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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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ten, daß die anarchischen Wirkungen jenes Grundsatzes: "es
gibt keine höhere heilige Macht, welcher wir
Ehrfurcht und Gehorsam schuldig wären, es gibt
keinen Willen über dem menschlichen Willen
"
sich nur in Denjenigen äußern, welche mit voller Entschie-
denheit und mit vollem Bewußtsein diesen Grundsatz in sich
tragen. Die Zahl Derjenigen, welche nicht blos mit groß-
sprecherischer Zunge, sondern auch nach ihrer innersten Ueber-
zeugung Gottesleugner sind, ist gewiß viel kleiner als man
oft annimmt. Aber ebenso ist auch ohne Zweifel die Zahl
Derjenigen, in welchen der Glaube an das Dasein eines
heiligen Gottes in voller Kraft wirkt, viel geringer als
es oft scheinen mag; denn so gar Mancher, welcher ein eifri-
ger Vertheidiger strengkirchlicher Ansichten ist, läßt sich in
allen Handlungen seines Lebens nur von menschlicher Klug-
heit, nicht von Gottvertrauen, nur von seinem menschlichen
Eigenwillen, nicht von demüthiger Hingebung an Gottes
Gebot, nur von Menschenfurcht, nicht von Gottesfurcht lei-
ten. Weitaus aber die Meisten tragen weder die eine noch
die andere Ueberzeugung mit einiger Bestimmtheit in sich.
Viele unter diesen ringen wohl redlich nach einer festeren
Ueberzeugung, ohne gleichwohl dahin gelangen zu können,
während bei Anderen, bei sehr Vielen der Gedanke an diese
Fragen überhaupt nur selten auftaucht, nie einen bestim-
menden Einfluß auf ihr Handeln ausübt, so daß bei ihnen
die Gewohnheit, unabhängig von dem Gedanken an einen
höheren heiligen Willen dahinzuleben, vollkommen herrschend
ist. Das ist nun aber gerade jener Standpunkt, welcher
zur Anarchie führt.

Ohne Zweifel wollen nicht Alle, welche -- theoretisch

ten, daß die anarchiſchen Wirkungen jenes Grundſatzes: „es
gibt keine höhere heilige Macht, welcher wir
Ehrfurcht und Gehorſam ſchuldig wären, es gibt
keinen Willen über dem menſchlichen Willen

ſich nur in Denjenigen äußern, welche mit voller Entſchie-
denheit und mit vollem Bewußtſein dieſen Grundſatz in ſich
tragen. Die Zahl Derjenigen, welche nicht blos mit groß-
ſprecheriſcher Zunge, ſondern auch nach ihrer innerſten Ueber-
zeugung Gottesleugner ſind, iſt gewiß viel kleiner als man
oft annimmt. Aber ebenſo iſt auch ohne Zweifel die Zahl
Derjenigen, in welchen der Glaube an das Daſein eines
heiligen Gottes in voller Kraft wirkt, viel geringer als
es oft ſcheinen mag; denn ſo gar Mancher, welcher ein eifri-
ger Vertheidiger ſtrengkirchlicher Anſichten iſt, läßt ſich in
allen Handlungen ſeines Lebens nur von menſchlicher Klug-
heit, nicht von Gottvertrauen, nur von ſeinem menſchlichen
Eigenwillen, nicht von demüthiger Hingebung an Gottes
Gebot, nur von Menſchenfurcht, nicht von Gottesfurcht lei-
ten. Weitaus aber die Meiſten tragen weder die eine noch
die andere Ueberzeugung mit einiger Beſtimmtheit in ſich.
Viele unter dieſen ringen wohl redlich nach einer feſteren
Ueberzeugung, ohne gleichwohl dahin gelangen zu können,
während bei Anderen, bei ſehr Vielen der Gedanke an dieſe
Fragen überhaupt nur ſelten auftaucht, nie einen beſtim-
menden Einfluß auf ihr Handeln ausübt, ſo daß bei ihnen
die Gewohnheit, unabhängig von dem Gedanken an einen
höheren heiligen Willen dahinzuleben, vollkommen herrſchend
iſt. Das iſt nun aber gerade jener Standpunkt, welcher
zur Anarchie führt.

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[15/0021] ten, daß die anarchiſchen Wirkungen jenes Grundſatzes: „es gibt keine höhere heilige Macht, welcher wir Ehrfurcht und Gehorſam ſchuldig wären, es gibt keinen Willen über dem menſchlichen Willen“ ſich nur in Denjenigen äußern, welche mit voller Entſchie- denheit und mit vollem Bewußtſein dieſen Grundſatz in ſich tragen. Die Zahl Derjenigen, welche nicht blos mit groß- ſprecheriſcher Zunge, ſondern auch nach ihrer innerſten Ueber- zeugung Gottesleugner ſind, iſt gewiß viel kleiner als man oft annimmt. Aber ebenſo iſt auch ohne Zweifel die Zahl Derjenigen, in welchen der Glaube an das Daſein eines heiligen Gottes in voller Kraft wirkt, viel geringer als es oft ſcheinen mag; denn ſo gar Mancher, welcher ein eifri- ger Vertheidiger ſtrengkirchlicher Anſichten iſt, läßt ſich in allen Handlungen ſeines Lebens nur von menſchlicher Klug- heit, nicht von Gottvertrauen, nur von ſeinem menſchlichen Eigenwillen, nicht von demüthiger Hingebung an Gottes Gebot, nur von Menſchenfurcht, nicht von Gottesfurcht lei- ten. Weitaus aber die Meiſten tragen weder die eine noch die andere Ueberzeugung mit einiger Beſtimmtheit in ſich. Viele unter dieſen ringen wohl redlich nach einer feſteren Ueberzeugung, ohne gleichwohl dahin gelangen zu können, während bei Anderen, bei ſehr Vielen der Gedanke an dieſe Fragen überhaupt nur ſelten auftaucht, nie einen beſtim- menden Einfluß auf ihr Handeln ausübt, ſo daß bei ihnen die Gewohnheit, unabhängig von dem Gedanken an einen höheren heiligen Willen dahinzuleben, vollkommen herrſchend iſt. Das iſt nun aber gerade jener Standpunkt, welcher zur Anarchie führt. Ohne Zweifel wollen nicht Alle, welche — theoretiſch

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/21>, abgerufen am 26.04.2024.