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Der Arbeitgeber. Nr. 669. Frankfurt a. M., 25. Februar 1870.

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Der "Arbeitgeber" erscheint
wöchentlich,
die "Patentliste" monatlich.
Preis: 1 / 2 jährl. in Preußen
3 fl. 2 kr. od. 1 Thlr. 22 Gr.,
bei allen übrigen deutschen
Postämtern 2 fl. 55 kr. od.
1 2 / 3 Thlr. Anzeigen: für die
dreispaltige Petitzeile od. deren
Raum 6 kr. Der Betrag wird
durch Postnachnahme erhoben.
Kleine Beträge können durch
Briefmarken ausgeglichen
werden.
Red. des "Arbeitgeber",
Gallusgasse 9.
in Frankfurt a. M.

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Der
Arbeitgeber.
Archiv für die gesammte Volkswirthschaft,
Central-Anzeiger für Stellen- und Arbeitergesuche.
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Bestellungen werden von allen
Postämtern u. Buchhandlun-
gen, von letzteren auch Jnse-
rate
jederzeit angenommen.
Briefe werden franco erbeten.
Das Patent= u. Maschinen-
Geschäft des "Arbeitgeber"
übernimmt die Ausführung
neuer Erfindungen, vermit-
telt den Ankauf ( zum Fabrik-
preis ) und Verkauf von Ma-
schinen aller Art, es besorgt
Patente für alle Länder und
übernimmt deren Ver-
werthung.

[Ende Spaltensatz]

Nro 669.
Usingen bei
Frankfurt a. M., 25. Februar
1870.


[Beginn Spaltensatz]
Dienstbotennoth.

Ueber dieses in der Neuzeit so wichtig gewordene Kapitel macht
Herr Professor Emminghaus in einer Broschüre, betitelt: Haus-
wirthschaftliche Zeitfragen, folgende beherzigenswerthe Bemerkungen.

Das patriarchalische Verhältniß zwischen Herrschaften und Dienst-
boten konnte nur so lange sich halten, als der Unterschied in der
Bildung und in der sozialen Stellung zwischen beiden noch so erheb-
lich war, wie er überall da sein muß, wo Niemand dienen mag, der
frei ist, und Freie wie Unfreie in den unteren Ständen des Segens
eines geordneten Unterrichts entbehren.

Einmal die Beseitigung des Feudalismus, und dann die Ver-
allgemeinerung eines systematischen Volksunterrichts hat bei uns dem
patriarchalischen Nexus zwischen Dienstboten und Herrschaften seine
Lebensbedingungen entzogen; die fortschreitende Ausgleichung der
Geburtsstände=Unterschiede, die gesetzliche Beseitigung politischer und
privatrechtlicher Ungleichheiten des Standes hat dem Uebergang aus
dem patriarchalischen in den rein wirthschaftlichen Zustand den Weg
geebnet. Aber auf diesem Wege schreiten wir nur langsam vorwärts.
Der alte Zustand, für die Herrschaften so günstig, und unter Um-
ständen auch für die Dienstboten behaglich, vergißt sich schwer; in
den neuen gewöhnen sich beide Theile nur mit großer Mühe ein.
Wir laboriren an den Unbehaglichkeiten eines lange andauernden
Uebergangsstadiums. Dies der Grund, warum, nicht etwa nur hier
und da, sondern überall in Deutschland -- und auch wohl ander-
wärts --, nicht etwa nur in den Städten, sondern ebenso auf dem
platten Lande, eine gewisse Nervosität namentlich der Hausfrau sich
bemächtigt, wenn die Dienstbotenfrage zur Erörterung kommt.

Welches ist die häufigste Klage, die wir vernehmen? Was ist
es, was die Hausfrauen am meisten an der Haltung des heutigen
Gesindes empört? Viel seltener Unfleiß und Unfähigkeit, als Unbot-
mäßigkeit, Ueberhebung und Vergnügungssucht. Und dies sind eben
die ungeschickten Ausdrucksweisen eines lebhaft erwachten, aber uner-
zogenen Gleichheitsgefühles, welches in dem Dienstverhältniß nichts
erblicken mag, als ein streng begrenztes obligatorisches Rechtsverhält-
niß, in welchem beide Kontrahenten vertragsmäßig bestimmte Rechte
und Pflichten haben, sich aber, wenn jene Rechte gewährt, diese
Pflichten erfüllt sind, beiderseits nicht mehr um einander zu bekümmern
brauchen. Wie die Herrschaften mehr über Unbotmäßigkeit, Mangel
an Ehrerbietung und zunehmende Genußsucht, als über Unfleiß der
Dienstboten, so hören wir die letzteren mehr über zu weitgehende Be-
schränkung der Selbständigkeit, über zu geringschätzige Behandlung,
als über zu niedrige Löhne oder zu starke Arbeitüberbürdung klagen.
Die Rechte, welche sich in klare Vertragsworte fassen lassen, wollen
sie den Dienstgebern zugestehen; mehr aber nicht. Befreit von dem
Druck, welchen andere Zeiten über ihren Stand verhängten, gefallen
sie sich in dem anderen Extrem, und halten sich auch befreit von
jedem persönlichen Einflusse Derer, mit denen sie doch unter einem
Dache wohnen, von dem gleichen Mahle zehren.

Freilich -- es ist ein schwer definirbares Verhältniß, welches
der Dienstmiethvertrag im wirthschaftlichen und sittlichen Jnteresse
beider Theile schaffen soll.

Jn seiner Grundlage und seiner eigentlichen Bestimmung nach
ist das Verhältniß ohne Zweifel ein wirthschaftliches. Es beruht auf
Leistung und Gegenleistung. Aber keine andere wirthschaftliche Leistung
und Gegenleistung erfordern so sehr, damit beiden Theilen gedient
sei, die Mitwirkung der ganzen Persönlichkeit. Dies liegt zwar über-
[Spaltenumbruch] haupt im Charakter jeder persönlichen Dienstleistung. Aber die
dauernde persönliche Nähe und die dadurch herbeigeführte nothgedrun-
gene gegenseitige Theilnahme an allen persönlichen Erlebnissen, wie
sie in dem Verhältniß zwischen Herrschaft und Dienstboten zu Tage
tritt, stellt noch ihre ganz besonderen Anforderungen. Selbst vom
streng wirthschaftlichen Gesichtspunkte erfordert das Verhältniß, wenn
es für beide Theile statt einer Qual vielmehr ein Segen sein soll,
von beiden Seiten Leistungen, welche sonst nirgends Gegenstand des
Handels zu sein pflegen.

Auf welchem Wege nun werden wir uns am ersten aus jenem
Zustande befreien können, der uns das Dasein so oft verbittert, der
den Frieden des Hauses so oft in Krieg, das häusliche Behagen so
oft in allgemeine Verstimmung verwandelt?

Sehr mit Unrecht, aber immer auf's Neue wieder, erwarten
wir, einmal gewöhnt, die Staatsgewalt als ein Stück Vorsehung zu
betrachten, die Vermittelung von dem Gesetz. Zwar ist jedem Civil-
gesetzbuch ein Abschnitt über den Dienstmiethvertrag, oder den Dienst-
verding unerläßlich. Aber diese Bestimmungen sind es nicht, auf
deren Einführung, wo sie fehlen sollten, oder auf deren Vervollstän-
digung, wo sie bereits vorhanden sind, man dringt. Man verlangt
nichts Geringeres, als daß das Gesetz neben den rechtlichen auch
die sittlichen Pflichten beiden Theilen erzwingbar mache.

Jn der großen und allgemein tief einschneidenden Noth ist man
auf den Gedanken gekommen, Vereine zur Besserung von Dienstboten
zu gründen. Wenn ich von solchen Plänen vernehme, fällt mir
immer jener sächsische Bauer ein, der, als der Herr Graf X. im
landwirthschaftlichen Verein zu Y. den Vorschlag zur Begründung
einer Gesellschaft zur Verbesserung des Gesindes machte, erwiderte,
daß er sich diesem Vorschlage zwar nicht widersetzen wolle, aber dann
auch darauf dringen müsse, daß man gleichzeitig einen Verein zur
Besserung der Herrschaften gründe.

Die Besserung in der That ist auf beiden Seiten nöthig. Er-
ziehen zu einem tüchtigen Dienstboten kann man Jemanden nur,
indem man ihn zu einem tüchtigen Menschen erzieht, und Haus-
frauen, in weitaus den meisten Fällen doch die eigentliche Gegenpart
im Dienstmiethvertrage, lassen sich auch für die aus diesem Vertrage
ihnen erwachsenen Pflichten nicht durch besondere künstliche Veranstal-
tungen vorbereiten.

So ständen wir also vor einer hauswirthschaftlichen Zeitfrage,
die zur Zeit noch jeder Lösung spottet? So wären wir also verur-
theilt, noch auf ganz unabsehbare Frist zu seufzen unter dem Drucke
der Dienstbotennoth, unter der Unbehaglichkeit jenes Uebergangszu-
standes aus dem patriarchalischen in das wirthschaftlich fundamentirte
neue Rechtsverhältniß?

Um ein Universalmittel zur Heilung jenes allgemeinen und so
tief empfundenen Leidens sehen wir allerdings auch Diejenigen ver-
legen, die sich am eingehendsten mit diesem Theile der ökonomischen
Pathologie und Therapie beschäftigt haben.

Aber das Leiden wird doch um so erträglicher werden, je mehr
man sich klar macht, daß, was den Hauptbetheiligten als Leiden er-
scheint, zum größten Theile nur Symptom einer naturnothwendigen
Entwickelungsphase ist. Diese Klarheit an sich schon gibt ein Er-
leichterungsmittel an die Hand. Wer die Berechtigung des Ver-
langens nach einer besseren äußeren Situation auf Seiten der Dienst-
boten willig anerkennt, und dieses Anerkenntniß zweckmäßig bethätigt,
wird schon daraus manche Befriedigung schöpfen.

Bliebe wirklich in dieser Richtung nicht unendlich viel zu thun
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1870.


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Dienstbotennoth.

Ueber dieses in der Neuzeit so wichtig gewordene Kapitel macht
Herr Professor Emminghaus in einer Broschüre, betitelt: Haus-
wirthschaftliche Zeitfragen, folgende beherzigenswerthe Bemerkungen.

Das patriarchalische Verhältniß zwischen Herrschaften und Dienst-
boten konnte nur so lange sich halten, als der Unterschied in der
Bildung und in der sozialen Stellung zwischen beiden noch so erheb-
lich war, wie er überall da sein muß, wo Niemand dienen mag, der
frei ist, und Freie wie Unfreie in den unteren Ständen des Segens
eines geordneten Unterrichts entbehren.

Einmal die Beseitigung des Feudalismus, und dann die Ver-
allgemeinerung eines systematischen Volksunterrichts hat bei uns dem
patriarchalischen Nexus zwischen Dienstboten und Herrschaften seine
Lebensbedingungen entzogen; die fortschreitende Ausgleichung der
Geburtsstände=Unterschiede, die gesetzliche Beseitigung politischer und
privatrechtlicher Ungleichheiten des Standes hat dem Uebergang aus
dem patriarchalischen in den rein wirthschaftlichen Zustand den Weg
geebnet. Aber auf diesem Wege schreiten wir nur langsam vorwärts.
Der alte Zustand, für die Herrschaften so günstig, und unter Um-
ständen auch für die Dienstboten behaglich, vergißt sich schwer; in
den neuen gewöhnen sich beide Theile nur mit großer Mühe ein.
Wir laboriren an den Unbehaglichkeiten eines lange andauernden
Uebergangsstadiums. Dies der Grund, warum, nicht etwa nur hier
und da, sondern überall in Deutschland -- und auch wohl ander-
wärts --, nicht etwa nur in den Städten, sondern ebenso auf dem
platten Lande, eine gewisse Nervosität namentlich der Hausfrau sich
bemächtigt, wenn die Dienstbotenfrage zur Erörterung kommt.

Welches ist die häufigste Klage, die wir vernehmen? Was ist
es, was die Hausfrauen am meisten an der Haltung des heutigen
Gesindes empört? Viel seltener Unfleiß und Unfähigkeit, als Unbot-
mäßigkeit, Ueberhebung und Vergnügungssucht. Und dies sind eben
die ungeschickten Ausdrucksweisen eines lebhaft erwachten, aber uner-
zogenen Gleichheitsgefühles, welches in dem Dienstverhältniß nichts
erblicken mag, als ein streng begrenztes obligatorisches Rechtsverhält-
niß, in welchem beide Kontrahenten vertragsmäßig bestimmte Rechte
und Pflichten haben, sich aber, wenn jene Rechte gewährt, diese
Pflichten erfüllt sind, beiderseits nicht mehr um einander zu bekümmern
brauchen. Wie die Herrschaften mehr über Unbotmäßigkeit, Mangel
an Ehrerbietung und zunehmende Genußsucht, als über Unfleiß der
Dienstboten, so hören wir die letzteren mehr über zu weitgehende Be-
schränkung der Selbständigkeit, über zu geringschätzige Behandlung,
als über zu niedrige Löhne oder zu starke Arbeitüberbürdung klagen.
Die Rechte, welche sich in klare Vertragsworte fassen lassen, wollen
sie den Dienstgebern zugestehen; mehr aber nicht. Befreit von dem
Druck, welchen andere Zeiten über ihren Stand verhängten, gefallen
sie sich in dem anderen Extrem, und halten sich auch befreit von
jedem persönlichen Einflusse Derer, mit denen sie doch unter einem
Dache wohnen, von dem gleichen Mahle zehren.

Freilich -- es ist ein schwer definirbares Verhältniß, welches
der Dienstmiethvertrag im wirthschaftlichen und sittlichen Jnteresse
beider Theile schaffen soll.

Jn seiner Grundlage und seiner eigentlichen Bestimmung nach
ist das Verhältniß ohne Zweifel ein wirthschaftliches. Es beruht auf
Leistung und Gegenleistung. Aber keine andere wirthschaftliche Leistung
und Gegenleistung erfordern so sehr, damit beiden Theilen gedient
sei, die Mitwirkung der ganzen Persönlichkeit. Dies liegt zwar über-
[Spaltenumbruch] haupt im Charakter jeder persönlichen Dienstleistung. Aber die
dauernde persönliche Nähe und die dadurch herbeigeführte nothgedrun-
gene gegenseitige Theilnahme an allen persönlichen Erlebnissen, wie
sie in dem Verhältniß zwischen Herrschaft und Dienstboten zu Tage
tritt, stellt noch ihre ganz besonderen Anforderungen. Selbst vom
streng wirthschaftlichen Gesichtspunkte erfordert das Verhältniß, wenn
es für beide Theile statt einer Qual vielmehr ein Segen sein soll,
von beiden Seiten Leistungen, welche sonst nirgends Gegenstand des
Handels zu sein pflegen.

Auf welchem Wege nun werden wir uns am ersten aus jenem
Zustande befreien können, der uns das Dasein so oft verbittert, der
den Frieden des Hauses so oft in Krieg, das häusliche Behagen so
oft in allgemeine Verstimmung verwandelt?

Sehr mit Unrecht, aber immer auf's Neue wieder, erwarten
wir, einmal gewöhnt, die Staatsgewalt als ein Stück Vorsehung zu
betrachten, die Vermittelung von dem Gesetz. Zwar ist jedem Civil-
gesetzbuch ein Abschnitt über den Dienstmiethvertrag, oder den Dienst-
verding unerläßlich. Aber diese Bestimmungen sind es nicht, auf
deren Einführung, wo sie fehlen sollten, oder auf deren Vervollstän-
digung, wo sie bereits vorhanden sind, man dringt. Man verlangt
nichts Geringeres, als daß das Gesetz neben den rechtlichen auch
die sittlichen Pflichten beiden Theilen erzwingbar mache.

Jn der großen und allgemein tief einschneidenden Noth ist man
auf den Gedanken gekommen, Vereine zur Besserung von Dienstboten
zu gründen. Wenn ich von solchen Plänen vernehme, fällt mir
immer jener sächsische Bauer ein, der, als der Herr Graf X. im
landwirthschaftlichen Verein zu Y. den Vorschlag zur Begründung
einer Gesellschaft zur Verbesserung des Gesindes machte, erwiderte,
daß er sich diesem Vorschlage zwar nicht widersetzen wolle, aber dann
auch darauf dringen müsse, daß man gleichzeitig einen Verein zur
Besserung der Herrschaften gründe.

Die Besserung in der That ist auf beiden Seiten nöthig. Er-
ziehen zu einem tüchtigen Dienstboten kann man Jemanden nur,
indem man ihn zu einem tüchtigen Menschen erzieht, und Haus-
frauen, in weitaus den meisten Fällen doch die eigentliche Gegenpart
im Dienstmiethvertrage, lassen sich auch für die aus diesem Vertrage
ihnen erwachsenen Pflichten nicht durch besondere künstliche Veranstal-
tungen vorbereiten.

So ständen wir also vor einer hauswirthschaftlichen Zeitfrage,
die zur Zeit noch jeder Lösung spottet? So wären wir also verur-
theilt, noch auf ganz unabsehbare Frist zu seufzen unter dem Drucke
der Dienstbotennoth, unter der Unbehaglichkeit jenes Uebergangszu-
standes aus dem patriarchalischen in das wirthschaftlich fundamentirte
neue Rechtsverhältniß?

Um ein Universalmittel zur Heilung jenes allgemeinen und so
tief empfundenen Leidens sehen wir allerdings auch Diejenigen ver-
legen, die sich am eingehendsten mit diesem Theile der ökonomischen
Pathologie und Therapie beschäftigt haben.

Aber das Leiden wird doch um so erträglicher werden, je mehr
man sich klar macht, daß, was den Hauptbetheiligten als Leiden er-
scheint, zum größten Theile nur Symptom einer naturnothwendigen
Entwickelungsphase ist. Diese Klarheit an sich schon gibt ein Er-
leichterungsmittel an die Hand. Wer die Berechtigung des Ver-
langens nach einer besseren äußeren Situation auf Seiten der Dienst-
boten willig anerkennt, und dieses Anerkenntniß zweckmäßig bethätigt,
wird schon daraus manche Befriedigung schöpfen.

Bliebe wirklich in dieser Richtung nicht unendlich viel zu thun
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[0001] Der „Arbeitgeber“ erscheint wöchentlich, die „Patentliste“ monatlich. Preis: 1 / 2 jährl. in Preußen 3 fl. 2 kr. od. 1 Thlr. 22 Gr., bei allen übrigen deutschen Postämtern 2 fl. 55 kr. od. 1 2 / 3 Thlr. Anzeigen: für die dreispaltige Petitzeile od. deren Raum 6 kr. Der Betrag wird durch Postnachnahme erhoben. Kleine Beträge können durch Briefmarken ausgeglichen werden. Red. des „Arbeitgeber“, Gallusgasse 9. in Frankfurt a. M. Der Arbeitgeber. Archiv für die gesammte Volkswirthschaft, Central-Anzeiger für Stellen- und Arbeitergesuche. Bestellungen werden von allen Postämtern u. Buchhandlun- gen, von letzteren auch Jnse- rate jederzeit angenommen. Briefe werden franco erbeten. Das Patent= u. Maschinen- Geschäft des „Arbeitgeber“ übernimmt die Ausführung neuer Erfindungen, vermit- telt den Ankauf ( zum Fabrik- preis ) und Verkauf von Ma- schinen aller Art, es besorgt Patente für alle Länder und übernimmt deren Ver- werthung. Nro 669. Usingen bei Frankfurt a. M., 25. Februar 1870. Dienstbotennoth. Ueber dieses in der Neuzeit so wichtig gewordene Kapitel macht Herr Professor Emminghaus in einer Broschüre, betitelt: Haus- wirthschaftliche Zeitfragen, folgende beherzigenswerthe Bemerkungen. Das patriarchalische Verhältniß zwischen Herrschaften und Dienst- boten konnte nur so lange sich halten, als der Unterschied in der Bildung und in der sozialen Stellung zwischen beiden noch so erheb- lich war, wie er überall da sein muß, wo Niemand dienen mag, der frei ist, und Freie wie Unfreie in den unteren Ständen des Segens eines geordneten Unterrichts entbehren. Einmal die Beseitigung des Feudalismus, und dann die Ver- allgemeinerung eines systematischen Volksunterrichts hat bei uns dem patriarchalischen Nexus zwischen Dienstboten und Herrschaften seine Lebensbedingungen entzogen; die fortschreitende Ausgleichung der Geburtsstände=Unterschiede, die gesetzliche Beseitigung politischer und privatrechtlicher Ungleichheiten des Standes hat dem Uebergang aus dem patriarchalischen in den rein wirthschaftlichen Zustand den Weg geebnet. Aber auf diesem Wege schreiten wir nur langsam vorwärts. Der alte Zustand, für die Herrschaften so günstig, und unter Um- ständen auch für die Dienstboten behaglich, vergißt sich schwer; in den neuen gewöhnen sich beide Theile nur mit großer Mühe ein. Wir laboriren an den Unbehaglichkeiten eines lange andauernden Uebergangsstadiums. Dies der Grund, warum, nicht etwa nur hier und da, sondern überall in Deutschland -- und auch wohl ander- wärts --, nicht etwa nur in den Städten, sondern ebenso auf dem platten Lande, eine gewisse Nervosität namentlich der Hausfrau sich bemächtigt, wenn die Dienstbotenfrage zur Erörterung kommt. Welches ist die häufigste Klage, die wir vernehmen? Was ist es, was die Hausfrauen am meisten an der Haltung des heutigen Gesindes empört? Viel seltener Unfleiß und Unfähigkeit, als Unbot- mäßigkeit, Ueberhebung und Vergnügungssucht. Und dies sind eben die ungeschickten Ausdrucksweisen eines lebhaft erwachten, aber uner- zogenen Gleichheitsgefühles, welches in dem Dienstverhältniß nichts erblicken mag, als ein streng begrenztes obligatorisches Rechtsverhält- niß, in welchem beide Kontrahenten vertragsmäßig bestimmte Rechte und Pflichten haben, sich aber, wenn jene Rechte gewährt, diese Pflichten erfüllt sind, beiderseits nicht mehr um einander zu bekümmern brauchen. Wie die Herrschaften mehr über Unbotmäßigkeit, Mangel an Ehrerbietung und zunehmende Genußsucht, als über Unfleiß der Dienstboten, so hören wir die letzteren mehr über zu weitgehende Be- schränkung der Selbständigkeit, über zu geringschätzige Behandlung, als über zu niedrige Löhne oder zu starke Arbeitüberbürdung klagen. Die Rechte, welche sich in klare Vertragsworte fassen lassen, wollen sie den Dienstgebern zugestehen; mehr aber nicht. Befreit von dem Druck, welchen andere Zeiten über ihren Stand verhängten, gefallen sie sich in dem anderen Extrem, und halten sich auch befreit von jedem persönlichen Einflusse Derer, mit denen sie doch unter einem Dache wohnen, von dem gleichen Mahle zehren. Freilich -- es ist ein schwer definirbares Verhältniß, welches der Dienstmiethvertrag im wirthschaftlichen und sittlichen Jnteresse beider Theile schaffen soll. Jn seiner Grundlage und seiner eigentlichen Bestimmung nach ist das Verhältniß ohne Zweifel ein wirthschaftliches. Es beruht auf Leistung und Gegenleistung. Aber keine andere wirthschaftliche Leistung und Gegenleistung erfordern so sehr, damit beiden Theilen gedient sei, die Mitwirkung der ganzen Persönlichkeit. Dies liegt zwar über- haupt im Charakter jeder persönlichen Dienstleistung. Aber die dauernde persönliche Nähe und die dadurch herbeigeführte nothgedrun- gene gegenseitige Theilnahme an allen persönlichen Erlebnissen, wie sie in dem Verhältniß zwischen Herrschaft und Dienstboten zu Tage tritt, stellt noch ihre ganz besonderen Anforderungen. Selbst vom streng wirthschaftlichen Gesichtspunkte erfordert das Verhältniß, wenn es für beide Theile statt einer Qual vielmehr ein Segen sein soll, von beiden Seiten Leistungen, welche sonst nirgends Gegenstand des Handels zu sein pflegen. Auf welchem Wege nun werden wir uns am ersten aus jenem Zustande befreien können, der uns das Dasein so oft verbittert, der den Frieden des Hauses so oft in Krieg, das häusliche Behagen so oft in allgemeine Verstimmung verwandelt? Sehr mit Unrecht, aber immer auf's Neue wieder, erwarten wir, einmal gewöhnt, die Staatsgewalt als ein Stück Vorsehung zu betrachten, die Vermittelung von dem Gesetz. Zwar ist jedem Civil- gesetzbuch ein Abschnitt über den Dienstmiethvertrag, oder den Dienst- verding unerläßlich. Aber diese Bestimmungen sind es nicht, auf deren Einführung, wo sie fehlen sollten, oder auf deren Vervollstän- digung, wo sie bereits vorhanden sind, man dringt. Man verlangt nichts Geringeres, als daß das Gesetz neben den rechtlichen auch die sittlichen Pflichten beiden Theilen erzwingbar mache. Jn der großen und allgemein tief einschneidenden Noth ist man auf den Gedanken gekommen, Vereine zur Besserung von Dienstboten zu gründen. Wenn ich von solchen Plänen vernehme, fällt mir immer jener sächsische Bauer ein, der, als der Herr Graf X. im landwirthschaftlichen Verein zu Y. den Vorschlag zur Begründung einer Gesellschaft zur Verbesserung des Gesindes machte, erwiderte, daß er sich diesem Vorschlage zwar nicht widersetzen wolle, aber dann auch darauf dringen müsse, daß man gleichzeitig einen Verein zur Besserung der Herrschaften gründe. Die Besserung in der That ist auf beiden Seiten nöthig. Er- ziehen zu einem tüchtigen Dienstboten kann man Jemanden nur, indem man ihn zu einem tüchtigen Menschen erzieht, und Haus- frauen, in weitaus den meisten Fällen doch die eigentliche Gegenpart im Dienstmiethvertrage, lassen sich auch für die aus diesem Vertrage ihnen erwachsenen Pflichten nicht durch besondere künstliche Veranstal- tungen vorbereiten. So ständen wir also vor einer hauswirthschaftlichen Zeitfrage, die zur Zeit noch jeder Lösung spottet? So wären wir also verur- theilt, noch auf ganz unabsehbare Frist zu seufzen unter dem Drucke der Dienstbotennoth, unter der Unbehaglichkeit jenes Uebergangszu- standes aus dem patriarchalischen in das wirthschaftlich fundamentirte neue Rechtsverhältniß? Um ein Universalmittel zur Heilung jenes allgemeinen und so tief empfundenen Leidens sehen wir allerdings auch Diejenigen ver- legen, die sich am eingehendsten mit diesem Theile der ökonomischen Pathologie und Therapie beschäftigt haben. Aber das Leiden wird doch um so erträglicher werden, je mehr man sich klar macht, daß, was den Hauptbetheiligten als Leiden er- scheint, zum größten Theile nur Symptom einer naturnothwendigen Entwickelungsphase ist. Diese Klarheit an sich schon gibt ein Er- leichterungsmittel an die Hand. Wer die Berechtigung des Ver- langens nach einer besseren äußeren Situation auf Seiten der Dienst- boten willig anerkennt, und dieses Anerkenntniß zweckmäßig bethätigt, wird schon daraus manche Befriedigung schöpfen. Bliebe wirklich in dieser Richtung nicht unendlich viel zu thun

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 669. Frankfurt a. M., 25. Februar 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0669_1870/1>, abgerufen am 18.04.2024.