Allgemeine Zeitung, Nr. 99, 9. April 1849.[Spaltenumbruch]
sich geladen hatte, das Mögliche geschehen um einen Ausgleich einzuleiten. Berlin, 5 April. In der gestrigen Nachmittagssitzung der Die Kaiserkurdeputation der deutschen Nationalversammlung hat Ber- [Spaltenumbruch]
ſich geladen hatte, das Mögliche geſchehen um einen Ausgleich einzuleiten. ☿ Berlin, 5 April. In der geſtrigen Nachmittagsſitzung der Die Kaiſerkurdeputation der deutſchen Nationalverſammlung hat Ber- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="1515"/><cb/> ſich geladen hatte, das Mögliche geſchehen um einen Ausgleich einzuleiten.<lb/> Was des Prinzen ſtarker Wille, was der Prinzeſſin deutſches Gemüth zur<lb/> Begütigung perſönlich gethan, kann nicht in die Wagſchale fallen; ſelbſt<lb/> des Prinzen ernſte feſte Zuſicherung, man dürfe des Königs Wort nicht<lb/> als ein letztes, könne es nur ein erſtes anſehen, läßt bedauern daß damit<lb/> eben im entſcheidenden Moment die große Wendung nicht feſtgeſtellt wurde.<lb/> Die Deputation der Vertreter des deutſchen Volkes hätte entweder eine be-<lb/> ſtimmte Annahme, oder eine beſtimmte Ablehnung gewünſcht. Daß für<lb/> den erſten Fall die Zuſtimmung der Fürſten einbedungen, ſtand zu erwar-<lb/> ten. Für den zweiten Fall war die Note Bülows, welche bereits auf eine<lb/> andere Geſtaltung der Oberhauptsfrage hinwies, die Grundlage um zu ei-<lb/> nem Directorium in Sachen Deutſchlands zu ſchreiten. Statt deſſen wird<lb/> mit aller Anerkennung des Vertrauens eine feierliche Verſicherung gegeben<lb/> daß Preußen auch ohne den beſtimmten „Ruf“ der Schirm Deutſchlands ſeyn<lb/> und bleiben werde, von der Berathung der Fürſten abhängig gemacht ob<lb/> der König mit den Rechten die man ihm als Oberhaupt Deutſchlands zu-<lb/> geſtehe, im Stande ſeyn könne die Einheit des Vaterlandes „mit ſtarker<lb/> Hand“ aufzubauen. Dieß kann nicht auf die allgemeine directe Wahl gerichtet<lb/> ſeyn. Hierüber würde kein Fürſten-, kein Regierungs congreß zu entſcheiden<lb/> haben. Iſt das ſuspenſive Veto damit gemeint? Die Räthe der preußiſchen<lb/> Krone ſollten darüber im klaren ſeyn. Sind ſie der Sache nicht gewachſen?<lb/> Es ſcheint faſt. Fühlen ſie nicht deutſch genug, um zu begreifen daß an der Ant-<lb/> wort die ſie dem König dictirt, das Schickſal Deutſchlands hing? Die Worte<lb/> des Königs ſind aber vielleicht weit mehr der Ausdruck ſeiner eignen Ueber-<lb/> zeugung; ſie ſtehen und fallen nicht mit dem Miniſterium Brandenburg-<lb/> Manteuffel. Die Unſicherheit der Antwort iſt vielleicht eben auch nur<lb/> der Ausdruck der Sachlage, in die auch nur den Schein der Uſurpation<lb/> hineinzutragen Preußen Bedenken hat! Der König nennt ſich noch immer<lb/> „Einer der mächtigſten deutſchen Fürſten.“ Oeſterreich nannte ſich erſt<lb/> neuerdings wieder der mächtigſte deutſche Bundesſtaat. Fürchtet man<lb/> Widerſpruch? Furcht kennt Preußen nicht. Aber es glaubt dem Wider-<lb/> ſpruch vorbeugen zu müſſen. Und ſeine Diplomatie iſt nicht geſchickt ge-<lb/> nug geweſen die Sache zu entwirren. Bülow’s Note ſtellte faſt die Noth-<lb/> wendigkeit eines engeren Deutſchlands hin. (Es fehlt unſers Wiſſens<lb/> dieſer ganz treffenden Erklärung nur der praktiſche Hinweis auf den poli-<lb/> tiſchen Ausbau des Zollvereins.) Arnims Depeſche weist aber die preu-<lb/> ßiſchen Staatsmänner wieder an auf Oeſterreichs Vorſchläge einzugehen.<lb/> Nur in der hieſtgen zweiten Kammer erklärte Graf Arnim, damit ſolle<lb/> und dürfe nicht gemeint ſeyn in der Neugeſtalt des centralen Deutſch-<lb/> lands das Volkshaus beſeitigen zu wollen. Wahrſcheinlich bringen die<lb/> Couriere zwiſchen Wien und Berlin bereits das definitive der Entſchei-<lb/> dung. Leugnen wir nicht daß von dieſem Courierwechſel die Sache ab-<lb/> hängt. So wenig die Oeſterreicher aus der Paulskirche verdrängt werden<lb/> durften, ſo wenig kann dem öſterreichiſchen Hauſe jetzt das letzte Wort ent-<lb/> zogen ſeyn. Oeſterreich muß den jüngeren Bruder, der ſelbſtändig ſeyn<lb/> zu wollen erklärt, jetzt anerkennen, die Emancipation des neuern Deutſch-<lb/> lands proclamiren. Vielleicht find Oeſterreichs Verſuche eine andere<lb/> Wendung der Dinge zu ermöglichen erſchöpft; dann iſt die Zuſage der<lb/> Anerkennung das letzte Wort. Das Recht dazu hat Oeſterreich, auch<lb/> wenn die Nothwendigkeit der Zuſage eine zwingende ſeyn ſollte. Und<lb/> wer die Pietät des Königs für das alte Haus Habsburg kennt, wer die<lb/> ganze Reihe von Hinweiſen aller preußiſchen Fürſten auf den älteren<lb/> Bruderſtamm erwägt, der wird auch in der Haltung des jetzigen Königs<lb/> das Räthſel einer abermals noch halben Antwort auf den Ruf der Nation<lb/> lösbar finden. Eine Einſprache von anderer Seite erkennt Preußen nicht<lb/> an. Der König mahnt an das Schwert ſeines Volks, und dieß erſcheint<lb/> als das einzige Entſchiedene in ſeinen Worten an die Deputation, Deutſch-<lb/> lauds Feinden gegenüber. Oeſterreich aber iſt unſer älterer Bruder.<lb/> Auch unwillig, auch in Groll kann es die Exiſtenz eines jungen Deutſch-<lb/> lands nicht länger leugnen. Der alte ſchneeweiße Arndt iſt in der Ge-<lb/> ſandtſchaft der Paulskirche. Iſt ſein Lied zur Lüge geworden? „Nein,<lb/> nein, mein Vaterland muß größer ſeyn!“ Aber wie? wenn wir zu groß<lb/> geworden wären? Wenn wir bei der Ausweitung der deutſchen Macht einer<lb/> doppelten Concentration bedürften? Mitteleuropa iſt unſer geworden durch<lb/> Oeſterreich. Warum ſoll ſich das Haus nicht abzweigen und mit den<lb/> beiden Firmen und Zweigen, die ohnedieß ſchon ſelbſtändig arbeiteten, zur<lb/> Ehre des gemeinſamen deutſchen Namens eine doppelte Exiſtenz feſt-<lb/> ſtellen?</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <dateline>☿ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 5 April.</dateline><lb/> <p>In der geſtrigen Nachmittagsſitzung der<lb/> zweiten Kammer verlas der Miniſterpräſident die neueſte Circularnote,<lb/> die Ihnen ſchon zugegangen ſeyn wird. Er erhielt von der Rechten ein<lb/> ſchwaches Bravo, auf der Linken wurde laut geziſcht. Dann kam der<lb/> Bucher’ſche Antrag auf die Tagesordnung zur zweiten Abſtimmung. Er<lb/> wurde dießmal mit 148 gegen 146 Stimmen verworfen, dagegen ein An-<lb/> trag von Moritz angenommen der ſo lautet: „Indem die Kammer ſich<lb/><cb/> ausdrücklich dagegen verwahrt daß die Verordnungen vom 2 und 3 Jänner<lb/> (über Gerichtsorganiſation) ohne vorherige Zuſtimmung der Kammern<lb/> erlaſſen werden konnten, und indem ſie das Miniſterium für alle aus<lb/> dieſem verfaſſungswidrigen Verfahren etwa entſtehenden ſchädlichen Fol-<lb/> gen für verantwortlich erklärt, ſowie in Erwägung daß eine Siſtirung<lb/> jener Verordnungen zu neuen Verwicklungen führen würde, geht die<lb/> Kammer zur Tagesordnung über.“ Abends 7 Uhr. Soeben komme ich<lb/> aus der Sitzung der zweiten Kammer, die von 12 Uhr bis jetzt gedauert<lb/> hat. Die Tagesordnung von Moritz wurde bei der zweiten Abſtimmung<lb/> mit 136 gegen 133 Stimmen angenommen. Auf eine Interpellation<lb/> des Abgeordneten Pfücker wegen Regulirung des Oderbruchs antwortete<lb/> der Handelsminiſter daß außer den 100,000 Rthlr. die jährlich für dieſe Re-<lb/> gulirung verwendet würden, noch 100,000 extraordinär bewilligt worden<lb/> ſeyen; daß aber die völlige Reinigung der Oder jetzt nicht erzielt werden<lb/> könne, weil ſie vierthalb Millionen koſten würde, die jetzt zu dieſem Zwecke<lb/> nicht zur Verſügung ſtänden. Dann las Vincke den Vericht der Commiſ-<lb/> ſion über den von ihm geſtellten Antrag auf Erlaß einer zweiten Adreſſe<lb/> an den König vor. Es waren zwei Adreſſen verfaßt worden, von Vincke<lb/> und von Kirchmann, aber keine hatte in der Commiſſion die Majorität er-<lb/> halten, weil das Mitglied Ulrich gegen jede Adreſſe ſich erklärte, und ein-<lb/> mal mit der Linken gegen die Vincke’ſche, dann mit der Rechten gegen die<lb/> Kirchmann’ſche Adreſſe ſtimmte. Vincke hatte unterdeſſen die Ueberzeu-<lb/> gung gewonnen daß nach dem Erlaß der Circularnote eine Adreſſe wie die<lb/> von ihm beabſichtigte nicht mehr am Platze ſey, und einen Antrag auf<lb/> motivirte Tagesordnung geſtellt. Außerdem waren Anträge auf motivirte<lb/> Tagesordnung eingegangen von Waldeck und Genoſſen, von Ulrich und<lb/> von Menzel; und einer auf einfache Tagesordnung von Möller, Schwe-<lb/> rin u. A. Der Antrag von Vincke lautet: „In Erwägung 1) daß die von<lb/> der Regierung Sr. Majeſtät des Königs beſchloſſene <hi rendition="#g">Ablehnung</hi> der<lb/> von der deutſchen Nationalverſammlung Sr. Majeſtät angetragenen Würde<lb/> eines Oberhauptes des deutſchen Reiches das Zuſtandekommen des deut-<lb/> ſchen Verfaſſungswerkes auf eine ferne und ungewiſſe Zukunft verſchiebt<lb/> und Deutſchland wie Preußen der bedenklichſten Lage entgegenzuführen<lb/> droht, 2) daß aber, nachdem einmal durch die der Kammer mitgetheilte<lb/> Circularnote vom 3 d. M. die Erklärungen der einzelnen deutſchen Re-<lb/> gierungen, mit Anberaumung einer Friſt von 14 Tagen erfordert ſind,<lb/> der Ablauf dieſes Zeitraums zuvörderſt abgewartet werden muß, um die<lb/> durch dieſe Note jenen Regierungen gegenüber eingegangenen Verbindlich-<lb/> keiten nicht zu verletzen, geht die Kammer über den Antrag der Abgeord-<lb/> neten Vincke und Genoſſen <hi rendition="#g">für jetzt</hi> zur Tagesordnung über.“ Dagegen<lb/> lautet der Antrag von Waldeck und der äußerſten Linken ſehr charakteri-<lb/> ſtiſch ſo: „In Erwägung daß die Einheit der deutſchen Volksſtämme nur<lb/> dann einen Werth hat wenn zugleich die in der Revolution erkämpfte Frei-<lb/> heit zur vollen Geltung gelangt; daß eine ſolche deutſche Einheit bei der<lb/> freiheitsfeindlichen Politik welche das gegenwärtige Miniſterium, ſowohl<lb/> in der deutſchen Angelegenheit als beſonders in den Angelegenheiten Preu-<lb/> ßens, ſeither befolgt hat, durchaus nicht zu erwarten ſteht; daß endlich un-<lb/> ter dieſen Umſtänden eine neue Adreſſe an die Krone keinen günſtigeren<lb/> Erfolg verſpricht als die früher beſchloſſenen, geht die Kammer u. ſ. w.“<lb/> Der Antrag auf einfache Tagesordnung, von Schwerin empfohlen, wurde<lb/> verworfen. Nach dem Schluß der ſehr leidenſchaftlich geführten Debatte,<lb/> in welcher Waldeck und Grün das Miniſterium aufs heftigſte angriffen,<lb/> und auch Vincke den erſten Satz ſeines Antrags für ein Mißtrauensvotum<lb/> gegen das Miniſterium erklärte, wurden alle Anträge auf motivirte Ta-<lb/> gesorduung verworfen, und die Verſammlung beſchloß keine Adreſſe zu<lb/> erlaſſen! Um 5 Uhr wurde die Sitzung vom Vicepräſidenten Lenſing auf<lb/> eine Stunde vertagt in Folge eines raſenden Tumultes der äußerſten Lin-<lb/> ken gegen Bodelſchwingh, der ſagte: Das Land ſey der Meinung geweſen,<lb/> Berlin habe ſich durch den Straßenkampf am 18 März entehrt! Morgen<lb/> über die Debatte das nähere.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"><lb/> <p>Die Kaiſerkurdeputation der deutſchen Nationalverſammlung hat Ber-<lb/> lin verlaſſen, und ihre Miſſton, da der König die Krone unter den gegebe-<lb/> nen Bedingungen abgelehnt, für beendigt erklärt. Vor ihrem Scheiden<lb/> richtete ſie folgendes Schreiben an das k. Staatsminiſterium: „Einem k.<lb/> Staatsminiſterium beehren wir uns die nachſtehende Erklärung ganz er-<lb/> gebenſt mitzutheilen. Die verfaſſunggebende deutſche Reichsverſammlung<lb/> hatte die unterzeichnete Deputation beauftragt Se. Maj. den König zu der<lb/> Annahme der in der deutſchen Reichsverfaſſung begründeten, auf Se. Maj.<lb/> übertragenen erblichen Kaiſerwürde ehrfurchtsvoll einzuladen. Se. Maj.<lb/> der König hat, nach den in der Audienz vom geſtrigen Tage der Deputation<lb/> gemachten Eröffnungen, dieſer ehrfurchtsvollen Einladung keine Folge<lb/> geben zu dürfen geglaubt, und ſich bewogen gefunden dieſe ſeine Entſchlie-<lb/> ßung durch die inzwiſchen auch zur öffentlichen Kenntniß gebrachten Gründe<lb/> näher zu motiviren. Die deutſche Reichsverſammlung hatte am 28 v. M.<lb/> zu der Vollziehung eines Theils der Verfaſſung, der Wahl des Reichsober-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1515/0003]
ſich geladen hatte, das Mögliche geſchehen um einen Ausgleich einzuleiten.
Was des Prinzen ſtarker Wille, was der Prinzeſſin deutſches Gemüth zur
Begütigung perſönlich gethan, kann nicht in die Wagſchale fallen; ſelbſt
des Prinzen ernſte feſte Zuſicherung, man dürfe des Königs Wort nicht
als ein letztes, könne es nur ein erſtes anſehen, läßt bedauern daß damit
eben im entſcheidenden Moment die große Wendung nicht feſtgeſtellt wurde.
Die Deputation der Vertreter des deutſchen Volkes hätte entweder eine be-
ſtimmte Annahme, oder eine beſtimmte Ablehnung gewünſcht. Daß für
den erſten Fall die Zuſtimmung der Fürſten einbedungen, ſtand zu erwar-
ten. Für den zweiten Fall war die Note Bülows, welche bereits auf eine
andere Geſtaltung der Oberhauptsfrage hinwies, die Grundlage um zu ei-
nem Directorium in Sachen Deutſchlands zu ſchreiten. Statt deſſen wird
mit aller Anerkennung des Vertrauens eine feierliche Verſicherung gegeben
daß Preußen auch ohne den beſtimmten „Ruf“ der Schirm Deutſchlands ſeyn
und bleiben werde, von der Berathung der Fürſten abhängig gemacht ob
der König mit den Rechten die man ihm als Oberhaupt Deutſchlands zu-
geſtehe, im Stande ſeyn könne die Einheit des Vaterlandes „mit ſtarker
Hand“ aufzubauen. Dieß kann nicht auf die allgemeine directe Wahl gerichtet
ſeyn. Hierüber würde kein Fürſten-, kein Regierungs congreß zu entſcheiden
haben. Iſt das ſuspenſive Veto damit gemeint? Die Räthe der preußiſchen
Krone ſollten darüber im klaren ſeyn. Sind ſie der Sache nicht gewachſen?
Es ſcheint faſt. Fühlen ſie nicht deutſch genug, um zu begreifen daß an der Ant-
wort die ſie dem König dictirt, das Schickſal Deutſchlands hing? Die Worte
des Königs ſind aber vielleicht weit mehr der Ausdruck ſeiner eignen Ueber-
zeugung; ſie ſtehen und fallen nicht mit dem Miniſterium Brandenburg-
Manteuffel. Die Unſicherheit der Antwort iſt vielleicht eben auch nur
der Ausdruck der Sachlage, in die auch nur den Schein der Uſurpation
hineinzutragen Preußen Bedenken hat! Der König nennt ſich noch immer
„Einer der mächtigſten deutſchen Fürſten.“ Oeſterreich nannte ſich erſt
neuerdings wieder der mächtigſte deutſche Bundesſtaat. Fürchtet man
Widerſpruch? Furcht kennt Preußen nicht. Aber es glaubt dem Wider-
ſpruch vorbeugen zu müſſen. Und ſeine Diplomatie iſt nicht geſchickt ge-
nug geweſen die Sache zu entwirren. Bülow’s Note ſtellte faſt die Noth-
wendigkeit eines engeren Deutſchlands hin. (Es fehlt unſers Wiſſens
dieſer ganz treffenden Erklärung nur der praktiſche Hinweis auf den poli-
tiſchen Ausbau des Zollvereins.) Arnims Depeſche weist aber die preu-
ßiſchen Staatsmänner wieder an auf Oeſterreichs Vorſchläge einzugehen.
Nur in der hieſtgen zweiten Kammer erklärte Graf Arnim, damit ſolle
und dürfe nicht gemeint ſeyn in der Neugeſtalt des centralen Deutſch-
lands das Volkshaus beſeitigen zu wollen. Wahrſcheinlich bringen die
Couriere zwiſchen Wien und Berlin bereits das definitive der Entſchei-
dung. Leugnen wir nicht daß von dieſem Courierwechſel die Sache ab-
hängt. So wenig die Oeſterreicher aus der Paulskirche verdrängt werden
durften, ſo wenig kann dem öſterreichiſchen Hauſe jetzt das letzte Wort ent-
zogen ſeyn. Oeſterreich muß den jüngeren Bruder, der ſelbſtändig ſeyn
zu wollen erklärt, jetzt anerkennen, die Emancipation des neuern Deutſch-
lands proclamiren. Vielleicht find Oeſterreichs Verſuche eine andere
Wendung der Dinge zu ermöglichen erſchöpft; dann iſt die Zuſage der
Anerkennung das letzte Wort. Das Recht dazu hat Oeſterreich, auch
wenn die Nothwendigkeit der Zuſage eine zwingende ſeyn ſollte. Und
wer die Pietät des Königs für das alte Haus Habsburg kennt, wer die
ganze Reihe von Hinweiſen aller preußiſchen Fürſten auf den älteren
Bruderſtamm erwägt, der wird auch in der Haltung des jetzigen Königs
das Räthſel einer abermals noch halben Antwort auf den Ruf der Nation
lösbar finden. Eine Einſprache von anderer Seite erkennt Preußen nicht
an. Der König mahnt an das Schwert ſeines Volks, und dieß erſcheint
als das einzige Entſchiedene in ſeinen Worten an die Deputation, Deutſch-
lauds Feinden gegenüber. Oeſterreich aber iſt unſer älterer Bruder.
Auch unwillig, auch in Groll kann es die Exiſtenz eines jungen Deutſch-
lands nicht länger leugnen. Der alte ſchneeweiße Arndt iſt in der Ge-
ſandtſchaft der Paulskirche. Iſt ſein Lied zur Lüge geworden? „Nein,
nein, mein Vaterland muß größer ſeyn!“ Aber wie? wenn wir zu groß
geworden wären? Wenn wir bei der Ausweitung der deutſchen Macht einer
doppelten Concentration bedürften? Mitteleuropa iſt unſer geworden durch
Oeſterreich. Warum ſoll ſich das Haus nicht abzweigen und mit den
beiden Firmen und Zweigen, die ohnedieß ſchon ſelbſtändig arbeiteten, zur
Ehre des gemeinſamen deutſchen Namens eine doppelte Exiſtenz feſt-
ſtellen?
☿ Berlin, 5 April.
In der geſtrigen Nachmittagsſitzung der
zweiten Kammer verlas der Miniſterpräſident die neueſte Circularnote,
die Ihnen ſchon zugegangen ſeyn wird. Er erhielt von der Rechten ein
ſchwaches Bravo, auf der Linken wurde laut geziſcht. Dann kam der
Bucher’ſche Antrag auf die Tagesordnung zur zweiten Abſtimmung. Er
wurde dießmal mit 148 gegen 146 Stimmen verworfen, dagegen ein An-
trag von Moritz angenommen der ſo lautet: „Indem die Kammer ſich
ausdrücklich dagegen verwahrt daß die Verordnungen vom 2 und 3 Jänner
(über Gerichtsorganiſation) ohne vorherige Zuſtimmung der Kammern
erlaſſen werden konnten, und indem ſie das Miniſterium für alle aus
dieſem verfaſſungswidrigen Verfahren etwa entſtehenden ſchädlichen Fol-
gen für verantwortlich erklärt, ſowie in Erwägung daß eine Siſtirung
jener Verordnungen zu neuen Verwicklungen führen würde, geht die
Kammer zur Tagesordnung über.“ Abends 7 Uhr. Soeben komme ich
aus der Sitzung der zweiten Kammer, die von 12 Uhr bis jetzt gedauert
hat. Die Tagesordnung von Moritz wurde bei der zweiten Abſtimmung
mit 136 gegen 133 Stimmen angenommen. Auf eine Interpellation
des Abgeordneten Pfücker wegen Regulirung des Oderbruchs antwortete
der Handelsminiſter daß außer den 100,000 Rthlr. die jährlich für dieſe Re-
gulirung verwendet würden, noch 100,000 extraordinär bewilligt worden
ſeyen; daß aber die völlige Reinigung der Oder jetzt nicht erzielt werden
könne, weil ſie vierthalb Millionen koſten würde, die jetzt zu dieſem Zwecke
nicht zur Verſügung ſtänden. Dann las Vincke den Vericht der Commiſ-
ſion über den von ihm geſtellten Antrag auf Erlaß einer zweiten Adreſſe
an den König vor. Es waren zwei Adreſſen verfaßt worden, von Vincke
und von Kirchmann, aber keine hatte in der Commiſſion die Majorität er-
halten, weil das Mitglied Ulrich gegen jede Adreſſe ſich erklärte, und ein-
mal mit der Linken gegen die Vincke’ſche, dann mit der Rechten gegen die
Kirchmann’ſche Adreſſe ſtimmte. Vincke hatte unterdeſſen die Ueberzeu-
gung gewonnen daß nach dem Erlaß der Circularnote eine Adreſſe wie die
von ihm beabſichtigte nicht mehr am Platze ſey, und einen Antrag auf
motivirte Tagesordnung geſtellt. Außerdem waren Anträge auf motivirte
Tagesordnung eingegangen von Waldeck und Genoſſen, von Ulrich und
von Menzel; und einer auf einfache Tagesordnung von Möller, Schwe-
rin u. A. Der Antrag von Vincke lautet: „In Erwägung 1) daß die von
der Regierung Sr. Majeſtät des Königs beſchloſſene Ablehnung der
von der deutſchen Nationalverſammlung Sr. Majeſtät angetragenen Würde
eines Oberhauptes des deutſchen Reiches das Zuſtandekommen des deut-
ſchen Verfaſſungswerkes auf eine ferne und ungewiſſe Zukunft verſchiebt
und Deutſchland wie Preußen der bedenklichſten Lage entgegenzuführen
droht, 2) daß aber, nachdem einmal durch die der Kammer mitgetheilte
Circularnote vom 3 d. M. die Erklärungen der einzelnen deutſchen Re-
gierungen, mit Anberaumung einer Friſt von 14 Tagen erfordert ſind,
der Ablauf dieſes Zeitraums zuvörderſt abgewartet werden muß, um die
durch dieſe Note jenen Regierungen gegenüber eingegangenen Verbindlich-
keiten nicht zu verletzen, geht die Kammer über den Antrag der Abgeord-
neten Vincke und Genoſſen für jetzt zur Tagesordnung über.“ Dagegen
lautet der Antrag von Waldeck und der äußerſten Linken ſehr charakteri-
ſtiſch ſo: „In Erwägung daß die Einheit der deutſchen Volksſtämme nur
dann einen Werth hat wenn zugleich die in der Revolution erkämpfte Frei-
heit zur vollen Geltung gelangt; daß eine ſolche deutſche Einheit bei der
freiheitsfeindlichen Politik welche das gegenwärtige Miniſterium, ſowohl
in der deutſchen Angelegenheit als beſonders in den Angelegenheiten Preu-
ßens, ſeither befolgt hat, durchaus nicht zu erwarten ſteht; daß endlich un-
ter dieſen Umſtänden eine neue Adreſſe an die Krone keinen günſtigeren
Erfolg verſpricht als die früher beſchloſſenen, geht die Kammer u. ſ. w.“
Der Antrag auf einfache Tagesordnung, von Schwerin empfohlen, wurde
verworfen. Nach dem Schluß der ſehr leidenſchaftlich geführten Debatte,
in welcher Waldeck und Grün das Miniſterium aufs heftigſte angriffen,
und auch Vincke den erſten Satz ſeines Antrags für ein Mißtrauensvotum
gegen das Miniſterium erklärte, wurden alle Anträge auf motivirte Ta-
gesorduung verworfen, und die Verſammlung beſchloß keine Adreſſe zu
erlaſſen! Um 5 Uhr wurde die Sitzung vom Vicepräſidenten Lenſing auf
eine Stunde vertagt in Folge eines raſenden Tumultes der äußerſten Lin-
ken gegen Bodelſchwingh, der ſagte: Das Land ſey der Meinung geweſen,
Berlin habe ſich durch den Straßenkampf am 18 März entehrt! Morgen
über die Debatte das nähere.
Die Kaiſerkurdeputation der deutſchen Nationalverſammlung hat Ber-
lin verlaſſen, und ihre Miſſton, da der König die Krone unter den gegebe-
nen Bedingungen abgelehnt, für beendigt erklärt. Vor ihrem Scheiden
richtete ſie folgendes Schreiben an das k. Staatsminiſterium: „Einem k.
Staatsminiſterium beehren wir uns die nachſtehende Erklärung ganz er-
gebenſt mitzutheilen. Die verfaſſunggebende deutſche Reichsverſammlung
hatte die unterzeichnete Deputation beauftragt Se. Maj. den König zu der
Annahme der in der deutſchen Reichsverfaſſung begründeten, auf Se. Maj.
übertragenen erblichen Kaiſerwürde ehrfurchtsvoll einzuladen. Se. Maj.
der König hat, nach den in der Audienz vom geſtrigen Tage der Deputation
gemachten Eröffnungen, dieſer ehrfurchtsvollen Einladung keine Folge
geben zu dürfen geglaubt, und ſich bewogen gefunden dieſe ſeine Entſchlie-
ßung durch die inzwiſchen auch zur öffentlichen Kenntniß gebrachten Gründe
näher zu motiviren. Die deutſche Reichsverſammlung hatte am 28 v. M.
zu der Vollziehung eines Theils der Verfaſſung, der Wahl des Reichsober-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |