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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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stünde, so würde das doch wenig helfen bei Leuten, welche
stets so große Eile haben, sich auf den Standpunkt ihres
"eigenen verständigen Ermessens" zu stellen. Aber habt ihr
denn noch nirgends in der Geschichte und in eurem eigenen
Leben die tiefe Wahrheit jenes Wortes erfahren: "die
Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang
"? Habt ihr
nie gefunden, daß religiöse Sammlung, daß der lebendige
Gedanke an das Dasein eines heiligen Gottes, verbunden
mit dem ernsten Entschluß, dem göttlichen Willen den
menschlichen Eigenwillen unterzuordnen, den Menschen in
allen Fragen, welche sich auf sein inneres Wohl beziehen,
leichter und sicherer das Rechte und Wahre finden läßt als
jeder andere Weg? Und habt ihr nie die Geschichte vom
"babylonischen Thurmbau" gelesen, jenes Baues,
welcher uns als das Werk des menschlichen Hochmuths und
der vermeintlichen Allmacht des Menschen geschildert wird
und von Gott mit einer Sprachverwirrung bestraft
wurde, in welcher Keiner sich mehr mit dem Andern ver-
ständigen konnte? Jst euch denn, während ihr euch in un-
mächtigen Versuchen abmühet, das Staatsgebäude aus eigener
Machtvollkommenheit und Einsicht neu aufzuführen, nie der
Thurmbau zu Babel eingefallen? Jst denn nicht bereits
überall unter den Werkleuten die Begriffs- und Sprachver-
wirrung eine wahrhaft babylonische geworden, so daß sie
sich über nichts Ordentliches mehr verständigen können?

Niemand wird bestreiten, daß die menschliche Erkenntniß
des göttlichen Willens stets eine unvollkommene sein werde.
Wer wird aber diesen göttlichen Willen richtiger erkennen,
Derjenige, welcher von seiner Verpflichtung, nach dieser Er-
kenntniß zu streben, überzeugt ist und darin seine beste

ſtünde, ſo würde das doch wenig helfen bei Leuten, welche
ſtets ſo große Eile haben, ſich auf den Standpunkt ihres
„eigenen verſtändigen Ermeſſens“ zu ſtellen. Aber habt ihr
denn noch nirgends in der Geſchichte und in eurem eigenen
Leben die tiefe Wahrheit jenes Wortes erfahren: „die
Furcht Gottes iſt der Weisheit Anfang
“? Habt ihr
nie gefunden, daß religiöſe Sammlung, daß der lebendige
Gedanke an das Daſein eines heiligen Gottes, verbunden
mit dem ernſten Entſchluß, dem göttlichen Willen den
menſchlichen Eigenwillen unterzuordnen, den Menſchen in
allen Fragen, welche ſich auf ſein inneres Wohl beziehen,
leichter und ſicherer das Rechte und Wahre finden läßt als
jeder andere Weg? Und habt ihr nie die Geſchichte vom
babyloniſchen Thurmbau“ geleſen, jenes Baues,
welcher uns als das Werk des menſchlichen Hochmuths und
der vermeintlichen Allmacht des Menſchen geſchildert wird
und von Gott mit einer Sprachverwirrung beſtraft
wurde, in welcher Keiner ſich mehr mit dem Andern ver-
ſtändigen konnte? Jſt euch denn, während ihr euch in un-
mächtigen Verſuchen abmühet, das Staatsgebäude aus eigener
Machtvollkommenheit und Einſicht neu aufzuführen, nie der
Thurmbau zu Babel eingefallen? Jſt denn nicht bereits
überall unter den Werkleuten die Begriffs- und Sprachver-
wirrung eine wahrhaft babyloniſche geworden, ſo daß ſie
ſich über nichts Ordentliches mehr verſtändigen können?

Niemand wird beſtreiten, daß die menſchliche Erkenntniß
des göttlichen Willens ſtets eine unvollkommene ſein werde.
Wer wird aber dieſen göttlichen Willen richtiger erkennen,
Derjenige, welcher von ſeiner Verpflichtung, nach dieſer Er-
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[18/0024] ſtünde, ſo würde das doch wenig helfen bei Leuten, welche ſtets ſo große Eile haben, ſich auf den Standpunkt ihres „eigenen verſtändigen Ermeſſens“ zu ſtellen. Aber habt ihr denn noch nirgends in der Geſchichte und in eurem eigenen Leben die tiefe Wahrheit jenes Wortes erfahren: „die Furcht Gottes iſt der Weisheit Anfang“? Habt ihr nie gefunden, daß religiöſe Sammlung, daß der lebendige Gedanke an das Daſein eines heiligen Gottes, verbunden mit dem ernſten Entſchluß, dem göttlichen Willen den menſchlichen Eigenwillen unterzuordnen, den Menſchen in allen Fragen, welche ſich auf ſein inneres Wohl beziehen, leichter und ſicherer das Rechte und Wahre finden läßt als jeder andere Weg? Und habt ihr nie die Geſchichte vom „babyloniſchen Thurmbau“ geleſen, jenes Baues, welcher uns als das Werk des menſchlichen Hochmuths und der vermeintlichen Allmacht des Menſchen geſchildert wird und von Gott mit einer Sprachverwirrung beſtraft wurde, in welcher Keiner ſich mehr mit dem Andern ver- ſtändigen konnte? Jſt euch denn, während ihr euch in un- mächtigen Verſuchen abmühet, das Staatsgebäude aus eigener Machtvollkommenheit und Einſicht neu aufzuführen, nie der Thurmbau zu Babel eingefallen? Jſt denn nicht bereits überall unter den Werkleuten die Begriffs- und Sprachver- wirrung eine wahrhaft babyloniſche geworden, ſo daß ſie ſich über nichts Ordentliches mehr verſtändigen können? Niemand wird beſtreiten, daß die menſchliche Erkenntniß des göttlichen Willens ſtets eine unvollkommene ſein werde. Wer wird aber dieſen göttlichen Willen richtiger erkennen, Derjenige, welcher von ſeiner Verpflichtung, nach dieſer Er- kenntniß zu ſtreben, überzeugt iſt und darin ſeine beſte

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/24>, abgerufen am 26.04.2024.