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Allgemeine Zeitung, Nr. 96, 6. April 1849.

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Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Gnizot und Thiers.
(Beschluß.)

Dieß ist mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung
der eigentlichen Frage der Politik nach der besten Form der Regierung
unternimmt, und, wie gesagt, als diese Beantwortung finden wir nur
das immer wiederholte Urtheil daß die Republik, und vor allem die demo-
kratische Republik, die absolut verderbliche Form für das Ganze wie den
Einzelnen sey. Dieser Angriff auf die Republik ermangelt nun keines-
wegs großer Tiefe und Bedeutung; doch werden wir diesen Theil nur kurz
berühren, denn das Buch selber ist in jedermanns Händen. Es kommt
uns zunächst darauf an nachzuweisen wie diese Bekämpfung der Republik
mit der oben dargelegten höheren Auffassung innig zusammenhängt.

Das Wort und die Idee der Demokratie, so beginnt das Buch, haben
in diesem Augenblick eine ungemeine Gewalt; ein jeder der herrschen will,
schreibt ihren Namen auf seine Fahne. Woher kommt dieß? Weil die
Demokratie "allen Trieben, den schlechten wie den guten, unendliche Aus-
sichten und Versprechungen bietet." Das ist der Grund seiner Macht,
allein das ist auch der Grund seiner Gefahr. Denn die Demokratie ist
eben dadurch die "Entfesselung der ganzen menschlichen Natur auf der
ganzen Ausdehnung und in allen Tiefen der Gesellschaft, und als Folge
hiervon der thatsächliche, allgemeine, andauernde Kampf zwischen ihren
guten und bösen Trieben." In diesem Kampfe geht nun das Gute unter,
wenn nicht die äußere Gewalt, die Regierung hilft. Allein das ist der
Fluch der Demokratie daß sie diese hohe Aufgabe den Regierungen un-
möglich macht. Die Demokratie zwingt die Regierung "jeden Augenblick
selbst das Knie vor den schlechten Leidenschaften und schlechten Principien
zu beugen, und dann zu versuchen sich zu erheben um die Ausschweifungen
derselben zu bekämpfen. Sie macht die Regierung nicht bloß schwach, sie
ist weiter gegangen und hat sie zur Lüge gezwungen. Es ist die trau-
rige Bedingung der demokratischen Regierungen daß man, obgleich sie damit
beauftragt sind die Unordnung zu unterdrücken, von ihnen verlangt sie
sollen den Ursachen der Unordnung gegenüber gefällig und
schmeichelnd seyn
." Ich glaube daß Guizot hier den Kern der Sache
berührt hat; es ist dieß der richtigste Gedanke im ganzen Buche, und wird
bei Verständigen stets der Hauptvorwurf gegen jede demokratische Ver-
fassung seyn. Nur daß man Eins nicht vergesse. Ist es eigentlich speci-
fisch die Republik der man diesen Vorwurf macht? Ist dieß alles viel-
leicht weniger der Fall in einer constitutionellen Monarchie, wo die Mini-
sterien aus dem Volk hervorgehen, wie die Regierung in der Republik?
Wenn aber die Ministerien dem Volke gerade ebenso gegenüberstehen, was
wird dann in der letztern Staatsverfassung die Folge dieser Stellung seyn?
Man wird von den Ministern verlangen was man in der Republik von
dem Staatsoberhaupt verlangt. Oder hat vielleicht Guizot selbst sich un-
nachsichtlich gegen die Principien der "bösen Leidenschaften" bewiesen als
er unter fast unerhörten Bestechungen eine Kammer zu Stande brachte die
machtlos und ehrlos dastand? Das ist die wunde Stelle in der ganzen
Guizot'schen Deduction daß alles was er sagt sich mit derselben Conse-
quenz auf die constitutionelle Monarchie anwenden läßt; er beweist daß
die Republik Gefahr bringt; er beweist nicht daß die Monarchie weniger
gefahrbringend ist oder seyn kann.

Guizot geht weiter. Er scheidet die demokratische von der socialen
Republik. Jene fordert er auf daß sie "ihren Sieg verkünde oder beweise,
indem sie den Frieden wiederherstelle." Sie thut es nicht; sie wird "den
socialen Frieden und die politische Freiheit in die höchste Gefahr bringen
oder sie darin lassen." Gut denn. Aber Guizot lebte unter Napoleon,
er lebte unter Karl X, er lebte unter Ludwig Philipp. Was brachte die
militärische Dictatur? Einen Krieg gegen Europa. Was brachte die
Restauration, das scheinbar constitutionelle Königthum? Sie warf durch
ihren Kampf gegen die Freiheit denselben Guizot in die äußerste Op-
position, ihn der jetzt die nothwendigen Consequenzen seiner Schriften von
1820 bis 1830 anklagt, und endete mit einer Revolution die niemand
verdammt hat. Was brachte der Philippismus, die wirklich constitutio-
nelle Monarchie? Guizot lebte ja doch von 1830 bis 1834; in diesen
vier Jahren war mehr Aufruhr in Frankreich als im verflossenen; nie ist
die Flamme gelöscht, und endlich erzeugt auch dieß System eine Revolution.
Wie will Guizot verhindern daß man von seinem Buch aus einen Blick
auf diese Verhältnisse werfe, und was will er zu dem Schluß sagen daß
die übrigen Regierungsformen alle zusammen nichts besseres geleistet
haben als diese so hart beschuldigte Republik? Er kann mit seinen Be-
weisen wohl die Ueberzeugung von der Trefflichkeit der bestehenden Re-
[Spaltenumbruch] publik schwankend machen, aber er kann keine für eine andere gewinnen.
Was wird diese reine Negation nützen? Und wem wird sie nützen?
Schwerlich dem wofür Guizot die Feder ergriff!

Die sociale Republik endlich ist "ebenso widerwärtig als unmöglich.
Sie ist das abgeschmackteste und zugleich das schlimmste aller Hirn-
gespinnste." Guizot hat hier Recht in seinen Ansichten, aber Unrecht
darin daß er seinen Beweis zu kurz macht. Er zeigt nur daß er die Sache
von ihrer verderblichen Seite kennt; er weiß weder das Gute an ihr anzu-
erkennen, noch auch es zu benutzen. Er hält Proudhon für den bedeutendsten
Socialisten, und sieht nicht daß gerade Proudhon sich nur in Negationen
bewegt hat. Doch lassen wir diesen Theil der kleinen Schrift; er ist offen-
bar nur ein Anhängsel des Ganzen. Bei weitem bedeutender ist das
folgende, die Untersuchungen über die wirklichen Elemente der Gesellschaft
in Frankreich. Das hierher gehörige Capitel V ist gewiß das beste im
ganzen Buche. Guizot wirft hier einen durchdringenden Blick über die
Classen der Gesellschaft; vorzüglich beachtenswerth ist der schöne Passus
über die Ehre der Arbeit, und ganz vortrefflich der Satz daß die legiti-
mistische
Partei nicht die dynastische und auch nicht die monarchische
Partei, sondern "die Trägerin der Elemente ist die einst die alte (franzö-
sische) Gesellschaft beherrscht haben." Wen wird diese Bemerkung mit
ihrer schlagenden Wahrheit nicht überzeugen, und über so manches auf-
klären das ohne diesen Satz im Halbdunkel bleibt? Merkwürdig dagegen
daß Guizot keine republicanische Partei sucht oder anerkennt; unge-
recht aber wenn er die Republicaner unbedingt mit den Anarchisten,
deren Existenz als Partei leider kein Vernüftiger läugnen kann, zusam-
menwirft. Wir hätten Guizot Mannhaftigkeit der Gesinnung genug zu-
getraut um eine solche Zweideutigkeit Angesichts des ganzen Frankreichs
zu vermeiden, um so mehr als eben diese Vermengung durch ihren häufi-
gen Gebrauch an Wahrheit und Eindruck täglich verliert.

Aus den Elementen dieser Gesellschaft will nun Guizot die Regierung
zusammengesetzt wissen. Wir können einen solchen Ausgang seiner De-
duction nur für einen vollkommen richtigen halten; allein mit einigem
Erstaunen müssen wir dabei bemerken daß im Grund eben diese Bildung
der Regierung nichts mehr und nichts weniger ist und seyn kann als die
republicanische. Es ist ganz wunderbar diesen Schluß an dem Ende
eines solchen Buches zu finden. Guizot erwartet das Heil Frankreichs
nicht vom Königthum; er weist auf dasselbe auch nicht mit einem Finger
hin; er fordert nur daß dem wachsenden Strom der Demokratie gegen-
über "die conservativen Bestandtheile der französischen Gesellschaft sich
vereinigen und fest begründen, daß in ihnen der politische Geist den
Parteigeist überwältige"; davon, von ihrer Vereinigung hängt das
Heil des Ganzen ab; ohne sie "wird die Demokratie Frankreich und mit
Frankreich sie selber in das Verderben stürzen." In der That, eine solche
Bedeutungslosigkeit des Königthums hätten wir in einer solchen Schrift
am wenigsten gesucht. Man muß gestehen daß, wenn es etwas gibt
was das Königthum überflüssig und die Republik als die natürliche
Staatsform erscheinen läßt, gerade dieser Schluß von einem solchen Mann
ein Entscheidendes seyn muß. Es ist nicht zu läugnen, Guizot steht mit
diesen Sätzen bereits mitten in der Republik; er hat das Königthum
aufgegeben; er weiß von ihm keine Hülfe; er sieht keine Hoffnung, keine
Bildung einer guten Regierung als durch das Hervorgehen derselben aus
den Elementen der Gesellschaft, und durch das Zusammenschließen des
conservativen Elements. Es ist der Mühe werth dieß Resultat vor Augen
zu halten. Wenn, nachdem das Königthum drei Monate gestürzt war,
Guizot selber von ihm nichts mehr erwartet, was mag es ihm dann ge-
wesen seyn so lange es bestand? Es ist bekannt daß Ludwig Philipp und
sein Minister nie Freunde waren; sollte auch Guizot, wie Napoleon auf St.
Helena, im Grunde seines Herzens sich schon damals gesagt haben: Meine
Natur hat mich zum Republicaner, mein Schicksal mich zum Vertheidiger
des Fürstenthums gemacht?

Faßt man nun diese Betrachtungen zu einem gemeinsamen Resultat
zusammen, so darf man sagen daß Guizot an sich nicht gegen die Republik
und kein definitiver Vertheidiger des Königthums ist, so nahe er auch
demselben -- oder vielleicht gerade weil er demselben so nahe gestanden.
Seine Natur weist ihn auf ein strenges und starres Regierungssystem
hin; wo er dieß findet, da ist er zufrieden, sey es in der Republik, sey es
im Königthum. Was er in der Republik haßt, ist nicht die Königslosig-
keit, es ist vielmehr das Ergriffenwerden der Regierung von den Bewe-
gungen des Volkslebens; und in der That ist ihm die demokratische
Republik eben diejenige wo diese unmittelbare Einwirkung des Volkes auf
die Regierung stattfindet, mithin diejenige die er entschieden für höchst

Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Gnizot und Thiers.
(Beſchluß.)

Dieß iſt mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung
der eigentlichen Frage der Politik nach der beſten Form der Regierung
unternimmt, und, wie geſagt, als dieſe Beantwortung finden wir nur
das immer wiederholte Urtheil daß die Republik, und vor allem die demo-
kratiſche Republik, die abſolut verderbliche Form für das Ganze wie den
Einzelnen ſey. Dieſer Angriff auf die Republik ermangelt nun keines-
wegs großer Tiefe und Bedeutung; doch werden wir dieſen Theil nur kurz
berühren, denn das Buch ſelber iſt in jedermanns Händen. Es kommt
uns zunächſt darauf an nachzuweiſen wie dieſe Bekämpfung der Republik
mit der oben dargelegten höheren Auffaſſung innig zuſammenhängt.

Das Wort und die Idee der Demokratie, ſo beginnt das Buch, haben
in dieſem Augenblick eine ungemeine Gewalt; ein jeder der herrſchen will,
ſchreibt ihren Namen auf ſeine Fahne. Woher kommt dieß? Weil die
Demokratie „allen Trieben, den ſchlechten wie den guten, unendliche Aus-
ſichten und Verſprechungen bietet.“ Das iſt der Grund ſeiner Macht,
allein das iſt auch der Grund ſeiner Gefahr. Denn die Demokratie iſt
eben dadurch die „Entfeſſelung der ganzen menſchlichen Natur auf der
ganzen Ausdehnung und in allen Tiefen der Geſellſchaft, und als Folge
hiervon der thatſächliche, allgemeine, andauernde Kampf zwiſchen ihren
guten und böſen Trieben.“ In dieſem Kampfe geht nun das Gute unter,
wenn nicht die äußere Gewalt, die Regierung hilft. Allein das iſt der
Fluch der Demokratie daß ſie dieſe hohe Aufgabe den Regierungen un-
möglich macht. Die Demokratie zwingt die Regierung „jeden Augenblick
ſelbſt das Knie vor den ſchlechten Leidenſchaften und ſchlechten Principien
zu beugen, und dann zu verſuchen ſich zu erheben um die Ausſchweifungen
derſelben zu bekämpfen. Sie macht die Regierung nicht bloß ſchwach, ſie
iſt weiter gegangen und hat ſie zur Lüge gezwungen. Es iſt die trau-
rige Bedingung der demokratiſchen Regierungen daß man, obgleich ſie damit
beauftragt ſind die Unordnung zu unterdrücken, von ihnen verlangt ſie
ſollen den Urſachen der Unordnung gegenüber gefällig und
ſchmeichelnd ſeyn
.“ Ich glaube daß Guizot hier den Kern der Sache
berührt hat; es iſt dieß der richtigſte Gedanke im ganzen Buche, und wird
bei Verſtändigen ſtets der Hauptvorwurf gegen jede demokratiſche Ver-
faſſung ſeyn. Nur daß man Eins nicht vergeſſe. Iſt es eigentlich ſpeci-
fiſch die Republik der man dieſen Vorwurf macht? Iſt dieß alles viel-
leicht weniger der Fall in einer conſtitutionellen Monarchie, wo die Mini-
ſterien aus dem Volk hervorgehen, wie die Regierung in der Republik?
Wenn aber die Miniſterien dem Volke gerade ebenſo gegenüberſtehen, was
wird dann in der letztern Staatsverfaſſung die Folge dieſer Stellung ſeyn?
Man wird von den Miniſtern verlangen was man in der Republik von
dem Staatsoberhaupt verlangt. Oder hat vielleicht Guizot ſelbſt ſich un-
nachſichtlich gegen die Principien der „böſen Leidenſchaften“ bewieſen als
er unter faſt unerhörten Beſtechungen eine Kammer zu Stande brachte die
machtlos und ehrlos daſtand? Das iſt die wunde Stelle in der ganzen
Guizot’ſchen Deduction daß alles was er ſagt ſich mit derſelben Conſe-
quenz auf die conſtitutionelle Monarchie anwenden läßt; er beweist daß
die Republik Gefahr bringt; er beweist nicht daß die Monarchie weniger
gefahrbringend iſt oder ſeyn kann.

Guizot geht weiter. Er ſcheidet die demokratiſche von der ſocialen
Republik. Jene fordert er auf daß ſie „ihren Sieg verkünde oder beweiſe,
indem ſie den Frieden wiederherſtelle.“ Sie thut es nicht; ſie wird „den
ſocialen Frieden und die politiſche Freiheit in die höchſte Gefahr bringen
oder ſie darin laſſen.“ Gut denn. Aber Guizot lebte unter Napoleon,
er lebte unter Karl X, er lebte unter Ludwig Philipp. Was brachte die
militäriſche Dictatur? Einen Krieg gegen Europa. Was brachte die
Reſtauration, das ſcheinbar conſtitutionelle Königthum? Sie warf durch
ihren Kampf gegen die Freiheit denſelben Guizot in die äußerſte Op-
poſition, ihn der jetzt die nothwendigen Conſequenzen ſeiner Schriften von
1820 bis 1830 anklagt, und endete mit einer Revolution die niemand
verdammt hat. Was brachte der Philippismus, die wirklich conſtitutio-
nelle Monarchie? Guizot lebte ja doch von 1830 bis 1834; in dieſen
vier Jahren war mehr Aufruhr in Frankreich als im verfloſſenen; nie iſt
die Flamme gelöſcht, und endlich erzeugt auch dieß Syſtem eine Revolution.
Wie will Guizot verhindern daß man von ſeinem Buch aus einen Blick
auf dieſe Verhältniſſe werfe, und was will er zu dem Schluß ſagen daß
die übrigen Regierungsformen alle zuſammen nichts beſſeres geleiſtet
haben als dieſe ſo hart beſchuldigte Republik? Er kann mit ſeinen Be-
weiſen wohl die Ueberzeugung von der Trefflichkeit der beſtehenden Re-
[Spaltenumbruch] publik ſchwankend machen, aber er kann keine für eine andere gewinnen.
Was wird dieſe reine Negation nützen? Und wem wird ſie nützen?
Schwerlich dem wofür Guizot die Feder ergriff!

Die ſociale Republik endlich iſt „ebenſo widerwärtig als unmöglich.
Sie iſt das abgeſchmackteſte und zugleich das ſchlimmſte aller Hirn-
geſpinnſte.“ Guizot hat hier Recht in ſeinen Anſichten, aber Unrecht
darin daß er ſeinen Beweis zu kurz macht. Er zeigt nur daß er die Sache
von ihrer verderblichen Seite kennt; er weiß weder das Gute an ihr anzu-
erkennen, noch auch es zu benutzen. Er hält Proudhon für den bedeutendſten
Socialiſten, und ſieht nicht daß gerade Proudhon ſich nur in Negationen
bewegt hat. Doch laſſen wir dieſen Theil der kleinen Schrift; er iſt offen-
bar nur ein Anhängſel des Ganzen. Bei weitem bedeutender iſt das
folgende, die Unterſuchungen über die wirklichen Elemente der Geſellſchaft
in Frankreich. Das hierher gehörige Capitel V iſt gewiß das beſte im
ganzen Buche. Guizot wirft hier einen durchdringenden Blick über die
Claſſen der Geſellſchaft; vorzüglich beachtenswerth iſt der ſchöne Paſſus
über die Ehre der Arbeit, und ganz vortrefflich der Satz daß die legiti-
miſtiſche
Partei nicht die dynaſtiſche und auch nicht die monarchiſche
Partei, ſondern „die Trägerin der Elemente iſt die einſt die alte (franzö-
ſiſche) Geſellſchaft beherrſcht haben.“ Wen wird dieſe Bemerkung mit
ihrer ſchlagenden Wahrheit nicht überzeugen, und über ſo manches auf-
klären das ohne dieſen Satz im Halbdunkel bleibt? Merkwürdig dagegen
daß Guizot keine republicaniſche Partei ſucht oder anerkennt; unge-
recht aber wenn er die Republicaner unbedingt mit den Anarchiſten,
deren Exiſtenz als Partei leider kein Vernüftiger läugnen kann, zuſam-
menwirft. Wir hätten Guizot Mannhaftigkeit der Geſinnung genug zu-
getraut um eine ſolche Zweideutigkeit Angeſichts des ganzen Frankreichs
zu vermeiden, um ſo mehr als eben dieſe Vermengung durch ihren häufi-
gen Gebrauch an Wahrheit und Eindruck täglich verliert.

Aus den Elementen dieſer Geſellſchaft will nun Guizot die Regierung
zuſammengeſetzt wiſſen. Wir können einen ſolchen Ausgang ſeiner De-
duction nur für einen vollkommen richtigen halten; allein mit einigem
Erſtaunen müſſen wir dabei bemerken daß im Grund eben dieſe Bildung
der Regierung nichts mehr und nichts weniger iſt und ſeyn kann als die
republicaniſche. Es iſt ganz wunderbar dieſen Schluß an dem Ende
eines ſolchen Buches zu finden. Guizot erwartet das Heil Frankreichs
nicht vom Königthum; er weist auf dasſelbe auch nicht mit einem Finger
hin; er fordert nur daß dem wachſenden Strom der Demokratie gegen-
über „die conſervativen Beſtandtheile der franzöſiſchen Geſellſchaft ſich
vereinigen und feſt begründen, daß in ihnen der politiſche Geiſt den
Parteigeiſt überwältige“; davon, von ihrer Vereinigung hängt das
Heil des Ganzen ab; ohne ſie „wird die Demokratie Frankreich und mit
Frankreich ſie ſelber in das Verderben ſtürzen.“ In der That, eine ſolche
Bedeutungsloſigkeit des Königthums hätten wir in einer ſolchen Schrift
am wenigſten geſucht. Man muß geſtehen daß, wenn es etwas gibt
was das Königthum überflüſſig und die Republik als die natürliche
Staatsform erſcheinen läßt, gerade dieſer Schluß von einem ſolchen Mann
ein Entſcheidendes ſeyn muß. Es iſt nicht zu läugnen, Guizot ſteht mit
dieſen Sätzen bereits mitten in der Republik; er hat das Königthum
aufgegeben; er weiß von ihm keine Hülfe; er ſieht keine Hoffnung, keine
Bildung einer guten Regierung als durch das Hervorgehen derſelben aus
den Elementen der Geſellſchaft, und durch das Zuſammenſchließen des
conſervativen Elements. Es iſt der Mühe werth dieß Reſultat vor Augen
zu halten. Wenn, nachdem das Königthum drei Monate geſtürzt war,
Guizot ſelber von ihm nichts mehr erwartet, was mag es ihm dann ge-
weſen ſeyn ſo lange es beſtand? Es iſt bekannt daß Ludwig Philipp und
ſein Miniſter nie Freunde waren; ſollte auch Guizot, wie Napoleon auf St.
Helena, im Grunde ſeines Herzens ſich ſchon damals geſagt haben: Meine
Natur hat mich zum Republicaner, mein Schickſal mich zum Vertheidiger
des Fürſtenthums gemacht?

Faßt man nun dieſe Betrachtungen zu einem gemeinſamen Reſultat
zuſammen, ſo darf man ſagen daß Guizot an ſich nicht gegen die Republik
und kein definitiver Vertheidiger des Königthums iſt, ſo nahe er auch
demſelben — oder vielleicht gerade weil er demſelben ſo nahe geſtanden.
Seine Natur weist ihn auf ein ſtrenges und ſtarres Regierungsſyſtem
hin; wo er dieß findet, da iſt er zufrieden, ſey es in der Republik, ſey es
im Königthum. Was er in der Republik haßt, iſt nicht die Königsloſig-
keit, es iſt vielmehr das Ergriffenwerden der Regierung von den Bewe-
gungen des Volkslebens; und in der That iſt ihm die demokratiſche
Republik eben diejenige wo dieſe unmittelbare Einwirkung des Volkes auf
die Regierung ſtattfindet, mithin diejenige die er entſchieden für höchſt

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[0009] Beilage zu Nr. 96 der Allgemeinen Zeitung vom 6 April 1849. Gnizot und Thiers. (Beſchluß.) Dieß iſt mithin der Standpunkt aus dem Guizot die Beantwortung der eigentlichen Frage der Politik nach der beſten Form der Regierung unternimmt, und, wie geſagt, als dieſe Beantwortung finden wir nur das immer wiederholte Urtheil daß die Republik, und vor allem die demo- kratiſche Republik, die abſolut verderbliche Form für das Ganze wie den Einzelnen ſey. Dieſer Angriff auf die Republik ermangelt nun keines- wegs großer Tiefe und Bedeutung; doch werden wir dieſen Theil nur kurz berühren, denn das Buch ſelber iſt in jedermanns Händen. Es kommt uns zunächſt darauf an nachzuweiſen wie dieſe Bekämpfung der Republik mit der oben dargelegten höheren Auffaſſung innig zuſammenhängt. Das Wort und die Idee der Demokratie, ſo beginnt das Buch, haben in dieſem Augenblick eine ungemeine Gewalt; ein jeder der herrſchen will, ſchreibt ihren Namen auf ſeine Fahne. Woher kommt dieß? Weil die Demokratie „allen Trieben, den ſchlechten wie den guten, unendliche Aus- ſichten und Verſprechungen bietet.“ Das iſt der Grund ſeiner Macht, allein das iſt auch der Grund ſeiner Gefahr. Denn die Demokratie iſt eben dadurch die „Entfeſſelung der ganzen menſchlichen Natur auf der ganzen Ausdehnung und in allen Tiefen der Geſellſchaft, und als Folge hiervon der thatſächliche, allgemeine, andauernde Kampf zwiſchen ihren guten und böſen Trieben.“ In dieſem Kampfe geht nun das Gute unter, wenn nicht die äußere Gewalt, die Regierung hilft. Allein das iſt der Fluch der Demokratie daß ſie dieſe hohe Aufgabe den Regierungen un- möglich macht. Die Demokratie zwingt die Regierung „jeden Augenblick ſelbſt das Knie vor den ſchlechten Leidenſchaften und ſchlechten Principien zu beugen, und dann zu verſuchen ſich zu erheben um die Ausſchweifungen derſelben zu bekämpfen. Sie macht die Regierung nicht bloß ſchwach, ſie iſt weiter gegangen und hat ſie zur Lüge gezwungen. Es iſt die trau- rige Bedingung der demokratiſchen Regierungen daß man, obgleich ſie damit beauftragt ſind die Unordnung zu unterdrücken, von ihnen verlangt ſie ſollen den Urſachen der Unordnung gegenüber gefällig und ſchmeichelnd ſeyn.“ Ich glaube daß Guizot hier den Kern der Sache berührt hat; es iſt dieß der richtigſte Gedanke im ganzen Buche, und wird bei Verſtändigen ſtets der Hauptvorwurf gegen jede demokratiſche Ver- faſſung ſeyn. Nur daß man Eins nicht vergeſſe. Iſt es eigentlich ſpeci- fiſch die Republik der man dieſen Vorwurf macht? Iſt dieß alles viel- leicht weniger der Fall in einer conſtitutionellen Monarchie, wo die Mini- ſterien aus dem Volk hervorgehen, wie die Regierung in der Republik? Wenn aber die Miniſterien dem Volke gerade ebenſo gegenüberſtehen, was wird dann in der letztern Staatsverfaſſung die Folge dieſer Stellung ſeyn? Man wird von den Miniſtern verlangen was man in der Republik von dem Staatsoberhaupt verlangt. Oder hat vielleicht Guizot ſelbſt ſich un- nachſichtlich gegen die Principien der „böſen Leidenſchaften“ bewieſen als er unter faſt unerhörten Beſtechungen eine Kammer zu Stande brachte die machtlos und ehrlos daſtand? Das iſt die wunde Stelle in der ganzen Guizot’ſchen Deduction daß alles was er ſagt ſich mit derſelben Conſe- quenz auf die conſtitutionelle Monarchie anwenden läßt; er beweist daß die Republik Gefahr bringt; er beweist nicht daß die Monarchie weniger gefahrbringend iſt oder ſeyn kann. Guizot geht weiter. Er ſcheidet die demokratiſche von der ſocialen Republik. Jene fordert er auf daß ſie „ihren Sieg verkünde oder beweiſe, indem ſie den Frieden wiederherſtelle.“ Sie thut es nicht; ſie wird „den ſocialen Frieden und die politiſche Freiheit in die höchſte Gefahr bringen oder ſie darin laſſen.“ Gut denn. Aber Guizot lebte unter Napoleon, er lebte unter Karl X, er lebte unter Ludwig Philipp. Was brachte die militäriſche Dictatur? Einen Krieg gegen Europa. Was brachte die Reſtauration, das ſcheinbar conſtitutionelle Königthum? Sie warf durch ihren Kampf gegen die Freiheit denſelben Guizot in die äußerſte Op- poſition, ihn der jetzt die nothwendigen Conſequenzen ſeiner Schriften von 1820 bis 1830 anklagt, und endete mit einer Revolution die niemand verdammt hat. Was brachte der Philippismus, die wirklich conſtitutio- nelle Monarchie? Guizot lebte ja doch von 1830 bis 1834; in dieſen vier Jahren war mehr Aufruhr in Frankreich als im verfloſſenen; nie iſt die Flamme gelöſcht, und endlich erzeugt auch dieß Syſtem eine Revolution. Wie will Guizot verhindern daß man von ſeinem Buch aus einen Blick auf dieſe Verhältniſſe werfe, und was will er zu dem Schluß ſagen daß die übrigen Regierungsformen alle zuſammen nichts beſſeres geleiſtet haben als dieſe ſo hart beſchuldigte Republik? Er kann mit ſeinen Be- weiſen wohl die Ueberzeugung von der Trefflichkeit der beſtehenden Re- publik ſchwankend machen, aber er kann keine für eine andere gewinnen. Was wird dieſe reine Negation nützen? Und wem wird ſie nützen? Schwerlich dem wofür Guizot die Feder ergriff! Die ſociale Republik endlich iſt „ebenſo widerwärtig als unmöglich. Sie iſt das abgeſchmackteſte und zugleich das ſchlimmſte aller Hirn- geſpinnſte.“ Guizot hat hier Recht in ſeinen Anſichten, aber Unrecht darin daß er ſeinen Beweis zu kurz macht. Er zeigt nur daß er die Sache von ihrer verderblichen Seite kennt; er weiß weder das Gute an ihr anzu- erkennen, noch auch es zu benutzen. Er hält Proudhon für den bedeutendſten Socialiſten, und ſieht nicht daß gerade Proudhon ſich nur in Negationen bewegt hat. Doch laſſen wir dieſen Theil der kleinen Schrift; er iſt offen- bar nur ein Anhängſel des Ganzen. Bei weitem bedeutender iſt das folgende, die Unterſuchungen über die wirklichen Elemente der Geſellſchaft in Frankreich. Das hierher gehörige Capitel V iſt gewiß das beſte im ganzen Buche. Guizot wirft hier einen durchdringenden Blick über die Claſſen der Geſellſchaft; vorzüglich beachtenswerth iſt der ſchöne Paſſus über die Ehre der Arbeit, und ganz vortrefflich der Satz daß die legiti- miſtiſche Partei nicht die dynaſtiſche und auch nicht die monarchiſche Partei, ſondern „die Trägerin der Elemente iſt die einſt die alte (franzö- ſiſche) Geſellſchaft beherrſcht haben.“ Wen wird dieſe Bemerkung mit ihrer ſchlagenden Wahrheit nicht überzeugen, und über ſo manches auf- klären das ohne dieſen Satz im Halbdunkel bleibt? Merkwürdig dagegen daß Guizot keine republicaniſche Partei ſucht oder anerkennt; unge- recht aber wenn er die Republicaner unbedingt mit den Anarchiſten, deren Exiſtenz als Partei leider kein Vernüftiger läugnen kann, zuſam- menwirft. Wir hätten Guizot Mannhaftigkeit der Geſinnung genug zu- getraut um eine ſolche Zweideutigkeit Angeſichts des ganzen Frankreichs zu vermeiden, um ſo mehr als eben dieſe Vermengung durch ihren häufi- gen Gebrauch an Wahrheit und Eindruck täglich verliert. Aus den Elementen dieſer Geſellſchaft will nun Guizot die Regierung zuſammengeſetzt wiſſen. Wir können einen ſolchen Ausgang ſeiner De- duction nur für einen vollkommen richtigen halten; allein mit einigem Erſtaunen müſſen wir dabei bemerken daß im Grund eben dieſe Bildung der Regierung nichts mehr und nichts weniger iſt und ſeyn kann als die republicaniſche. Es iſt ganz wunderbar dieſen Schluß an dem Ende eines ſolchen Buches zu finden. Guizot erwartet das Heil Frankreichs nicht vom Königthum; er weist auf dasſelbe auch nicht mit einem Finger hin; er fordert nur daß dem wachſenden Strom der Demokratie gegen- über „die conſervativen Beſtandtheile der franzöſiſchen Geſellſchaft ſich vereinigen und feſt begründen, daß in ihnen der politiſche Geiſt den Parteigeiſt überwältige“; davon, von ihrer Vereinigung hängt das Heil des Ganzen ab; ohne ſie „wird die Demokratie Frankreich und mit Frankreich ſie ſelber in das Verderben ſtürzen.“ In der That, eine ſolche Bedeutungsloſigkeit des Königthums hätten wir in einer ſolchen Schrift am wenigſten geſucht. Man muß geſtehen daß, wenn es etwas gibt was das Königthum überflüſſig und die Republik als die natürliche Staatsform erſcheinen läßt, gerade dieſer Schluß von einem ſolchen Mann ein Entſcheidendes ſeyn muß. Es iſt nicht zu läugnen, Guizot ſteht mit dieſen Sätzen bereits mitten in der Republik; er hat das Königthum aufgegeben; er weiß von ihm keine Hülfe; er ſieht keine Hoffnung, keine Bildung einer guten Regierung als durch das Hervorgehen derſelben aus den Elementen der Geſellſchaft, und durch das Zuſammenſchließen des conſervativen Elements. Es iſt der Mühe werth dieß Reſultat vor Augen zu halten. Wenn, nachdem das Königthum drei Monate geſtürzt war, Guizot ſelber von ihm nichts mehr erwartet, was mag es ihm dann ge- weſen ſeyn ſo lange es beſtand? Es iſt bekannt daß Ludwig Philipp und ſein Miniſter nie Freunde waren; ſollte auch Guizot, wie Napoleon auf St. Helena, im Grunde ſeines Herzens ſich ſchon damals geſagt haben: Meine Natur hat mich zum Republicaner, mein Schickſal mich zum Vertheidiger des Fürſtenthums gemacht? Faßt man nun dieſe Betrachtungen zu einem gemeinſamen Reſultat zuſammen, ſo darf man ſagen daß Guizot an ſich nicht gegen die Republik und kein definitiver Vertheidiger des Königthums iſt, ſo nahe er auch demſelben — oder vielleicht gerade weil er demſelben ſo nahe geſtanden. Seine Natur weist ihn auf ein ſtrenges und ſtarres Regierungsſyſtem hin; wo er dieß findet, da iſt er zufrieden, ſey es in der Republik, ſey es im Königthum. Was er in der Republik haßt, iſt nicht die Königsloſig- keit, es iſt vielmehr das Ergriffenwerden der Regierung von den Bewe- gungen des Volkslebens; und in der That iſt ihm die demokratiſche Republik eben diejenige wo dieſe unmittelbare Einwirkung des Volkes auf die Regierung ſtattfindet, mithin diejenige die er entſchieden für höchſt

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 96, 6. April 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine96_1849/9>, abgerufen am 24.11.2024.