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Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 25. März 1900.

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Sonntag.
Drittes Blatt Nr. 82 der Allgemeinen Zeitung.
25. März 1900.

Großbritannien.
Englischer und französischer Wettbewerb in Marokko.

Aus Marokko kommen wieder
Nachrichten von erneuter Thätigkeit verschiedener Mächte.
Spanien entsendet Senor Ojeda als Spezialgesandten an
den Kaiser von Marokko, wofür die Kammer eben den
nöthigen Kredit bewilligt hat. Gleichzeitig wird gemeldet, daß
der französische Gesandte am maurischen Hof von Frank-
reich über Oran nach Tanger zurückgekehrt ist. Daß er, "von
Oran" kommend, auf seinem Posten wieder eingetroffen ist,
erregt den besonderen Verdacht der "Morning Post", die sich
wieder eifrig mit marokkanischen Augelegenheiten beschäftigt.
"Warum von Oran?" fragt das ministerielle Blatt. "Oran
ist eine wichtige Stadt in Algerien, nahe der maurischen
Grenze. Warum hielt der Gesandte es für räthlich, Oran
in Algerien auf seinem Weg von Marseille nach Tanger zu
berühren? Daß er dies gethan hat, deutet darauf hin, daß
die Spannung mit Bezug auf die unmittelbaren Absichten
Frankreichs im Wachsen begriffen ist."
Das konservative
Organ wird in seinen Besorgnissen bestärkt durch einen Mahu-
ruf, den S. L. Bensusan erklingen läßt. "Von Tanger bis
Mogador," sagt dieser erfahrene Beobachter, "findet man
überall französischen Einfluß vorherrschend, und
das Ansehen Großbritanniens, welches in den Tagen
Sir John Drummond Hays alles in allem war, ist ein
Gegenstand der Vernachlässigung und des Hohnes ge-
worden. Wenn ein Brite eine Beschwerde hat, so wird er
selbst von seinem eigenen Konsul abweisend behandelt, während
dagegen allen französischen Beschwerden sofort abgeholfen
wird. Die französische Sprache wird in den Schulen aller
Küstenstädte gelehrt. Frankreich gewährt. Tausenden von
Mauren, die sich als seine Unterthanen haben einschreiben
lassen, unbedingten Schutz. Die Scherifs von Wasan, die
als direkte Nachkommen des Propheten nicht allein in Marokko,
sondern auch in der Verberei einen ausgedehnten politischen
und religiösen Einfluß ausüben, sind thatsächlich französische
Unterthanen; die Wittwe des verstorbenen Scherifs bezieht
eine jährliche Unterstützung von Frankreich, und ihr Sohn ist
in einer französischen Militärschule erzogen worden. Frank-
reich unterhält militärische, politische und wissenschaftliche
Expeditionen in Marokko -- und so umklammert es das Land
stetig und erbarmungslos mit seinen Krallen."
Die Marokkaner,
versichert Bensusan, lieben die Franzosen keineswegs, aber sie
können eben nicht wieder von ihnen loskommen. "Das Uebel," so
bemerkt er mit Bezug auf diesen Punkt, "wurde um einiges
hinausgeschoben durch die Thatkraft und Schlanheit des
Sultans Muley Hassan und durch dessen Vorliebe für
britischen Einfluß, aber sein Sohn ist körperlich wie geistig
ein Schwächling, und er ist die gehorsame Kreatur des Wesirs,
eines Mulatten, der seinerseits in gewissem Maße die Kreatur
Frankreichs ist."

Bensusan ist natürlich der Ansicht, daß es nur eine Macht
gibt, die Marokko vor dem Abgrund retten kann, vor dem
es steht, nämlich England. "Es macht sich in vermehrtem
Maße die Ansicht geltend," sagt er, "daß die Zeit gekommen
ist, wo die Möglichkeit eines europäischen Kriegs wegen
Marokko's durch eine neue Verständigung unter den Mächten
selbst auf ein Minimum eingeschränkt werden sollte." Kurz,
Neutralisirung nebst einigen inneren Reformen und der Re-
gulirung der Beziehungen zwischen der maurischen Regierung
und den Ausländern -- ist das Heilmittel, welches er vor-
schlägt. Die "Morning Post" bemerkt dazu: "Frankreich
dessen können wir sicher sein, würde den Vorschlag nicht will-
kommen heißen, aber die übrigen Mächte des Festlandes, in-
sonderheit Deutschland, könnten, in Verbindung mit Eng-
land, Frankreich in nachdrücklicher Weise zur Einsicht der
Nothwendigkeit desselben bringen. Wenn etwas derartiges
nicht bald geschieht, ist es wahrscheinlich, daß das marokkanische
Reich mit einem Krach zusammenstürzt, der ganz Europa er-
schüttern wird."
Es ist merkwürdig, wie unter den Mächten
namentlich die Engländer gewöhnlich Deutschland in erster
Linie dazu ausersehen, ihnen die Kastanien aus dem Feuer
zu holen. Was sich auch in Marokko ereignen mag, Deutsch-
land, wenn es auch wichtige Interessen dort zu wahren hat,
wird sicher keinen Druck auf Frankreich ausüben, um das
geschädigte Ansehen Englands im Lande Seiner Scherifanischen
Majestät wiederherstellen zu helfen.

Eine katholische Universität für Irland.

Die Bemühungen der Regierung,
die Irländer zu versöhnen, haben, wie bekannt, zur Aner-
kennung des bisher verpönten Kleeblatts als Dekoration der
irischen Regimenter geführt und am St. Patrick-Tag konnte
sich, da auch der gefeierte Lord Roberts ein Irländer ist, die
Bevölkerung gar nicht genug thun im Aushängen von
Flaggen mit der Harfe Erins und im Tragen von Shamrock-
sträußchen. Die Führer der irischen Nationalisten stehen
solchen Ausbrüchen patriotischen Ueberschwangs sehr kühl
gegenüber und gerade am Patrick-Tag veröffentlichte Redmond
das Mauifest, in dem er die geeinte irische Partei zu nur
noch schärferer Bekämpfung der Regierung aufforderte. Auf
dem Wunschzettel, welchen die Irländer bei dieser ihnen augen-
blicklich günstigen Stimmung vorlegen, steht die schon seit
Jahren erhobene Forderung einer katholischen Uni-
versität in Irland.
Die Londoner Regierung dürfte
zur Zeit diesen Wunsch unterstützen; soweit wir unterrichtet
sind, versteht man jedoch unter einer solchen Universität in
amtlichen Kreisen in London etwas ganz anderes, als
die kirchlichen Kreise in Dublin darunter verstanden
wissen wollen. Schon vor etwa drei Jahren wurde Marquis
of Salisbury veranlaßt, der Frage näherzutreten, und es
wurde damals auch eine Untersuchung der einschlägigen Ver-
hältnisse im Ausland vorgenommen, die ohne Folgen blieb.
Was die Irländer fordern, ist eine absolut unter kirch-
licher Aufsicht stehende Universität,
über welche nicht
die Regierung, sondern der Erzbischof von Dublin das Protektorat
führen würde. Der Erzbischof Mgr. Walsh in Dublin --
jahrelang Professor der Theologie und Geschichte an irländi-
schen Priesterseminaren -- ist bekannt wegen seiner durchaus
intransigenten Haltung und der Primas von Irland, der
Kardinal von Armagh, Erzbischof M. Logue, hat sich noch
unlängst gegen den Krieg in Südafrika erklärt, was in Eng-
land begreifliche Verstimmung erregt hat, wenngleich Lougue
seine Ansicht nicht in so erregter Weise kundgab, wie der
irische Kardinal Moran in Australien. Diese Männer, an
deren intransigentem Widerstande seinerzeit der besondere
Abgesandte Leo's XIII., Mgr. Persico, mit allen seinen Ver-
söhnungsvorschlägen scheiterte, würden, nach Auffassung der
irischen Katholiken die "geborenen Leiter" der zu gründenden
[Spaltenumbruch] Anstalt in Dublin sein. Es ist klar, daß man an ein der-
artiges Verhältniß in London nicht denkt.

Im übrigen würde Großbritannien, falls es wirklich zur
Einrichtung einer kirchlichem Einflusse unterstehenden Universität
für Irland käme, als protestantischer Staat mit einer solchen
Institution allein dastehen. Auch in vorwiegend katholischen
Ländern
bestehen staatliche Universitäten der bezeichneten
Art nicht. Oesterreich und Bayern haben bezüglich ihrer
Hochschulen das Prinzip der Nicht-Konfessionalität der
Lehrämter durchgeführt. In Frankreich, Italien,
Spanien
und Portugal hat die ultramontane Partei
vergebliche Anstrengungen gemacht, dieses Prinzip zugunsten
der streng-katholischen Richtung zu durchbrechen. Nur der
Kanton Freiburg in der Schweiz besitzt in der gleich-
namigen Hauptstadt eine vom Kanton unterstützte Universität,
eine Gründung des bekannten Abg. Pythou, von der sich die
vor einigen Jahren dorthin berufenen reichsdeutschen streng-
katholischen Professoren neuerdings wieder zurückgezogen
haben. Katholische Universitäten im Sinne der klerikalen
gibt es sonst nur in Belgien (Löwen), Frankreich (Lille), Nord-
amerika (in Washington und an anderen Orten der Vereinigten
Staaten, meist in Verbindung mit Priesterseminarien, die, wie
die Hochschule, unter bischöflicher Leitung und Aufsicht stehen).
Von im ganzen 484 University Colleges in der Union sind
61 unter kirchlicher Aufsicht, aber keine dieser Anstalten ist
vom Staate unterhalten. Sie sind, wie die katholischen Uni-
versitäten in Belgien und Frankreich, Privatunternehmungen,
was nicht ausschließt, daß sie einen großen Einfluß ausüben.
In der Dubliner Kurie aber, und natürlich auch in Rom,
wünscht man eine auf staatlicher Grundlage beruhende "katho-
lische" Hochschule. Die englische Regierung dürfte jedoch zu
einer derartigen staatlichen Institution die Hand nicht bieten
und geistliche Aussicht höchstens für die katholische Fakultät
zugestehen. Zunächst ist der Gegenstand den irischen Natio-
nalisten ein willkommener Anlaß zu ernenter Agitation --
und das dürfte den Führern, als sie die Frage aufwarfen,
wohl der Hauptzweck gewesen sein.

Frankreich.
Die Debatte über die Brüsselet Handelskammer.

Wenn die Gegner des Mini-
steriums große Hoffnung darauf gesetzt hätten, durch die
Interpellation über die zwei Handelskammern in
Brüssel
die Regierung zu stürzen, so würden sie die Er-
öffnung des Kampfes kaum einem so unerfahrenen Neuling
überlassen haben, wie es der Abgeordnete der Meuse, Ferrette,
ist, der bei den letzten Wahlen als "antisemitischer Radikaler"
dem ehemaligen Minister Develle den Wahlkreis Bar-le-Duc
entrissen hat. Die Opposition hatte auf den Gegensatz
zwischen Delcasse und Millerand gerechnet, als sie mit
viel Geräusch diese Frage ins Parlament warf, und eine
Meinungsverschiedenheit hat allerdings zwischen Beiden be-
standen. Als ehemaliger Leiter der "Lanterne" bewahrte der
Sozialist Millerand eine gewisse Schwäche für den ehemaligen
Kommunarden, den Kanfmann Rolland, der als Präsident
der bis dahin einzigen Handelskammer in Brüssel mit dem
Gesandten Gerard in Konslikt gerathen war. Rolland ließ
gegen den Wunsch Gerards einen gewissen von diesem em-
pfohlenen Montier als Spion des französischen Kriegsmini-
steriums aus der Handelskammer ausschließen. Gerard wieder
schuf nun mit den zu ihm haltenden Franzosen in Vrüssel
eine neue Handelskammer und verschaffte dieser den bisher
der Gesellschaft Rollands zugefallenen Staatsbeitrag. Rolland
wandte sich hierauf an den neuen Handelsminister Millerand,
den er als alten Parteigenossen kannte, und Millerand be-
schloß im Prinzip, die Gesollschaft Rollands für den Verlust
des herkömmlichen Beitrags zu entschädigen. Dieser Beschluß
ist aber, wie die Kammerverhandlung dargethan hat, nie zur
Ausführung gelangt. Millerand hat als Minister eingesehen,
was ihm als Leiter eines sozialistischen Blattes verborgen
geblieben war, daß nämlich der Gesandte Gerard nicht ganz
unrecht hatte, als er Rolland empfahl, die Angelegenheit des
vermuthlichen Spitzels Moutier nicht an die große Glocke zu
hängen. So ließ er sich von seinem Kollegen Delcasse
denn auch leicht überzeugen, daß Gerard gegenüber
den Angriffen Rollands gedeckt werden müsse und da-
her nur die von ihm anerkannte Handelskammer einen
Regierungsbeitrag erhalten dürfe. So ungeschickt Ferrette
aber auch war, indem er, ohne etwas genaueres zu wissen,
von der "unlauteren Konkurrenz der beiden Minister" redete,
die Frankreich vor den Unterthanen des Königs Leopold
blamire, so bewies er immerhin darin einigen Takt, daß er
gleich anfangs erklärte, er wolle die Dreyfus-Frage nicht in
die Debatte ziehen. Man hatte dies in der That allgemein
befürchtet, denn Rolland nahm als eifriger Dreyfusist nament-
lich daran Anstoß, daß sich sein Wibersacher Moutier der be-
sonderen Freundschaft des berüchtigten Obersten Henry auch
noch nach dessen Selbstmord rühmte. Infolgedessen nahm
auch das ganze liberale Belgien für Rolland und gegen
Gerard Partei, der hinwiederum durch die Freundschaft der
dortigen Klerikalen beinahe kompromittirt wurde. Dieser
Zusammenhang mit der Dreyfus-Sache und mit den politi-
schen Gegensätzen in Belgien blieb glücklicherweise von der
Debatte des Palais Bourbon ausgeschlossen, und so konnte
die Regierung ohne große Anstrengung zu dem unverhofft
günstigen Abschluß der Debatte gelangen, daß der Inter-
pellant nicht einmal eine Abstimmung verlangte, sondern seine
Interpellation "sans phrase" zurückzog.

Schweden und Norwegen.
Die katholischen Orden und der norwegische Radikalismus.

Betreffs der katholischen
Ordensgesellschaften
spielen sich gegenwärtig in unserm
Lande Vorgänge ab, die von der größten grundsätzlichen Be-
deutung sind; denn sie zeigen, daß selbst in diesem gelobten
Lande des Radikalismus das Prinzip der schrankenlosen
Bewegungsfreiheit der katholischen Orden
nicht
durchführbar ist. Im vorigen Jahre hat das Storthing die
sogenannte Ordensklausel des norwegischen Staatsgrundgesetzes
aufgehoben, die geistliche Ordensgesellschaften in Norwegen
nicht zuließ. Die klerikale Presse, die damals jenen Beschluß
als eine "mannhafte und echt freiheitliche That" feierte, muß
jetzt den Schmerz erleben, zu sehen, daß die Norweger die
Rückkehr zum früheren Zustande in demselben Augenblicke
wünschen, da sie inne werden, welchen Gebrauch von der
neuen Freiheit die katholische Propaganda in Nor-
wegen gemacht hat. Den Anlaß, sich hienach zu erkundigen,
bot ein Sendschreiben des apostolischen Vikars für
Norwegen,
Monsignore Fallice, an den bekannten
Assumptionistenpater Picard, das die Assumptionisten
[Spaltenumbruch] zum Ausharren ermunterte und für den Fall, daß die Orden
gänzlich aus Frankreich vertrieben würden, an die nor-
wegische Gastfreiheit
erinnerte. Gegen die hiemit er-
öffneten Aussichten einer "jesuitischen Invasion" wird von
parlamentarischer Seite ebenso wie von den führenden Blättern
der Rechten und Linken um so lebhafter Widerspruch erhoben,
als man erfahren hat, daß die neue Bewegungsfreiheit der
katholischen Propaganda sehr zu statten gekommen ist. Das
"Morgenbladet" kündet bereits gesetzgeberische Maßnahmen in
der gedachten Richtung an. Man sieht also auch hier wieder,
daß die vom Centrum geforderte "freie und ungehemmte"
Thätigkeit der katholischen Orden im modernen Staate praktisch
nicht durchführbar ist. Wenn selbst das radikale Norwegen
eine solche "Freiheit" fortwünscht, nachdem es sie kaum ge-
währt hat, dann ist es klar, daß sie für Deutschland ernst-
haft gar nicht in Frage kommen darf.



Bayerischer Landtag.
Sitzung des Wirthschaftsausschusses.

Tagesordnung: 1. Berathung
über die Rückäußerung der Reichsrathskammer zum Pferde-
versicherungs-Gesetz;
2. Berathung über den Antrag
Dr. Jäger: die Abänderung des Gesetzes über landwirth-
schaftliche Unfallversicherung.

Als Abänderung zum Pferdeversicherungs-Gesetz hat die
Reichsrathskammer beantragt, "das Normalstatut mit nach-
stehenden Modifikationen gutzuheißen: I. Es sei als Absatz 3
zu § 2 einzustellen: "Pferde im Werthe von über 1000 M.
sind auf Antrag des Besitzers von der Versicherung auszu-
nehmen." II. Bei § 24 sei als Ziff. 10 einzusetzen: "wenn ein
Pferd zu Wettrennen benutzt und bei solchen oder infolge
von solchen beschädigt wird". Absatz 3 des § 24 habe in
Wegfall zu kommen."

Nach kurzen Vemerkungen des Referenten Abg. Rue-
dorfer
und des Abg. Stöcker wird den vorliegenden Ab-
änderungsanträgen die Zustimmung ertheilt.

Bei der Berathung des Antrags Dr. Jäger, der ver-
langt, daß kleine Unfälle nicht entschädigt werden sollen, stellt
Referent Karl Schmidt (lib.) den Antrag auf Uebergang
zur Tagesordnung, während der Korreferent, Abgeordneter
Dr. Hauber (Centr.) beantragt, daß kleine Unfälle unter
20 Prozent Erwerbsbeschränktheit nicht entschädigt werden
sollen.

Abg. Karl Schmidt (lib.) gibt einen Ueberblick über
die Entwicklung der Sozialgesetzgebung und betont besonders,
daß in Bayern der Unfallversicherungsbeitrag in diesem Fall
als Zuschlag zur Grundsteuer erhoben wird. Bei Beginn
des Gesetzes betrug dieser Zuschlag 1 Proz., zur Zeit theil-
weise 34 Proz., was allerdings Unzufriedenheit errege.
Allein noch größer würde diese werden, wenn man, wie es
der Antrag Dr. Hauber bezweckt, Renten unter 20 Proz.
nicht entschädigen wollte. Befreunden könnte sich Referent
mit dem Gedanken, daß man kleine Unfälle sofort abfinden
würde.

Korreferent Abg. Dr. Hauber (Centr.) weist insbesondere
darauf hin, daß man gar nicht absehen könne, wann der
Beharrungszustand bei der Beitragsquote eintreten werde.
Möglicherweise könne, bis dieser Beharrungszustand eintritt,
der Unfallversicherungsbeitrag 100 Proz. der Grundsteuer
betragen. Ein Mittel, diese Beiträge niedriger zu halten,
erblicke er nur darin, daß man die kleinen Unfälle bis zu
20 Proz. Erwerbsbeschränktheit nicht entschädige. Wenn man
bei der landwirthschaftlichen Unfallversicherung dies einführen
würde, würden die gewerblichen Bernfsgenossenschaften bald
nachfolgen.

Abg. Franz Schmidt (Soz.) tritt der Anschauung des
Referenten bei.

Abg. Dr. Jäger (Centr.) beklagt ebenfalls die Steigerung
der Unfallversicherungsbeiträge. Man sollte dahin wirken,
daß die Unfallrenten theilweise auf die Invaliditätsversicherung
abgewälzt werden, und daß die Arbeiter theilweise auch bei
der landwirthschaftlichen Unfallversicherung mit zur Beitrags-
leistung herangezogen werden.

Ministerialkommissär Dr. Proebst bemerkt, daß der
Gedanke, einen Theil der Unfallversicherungsbeiträge, wie es
Abg. Dr. Jäger angedeutet, auf die Invaliditätsversicherung
abzuwälzen, etwas für sich habe, doch wäre hiezu eine voll-
ständige Gesetzesänderung nöthig; auch wäre zweifelhaft, ob,
da die Unfallrenten höher als die Invaliditätsrenten seien,
die Invaliditätskassen dies leisten könnten. Eine Gesetzes-
änderung in diesem Sinne halte er zur Zeit für unmöglich.
Was die Absindung kleiner Renten betrifft, so ist in der dem
Reichstage vorliegenden Novelle zum Unfallversicherungsgesetz
eine bezügliche Bestimmung vorgesehen. Auch soll die Unter-
scheidung zwischen landwirthschaftlicher und häuslicher Be-
schäftigung durch diese Novelle geregelt werden. Die kleineren
Renten bis 20 Proz. von der Entschädigung auszuschließen,
würde sehr bedenklich sein. Eine häufigere Revision der Renten-
empfänger in Bezug auf ihre Erwerbsfähigkeit, wie sie Abg.
Stöcker angeregt, scheine ihm ganz am Platze. In Bayern
kämen auf 100 Rentner 51 mit einer Rente unter 20 Proz.

Hierauf Vertagung der Sitzung. Nächste Sitzung Mittwoch,
28. März, nachmittags 4 Uhr.

* Die Kammer der Reichsräthe hält ihre nächste
(achte) öffentliche Plenarsitzung am Dienstag, 3. April,
ab. Auf der Tagesordnung stehen die Beschlüsse der Ab-
geordnetenkammer betreffend 1. die Revision der Gehalts-
regulative für die Staatsbeamten und Staatsbediensteten,
2. die Sonntagsruhe in den Kauzleien der staatlichen Be-
hörden, 3. die Anträge der Abgg. Dr. Jäger, Dr. Pichler und
Genossen betreffend die Schaffung einer Zentralkasse für
gewerbliche Genossenschaften, 4. Antrag des Abg. Beckh auf
Erwirkung eines Reichs-Fleischbeschaugesetzes, ferner 5. Berg-
gesetz, 6. Gesetz über die Landeskultur-Rentenanstalt, 7. und
8. Rechnungsnachweisungen und Etat der Post- und Tele-
graphenverwaltung, 9. Gesetzentwurf betreffend weitere Auf-
wendungen für die Vahn Lindau-Landesgrenze (in der
Richtung auf Friedrichshafen).



Verschiedenes.
KC. Für Briefmarkensammler.

Gelegentlich der
Hochzeit des Kronprinzen von Japan, die auf den
9. Mai festgesetzt ist, sollen besondere Freimarken aus-
gegeben werden, und zwar solche über 3 Sen für den In-
landsverkehr und 5 Sen für das Ausland. Von diesen
Marken soll nur eine beschränkte Zahl hergestellt werden, so
daß die Stücke voraussichtlich sehr selten sein werden.

Sonntag.
Drittes Blatt Nr. 82 der Allgemeinen Zeitung.
25. März 1900.

Großbritannien.
Engliſcher und franzöſiſcher Wettbewerb in Marokko.

Aus Marokko kommen wieder
Nachrichten von erneuter Thätigkeit verſchiedener Mächte.
Spanien entſendet Senor Ojeda als Spezialgeſandten an
den Kaiſer von Marokko, wofür die Kammer eben den
nöthigen Kredit bewilligt hat. Gleichzeitig wird gemeldet, daß
der franzöſiſche Geſandte am mauriſchen Hof von Frank-
reich über Oran nach Tanger zurückgekehrt iſt. Daß er, „von
Oran“ kommend, auf ſeinem Poſten wieder eingetroffen iſt,
erregt den beſonderen Verdacht der „Morning Poſt“, die ſich
wieder eifrig mit marokkaniſchen Augelegenheiten beſchäftigt.
„Warum von Oran?“ fragt das miniſterielle Blatt. „Oran
iſt eine wichtige Stadt in Algerien, nahe der mauriſchen
Grenze. Warum hielt der Geſandte es für räthlich, Oran
in Algerien auf ſeinem Weg von Marſeille nach Tanger zu
berühren? Daß er dies gethan hat, deutet darauf hin, daß
die Spannung mit Bezug auf die unmittelbaren Abſichten
Frankreichs im Wachſen begriffen iſt.“
Das konſervative
Organ wird in ſeinen Beſorgniſſen beſtärkt durch einen Mahu-
ruf, den S. L. Benſuſan erklingen läßt. „Von Tanger bis
Mogador,“ ſagt dieſer erfahrene Beobachter, „findet man
überall franzöſiſchen Einfluß vorherrſchend, und
das Anſehen Großbritanniens, welches in den Tagen
Sir John Drummond Hays alles in allem war, iſt ein
Gegenſtand der Vernachläſſigung und des Hohnes ge-
worden. Wenn ein Brite eine Beſchwerde hat, ſo wird er
ſelbſt von ſeinem eigenen Konſul abweiſend behandelt, während
dagegen allen franzöſiſchen Beſchwerden ſofort abgeholfen
wird. Die franzöſiſche Sprache wird in den Schulen aller
Küſtenſtädte gelehrt. Frankreich gewährt. Tauſenden von
Mauren, die ſich als ſeine Unterthanen haben einſchreiben
laſſen, unbedingten Schutz. Die Scherifs von Waſan, die
als direkte Nachkommen des Propheten nicht allein in Marokko,
ſondern auch in der Verberei einen ausgedehnten politiſchen
und religiöſen Einfluß ausüben, ſind thatſächlich franzöſiſche
Unterthanen; die Wittwe des verſtorbenen Scherifs bezieht
eine jährliche Unterſtützung von Frankreich, und ihr Sohn iſt
in einer franzöſiſchen Militärſchule erzogen worden. Frank-
reich unterhält militäriſche, politiſche und wiſſenſchaftliche
Expeditionen in Marokko — und ſo umklammert es das Land
ſtetig und erbarmungslos mit ſeinen Krallen.“
Die Marokkaner,
verſichert Benſuſan, lieben die Franzoſen keineswegs, aber ſie
können eben nicht wieder von ihnen loskommen. „Das Uebel,“ ſo
bemerkt er mit Bezug auf dieſen Punkt, „wurde um einiges
hinausgeſchoben durch die Thatkraft und Schlanheit des
Sultans Muley Haſſan und durch deſſen Vorliebe für
britiſchen Einfluß, aber ſein Sohn iſt körperlich wie geiſtig
ein Schwächling, und er iſt die gehorſame Kreatur des Weſirs,
eines Mulatten, der ſeinerſeits in gewiſſem Maße die Kreatur
Frankreichs iſt.“

Benſuſan iſt natürlich der Anſicht, daß es nur eine Macht
gibt, die Marokko vor dem Abgrund retten kann, vor dem
es ſteht, nämlich England. „Es macht ſich in vermehrtem
Maße die Anſicht geltend,“ ſagt er, „daß die Zeit gekommen
iſt, wo die Möglichkeit eines europäiſchen Kriegs wegen
Marokko’s durch eine neue Verſtändigung unter den Mächten
ſelbſt auf ein Minimum eingeſchränkt werden ſollte.“ Kurz,
Neutraliſirung nebſt einigen inneren Reformen und der Re-
gulirung der Beziehungen zwiſchen der mauriſchen Regierung
und den Ausländern — iſt das Heilmittel, welches er vor-
ſchlägt. Die „Morning Poſt“ bemerkt dazu: „Frankreich
deſſen können wir ſicher ſein, würde den Vorſchlag nicht will-
kommen heißen, aber die übrigen Mächte des Feſtlandes, in-
ſonderheit Deutſchland, könnten, in Verbindung mit Eng-
land, Frankreich in nachdrücklicher Weiſe zur Einſicht der
Nothwendigkeit desſelben bringen. Wenn etwas derartiges
nicht bald geſchieht, iſt es wahrſcheinlich, daß das marokkaniſche
Reich mit einem Krach zuſammenſtürzt, der ganz Europa er-
ſchüttern wird.“
Es iſt merkwürdig, wie unter den Mächten
namentlich die Engländer gewöhnlich Deutſchland in erſter
Linie dazu auserſehen, ihnen die Kaſtanien aus dem Feuer
zu holen. Was ſich auch in Marokko ereignen mag, Deutſch-
land, wenn es auch wichtige Intereſſen dort zu wahren hat,
wird ſicher keinen Druck auf Frankreich ausüben, um das
geſchädigte Anſehen Englands im Lande Seiner Scherifaniſchen
Majeſtät wiederherſtellen zu helfen.

Eine katholiſche Univerſität für Irland.

Die Bemühungen der Regierung,
die Irländer zu verſöhnen, haben, wie bekannt, zur Aner-
kennung des bisher verpönten Kleeblatts als Dekoration der
iriſchen Regimenter geführt und am St. Patrick-Tag konnte
ſich, da auch der gefeierte Lord Roberts ein Irländer iſt, die
Bevölkerung gar nicht genug thun im Aushängen von
Flaggen mit der Harfe Erins und im Tragen von Shamrock-
ſträußchen. Die Führer der iriſchen Nationaliſten ſtehen
ſolchen Ausbrüchen patriotiſchen Ueberſchwangs ſehr kühl
gegenüber und gerade am Patrick-Tag veröffentlichte Redmond
das Mauifeſt, in dem er die geeinte iriſche Partei zu nur
noch ſchärferer Bekämpfung der Regierung aufforderte. Auf
dem Wunſchzettel, welchen die Irländer bei dieſer ihnen augen-
blicklich günſtigen Stimmung vorlegen, ſteht die ſchon ſeit
Jahren erhobene Forderung einer katholiſchen Uni-
verſität in Irland.
Die Londoner Regierung dürfte
zur Zeit dieſen Wunſch unterſtützen; ſoweit wir unterrichtet
ſind, verſteht man jedoch unter einer ſolchen Univerſität in
amtlichen Kreiſen in London etwas ganz anderes, als
die kirchlichen Kreiſe in Dublin darunter verſtanden
wiſſen wollen. Schon vor etwa drei Jahren wurde Marquis
of Salisbury veranlaßt, der Frage näherzutreten, und es
wurde damals auch eine Unterſuchung der einſchlägigen Ver-
hältniſſe im Ausland vorgenommen, die ohne Folgen blieb.
Was die Irländer fordern, iſt eine abſolut unter kirch-
licher Aufſicht ſtehende Univerſität,
über welche nicht
die Regierung, ſondern der Erzbiſchof von Dublin das Protektorat
führen würde. Der Erzbiſchof Mgr. Walſh in Dublin —
jahrelang Profeſſor der Theologie und Geſchichte an irländi-
ſchen Prieſterſeminaren — iſt bekannt wegen ſeiner durchaus
intranſigenten Haltung und der Primas von Irland, der
Kardinal von Armagh, Erzbiſchof M. Logue, hat ſich noch
unlängſt gegen den Krieg in Südafrika erklärt, was in Eng-
land begreifliche Verſtimmung erregt hat, wenngleich Lougue
ſeine Anſicht nicht in ſo erregter Weiſe kundgab, wie der
iriſche Kardinal Moran in Auſtralien. Dieſe Männer, an
deren intranſigentem Widerſtande ſeinerzeit der beſondere
Abgeſandte Leo’s XIII., Mgr. Perſico, mit allen ſeinen Ver-
ſöhnungsvorſchlägen ſcheiterte, würden, nach Auffaſſung der
iriſchen Katholiken die „geborenen Leiter“ der zu gründenden
[Spaltenumbruch] Anſtalt in Dublin ſein. Es iſt klar, daß man an ein der-
artiges Verhältniß in London nicht denkt.

Im übrigen würde Großbritannien, falls es wirklich zur
Einrichtung einer kirchlichem Einfluſſe unterſtehenden Univerſität
für Irland käme, als proteſtantiſcher Staat mit einer ſolchen
Inſtitution allein daſtehen. Auch in vorwiegend katholiſchen
Ländern
beſtehen ſtaatliche Univerſitäten der bezeichneten
Art nicht. Oeſterreich und Bayern haben bezüglich ihrer
Hochſchulen das Prinzip der Nicht-Konfeſſionalität der
Lehrämter durchgeführt. In Frankreich, Italien,
Spanien
und Portugal hat die ultramontane Partei
vergebliche Anſtrengungen gemacht, dieſes Prinzip zugunſten
der ſtreng-katholiſchen Richtung zu durchbrechen. Nur der
Kanton Freiburg in der Schweiz beſitzt in der gleich-
namigen Hauptſtadt eine vom Kanton unterſtützte Univerſität,
eine Gründung des bekannten Abg. Pythou, von der ſich die
vor einigen Jahren dorthin berufenen reichsdeutſchen ſtreng-
katholiſchen Profeſſoren neuerdings wieder zurückgezogen
haben. Katholiſche Univerſitäten im Sinne der klerikalen
gibt es ſonſt nur in Belgien (Löwen), Frankreich (Lille), Nord-
amerika (in Waſhington und an anderen Orten der Vereinigten
Staaten, meiſt in Verbindung mit Prieſterſeminarien, die, wie
die Hochſchule, unter biſchöflicher Leitung und Aufſicht ſtehen).
Von im ganzen 484 Univerſity Colleges in der Union ſind
61 unter kirchlicher Aufſicht, aber keine dieſer Anſtalten iſt
vom Staate unterhalten. Sie ſind, wie die katholiſchen Uni-
verſitäten in Belgien und Frankreich, Privatunternehmungen,
was nicht ausſchließt, daß ſie einen großen Einfluß ausüben.
In der Dubliner Kurie aber, und natürlich auch in Rom,
wünſcht man eine auf ſtaatlicher Grundlage beruhende „katho-
liſche“ Hochſchule. Die engliſche Regierung dürfte jedoch zu
einer derartigen ſtaatlichen Inſtitution die Hand nicht bieten
und geiſtliche Auſſicht höchſtens für die katholiſche Fakultät
zugeſtehen. Zunächſt iſt der Gegenſtand den iriſchen Natio-
naliſten ein willkommener Anlaß zu ernenter Agitation —
und das dürfte den Führern, als ſie die Frage aufwarfen,
wohl der Hauptzweck geweſen ſein.

Frankreich.
Die Debatte über die Brüſſelet Handelskammer.

Wenn die Gegner des Mini-
ſteriums große Hoffnung darauf geſetzt hätten, durch die
Interpellation über die zwei Handelskammern in
Brüſſel
die Regierung zu ſtürzen, ſo würden ſie die Er-
öffnung des Kampfes kaum einem ſo unerfahrenen Neuling
überlaſſen haben, wie es der Abgeordnete der Meuſe, Ferrette,
iſt, der bei den letzten Wahlen als „antiſemitiſcher Radikaler“
dem ehemaligen Miniſter Develle den Wahlkreis Bar-le-Duc
entriſſen hat. Die Oppoſition hatte auf den Gegenſatz
zwiſchen Delcaſſé und Millerand gerechnet, als ſie mit
viel Geräuſch dieſe Frage ins Parlament warf, und eine
Meinungsverſchiedenheit hat allerdings zwiſchen Beiden be-
ſtanden. Als ehemaliger Leiter der „Lanterne“ bewahrte der
Sozialiſt Millerand eine gewiſſe Schwäche für den ehemaligen
Kommunarden, den Kanfmann Rolland, der als Präſident
der bis dahin einzigen Handelskammer in Brüſſel mit dem
Geſandten Gérard in Konſlikt gerathen war. Rolland ließ
gegen den Wunſch Gérards einen gewiſſen von dieſem em-
pfohlenen Montier als Spion des franzöſiſchen Kriegsmini-
ſteriums aus der Handelskammer ausſchließen. Gérard wieder
ſchuf nun mit den zu ihm haltenden Franzoſen in Vrüſſel
eine neue Handelskammer und verſchaffte dieſer den bisher
der Geſellſchaft Rollands zugefallenen Staatsbeitrag. Rolland
wandte ſich hierauf an den neuen Handelsminiſter Millerand,
den er als alten Parteigenoſſen kannte, und Millerand be-
ſchloß im Prinzip, die Geſollſchaft Rollands für den Verluſt
des herkömmlichen Beitrags zu entſchädigen. Dieſer Beſchluß
iſt aber, wie die Kammerverhandlung dargethan hat, nie zur
Ausführung gelangt. Millerand hat als Miniſter eingeſehen,
was ihm als Leiter eines ſozialiſtiſchen Blattes verborgen
geblieben war, daß nämlich der Geſandte Gérard nicht ganz
unrecht hatte, als er Rolland empfahl, die Angelegenheit des
vermuthlichen Spitzels Moutier nicht an die große Glocke zu
hängen. So ließ er ſich von ſeinem Kollegen Delcaſſé
denn auch leicht überzeugen, daß Gérard gegenüber
den Angriffen Rollands gedeckt werden müſſe und da-
her nur die von ihm anerkannte Handelskammer einen
Regierungsbeitrag erhalten dürfe. So ungeſchickt Ferrette
aber auch war, indem er, ohne etwas genaueres zu wiſſen,
von der „unlauteren Konkurrenz der beiden Miniſter“ redete,
die Frankreich vor den Unterthanen des Königs Leopold
blamire, ſo bewies er immerhin darin einigen Takt, daß er
gleich anfangs erklärte, er wolle die Dreyfus-Frage nicht in
die Debatte ziehen. Man hatte dies in der That allgemein
befürchtet, denn Rolland nahm als eifriger Dreyfuſiſt nament-
lich daran Anſtoß, daß ſich ſein Wiberſacher Moutier der be-
ſonderen Freundſchaft des berüchtigten Oberſten Henry auch
noch nach deſſen Selbſtmord rühmte. Infolgedeſſen nahm
auch das ganze liberale Belgien für Rolland und gegen
Gérard Partei, der hinwiederum durch die Freundſchaft der
dortigen Klerikalen beinahe kompromittirt wurde. Dieſer
Zuſammenhang mit der Dreyfus-Sache und mit den politi-
ſchen Gegenſätzen in Belgien blieb glücklicherweiſe von der
Debatte des Palais Bourbon ausgeſchloſſen, und ſo konnte
die Regierung ohne große Anſtrengung zu dem unverhofft
günſtigen Abſchluß der Debatte gelangen, daß der Inter-
pellant nicht einmal eine Abſtimmung verlangte, ſondern ſeine
Interpellation „sans phrase“ zurückzog.

Schweden und Norwegen.
Die katholiſchen Orden und der norwegiſche Radikalismus.

Betreffs der katholiſchen
Ordensgeſellſchaften
ſpielen ſich gegenwärtig in unſerm
Lande Vorgänge ab, die von der größten grundſätzlichen Be-
deutung ſind; denn ſie zeigen, daß ſelbſt in dieſem gelobten
Lande des Radikalismus das Prinzip der ſchrankenloſen
Bewegungsfreiheit der katholiſchen Orden
nicht
durchführbar iſt. Im vorigen Jahre hat das Storthing die
ſogenannte Ordensklauſel des norwegiſchen Staatsgrundgeſetzes
aufgehoben, die geiſtliche Ordensgeſellſchaften in Norwegen
nicht zuließ. Die klerikale Preſſe, die damals jenen Beſchluß
als eine „mannhafte und echt freiheitliche That“ feierte, muß
jetzt den Schmerz erleben, zu ſehen, daß die Norweger die
Rückkehr zum früheren Zuſtande in demſelben Augenblicke
wünſchen, da ſie inne werden, welchen Gebrauch von der
neuen Freiheit die katholiſche Propaganda in Nor-
wegen gemacht hat. Den Anlaß, ſich hienach zu erkundigen,
bot ein Sendſchreiben des apoſtoliſchen Vikars für
Norwegen,
Monſignore Fallice, an den bekannten
Aſſumptioniſtenpater Picard, das die Aſſumptioniſten
[Spaltenumbruch] zum Ausharren ermunterte und für den Fall, daß die Orden
gänzlich aus Frankreich vertrieben würden, an die nor-
wegiſche Gaſtfreiheit
erinnerte. Gegen die hiemit er-
öffneten Ausſichten einer „jeſuitiſchen Invaſion“ wird von
parlamentariſcher Seite ebenſo wie von den führenden Blättern
der Rechten und Linken um ſo lebhafter Widerſpruch erhoben,
als man erfahren hat, daß die neue Bewegungsfreiheit der
katholiſchen Propaganda ſehr zu ſtatten gekommen iſt. Das
„Morgenbladet“ kündet bereits geſetzgeberiſche Maßnahmen in
der gedachten Richtung an. Man ſieht alſo auch hier wieder,
daß die vom Centrum geforderte „freie und ungehemmte“
Thätigkeit der katholiſchen Orden im modernen Staate praktiſch
nicht durchführbar iſt. Wenn ſelbſt das radikale Norwegen
eine ſolche „Freiheit“ fortwünſcht, nachdem es ſie kaum ge-
währt hat, dann iſt es klar, daß ſie für Deutſchland ernſt-
haft gar nicht in Frage kommen darf.



Bayeriſcher Landtag.
Sitzung des Wirthſchaftsausſchuſſes.

Tagesordnung: 1. Berathung
über die Rückäußerung der Reichsrathskammer zum Pferde-
verſicherungs-Geſetz;
2. Berathung über den Antrag
Dr. Jäger: die Abänderung des Geſetzes über landwirth-
ſchaftliche Unfallverſicherung.

Als Abänderung zum Pferdeverſicherungs-Geſetz hat die
Reichsrathskammer beantragt, „das Normalſtatut mit nach-
ſtehenden Modifikationen gutzuheißen: I. Es ſei als Abſatz 3
zu § 2 einzuſtellen: „Pferde im Werthe von über 1000 M.
ſind auf Antrag des Beſitzers von der Verſicherung auszu-
nehmen.“ II. Bei § 24 ſei als Ziff. 10 einzuſetzen: „wenn ein
Pferd zu Wettrennen benutzt und bei ſolchen oder infolge
von ſolchen beſchädigt wird“. Abſatz 3 des § 24 habe in
Wegfall zu kommen.“

Nach kurzen Vemerkungen des Referenten Abg. Rue-
dorfer
und des Abg. Stöcker wird den vorliegenden Ab-
änderungsanträgen die Zuſtimmung ertheilt.

Bei der Berathung des Antrags Dr. Jäger, der ver-
langt, daß kleine Unfälle nicht entſchädigt werden ſollen, ſtellt
Referent Karl Schmidt (lib.) den Antrag auf Uebergang
zur Tagesordnung, während der Korreferent, Abgeordneter
Dr. Hauber (Centr.) beantragt, daß kleine Unfälle unter
20 Prozent Erwerbsbeſchränktheit nicht entſchädigt werden
ſollen.

Abg. Karl Schmidt (lib.) gibt einen Ueberblick über
die Entwicklung der Sozialgeſetzgebung und betont beſonders,
daß in Bayern der Unfallverſicherungsbeitrag in dieſem Fall
als Zuſchlag zur Grundſteuer erhoben wird. Bei Beginn
des Geſetzes betrug dieſer Zuſchlag 1 Proz., zur Zeit theil-
weiſe 34 Proz., was allerdings Unzufriedenheit errege.
Allein noch größer würde dieſe werden, wenn man, wie es
der Antrag Dr. Hauber bezweckt, Renten unter 20 Proz.
nicht entſchädigen wollte. Befreunden könnte ſich Referent
mit dem Gedanken, daß man kleine Unfälle ſofort abfinden
würde.

Korreferent Abg. Dr. Hauber (Centr.) weist insbeſondere
darauf hin, daß man gar nicht abſehen könne, wann der
Beharrungszuſtand bei der Beitragsquote eintreten werde.
Möglicherweiſe könne, bis dieſer Beharrungszuſtand eintritt,
der Unfallverſicherungsbeitrag 100 Proz. der Grundſteuer
betragen. Ein Mittel, dieſe Beiträge niedriger zu halten,
erblicke er nur darin, daß man die kleinen Unfälle bis zu
20 Proz. Erwerbsbeſchränktheit nicht entſchädige. Wenn man
bei der landwirthſchaftlichen Unfallverſicherung dies einführen
würde, würden die gewerblichen Bernfsgenoſſenſchaften bald
nachfolgen.

Abg. Franz Schmidt (Soz.) tritt der Anſchauung des
Referenten bei.

Abg. Dr. Jäger (Centr.) beklagt ebenfalls die Steigerung
der Unfallverſicherungsbeiträge. Man ſollte dahin wirken,
daß die Unfallrenten theilweiſe auf die Invaliditätsverſicherung
abgewälzt werden, und daß die Arbeiter theilweiſe auch bei
der landwirthſchaftlichen Unfallverſicherung mit zur Beitrags-
leiſtung herangezogen werden.

Miniſterialkommiſſär Dr. Proebſt bemerkt, daß der
Gedanke, einen Theil der Unfallverſicherungsbeiträge, wie es
Abg. Dr. Jäger angedeutet, auf die Invaliditätsverſicherung
abzuwälzen, etwas für ſich habe, doch wäre hiezu eine voll-
ſtändige Geſetzesänderung nöthig; auch wäre zweifelhaft, ob,
da die Unfallrenten höher als die Invaliditätsrenten ſeien,
die Invaliditätskaſſen dies leiſten könnten. Eine Geſetzes-
änderung in dieſem Sinne halte er zur Zeit für unmöglich.
Was die Abſindung kleiner Renten betrifft, ſo iſt in der dem
Reichstage vorliegenden Novelle zum Unfallverſicherungsgeſetz
eine bezügliche Beſtimmung vorgeſehen. Auch ſoll die Unter-
ſcheidung zwiſchen landwirthſchaftlicher und häuslicher Be-
ſchäftigung durch dieſe Novelle geregelt werden. Die kleineren
Renten bis 20 Proz. von der Entſchädigung auszuſchließen,
würde ſehr bedenklich ſein. Eine häufigere Reviſion der Renten-
empfänger in Bezug auf ihre Erwerbsfähigkeit, wie ſie Abg.
Stöcker angeregt, ſcheine ihm ganz am Platze. In Bayern
kämen auf 100 Rentner 51 mit einer Rente unter 20 Proz.

Hierauf Vertagung der Sitzung. Nächſte Sitzung Mittwoch,
28. März, nachmittags 4 Uhr.

* Die Kammer der Reichsräthe hält ihre nächſte
(achte) öffentliche Plenarſitzung am Dienſtag, 3. April,
ab. Auf der Tagesordnung ſtehen die Beſchlüſſe der Ab-
geordnetenkammer betreffend 1. die Reviſion der Gehalts-
regulative für die Staatsbeamten und Staatsbedienſteten,
2. die Sonntagsruhe in den Kauzleien der ſtaatlichen Be-
hörden, 3. die Anträge der Abgg. Dr. Jäger, Dr. Pichler und
Genoſſen betreffend die Schaffung einer Zentralkaſſe für
gewerbliche Genoſſenſchaften, 4. Antrag des Abg. Beckh auf
Erwirkung eines Reichs-Fleiſchbeſchaugeſetzes, ferner 5. Berg-
geſetz, 6. Geſetz über die Landeskultur-Rentenanſtalt, 7. und
8. Rechnungsnachweiſungen und Etat der Poſt- und Tele-
graphenverwaltung, 9. Geſetzentwurf betreffend weitere Auf-
wendungen für die Vahn Lindau-Landesgrenze (in der
Richtung auf Friedrichshafen).



Verſchiedenes.
KC. Für Briefmarkenſammler.

Gelegentlich der
Hochzeit des Kronprinzen von Japan, die auf den
9. Mai feſtgeſetzt iſt, ſollen beſondere Freimarken aus-
gegeben werden, und zwar ſolche über 3 Sen für den In-
landsverkehr und 5 Sen für das Ausland. Von dieſen
Marken ſoll nur eine beſchränkte Zahl hergeſtellt werden, ſo
daß die Stücke vorausſichtlich ſehr ſelten ſein werden.

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[0009] Sonntag. Drittes Blatt Nr. 82 der Allgemeinen Zeitung. 25. März 1900. Großbritannien. Engliſcher und franzöſiſcher Wettbewerb in Marokko. x. London, 22. März. Aus Marokko kommen wieder Nachrichten von erneuter Thätigkeit verſchiedener Mächte. Spanien entſendet Senor Ojeda als Spezialgeſandten an den Kaiſer von Marokko, wofür die Kammer eben den nöthigen Kredit bewilligt hat. Gleichzeitig wird gemeldet, daß der franzöſiſche Geſandte am mauriſchen Hof von Frank- reich über Oran nach Tanger zurückgekehrt iſt. Daß er, „von Oran“ kommend, auf ſeinem Poſten wieder eingetroffen iſt, erregt den beſonderen Verdacht der „Morning Poſt“, die ſich wieder eifrig mit marokkaniſchen Augelegenheiten beſchäftigt. „Warum von Oran?“ fragt das miniſterielle Blatt. „Oran iſt eine wichtige Stadt in Algerien, nahe der mauriſchen Grenze. Warum hielt der Geſandte es für räthlich, Oran in Algerien auf ſeinem Weg von Marſeille nach Tanger zu berühren? Daß er dies gethan hat, deutet darauf hin, daß die Spannung mit Bezug auf die unmittelbaren Abſichten Frankreichs im Wachſen begriffen iſt.“ Das konſervative Organ wird in ſeinen Beſorgniſſen beſtärkt durch einen Mahu- ruf, den S. L. Benſuſan erklingen läßt. „Von Tanger bis Mogador,“ ſagt dieſer erfahrene Beobachter, „findet man überall franzöſiſchen Einfluß vorherrſchend, und das Anſehen Großbritanniens, welches in den Tagen Sir John Drummond Hays alles in allem war, iſt ein Gegenſtand der Vernachläſſigung und des Hohnes ge- worden. Wenn ein Brite eine Beſchwerde hat, ſo wird er ſelbſt von ſeinem eigenen Konſul abweiſend behandelt, während dagegen allen franzöſiſchen Beſchwerden ſofort abgeholfen wird. Die franzöſiſche Sprache wird in den Schulen aller Küſtenſtädte gelehrt. Frankreich gewährt. Tauſenden von Mauren, die ſich als ſeine Unterthanen haben einſchreiben laſſen, unbedingten Schutz. Die Scherifs von Waſan, die als direkte Nachkommen des Propheten nicht allein in Marokko, ſondern auch in der Verberei einen ausgedehnten politiſchen und religiöſen Einfluß ausüben, ſind thatſächlich franzöſiſche Unterthanen; die Wittwe des verſtorbenen Scherifs bezieht eine jährliche Unterſtützung von Frankreich, und ihr Sohn iſt in einer franzöſiſchen Militärſchule erzogen worden. Frank- reich unterhält militäriſche, politiſche und wiſſenſchaftliche Expeditionen in Marokko — und ſo umklammert es das Land ſtetig und erbarmungslos mit ſeinen Krallen.“ Die Marokkaner, verſichert Benſuſan, lieben die Franzoſen keineswegs, aber ſie können eben nicht wieder von ihnen loskommen. „Das Uebel,“ ſo bemerkt er mit Bezug auf dieſen Punkt, „wurde um einiges hinausgeſchoben durch die Thatkraft und Schlanheit des Sultans Muley Haſſan und durch deſſen Vorliebe für britiſchen Einfluß, aber ſein Sohn iſt körperlich wie geiſtig ein Schwächling, und er iſt die gehorſame Kreatur des Weſirs, eines Mulatten, der ſeinerſeits in gewiſſem Maße die Kreatur Frankreichs iſt.“ Benſuſan iſt natürlich der Anſicht, daß es nur eine Macht gibt, die Marokko vor dem Abgrund retten kann, vor dem es ſteht, nämlich England. „Es macht ſich in vermehrtem Maße die Anſicht geltend,“ ſagt er, „daß die Zeit gekommen iſt, wo die Möglichkeit eines europäiſchen Kriegs wegen Marokko’s durch eine neue Verſtändigung unter den Mächten ſelbſt auf ein Minimum eingeſchränkt werden ſollte.“ Kurz, Neutraliſirung nebſt einigen inneren Reformen und der Re- gulirung der Beziehungen zwiſchen der mauriſchen Regierung und den Ausländern — iſt das Heilmittel, welches er vor- ſchlägt. Die „Morning Poſt“ bemerkt dazu: „Frankreich deſſen können wir ſicher ſein, würde den Vorſchlag nicht will- kommen heißen, aber die übrigen Mächte des Feſtlandes, in- ſonderheit Deutſchland, könnten, in Verbindung mit Eng- land, Frankreich in nachdrücklicher Weiſe zur Einſicht der Nothwendigkeit desſelben bringen. Wenn etwas derartiges nicht bald geſchieht, iſt es wahrſcheinlich, daß das marokkaniſche Reich mit einem Krach zuſammenſtürzt, der ganz Europa er- ſchüttern wird.“ Es iſt merkwürdig, wie unter den Mächten namentlich die Engländer gewöhnlich Deutſchland in erſter Linie dazu auserſehen, ihnen die Kaſtanien aus dem Feuer zu holen. Was ſich auch in Marokko ereignen mag, Deutſch- land, wenn es auch wichtige Intereſſen dort zu wahren hat, wird ſicher keinen Druck auf Frankreich ausüben, um das geſchädigte Anſehen Englands im Lande Seiner Scherifaniſchen Majeſtät wiederherſtellen zu helfen. Eine katholiſche Univerſität für Irland. n. London, 23. März. Die Bemühungen der Regierung, die Irländer zu verſöhnen, haben, wie bekannt, zur Aner- kennung des bisher verpönten Kleeblatts als Dekoration der iriſchen Regimenter geführt und am St. Patrick-Tag konnte ſich, da auch der gefeierte Lord Roberts ein Irländer iſt, die Bevölkerung gar nicht genug thun im Aushängen von Flaggen mit der Harfe Erins und im Tragen von Shamrock- ſträußchen. Die Führer der iriſchen Nationaliſten ſtehen ſolchen Ausbrüchen patriotiſchen Ueberſchwangs ſehr kühl gegenüber und gerade am Patrick-Tag veröffentlichte Redmond das Mauifeſt, in dem er die geeinte iriſche Partei zu nur noch ſchärferer Bekämpfung der Regierung aufforderte. Auf dem Wunſchzettel, welchen die Irländer bei dieſer ihnen augen- blicklich günſtigen Stimmung vorlegen, ſteht die ſchon ſeit Jahren erhobene Forderung einer katholiſchen Uni- verſität in Irland. Die Londoner Regierung dürfte zur Zeit dieſen Wunſch unterſtützen; ſoweit wir unterrichtet ſind, verſteht man jedoch unter einer ſolchen Univerſität in amtlichen Kreiſen in London etwas ganz anderes, als die kirchlichen Kreiſe in Dublin darunter verſtanden wiſſen wollen. Schon vor etwa drei Jahren wurde Marquis of Salisbury veranlaßt, der Frage näherzutreten, und es wurde damals auch eine Unterſuchung der einſchlägigen Ver- hältniſſe im Ausland vorgenommen, die ohne Folgen blieb. Was die Irländer fordern, iſt eine abſolut unter kirch- licher Aufſicht ſtehende Univerſität, über welche nicht die Regierung, ſondern der Erzbiſchof von Dublin das Protektorat führen würde. Der Erzbiſchof Mgr. Walſh in Dublin — jahrelang Profeſſor der Theologie und Geſchichte an irländi- ſchen Prieſterſeminaren — iſt bekannt wegen ſeiner durchaus intranſigenten Haltung und der Primas von Irland, der Kardinal von Armagh, Erzbiſchof M. Logue, hat ſich noch unlängſt gegen den Krieg in Südafrika erklärt, was in Eng- land begreifliche Verſtimmung erregt hat, wenngleich Lougue ſeine Anſicht nicht in ſo erregter Weiſe kundgab, wie der iriſche Kardinal Moran in Auſtralien. Dieſe Männer, an deren intranſigentem Widerſtande ſeinerzeit der beſondere Abgeſandte Leo’s XIII., Mgr. Perſico, mit allen ſeinen Ver- ſöhnungsvorſchlägen ſcheiterte, würden, nach Auffaſſung der iriſchen Katholiken die „geborenen Leiter“ der zu gründenden Anſtalt in Dublin ſein. Es iſt klar, daß man an ein der- artiges Verhältniß in London nicht denkt. Im übrigen würde Großbritannien, falls es wirklich zur Einrichtung einer kirchlichem Einfluſſe unterſtehenden Univerſität für Irland käme, als proteſtantiſcher Staat mit einer ſolchen Inſtitution allein daſtehen. Auch in vorwiegend katholiſchen Ländern beſtehen ſtaatliche Univerſitäten der bezeichneten Art nicht. Oeſterreich und Bayern haben bezüglich ihrer Hochſchulen das Prinzip der Nicht-Konfeſſionalität der Lehrämter durchgeführt. In Frankreich, Italien, Spanien und Portugal hat die ultramontane Partei vergebliche Anſtrengungen gemacht, dieſes Prinzip zugunſten der ſtreng-katholiſchen Richtung zu durchbrechen. Nur der Kanton Freiburg in der Schweiz beſitzt in der gleich- namigen Hauptſtadt eine vom Kanton unterſtützte Univerſität, eine Gründung des bekannten Abg. Pythou, von der ſich die vor einigen Jahren dorthin berufenen reichsdeutſchen ſtreng- katholiſchen Profeſſoren neuerdings wieder zurückgezogen haben. Katholiſche Univerſitäten im Sinne der klerikalen gibt es ſonſt nur in Belgien (Löwen), Frankreich (Lille), Nord- amerika (in Waſhington und an anderen Orten der Vereinigten Staaten, meiſt in Verbindung mit Prieſterſeminarien, die, wie die Hochſchule, unter biſchöflicher Leitung und Aufſicht ſtehen). Von im ganzen 484 Univerſity Colleges in der Union ſind 61 unter kirchlicher Aufſicht, aber keine dieſer Anſtalten iſt vom Staate unterhalten. Sie ſind, wie die katholiſchen Uni- verſitäten in Belgien und Frankreich, Privatunternehmungen, was nicht ausſchließt, daß ſie einen großen Einfluß ausüben. In der Dubliner Kurie aber, und natürlich auch in Rom, wünſcht man eine auf ſtaatlicher Grundlage beruhende „katho- liſche“ Hochſchule. Die engliſche Regierung dürfte jedoch zu einer derartigen ſtaatlichen Inſtitution die Hand nicht bieten und geiſtliche Auſſicht höchſtens für die katholiſche Fakultät zugeſtehen. Zunächſt iſt der Gegenſtand den iriſchen Natio- naliſten ein willkommener Anlaß zu ernenter Agitation — und das dürfte den Führern, als ſie die Frage aufwarfen, wohl der Hauptzweck geweſen ſein. Frankreich. Die Debatte über die Brüſſelet Handelskammer. V. Paris, 23. März. Wenn die Gegner des Mini- ſteriums große Hoffnung darauf geſetzt hätten, durch die Interpellation über die zwei Handelskammern in Brüſſel die Regierung zu ſtürzen, ſo würden ſie die Er- öffnung des Kampfes kaum einem ſo unerfahrenen Neuling überlaſſen haben, wie es der Abgeordnete der Meuſe, Ferrette, iſt, der bei den letzten Wahlen als „antiſemitiſcher Radikaler“ dem ehemaligen Miniſter Develle den Wahlkreis Bar-le-Duc entriſſen hat. Die Oppoſition hatte auf den Gegenſatz zwiſchen Delcaſſé und Millerand gerechnet, als ſie mit viel Geräuſch dieſe Frage ins Parlament warf, und eine Meinungsverſchiedenheit hat allerdings zwiſchen Beiden be- ſtanden. Als ehemaliger Leiter der „Lanterne“ bewahrte der Sozialiſt Millerand eine gewiſſe Schwäche für den ehemaligen Kommunarden, den Kanfmann Rolland, der als Präſident der bis dahin einzigen Handelskammer in Brüſſel mit dem Geſandten Gérard in Konſlikt gerathen war. Rolland ließ gegen den Wunſch Gérards einen gewiſſen von dieſem em- pfohlenen Montier als Spion des franzöſiſchen Kriegsmini- ſteriums aus der Handelskammer ausſchließen. Gérard wieder ſchuf nun mit den zu ihm haltenden Franzoſen in Vrüſſel eine neue Handelskammer und verſchaffte dieſer den bisher der Geſellſchaft Rollands zugefallenen Staatsbeitrag. Rolland wandte ſich hierauf an den neuen Handelsminiſter Millerand, den er als alten Parteigenoſſen kannte, und Millerand be- ſchloß im Prinzip, die Geſollſchaft Rollands für den Verluſt des herkömmlichen Beitrags zu entſchädigen. Dieſer Beſchluß iſt aber, wie die Kammerverhandlung dargethan hat, nie zur Ausführung gelangt. Millerand hat als Miniſter eingeſehen, was ihm als Leiter eines ſozialiſtiſchen Blattes verborgen geblieben war, daß nämlich der Geſandte Gérard nicht ganz unrecht hatte, als er Rolland empfahl, die Angelegenheit des vermuthlichen Spitzels Moutier nicht an die große Glocke zu hängen. So ließ er ſich von ſeinem Kollegen Delcaſſé denn auch leicht überzeugen, daß Gérard gegenüber den Angriffen Rollands gedeckt werden müſſe und da- her nur die von ihm anerkannte Handelskammer einen Regierungsbeitrag erhalten dürfe. So ungeſchickt Ferrette aber auch war, indem er, ohne etwas genaueres zu wiſſen, von der „unlauteren Konkurrenz der beiden Miniſter“ redete, die Frankreich vor den Unterthanen des Königs Leopold blamire, ſo bewies er immerhin darin einigen Takt, daß er gleich anfangs erklärte, er wolle die Dreyfus-Frage nicht in die Debatte ziehen. Man hatte dies in der That allgemein befürchtet, denn Rolland nahm als eifriger Dreyfuſiſt nament- lich daran Anſtoß, daß ſich ſein Wiberſacher Moutier der be- ſonderen Freundſchaft des berüchtigten Oberſten Henry auch noch nach deſſen Selbſtmord rühmte. Infolgedeſſen nahm auch das ganze liberale Belgien für Rolland und gegen Gérard Partei, der hinwiederum durch die Freundſchaft der dortigen Klerikalen beinahe kompromittirt wurde. Dieſer Zuſammenhang mit der Dreyfus-Sache und mit den politi- ſchen Gegenſätzen in Belgien blieb glücklicherweiſe von der Debatte des Palais Bourbon ausgeſchloſſen, und ſo konnte die Regierung ohne große Anſtrengung zu dem unverhofft günſtigen Abſchluß der Debatte gelangen, daß der Inter- pellant nicht einmal eine Abſtimmung verlangte, ſondern ſeine Interpellation „sans phrase“ zurückzog. Schweden und Norwegen. Die katholiſchen Orden und der norwegiſche Radikalismus. b. Chriſtiania, 22. März. Betreffs der katholiſchen Ordensgeſellſchaften ſpielen ſich gegenwärtig in unſerm Lande Vorgänge ab, die von der größten grundſätzlichen Be- deutung ſind; denn ſie zeigen, daß ſelbſt in dieſem gelobten Lande des Radikalismus das Prinzip der ſchrankenloſen Bewegungsfreiheit der katholiſchen Orden nicht durchführbar iſt. Im vorigen Jahre hat das Storthing die ſogenannte Ordensklauſel des norwegiſchen Staatsgrundgeſetzes aufgehoben, die geiſtliche Ordensgeſellſchaften in Norwegen nicht zuließ. Die klerikale Preſſe, die damals jenen Beſchluß als eine „mannhafte und echt freiheitliche That“ feierte, muß jetzt den Schmerz erleben, zu ſehen, daß die Norweger die Rückkehr zum früheren Zuſtande in demſelben Augenblicke wünſchen, da ſie inne werden, welchen Gebrauch von der neuen Freiheit die katholiſche Propaganda in Nor- wegen gemacht hat. Den Anlaß, ſich hienach zu erkundigen, bot ein Sendſchreiben des apoſtoliſchen Vikars für Norwegen, Monſignore Fallice, an den bekannten Aſſumptioniſtenpater Picard, das die Aſſumptioniſten zum Ausharren ermunterte und für den Fall, daß die Orden gänzlich aus Frankreich vertrieben würden, an die nor- wegiſche Gaſtfreiheit erinnerte. Gegen die hiemit er- öffneten Ausſichten einer „jeſuitiſchen Invaſion“ wird von parlamentariſcher Seite ebenſo wie von den führenden Blättern der Rechten und Linken um ſo lebhafter Widerſpruch erhoben, als man erfahren hat, daß die neue Bewegungsfreiheit der katholiſchen Propaganda ſehr zu ſtatten gekommen iſt. Das „Morgenbladet“ kündet bereits geſetzgeberiſche Maßnahmen in der gedachten Richtung an. Man ſieht alſo auch hier wieder, daß die vom Centrum geforderte „freie und ungehemmte“ Thätigkeit der katholiſchen Orden im modernen Staate praktiſch nicht durchführbar iſt. Wenn ſelbſt das radikale Norwegen eine ſolche „Freiheit“ fortwünſcht, nachdem es ſie kaum ge- währt hat, dann iſt es klar, daß ſie für Deutſchland ernſt- haft gar nicht in Frage kommen darf. Bayeriſcher Landtag. Sitzung des Wirthſchaftsausſchuſſes. * München, 23. März. Tagesordnung: 1. Berathung über die Rückäußerung der Reichsrathskammer zum Pferde- verſicherungs-Geſetz; 2. Berathung über den Antrag Dr. Jäger: die Abänderung des Geſetzes über landwirth- ſchaftliche Unfallverſicherung. Als Abänderung zum Pferdeverſicherungs-Geſetz hat die Reichsrathskammer beantragt, „das Normalſtatut mit nach- ſtehenden Modifikationen gutzuheißen: I. Es ſei als Abſatz 3 zu § 2 einzuſtellen: „Pferde im Werthe von über 1000 M. ſind auf Antrag des Beſitzers von der Verſicherung auszu- nehmen.“ II. Bei § 24 ſei als Ziff. 10 einzuſetzen: „wenn ein Pferd zu Wettrennen benutzt und bei ſolchen oder infolge von ſolchen beſchädigt wird“. Abſatz 3 des § 24 habe in Wegfall zu kommen.“ Nach kurzen Vemerkungen des Referenten Abg. Rue- dorfer und des Abg. Stöcker wird den vorliegenden Ab- änderungsanträgen die Zuſtimmung ertheilt. Bei der Berathung des Antrags Dr. Jäger, der ver- langt, daß kleine Unfälle nicht entſchädigt werden ſollen, ſtellt Referent Karl Schmidt (lib.) den Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung, während der Korreferent, Abgeordneter Dr. Hauber (Centr.) beantragt, daß kleine Unfälle unter 20 Prozent Erwerbsbeſchränktheit nicht entſchädigt werden ſollen. Abg. Karl Schmidt (lib.) gibt einen Ueberblick über die Entwicklung der Sozialgeſetzgebung und betont beſonders, daß in Bayern der Unfallverſicherungsbeitrag in dieſem Fall als Zuſchlag zur Grundſteuer erhoben wird. Bei Beginn des Geſetzes betrug dieſer Zuſchlag 1 Proz., zur Zeit theil- weiſe 34 Proz., was allerdings Unzufriedenheit errege. Allein noch größer würde dieſe werden, wenn man, wie es der Antrag Dr. Hauber bezweckt, Renten unter 20 Proz. nicht entſchädigen wollte. Befreunden könnte ſich Referent mit dem Gedanken, daß man kleine Unfälle ſofort abfinden würde. Korreferent Abg. Dr. Hauber (Centr.) weist insbeſondere darauf hin, daß man gar nicht abſehen könne, wann der Beharrungszuſtand bei der Beitragsquote eintreten werde. Möglicherweiſe könne, bis dieſer Beharrungszuſtand eintritt, der Unfallverſicherungsbeitrag 100 Proz. der Grundſteuer betragen. Ein Mittel, dieſe Beiträge niedriger zu halten, erblicke er nur darin, daß man die kleinen Unfälle bis zu 20 Proz. Erwerbsbeſchränktheit nicht entſchädige. Wenn man bei der landwirthſchaftlichen Unfallverſicherung dies einführen würde, würden die gewerblichen Bernfsgenoſſenſchaften bald nachfolgen. Abg. Franz Schmidt (Soz.) tritt der Anſchauung des Referenten bei. Abg. Dr. Jäger (Centr.) beklagt ebenfalls die Steigerung der Unfallverſicherungsbeiträge. Man ſollte dahin wirken, daß die Unfallrenten theilweiſe auf die Invaliditätsverſicherung abgewälzt werden, und daß die Arbeiter theilweiſe auch bei der landwirthſchaftlichen Unfallverſicherung mit zur Beitrags- leiſtung herangezogen werden. Miniſterialkommiſſär Dr. Proebſt bemerkt, daß der Gedanke, einen Theil der Unfallverſicherungsbeiträge, wie es Abg. Dr. Jäger angedeutet, auf die Invaliditätsverſicherung abzuwälzen, etwas für ſich habe, doch wäre hiezu eine voll- ſtändige Geſetzesänderung nöthig; auch wäre zweifelhaft, ob, da die Unfallrenten höher als die Invaliditätsrenten ſeien, die Invaliditätskaſſen dies leiſten könnten. Eine Geſetzes- änderung in dieſem Sinne halte er zur Zeit für unmöglich. Was die Abſindung kleiner Renten betrifft, ſo iſt in der dem Reichstage vorliegenden Novelle zum Unfallverſicherungsgeſetz eine bezügliche Beſtimmung vorgeſehen. Auch ſoll die Unter- ſcheidung zwiſchen landwirthſchaftlicher und häuslicher Be- ſchäftigung durch dieſe Novelle geregelt werden. Die kleineren Renten bis 20 Proz. von der Entſchädigung auszuſchließen, würde ſehr bedenklich ſein. Eine häufigere Reviſion der Renten- empfänger in Bezug auf ihre Erwerbsfähigkeit, wie ſie Abg. Stöcker angeregt, ſcheine ihm ganz am Platze. In Bayern kämen auf 100 Rentner 51 mit einer Rente unter 20 Proz. Hierauf Vertagung der Sitzung. Nächſte Sitzung Mittwoch, 28. März, nachmittags 4 Uhr. * Die Kammer der Reichsräthe hält ihre nächſte (achte) öffentliche Plenarſitzung am Dienſtag, 3. April, ab. Auf der Tagesordnung ſtehen die Beſchlüſſe der Ab- geordnetenkammer betreffend 1. die Reviſion der Gehalts- regulative für die Staatsbeamten und Staatsbedienſteten, 2. die Sonntagsruhe in den Kauzleien der ſtaatlichen Be- hörden, 3. die Anträge der Abgg. Dr. Jäger, Dr. Pichler und Genoſſen betreffend die Schaffung einer Zentralkaſſe für gewerbliche Genoſſenſchaften, 4. Antrag des Abg. Beckh auf Erwirkung eines Reichs-Fleiſchbeſchaugeſetzes, ferner 5. Berg- geſetz, 6. Geſetz über die Landeskultur-Rentenanſtalt, 7. und 8. Rechnungsnachweiſungen und Etat der Poſt- und Tele- graphenverwaltung, 9. Geſetzentwurf betreffend weitere Auf- wendungen für die Vahn Lindau-Landesgrenze (in der Richtung auf Friedrichshafen). Verſchiedenes. KC. Für Briefmarkenſammler. Gelegentlich der Hochzeit des Kronprinzen von Japan, die auf den 9. Mai feſtgeſetzt iſt, ſollen beſondere Freimarken aus- gegeben werden, und zwar ſolche über 3 Sen für den In- landsverkehr und 5 Sen für das Ausland. Von dieſen Marken ſoll nur eine beſchränkte Zahl hergeſtellt werden, ſo daß die Stücke vorausſichtlich ſehr ſelten ſein werden.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 25. März 1900, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine82_1900/9>, abgerufen am 24.11.2024.