Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.[Spaltenumbruch]
die Krone wanke auf seinem Haupte und es wäre ein ewig nagendes Berlin, 22 März Abends. Die feierliche Beerdigung der bür- * Berlin, 23 März. Die Bestattung der in der Revolutionsnacht Berlin, 22 März. Heute brach einer der tiefernstesten Tage an [Spaltenumbruch]
die Krone wanke auf ſeinem Haupte und es wäre ein ewig nagendes ⁑ Berlin, 22 März Abends. Die feierliche Beerdigung der bür- * Berlin, 23 März. Die Beſtattung der in der Revolutionsnacht Berlin, 22 März. Heute brach einer der tiefernſteſten Tage an <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div type="jArticle" n="5"> <p><pb facs="#f0018" n="2"/><cb/> die Krone wanke auf ſeinem Haupte und es wäre ein ewig nagendes<lb/> Bewußtſeyn, wenn er den Sturz ſeines Hauſes verſchulden ſollte. Der<lb/> König zog ſich zurück, aber konnte ſich nicht entſchließen ſeine Truppen<lb/> zurückzuziehen, welche nun einmal von den Fürſten, von den preußiſchen<lb/> Fürſten insbeſondere, als die ſicherſte Stütze ihrer Macht angeſehen ſind.<lb/> Vincke lehnte es ab mit dem König zu ſpeiſen und empfahl ſich. Der<lb/> König ſagte zum Abſchied: Glauben Sie nicht daß wir hier rathlos<lb/> ſind! Vincke reiste andern Tags nach Weſtfalen zurück. Der König<lb/> befolgte ſeinen Rath — zwölf Stunden zu ſpät. Sie können denken<lb/> mit welcher Geſpanntheit wir hier jeder Nachricht aus Berlin entgegen-<lb/> ſehen, jeder fühlt daß die Zukunft der Rheinlande, Preußens, Deutſch-<lb/> lands in dieſen Tagen entſchieden wird. Täglich iſt große Verſamm-<lb/> lung. Heute hieß es in der ganzen Stadt, es ſolle die Republik pro-<lb/> clamirt werden, und zwar von der Partei deren Führer die bei dem<lb/> jüngſten Volksauflauf verhafteten HH. Willich und Anneke ſind. Sie<lb/> waren, da nichts gegen ſie vorlag, wie das Gericht ſagt, oder, wie ſie<lb/> ſelbſt erklären, durch die Macht der öffentlichen Meinung freigelaſſen<lb/> worden. Heute ſtrömten die Kölner Bürger, deren große Mehrheit die<lb/> neuerrungene Freiheit mit Unwillen durch den unzeitigen Verſuch einer<lb/> Republik bedroht ſteht, zahlreich in die angekündigte Verſammlung.<lb/> Willich und Anneke verwahrten ſich gegen jede Anſchuldigung die un-<lb/> teren Claſſen zur Unordnung anzureizen. Die Verſammlung erklärte<lb/> ſich nachdrücklich gegen die Republik. Sie beſchloß die Regierung um<lb/> Antwort auf die Petition aufs neue anzugehen. Es ward eine eben<lb/> eingegangene Depeſche vorgeleſen, wonach der König in dem Augenblick<lb/> unter großem Jubel durch die Straßen Berlins reitet. Gottlob daß<lb/> das Königthum gerettet ſcheint! Was die De peſche ſonſt enthielt, der<lb/> König habe erklärt er wolle ſich an die Spitze Deutſchlands ſtellen,<lb/> ward ſchweigend aufgenommen. „Der Worte ſind genug gewechſelt“ und<lb/> die Preußen allein unter allen deutſchen Stämmen haben noch keine<lb/><hi rendition="#g">beſtimmte</hi> Zuſicherung ihrer Rechte! Das iſt das Gefühl das au-<lb/> genblicklich durch ganz Rheinland geht. Für ihre neue Verfaſſung gibt<lb/> das neue Miniſterium ihnen keine Bürgſchaft. Graf Arnim, der „Fürſt<lb/> der Junker“, iſt mit den Verfaſſungsangelegenheiten beauftragt. Camp-<lb/> hauſen wird morgen früh nach Berlin abreiſen; er iſt bereit dem König<lb/> zu dienen, aber nicht unter Arnim. Die Unordnungen in unſerer Nach-<lb/> barſchaft in Aachen, Crefeld ꝛc. dauern fort. Sie gehen nur von dem<lb/> Theile des Volks aus welchen man mit Recht Pöbel nennt. Hier in<lb/> Köln werden wiederholte Verſuche gemacht die Gleichheit auf der Straße<lb/> einzuführen, indem man Geld erpreßt, in die Schenken geht und ſich<lb/> ohne Bezahlung bewirthen läßt ꝛc. Seit geſtern iſt die Bürgergarde<lb/> bewaffnet, und hält ſtrenge Wache. Ueber alle Beſorgniſſe des Augen-<lb/> blicks erhebt der Gedanke daß der alte Zopf, das Unweſen der Beamten<lb/> und Soldatenherrſchaft vorüber iſt, und der Gedanke an das große<lb/> einige Vaterland, deſſen Banner ſtolz vom Dom weht. Morgen ver-<lb/> ſammeln ſich hier Deputationen aller Städte der Rheinprovinz. Der<lb/> hieſtge Stadtrath hat heute beſchloſſen den Sitzungen beizuwohnen; auf<lb/> alle Fälle hat die Provinz alſo einen Mittelpunkt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline>⁑ <hi rendition="#b">Berlin</hi>, 22 März Abends.</dateline><lb/> <p>Die feierliche Beerdigung der bür-<lb/> gerlichen Leichen begann heute Mittag 2 Uhr. Der Zug ging vom Gen-<lb/> darmenplatz aus, wo ich ihn aus einem Fenſter überſehen konnte. Vor-<lb/> an gingen die Särge, alle von ſchwarzgekleideten Männern getragen,<lb/> hinter jedem die leidtragenden Verwandten männlichen Geſchlechts.<lb/> Dann folgte ein langer Zug leidtragender Frauen, die Geiſtlichkeit, die<lb/> Univerſität und alle Stände und Gewerke mit unzähligen Fahnen, unter<lb/> denen die dreifarbige vorherrſchte. Auch die Polen ſah man mit ihrer<lb/> weiß und rothen Fahne. Es herrſchte die muſterhafteſte Ordnung. Der<lb/> Anblick der langen Reihe von Särgen wird jedem unvergeßlich bleiben<lb/> der ihn mit angeſehen. Die ſchrecklich ſchöne Feier fand ſtatt un-<lb/> ter dem Wehen unzähliger deutſcher Fahnen, mit denen Berlin bis in<lb/> die äußerſten Vorſtädte hinaus bedeckt iſt. Die geſammte Bevölkerung<lb/> trägt neben dem Trauerflor die deutſchen Farben. Schon ſeit geſtern<lb/> weht auf der hohen Kuppel des königlichen Schloſſes eine ungeheure<lb/> Fahne in den drei Farben, deren Wellen im Wind flattern.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin</hi>, 23 März.</dateline><lb/> <p>Die Beſtattung der in der Revolutionsnacht<lb/> vom 18 zum 19 März Gefallenen wurde geſtern eine erhebende und<lb/> großartige Feier, in der unſere blutige Errungenſchaften ſich zugleich im<lb/> Herzen der ganzen Bevölkerung als unverlierbare Reſultate feſtſtellten!<lb/> Ein neuer friſcher Lebensgeiſt hat in dem ſonſt ſo naßkalt erſchienenen<lb/> Berlin alle Menſchen und Stände beflügelt und zu einer brüderlichen<lb/> Vereinigung angenähert. Dieſe bethätigte ſich auf eine wahrhaft erha-<lb/><cb/> bene Weiſe in der ungeheuern Menſchenmaſſe, welche geſtern in der<lb/> wunderbarſten Ordnung die Opfer unſerer Revolution zu ihrer Ruhe-<lb/> ſtätte geleitete, die vor dem Landsberger Thor in dem bisher ſogenann-<lb/> ten Friedrichshaine zu einem Nationaldenkmal ausgebaut werden wird,<lb/> und geſtern nur erſt mit einem einfachen Freiheitsbaum geziert werden<lb/> konnte. Auch für den Tag des Begräbniſſes hatten noch bedeutende<lb/> Veſorgniſſe geherrſcht, da eine übelverſtandene Sentimalität oder ein<lb/> vorzeitiger Verſöhnungs – und Beſchwichtigungseifer das Begräbniß-<lb/> comité anfangs dahin geſtimmt hatte zugleich die Beerdigung der Mili-<lb/> tärtodten mit den Gefallenen der Bürger vorzunehmen. Wäre dieſer<lb/> die allgemeine Stimmung verkennende Beſchluß nicht durch eine Depu-<lb/> tation, die noch am ſpäten Abend den König erreichte, umgeändert wor-<lb/> worden, ſo würde das Begräbniß von Seite der Bevölkerung Störun-<lb/> rungen erlitten haben die folgenreich und unberechenbar geweſen wä-<lb/> ren. Es waren 180 Särge, welche geſtern in einer unendlichen Feier-<lb/> lichkeit und mit wahrhaft majeſtätiſcher Trauer der ganzen Stadt be-<lb/> graben wurden. Die Todten gehören faſt ſämmtlich den arbeitenden<lb/> Claſſen und dem Handwerkerſtande an. Zwei Referendarien die ſich<lb/> darunter befinden, gehörten zu den heldenmüthigſten Führern des Bar-<lb/> ricadenkampfes. Die Zahl der Verwundeten, die ſich noch an verſchie-<lb/> denen Orten vertheilt befinden, beläuft ſich gegen 1000 aus den ver-<lb/> ſchiedenſten Ständen; viele darunter werden wahrſcheinlich noch ihren<lb/> Wunden erliegen, und dann in einzelnen Begräbniſſen im Geleit ihrer<lb/> Standes- und Kampfgenoſſen zu der allgemeinen Ruheſtatt unſerer Frei-<lb/> heitshelden geleitet werden. Die Zahl der Todten des Militärs ſoll ſich<lb/> nahe an 900 belaufen. Seine Verwundeten dagegen dürften faſt die<lb/> Zahl von 2000 erreichen. (D. A. Z.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 22 März.</dateline><lb/> <p>Heute brach einer der tiefernſteſten Tage an<lb/> welche unſere Hauptſtadt jemals erlebt hat. Er war dazu auserſehen den<lb/> irdiſchen Ueberreſten der in der Nacht vom 18 zum 19 d. M. gefallenen<lb/> bürgerlichen Streiter feierlich die letzte Ehre zu erweiſen und ſie ge-<lb/> weihter Erde zu übergeben. Der frühe Morgen fand bereits ſelbſt die<lb/> entfernteren Stadttheile in der größten Bewegung. Von den Häuſern<lb/> und aus den Fenſtern wehten neben der deutſchen Flagge große Trauer-<lb/> flore. Schwarze Fahnen waren auf den Thoren aufgezogen und wehten<lb/> von den Zinnen des Schloſſes. Die Männer hatten den Trauerflor um<lb/> den Arm oder um den Hut, die Damen erſchienen in ſchwarzen Kleidern<lb/> auf den Balconen, an den Fenſtern und auf den Straßen. Zu beiden<lb/> Seiten der Straßen, auf dem Bürgerſteige ſtellten ſich die Zuſchauer auf,<lb/> den Schloßplatz bedeckte eine unabſehbare Menge von dem Gendarmen-<lb/> markte ab bis an die Gruft vor dem Landsberger Thore, alle in der<lb/> ruhigſten Haltung, den höchſten Ernſt in den Zügen, die Schmerzens-<lb/> thräne im Auge. Vor der Neuen Kirche erhob ſich eine mit Trauer-<lb/> floren und Blumen geſchmückte Eſtrade, worauf die Särge aufgeſtellt<lb/> waren. Um Mittag zogen die verſchiedenen Abtheilungen der Bürger-<lb/> garde, der Studenten, der Handwerker und Corporationen von ihren<lb/> Sammelplätzen heran und ſtellten ſich auf den ihnen bezeichneten Plätzen<lb/> auf. Die Schützengilde welche damit beauftragt war über der Gruft die<lb/> Ehrenſalven abzufeuern, der Magiſtrat und die Stadtverordneten, mit<lb/> ihren goldenen Ketten geſchmückt, die Geiſtlichen aller Confeſſionen ſtell-<lb/> ten ſich zu dem Zuge ein. Auf der Eſtrade neben den Särgen ſprachen<lb/> nacheinander der Prediger Sydow, der Caplan der St. Hedwigskirche<lb/> Ruland und der Oberrabbiner <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Sachs, worauf die Särge auf die<lb/> Bahren gehoben wurden und der Zug ſich in Bewegung ſetzte. Er ging<lb/> die Charlottenſtraße hinab nach den Linden zu bis zum Opernplatz. Hier<lb/> ſtanden die Mitglieder der königlichen Schauſpiele, der Singakademie<lb/> und des Domchors, welche den Zug mit einem Choral empfingen und<lb/> ſich dann demſelben anſchloſſen, worauf ſich derſelbe über den Schloßplatz<lb/> und durch die Königsſtraße nach dem Landsberger Thor bewegte, das<lb/> ganz beſonders mit Blumen, Laubgewinden und der Inſchrift „Zum An-<lb/> denken der Gefallenen“ geſchmückt war. Der lange und unabſe-hbare<lb/> Zug, der faſt drei Stunden dauerte, beſtand aus einer Abtheilung be-<lb/> waffneter junger Leute, Abtheilungen des Handwerkervereins und der<lb/> Bürgergarde, der Berliner- und Deputationen der Potsdamer-, Magde-<lb/> burger- und anderer Gilden, Mädchen in Trauer mit Kränzen, Trauer-<lb/> marſchälle welche die Räume zwiſchen den verſchiedenen Sargabtheilun-<lb/> gen ausfüllten, ein Zug Italiener (worunter die Mitglieder der italie-<lb/> niſchen Oper) mit der grün-roth-weißen Nationalfahne, die polniſche<lb/> Legion mit der deutſchen und der roth-weißen polniſchen Fahne, die<lb/> Kaufmannſchaft, alle Gewerke, die Geiſtlichkeit, der Rector und die<lb/> Dekane der Univerſität (neben dem erſteren Alexander v. Humboldt),<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2/0018]
die Krone wanke auf ſeinem Haupte und es wäre ein ewig nagendes
Bewußtſeyn, wenn er den Sturz ſeines Hauſes verſchulden ſollte. Der
König zog ſich zurück, aber konnte ſich nicht entſchließen ſeine Truppen
zurückzuziehen, welche nun einmal von den Fürſten, von den preußiſchen
Fürſten insbeſondere, als die ſicherſte Stütze ihrer Macht angeſehen ſind.
Vincke lehnte es ab mit dem König zu ſpeiſen und empfahl ſich. Der
König ſagte zum Abſchied: Glauben Sie nicht daß wir hier rathlos
ſind! Vincke reiste andern Tags nach Weſtfalen zurück. Der König
befolgte ſeinen Rath — zwölf Stunden zu ſpät. Sie können denken
mit welcher Geſpanntheit wir hier jeder Nachricht aus Berlin entgegen-
ſehen, jeder fühlt daß die Zukunft der Rheinlande, Preußens, Deutſch-
lands in dieſen Tagen entſchieden wird. Täglich iſt große Verſamm-
lung. Heute hieß es in der ganzen Stadt, es ſolle die Republik pro-
clamirt werden, und zwar von der Partei deren Führer die bei dem
jüngſten Volksauflauf verhafteten HH. Willich und Anneke ſind. Sie
waren, da nichts gegen ſie vorlag, wie das Gericht ſagt, oder, wie ſie
ſelbſt erklären, durch die Macht der öffentlichen Meinung freigelaſſen
worden. Heute ſtrömten die Kölner Bürger, deren große Mehrheit die
neuerrungene Freiheit mit Unwillen durch den unzeitigen Verſuch einer
Republik bedroht ſteht, zahlreich in die angekündigte Verſammlung.
Willich und Anneke verwahrten ſich gegen jede Anſchuldigung die un-
teren Claſſen zur Unordnung anzureizen. Die Verſammlung erklärte
ſich nachdrücklich gegen die Republik. Sie beſchloß die Regierung um
Antwort auf die Petition aufs neue anzugehen. Es ward eine eben
eingegangene Depeſche vorgeleſen, wonach der König in dem Augenblick
unter großem Jubel durch die Straßen Berlins reitet. Gottlob daß
das Königthum gerettet ſcheint! Was die De peſche ſonſt enthielt, der
König habe erklärt er wolle ſich an die Spitze Deutſchlands ſtellen,
ward ſchweigend aufgenommen. „Der Worte ſind genug gewechſelt“ und
die Preußen allein unter allen deutſchen Stämmen haben noch keine
beſtimmte Zuſicherung ihrer Rechte! Das iſt das Gefühl das au-
genblicklich durch ganz Rheinland geht. Für ihre neue Verfaſſung gibt
das neue Miniſterium ihnen keine Bürgſchaft. Graf Arnim, der „Fürſt
der Junker“, iſt mit den Verfaſſungsangelegenheiten beauftragt. Camp-
hauſen wird morgen früh nach Berlin abreiſen; er iſt bereit dem König
zu dienen, aber nicht unter Arnim. Die Unordnungen in unſerer Nach-
barſchaft in Aachen, Crefeld ꝛc. dauern fort. Sie gehen nur von dem
Theile des Volks aus welchen man mit Recht Pöbel nennt. Hier in
Köln werden wiederholte Verſuche gemacht die Gleichheit auf der Straße
einzuführen, indem man Geld erpreßt, in die Schenken geht und ſich
ohne Bezahlung bewirthen läßt ꝛc. Seit geſtern iſt die Bürgergarde
bewaffnet, und hält ſtrenge Wache. Ueber alle Beſorgniſſe des Augen-
blicks erhebt der Gedanke daß der alte Zopf, das Unweſen der Beamten
und Soldatenherrſchaft vorüber iſt, und der Gedanke an das große
einige Vaterland, deſſen Banner ſtolz vom Dom weht. Morgen ver-
ſammeln ſich hier Deputationen aller Städte der Rheinprovinz. Der
hieſtge Stadtrath hat heute beſchloſſen den Sitzungen beizuwohnen; auf
alle Fälle hat die Provinz alſo einen Mittelpunkt.
⁑ Berlin, 22 März Abends.
Die feierliche Beerdigung der bür-
gerlichen Leichen begann heute Mittag 2 Uhr. Der Zug ging vom Gen-
darmenplatz aus, wo ich ihn aus einem Fenſter überſehen konnte. Vor-
an gingen die Särge, alle von ſchwarzgekleideten Männern getragen,
hinter jedem die leidtragenden Verwandten männlichen Geſchlechts.
Dann folgte ein langer Zug leidtragender Frauen, die Geiſtlichkeit, die
Univerſität und alle Stände und Gewerke mit unzähligen Fahnen, unter
denen die dreifarbige vorherrſchte. Auch die Polen ſah man mit ihrer
weiß und rothen Fahne. Es herrſchte die muſterhafteſte Ordnung. Der
Anblick der langen Reihe von Särgen wird jedem unvergeßlich bleiben
der ihn mit angeſehen. Die ſchrecklich ſchöne Feier fand ſtatt un-
ter dem Wehen unzähliger deutſcher Fahnen, mit denen Berlin bis in
die äußerſten Vorſtädte hinaus bedeckt iſt. Die geſammte Bevölkerung
trägt neben dem Trauerflor die deutſchen Farben. Schon ſeit geſtern
weht auf der hohen Kuppel des königlichen Schloſſes eine ungeheure
Fahne in den drei Farben, deren Wellen im Wind flattern.
* Berlin, 23 März.
Die Beſtattung der in der Revolutionsnacht
vom 18 zum 19 März Gefallenen wurde geſtern eine erhebende und
großartige Feier, in der unſere blutige Errungenſchaften ſich zugleich im
Herzen der ganzen Bevölkerung als unverlierbare Reſultate feſtſtellten!
Ein neuer friſcher Lebensgeiſt hat in dem ſonſt ſo naßkalt erſchienenen
Berlin alle Menſchen und Stände beflügelt und zu einer brüderlichen
Vereinigung angenähert. Dieſe bethätigte ſich auf eine wahrhaft erha-
bene Weiſe in der ungeheuern Menſchenmaſſe, welche geſtern in der
wunderbarſten Ordnung die Opfer unſerer Revolution zu ihrer Ruhe-
ſtätte geleitete, die vor dem Landsberger Thor in dem bisher ſogenann-
ten Friedrichshaine zu einem Nationaldenkmal ausgebaut werden wird,
und geſtern nur erſt mit einem einfachen Freiheitsbaum geziert werden
konnte. Auch für den Tag des Begräbniſſes hatten noch bedeutende
Veſorgniſſe geherrſcht, da eine übelverſtandene Sentimalität oder ein
vorzeitiger Verſöhnungs – und Beſchwichtigungseifer das Begräbniß-
comité anfangs dahin geſtimmt hatte zugleich die Beerdigung der Mili-
tärtodten mit den Gefallenen der Bürger vorzunehmen. Wäre dieſer
die allgemeine Stimmung verkennende Beſchluß nicht durch eine Depu-
tation, die noch am ſpäten Abend den König erreichte, umgeändert wor-
worden, ſo würde das Begräbniß von Seite der Bevölkerung Störun-
rungen erlitten haben die folgenreich und unberechenbar geweſen wä-
ren. Es waren 180 Särge, welche geſtern in einer unendlichen Feier-
lichkeit und mit wahrhaft majeſtätiſcher Trauer der ganzen Stadt be-
graben wurden. Die Todten gehören faſt ſämmtlich den arbeitenden
Claſſen und dem Handwerkerſtande an. Zwei Referendarien die ſich
darunter befinden, gehörten zu den heldenmüthigſten Führern des Bar-
ricadenkampfes. Die Zahl der Verwundeten, die ſich noch an verſchie-
denen Orten vertheilt befinden, beläuft ſich gegen 1000 aus den ver-
ſchiedenſten Ständen; viele darunter werden wahrſcheinlich noch ihren
Wunden erliegen, und dann in einzelnen Begräbniſſen im Geleit ihrer
Standes- und Kampfgenoſſen zu der allgemeinen Ruheſtatt unſerer Frei-
heitshelden geleitet werden. Die Zahl der Todten des Militärs ſoll ſich
nahe an 900 belaufen. Seine Verwundeten dagegen dürften faſt die
Zahl von 2000 erreichen. (D. A. Z.)
Berlin, 22 März.
Heute brach einer der tiefernſteſten Tage an
welche unſere Hauptſtadt jemals erlebt hat. Er war dazu auserſehen den
irdiſchen Ueberreſten der in der Nacht vom 18 zum 19 d. M. gefallenen
bürgerlichen Streiter feierlich die letzte Ehre zu erweiſen und ſie ge-
weihter Erde zu übergeben. Der frühe Morgen fand bereits ſelbſt die
entfernteren Stadttheile in der größten Bewegung. Von den Häuſern
und aus den Fenſtern wehten neben der deutſchen Flagge große Trauer-
flore. Schwarze Fahnen waren auf den Thoren aufgezogen und wehten
von den Zinnen des Schloſſes. Die Männer hatten den Trauerflor um
den Arm oder um den Hut, die Damen erſchienen in ſchwarzen Kleidern
auf den Balconen, an den Fenſtern und auf den Straßen. Zu beiden
Seiten der Straßen, auf dem Bürgerſteige ſtellten ſich die Zuſchauer auf,
den Schloßplatz bedeckte eine unabſehbare Menge von dem Gendarmen-
markte ab bis an die Gruft vor dem Landsberger Thore, alle in der
ruhigſten Haltung, den höchſten Ernſt in den Zügen, die Schmerzens-
thräne im Auge. Vor der Neuen Kirche erhob ſich eine mit Trauer-
floren und Blumen geſchmückte Eſtrade, worauf die Särge aufgeſtellt
waren. Um Mittag zogen die verſchiedenen Abtheilungen der Bürger-
garde, der Studenten, der Handwerker und Corporationen von ihren
Sammelplätzen heran und ſtellten ſich auf den ihnen bezeichneten Plätzen
auf. Die Schützengilde welche damit beauftragt war über der Gruft die
Ehrenſalven abzufeuern, der Magiſtrat und die Stadtverordneten, mit
ihren goldenen Ketten geſchmückt, die Geiſtlichen aller Confeſſionen ſtell-
ten ſich zu dem Zuge ein. Auf der Eſtrade neben den Särgen ſprachen
nacheinander der Prediger Sydow, der Caplan der St. Hedwigskirche
Ruland und der Oberrabbiner Dr. Sachs, worauf die Särge auf die
Bahren gehoben wurden und der Zug ſich in Bewegung ſetzte. Er ging
die Charlottenſtraße hinab nach den Linden zu bis zum Opernplatz. Hier
ſtanden die Mitglieder der königlichen Schauſpiele, der Singakademie
und des Domchors, welche den Zug mit einem Choral empfingen und
ſich dann demſelben anſchloſſen, worauf ſich derſelbe über den Schloßplatz
und durch die Königsſtraße nach dem Landsberger Thor bewegte, das
ganz beſonders mit Blumen, Laubgewinden und der Inſchrift „Zum An-
denken der Gefallenen“ geſchmückt war. Der lange und unabſe-hbare
Zug, der faſt drei Stunden dauerte, beſtand aus einer Abtheilung be-
waffneter junger Leute, Abtheilungen des Handwerkervereins und der
Bürgergarde, der Berliner- und Deputationen der Potsdamer-, Magde-
burger- und anderer Gilden, Mädchen in Trauer mit Kränzen, Trauer-
marſchälle welche die Räume zwiſchen den verſchiedenen Sargabtheilun-
gen ausfüllten, ein Zug Italiener (worunter die Mitglieder der italie-
niſchen Oper) mit der grün-roth-weißen Nationalfahne, die polniſche
Legion mit der deutſchen und der roth-weißen polniſchen Fahne, die
Kaufmannſchaft, alle Gewerke, die Geiſtlichkeit, der Rector und die
Dekane der Univerſität (neben dem erſteren Alexander v. Humboldt),
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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