lehrer's vor; und zwar hat er von überall her die neuesten Thatsachen geliefert, oft mit treffen- den Nutzanwendungen und gesunden Urtheil gewürzt, welches er aus eigener Anschauung gesammelt hat; denn Block hat vor zwei Jahren

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 675. Frankfurt a. M., 8. April 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0675_1870/3>, abgerufen am 28.04.2024.