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Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 25 März 1848.


[Spaltenumbruch]
[Spaltenumbruch]
Die Erklärung des Königs von Preußen.

.. "Ein deutscher Kaiser!" Das Wort ist ausgesprochen, und hat ein
lautes freudiges Echo gefunden. In diesem Namen liegt die Erin-
nerung an unsern Vorrang unter den Nationen, der Zauber einer tau-
sendjährigen Geschichte. Wir haben nicht den Dünkel der Franzosen ein
so absolut philosophisches Volk zu seyn daß wir mit unserer ganzen Ver-
gangenheit brechen und alles neuschaffen wollen. Wir sind ebensowenig
ein bloß historisches Volk, wozu eine wohlbekannte Schule uns gern ge-
macht hätte, und am allerwenigsten wollen wir eine historische Ruine
bleiben. Eine solche Ruine waren wir, aber wir sind nicht mehr Ro-
mantiker genug um noch daran unser Vergnügen zu haben. Wenn
aber die Deutschen wirklich ein Volk von Denkern, die Nachfolger und
Erben der weisen Griechen sind, wie man ihnen die Ehre erwiesen hat sie
zu nennen, wenn sie sich nicht selber als Byzantiner vorkommen sollen, so
darf ihnen der Ruhm nicht genügen eine für alle Fragen fertige Dia-
lektik zu besitzen, sondern sie müssen zeigen daß sie das Denken und die
Weisheit auch zum Organisiren haben. Flicken ist nicht organifiren,
und zu lange hat man in Deutschland nur geflickt. Man hat Jahrhun-
derte an dem Reich geflickt, man hat alle Potentaten von Europa daran
flicken lassen, solange bis es ganz in Fetzen zerrissen war, bis man nur
noch abgelöste Glieder hatte und keinen Körper mehr. Als man den
Bund errichtete, hat man aus den Gliedern, so viel davon noch übrig
war, wieder einen Körper zusammengesetzt, aber einen Körper ohne
Seele. Denn die Seele war die Nation, und die Nation war nicht im
Bund. Sie war nicht bloß den Fürsten und Staatsmännern -- man
muß gerecht seyn -- sie war den Völkern selbst abhanden gekommen, sie
glaubten mit Erfüllung des dreizehnten Artikels der Bundesacte jedes
für sich seine politische Bestimmung erreichen zu können. Dieser Irr-
thum ist nun verschwunden. Eine Reihe der bittersten Erfahrungen
hat ihn für immer zerstört. Das Bevormundungssystem, die Bureau-
kratie, der Polizeistaat sind abgedankt. Mit einer für die Fiction einer
Handvoll Unzufriedener verwirrenden Schnelligkeit und Uebereinstim-
mung, welche die Autorität einer andern Zeit sich nicht anders zu erklären
gewußt hätte als aus den ausgetheilten Verhaltungsbefehlen eines Co-
mite-Directeur, hat die Nationalkraft, unter den Fesseln der Cenfur groß
gewachsen, ihre Forderungen gestellt. Ueberall war der Wille derselbe,
und überall hat er sich Gehör erzwungen. Zum Befreiungskampf ge-
gen die Fremdherrschaft war das Signal vom deutschen Norden ausge-
gangen, heute hat der Süden seine Schuld abbezahlt und die Vereini-
gung der Nation, das deutsche Parlament, den deutschen Bundesstaat
verkündigt. Schon hat einer der mächtigsten Fürsten, derjenige der den
Schwerpunkt seiner Macht in Deutschland hat, dieses Programm zu dem
seinigen gemacht. Achten wir das preußische Patent vom 18 März,
das den kühnsten Erwartungen des deutschen Volks entspricht, darum
nicht geringer weil die Freude über das Ereigniß unmittelbar durch
einen unseligen Zusammenstoß getrübt wird. Wen will man für ein
Mißverständniß, ein Verhängniß verantwortlich machen, wenn man
politisch und mit dem Verstand, nicht mit dem Herzen und dem Ge-
müth urtheilt? Eine heilsame Lehre wird auch diese Berliner Mord-
nacht enthalten -- daß Preußen nicht dieses ganz absonderliche Ding
ist das man Martialstaat genannt, sondern daß es ebenso tapfere und
todesmuthige Bürger wie Soldaten hat. Dieß muß das Regierungs-
princip bürgerlicher machen, der Bürgerwerth wird gestiegen seyn. Da-
mit ist ein wesentliches Trennungsmoment zwischen dem Altpreußenthum
und Deutschland, der Gegensatz des militärischen Kastengeists zur allge-
meinen Wehrhaftigkeit, überwunden. Hatte der Begriff der kriegerischen
Ehre nicht erlaubt die Truppen vor dem, wie man irrthümlich glaubte, be-
waffneten Aufstand zurückzuziehen, so kostete dieß freilich grausame Opfer.
So sehr wir auch diese furchtbare Bluttaufe der jungen deutschen Freiheit
beklagen, so müßten wir es doch nicht minder für ein großes Unglück halten
wenn das preußische Heer sein Selbstvertrauen eingebüßt hätte, oder
wenn es in Deutschland keine starke Regierung mehr gäbe. Denn um
was handelt sich's in Deutschland? Um Constituirung nicht allein einer
freien Verfassung, sondern auch einer starken Regierung. Eben das
soll der Unterschied seyn zwischen dem Deutschland welches sich die Na-
tion aufbaut und dem Deutschland der Fürsten. Wenn diese ein Ober-
haupt bestellten, so galt lange die Regel es nur aus den kleinen Häu-
[Spaltenumbruch] sern zu wählen, und als man später bei den Habsburgern stehen blieb,
war es auf der einen Seite vorherrschende Politik eine Hausmacht zu
gründen, auf der andern Seite das kaiserliche Ansehen durch beengende
Wahlverträge fort und fort herabzudrücken. Was war zuletzt übrig-
geblieben? Der Nation ein gewisser Schutz gegen die Willkür auf dem
langsamen und kostspieligen Proceßweg der Reichsgerichte, den Reichs-
ständen eine Art Selbständigkeit, gestützt auf die Servitut auswärtiger
Protection, dem Kaiser der Planetenkreis der Kurfürsten, der Titel
Mehrer des Reichs und die Umgürtung mit dem Schwert Karls des
Großen, dem Ganzen eine Unmacht die sich selbst zum Gespött geworden
war. Zu einem solchen Zustand wird niemand zurückkehren wollen.
Kaum ein leises Gefühl deutscher Zusammengehörigkeit hatte diese
Reichsverfassung erhalten, Deutschland lebte nur noch in der Sage und
Poesie, und mittelbar, unbewußt vielen ihrer Pfleger, in der Litteratur.
Es hat dieser ganzen ungeheuern Erregung aller Nationalitäten des
Welttheils, dieses langjährigen hoffnungslosen innern Kampfes um die
theuersten Staats- und Volksinteressen, endlich der Schreckenserschei-
nung einer französischen Republik bedurft, damit Deutschland wieder er-
stehen konnte. Ist es wirklich schon erstanden? Wir hatten es geglaubt.
Wenn wir aber wohlgesinnte Publicisten hören die mit einem zwei- oder
dreifachen Alternirungssystem für Bestellung des Bundeshaupts daher
kommen, die den gegenwärtigen Bundestag als Bundesministerium vor-
schlagen, wenn vielleicht bald die Pfahlpatrioten jedes der etlichen
und dreißig Länder und Ländchen ihre Throncandidaten präsentiren,
so bekennen wir daß uns das kleinlaut macht. Wenn wir nicht ein
Ganzes schaffen, wenn wir es nicht naturgesetzlich schaffen, ein Bundes-
haupt nicht mit wandelbaren Wahlcapitulationen, sondern aus der Macht,
mit den Attributen der Macht und umgeben von einer Verfassung, dann kom-
men die Franzosen eher mit ihrer Republik über den Rhein als wir vor
lauter Vorbehalten, Eifersüchteleien und Säumnissen zu einer nationa-
len Bundesgewalt, und wir sind nicht einmal so weise wie die Griechen
vor Troja die unter allen ihren Fürsten und Helden den reichsten und
mächtigsten zum Völkerhirten wählten. Wenn wir ja (um ein triviales Bild
des Marktes zu gebrauchen) ein Deutschland auf Actien gründen wollten,
müßten wir dem der das meiste Capital einlegt, die größte Stimmberech-
tigung geben. Jetzt wo Hannibal vor den Thoren droht, wo vielleicht
die Stunden zu zählen sind bis das Arbeiterparlament seine Legionen
hungernder Proletarier über die Gränze wirft die an die Paläste unserer
Fürsten schreiben würden: zu vermiethen, jetzt ist es wahrlich nicht
an der Zeit sich über Nebenpunkte zu streiten, wenn vielleicht nicht alles
ganz so geht wie wir's uns gedacht hatten. Wie oft haben die Besten un-
sers Volks gewünscht daß einer der Hochgebornen, ein mächtiger König
und Heerfürst, sich zu dem Entschluß erheben möchte die Auferstehung des
großen Vaterlands zu verkündigen, wie haben sie nicht darauf geschworen
daß ihm alle Herzen entgegenschlagen würden! Friedrich Wilhelm IV hat
diesen Schritt gethan. Ein zweiter offener Brief, eine Frühlingsbotschaft
vom 21 März, bringt die Erklärungen des ersten in rasche Erfüllung, erwei-
tert noch das darin enthaltene Freiheitsprogramm. Mit diesem Tag hat
sich das erlauchte Geschlecht der Hohenzollern unter das ehrwürdige Ban-
ner des deutschen Reichs gestellt. Preußens König und Volk, fünfzehn
Millionen Deutsche, der Verein der edelsten tapfersten Stämme, bieten
sich als mächtiges Centrum dar um das sie Deutschlands Fürsten und
Stände einladen sich zu schaaren, denen sie sagen daß Preußen in Deutsch-
land aufgeht. Möge sich kein Mißton in diesen feierlichsten Augenblick
der deutschen Geschichte mischen! Mögen keine kleinlichen Scrupel die
Ausführung des erhabenen, des segensreichen Werks erschweren! Möge
diese That der Hingebung an die deutsche Nationalsache mit dem Ver-
trauen gewürdigt werden wie sie es verdient! Vertrauen gegen Ver-
trauen! Preußen hat seine Fahne niedergelegt, seine Allianzen zerrissen,
es ist Deutschland geworden, es ruft alle Deutschen zur freien Vereini-
gung auf. Warum sollten die deutschen Kammern zögern sich den Män-
nern des weißen Saals anzuschließen die, da sie noch allein standen, ih-
nen schon das bewunderungswürdige Schauspiel eines deutschen Parla-
ments gaben? Warum sollten sie Anstand nehmen, weil der König, der
die hochherzige Initiative ergriffen hat, sie in Berlin und nicht in Frank-
furt a. M. versammelt? Warum sollten sie an dem Thron der in den Ta-
gen der Gefahr Hort und Schild ist, sich nicht freuen im Namen der Na-

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 25 März 1848.


[Spaltenumbruch]
[Spaltenumbruch]
Die Erklärung des Königs von Preußen.

.. „Ein deutſcher Kaiſer!“ Das Wort iſt ausgeſprochen, und hat ein
lautes freudiges Echo gefunden. In dieſem Namen liegt die Erin-
nerung an unſern Vorrang unter den Nationen, der Zauber einer tau-
ſendjährigen Geſchichte. Wir haben nicht den Dünkel der Franzoſen ein
ſo abſolut philoſophiſches Volk zu ſeyn daß wir mit unſerer ganzen Ver-
gangenheit brechen und alles neuſchaffen wollen. Wir ſind ebenſowenig
ein bloß hiſtoriſches Volk, wozu eine wohlbekannte Schule uns gern ge-
macht hätte, und am allerwenigſten wollen wir eine hiſtoriſche Ruine
bleiben. Eine ſolche Ruine waren wir, aber wir ſind nicht mehr Ro-
mantiker genug um noch daran unſer Vergnügen zu haben. Wenn
aber die Deutſchen wirklich ein Volk von Denkern, die Nachfolger und
Erben der weiſen Griechen ſind, wie man ihnen die Ehre erwieſen hat ſie
zu nennen, wenn ſie ſich nicht ſelber als Byzantiner vorkommen ſollen, ſo
darf ihnen der Ruhm nicht genügen eine für alle Fragen fertige Dia-
lektik zu beſitzen, ſondern ſie müſſen zeigen daß ſie das Denken und die
Weisheit auch zum Organiſiren haben. Flicken iſt nicht organifiren,
und zu lange hat man in Deutſchland nur geflickt. Man hat Jahrhun-
derte an dem Reich geflickt, man hat alle Potentaten von Europa daran
flicken laſſen, ſolange bis es ganz in Fetzen zerriſſen war, bis man nur
noch abgelöste Glieder hatte und keinen Körper mehr. Als man den
Bund errichtete, hat man aus den Gliedern, ſo viel davon noch übrig
war, wieder einen Körper zuſammengeſetzt, aber einen Körper ohne
Seele. Denn die Seele war die Nation, und die Nation war nicht im
Bund. Sie war nicht bloß den Fürſten und Staatsmännern — man
muß gerecht ſeyn — ſie war den Völkern ſelbſt abhanden gekommen, ſie
glaubten mit Erfüllung des dreizehnten Artikels der Bundesacte jedes
für ſich ſeine politiſche Beſtimmung erreichen zu können. Dieſer Irr-
thum iſt nun verſchwunden. Eine Reihe der bitterſten Erfahrungen
hat ihn für immer zerſtört. Das Bevormundungsſyſtem, die Bureau-
kratie, der Polizeiſtaat ſind abgedankt. Mit einer für die Fiction einer
Handvoll Unzufriedener verwirrenden Schnelligkeit und Uebereinſtim-
mung, welche die Autorität einer andern Zeit ſich nicht anders zu erklären
gewußt hätte als aus den ausgetheilten Verhaltungsbefehlen eines Co-
mité-Directeur, hat die Nationalkraft, unter den Feſſeln der Cenfur groß
gewachſen, ihre Forderungen geſtellt. Ueberall war der Wille derſelbe,
und überall hat er ſich Gehör erzwungen. Zum Befreiungskampf ge-
gen die Fremdherrſchaft war das Signal vom deutſchen Norden ausge-
gangen, heute hat der Süden ſeine Schuld abbezahlt und die Vereini-
gung der Nation, das deutſche Parlament, den deutſchen Bundesſtaat
verkündigt. Schon hat einer der mächtigſten Fürſten, derjenige der den
Schwerpunkt ſeiner Macht in Deutſchland hat, dieſes Programm zu dem
ſeinigen gemacht. Achten wir das preußiſche Patent vom 18 März,
das den kühnſten Erwartungen des deutſchen Volks entſpricht, darum
nicht geringer weil die Freude über das Ereigniß unmittelbar durch
einen unſeligen Zuſammenſtoß getrübt wird. Wen will man für ein
Mißverſtändniß, ein Verhängniß verantwortlich machen, wenn man
politiſch und mit dem Verſtand, nicht mit dem Herzen und dem Ge-
müth urtheilt? Eine heilſame Lehre wird auch dieſe Berliner Mord-
nacht enthalten — daß Preußen nicht dieſes ganz abſonderliche Ding
iſt das man Martialſtaat genannt, ſondern daß es ebenſo tapfere und
todesmuthige Bürger wie Soldaten hat. Dieß muß das Regierungs-
princip bürgerlicher machen, der Bürgerwerth wird geſtiegen ſeyn. Da-
mit iſt ein weſentliches Trennungsmoment zwiſchen dem Altpreußenthum
und Deutſchland, der Gegenſatz des militäriſchen Kaſtengeiſts zur allge-
meinen Wehrhaftigkeit, überwunden. Hatte der Begriff der kriegeriſchen
Ehre nicht erlaubt die Truppen vor dem, wie man irrthümlich glaubte, be-
waffneten Aufſtand zurückzuziehen, ſo koſtete dieß freilich grauſame Opfer.
So ſehr wir auch dieſe furchtbare Bluttaufe der jungen deutſchen Freiheit
beklagen, ſo müßten wir es doch nicht minder für ein großes Unglück halten
wenn das preußiſche Heer ſein Selbſtvertrauen eingebüßt hätte, oder
wenn es in Deutſchland keine ſtarke Regierung mehr gäbe. Denn um
was handelt ſich’s in Deutſchland? Um Conſtituirung nicht allein einer
freien Verfaſſung, ſondern auch einer ſtarken Regierung. Eben das
ſoll der Unterſchied ſeyn zwiſchen dem Deutſchland welches ſich die Na-
tion aufbaut und dem Deutſchland der Fürſten. Wenn dieſe ein Ober-
haupt beſtellten, ſo galt lange die Regel es nur aus den kleinen Häu-
[Spaltenumbruch] ſern zu wählen, und als man ſpäter bei den Habsburgern ſtehen blieb,
war es auf der einen Seite vorherrſchende Politik eine Hausmacht zu
gründen, auf der andern Seite das kaiſerliche Anſehen durch beengende
Wahlverträge fort und fort herabzudrücken. Was war zuletzt übrig-
geblieben? Der Nation ein gewiſſer Schutz gegen die Willkür auf dem
langſamen und koſtſpieligen Proceßweg der Reichsgerichte, den Reichs-
ſtänden eine Art Selbſtändigkeit, geſtützt auf die Servitut auswärtiger
Protection, dem Kaiſer der Planetenkreis der Kurfürſten, der Titel
Mehrer des Reichs und die Umgürtung mit dem Schwert Karls des
Großen, dem Ganzen eine Unmacht die ſich ſelbſt zum Geſpött geworden
war. Zu einem ſolchen Zuſtand wird niemand zurückkehren wollen.
Kaum ein leiſes Gefühl deutſcher Zuſammengehörigkeit hatte dieſe
Reichsverfaſſung erhalten, Deutſchland lebte nur noch in der Sage und
Poeſie, und mittelbar, unbewußt vielen ihrer Pfleger, in der Litteratur.
Es hat dieſer ganzen ungeheuern Erregung aller Nationalitäten des
Welttheils, dieſes langjährigen hoffnungsloſen innern Kampfes um die
theuerſten Staats- und Volksintereſſen, endlich der Schreckenserſchei-
nung einer franzöſiſchen Republik bedurft, damit Deutſchland wieder er-
ſtehen konnte. Iſt es wirklich ſchon erſtanden? Wir hatten es geglaubt.
Wenn wir aber wohlgeſinnte Publiciſten hören die mit einem zwei- oder
dreifachen Alternirungsſyſtem für Beſtellung des Bundeshaupts daher
kommen, die den gegenwärtigen Bundestag als Bundesminiſterium vor-
ſchlagen, wenn vielleicht bald die Pfahlpatrioten jedes der etlichen
und dreißig Länder und Ländchen ihre Throncandidaten präſentiren,
ſo bekennen wir daß uns das kleinlaut macht. Wenn wir nicht ein
Ganzes ſchaffen, wenn wir es nicht naturgeſetzlich ſchaffen, ein Bundes-
haupt nicht mit wandelbaren Wahlcapitulationen, ſondern aus der Macht,
mit den Attributen der Macht und umgeben von einer Verfaſſung, dann kom-
men die Franzoſen eher mit ihrer Republik über den Rhein als wir vor
lauter Vorbehalten, Eiferſüchteleien und Säumniſſen zu einer nationa-
len Bundesgewalt, und wir ſind nicht einmal ſo weiſe wie die Griechen
vor Troja die unter allen ihren Fürſten und Helden den reichſten und
mächtigſten zum Völkerhirten wählten. Wenn wir ja (um ein triviales Bild
des Marktes zu gebrauchen) ein Deutſchland auf Actien gründen wollten,
müßten wir dem der das meiſte Capital einlegt, die größte Stimmberech-
tigung geben. Jetzt wo Hannibal vor den Thoren droht, wo vielleicht
die Stunden zu zählen ſind bis das Arbeiterparlament ſeine Legionen
hungernder Proletarier über die Gränze wirft die an die Paläſte unſerer
Fürſten ſchreiben würden: zu vermiethen, jetzt iſt es wahrlich nicht
an der Zeit ſich über Nebenpunkte zu ſtreiten, wenn vielleicht nicht alles
ganz ſo geht wie wir’s uns gedacht hatten. Wie oft haben die Beſten un-
ſers Volks gewünſcht daß einer der Hochgebornen, ein mächtiger König
und Heerfürſt, ſich zu dem Entſchluß erheben möchte die Auferſtehung des
großen Vaterlands zu verkündigen, wie haben ſie nicht darauf geſchworen
daß ihm alle Herzen entgegenſchlagen würden! Friedrich Wilhelm IV hat
dieſen Schritt gethan. Ein zweiter offener Brief, eine Frühlingsbotſchaft
vom 21 März, bringt die Erklärungen des erſten in raſche Erfüllung, erwei-
tert noch das darin enthaltene Freiheitsprogramm. Mit dieſem Tag hat
ſich das erlauchte Geſchlecht der Hohenzollern unter das ehrwürdige Ban-
ner des deutſchen Reichs geſtellt. Preußens König und Volk, fünfzehn
Millionen Deutſche, der Verein der edelſten tapferſten Stämme, bieten
ſich als mächtiges Centrum dar um das ſie Deutſchlands Fürſten und
Stände einladen ſich zu ſchaaren, denen ſie ſagen daß Preußen in Deutſch-
land aufgeht. Möge ſich kein Mißton in dieſen feierlichſten Augenblick
der deutſchen Geſchichte miſchen! Mögen keine kleinlichen Scrupel die
Ausführung des erhabenen, des ſegensreichen Werks erſchweren! Möge
dieſe That der Hingebung an die deutſche Nationalſache mit dem Ver-
trauen gewürdigt werden wie ſie es verdient! Vertrauen gegen Ver-
trauen! Preußen hat ſeine Fahne niedergelegt, ſeine Allianzen zerriſſen,
es iſt Deutſchland geworden, es ruft alle Deutſchen zur freien Vereini-
gung auf. Warum ſollten die deutſchen Kammern zögern ſich den Män-
nern des weißen Saals anzuſchließen die, da ſie noch allein ſtanden, ih-
nen ſchon das bewunderungswürdige Schauſpiel eines deutſchen Parla-
ments gaben? Warum ſollten ſie Anſtand nehmen, weil der König, der
die hochherzige Initiative ergriffen hat, ſie in Berlin und nicht in Frank-
furt a. M. verſammelt? Warum ſollten ſie an dem Thron der in den Ta-
gen der Gefahr Hort und Schild iſt, ſich nicht freuen im Namen der Na-

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 25 März 1848. Die Erklärung des Königs von Preußen. .. „Ein deutſcher Kaiſer!“ Das Wort iſt ausgeſprochen, und hat ein lautes freudiges Echo gefunden. In dieſem Namen liegt die Erin- nerung an unſern Vorrang unter den Nationen, der Zauber einer tau- ſendjährigen Geſchichte. Wir haben nicht den Dünkel der Franzoſen ein ſo abſolut philoſophiſches Volk zu ſeyn daß wir mit unſerer ganzen Ver- gangenheit brechen und alles neuſchaffen wollen. Wir ſind ebenſowenig ein bloß hiſtoriſches Volk, wozu eine wohlbekannte Schule uns gern ge- macht hätte, und am allerwenigſten wollen wir eine hiſtoriſche Ruine bleiben. Eine ſolche Ruine waren wir, aber wir ſind nicht mehr Ro- mantiker genug um noch daran unſer Vergnügen zu haben. Wenn aber die Deutſchen wirklich ein Volk von Denkern, die Nachfolger und Erben der weiſen Griechen ſind, wie man ihnen die Ehre erwieſen hat ſie zu nennen, wenn ſie ſich nicht ſelber als Byzantiner vorkommen ſollen, ſo darf ihnen der Ruhm nicht genügen eine für alle Fragen fertige Dia- lektik zu beſitzen, ſondern ſie müſſen zeigen daß ſie das Denken und die Weisheit auch zum Organiſiren haben. Flicken iſt nicht organifiren, und zu lange hat man in Deutſchland nur geflickt. Man hat Jahrhun- derte an dem Reich geflickt, man hat alle Potentaten von Europa daran flicken laſſen, ſolange bis es ganz in Fetzen zerriſſen war, bis man nur noch abgelöste Glieder hatte und keinen Körper mehr. Als man den Bund errichtete, hat man aus den Gliedern, ſo viel davon noch übrig war, wieder einen Körper zuſammengeſetzt, aber einen Körper ohne Seele. Denn die Seele war die Nation, und die Nation war nicht im Bund. Sie war nicht bloß den Fürſten und Staatsmännern — man muß gerecht ſeyn — ſie war den Völkern ſelbſt abhanden gekommen, ſie glaubten mit Erfüllung des dreizehnten Artikels der Bundesacte jedes für ſich ſeine politiſche Beſtimmung erreichen zu können. Dieſer Irr- thum iſt nun verſchwunden. Eine Reihe der bitterſten Erfahrungen hat ihn für immer zerſtört. Das Bevormundungsſyſtem, die Bureau- kratie, der Polizeiſtaat ſind abgedankt. Mit einer für die Fiction einer Handvoll Unzufriedener verwirrenden Schnelligkeit und Uebereinſtim- mung, welche die Autorität einer andern Zeit ſich nicht anders zu erklären gewußt hätte als aus den ausgetheilten Verhaltungsbefehlen eines Co- mité-Directeur, hat die Nationalkraft, unter den Feſſeln der Cenfur groß gewachſen, ihre Forderungen geſtellt. Ueberall war der Wille derſelbe, und überall hat er ſich Gehör erzwungen. Zum Befreiungskampf ge- gen die Fremdherrſchaft war das Signal vom deutſchen Norden ausge- gangen, heute hat der Süden ſeine Schuld abbezahlt und die Vereini- gung der Nation, das deutſche Parlament, den deutſchen Bundesſtaat verkündigt. Schon hat einer der mächtigſten Fürſten, derjenige der den Schwerpunkt ſeiner Macht in Deutſchland hat, dieſes Programm zu dem ſeinigen gemacht. Achten wir das preußiſche Patent vom 18 März, das den kühnſten Erwartungen des deutſchen Volks entſpricht, darum nicht geringer weil die Freude über das Ereigniß unmittelbar durch einen unſeligen Zuſammenſtoß getrübt wird. Wen will man für ein Mißverſtändniß, ein Verhängniß verantwortlich machen, wenn man politiſch und mit dem Verſtand, nicht mit dem Herzen und dem Ge- müth urtheilt? Eine heilſame Lehre wird auch dieſe Berliner Mord- nacht enthalten — daß Preußen nicht dieſes ganz abſonderliche Ding iſt das man Martialſtaat genannt, ſondern daß es ebenſo tapfere und todesmuthige Bürger wie Soldaten hat. Dieß muß das Regierungs- princip bürgerlicher machen, der Bürgerwerth wird geſtiegen ſeyn. Da- mit iſt ein weſentliches Trennungsmoment zwiſchen dem Altpreußenthum und Deutſchland, der Gegenſatz des militäriſchen Kaſtengeiſts zur allge- meinen Wehrhaftigkeit, überwunden. Hatte der Begriff der kriegeriſchen Ehre nicht erlaubt die Truppen vor dem, wie man irrthümlich glaubte, be- waffneten Aufſtand zurückzuziehen, ſo koſtete dieß freilich grauſame Opfer. So ſehr wir auch dieſe furchtbare Bluttaufe der jungen deutſchen Freiheit beklagen, ſo müßten wir es doch nicht minder für ein großes Unglück halten wenn das preußiſche Heer ſein Selbſtvertrauen eingebüßt hätte, oder wenn es in Deutſchland keine ſtarke Regierung mehr gäbe. Denn um was handelt ſich’s in Deutſchland? Um Conſtituirung nicht allein einer freien Verfaſſung, ſondern auch einer ſtarken Regierung. Eben das ſoll der Unterſchied ſeyn zwiſchen dem Deutſchland welches ſich die Na- tion aufbaut und dem Deutſchland der Fürſten. Wenn dieſe ein Ober- haupt beſtellten, ſo galt lange die Regel es nur aus den kleinen Häu- ſern zu wählen, und als man ſpäter bei den Habsburgern ſtehen blieb, war es auf der einen Seite vorherrſchende Politik eine Hausmacht zu gründen, auf der andern Seite das kaiſerliche Anſehen durch beengende Wahlverträge fort und fort herabzudrücken. Was war zuletzt übrig- geblieben? Der Nation ein gewiſſer Schutz gegen die Willkür auf dem langſamen und koſtſpieligen Proceßweg der Reichsgerichte, den Reichs- ſtänden eine Art Selbſtändigkeit, geſtützt auf die Servitut auswärtiger Protection, dem Kaiſer der Planetenkreis der Kurfürſten, der Titel Mehrer des Reichs und die Umgürtung mit dem Schwert Karls des Großen, dem Ganzen eine Unmacht die ſich ſelbſt zum Geſpött geworden war. Zu einem ſolchen Zuſtand wird niemand zurückkehren wollen. Kaum ein leiſes Gefühl deutſcher Zuſammengehörigkeit hatte dieſe Reichsverfaſſung erhalten, Deutſchland lebte nur noch in der Sage und Poeſie, und mittelbar, unbewußt vielen ihrer Pfleger, in der Litteratur. Es hat dieſer ganzen ungeheuern Erregung aller Nationalitäten des Welttheils, dieſes langjährigen hoffnungsloſen innern Kampfes um die theuerſten Staats- und Volksintereſſen, endlich der Schreckenserſchei- nung einer franzöſiſchen Republik bedurft, damit Deutſchland wieder er- ſtehen konnte. Iſt es wirklich ſchon erſtanden? Wir hatten es geglaubt. Wenn wir aber wohlgeſinnte Publiciſten hören die mit einem zwei- oder dreifachen Alternirungsſyſtem für Beſtellung des Bundeshaupts daher kommen, die den gegenwärtigen Bundestag als Bundesminiſterium vor- ſchlagen, wenn vielleicht bald die Pfahlpatrioten jedes der etlichen und dreißig Länder und Ländchen ihre Throncandidaten präſentiren, ſo bekennen wir daß uns das kleinlaut macht. Wenn wir nicht ein Ganzes ſchaffen, wenn wir es nicht naturgeſetzlich ſchaffen, ein Bundes- haupt nicht mit wandelbaren Wahlcapitulationen, ſondern aus der Macht, mit den Attributen der Macht und umgeben von einer Verfaſſung, dann kom- men die Franzoſen eher mit ihrer Republik über den Rhein als wir vor lauter Vorbehalten, Eiferſüchteleien und Säumniſſen zu einer nationa- len Bundesgewalt, und wir ſind nicht einmal ſo weiſe wie die Griechen vor Troja die unter allen ihren Fürſten und Helden den reichſten und mächtigſten zum Völkerhirten wählten. Wenn wir ja (um ein triviales Bild des Marktes zu gebrauchen) ein Deutſchland auf Actien gründen wollten, müßten wir dem der das meiſte Capital einlegt, die größte Stimmberech- tigung geben. Jetzt wo Hannibal vor den Thoren droht, wo vielleicht die Stunden zu zählen ſind bis das Arbeiterparlament ſeine Legionen hungernder Proletarier über die Gränze wirft die an die Paläſte unſerer Fürſten ſchreiben würden: zu vermiethen, jetzt iſt es wahrlich nicht an der Zeit ſich über Nebenpunkte zu ſtreiten, wenn vielleicht nicht alles ganz ſo geht wie wir’s uns gedacht hatten. Wie oft haben die Beſten un- ſers Volks gewünſcht daß einer der Hochgebornen, ein mächtiger König und Heerfürſt, ſich zu dem Entſchluß erheben möchte die Auferſtehung des großen Vaterlands zu verkündigen, wie haben ſie nicht darauf geſchworen daß ihm alle Herzen entgegenſchlagen würden! Friedrich Wilhelm IV hat dieſen Schritt gethan. Ein zweiter offener Brief, eine Frühlingsbotſchaft vom 21 März, bringt die Erklärungen des erſten in raſche Erfüllung, erwei- tert noch das darin enthaltene Freiheitsprogramm. Mit dieſem Tag hat ſich das erlauchte Geſchlecht der Hohenzollern unter das ehrwürdige Ban- ner des deutſchen Reichs geſtellt. Preußens König und Volk, fünfzehn Millionen Deutſche, der Verein der edelſten tapferſten Stämme, bieten ſich als mächtiges Centrum dar um das ſie Deutſchlands Fürſten und Stände einladen ſich zu ſchaaren, denen ſie ſagen daß Preußen in Deutſch- land aufgeht. Möge ſich kein Mißton in dieſen feierlichſten Augenblick der deutſchen Geſchichte miſchen! Mögen keine kleinlichen Scrupel die Ausführung des erhabenen, des ſegensreichen Werks erſchweren! Möge dieſe That der Hingebung an die deutſche Nationalſache mit dem Ver- trauen gewürdigt werden wie ſie es verdient! Vertrauen gegen Ver- trauen! Preußen hat ſeine Fahne niedergelegt, ſeine Allianzen zerriſſen, es iſt Deutſchland geworden, es ruft alle Deutſchen zur freien Vereini- gung auf. 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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine85_1848/17>, abgerufen am 23.11.2024.