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Der Arbeitgeber. Nr. 667. Frankfurt (Hessen), 11. Februar 1870.

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[Spaltenumbruch] dron Reiterei; dieselben waren waffentüchtig und standen unter er-
wähltem Anführer.

Durch ein System strenger Bevormundung und allseitiger Auf-
sicht waren die Thätigkeiten der Einzelnen geregelt.

Die vollkommenste Gleichheit war hergestellt in Kleidung, Nah-
rung und Arbeit; 2--3mal in der Woche gab es Fleisch; die Kleider
wurden nach Bedürfniß ausgetheilt, nur die Magistratspersonen er-
hielten bei kirchlichen Festen als Zeichen ihrer Würde einen Stock
und bessere Kleider.

Der Geistliche wies jedem das Stück Feld an, das er bebauen
sollte und bestimmte es genau nach Größe und Lage; die Weiber,
Knaben und Mädchen erhielten ihr bestimmtes Gewicht Baumwolle
zu spinnen. Die Arbeitszeit des Vormittags und Nachmittags war
fest bestimmt; Mittags genossen sie eine zweistündige Pause; mit
Gottesdienst wurde jede Arbeit begonnen. Nach dem Glockenschlag
wurde gegessen und getrunken, geschlafen und gebetet ec.

Anfangs gab es in den Missionen gar kein Privateigenthum;
alle Arbeit wie alle Speise, Kleidung und Werkzeuge wurden jedem
Einzelnen zugetheilt; später wurde jeder Familie ein Stück Land zu-
gewiesen, das sie an den drei letzten Wochentagen zu bearbeiten
hatten; die drei ersten waren zum Anbau der Gemeindeländereien
bestimmt, deren Ertrag in die Magazine floß, aus welchen sämmtliche
Ausgaben für das Allgemeine bestritten wurden.

Mit den Vorräthen des Magazins wurde Alles eingekauft,
dessen man von Auswärts bedurfte; die Missionäre waren die ein-
zigen, unverantwortlichen Verwalter des Gemeindevermögens, so mag
es gekommen sein, daß ein großer Theil für Pracht und Glanz der
Kirche verwandt wurde.

Jn den Magazinen waren aber auch die industriellen Produkte
der Jndianer aufgespeichert. Diese Produkte waren nicht werthlos.
Von den Missionären unterrichtet in allen Handwerken, verfertigten
sie Spitzen, lieferten feine Baumwollezeuge; ja sogar Orgeln und
Uhren wurden von ihnen nach Modellen vorzüglich gebaut; dabei war
die Bienenzucht von nicht geringer Bedeutung.

Ein gewaltiger Waarenschuppen enthielt Felle von Ochsen und
Kühen, die dort in wilden Schwärmen die Weiden bedecken.

Das kostbarste Produkt jedoch war der Paraguay=Thee, der dort
am besten gedeiht. Er ist das unentbehrlichste Lieblingsgetränk der
Brasilianer; welche Bedeutung er hat, beweist die Gefangennehmung
des Botanikers Bonplands durch den späteren Diktator Francia.

Für den Unterhalt der Handwerker, der Wittwen und Waisen,
Alten und Schwachen wurden besondere Felder ausgeschieden. Bettler
und Müssiggänger gab es nicht; Kranke wurden in Krankenhäusern
versorgt, in denen jedoch Aerzte fehlten. Widerspänstige und unor-
dentliche Weiber kamen in ein besonderes Besserungshaus.

Keiner litt Mangel, aber Alle waren arm; jeder arbeitete für
alle, aber keiner konnte durch seine Arbeit mehr erwerben als seinen
Lebensunterhalt. Die schönsten Träume des Sozialismus waren hier
verwirklicht. Wie dieser Staat endete und bis in die neueste Zeit
sich die verderblichen Wirkungen des Systems fortpflanzten, ist bekannt.

Die Jesuiten hatten nicht die Absicht, die Jndianer zu civili-
siren, sondern nur ihre Seelen, wie eine Contrebande, dem Himmel
zuzuführen, auf Erden sie aber praktisch nützlich zu machen, sei es
zum Vortheil des Ordens und ihrer Kirche oder der spanischen Krone.

So haben sie die Jndianer zwar friedlicher gemacht und zu ge-
duldigen Lastthieren umgeschaffen, aber nicht zu Menschen erzogen;
denn Abrichtung im Beten und Arbeiten ist keine Erziehung; eben
so wenig wie das absichtliche Halten ihrer Zöglinge in voller Un-
mündigkeit. Dadurch daß sie die Jndianer aller eigenen Energie
beraubt, haben sie diese geistig stumpfer gemacht, als sie schon vor-
her waren.

Eine Gewöhnung zu unfreiwilliger Arbeit für fremde Zwecke
und eine sorgenfreie Existenz sind keine Entschädigung für die Ver-
nichtung jeder eigenen selbstständigen Lebensregung; der Mißbrauch
geistiger Ueberlegenheit ist nicht weniger verwerflich als der Mißbrauch
der physischen Gewalt, die der Herr über Sklaven hat!

* Volkswirthschaftlicher Kongreß. Am 10. Februar trat in
Berlin die ständige Deputation des Volkswirthschaftlichen Kongresses
zusammen, um über Ort und Zeit des nächsten Kongresses zu
berathen.

[Spaltenumbruch]

* Volksvermögen. Das Volksvermögen Nordamerika's wird
auf 23,400,000,000 Dollars geschätzt, oder 600 Dollars Papier
auf den Kopf, d. h. 3000 Doll. auf die Familie. Die jährliche
Produktion betrug im Jahr 1860: 3,804 Mill. oder 605 Doll.
per Familie, jetzt mag sie wohl auf 6,800 Mill. gewachsen sein oder
auf 1070 Doll. per Familie.

* Der Verein der Wollinteressenten Deutschlands hält am
13. Februar seine erste Versammlung in Berlin ab.

* Einkaufsgenossenschaft. Der Verband der sächsischen Kon-
sumvereine hat ähnlich wie in Mannheim eine Einkaufsgenossenschaft
gegründet.

* Die Association dringt jetzt in die höchsten Kreise. Der
Herzog von Altenburg, der Fürst von Reuß=Gera und der Fürst von
Rudolstadt haben sich, da jeder gern im Besitz eines Hoftheaters sein
möchte, aber nicht die nöthigen Mittel dazu hat, dahin geeinigt,
daß jeder von ihnen einige gute Kräfte für Schauspiel und Oper
dauernd engagirt, mit der Bedingung, daß die so gewonnenen Kräfte
an allen drei Hoftheatern in Gera, Altenburg und Rudolstadt zu
verwenden seien.

* Preßzustände im Königreich Preußen. Die Rheinische
Zeitung hatte seit dem Jahr 1867 nicht weniger als 24 Preß-
prozesse zu bestehen; 11mal wurde sie freigesprochen, 8mal konfiscirt
und 2mal mit Beschlag belegt. Die Staatsanwaltschaft hat es
daher an Eifer nicht fehlen lassen, hat den Betrieb des Blattes durch
Beschlagnahme gestört, hat die Redaktion von ihrem Bureau auf die
Anklagebank citiren lassen -- um im jüngstverflossenen Jahre durch-
weg von Gerichtswegen belehrt zu werden, daß ihr Eifer zu weit
ging. Was sind das für Zustände, die so etwas "auf gesetzlichem
Wege" gestatten!

* Schulwesen. Der Danziger Magistrat hat, wie die "Danz.
Ztg." hört, beschlossen, eine Lehrerin an einer Knabenschule für die
jüngsten Altersklassen anzustellen.

* Schulgeld. Die Frage, ob in Volksschulen Schulgeld zu be-
zahlen ist oder nicht, wurde im verflossenen Monat im Großen Rath
von Basel behandelt. Die Mehrheit entschied sich, entgegen der jetzt
herrschenden Ansicht, für Beibehaltung des Schulgeldes.

* Arbeiter=Angelegenheiten. Man hatte bekanntlich von Seite
der Gegner des Ausstandes in Waldenburg behauptet, derselbe sei
von Berlin aus in Scene gesetzt worden; hauptsächlich hat man
Dr. Hirsch den Vorwurf gemacht, den Ausstand angezettelt und dirigirt
zu haben. Wir haben auf das Grundlose dieser Behauptungen schon
früher hingewiesen. Jetzt veröffentlicht Dr. Hirsch in der Volkszeitung
einen Brief an Harkort, in welchem er den Aufruf an den Walden-
burger Bezirksverein citirt. Jn diesem Aufruf heißt es: "Dagegen
erkläre ich, Euch eine allgemeine Arbeitseinstellung widerrathen zu
müssen. Jch gehöre nicht zu der Partei, die darauf ausgeht, Tausende
von mittellosen Arbeitern in den Strike hineinzuhetzen, und sie dann,
wie noch vor kurzem in Leipzig, in Hamburg und anderen Orten im
Elend sitzen läßt." Dieselbe Sprache, sagt dann Dr. Hirsch, führten
ich und meine Freunde aus dem Gewerkvereine bis Ende November:
wir wiesen besonders hin auf die gänzlich ungenügenden Mittel, und
erklärten geradezu, daß der Generalrath den Strike auf keinen Fall
unterstützen könne. Jch speziell versuchte noch in den letzten Tagen
des November durch schlesische Abgeordnete und den Fürsten von
Pleß auf dem Wege der Vermittlung die Katastrophe zu verhüten.
Aber die Massen waren nicht zu halten -- zu gut hatten es die
Herrn Grubenbesitzer und Beamten verstanden, die Gemüther bis zum
Aeußersten zu erregen.

-- Die Arbeiter der Baumwollspinnerei von Thomas Taylor
und Brothers in Wigar haben, 3000 an Zahl, die Arbeit einge-
stellt, nachdem eine Forderung, die vor kurzer Zeit erfolgte Herab-
setzung der Löhne von 10 pCt. rückgängig zu machen, von den Arbeit-
gebern abschlägig beschieden worden war.

-- Der Verband der Bergleute von Lancashire, Cheshire
und Nordwales hat den Bergwerksbesitzern erklärt, daß seine Mit-
glieder vom April ab nur noch 8 Stunden pro Tag arbeiten werden.
Ob die Grubenbesitzer sich willig fügen werden, ist noch zweifelhaft,
so daß es nicht unmöglich ist, circa 40,000 Verbandsmitglieder die
Arbeit einstellen zu sehen.

-- Jm nordenglischen Eisenbezirke haben etwa 1500 Ar-
beiter die Arbeit eingestellt, weil ihnen eine geforderte Erhöhung der
Lohnsätze um 2 Pence per Tonne verweigert worden war.

[Spaltenumbruch] dron Reiterei; dieselben waren waffentüchtig und standen unter er-
wähltem Anführer.

Durch ein System strenger Bevormundung und allseitiger Auf-
sicht waren die Thätigkeiten der Einzelnen geregelt.

Die vollkommenste Gleichheit war hergestellt in Kleidung, Nah-
rung und Arbeit; 2--3mal in der Woche gab es Fleisch; die Kleider
wurden nach Bedürfniß ausgetheilt, nur die Magistratspersonen er-
hielten bei kirchlichen Festen als Zeichen ihrer Würde einen Stock
und bessere Kleider.

Der Geistliche wies jedem das Stück Feld an, das er bebauen
sollte und bestimmte es genau nach Größe und Lage; die Weiber,
Knaben und Mädchen erhielten ihr bestimmtes Gewicht Baumwolle
zu spinnen. Die Arbeitszeit des Vormittags und Nachmittags war
fest bestimmt; Mittags genossen sie eine zweistündige Pause; mit
Gottesdienst wurde jede Arbeit begonnen. Nach dem Glockenschlag
wurde gegessen und getrunken, geschlafen und gebetet ec.

Anfangs gab es in den Missionen gar kein Privateigenthum;
alle Arbeit wie alle Speise, Kleidung und Werkzeuge wurden jedem
Einzelnen zugetheilt; später wurde jeder Familie ein Stück Land zu-
gewiesen, das sie an den drei letzten Wochentagen zu bearbeiten
hatten; die drei ersten waren zum Anbau der Gemeindeländereien
bestimmt, deren Ertrag in die Magazine floß, aus welchen sämmtliche
Ausgaben für das Allgemeine bestritten wurden.

Mit den Vorräthen des Magazins wurde Alles eingekauft,
dessen man von Auswärts bedurfte; die Missionäre waren die ein-
zigen, unverantwortlichen Verwalter des Gemeindevermögens, so mag
es gekommen sein, daß ein großer Theil für Pracht und Glanz der
Kirche verwandt wurde.

Jn den Magazinen waren aber auch die industriellen Produkte
der Jndianer aufgespeichert. Diese Produkte waren nicht werthlos.
Von den Missionären unterrichtet in allen Handwerken, verfertigten
sie Spitzen, lieferten feine Baumwollezeuge; ja sogar Orgeln und
Uhren wurden von ihnen nach Modellen vorzüglich gebaut; dabei war
die Bienenzucht von nicht geringer Bedeutung.

Ein gewaltiger Waarenschuppen enthielt Felle von Ochsen und
Kühen, die dort in wilden Schwärmen die Weiden bedecken.

Das kostbarste Produkt jedoch war der Paraguay=Thee, der dort
am besten gedeiht. Er ist das unentbehrlichste Lieblingsgetränk der
Brasilianer; welche Bedeutung er hat, beweist die Gefangennehmung
des Botanikers Bonplands durch den späteren Diktator Francia.

Für den Unterhalt der Handwerker, der Wittwen und Waisen,
Alten und Schwachen wurden besondere Felder ausgeschieden. Bettler
und Müssiggänger gab es nicht; Kranke wurden in Krankenhäusern
versorgt, in denen jedoch Aerzte fehlten. Widerspänstige und unor-
dentliche Weiber kamen in ein besonderes Besserungshaus.

Keiner litt Mangel, aber Alle waren arm; jeder arbeitete für
alle, aber keiner konnte durch seine Arbeit mehr erwerben als seinen
Lebensunterhalt. Die schönsten Träume des Sozialismus waren hier
verwirklicht. Wie dieser Staat endete und bis in die neueste Zeit
sich die verderblichen Wirkungen des Systems fortpflanzten, ist bekannt.

Die Jesuiten hatten nicht die Absicht, die Jndianer zu civili-
siren, sondern nur ihre Seelen, wie eine Contrebande, dem Himmel
zuzuführen, auf Erden sie aber praktisch nützlich zu machen, sei es
zum Vortheil des Ordens und ihrer Kirche oder der spanischen Krone.

So haben sie die Jndianer zwar friedlicher gemacht und zu ge-
duldigen Lastthieren umgeschaffen, aber nicht zu Menschen erzogen;
denn Abrichtung im Beten und Arbeiten ist keine Erziehung; eben
so wenig wie das absichtliche Halten ihrer Zöglinge in voller Un-
mündigkeit. Dadurch daß sie die Jndianer aller eigenen Energie
beraubt, haben sie diese geistig stumpfer gemacht, als sie schon vor-
her waren.

Eine Gewöhnung zu unfreiwilliger Arbeit für fremde Zwecke
und eine sorgenfreie Existenz sind keine Entschädigung für die Ver-
nichtung jeder eigenen selbstständigen Lebensregung; der Mißbrauch
geistiger Ueberlegenheit ist nicht weniger verwerflich als der Mißbrauch
der physischen Gewalt, die der Herr über Sklaven hat!

* Volkswirthschaftlicher Kongreß. Am 10. Februar trat in
Berlin die ständige Deputation des Volkswirthschaftlichen Kongresses
zusammen, um über Ort und Zeit des nächsten Kongresses zu
berathen.

[Spaltenumbruch]

* Volksvermögen. Das Volksvermögen Nordamerika's wird
auf 23,400,000,000 Dollars geschätzt, oder 600 Dollars Papier
auf den Kopf, d. h. 3000 Doll. auf die Familie. Die jährliche
Produktion betrug im Jahr 1860: 3,804 Mill. oder 605 Doll.
per Familie, jetzt mag sie wohl auf 6,800 Mill. gewachsen sein oder
auf 1070 Doll. per Familie.

* Der Verein der Wollinteressenten Deutschlands hält am
13. Februar seine erste Versammlung in Berlin ab.

* Einkaufsgenossenschaft. Der Verband der sächsischen Kon-
sumvereine hat ähnlich wie in Mannheim eine Einkaufsgenossenschaft
gegründet.

* Die Association dringt jetzt in die höchsten Kreise. Der
Herzog von Altenburg, der Fürst von Reuß=Gera und der Fürst von
Rudolstadt haben sich, da jeder gern im Besitz eines Hoftheaters sein
möchte, aber nicht die nöthigen Mittel dazu hat, dahin geeinigt,
daß jeder von ihnen einige gute Kräfte für Schauspiel und Oper
dauernd engagirt, mit der Bedingung, daß die so gewonnenen Kräfte
an allen drei Hoftheatern in Gera, Altenburg und Rudolstadt zu
verwenden seien.

* Preßzustände im Königreich Preußen. Die Rheinische
Zeitung hatte seit dem Jahr 1867 nicht weniger als 24 Preß-
prozesse zu bestehen; 11mal wurde sie freigesprochen, 8mal konfiscirt
und 2mal mit Beschlag belegt. Die Staatsanwaltschaft hat es
daher an Eifer nicht fehlen lassen, hat den Betrieb des Blattes durch
Beschlagnahme gestört, hat die Redaktion von ihrem Bureau auf die
Anklagebank citiren lassen -- um im jüngstverflossenen Jahre durch-
weg von Gerichtswegen belehrt zu werden, daß ihr Eifer zu weit
ging. Was sind das für Zustände, die so etwas „auf gesetzlichem
Wege“ gestatten!

* Schulwesen. Der Danziger Magistrat hat, wie die „Danz.
Ztg.“ hört, beschlossen, eine Lehrerin an einer Knabenschule für die
jüngsten Altersklassen anzustellen.

* Schulgeld. Die Frage, ob in Volksschulen Schulgeld zu be-
zahlen ist oder nicht, wurde im verflossenen Monat im Großen Rath
von Basel behandelt. Die Mehrheit entschied sich, entgegen der jetzt
herrschenden Ansicht, für Beibehaltung des Schulgeldes.

* Arbeiter=Angelegenheiten. Man hatte bekanntlich von Seite
der Gegner des Ausstandes in Waldenburg behauptet, derselbe sei
von Berlin aus in Scene gesetzt worden; hauptsächlich hat man
Dr. Hirsch den Vorwurf gemacht, den Ausstand angezettelt und dirigirt
zu haben. Wir haben auf das Grundlose dieser Behauptungen schon
früher hingewiesen. Jetzt veröffentlicht Dr. Hirsch in der Volkszeitung
einen Brief an Harkort, in welchem er den Aufruf an den Walden-
burger Bezirksverein citirt. Jn diesem Aufruf heißt es: „Dagegen
erkläre ich, Euch eine allgemeine Arbeitseinstellung widerrathen zu
müssen. Jch gehöre nicht zu der Partei, die darauf ausgeht, Tausende
von mittellosen Arbeitern in den Strike hineinzuhetzen, und sie dann,
wie noch vor kurzem in Leipzig, in Hamburg und anderen Orten im
Elend sitzen läßt.“ Dieselbe Sprache, sagt dann Dr. Hirsch, führten
ich und meine Freunde aus dem Gewerkvereine bis Ende November:
wir wiesen besonders hin auf die gänzlich ungenügenden Mittel, und
erklärten geradezu, daß der Generalrath den Strike auf keinen Fall
unterstützen könne. Jch speziell versuchte noch in den letzten Tagen
des November durch schlesische Abgeordnete und den Fürsten von
Pleß auf dem Wege der Vermittlung die Katastrophe zu verhüten.
Aber die Massen waren nicht zu halten -- zu gut hatten es die
Herrn Grubenbesitzer und Beamten verstanden, die Gemüther bis zum
Aeußersten zu erregen.

-- Die Arbeiter der Baumwollspinnerei von Thomas Taylor
und Brothers in Wigar haben, 3000 an Zahl, die Arbeit einge-
stellt, nachdem eine Forderung, die vor kurzer Zeit erfolgte Herab-
setzung der Löhne von 10 pCt. rückgängig zu machen, von den Arbeit-
gebern abschlägig beschieden worden war.

-- Der Verband der Bergleute von Lancashire, Cheshire
und Nordwales hat den Bergwerksbesitzern erklärt, daß seine Mit-
glieder vom April ab nur noch 8 Stunden pro Tag arbeiten werden.
Ob die Grubenbesitzer sich willig fügen werden, ist noch zweifelhaft,
so daß es nicht unmöglich ist, circa 40,000 Verbandsmitglieder die
Arbeit einstellen zu sehen.

-- Jm nordenglischen Eisenbezirke haben etwa 1500 Ar-
beiter die Arbeit eingestellt, weil ihnen eine geforderte Erhöhung der
Lohnsätze um 2 Pence per Tonne verweigert worden war.

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[0003] dron Reiterei; dieselben waren waffentüchtig und standen unter er- wähltem Anführer. Durch ein System strenger Bevormundung und allseitiger Auf- sicht waren die Thätigkeiten der Einzelnen geregelt. Die vollkommenste Gleichheit war hergestellt in Kleidung, Nah- rung und Arbeit; 2--3mal in der Woche gab es Fleisch; die Kleider wurden nach Bedürfniß ausgetheilt, nur die Magistratspersonen er- hielten bei kirchlichen Festen als Zeichen ihrer Würde einen Stock und bessere Kleider. Der Geistliche wies jedem das Stück Feld an, das er bebauen sollte und bestimmte es genau nach Größe und Lage; die Weiber, Knaben und Mädchen erhielten ihr bestimmtes Gewicht Baumwolle zu spinnen. Die Arbeitszeit des Vormittags und Nachmittags war fest bestimmt; Mittags genossen sie eine zweistündige Pause; mit Gottesdienst wurde jede Arbeit begonnen. Nach dem Glockenschlag wurde gegessen und getrunken, geschlafen und gebetet ec. Anfangs gab es in den Missionen gar kein Privateigenthum; alle Arbeit wie alle Speise, Kleidung und Werkzeuge wurden jedem Einzelnen zugetheilt; später wurde jeder Familie ein Stück Land zu- gewiesen, das sie an den drei letzten Wochentagen zu bearbeiten hatten; die drei ersten waren zum Anbau der Gemeindeländereien bestimmt, deren Ertrag in die Magazine floß, aus welchen sämmtliche Ausgaben für das Allgemeine bestritten wurden. Mit den Vorräthen des Magazins wurde Alles eingekauft, dessen man von Auswärts bedurfte; die Missionäre waren die ein- zigen, unverantwortlichen Verwalter des Gemeindevermögens, so mag es gekommen sein, daß ein großer Theil für Pracht und Glanz der Kirche verwandt wurde. Jn den Magazinen waren aber auch die industriellen Produkte der Jndianer aufgespeichert. Diese Produkte waren nicht werthlos. Von den Missionären unterrichtet in allen Handwerken, verfertigten sie Spitzen, lieferten feine Baumwollezeuge; ja sogar Orgeln und Uhren wurden von ihnen nach Modellen vorzüglich gebaut; dabei war die Bienenzucht von nicht geringer Bedeutung. Ein gewaltiger Waarenschuppen enthielt Felle von Ochsen und Kühen, die dort in wilden Schwärmen die Weiden bedecken. Das kostbarste Produkt jedoch war der Paraguay=Thee, der dort am besten gedeiht. Er ist das unentbehrlichste Lieblingsgetränk der Brasilianer; welche Bedeutung er hat, beweist die Gefangennehmung des Botanikers Bonplands durch den späteren Diktator Francia. Für den Unterhalt der Handwerker, der Wittwen und Waisen, Alten und Schwachen wurden besondere Felder ausgeschieden. Bettler und Müssiggänger gab es nicht; Kranke wurden in Krankenhäusern versorgt, in denen jedoch Aerzte fehlten. Widerspänstige und unor- dentliche Weiber kamen in ein besonderes Besserungshaus. Keiner litt Mangel, aber Alle waren arm; jeder arbeitete für alle, aber keiner konnte durch seine Arbeit mehr erwerben als seinen Lebensunterhalt. Die schönsten Träume des Sozialismus waren hier verwirklicht. Wie dieser Staat endete und bis in die neueste Zeit sich die verderblichen Wirkungen des Systems fortpflanzten, ist bekannt. Die Jesuiten hatten nicht die Absicht, die Jndianer zu civili- siren, sondern nur ihre Seelen, wie eine Contrebande, dem Himmel zuzuführen, auf Erden sie aber praktisch nützlich zu machen, sei es zum Vortheil des Ordens und ihrer Kirche oder der spanischen Krone. So haben sie die Jndianer zwar friedlicher gemacht und zu ge- duldigen Lastthieren umgeschaffen, aber nicht zu Menschen erzogen; denn Abrichtung im Beten und Arbeiten ist keine Erziehung; eben so wenig wie das absichtliche Halten ihrer Zöglinge in voller Un- mündigkeit. Dadurch daß sie die Jndianer aller eigenen Energie beraubt, haben sie diese geistig stumpfer gemacht, als sie schon vor- her waren. Eine Gewöhnung zu unfreiwilliger Arbeit für fremde Zwecke und eine sorgenfreie Existenz sind keine Entschädigung für die Ver- nichtung jeder eigenen selbstständigen Lebensregung; der Mißbrauch geistiger Ueberlegenheit ist nicht weniger verwerflich als der Mißbrauch der physischen Gewalt, die der Herr über Sklaven hat! * Volkswirthschaftlicher Kongreß. Am 10. Februar trat in Berlin die ständige Deputation des Volkswirthschaftlichen Kongresses zusammen, um über Ort und Zeit des nächsten Kongresses zu berathen. * Volksvermögen. Das Volksvermögen Nordamerika's wird auf 23,400,000,000 Dollars geschätzt, oder 600 Dollars Papier auf den Kopf, d. h. 3000 Doll. auf die Familie. Die jährliche Produktion betrug im Jahr 1860: 3,804 Mill. oder 605 Doll. per Familie, jetzt mag sie wohl auf 6,800 Mill. gewachsen sein oder auf 1070 Doll. per Familie. * Der Verein der Wollinteressenten Deutschlands hält am 13. Februar seine erste Versammlung in Berlin ab. * Einkaufsgenossenschaft. Der Verband der sächsischen Kon- sumvereine hat ähnlich wie in Mannheim eine Einkaufsgenossenschaft gegründet. * Die Association dringt jetzt in die höchsten Kreise. Der Herzog von Altenburg, der Fürst von Reuß=Gera und der Fürst von Rudolstadt haben sich, da jeder gern im Besitz eines Hoftheaters sein möchte, aber nicht die nöthigen Mittel dazu hat, dahin geeinigt, daß jeder von ihnen einige gute Kräfte für Schauspiel und Oper dauernd engagirt, mit der Bedingung, daß die so gewonnenen Kräfte an allen drei Hoftheatern in Gera, Altenburg und Rudolstadt zu verwenden seien. * Preßzustände im Königreich Preußen. Die Rheinische Zeitung hatte seit dem Jahr 1867 nicht weniger als 24 Preß- prozesse zu bestehen; 11mal wurde sie freigesprochen, 8mal konfiscirt und 2mal mit Beschlag belegt. Die Staatsanwaltschaft hat es daher an Eifer nicht fehlen lassen, hat den Betrieb des Blattes durch Beschlagnahme gestört, hat die Redaktion von ihrem Bureau auf die Anklagebank citiren lassen -- um im jüngstverflossenen Jahre durch- weg von Gerichtswegen belehrt zu werden, daß ihr Eifer zu weit ging. Was sind das für Zustände, die so etwas „auf gesetzlichem Wege“ gestatten! * Schulwesen. Der Danziger Magistrat hat, wie die „Danz. Ztg.“ hört, beschlossen, eine Lehrerin an einer Knabenschule für die jüngsten Altersklassen anzustellen. * Schulgeld. Die Frage, ob in Volksschulen Schulgeld zu be- zahlen ist oder nicht, wurde im verflossenen Monat im Großen Rath von Basel behandelt. Die Mehrheit entschied sich, entgegen der jetzt herrschenden Ansicht, für Beibehaltung des Schulgeldes. * Arbeiter=Angelegenheiten. Man hatte bekanntlich von Seite der Gegner des Ausstandes in Waldenburg behauptet, derselbe sei von Berlin aus in Scene gesetzt worden; hauptsächlich hat man Dr. Hirsch den Vorwurf gemacht, den Ausstand angezettelt und dirigirt zu haben. Wir haben auf das Grundlose dieser Behauptungen schon früher hingewiesen. Jetzt veröffentlicht Dr. Hirsch in der Volkszeitung einen Brief an Harkort, in welchem er den Aufruf an den Walden- burger Bezirksverein citirt. Jn diesem Aufruf heißt es: „Dagegen erkläre ich, Euch eine allgemeine Arbeitseinstellung widerrathen zu müssen. Jch gehöre nicht zu der Partei, die darauf ausgeht, Tausende von mittellosen Arbeitern in den Strike hineinzuhetzen, und sie dann, wie noch vor kurzem in Leipzig, in Hamburg und anderen Orten im Elend sitzen läßt.“ Dieselbe Sprache, sagt dann Dr. Hirsch, führten ich und meine Freunde aus dem Gewerkvereine bis Ende November: wir wiesen besonders hin auf die gänzlich ungenügenden Mittel, und erklärten geradezu, daß der Generalrath den Strike auf keinen Fall unterstützen könne. Jch speziell versuchte noch in den letzten Tagen des November durch schlesische Abgeordnete und den Fürsten von Pleß auf dem Wege der Vermittlung die Katastrophe zu verhüten. Aber die Massen waren nicht zu halten -- zu gut hatten es die Herrn Grubenbesitzer und Beamten verstanden, die Gemüther bis zum Aeußersten zu erregen. -- Die Arbeiter der Baumwollspinnerei von Thomas Taylor und Brothers in Wigar haben, 3000 an Zahl, die Arbeit einge- stellt, nachdem eine Forderung, die vor kurzer Zeit erfolgte Herab- setzung der Löhne von 10 pCt. rückgängig zu machen, von den Arbeit- gebern abschlägig beschieden worden war. -- Der Verband der Bergleute von Lancashire, Cheshire und Nordwales hat den Bergwerksbesitzern erklärt, daß seine Mit- glieder vom April ab nur noch 8 Stunden pro Tag arbeiten werden. Ob die Grubenbesitzer sich willig fügen werden, ist noch zweifelhaft, so daß es nicht unmöglich ist, circa 40,000 Verbandsmitglieder die Arbeit einstellen zu sehen. -- Jm nordenglischen Eisenbezirke haben etwa 1500 Ar- beiter die Arbeit eingestellt, weil ihnen eine geforderte Erhöhung der Lohnsätze um 2 Pence per Tonne verweigert worden war.

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 667. Frankfurt (Hessen), 11. Februar 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0667_1870/3>, abgerufen am 19.04.2024.