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Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 29. März 1900.

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erste Seite
Nr. 86.
Morgenblatt.
103. Jahrgang. München, Donnerstag, 29. März 1900.


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Wöchentlich
12 Ausgaben.
Bezugspreise:
Durch die Postämter:
jährlich M. 36. --,
ohne Beil. M. 18. --
(viertelj. M. 9. --,
ohne Beil. M. 4.50);
in München b. d. Ex-
pedition od. d. Depots
monatlich M. 2. --,
ohne Beil. M. 1.20.
Zustellg. mil. 50 Pf.
Direkter Bezug für
Deutschl. u. Oesterreich
monatlich M. 4. --,
ohne Beil. M. 3. --,
Ausland M. 5.60,
ohne Beil. M. 4.40.

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Allgemeine Zeitung.
[Spaltenumbruch]

Insertionspreis
für die kleinspaltige
Kolonelzeile od. deren
Raum 25 Pfennig;
finanzielle Anzeigen
35 Pf.; lokale Ver-
kaufsanzeig. 20 Pf.;
Stellengesuche 15 Pf.



Redaktion und Expe-
dition befinden sich
Schmanthalerstr. 36
in München.


Berichte sind an die
Redaktion, Inserat-
aufträge an die Ex-
pedition franko ein-
zusenden.



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Abonnements für Berlin nimmt unsere dortige Filiale in der Leipzigerstraße 11 entgegen.
Abonnements für das Ausland
nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str., London; für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klincksieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien,
Niederlande, Rumänien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien die dortigen Postämter; für den Orient
das k. k. Postamt in Wien oder Triest; für Nordamerika F. W. Christern, E. Steiger u. Co., Gust.
E. Stechert, Westermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.

[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]

Inseratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerstraße 36, in Berlin in unserer Filiale,
Leipzigerstraße 11,
ferner in Berlin, Hamburg, Brtslau, Köln, Leipzig. Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg,
Wien, Pest, London, Zürich, Basel etc. bei den Annoncenbureaux R. Mosse, Haasenste in u. Bogler. G. L.
Daube u. Co.
In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig. Chemnitz etc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenstraße 26) und S. Kornik (Kochstraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31bi&sr Faubourg Montmartre in Paris.

Verantwortlich für den politischen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menst, für den Handelstheil Ernst Barth, sämmtlich in München.
Druck und Verlag der Gesellschaft mit beschränkter Haftung "Verlag der Allgemeinen Zeitung"
in München.

[Abbildung]

Bestellungen auf die Allgemeine Zeitung für das nächste Quartal
bitten wir für München bei der Expedition, Schwanthalerstraße Nr. 36, oder deren Filiale im Domhof (Liebfrauenstraße), bezw. bei den im Stadtbezirk
errichteten Abholstellen, für auswärts bei dem nächsten Postamt (Bayerischer Zeitungskatalog Nr. 22/3, Zeitungskatalog der Reichspost Nr. 167/8), für das Ausland entweder
gleichfalls bei den Postämtern oder bei den am Kopf der Zeitung genannten Agenturen möglichst bald aufzugeben.



[Spaltenumbruch]
Deutscher Reichstag.
178. Sitzung.

Tel. Der Reichstag hat es
erreicht, den Etat heute in dritter Lesung fertig zu stellen.
Es war das nur möglich dank der in anerkennenswerther
Weise geübten Selbstbeschränkung. Gleich von vornherein
wurde die Resolution wegen Revision der Absperrungs-
maßregeln gegen die Maul- und Klauenseuche abgesetzt;
sie soll alsbald nach der Osterpause an die Reihe kommen.
In den Debatten hätte noch manches Wort gespart werden
können. Daß beim Etat des Reichsheeres der Pole
v. Jazdzewski noch einmal auf den Eid der polnischen
Soldaten zurückkam, erschien ebenso überflüssig, wie daß
Stöcker beim Postetat die Aufhebung des Verbands der
Unterbeamten einer nachträglichen Kritik unterzog. Meh-
rere Abgeordnete traten für Erleichterung der Rayon-
bestimmungen in einzelnen Festungsstädten ein. Der
Kriegsminister v. Goßler sicherte das thunlichste Ent-
gegenkommen der Militärverwaltung zu, bestritt aber, daß
die betreffenden Städte ausnahmslos Lasten und gar keine
Vortheile von den Festungen hätten. Im übrigen wandte
er nichts dagegen ein, daß sein Versprechen aus der Budget-
kommission fixirt wurde, wonach er in Zukunst weniger
Forderungen für Festungen einbringen werde. Die Frage
des Petitionsrechts der Beamten und die Behandlung
solcher Petitionen wurde beim Marineetat besprochen; der
Präsident theilte mit, daß er auf eine Vorstellung des
Vorsitzenden der Budgetkommission, es gingen zu viele
Petitionen dieser Art ein, bestimmt habe, daß Petitionen
einzelner Beamter der Petitionskommission, ganzer
Kategorien von Beamten aber der Budgetkommission,
in deren Bereich die Gehaltserhöhungen fallen, zugewiesen
werden sollen. Den Löwenantheil in der Diskussion
nahmen die agrarischen Fragen in Anspruch. Abg. Oertel
(kons.) verlangte die Bevorzugung inländischer Fleisch-
konserven vor den amerikanischen bei der Proviantirung
der Schiffe und wies auf den Zusammenhang hin, der
für einen Theil der Konservativen zwischen dem Fleisch-
beschan- und Flottengesetz bestehe. Auch die Kohlentarif-
Frage wurde erneut erörtert, besonders aber die Frage der
gemischten Transitlager. Der Reichsschatzsekretär v. Thiel-
mann
hielt den Gegnern dieser Einrichtung vor, daß in
konservativen Kreisen die Ansichten zu ungunsten der ge-
mischten Lager gewechselt hätten; die Regierung könne
aber unmöglich jeden Umschwung der Partei-Ansichten
mitmachen. Ueberdies stehe die Neuordnung des Zoll-
tarifs bevor, es sei kein Grund zu besonderer Aufregung
vorhanden. Zu der Postscheckordnung hatte der Reichs-
schatzsekretär noch vorher eine sehr reservirte und ein-
drucksvolle Erklärung abgegeben, des Inhalts, die ver-
[Spaltenumbruch] bündeten Regierungen müßten sich infolge des bedeutenden
Einnahmeansfalls, den die letzten Reichstagsbeschlüsse in-
volvirten, vorbehalten, wie weit sie diesen Beschlüssen
folgen könnten. Schließlich wurde der Etat in der Ge-
sammtabstimmung gegen die Stimmen der Sozialdemo-
kraten angenommen. Die nächste Sitzung wurde auf den
24. April anberaumt und der Präsident entließ die wenigen
Versammelten mit herzlichen Wünschen in die Osterferien.



Ausführlicher telegraphischer Bericht.

Eingegangen ist die Konvention
mit Oesterreich-Ungarn über den gegenseitigen Schutz
des Urheberrechts an Werken der Literatur und
Kunst. Das Haus fährt in der dritten Etatsberathung
fort. Der Antrag Rembold (Centr.), die Sperrmaßregeln
gegen Maul- und Klauenseuche zu revidiren, wird abgesetzt
und soll baldigst nach Ostern entschieden werden. Beim Etat
der Armeeverwaltung erneuert

Abg. v. Jazdzewski (Pole) seine Beschwerde darüber,
daß polnische Soldaten in deutscher Sprache beichten müßten.

Preußischer Kriegsminister v. Goßler:

Ein Gewissens-
zwang wird niemals in der Armee geübt werden. Um un-
liebsamen Zwischenfällen vorzubeugen, werde ich mich mit
den kirchlichen Behörden benehmen.

Abg. Pachnicke (Frs. Vgg.) verlangt, daß in Spandau
die innere Umwallung, wie in Metz und Diedenhofen, nieder-
gelegt werde.

Minister v. Goßler sagt die Erfüllung zu, um unhalt-
baren Zuständen im Interesse der Stadt ein Ende zu machen.

Abg. Thiele (Soz.) beschwert sich, daß in Halle nicht
bloß Lokale, in denen sozialdemokratische Versammlungen ab-
gehalten wurden, durch den Divisionskommandeur unter Zu-
stimmung des Ministers boykottirt worden sind, sondern auch
die Geschäftsleute, die im "Halle'schen Volksblatt" inferirt
haben; beides sei bei der Intelligenz der Arbeiter freilich ein
Schlag ins Wasser gewesen.

v. Goßler bestreitet, daß das berechtigte Vorgehen der
Kommandobehörde gegen die Sozialdemokraten ein Schlag
ins Wasser gewesen sei. Bezüglich des "Volksblattes" sei
keine Anordnung erfolgt; es müsse da ein Irrthum vorliegen.

Abg. Thiele bemerkt noch, daß die Boykottliste unrichtig
war; sie führte Lokale auf, welche seine Partei niemals be-
nutzt habe, und solche, die gar nicht mehr existiren.

v. Goßler:

Die Leute werden bestraft, wenn sie ver-
botene Lokale besuchen; daher kanften die Urlauber die Liste,
die ihren Zweck erfüllte, auch wenn sie ungenan sei.

Abg. Hoffmeister (Frs. Vgg.) plaidirt für möglichste
Verminderung der Festungen im Innern des Landes und
Niederlegung der Umwallungen, speziell in Glogau.

v. Goßler stimmt bezüglich der letzteren Stadt bei, er-
[Spaltenumbruch] innert aber daran, daß die Festungsstädte durch die Garni-
sonen doch auch Vortheile hätten. Mit Glogau werde be-
reits verhandelt.

Zur Verdoppelung der Ausgaben für den Ausban der
Festungen (es sind diesmal 20 Millionen statt 10 gefordert)
bemerkt

Abg. Müller-Sagan (Frs. Vp.):

Vor jeder Niederlegung
von Umwallungen muß Militär- und Stadtbehörde sich über
den Bebauungsplan und die Beschaffung der Mittel verstän-
digen, nicht aber soll hier ein Blankowechsel ausgestellt wer-
den, den die Militärverwaltung nur auszufüllen braucht und
den der Reichstag ohne weiteres einlösen muß.

Abg. Hoffmeister:

Der Vortheil, den Garnisonen den
Festungsplätzen bringen, ist verschwindend gering gegenüber
ihrer wirthschaftlichen Unfreiheit.

Es kommt der Marine-Etat an die Reihe. Beim
Gehalt des Staatssekretärs erwähnt

Abg. Rickert (Freis. Vgg.), daß die Kommission be-
schlossen habe, sich mit den Petitionen der Beamten für jetzt
und die nächste Zeit nicht zu beschäftigen. Dem stehe das
Petitionsrecht der Beamten entgegen. Es würde sich doch
vielleicht empfehlen, alle Beamtenpetitionen der Petitions-
kommission zu überweisen.

Abg. v. Kardorff (Reichsp.):

Die Budgetkommission
hat ihren Beschluß auch aus dem Grund gefaßt, weil nach
der allgemeinen Gehaltsregulirung vom vergangenen Jahr
jetzt eine kleine Pause gemacht werden müsse.

Abg. Singer (Soz.):

In der Kommission ist von keiner
Seite das Petitionsrecht der Beamten einzuschränken versucht
worden.

Präsident Graf Ballestrem:

Petitionen von Beamten
um Gehaltserhöhung stehen mit dem Budget in engster Ver-
bindung und müssen deßhalb der Budgetkommission über-
wiesen werden.

Abg. Dr. Oertel (konf.) erinnert bei den Ausgaben für
Indiensthaltung der Schiffe, daß seinerzeit zwei ausgehende
Kriegsschiffe mit amerikanischem Büchsenfleisch ausgerüstet ge-
wesen sind. Das Anerbieten der Landwirthschaftskammer von
Schleswig-Holstein, bei der Errichtung einer deutschen Kon-
servenfabrik der Marineverwaltung, etwa in Kiel, jede Unter-
stützung zu gewähren, habe das Marineamt abgelehnt (hört,
hört!), weil das ausländische Fleisch billiger sei und nament-
lich nach der Flottenvermehrung die Verwaltung auf die
Sicherung solcher billiger Quellen Bedacht nehmen müsse.
Redner erhebt entschiedenen Widerspruch dagegen, daß die
Schiffe schon bei der Ausreise in Deutschland mit amerikani-
schem Büchsenfleisch versehen werden. Die Erfahrungen mit
diesem Fleisch hätten doch die Regierungen vorsichtig machen
müssen. Nicht nur die deutsche Landwirthschaft werde durch
diese Verwendung verstimmt, sondern das ganze Volk:
denn das Büchsenfleisch, das die Marine verwende, werde



[Spaltenumbruch]
Wiener Plauderei.

Auch bei uns herrscht die Influenza! Doch, wo herrscht
sie nicht? Nach dem Ausspruch eines Arztes, in den
Polargegenden, wo, nach seinen dort unternommenen
Untersuchungen, die wenigsten Bakterien zu finden sind.
Schade, daß dieser neu entdeckte Kurort so entlegen ist.
Wer weiß, vielleicht errichtet ein Schweizer dort ein Hotel,
der obenerwähnte Arzt ein Sanatorium, und wir machen
als Kurgäste das Terrain den Eisbären und Walfischen
streitig.

"Wir hinken in allem nach", hat vor einigen Tagen
ein unzufriedener Oesterreicher gesagt. (Es gibt deren
leider sehr viele.) In einem ist uns auch Berlin jetzt
"über". Wir hatten zwar im Parlament vor zwei
Jahren eine lex Falkenhayn, welche der Polizei Thüre
und Thor öffnete, um die unbändigen Abgeordneten un-
schädlich zu machen, aber eine lex Heinze besitzen wir
noch nicht. Wohl wacht das Auge des Gesetzes auch über
unsre Kunstgenüsse. Max Halbe's "Jugend", das bei uns
polizeilich verbotene Stück, sollte durch ein Hinterthürchen,
unter dem Deckmantel eines "Vortrags" in einem Konzert-
saale aufgeführt werden. Doch ach -- das Stück sammt
seinen Darstellern und dem arg enttäuschten Publikum
mußte durch das große Thor wieder hinausspaziren.

"Die Jugend von heute" aber, von Otto Ernst, macht
volle Häuser. Sie erscheint ein wenig post festum auf
der Bühne, denn mich däucht, die Nietzsche'schen Ueber-
menschen sind fast schon ein überwundener Standpunkt.

Das Burgtheater hat seinen Kainz wieder, und der
Kainz-Kultus kann aufs neue beginnen. Es ist ganz
merkwürdig, wie weit der weibliche Enthusiasmus die
Grenzen des Vernünftigen und Anständigen überschreiten
kann. Wie der von den Furien gepeitschte Orest flüchtete
sich oft der von seinen Verehrerinnen verfolgte Künstler
-- er verschmähte, nach der Vorstellung, trotz vortrefflichen
Appetits, mit den andern Kollegen in einem Gasthof zu
sonpiren, sondern kaufte sich in einem unscheinbaren Laden
ein frugales Nachtmal, um dasselbe heimlich, doch wenig-
stens ungestört in seiner Kemenate verzehren zu können.
Damals war des Künstlers Gemahlin noch nicht in Wien.
[Spaltenumbruch] Seit ihrer Anwesenheit ist der Enthusiasmus in be-
scheidenere Grenzen getreten.

Auch Adolf v. Sonnenthal weiß von solchen Ver-
folgungen zu erzählen. Sogar über den Ozean nach
Amerika folgte ihm und verfolgte ihn eine enthusiastische
Dame, die leider den einen großen Fehler beging, weder
schön noch jung zu sein und die überdies noch an der
Seekrankheit litt.

Aber in New-York, welch zarte Aufmerksamkeit nach
seinem ersten Auftreten daselbst! In seiner Garderobe
stand ein mächtiger Korb von beträchtlicher Schwere!
"Lauter Dollars"! jubelte der Künstler und seine Augen
füllten sich mit Thränen der Rührung! (Sonnenthal weint
sehr leicht und ist schnell gerührt.) Er dachte an seine Tochter
Hermine daheim und hob den Korbdeckel bedächtig in die
Höhe. Goldgelb leuchtete es ihm entgegen! Aber ach
-- keine blinkenden Dollars hält er in der Hand, sondern
seine Lieblingsfrucht, die goldgelbe, saftige Kaiserbirne!
Seine Verehrerin diesseit des Ozeans, hat ihm jenseit
desselben diese rührende Ueberraschung bereitet! Tableau!

"Sie wissen nicht, wie viel Lob ich vertragen kann",
äußerte sich derselbe Künstler einem Kritiker gegenüber,
der ihn fragte, ob er mit dem ihm gespendeten Lob zu-
frieden gewesen sei.

Draußen in der Vorstadt, im Raimund-Theater feiert
Bonn Triumphe als Geiger von Cremona, als Hamlet,
Kean etc. Man sprach von einem Wiederengagement des
Künstlers am Burgtheater. Dann hieße es wohl: "Hie
Kainz, hie Bonn" und die Parteiwuth wäre auch da
entfesselt! Das alte Stück "Cyprienne" von Sardou wurde
auf Wunsch der Hofschauspielerin Frau Schratt, mit ihr
in der Titelrolle, ins Repertoire aufgenommen. Die
Künstlerin war auch so liebenswürdig, ihren Empiresalon
für die Cyprienne-Abende ins Burgtheater zu verpflanzen.
Noch nie sah man auf einer Bühne einen so stilvollen
eleganten Salon. Jeder Tisch, jeder Stuhl, das Buffet,
die Uhr, kurz jedes Stück ein Juwel, eine Augenweide für
den Stilkenner.

Durch den tragischen Tod des Direktors Jauner und
den Rücktritt der Direktorin Frl. v. Schönerer sind zwei
Vorstadttheater verwaist, die Operette, die im vorigen
[Spaltenumbruch] Jahrhundert in Wien Triumphe gefeiert, ist im Aussterben
begriffen. Die heitere, kurzgeschürzte Muse ist Wien ab-
handen gekommen und mit ihrem Zwillingsbruder, dem
Humor, ausgewandert.

An ernster Musik fehlt es uns nicht. Die Konzert-
säle sind überfüllt. Die Pregi, die Landi, Pablo de Sara-
sate, Alfred Grünfeld, sie zogen das Publikum mächtig
an. Grünfeld zählt wohl zu den populärsten Wiener
Künstlern. Seine verblüffende Technik, sein süßer An-
schlag, sein entzückender Vortrag sind unübertrefflich. Doch
nicht nur am Klavier, auch in der Gesellschaft ist der
Künstler sehr gern gesehen; sein guter Witz und sein
Humor halten gleichen Schritt mit seiner Kunst. "Was
nicht ein Künstler alles einstecken muß", hörte ich ihn
einmal lachend sagen, als nach einem Diner der Haus-
herr ihm ein paar feine Zigarren in die Tasche steckte.

Operndirektor Mahler mußte vor kurzem auch etwas
einstecken, aber keine gute Zigarre, sondern die Miß-
billigung der Musikkritiker und auch des musikalischen
Wiener Publikums. Als Dirigent der Philharmonischen
Konzerte hat er es gewagt, in der neunten Symphonie
Beethoven zu verbessern; an einer Stelle eine nicht vom
großen Meister vorgeschriebene Klangverstärkung -- das
ist ihm übel bekommen: Gelegentlich einer Wiederholung
des Konzerts wurde jedem Besucher desselben ein Zettel
in die Hand gedrückt. Darauf stand eine Erklärung des
Dirigenten, warum und weßhalb er die mißbilligte Klangver-
stärkung vorgenommen habe. Erstens: weil zu Beethovens
Zeit die Blechinstrumente mangelhaft beschaffen waren
und zweitens: weil Beethovens Taubheit ihm den Kon-
takt mit der tönenden Welt benommen habe: Qui s'excuse,
s'accuse
-- und kopfschüttelnd nahm das Publikum die
Entschuldigung entgegen. Ich glaube kaum, daß Direktor
Mahler noch einmal Beethoven verbessern wird. Doch
Ehre, dem Ehre gebührt! Er ist ein Kapellmeister ersten
Ranges und man könnte ihm nur das Wort "trop de
zele"
vorwerfen. Wenn es gilt, eine neue Oper vorzu-
bereiten, werden alle Kräfte angespannt, um das beste zu
leisten und auch schauspielerisch Vorzügliches zu bieten.
So mußte die Trägerin der Hauptrolle in der Oper
Tschaikowski's, "Jolanthe", auf den Proben mit verbundenen

Nr. 86.
Morgenblatt.
103. Jahrgang. München, Donnerſtag, 29. März 1900.


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Zuſtellg. mil. 50 Pf.
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das k. k. Poſtamt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt.
E. Stechert, Weſtermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.

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Inſeratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße 36, in Berlin in unſerer Filiale,
Leipzigerſtraße 11,
ferner in Berlin, Hamburg, Brtslau, Köln, Leipzig. Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg,
Wien, Peſt, London, Zürich, Baſel ꝛc. bei den Annoncenbureaux R. Moſſe, Haaſenſte in u. Bogler. G. L.
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bitten wir für München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße Nr. 36, oder deren Filiale im Domhof (Liebfrauenſtraße), bezw. bei den im Stadtbezirk
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gleichfalls bei den Poſtämtern oder bei den am Kopf der Zeitung genannten Agenturen möglichſt bald aufzugeben.



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Deutſcher Reichstag.
178. Sitzung.

Tel. Der Reichstag hat es
erreicht, den Etat heute in dritter Leſung fertig zu ſtellen.
Es war das nur möglich dank der in anerkennenswerther
Weiſe geübten Selbſtbeſchränkung. Gleich von vornherein
wurde die Reſolution wegen Reviſion der Abſperrungs-
maßregeln gegen die Maul- und Klauenſeuche abgeſetzt;
ſie ſoll alsbald nach der Oſterpauſe an die Reihe kommen.
In den Debatten hätte noch manches Wort geſpart werden
können. Daß beim Etat des Reichsheeres der Pole
v. Jazdzewski noch einmal auf den Eid der polniſchen
Soldaten zurückkam, erſchien ebenſo überflüſſig, wie daß
Stöcker beim Poſtetat die Aufhebung des Verbands der
Unterbeamten einer nachträglichen Kritik unterzog. Meh-
rere Abgeordnete traten für Erleichterung der Rayon-
beſtimmungen in einzelnen Feſtungsſtädten ein. Der
Kriegsminiſter v. Goßler ſicherte das thunlichſte Ent-
gegenkommen der Militärverwaltung zu, beſtritt aber, daß
die betreffenden Städte ausnahmslos Laſten und gar keine
Vortheile von den Feſtungen hätten. Im übrigen wandte
er nichts dagegen ein, daß ſein Verſprechen aus der Budget-
kommiſſion fixirt wurde, wonach er in Zukunſt weniger
Forderungen für Feſtungen einbringen werde. Die Frage
des Petitionsrechts der Beamten und die Behandlung
ſolcher Petitionen wurde beim Marineetat beſprochen; der
Präſident theilte mit, daß er auf eine Vorſtellung des
Vorſitzenden der Budgetkommiſſion, es gingen zu viele
Petitionen dieſer Art ein, beſtimmt habe, daß Petitionen
einzelner Beamter der Petitionskommiſſion, ganzer
Kategorien von Beamten aber der Budgetkommiſſion,
in deren Bereich die Gehaltserhöhungen fallen, zugewieſen
werden ſollen. Den Löwenantheil in der Diskuſſion
nahmen die agrariſchen Fragen in Anſpruch. Abg. Oertel
(konſ.) verlangte die Bevorzugung inländiſcher Fleiſch-
konſerven vor den amerikaniſchen bei der Proviantirung
der Schiffe und wies auf den Zuſammenhang hin, der
für einen Theil der Konſervativen zwiſchen dem Fleiſch-
beſchan- und Flottengeſetz beſtehe. Auch die Kohlentarif-
Frage wurde erneut erörtert, beſonders aber die Frage der
gemiſchten Tranſitlager. Der Reichsſchatzſekretär v. Thiel-
mann
hielt den Gegnern dieſer Einrichtung vor, daß in
konſervativen Kreiſen die Anſichten zu ungunſten der ge-
miſchten Lager gewechſelt hätten; die Regierung könne
aber unmöglich jeden Umſchwung der Partei-Anſichten
mitmachen. Ueberdies ſtehe die Neuordnung des Zoll-
tarifs bevor, es ſei kein Grund zu beſonderer Aufregung
vorhanden. Zu der Poſtſcheckordnung hatte der Reichs-
ſchatzſekretär noch vorher eine ſehr reſervirte und ein-
drucksvolle Erklärung abgegeben, des Inhalts, die ver-
[Spaltenumbruch] bündeten Regierungen müßten ſich infolge des bedeutenden
Einnahmeansfalls, den die letzten Reichstagsbeſchlüſſe in-
volvirten, vorbehalten, wie weit ſie dieſen Beſchlüſſen
folgen könnten. Schließlich wurde der Etat in der Ge-
ſammtabſtimmung gegen die Stimmen der Sozialdemo-
kraten angenommen. Die nächſte Sitzung wurde auf den
24. April anberaumt und der Präſident entließ die wenigen
Verſammelten mit herzlichen Wünſchen in die Oſterferien.



Ausführlicher telegraphiſcher Bericht.

Eingegangen iſt die Konvention
mit Oeſterreich-Ungarn über den gegenſeitigen Schutz
des Urheberrechts an Werken der Literatur und
Kunſt. Das Haus fährt in der dritten Etatsberathung
fort. Der Antrag Rembold (Centr.), die Sperrmaßregeln
gegen Maul- und Klauenſeuche zu revidiren, wird abgeſetzt
und ſoll baldigſt nach Oſtern entſchieden werden. Beim Etat
der Armeeverwaltung erneuert

Abg. v. Jazdzewski (Pole) ſeine Beſchwerde darüber,
daß polniſche Soldaten in deutſcher Sprache beichten müßten.

Preußiſcher Kriegsminiſter v. Goßler:

Ein Gewiſſens-
zwang wird niemals in der Armee geübt werden. Um un-
liebſamen Zwiſchenfällen vorzubeugen, werde ich mich mit
den kirchlichen Behörden benehmen.

Abg. Pachnicke (Frſ. Vgg.) verlangt, daß in Spandau
die innere Umwallung, wie in Metz und Diedenhofen, nieder-
gelegt werde.

Miniſter v. Goßler ſagt die Erfüllung zu, um unhalt-
baren Zuſtänden im Intereſſe der Stadt ein Ende zu machen.

Abg. Thiele (Soz.) beſchwert ſich, daß in Halle nicht
bloß Lokale, in denen ſozialdemokratiſche Verſammlungen ab-
gehalten wurden, durch den Diviſionskommandeur unter Zu-
ſtimmung des Miniſters boykottirt worden ſind, ſondern auch
die Geſchäftsleute, die im „Halle’ſchen Volksblatt“ inferirt
haben; beides ſei bei der Intelligenz der Arbeiter freilich ein
Schlag ins Waſſer geweſen.

v. Goßler beſtreitet, daß das berechtigte Vorgehen der
Kommandobehörde gegen die Sozialdemokraten ein Schlag
ins Waſſer geweſen ſei. Bezüglich des „Volksblattes“ ſei
keine Anordnung erfolgt; es müſſe da ein Irrthum vorliegen.

Abg. Thiele bemerkt noch, daß die Boykottliſte unrichtig
war; ſie führte Lokale auf, welche ſeine Partei niemals be-
nutzt habe, und ſolche, die gar nicht mehr exiſtiren.

v. Goßler:

Die Leute werden beſtraft, wenn ſie ver-
botene Lokale beſuchen; daher kanften die Urlauber die Liſte,
die ihren Zweck erfüllte, auch wenn ſie ungenan ſei.

Abg. Hoffmeiſter (Frſ. Vgg.) plaidirt für möglichſte
Verminderung der Feſtungen im Innern des Landes und
Niederlegung der Umwallungen, ſpeziell in Glogau.

v. Goßler ſtimmt bezüglich der letzteren Stadt bei, er-
[Spaltenumbruch] innert aber daran, daß die Feſtungsſtädte durch die Garni-
ſonen doch auch Vortheile hätten. Mit Glogau werde be-
reits verhandelt.

Zur Verdoppelung der Ausgaben für den Ausban der
Feſtungen (es ſind diesmal 20 Millionen ſtatt 10 gefordert)
bemerkt

Abg. Müller-Sagan (Frſ. Vp.):

Vor jeder Niederlegung
von Umwallungen muß Militär- und Stadtbehörde ſich über
den Bebauungsplan und die Beſchaffung der Mittel verſtän-
digen, nicht aber ſoll hier ein Blankowechſel ausgeſtellt wer-
den, den die Militärverwaltung nur auszufüllen braucht und
den der Reichstag ohne weiteres einlöſen muß.

Abg. Hoffmeiſter:

Der Vortheil, den Garniſonen den
Feſtungsplätzen bringen, iſt verſchwindend gering gegenüber
ihrer wirthſchaftlichen Unfreiheit.

Es kommt der Marine-Etat an die Reihe. Beim
Gehalt des Staatsſekretärs erwähnt

Abg. Rickert (Freiſ. Vgg.), daß die Kommiſſion be-
ſchloſſen habe, ſich mit den Petitionen der Beamten für jetzt
und die nächſte Zeit nicht zu beſchäftigen. Dem ſtehe das
Petitionsrecht der Beamten entgegen. Es würde ſich doch
vielleicht empfehlen, alle Beamtenpetitionen der Petitions-
kommiſſion zu überweiſen.

Abg. v. Kardorff (Reichsp.):

Die Budgetkommiſſion
hat ihren Beſchluß auch aus dem Grund gefaßt, weil nach
der allgemeinen Gehaltsregulirung vom vergangenen Jahr
jetzt eine kleine Pauſe gemacht werden müſſe.

Abg. Singer (Soz.):

In der Kommiſſion iſt von keiner
Seite das Petitionsrecht der Beamten einzuſchränken verſucht
worden.

Präſident Graf Balleſtrem:

Petitionen von Beamten
um Gehaltserhöhung ſtehen mit dem Budget in engſter Ver-
bindung und müſſen deßhalb der Budgetkommiſſion über-
wieſen werden.

Abg. Dr. Oertel (konf.) erinnert bei den Ausgaben für
Indienſthaltung der Schiffe, daß ſeinerzeit zwei ausgehende
Kriegsſchiffe mit amerikaniſchem Büchſenfleiſch ausgerüſtet ge-
weſen ſind. Das Anerbieten der Landwirthſchaftskammer von
Schleswig-Holſtein, bei der Errichtung einer deutſchen Kon-
ſervenfabrik der Marineverwaltung, etwa in Kiel, jede Unter-
ſtützung zu gewähren, habe das Marineamt abgelehnt (hört,
hört!), weil das ausländiſche Fleiſch billiger ſei und nament-
lich nach der Flottenvermehrung die Verwaltung auf die
Sicherung ſolcher billiger Quellen Bedacht nehmen müſſe.
Redner erhebt entſchiedenen Widerſpruch dagegen, daß die
Schiffe ſchon bei der Ausreiſe in Deutſchland mit amerikani-
ſchem Büchſenfleiſch verſehen werden. Die Erfahrungen mit
dieſem Fleiſch hätten doch die Regierungen vorſichtig machen
müſſen. Nicht nur die deutſche Landwirthſchaft werde durch
dieſe Verwendung verſtimmt, ſondern das ganze Volk:
denn das Büchſenfleiſch, das die Marine verwende, werde



[Spaltenumbruch]
Wiener Plauderei.

Auch bei uns herrſcht die Influenza! Doch, wo herrſcht
ſie nicht? Nach dem Ausſpruch eines Arztes, in den
Polargegenden, wo, nach ſeinen dort unternommenen
Unterſuchungen, die wenigſten Bakterien zu finden ſind.
Schade, daß dieſer neu entdeckte Kurort ſo entlegen iſt.
Wer weiß, vielleicht errichtet ein Schweizer dort ein Hotel,
der obenerwähnte Arzt ein Sanatorium, und wir machen
als Kurgäſte das Terrain den Eisbären und Walfiſchen
ſtreitig.

„Wir hinken in allem nach“, hat vor einigen Tagen
ein unzufriedener Oeſterreicher geſagt. (Es gibt deren
leider ſehr viele.) In einem iſt uns auch Berlin jetzt
„über“. Wir hatten zwar im Parlament vor zwei
Jahren eine lex Falkenhayn, welche der Polizei Thüre
und Thor öffnete, um die unbändigen Abgeordneten un-
ſchädlich zu machen, aber eine lex Heinze beſitzen wir
noch nicht. Wohl wacht das Auge des Geſetzes auch über
unſre Kunſtgenüſſe. Max Halbe’s „Jugend“, das bei uns
polizeilich verbotene Stück, ſollte durch ein Hinterthürchen,
unter dem Deckmantel eines „Vortrags“ in einem Konzert-
ſaale aufgeführt werden. Doch ach — das Stück ſammt
ſeinen Darſtellern und dem arg enttäuſchten Publikum
mußte durch das große Thor wieder hinausſpaziren.

„Die Jugend von heute“ aber, von Otto Ernſt, macht
volle Häuſer. Sie erſcheint ein wenig post festum auf
der Bühne, denn mich däucht, die Nietzſche’ſchen Ueber-
menſchen ſind faſt ſchon ein überwundener Standpunkt.

Das Burgtheater hat ſeinen Kainz wieder, und der
Kainz-Kultus kann aufs neue beginnen. Es iſt ganz
merkwürdig, wie weit der weibliche Enthuſiasmus die
Grenzen des Vernünftigen und Anſtändigen überſchreiten
kann. Wie der von den Furien gepeitſchte Oreſt flüchtete
ſich oft der von ſeinen Verehrerinnen verfolgte Künſtler
— er verſchmähte, nach der Vorſtellung, trotz vortrefflichen
Appetits, mit den andern Kollegen in einem Gaſthof zu
ſonpiren, ſondern kaufte ſich in einem unſcheinbaren Laden
ein frugales Nachtmal, um dasſelbe heimlich, doch wenig-
ſtens ungeſtört in ſeiner Kemenate verzehren zu können.
Damals war des Künſtlers Gemahlin noch nicht in Wien.
[Spaltenumbruch] Seit ihrer Anweſenheit iſt der Enthuſiasmus in be-
ſcheidenere Grenzen getreten.

Auch Adolf v. Sonnenthal weiß von ſolchen Ver-
folgungen zu erzählen. Sogar über den Ozean nach
Amerika folgte ihm und verfolgte ihn eine enthuſiaſtiſche
Dame, die leider den einen großen Fehler beging, weder
ſchön noch jung zu ſein und die überdies noch an der
Seekrankheit litt.

Aber in New-York, welch zarte Aufmerkſamkeit nach
ſeinem erſten Auftreten daſelbſt! In ſeiner Garderobe
ſtand ein mächtiger Korb von beträchtlicher Schwere!
„Lauter Dollars“! jubelte der Künſtler und ſeine Augen
füllten ſich mit Thränen der Rührung! (Sonnenthal weint
ſehr leicht und iſt ſchnell gerührt.) Er dachte an ſeine Tochter
Hermine daheim und hob den Korbdeckel bedächtig in die
Höhe. Goldgelb leuchtete es ihm entgegen! Aber ach
— keine blinkenden Dollars hält er in der Hand, ſondern
ſeine Lieblingsfrucht, die goldgelbe, ſaftige Kaiſerbirne!
Seine Verehrerin diesſeit des Ozeans, hat ihm jenſeit
desſelben dieſe rührende Ueberraſchung bereitet! Tableau!

„Sie wiſſen nicht, wie viel Lob ich vertragen kann“,
äußerte ſich derſelbe Künſtler einem Kritiker gegenüber,
der ihn fragte, ob er mit dem ihm geſpendeten Lob zu-
frieden geweſen ſei.

Draußen in der Vorſtadt, im Raimund-Theater feiert
Bonn Triumphe als Geiger von Cremona, als Hamlet,
Kean ꝛc. Man ſprach von einem Wiederengagement des
Künſtlers am Burgtheater. Dann hieße es wohl: „Hie
Kainz, hie Bonn“ und die Parteiwuth wäre auch da
entfeſſelt! Das alte Stück „Cyprienne“ von Sardou wurde
auf Wunſch der Hofſchauſpielerin Frau Schratt, mit ihr
in der Titelrolle, ins Repertoire aufgenommen. Die
Künſtlerin war auch ſo liebenswürdig, ihren Empireſalon
für die Cyprienne-Abende ins Burgtheater zu verpflanzen.
Noch nie ſah man auf einer Bühne einen ſo ſtilvollen
eleganten Salon. Jeder Tiſch, jeder Stuhl, das Buffet,
die Uhr, kurz jedes Stück ein Juwel, eine Augenweide für
den Stilkenner.

Durch den tragiſchen Tod des Direktors Jauner und
den Rücktritt der Direktorin Frl. v. Schönerer ſind zwei
Vorſtadttheater verwaist, die Operette, die im vorigen
[Spaltenumbruch] Jahrhundert in Wien Triumphe gefeiert, iſt im Ausſterben
begriffen. Die heitere, kurzgeſchürzte Muſe iſt Wien ab-
handen gekommen und mit ihrem Zwillingsbruder, dem
Humor, ausgewandert.

An ernſter Muſik fehlt es uns nicht. Die Konzert-
ſäle ſind überfüllt. Die Pregi, die Landi, Pablo de Sara-
ſate, Alfred Grünfeld, ſie zogen das Publikum mächtig
an. Grünfeld zählt wohl zu den populärſten Wiener
Künſtlern. Seine verblüffende Technik, ſein ſüßer An-
ſchlag, ſein entzückender Vortrag ſind unübertrefflich. Doch
nicht nur am Klavier, auch in der Geſellſchaft iſt der
Künſtler ſehr gern geſehen; ſein guter Witz und ſein
Humor halten gleichen Schritt mit ſeiner Kunſt. „Was
nicht ein Künſtler alles einſtecken muß“, hörte ich ihn
einmal lachend ſagen, als nach einem Diner der Haus-
herr ihm ein paar feine Zigarren in die Taſche ſteckte.

Operndirektor Mahler mußte vor kurzem auch etwas
einſtecken, aber keine gute Zigarre, ſondern die Miß-
billigung der Muſikkritiker und auch des muſikaliſchen
Wiener Publikums. Als Dirigent der Philharmoniſchen
Konzerte hat er es gewagt, in der neunten Symphonie
Beethoven zu verbeſſern; an einer Stelle eine nicht vom
großen Meiſter vorgeſchriebene Klangverſtärkung — das
iſt ihm übel bekommen: Gelegentlich einer Wiederholung
des Konzerts wurde jedem Beſucher desſelben ein Zettel
in die Hand gedrückt. Darauf ſtand eine Erklärung des
Dirigenten, warum und weßhalb er die mißbilligte Klangver-
ſtärkung vorgenommen habe. Erſtens: weil zu Beethovens
Zeit die Blechinſtrumente mangelhaft beſchaffen waren
und zweitens: weil Beethovens Taubheit ihm den Kon-
takt mit der tönenden Welt benommen habe: Qui s’excuse,
s’accuse
— und kopfſchüttelnd nahm das Publikum die
Entſchuldigung entgegen. Ich glaube kaum, daß Direktor
Mahler noch einmal Beethoven verbeſſern wird. Doch
Ehre, dem Ehre gebührt! Er iſt ein Kapellmeiſter erſten
Ranges und man könnte ihm nur das Wort „trop de
zèle“
vorwerfen. Wenn es gilt, eine neue Oper vorzu-
bereiten, werden alle Kräfte angeſpannt, um das beſte zu
leiſten und auch ſchauſpieleriſch Vorzügliches zu bieten.
So mußte die Trägerin der Hauptrolle in der Oper
Tſchaikowski’s, „Jolanthe“, auf den Proben mit verbundenen

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[0001] Nr. 86. Morgenblatt. 103. Jahrgang. München, Donnerſtag, 29. März 1900. Wöchentlich 12 Ausgaben. Bezugspreiſe: Durch die Poſtämter: jährlich M. 36. —, ohne Beil. M. 18. — (viertelj. M. 9. —, ohne Beil. M. 4.50); in München b. d. Ex- pedition od. d. Depots monatlich M. 2. —, ohne Beil. M. 1.20. Zuſtellg. mil. 50 Pf. Direkter Bezug für Deutſchl. u. Oeſterreich monatlich M. 4. —, ohne Beil. M. 3. —, Ausland M. 5.60, ohne Beil. M. 4.40. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis für die kleinſpaltige Kolonelzeile od. deren Raum 25 Pfennig; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; lokale Ver- kaufsanzeig. 20 Pf.; Stellengeſuche 15 Pf. Redaktion und Expe- dition befinden ſich Schmanthalerſtr. 36 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko ein- zuſenden. Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str., London; für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien, Niederlande, Rumänien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien die dortigen Poſtämter; für den Orient das k. k. Poſtamt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert, Weſtermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York. [Abbildung] Inſeratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße 36, in Berlin in unſerer Filiale, Leipzigerſtraße 11, ferner in Berlin, Hamburg, Brtslau, Köln, Leipzig. Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg, Wien, Peſt, London, Zürich, Baſel ꝛc. bei den Annoncenbureaux R. Moſſe, Haaſenſte in u. Bogler. G. L. Daube u. Co. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig. Chemnitz ꝛc. Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtraße 26) und S. Kornik (Kochſtraße 23); für Frankreich bei John F. Jones u. Co., 31bi&ſr Faubourg Montmartre in Paris. Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſt, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München. Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München. [Abbildung] Beſtellungen auf die Allgemeine Zeitung für das nächſte Quartal bitten wir für München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße Nr. 36, oder deren Filiale im Domhof (Liebfrauenſtraße), bezw. bei den im Stadtbezirk errichteten Abholſtellen, für auswärts bei dem nächſten Poſtamt (Bayeriſcher Zeitungskatalog Nr. 22/3, Zeitungskatalog der Reichspoſt Nr. 167/8), für das Ausland entweder gleichfalls bei den Poſtämtern oder bei den am Kopf der Zeitung genannten Agenturen möglichſt bald aufzugeben. Deutſcher Reichstag. 178. Sitzung. = Berlin, 28. März. Tel. Der Reichstag hat es erreicht, den Etat heute in dritter Leſung fertig zu ſtellen. Es war das nur möglich dank der in anerkennenswerther Weiſe geübten Selbſtbeſchränkung. Gleich von vornherein wurde die Reſolution wegen Reviſion der Abſperrungs- maßregeln gegen die Maul- und Klauenſeuche abgeſetzt; ſie ſoll alsbald nach der Oſterpauſe an die Reihe kommen. In den Debatten hätte noch manches Wort geſpart werden können. Daß beim Etat des Reichsheeres der Pole v. Jazdzewski noch einmal auf den Eid der polniſchen Soldaten zurückkam, erſchien ebenſo überflüſſig, wie daß Stöcker beim Poſtetat die Aufhebung des Verbands der Unterbeamten einer nachträglichen Kritik unterzog. Meh- rere Abgeordnete traten für Erleichterung der Rayon- beſtimmungen in einzelnen Feſtungsſtädten ein. Der Kriegsminiſter v. Goßler ſicherte das thunlichſte Ent- gegenkommen der Militärverwaltung zu, beſtritt aber, daß die betreffenden Städte ausnahmslos Laſten und gar keine Vortheile von den Feſtungen hätten. Im übrigen wandte er nichts dagegen ein, daß ſein Verſprechen aus der Budget- kommiſſion fixirt wurde, wonach er in Zukunſt weniger Forderungen für Feſtungen einbringen werde. Die Frage des Petitionsrechts der Beamten und die Behandlung ſolcher Petitionen wurde beim Marineetat beſprochen; der Präſident theilte mit, daß er auf eine Vorſtellung des Vorſitzenden der Budgetkommiſſion, es gingen zu viele Petitionen dieſer Art ein, beſtimmt habe, daß Petitionen einzelner Beamter der Petitionskommiſſion, ganzer Kategorien von Beamten aber der Budgetkommiſſion, in deren Bereich die Gehaltserhöhungen fallen, zugewieſen werden ſollen. Den Löwenantheil in der Diskuſſion nahmen die agrariſchen Fragen in Anſpruch. Abg. Oertel (konſ.) verlangte die Bevorzugung inländiſcher Fleiſch- konſerven vor den amerikaniſchen bei der Proviantirung der Schiffe und wies auf den Zuſammenhang hin, der für einen Theil der Konſervativen zwiſchen dem Fleiſch- beſchan- und Flottengeſetz beſtehe. Auch die Kohlentarif- Frage wurde erneut erörtert, beſonders aber die Frage der gemiſchten Tranſitlager. Der Reichsſchatzſekretär v. Thiel- mann hielt den Gegnern dieſer Einrichtung vor, daß in konſervativen Kreiſen die Anſichten zu ungunſten der ge- miſchten Lager gewechſelt hätten; die Regierung könne aber unmöglich jeden Umſchwung der Partei-Anſichten mitmachen. Ueberdies ſtehe die Neuordnung des Zoll- tarifs bevor, es ſei kein Grund zu beſonderer Aufregung vorhanden. Zu der Poſtſcheckordnung hatte der Reichs- ſchatzſekretär noch vorher eine ſehr reſervirte und ein- drucksvolle Erklärung abgegeben, des Inhalts, die ver- bündeten Regierungen müßten ſich infolge des bedeutenden Einnahmeansfalls, den die letzten Reichstagsbeſchlüſſe in- volvirten, vorbehalten, wie weit ſie dieſen Beſchlüſſen folgen könnten. Schließlich wurde der Etat in der Ge- ſammtabſtimmung gegen die Stimmen der Sozialdemo- kraten angenommen. Die nächſte Sitzung wurde auf den 24. April anberaumt und der Präſident entließ die wenigen Verſammelten mit herzlichen Wünſchen in die Oſterferien. Ausführlicher telegraphiſcher Bericht. ▂ Berlin, 28. März. Eingegangen iſt die Konvention mit Oeſterreich-Ungarn über den gegenſeitigen Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunſt. Das Haus fährt in der dritten Etatsberathung fort. Der Antrag Rembold (Centr.), die Sperrmaßregeln gegen Maul- und Klauenſeuche zu revidiren, wird abgeſetzt und ſoll baldigſt nach Oſtern entſchieden werden. Beim Etat der Armeeverwaltung erneuert Abg. v. Jazdzewski (Pole) ſeine Beſchwerde darüber, daß polniſche Soldaten in deutſcher Sprache beichten müßten. Preußiſcher Kriegsminiſter v. Goßler: Ein Gewiſſens- zwang wird niemals in der Armee geübt werden. Um un- liebſamen Zwiſchenfällen vorzubeugen, werde ich mich mit den kirchlichen Behörden benehmen. Abg. Pachnicke (Frſ. Vgg.) verlangt, daß in Spandau die innere Umwallung, wie in Metz und Diedenhofen, nieder- gelegt werde. Miniſter v. Goßler ſagt die Erfüllung zu, um unhalt- baren Zuſtänden im Intereſſe der Stadt ein Ende zu machen. Abg. Thiele (Soz.) beſchwert ſich, daß in Halle nicht bloß Lokale, in denen ſozialdemokratiſche Verſammlungen ab- gehalten wurden, durch den Diviſionskommandeur unter Zu- ſtimmung des Miniſters boykottirt worden ſind, ſondern auch die Geſchäftsleute, die im „Halle’ſchen Volksblatt“ inferirt haben; beides ſei bei der Intelligenz der Arbeiter freilich ein Schlag ins Waſſer geweſen. v. Goßler beſtreitet, daß das berechtigte Vorgehen der Kommandobehörde gegen die Sozialdemokraten ein Schlag ins Waſſer geweſen ſei. Bezüglich des „Volksblattes“ ſei keine Anordnung erfolgt; es müſſe da ein Irrthum vorliegen. Abg. Thiele bemerkt noch, daß die Boykottliſte unrichtig war; ſie führte Lokale auf, welche ſeine Partei niemals be- nutzt habe, und ſolche, die gar nicht mehr exiſtiren. v. Goßler: Die Leute werden beſtraft, wenn ſie ver- botene Lokale beſuchen; daher kanften die Urlauber die Liſte, die ihren Zweck erfüllte, auch wenn ſie ungenan ſei. Abg. Hoffmeiſter (Frſ. Vgg.) plaidirt für möglichſte Verminderung der Feſtungen im Innern des Landes und Niederlegung der Umwallungen, ſpeziell in Glogau. v. Goßler ſtimmt bezüglich der letzteren Stadt bei, er- innert aber daran, daß die Feſtungsſtädte durch die Garni- ſonen doch auch Vortheile hätten. Mit Glogau werde be- reits verhandelt. Zur Verdoppelung der Ausgaben für den Ausban der Feſtungen (es ſind diesmal 20 Millionen ſtatt 10 gefordert) bemerkt Abg. Müller-Sagan (Frſ. Vp.): Vor jeder Niederlegung von Umwallungen muß Militär- und Stadtbehörde ſich über den Bebauungsplan und die Beſchaffung der Mittel verſtän- digen, nicht aber ſoll hier ein Blankowechſel ausgeſtellt wer- den, den die Militärverwaltung nur auszufüllen braucht und den der Reichstag ohne weiteres einlöſen muß. Abg. Hoffmeiſter: Der Vortheil, den Garniſonen den Feſtungsplätzen bringen, iſt verſchwindend gering gegenüber ihrer wirthſchaftlichen Unfreiheit. Es kommt der Marine-Etat an die Reihe. Beim Gehalt des Staatsſekretärs erwähnt Abg. Rickert (Freiſ. Vgg.), daß die Kommiſſion be- ſchloſſen habe, ſich mit den Petitionen der Beamten für jetzt und die nächſte Zeit nicht zu beſchäftigen. Dem ſtehe das Petitionsrecht der Beamten entgegen. Es würde ſich doch vielleicht empfehlen, alle Beamtenpetitionen der Petitions- kommiſſion zu überweiſen. Abg. v. Kardorff (Reichsp.): Die Budgetkommiſſion hat ihren Beſchluß auch aus dem Grund gefaßt, weil nach der allgemeinen Gehaltsregulirung vom vergangenen Jahr jetzt eine kleine Pauſe gemacht werden müſſe. Abg. Singer (Soz.): In der Kommiſſion iſt von keiner Seite das Petitionsrecht der Beamten einzuſchränken verſucht worden. Präſident Graf Balleſtrem: Petitionen von Beamten um Gehaltserhöhung ſtehen mit dem Budget in engſter Ver- bindung und müſſen deßhalb der Budgetkommiſſion über- wieſen werden. Abg. Dr. Oertel (konf.) erinnert bei den Ausgaben für Indienſthaltung der Schiffe, daß ſeinerzeit zwei ausgehende Kriegsſchiffe mit amerikaniſchem Büchſenfleiſch ausgerüſtet ge- weſen ſind. Das Anerbieten der Landwirthſchaftskammer von Schleswig-Holſtein, bei der Errichtung einer deutſchen Kon- ſervenfabrik der Marineverwaltung, etwa in Kiel, jede Unter- ſtützung zu gewähren, habe das Marineamt abgelehnt (hört, hört!), weil das ausländiſche Fleiſch billiger ſei und nament- lich nach der Flottenvermehrung die Verwaltung auf die Sicherung ſolcher billiger Quellen Bedacht nehmen müſſe. Redner erhebt entſchiedenen Widerſpruch dagegen, daß die Schiffe ſchon bei der Ausreiſe in Deutſchland mit amerikani- ſchem Büchſenfleiſch verſehen werden. Die Erfahrungen mit dieſem Fleiſch hätten doch die Regierungen vorſichtig machen müſſen. Nicht nur die deutſche Landwirthſchaft werde durch dieſe Verwendung verſtimmt, ſondern das ganze Volk: denn das Büchſenfleiſch, das die Marine verwende, werde Wiener Plauderei. Auch bei uns herrſcht die Influenza! Doch, wo herrſcht ſie nicht? Nach dem Ausſpruch eines Arztes, in den Polargegenden, wo, nach ſeinen dort unternommenen Unterſuchungen, die wenigſten Bakterien zu finden ſind. Schade, daß dieſer neu entdeckte Kurort ſo entlegen iſt. Wer weiß, vielleicht errichtet ein Schweizer dort ein Hotel, der obenerwähnte Arzt ein Sanatorium, und wir machen als Kurgäſte das Terrain den Eisbären und Walfiſchen ſtreitig. „Wir hinken in allem nach“, hat vor einigen Tagen ein unzufriedener Oeſterreicher geſagt. (Es gibt deren leider ſehr viele.) In einem iſt uns auch Berlin jetzt „über“. Wir hatten zwar im Parlament vor zwei Jahren eine lex Falkenhayn, welche der Polizei Thüre und Thor öffnete, um die unbändigen Abgeordneten un- ſchädlich zu machen, aber eine lex Heinze beſitzen wir noch nicht. Wohl wacht das Auge des Geſetzes auch über unſre Kunſtgenüſſe. Max Halbe’s „Jugend“, das bei uns polizeilich verbotene Stück, ſollte durch ein Hinterthürchen, unter dem Deckmantel eines „Vortrags“ in einem Konzert- ſaale aufgeführt werden. Doch ach — das Stück ſammt ſeinen Darſtellern und dem arg enttäuſchten Publikum mußte durch das große Thor wieder hinausſpaziren. „Die Jugend von heute“ aber, von Otto Ernſt, macht volle Häuſer. Sie erſcheint ein wenig post festum auf der Bühne, denn mich däucht, die Nietzſche’ſchen Ueber- menſchen ſind faſt ſchon ein überwundener Standpunkt. Das Burgtheater hat ſeinen Kainz wieder, und der Kainz-Kultus kann aufs neue beginnen. Es iſt ganz merkwürdig, wie weit der weibliche Enthuſiasmus die Grenzen des Vernünftigen und Anſtändigen überſchreiten kann. Wie der von den Furien gepeitſchte Oreſt flüchtete ſich oft der von ſeinen Verehrerinnen verfolgte Künſtler — er verſchmähte, nach der Vorſtellung, trotz vortrefflichen Appetits, mit den andern Kollegen in einem Gaſthof zu ſonpiren, ſondern kaufte ſich in einem unſcheinbaren Laden ein frugales Nachtmal, um dasſelbe heimlich, doch wenig- ſtens ungeſtört in ſeiner Kemenate verzehren zu können. Damals war des Künſtlers Gemahlin noch nicht in Wien. Seit ihrer Anweſenheit iſt der Enthuſiasmus in be- ſcheidenere Grenzen getreten. Auch Adolf v. Sonnenthal weiß von ſolchen Ver- folgungen zu erzählen. Sogar über den Ozean nach Amerika folgte ihm und verfolgte ihn eine enthuſiaſtiſche Dame, die leider den einen großen Fehler beging, weder ſchön noch jung zu ſein und die überdies noch an der Seekrankheit litt. Aber in New-York, welch zarte Aufmerkſamkeit nach ſeinem erſten Auftreten daſelbſt! In ſeiner Garderobe ſtand ein mächtiger Korb von beträchtlicher Schwere! „Lauter Dollars“! jubelte der Künſtler und ſeine Augen füllten ſich mit Thränen der Rührung! (Sonnenthal weint ſehr leicht und iſt ſchnell gerührt.) Er dachte an ſeine Tochter Hermine daheim und hob den Korbdeckel bedächtig in die Höhe. Goldgelb leuchtete es ihm entgegen! Aber ach — keine blinkenden Dollars hält er in der Hand, ſondern ſeine Lieblingsfrucht, die goldgelbe, ſaftige Kaiſerbirne! Seine Verehrerin diesſeit des Ozeans, hat ihm jenſeit desſelben dieſe rührende Ueberraſchung bereitet! Tableau! „Sie wiſſen nicht, wie viel Lob ich vertragen kann“, äußerte ſich derſelbe Künſtler einem Kritiker gegenüber, der ihn fragte, ob er mit dem ihm geſpendeten Lob zu- frieden geweſen ſei. Draußen in der Vorſtadt, im Raimund-Theater feiert Bonn Triumphe als Geiger von Cremona, als Hamlet, Kean ꝛc. Man ſprach von einem Wiederengagement des Künſtlers am Burgtheater. Dann hieße es wohl: „Hie Kainz, hie Bonn“ und die Parteiwuth wäre auch da entfeſſelt! Das alte Stück „Cyprienne“ von Sardou wurde auf Wunſch der Hofſchauſpielerin Frau Schratt, mit ihr in der Titelrolle, ins Repertoire aufgenommen. Die Künſtlerin war auch ſo liebenswürdig, ihren Empireſalon für die Cyprienne-Abende ins Burgtheater zu verpflanzen. Noch nie ſah man auf einer Bühne einen ſo ſtilvollen eleganten Salon. Jeder Tiſch, jeder Stuhl, das Buffet, die Uhr, kurz jedes Stück ein Juwel, eine Augenweide für den Stilkenner. Durch den tragiſchen Tod des Direktors Jauner und den Rücktritt der Direktorin Frl. v. Schönerer ſind zwei Vorſtadttheater verwaist, die Operette, die im vorigen Jahrhundert in Wien Triumphe gefeiert, iſt im Ausſterben begriffen. Die heitere, kurzgeſchürzte Muſe iſt Wien ab- handen gekommen und mit ihrem Zwillingsbruder, dem Humor, ausgewandert. An ernſter Muſik fehlt es uns nicht. Die Konzert- ſäle ſind überfüllt. Die Pregi, die Landi, Pablo de Sara- ſate, Alfred Grünfeld, ſie zogen das Publikum mächtig an. Grünfeld zählt wohl zu den populärſten Wiener Künſtlern. Seine verblüffende Technik, ſein ſüßer An- ſchlag, ſein entzückender Vortrag ſind unübertrefflich. Doch nicht nur am Klavier, auch in der Geſellſchaft iſt der Künſtler ſehr gern geſehen; ſein guter Witz und ſein Humor halten gleichen Schritt mit ſeiner Kunſt. „Was nicht ein Künſtler alles einſtecken muß“, hörte ich ihn einmal lachend ſagen, als nach einem Diner der Haus- herr ihm ein paar feine Zigarren in die Taſche ſteckte. Operndirektor Mahler mußte vor kurzem auch etwas einſtecken, aber keine gute Zigarre, ſondern die Miß- billigung der Muſikkritiker und auch des muſikaliſchen Wiener Publikums. Als Dirigent der Philharmoniſchen Konzerte hat er es gewagt, in der neunten Symphonie Beethoven zu verbeſſern; an einer Stelle eine nicht vom großen Meiſter vorgeſchriebene Klangverſtärkung — das iſt ihm übel bekommen: Gelegentlich einer Wiederholung des Konzerts wurde jedem Beſucher desſelben ein Zettel in die Hand gedrückt. Darauf ſtand eine Erklärung des Dirigenten, warum und weßhalb er die mißbilligte Klangver- ſtärkung vorgenommen habe. Erſtens: weil zu Beethovens Zeit die Blechinſtrumente mangelhaft beſchaffen waren und zweitens: weil Beethovens Taubheit ihm den Kon- takt mit der tönenden Welt benommen habe: Qui s’excuse, s’accuse — und kopfſchüttelnd nahm das Publikum die Entſchuldigung entgegen. Ich glaube kaum, daß Direktor Mahler noch einmal Beethoven verbeſſern wird. Doch Ehre, dem Ehre gebührt! Er iſt ein Kapellmeiſter erſten Ranges und man könnte ihm nur das Wort „trop de zèle“ vorwerfen. Wenn es gilt, eine neue Oper vorzu- bereiten, werden alle Kräfte angeſpannt, um das beſte zu leiſten und auch ſchauſpieleriſch Vorzügliches zu bieten. So mußte die Trägerin der Hauptrolle in der Oper Tſchaikowski’s, „Jolanthe“, auf den Proben mit verbundenen

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 29. März 1900, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine86_1900/1>, abgerufen am 15.10.2024.