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Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.

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[Spaltenumbruch] in den jetzt versammelten oder demnächst sich versammelnden Stände-
kammern der einzelnen deutschen Länder binnen kurzem zur Erörterung
kommen müssen.

(Die
Bauernunruhen.)
Vielleicht ist es Ihnen nicht unwillkommen aus
dem Ursitze des alten Bauernkrieges und aus der Nähe des Stammsitzes
des alten Götz v. Berlichingen einiges Sichere über den sogenannten
neuen Bauernkrieg zu vernehmen. Und glücklich werden Sie unser
Vaterland, unser Jahrhundert preisen, wenn Sie in alle Welt hinaus
sagen können: der Charakter dieser gegenwärtigen Bauernunruhen ist
himmelweit von dem der alten verschieden, und mitten im traurigen
Unrecht erscheint als Hoffnungsstrahl die Gesittung einer denn doch auch
moralisch fortgeschrittenen Zeit. Die Menschen sind seit 300, seit 50
Jahren doch menschlicher geworden.

Gleiche Ursachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur-
sachen haben auch mildere Wirkungen im Gefolge. Die Zeit der Leib-
eigenschaft ist vorüber; die Tage sind dahin wo eine Gutsherrschaft
ganze Dörfer aufbot mitten in der Erntezeit ihr Schneckenhäuschen zu
suchen, oder weil die Edelfrau das Gequack der Frösche im Hofgarten-
teiche nicht hören konnte, alt und jung vom Dorf Abend und Nächte
lang hinstellte um mit Ruthenstreichen den ungebetenen Kammersängern
das Concert zu verleiden; kein Ulrich hängt einen Hutten mehr im
Schönbuchwalde, kein Edelherr seine Grundholden blutbannrechtlich
um einer gestohlenen Rübe willen am Galgen auf. So jagt man auch
vor Weinsberg keinen Helfenstein mehr durch die Spieße. In einer Zeit
da das Schwert zur Feder worden ist, in der Zeit der Schreiber und
Bücher geht's nicht mehr auf Blut und Leben, sondern auf Schriften
und Bücher, höchstens noch auf die dahinter sich verkriechenden Feder-
helden. Noch keiner einzigen Gutsherrschaft wurde ein Leid angethan.
Fingen sich die alten Aufrührer zu ihrem Jäckle von Rohrbach und
andern Vormännern hin den alten Götz v. Berlichingen als Schutzherrn
und Führer gegen die Edelleute, so versprachen dießmal die guten und
"schlechten Leute" des gegenwärtigen gleichnamigen Urenkels jener alten
Eisenfaust auf Schloß Jarthausen allen Schutz und Trutz ihrem Herren-
hause gegen feindlichen Ueberfall. Unser Volk ist gutartig und bieder,
trotz allem was ihm aus neuer Zeit Uebles angeflogen und angethan
seyn mag. Es läßt den Edelleuten nicht einmal die Entfremdung ent-
gelten in welche sie gegenüber dem Volke sich begaben, vollends in der
neuesten Zeit, da die alte Adelskette sich wieder über Deutschlands Gaue
zusammenschweißen wollte, und einen viel vornehmeren, höheren, her-
rischeren Ton anzunehmen für zeitgemäß hielt. Nachdem die Julius-
revolution den alten Ton und Gang so kleinlaut gemacht hatte, und die
wirthschaftlichen Verhältnisse der meisten Edelgüter wahrlich auch so
herabgekommen waren daß lautes und hohes Auftreten unmöglich war,
begann mit der Sicherung des äußern Friedens und der innerlich alle
Fäden wieder straff anziehenden Beamtenherrschaft ein mächtiger Wett-
eifer der Feudalbarone mit den Geldbaronen. Im Gegensatz zu Baden
wurden mit Hülfe einer dem Volke sich in die Schreibstuben entziehenden
Regierungsweise in Württemberg sehr günstige, in Bayern gar keine
Ablösungen der Grundlasten ins Werk gesetzt. Die Klugen griffen zu
und gingen Verträge mit den Grundholden über die wichtigeren Feudal-
ablösungen ein. Den Landleuten, so weit sie nur Geld hatten, waren
letztere erwünscht; im 20fachen Betrag hätten sie von Herzen gern alles,
im 25fachen Betrage haben sie vieles abgelöst. Dieß Abkommen war
gewiß für die "Berechtigten" höchst günstig. Handelt es sich doch fast
überall um Rechte denen keine oder fast keine Pflichten entsprachen.
Aber manchen war ein mehr als 25facher Betrag nicht genug! Die sich
genügen ließen, machten die besten Geschäfte von der Welt. Durch die
Ablösungen wurden sie in den Besitz großer Baarsummen gesetzt. Da-
von wurden Schulden getilgt, Actien gekauft, glänzenderes Auftreten
bestritten, landwirthschaftliche Verbesserungen eingeführt, gewerbliche
Unternehmungen (namentlich Bierbrauereien) begonnen oder erweitert,
ganz besonders wurden die flüssigen Gelder in liegenden Gütern ange-
legt. Erste große Landesklage: wo ein Grundherr auf ein Aeckerlein
bieten läßt, das ihm zur Abrundung seines Landbesitzes dienen mag,
kann und darf fast der geringe Mann nicht beikommen. So kauften
einzelne Herrschaften halbe Dorfmarkungen von den verarmenden Ge-
meinden an. Zweite Klage: der übrige Güterbesitz der Gemeinden wird
dadurch so geschmälert und in Theilchen zersplittert, daß die sich ver-
mehrende Bevölkerung nicht mehr davon leben kann. Zu Bestreitung
[Spaltenumbruch] der täglichen Nothdurft werden Schulden auf Schulden gehäuft, die
Steuern und Abgaben bleiben in ewigem Rückstand, ein Stückchen, ein
Häuschen ums andere muß veräußert werden, Grund und Boden fließt
mehr und mehr in den Herrenbesitz zurück, und die Leute werden zu
Pächtern, Taglöhnern, Bettlern -- eine neue Art von Leibeigenschaft.
Dritte Klage: die Feudalherren sind frei von den Gemeindesteuern und
Schädenumlagen. Je mehr zu ihren Gunsten der Gemeindebesitz schmilzt,
je mehr Pächter-, Taglöhner- und Bettlerfamilien heranwachsen, desto
drückender werden die Gemeindelasten, zumal die Unterhaltung der
Schulen, Kirchen und Armen für diejenigen welche noch etwas im Be-
sitz haben. Vierte Klage: macht schon auf königlichem Boden die Ge-
meinde- und Amtssteuer die größte Last, so daß bei den öffentlichen
Rechnungsablagen der Finanzminister, die bloß die Staatssteuern im
Auge behielten, ein gar nicht so hartes Steuerwesen in Württemberg
sich ergab: so hatten die edelmännischen und fürstlichen Unterthanen den
andern Staatsbürgern gegenüber die dreifache Last der Gemeinde-,
Staats- und Feudalabgaben. Darin hatten sich ihre Verhältnisse seit
der Mediatisirung der Standesherren wesentlich verschlimmert: die
alten Herrschaftsabgaben und die neuen Staatslasten! Wären aber
nur die einfachen alten Herrschaftsabgaben geblieben. Das ist die große
fünfte Klage: je mehr die Herrschaften sich durch die neue Ordnung der
Dinge und Gelder in die Höhe kommen sahen, desto eifriger forschten
ihre Schatzgräber, Rentamtleute und Domänenräthe genannt, in den
Tiefen der Urkundensammlungen, und schürften jedes hellerswerth alte,
abgekommene, unbillige Rechtlein aus dem um- und umgerissenen "Acker
der Könige", den man "das Recht" zu nennen übereingekommen ist.
Man braucht nur sich an die ungeheuerlichen Namen dieser Gefälle zu
erinnern, diese Unmasse von Abgaben bis zum Hellerzins und Krauts-
kopf herab zu überblicken, man braucht nur zu berechnen wie durch
Sterbfall und Handlohn durch die unbegreiflichen Procente jedes Gut
und Haus je von der dritten Hand dem Gutsherrn fast aufs neue bezahlt
wird, man braucht hiezu die gegenwärtigen Brod- und Geldverhältnisse,
da das Gewerbe seinen Mann kaum, der Landbau nur eben noch er-
nährt, zu vergleichen, um in Wahrheit die bisherige Geduld und Red-
lichkeit dieser Grundholden anzuerkennen. Sie hatten nur Pflichten,
die Herren nur Rechte; sie Armuth, jene frischen Reichthum; sie den
Schweiß, jene das Brod und was nicht alles mehr! Und war im Schweiß
des Angesichtes gesäet -- sechste verzweifelte Klage -- so kam ein Rudel
Hirsche und Hasen und fraß es weg, oder zertrat und verwüstete das
Feld. Die Klagen aber, die Klagen über Wildschaden, wie schwer sind
sie ihrer Natur nach auch mit dem besten Willen zu erledigen, wenn sie
vor Gericht kommen! Das machte nun die bösen Sieben voll: wer sucht
der findet ältere und älteste Gerechtsame; wer den Staub von hundert-
jährigen Acten klopft, dem öffnet sich auf vergilbten, vermoderten Blät-
tern ein kaum geahntes Himmelreich von Namen und Zahlen, die nur
in Gruppen und neu aufs geduldige Papier gebracht zu werden brauchen
um sich als das liebenswürdigste Recht, auf der Rückseite aber zur ver-
dammtesten Schuldigkeit zu gestalten. Der Pflichtige wehrt sich, denn
dieß und das hatte sein Vater und Großvater nicht zu leisten; es kann
nicht richtig seyn mit dieser Anrechnung und jener Forderung. Umge-
kehrt: von jeher hat die Herrschaft die Kirche, die Schule, das Pfarr-
haus der Gemeinde gebaut und erhalten, diese und jene Besoldungen
bestritten: plötzlich soll's der armen, blutarmen Gemeinde obliegen; die
Kirche muß geschlossen, unterm Thurm kann nicht mehr geläutet wer-
den, die Schule hat keinen guten Ziegel und kein ganzes Fenster, einen
Ofen längst nicht mehr: die Gemeinde und wieder die Gemeinde soll's
leiden. Einem bei der Kirche oder Schule Angestellten hat die Herrschaft
seit Urzeiten so viel Holz gegeben, jetzt soll's weniger seyn, hat's ihm
vor's Haus liefern lassen: jetzt soll er's selbst holen. Kurz die Placke-
reien beginnen und haben kein Ende. Da fangen die Processe an, die
theuern, die giftigen Processe. Sie sind aber den Gemeinden und Pflich-
tigen gar zu oft entweder ohne Ausgang oder verloren, denn -- denn
die angeblichen oder wirklichen Urkunden dieser Rechte und Pflichten
bleiben dreifach verschlossen in den rentamtlichen Actenkästen. Dieß die
höchste und stärkste Klage über eine fast unglaubliche Unbill.

Ganz gewiß ist von diesen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie-
ben, ja ganz erfunden. Keine Frage, es gab und gibt unter Herren und
Amtleuten nicht wenige Ehrenleute voll Menschlichkeit und Rechtsgefühl:
sie seyen glücklich in ihrem Bewußtseyn und selig in ihrer That. Ander-
wärts waren wenigstens die Herrschaften mild und menschlich, aber die
Schreiber, die Reut- und Domänenbeamten hatten das Heft in der

[Spaltenumbruch] in den jetzt verſammelten oder demnächſt ſich verſammelnden Stände-
kammern der einzelnen deutſchen Länder binnen kurzem zur Erörterung
kommen müſſen.

(Die
Bauernunruhen.)
Vielleicht iſt es Ihnen nicht unwillkommen aus
dem Urſitze des alten Bauernkrieges und aus der Nähe des Stammſitzes
des alten Götz v. Berlichingen einiges Sichere über den ſogenannten
neuen Bauernkrieg zu vernehmen. Und glücklich werden Sie unſer
Vaterland, unſer Jahrhundert preiſen, wenn Sie in alle Welt hinaus
ſagen können: der Charakter dieſer gegenwärtigen Bauernunruhen iſt
himmelweit von dem der alten verſchieden, und mitten im traurigen
Unrecht erſcheint als Hoffnungsſtrahl die Geſittung einer denn doch auch
moraliſch fortgeſchrittenen Zeit. Die Menſchen ſind ſeit 300, ſeit 50
Jahren doch menſchlicher geworden.

Gleiche Urſachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur-
ſachen haben auch mildere Wirkungen im Gefolge. Die Zeit der Leib-
eigenſchaft iſt vorüber; die Tage ſind dahin wo eine Gutsherrſchaft
ganze Dörfer aufbot mitten in der Erntezeit ihr Schneckenhäuschen zu
ſuchen, oder weil die Edelfrau das Gequack der Fröſche im Hofgarten-
teiche nicht hören konnte, alt und jung vom Dorf Abend und Nächte
lang hinſtellte um mit Ruthenſtreichen den ungebetenen Kammerſängern
das Concert zu verleiden; kein Ulrich hängt einen Hutten mehr im
Schönbuchwalde, kein Edelherr ſeine Grundholden blutbannrechtlich
um einer geſtohlenen Rübe willen am Galgen auf. So jagt man auch
vor Weinsberg keinen Helfenſtein mehr durch die Spieße. In einer Zeit
da das Schwert zur Feder worden iſt, in der Zeit der Schreiber und
Bücher geht’s nicht mehr auf Blut und Leben, ſondern auf Schriften
und Bücher, höchſtens noch auf die dahinter ſich verkriechenden Feder-
helden. Noch keiner einzigen Gutsherrſchaft wurde ein Leid angethan.
Fingen ſich die alten Aufrührer zu ihrem Jäckle von Rohrbach und
andern Vormännern hin den alten Götz v. Berlichingen als Schutzherrn
und Führer gegen die Edelleute, ſo verſprachen dießmal die guten und
„ſchlechten Leute“ des gegenwärtigen gleichnamigen Urenkels jener alten
Eiſenfauſt auf Schloß Jarthauſen allen Schutz und Trutz ihrem Herren-
hauſe gegen feindlichen Ueberfall. Unſer Volk iſt gutartig und bieder,
trotz allem was ihm aus neuer Zeit Uebles angeflogen und angethan
ſeyn mag. Es läßt den Edelleuten nicht einmal die Entfremdung ent-
gelten in welche ſie gegenüber dem Volke ſich begaben, vollends in der
neueſten Zeit, da die alte Adelskette ſich wieder über Deutſchlands Gaue
zuſammenſchweißen wollte, und einen viel vornehmeren, höheren, her-
riſcheren Ton anzunehmen für zeitgemäß hielt. Nachdem die Julius-
revolution den alten Ton und Gang ſo kleinlaut gemacht hatte, und die
wirthſchaftlichen Verhältniſſe der meiſten Edelgüter wahrlich auch ſo
herabgekommen waren daß lautes und hohes Auftreten unmöglich war,
begann mit der Sicherung des äußern Friedens und der innerlich alle
Fäden wieder ſtraff anziehenden Beamtenherrſchaft ein mächtiger Wett-
eifer der Feudalbarone mit den Geldbaronen. Im Gegenſatz zu Baden
wurden mit Hülfe einer dem Volke ſich in die Schreibſtuben entziehenden
Regierungsweiſe in Württemberg ſehr günſtige, in Bayern gar keine
Ablöſungen der Grundlaſten ins Werk geſetzt. Die Klugen griffen zu
und gingen Verträge mit den Grundholden über die wichtigeren Feudal-
ablöſungen ein. Den Landleuten, ſo weit ſie nur Geld hatten, waren
letztere erwünſcht; im 20fachen Betrag hätten ſie von Herzen gern alles,
im 25fachen Betrage haben ſie vieles abgelöst. Dieß Abkommen war
gewiß für die „Berechtigten“ höchſt günſtig. Handelt es ſich doch faſt
überall um Rechte denen keine oder faſt keine Pflichten entſprachen.
Aber manchen war ein mehr als 25facher Betrag nicht genug! Die ſich
genügen ließen, machten die beſten Geſchäfte von der Welt. Durch die
Ablöſungen wurden ſie in den Beſitz großer Baarſummen geſetzt. Da-
von wurden Schulden getilgt, Actien gekauft, glänzenderes Auftreten
beſtritten, landwirthſchaftliche Verbeſſerungen eingeführt, gewerbliche
Unternehmungen (namentlich Bierbrauereien) begonnen oder erweitert,
ganz beſonders wurden die flüſſigen Gelder in liegenden Gütern ange-
legt. Erſte große Landesklage: wo ein Grundherr auf ein Aeckerlein
bieten läßt, das ihm zur Abrundung ſeines Landbeſitzes dienen mag,
kann und darf faſt der geringe Mann nicht beikommen. So kauften
einzelne Herrſchaften halbe Dorfmarkungen von den verarmenden Ge-
meinden an. Zweite Klage: der übrige Güterbeſitz der Gemeinden wird
dadurch ſo geſchmälert und in Theilchen zerſplittert, daß die ſich ver-
mehrende Bevölkerung nicht mehr davon leben kann. Zu Beſtreitung
[Spaltenumbruch] der täglichen Nothdurft werden Schulden auf Schulden gehäuft, die
Steuern und Abgaben bleiben in ewigem Rückſtand, ein Stückchen, ein
Häuschen ums andere muß veräußert werden, Grund und Boden fließt
mehr und mehr in den Herrenbeſitz zurück, und die Leute werden zu
Pächtern, Taglöhnern, Bettlern — eine neue Art von Leibeigenſchaft.
Dritte Klage: die Feudalherren ſind frei von den Gemeindeſteuern und
Schädenumlagen. Je mehr zu ihren Gunſten der Gemeindebeſitz ſchmilzt,
je mehr Pächter-, Taglöhner- und Bettlerfamilien heranwachſen, deſto
drückender werden die Gemeindelaſten, zumal die Unterhaltung der
Schulen, Kirchen und Armen für diejenigen welche noch etwas im Be-
ſitz haben. Vierte Klage: macht ſchon auf königlichem Boden die Ge-
meinde- und Amtsſteuer die größte Laſt, ſo daß bei den öffentlichen
Rechnungsablagen der Finanzminiſter, die bloß die Staatsſteuern im
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ſich ergab: ſo hatten die edelmänniſchen und fürſtlichen Unterthanen den
andern Staatsbürgern gegenüber die dreifache Laſt der Gemeinde-,
Staats- und Feudalabgaben. Darin hatten ſich ihre Verhältniſſe ſeit
der Mediatiſirung der Standesherren weſentlich verſchlimmert: die
alten Herrſchaftsabgaben und die neuen Staatslaſten! Wären aber
nur die einfachen alten Herrſchaftsabgaben geblieben. Das iſt die große
fünfte Klage: je mehr die Herrſchaften ſich durch die neue Ordnung der
Dinge und Gelder in die Höhe kommen ſahen, deſto eifriger forſchten
ihre Schatzgräber, Rentamtleute und Domänenräthe genannt, in den
Tiefen der Urkundenſammlungen, und ſchürften jedes hellerswerth alte,
abgekommene, unbillige Rechtlein aus dem um- und umgeriſſenen „Acker
der Könige“, den man „das Recht“ zu nennen übereingekommen iſt.
Man braucht nur ſich an die ungeheuerlichen Namen dieſer Gefälle zu
erinnern, dieſe Unmaſſe von Abgaben bis zum Hellerzins und Krauts-
kopf herab zu überblicken, man braucht nur zu berechnen wie durch
Sterbfall und Handlohn durch die unbegreiflichen Procente jedes Gut
und Haus je von der dritten Hand dem Gutsherrn faſt aufs neue bezahlt
wird, man braucht hiezu die gegenwärtigen Brod- und Geldverhältniſſe,
da das Gewerbe ſeinen Mann kaum, der Landbau nur eben noch er-
nährt, zu vergleichen, um in Wahrheit die bisherige Geduld und Red-
lichkeit dieſer Grundholden anzuerkennen. Sie hatten nur Pflichten,
die Herren nur Rechte; ſie Armuth, jene friſchen Reichthum; ſie den
Schweiß, jene das Brod und was nicht alles mehr! Und war im Schweiß
des Angeſichtes geſäet — ſechste verzweifelte Klage — ſo kam ein Rudel
Hirſche und Haſen und fraß es weg, oder zertrat und verwüſtete das
Feld. Die Klagen aber, die Klagen über Wildſchaden, wie ſchwer ſind
ſie ihrer Natur nach auch mit dem beſten Willen zu erledigen, wenn ſie
vor Gericht kommen! Das machte nun die böſen Sieben voll: wer ſucht
der findet ältere und älteſte Gerechtſame; wer den Staub von hundert-
jährigen Acten klopft, dem öffnet ſich auf vergilbten, vermoderten Blät-
tern ein kaum geahntes Himmelreich von Namen und Zahlen, die nur
in Gruppen und neu aufs geduldige Papier gebracht zu werden brauchen
um ſich als das liebenswürdigſte Recht, auf der Rückſeite aber zur ver-
dammteſten Schuldigkeit zu geſtalten. Der Pflichtige wehrt ſich, denn
dieß und das hatte ſein Vater und Großvater nicht zu leiſten; es kann
nicht richtig ſeyn mit dieſer Anrechnung und jener Forderung. Umge-
kehrt: von jeher hat die Herrſchaft die Kirche, die Schule, das Pfarr-
haus der Gemeinde gebaut und erhalten, dieſe und jene Beſoldungen
beſtritten: plötzlich ſoll’s der armen, blutarmen Gemeinde obliegen; die
Kirche muß geſchloſſen, unterm Thurm kann nicht mehr geläutet wer-
den, die Schule hat keinen guten Ziegel und kein ganzes Fenſter, einen
Ofen längſt nicht mehr: die Gemeinde und wieder die Gemeinde ſoll’s
leiden. Einem bei der Kirche oder Schule Angeſtellten hat die Herrſchaft
ſeit Urzeiten ſo viel Holz gegeben, jetzt ſoll’s weniger ſeyn, hat’s ihm
vor’s Haus liefern laſſen: jetzt ſoll er’s ſelbſt holen. Kurz die Placke-
reien beginnen und haben kein Ende. Da fangen die Proceſſe an, die
theuern, die giftigen Proceſſe. Sie ſind aber den Gemeinden und Pflich-
tigen gar zu oft entweder ohne Ausgang oder verloren, denn — denn
die angeblichen oder wirklichen Urkunden dieſer Rechte und Pflichten
bleiben dreifach verſchloſſen in den rentamtlichen Actenkäſten. Dieß die
höchſte und ſtärkſte Klage über eine faſt unglaubliche Unbill.

Ganz gewiß iſt von dieſen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie-
ben, ja ganz erfunden. Keine Frage, es gab und gibt unter Herren und
Amtleuten nicht wenige Ehrenleute voll Menſchlichkeit und Rechtsgefühl:
ſie ſeyen glücklich in ihrem Bewußtſeyn und ſelig in ihrer That. Ander-
wärts waren wenigſtens die Herrſchaften mild und menſchlich, aber die
Schreiber, die Reut- und Domänenbeamten hatten das Heft in der

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[1370/0010] in den jetzt verſammelten oder demnächſt ſich verſammelnden Stände- kammern der einzelnen deutſchen Länder binnen kurzem zur Erörterung kommen müſſen. * Aus Württembergiſch-Franken, 16 März. (Die Bauernunruhen.) Vielleicht iſt es Ihnen nicht unwillkommen aus dem Urſitze des alten Bauernkrieges und aus der Nähe des Stammſitzes des alten Götz v. Berlichingen einiges Sichere über den ſogenannten neuen Bauernkrieg zu vernehmen. Und glücklich werden Sie unſer Vaterland, unſer Jahrhundert preiſen, wenn Sie in alle Welt hinaus ſagen können: der Charakter dieſer gegenwärtigen Bauernunruhen iſt himmelweit von dem der alten verſchieden, und mitten im traurigen Unrecht erſcheint als Hoffnungsſtrahl die Geſittung einer denn doch auch moraliſch fortgeſchrittenen Zeit. Die Menſchen ſind ſeit 300, ſeit 50 Jahren doch menſchlicher geworden. Gleiche Urſachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur- ſachen haben auch mildere Wirkungen im Gefolge. Die Zeit der Leib- eigenſchaft iſt vorüber; die Tage ſind dahin wo eine Gutsherrſchaft ganze Dörfer aufbot mitten in der Erntezeit ihr Schneckenhäuschen zu ſuchen, oder weil die Edelfrau das Gequack der Fröſche im Hofgarten- teiche nicht hören konnte, alt und jung vom Dorf Abend und Nächte lang hinſtellte um mit Ruthenſtreichen den ungebetenen Kammerſängern das Concert zu verleiden; kein Ulrich hängt einen Hutten mehr im Schönbuchwalde, kein Edelherr ſeine Grundholden blutbannrechtlich um einer geſtohlenen Rübe willen am Galgen auf. So jagt man auch vor Weinsberg keinen Helfenſtein mehr durch die Spieße. In einer Zeit da das Schwert zur Feder worden iſt, in der Zeit der Schreiber und Bücher geht’s nicht mehr auf Blut und Leben, ſondern auf Schriften und Bücher, höchſtens noch auf die dahinter ſich verkriechenden Feder- helden. Noch keiner einzigen Gutsherrſchaft wurde ein Leid angethan. Fingen ſich die alten Aufrührer zu ihrem Jäckle von Rohrbach und andern Vormännern hin den alten Götz v. Berlichingen als Schutzherrn und Führer gegen die Edelleute, ſo verſprachen dießmal die guten und „ſchlechten Leute“ des gegenwärtigen gleichnamigen Urenkels jener alten Eiſenfauſt auf Schloß Jarthauſen allen Schutz und Trutz ihrem Herren- hauſe gegen feindlichen Ueberfall. Unſer Volk iſt gutartig und bieder, trotz allem was ihm aus neuer Zeit Uebles angeflogen und angethan ſeyn mag. Es läßt den Edelleuten nicht einmal die Entfremdung ent- gelten in welche ſie gegenüber dem Volke ſich begaben, vollends in der neueſten Zeit, da die alte Adelskette ſich wieder über Deutſchlands Gaue zuſammenſchweißen wollte, und einen viel vornehmeren, höheren, her- riſcheren Ton anzunehmen für zeitgemäß hielt. Nachdem die Julius- revolution den alten Ton und Gang ſo kleinlaut gemacht hatte, und die wirthſchaftlichen Verhältniſſe der meiſten Edelgüter wahrlich auch ſo herabgekommen waren daß lautes und hohes Auftreten unmöglich war, begann mit der Sicherung des äußern Friedens und der innerlich alle Fäden wieder ſtraff anziehenden Beamtenherrſchaft ein mächtiger Wett- eifer der Feudalbarone mit den Geldbaronen. Im Gegenſatz zu Baden wurden mit Hülfe einer dem Volke ſich in die Schreibſtuben entziehenden Regierungsweiſe in Württemberg ſehr günſtige, in Bayern gar keine Ablöſungen der Grundlaſten ins Werk geſetzt. Die Klugen griffen zu und gingen Verträge mit den Grundholden über die wichtigeren Feudal- ablöſungen ein. Den Landleuten, ſo weit ſie nur Geld hatten, waren letztere erwünſcht; im 20fachen Betrag hätten ſie von Herzen gern alles, im 25fachen Betrage haben ſie vieles abgelöst. Dieß Abkommen war gewiß für die „Berechtigten“ höchſt günſtig. Handelt es ſich doch faſt überall um Rechte denen keine oder faſt keine Pflichten entſprachen. Aber manchen war ein mehr als 25facher Betrag nicht genug! Die ſich genügen ließen, machten die beſten Geſchäfte von der Welt. Durch die Ablöſungen wurden ſie in den Beſitz großer Baarſummen geſetzt. Da- von wurden Schulden getilgt, Actien gekauft, glänzenderes Auftreten beſtritten, landwirthſchaftliche Verbeſſerungen eingeführt, gewerbliche Unternehmungen (namentlich Bierbrauereien) begonnen oder erweitert, ganz beſonders wurden die flüſſigen Gelder in liegenden Gütern ange- legt. Erſte große Landesklage: wo ein Grundherr auf ein Aeckerlein bieten läßt, das ihm zur Abrundung ſeines Landbeſitzes dienen mag, kann und darf faſt der geringe Mann nicht beikommen. So kauften einzelne Herrſchaften halbe Dorfmarkungen von den verarmenden Ge- meinden an. Zweite Klage: der übrige Güterbeſitz der Gemeinden wird dadurch ſo geſchmälert und in Theilchen zerſplittert, daß die ſich ver- mehrende Bevölkerung nicht mehr davon leben kann. Zu Beſtreitung der täglichen Nothdurft werden Schulden auf Schulden gehäuft, die Steuern und Abgaben bleiben in ewigem Rückſtand, ein Stückchen, ein Häuschen ums andere muß veräußert werden, Grund und Boden fließt mehr und mehr in den Herrenbeſitz zurück, und die Leute werden zu Pächtern, Taglöhnern, Bettlern — eine neue Art von Leibeigenſchaft. Dritte Klage: die Feudalherren ſind frei von den Gemeindeſteuern und Schädenumlagen. Je mehr zu ihren Gunſten der Gemeindebeſitz ſchmilzt, je mehr Pächter-, Taglöhner- und Bettlerfamilien heranwachſen, deſto drückender werden die Gemeindelaſten, zumal die Unterhaltung der Schulen, Kirchen und Armen für diejenigen welche noch etwas im Be- ſitz haben. Vierte Klage: macht ſchon auf königlichem Boden die Ge- meinde- und Amtsſteuer die größte Laſt, ſo daß bei den öffentlichen Rechnungsablagen der Finanzminiſter, die bloß die Staatsſteuern im Auge behielten, ein gar nicht ſo hartes Steuerweſen in Württemberg ſich ergab: ſo hatten die edelmänniſchen und fürſtlichen Unterthanen den andern Staatsbürgern gegenüber die dreifache Laſt der Gemeinde-, Staats- und Feudalabgaben. Darin hatten ſich ihre Verhältniſſe ſeit der Mediatiſirung der Standesherren weſentlich verſchlimmert: die alten Herrſchaftsabgaben und die neuen Staatslaſten! Wären aber nur die einfachen alten Herrſchaftsabgaben geblieben. Das iſt die große fünfte Klage: je mehr die Herrſchaften ſich durch die neue Ordnung der Dinge und Gelder in die Höhe kommen ſahen, deſto eifriger forſchten ihre Schatzgräber, Rentamtleute und Domänenräthe genannt, in den Tiefen der Urkundenſammlungen, und ſchürften jedes hellerswerth alte, abgekommene, unbillige Rechtlein aus dem um- und umgeriſſenen „Acker der Könige“, den man „das Recht“ zu nennen übereingekommen iſt. Man braucht nur ſich an die ungeheuerlichen Namen dieſer Gefälle zu erinnern, dieſe Unmaſſe von Abgaben bis zum Hellerzins und Krauts- kopf herab zu überblicken, man braucht nur zu berechnen wie durch Sterbfall und Handlohn durch die unbegreiflichen Procente jedes Gut und Haus je von der dritten Hand dem Gutsherrn faſt aufs neue bezahlt wird, man braucht hiezu die gegenwärtigen Brod- und Geldverhältniſſe, da das Gewerbe ſeinen Mann kaum, der Landbau nur eben noch er- nährt, zu vergleichen, um in Wahrheit die bisherige Geduld und Red- lichkeit dieſer Grundholden anzuerkennen. Sie hatten nur Pflichten, die Herren nur Rechte; ſie Armuth, jene friſchen Reichthum; ſie den Schweiß, jene das Brod und was nicht alles mehr! Und war im Schweiß des Angeſichtes geſäet — ſechste verzweifelte Klage — ſo kam ein Rudel Hirſche und Haſen und fraß es weg, oder zertrat und verwüſtete das Feld. Die Klagen aber, die Klagen über Wildſchaden, wie ſchwer ſind ſie ihrer Natur nach auch mit dem beſten Willen zu erledigen, wenn ſie vor Gericht kommen! Das machte nun die böſen Sieben voll: wer ſucht der findet ältere und älteſte Gerechtſame; wer den Staub von hundert- jährigen Acten klopft, dem öffnet ſich auf vergilbten, vermoderten Blät- tern ein kaum geahntes Himmelreich von Namen und Zahlen, die nur in Gruppen und neu aufs geduldige Papier gebracht zu werden brauchen um ſich als das liebenswürdigſte Recht, auf der Rückſeite aber zur ver- dammteſten Schuldigkeit zu geſtalten. Der Pflichtige wehrt ſich, denn dieß und das hatte ſein Vater und Großvater nicht zu leiſten; es kann nicht richtig ſeyn mit dieſer Anrechnung und jener Forderung. Umge- kehrt: von jeher hat die Herrſchaft die Kirche, die Schule, das Pfarr- haus der Gemeinde gebaut und erhalten, dieſe und jene Beſoldungen beſtritten: plötzlich ſoll’s der armen, blutarmen Gemeinde obliegen; die Kirche muß geſchloſſen, unterm Thurm kann nicht mehr geläutet wer- den, die Schule hat keinen guten Ziegel und kein ganzes Fenſter, einen Ofen längſt nicht mehr: die Gemeinde und wieder die Gemeinde ſoll’s leiden. Einem bei der Kirche oder Schule Angeſtellten hat die Herrſchaft ſeit Urzeiten ſo viel Holz gegeben, jetzt ſoll’s weniger ſeyn, hat’s ihm vor’s Haus liefern laſſen: jetzt ſoll er’s ſelbſt holen. Kurz die Placke- reien beginnen und haben kein Ende. Da fangen die Proceſſe an, die theuern, die giftigen Proceſſe. Sie ſind aber den Gemeinden und Pflich- tigen gar zu oft entweder ohne Ausgang oder verloren, denn — denn die angeblichen oder wirklichen Urkunden dieſer Rechte und Pflichten bleiben dreifach verſchloſſen in den rentamtlichen Actenkäſten. Dieß die höchſte und ſtärkſte Klage über eine faſt unglaubliche Unbill. Ganz gewiß iſt von dieſen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie- ben, ja ganz erfunden. Keine Frage, es gab und gibt unter Herren und Amtleuten nicht wenige Ehrenleute voll Menſchlichkeit und Rechtsgefühl: ſie ſeyen glücklich in ihrem Bewußtſeyn und ſelig in ihrer That. Ander- wärts waren wenigſtens die Herrſchaften mild und menſchlich, aber die Schreiber, die Reut- und Domänenbeamten hatten das Heft in der

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848, S. 1370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine86_1848/10>, abgerufen am 13.06.2024.