Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.[Spaltenumbruch]
dem Augenblick wo ich diese Zeilen schreibe verbreitet sich die Nachricht daß Aus Sachsen. Dresden, 17 März. Das neue Ministerium ist endlich er- Steyermark. # Grätz, 15 März. Abends 6 Uhr. Eine Bürgerversamm- "Ew. k. k. Majestät! Beseelt von aufrichtiger Liebe und An- [Spaltenumbruch]
dem Augenblick wo ich dieſe Zeilen ſchreibe verbreitet ſich die Nachricht daß Aus Sachſen. ꖌ Dresden, 17 März. Das neue Miniſterium iſt endlich er- Steyermark. # Grätz, 15 März. Abends 6 Uhr. Eine Bürgerverſamm- „Ew. k. k. Majeſtät! Beſeelt von aufrichtiger Liebe und An- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0011" n="1323"/><cb/> dem Augenblick wo ich dieſe Zeilen ſchreibe verbreitet ſich die Nachricht daß<lb/> auch der Kaiſer von Oeſterreich ſich für die Sache des Fortſchritts er-<lb/> klärt und Fürſt Metternich das Ruder des Staatsſchiffes, welches, aus<lb/> der Ferne betrachtet, in gefährliche Untiefen und zwiſchen drohende<lb/> Klippen gerathen zu ſeyn ſcheint, in jüngere und rüſtigere Hände ab-<lb/> gegeben hat. Nun werden die unvergeßlichen Worte welche vor einigen<lb/> Jahren der König von Preußen und der Erzherzog Johann von Oeſter-<lb/> reich am deutſchen Rheinſtrom ausſprachen: „Hinfort ſoll kein Oeſter-<lb/> reich mehr und kein Preußen, ſondern nur ein einiges großes Deutſch-<lb/> land ſeyn“, hoffentlich raſcher zur Wahrheit werden als man ſich da-<lb/> mals wohl hätte träumen laſſen. Und — abermals eine neue Nach-<lb/> richt! So eben iſt ein Schreiben Sr. Durchlaucht des Landgrafen Wil-<lb/> helm von Heſſen eingelaufen, worin er unſere Verfaſſung unumwunden<lb/> anerkennt und einen Bevollmächtigten zur gegenwärtigen Ständever-<lb/> ſammlung ankündigt. Heil Deutſchland, wenn ſeine Fürſten fortfahren<lb/> auf dieſe Weiſe ihren Völkern zu vertrauen! Sie werden ſicher die Er-<lb/> fahrung machen daß die auf Liebe gegründete Macht großartiger und<lb/> dauerhafter iſt als jegliche Herrſchaft, die nur auf Furcht gegründet iſt<lb/> und nur durch Gewalt behauptet werden kann.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Aus Sachſen.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>ꖌ <hi rendition="#b">Dresd</hi>en, 17 März.</dateline> <p>Das neue Miniſterium iſt endlich er-<lb/> nannt. Geſtern um 11 Uhr wurden die HH. Braun, Georgi und von<lb/> der Pfordten als Staatsminiſter vereidigt. Es war eine ſchwere Ge-<lb/> burt. Die Ariſtokratie und die Hofkoterie ſuchte das alte Miniſterium<lb/> zu behaupten: aber wie kann ein Miniſterium ſich halten, wenn es Leip-<lb/> zig wider ſich hat? Lange verkannte man in Dresden den Stand der<lb/> Dinge völlig, ſprach in der „guten Geſellſchaft“ davon daß einige <hi rendition="#g">be-<lb/> zahlte</hi> Schreier in Leipzig die Bevölkerung eingeſchüchtert hätten, und<lb/> häufte rings um Leipzig Truppenmaſſen. Aber die Leipziger Politiker<lb/> verſtanden den Kampf beſſer als die Hofherren. Die Truppen ſchreckten<lb/> nicht, keine Einſchüchterung erfolgte und nur das ruhige Zuſehen der<lb/> Regierungsbehörden hielt von ihrem Sturze, den Ungeſtüme wirklich<lb/> verlangten, zurück. Inmittelſt fuhren die Leipziger in ihren Erklä-<lb/> rungen fort, befeſtigten und vermehrten ihre auswärtigen Verbindungen<lb/> und erhielten von allen Seiten Beitrittserklärungen. Das Vogtland<lb/> und Theile des Erzgebirgs ſagten Unterſtützung zu; man ſprach von<lb/> einem Zug nach Dresden, an dem ſechzehn andere Städte ſich betheiligen<lb/> wollten; in Glauchau fand eine Volksverſammlung ſtatt, und am vorigen<lb/> Sonntag traten in Leipzig eine große Zahl Stimmführer der ſächſiſchen<lb/> Oppoſition zuſammen und ſprachen ihr Mißtrauen gegen das Miniſte-<lb/> rium aus, ſowie ihre Forderungen welche der Landtagsabgeordnete<lb/> Advocat <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Schaffrath aus Neuſtadt aufgeſetzt hatte. Der bäuerliche<lb/> Abgeordnete <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Joſeph führte den Vorſitz dieſer Verſammlung, an der<lb/> ſich von Seiten Leipzigs nur wenige betheiligten, um das Land ſich rein<lb/> ausſprechen zu laſſen. In dieſer Verſammlung wurden Todt, Bürger-<lb/> meiſter von Adorf, und Biedermann, Profeſſor und zweiter Vorſteher<lb/> der Stadtverordneten in Leipzig, zur Beſchickung eines deutſchen Parla-<lb/> ments vorläufig ernannt. Leipzig war ohne Straßenkampf nicht zu<lb/> unterwerfen, und der erſte Gewaltſchritt hätte zur Aufwerfung provi-<lb/> ſoriſcher Regierungen im Vogtland und in Leipzig geführt. Da endlich<lb/> wich das Miniſterium, aber die Miniſter ſuchten anfangs noch ſich gleich-<lb/> geſinnte Nachfolger zu geben. Jetzt galt es, nach dieſem erſten Siege,<lb/> einen zweiten zu erringen, und der vorbereitende Ausſchuß des zu ver-<lb/> anſtaltenden Zuges beſchloß nöthigenfalls energiſch Dresden in die Be-<lb/> wegung hineinzuziehen, wo der gute Geiſt des Fortſchritts ſich zwar<lb/> ſchon regte, aber langſam und träge. Am Nachmittag den 14 wurde<lb/> beſchloſſen eine Deputation nach Dresden abgehen zu laſſen, welche mit<lb/> einer Volksverſammlung ſich über den Zug verſtändigen ſolle. Am<lb/> Abend den 15 trat dieſe in die hieſige große Bürgerverſammlung, die ſie<lb/> mit donnerndem Hoch auf Leipzig empfing. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Wuttke ſetzte die Lage<lb/> und das Verlangen Leipzigs auseinander, den Zuſammenhang der ſäch-<lb/> ſiſchen Frage mit der deutſchen, wie ohne die mindeſten Unordnungen<lb/> der Leipziger Liberalismus ſich entwickelt habe (eine zerworfene Fenſter-<lb/> ſcheibe, eine einzige, war der ganze angerichtete Schaden), und wie man<lb/> mit Bajonetten keine Erklärungen durchſtechen noch Kanonen mit Ge-<lb/> danken laden könne. Die harte Nothwendigkeit treibe vorwärts. Ge-<lb/> ſchiehe es dahin daß volksthümliche Männer an der Spitze der Verwal-<lb/> tung träten, ſo könne der vielgeforderte große Petitionszug wegfallen<lb/> und allenfalls in ein Volksfeſt umgewandelt werden. Die Liberalen<lb/><cb/> meinten: „Jetzt oder niemals.“ Bei dieſen Worten brach die ganze Ver-<lb/> ſammlung in den Ruf aus „Jetzt oder niemals.“ Nach ihm ſprachen<lb/> von den Leipzigern noch der Buchhändler Schreck und <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Ruge, von<lb/> Dresden Wittig, Köchly u. a. Noch verhandelte die Verſammlung als<lb/> die Nachricht gebracht wurde daß in der Stadt Tumult ausgebrochen<lb/> ſey, daß Pöbelhaufen Fenſter im Schloſſe eingeworfen hätten. Wahr-<lb/> ſcheinlich war dieß ein von Widerſachern des Fortſchritts bezahlter<lb/> Scandal, denn die Rotten der Unruhigen ließen keinen politiſchen Ruf<lb/> hören, ſondern warfen arg mit Steinen auf die Communalgardiſten, ſo<lb/> daß dieſe ſehr aufgebracht wurden. Wohin das zielen ſollte, iſt klar<lb/> abzuſehen. Es blieb die Nacht unruhig. Inmittelſt hatten verſchiedene<lb/> Anhänger des alten Syſtems die ihnen angetragenen Portefeuilles be-<lb/> reits abgelehnt, und es kam nun doch wenigſtens ein halbes Miniſterium<lb/> aus dem rechten und linken Centrum zu Stande: Braun, Georgi und<lb/> von der Pfordten. Alſo ein Advocat, ein Kaufmann und ein Profeſſor<lb/> wurden Miniſter, Graf Holtzendorff, Befehlshaber der Schützen in Leip-<lb/> zig, der in der letzten Zeit in ſeiner ſchwierigen Stellung ſich das Ver-<lb/> trauen der Einwohnerſchaft zu erhalten gewußt hatte, wurde, ohne ſelbſt<lb/> darum zu wiſſen (denn eine frühere Combination fiel nun raſch), zum<lb/> proviſoriſchen Kriegsminiſter erhoben und als ſolcher verkündigt, zwei<lb/> Miniſterien aber (Cultus und Auswärtiges) wurden fürs erſte noch<lb/> gar nicht beſetzt, denn man iſt noch ſo zäh mit lauter Stimme gegen<lb/> einen Mann der offenen Oppoſition zu ſchreien und kann doch kaum<lb/> wagen einen Mann vom alten Syſtem in der jetzigen Kriſe dem Lande<lb/> vorzuſetzen. Wir aber fürchten daß ohne einen Mann der reinen Linken<lb/> das Miniſterium lebensunfähig ſeyn dürfte. Indeß fühlen wohl die<lb/> neuen Miniſter daß die ausgeſprochenen Forderungen in ihrer Perſon<lb/> keine volle Gewährung finden und werden ebendeßhalb, um ihnen wirk-<lb/> lich zu genügen, zu ſo großen Zugeſtändniſſen ſich bequemen, als nur<lb/> irgend mit ihrer Anſicht vereinbar ſind.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Steyermark.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline># <hi rendition="#b">Grätz,</hi> 15 März. Abends 6 Uhr.</dateline> <p>Eine Bürgerverſamm-<lb/> lung hat im ſtändiſchen Redoutenſaal um 3 Uhr ſtattgefunden. Der<lb/> Zudrang war außerordentlich. Die Petition, von 600 Unterſchriften<lb/> bedeckt und an Se. Majeſtät den Kaiſer gerichtet, lautet folgender-<lb/> maßen: <floatingText><body><div n="1"><p>„Ew. k. k. Majeſtät! Beſeelt von aufrichtiger Liebe und An-<lb/> hänglichkeit an das hohe Kaiſerhaus und durch das Streben geleitet<lb/> in den tiefbewegten Zeiten einer neuen Geſtaltung des politiſchen Le-<lb/> bens auf dem Wege friedlicher geſetzlicher Ordnung, mit Vermeidung<lb/> der uns rings umgebenden bedauerlichen Scenen von Gewalt und<lb/> Blutvergießen, vereint mit Eurer Majeſtät in unwiderſtehlicher Macht<lb/> der Monarchie ſich der neuen Ordnung anzuſchließen, erfüllen wir<lb/> eine heilige Pflicht, indem wir Ew. Majeſtät die als einzige Ret-<lb/> tungsmittel ſich bietenden nothwendigen Reformen als ebenſo viele<lb/> Wünſche des ganzen Volkes in folgenden unterthänigſten Bitten vor-<lb/> legen: 1) Vertretung des Bürger- und Bauernſtandes am hohen<lb/> Landtage mit Berückſichtigung des Grundbeſitzes, der Beſteuerung<lb/> und der Seelenzahl. 2) Theilnahme der ſogeſtaltigen Landesvertre-<lb/> tung an der Geſetzgebung und ausſchließliche Befugniß der Steuer-<lb/> bewilligung. 3) Uebertragung der Leitung der Volksbildung an einen<lb/> aus den Landesvertretern zu wählenden permanenten Ausſchuß. 4)<lb/> Errichtung eines beſondern Miniſteriums für Handel und Induſtrie.<lb/> 5) Verantwortlichkeit der Miniſter, mit der Verbindlichkeit über alle<lb/> Staatseinnahmen und Ausgaben jährlich öffentliche Rechnung zu le-<lb/> gen. 6) Denk-, Rede- und Gewiſſensfreiheit. 7) Sogleiche Auf-<lb/> hebung jeder Cenſur. 8) <hi rendition="#g">Kein Bündniß mit Rußland, inni-<lb/> ges Anſchließen an unſere deutſchen Brüder und Ver-<lb/> tretung des deutſchen Volkes durch ein deutſches Parla-<lb/> ment.</hi> 9) Volksthümliche Wehrverfaſſung. 10) Beeidigung des Mi-<lb/> litärs auf die Verfaſſung. 11) Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des<lb/> Gerichtsverfahrens und Geſchwornengerichte. 12) Perſönliche Freiheit,<lb/> Erwirkung eines Geſetzes wodurch beſtimmt wird daß keine Perſon<lb/> ohne einen von der politiſchen Behörde gegebenen Verhaftsbefehl ge-<lb/> fänglich eingezogen werden darf, mit alleiniger Ausnahme wenn die<lb/> gefänglich einzuziehende Perſon bei Ausübung einer durch die Straf-<lb/> geſetze verpönten nichtpolitiſchen Handlung ergriffen wird — daß die<lb/> Urſache der Inhaftirung binnen 24 Stunden mit ſogleicher Einlei-<lb/> tung der Unterſuchung dem Inhaftirten bekannt gegeben, und daß der-<lb/> ſelbe gegen Stellung von Bürgen auf freiem Fuße unterſucht werde.<lb/></p></div></body></floatingText></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1323/0011]
dem Augenblick wo ich dieſe Zeilen ſchreibe verbreitet ſich die Nachricht daß
auch der Kaiſer von Oeſterreich ſich für die Sache des Fortſchritts er-
klärt und Fürſt Metternich das Ruder des Staatsſchiffes, welches, aus
der Ferne betrachtet, in gefährliche Untiefen und zwiſchen drohende
Klippen gerathen zu ſeyn ſcheint, in jüngere und rüſtigere Hände ab-
gegeben hat. Nun werden die unvergeßlichen Worte welche vor einigen
Jahren der König von Preußen und der Erzherzog Johann von Oeſter-
reich am deutſchen Rheinſtrom ausſprachen: „Hinfort ſoll kein Oeſter-
reich mehr und kein Preußen, ſondern nur ein einiges großes Deutſch-
land ſeyn“, hoffentlich raſcher zur Wahrheit werden als man ſich da-
mals wohl hätte träumen laſſen. Und — abermals eine neue Nach-
richt! So eben iſt ein Schreiben Sr. Durchlaucht des Landgrafen Wil-
helm von Heſſen eingelaufen, worin er unſere Verfaſſung unumwunden
anerkennt und einen Bevollmächtigten zur gegenwärtigen Ständever-
ſammlung ankündigt. Heil Deutſchland, wenn ſeine Fürſten fortfahren
auf dieſe Weiſe ihren Völkern zu vertrauen! Sie werden ſicher die Er-
fahrung machen daß die auf Liebe gegründete Macht großartiger und
dauerhafter iſt als jegliche Herrſchaft, die nur auf Furcht gegründet iſt
und nur durch Gewalt behauptet werden kann.
Aus Sachſen.
ꖌ Dresden, 17 März.Das neue Miniſterium iſt endlich er-
nannt. Geſtern um 11 Uhr wurden die HH. Braun, Georgi und von
der Pfordten als Staatsminiſter vereidigt. Es war eine ſchwere Ge-
burt. Die Ariſtokratie und die Hofkoterie ſuchte das alte Miniſterium
zu behaupten: aber wie kann ein Miniſterium ſich halten, wenn es Leip-
zig wider ſich hat? Lange verkannte man in Dresden den Stand der
Dinge völlig, ſprach in der „guten Geſellſchaft“ davon daß einige be-
zahlte Schreier in Leipzig die Bevölkerung eingeſchüchtert hätten, und
häufte rings um Leipzig Truppenmaſſen. Aber die Leipziger Politiker
verſtanden den Kampf beſſer als die Hofherren. Die Truppen ſchreckten
nicht, keine Einſchüchterung erfolgte und nur das ruhige Zuſehen der
Regierungsbehörden hielt von ihrem Sturze, den Ungeſtüme wirklich
verlangten, zurück. Inmittelſt fuhren die Leipziger in ihren Erklä-
rungen fort, befeſtigten und vermehrten ihre auswärtigen Verbindungen
und erhielten von allen Seiten Beitrittserklärungen. Das Vogtland
und Theile des Erzgebirgs ſagten Unterſtützung zu; man ſprach von
einem Zug nach Dresden, an dem ſechzehn andere Städte ſich betheiligen
wollten; in Glauchau fand eine Volksverſammlung ſtatt, und am vorigen
Sonntag traten in Leipzig eine große Zahl Stimmführer der ſächſiſchen
Oppoſition zuſammen und ſprachen ihr Mißtrauen gegen das Miniſte-
rium aus, ſowie ihre Forderungen welche der Landtagsabgeordnete
Advocat Dr. Schaffrath aus Neuſtadt aufgeſetzt hatte. Der bäuerliche
Abgeordnete Dr. Joſeph führte den Vorſitz dieſer Verſammlung, an der
ſich von Seiten Leipzigs nur wenige betheiligten, um das Land ſich rein
ausſprechen zu laſſen. In dieſer Verſammlung wurden Todt, Bürger-
meiſter von Adorf, und Biedermann, Profeſſor und zweiter Vorſteher
der Stadtverordneten in Leipzig, zur Beſchickung eines deutſchen Parla-
ments vorläufig ernannt. Leipzig war ohne Straßenkampf nicht zu
unterwerfen, und der erſte Gewaltſchritt hätte zur Aufwerfung provi-
ſoriſcher Regierungen im Vogtland und in Leipzig geführt. Da endlich
wich das Miniſterium, aber die Miniſter ſuchten anfangs noch ſich gleich-
geſinnte Nachfolger zu geben. Jetzt galt es, nach dieſem erſten Siege,
einen zweiten zu erringen, und der vorbereitende Ausſchuß des zu ver-
anſtaltenden Zuges beſchloß nöthigenfalls energiſch Dresden in die Be-
wegung hineinzuziehen, wo der gute Geiſt des Fortſchritts ſich zwar
ſchon regte, aber langſam und träge. Am Nachmittag den 14 wurde
beſchloſſen eine Deputation nach Dresden abgehen zu laſſen, welche mit
einer Volksverſammlung ſich über den Zug verſtändigen ſolle. Am
Abend den 15 trat dieſe in die hieſige große Bürgerverſammlung, die ſie
mit donnerndem Hoch auf Leipzig empfing. Dr. Wuttke ſetzte die Lage
und das Verlangen Leipzigs auseinander, den Zuſammenhang der ſäch-
ſiſchen Frage mit der deutſchen, wie ohne die mindeſten Unordnungen
der Leipziger Liberalismus ſich entwickelt habe (eine zerworfene Fenſter-
ſcheibe, eine einzige, war der ganze angerichtete Schaden), und wie man
mit Bajonetten keine Erklärungen durchſtechen noch Kanonen mit Ge-
danken laden könne. Die harte Nothwendigkeit treibe vorwärts. Ge-
ſchiehe es dahin daß volksthümliche Männer an der Spitze der Verwal-
tung träten, ſo könne der vielgeforderte große Petitionszug wegfallen
und allenfalls in ein Volksfeſt umgewandelt werden. Die Liberalen
meinten: „Jetzt oder niemals.“ Bei dieſen Worten brach die ganze Ver-
ſammlung in den Ruf aus „Jetzt oder niemals.“ Nach ihm ſprachen
von den Leipzigern noch der Buchhändler Schreck und Dr. Ruge, von
Dresden Wittig, Köchly u. a. Noch verhandelte die Verſammlung als
die Nachricht gebracht wurde daß in der Stadt Tumult ausgebrochen
ſey, daß Pöbelhaufen Fenſter im Schloſſe eingeworfen hätten. Wahr-
ſcheinlich war dieß ein von Widerſachern des Fortſchritts bezahlter
Scandal, denn die Rotten der Unruhigen ließen keinen politiſchen Ruf
hören, ſondern warfen arg mit Steinen auf die Communalgardiſten, ſo
daß dieſe ſehr aufgebracht wurden. Wohin das zielen ſollte, iſt klar
abzuſehen. Es blieb die Nacht unruhig. Inmittelſt hatten verſchiedene
Anhänger des alten Syſtems die ihnen angetragenen Portefeuilles be-
reits abgelehnt, und es kam nun doch wenigſtens ein halbes Miniſterium
aus dem rechten und linken Centrum zu Stande: Braun, Georgi und
von der Pfordten. Alſo ein Advocat, ein Kaufmann und ein Profeſſor
wurden Miniſter, Graf Holtzendorff, Befehlshaber der Schützen in Leip-
zig, der in der letzten Zeit in ſeiner ſchwierigen Stellung ſich das Ver-
trauen der Einwohnerſchaft zu erhalten gewußt hatte, wurde, ohne ſelbſt
darum zu wiſſen (denn eine frühere Combination fiel nun raſch), zum
proviſoriſchen Kriegsminiſter erhoben und als ſolcher verkündigt, zwei
Miniſterien aber (Cultus und Auswärtiges) wurden fürs erſte noch
gar nicht beſetzt, denn man iſt noch ſo zäh mit lauter Stimme gegen
einen Mann der offenen Oppoſition zu ſchreien und kann doch kaum
wagen einen Mann vom alten Syſtem in der jetzigen Kriſe dem Lande
vorzuſetzen. Wir aber fürchten daß ohne einen Mann der reinen Linken
das Miniſterium lebensunfähig ſeyn dürfte. Indeß fühlen wohl die
neuen Miniſter daß die ausgeſprochenen Forderungen in ihrer Perſon
keine volle Gewährung finden und werden ebendeßhalb, um ihnen wirk-
lich zu genügen, zu ſo großen Zugeſtändniſſen ſich bequemen, als nur
irgend mit ihrer Anſicht vereinbar ſind.
Steyermark.
# Grätz, 15 März. Abends 6 Uhr.Eine Bürgerverſamm-
lung hat im ſtändiſchen Redoutenſaal um 3 Uhr ſtattgefunden. Der
Zudrang war außerordentlich. Die Petition, von 600 Unterſchriften
bedeckt und an Se. Majeſtät den Kaiſer gerichtet, lautet folgender-
maßen: „Ew. k. k. Majeſtät! Beſeelt von aufrichtiger Liebe und An-
hänglichkeit an das hohe Kaiſerhaus und durch das Streben geleitet
in den tiefbewegten Zeiten einer neuen Geſtaltung des politiſchen Le-
bens auf dem Wege friedlicher geſetzlicher Ordnung, mit Vermeidung
der uns rings umgebenden bedauerlichen Scenen von Gewalt und
Blutvergießen, vereint mit Eurer Majeſtät in unwiderſtehlicher Macht
der Monarchie ſich der neuen Ordnung anzuſchließen, erfüllen wir
eine heilige Pflicht, indem wir Ew. Majeſtät die als einzige Ret-
tungsmittel ſich bietenden nothwendigen Reformen als ebenſo viele
Wünſche des ganzen Volkes in folgenden unterthänigſten Bitten vor-
legen: 1) Vertretung des Bürger- und Bauernſtandes am hohen
Landtage mit Berückſichtigung des Grundbeſitzes, der Beſteuerung
und der Seelenzahl. 2) Theilnahme der ſogeſtaltigen Landesvertre-
tung an der Geſetzgebung und ausſchließliche Befugniß der Steuer-
bewilligung. 3) Uebertragung der Leitung der Volksbildung an einen
aus den Landesvertretern zu wählenden permanenten Ausſchuß. 4)
Errichtung eines beſondern Miniſteriums für Handel und Induſtrie.
5) Verantwortlichkeit der Miniſter, mit der Verbindlichkeit über alle
Staatseinnahmen und Ausgaben jährlich öffentliche Rechnung zu le-
gen. 6) Denk-, Rede- und Gewiſſensfreiheit. 7) Sogleiche Auf-
hebung jeder Cenſur. 8) Kein Bündniß mit Rußland, inni-
ges Anſchließen an unſere deutſchen Brüder und Ver-
tretung des deutſchen Volkes durch ein deutſches Parla-
ment. 9) Volksthümliche Wehrverfaſſung. 10) Beeidigung des Mi-
litärs auf die Verfaſſung. 11) Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des
Gerichtsverfahrens und Geſchwornengerichte. 12) Perſönliche Freiheit,
Erwirkung eines Geſetzes wodurch beſtimmt wird daß keine Perſon
ohne einen von der politiſchen Behörde gegebenen Verhaftsbefehl ge-
fänglich eingezogen werden darf, mit alleiniger Ausnahme wenn die
gefänglich einzuziehende Perſon bei Ausübung einer durch die Straf-
geſetze verpönten nichtpolitiſchen Handlung ergriffen wird — daß die
Urſache der Inhaftirung binnen 24 Stunden mit ſogleicher Einlei-
tung der Unterſuchung dem Inhaftirten bekannt gegeben, und daß der-
ſelbe gegen Stellung von Bürgen auf freiem Fuße unterſucht werde.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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