Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848.[Spaltenumbruch]
die Fenster öffnete, mit dem Tuche winkte und dem Volke amtlich das Frankreich. Paris, 18 Febr. Vor der Juliusrevolution war das Palais ... Paris, 17 März. Die Elitecompagnien der Nationalgarde ni Paris, 17 März. Die Nachrichten und Briefe aus Wien, [Spaltenumbruch]
die Fenſter öffnete, mit dem Tuche winkte und dem Volke amtlich das Frankreich. ∆ Paris, 18 Febr. Vor der Juliusrevolution war das Palais ... Paris, 17 März. Die Elitecompagnien der Nationalgarde ニ Paris, 17 März. Die Nachrichten und Briefe aus Wien, <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div type="jArticle" n="5"> <p><pb facs="#f0019"/><cb/> die Fenſter öffnete, mit dem Tuche winkte und dem Volke amtlich das<lb/> große beſeligende Ereigniß verkündete, da kannte der Jubel keine<lb/> Gränzen, alle Nationalitäten ſchienen in eine verſchmolzen, da um-<lb/> armten ſich glücklich fühlend Deutſche und Italiener. Die ganze Nacht<lb/> hindurch hörte der Geſang auf der Straße nicht auf, Muſikchöre<lb/> ſpielten die Volkshymne, die überhaupt vielleicht nie ſo oft lebhaft<lb/> und innig wie bis in dieſem Augenblicke ertönte. Heute morgens<lb/> um 6 Uhr ſah ich bereits auf allen Kaufläden geſchrieben <hi rendition="#aq">oggi festa<lb/> nazionale</hi> (heute iſt Volksfeſt). Die Stadt iſt frendig bewegt, die<lb/> ganze Bevölkerung auf den Straßen, das Volk überläßt ſich unge-<lb/> zwungen der Freude, der betäubende Jubelruf dringt in mein Zim-<lb/> mer; in einem ruhigen Augenblicke theile ich Ihnen mehr mit. Ich<lb/> kenne in dieſem Augenblick nur ein Gefühl — das wie glücklich Milli-<lb/> onen durch das kaiſerliche Wort geworden ſind.</p> </div> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>∆ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 18 Febr.</dateline> <p>Vor der Juliusrevolution war das Palais<lb/> Royal der Zuſammenfluß aller „Loretten“ von Paris. Da petitionirten<lb/> die Budenbeſitzer des Palais Royal — alten Styls — darum daß die<lb/> Polizei die öffentlichen Dirnen aus den Galerien des Palaſtes austrei-<lb/> ben möchte. Die Folge war daß das luſtige und luftige Treiben des<lb/> Palais Royal mit ihnen auszog, und dann die Boutiquiers am Ende dar-<lb/> um petitionirten daß die Polizei den alten Inſaſſen wieder erlauben möge<lb/> ins Palais Royal zu kommen. Aber die Polizei ſagte dießmal Veto. Und ſo<lb/> könnte es den Pariſer Boutiquiers nächſtens auch mit Louis Philipp er-<lb/> gehen. Wir hören ſchon Stimmen genug die ſagen: „Da ſeht Ihr,<lb/> was Ihr gewonnen habt?“ Aber wir erinnern daran daß deßwegen die<lb/><hi rendition="#aq">„habituées du Palais royal“</hi> nicht beſſer waren, weil ſie Käufer anzo-<lb/> gen, und daß Louis Philipp vor wie nach alles Unheil das über Frank-<lb/> reich kommt zu verantworten hat. Wir wollen hoffen daß dieß Unheil<lb/> nur vorübergehend ſeyn, und am Ende zu viel beſſern als den geopfer-<lb/> ten Zuſtänden führen wird. Aber wir geſtehen daß die letzten Tage<lb/> dieſe Hoffnungen herabgeſchraubt haben. Vor allem ſcheint uns die<lb/> Niederlage welche die alte Nationalgarde geſtern erlitten hat, ein Un-<lb/> glück — und zwar nicht ſo ſehr um der Niederlage willen als um<lb/> der Leute willen, von denen dieſe Niederlage vorzugsweiſe veranlaßt<lb/> war und auch ausgebeutet werden wird. Die Nationalgarde hat ſehr<lb/> unklug gehandelt daß ſie bei ihrem erſten Auftreten nach der Revolution<lb/> in gewiſſer Beziehung eine Art angreifende Stellung gegen die Regie-<lb/> rung einnahm. Dadurch hat ſie alle Anhänger der Republik gegen ſich.<lb/> Die Leute welche die Nationalgarde anklagen die Leibwache der Bour-<lb/> geoiſte zu ſeyn, die das „<hi rendition="#g">Volk</hi>“ gegen die Bourgeoiſte hetzen, fanden<lb/> geſtern die ſchönſte Gelegenheit hiezu. „Das iſt ein royaliſtiſches Com-<lb/> plott, das haben die Anhänger der Régence eingeleitet; man will die<lb/> proviſoriſche Regierung ſtürzen.“ So ging es durch die Faubourgs.<lb/> Und ſehr viele Leute des Volks drängten ſich nach den Kaien und der<lb/> Place de Grève zuſammen, wo ſie dann die Nationalgarde nicht ohne<lb/> Hohn und Spott zurücktrieben. Die Nationalgarde hat dabei ſehr we-<lb/> nig Muth gezeigt. Der geſtrige Tag iſt ſomit ein doppelter Sieg für<lb/> die <hi rendition="#g">Rothen</hi>, eine doppelte Niederlage für die Bourgeoiſie. Heute werden<lb/> nun die Freunde des „<hi rendition="#g">Volkes</hi>“, die eben das Volk grundſätzlich zum Haſſe<lb/> gegen die Bourgeoiſte treiben, ebenfalls einen Verſuch machen ob ſie<lb/> ihrerſeits nicht mehr Erfolg haben, wenn es ſich darum handelt die Re-<lb/> gierung einzuſchüchtern. Sie wollen heute in Maſſe aufs Stadthaus<lb/> ziehen, um die Hinusſetzung der Wahlen zu bevorworten. Alle ge-<lb/> mäßigten Leute der Regierung ſind gegen dieſen Aufſchub, eine Minori-<lb/> tät dafür. Es handelt ſich darum ob die Majorität oder die Minorität<lb/> Recht behalten ſoll, und wir hoffen feſt daß insbeſondere Hr. Lamar-<lb/> tine heute ebenſo viele Feſtigkeit zeigen wird als er geſtern und ſchon<lb/> mehreremal vorher gezeigt hat. Das Geſchick der Republik entſcheidet<lb/> ſich alle Tage mehr; der geſtrige war ein verhängnißvoller, und hat un-<lb/> gefähr alle Hoffnungen in Hrn. v. Lamartine concentrirt. Seine Partei<lb/> wurde geſtern in einer Demonſtration für ihn und gegen Ledru-Rollin<lb/> geſchlagen; es fragt ſich ob der Führer der geſtern geſchlagenen Partei<lb/> heute allein mehr werth ſeyn wird als geſtern die Legionen die für ihn<lb/> eintraten. Wir hoffen es feſt, denn wenn er geſtern ſetne unklugen<lb/> Freunde abgewieſen hat, ſo hat er gerade dadurch ſich im Volk alle ver-<lb/> ſtändigen Leute nur um ſo feſter angeſchloſſen. In Lamartine ruht<lb/> heute das Heil Frankreichs. Das wird alle Tage mehr zum Geſammt-<lb/> bewußtſeyn der Nation, und wir halten es für wahrſcheinlich daß dieſes<lb/> Geſammtbewußtſeyn ſich auch im Nationalconvent ſehr bald ausſprechen<lb/><cb/> wird — wenn die Sieger von geſtern nicht heute noch Hrn. v. Lamar-<lb/> tine beſtegen und die Aufſchiebung der Wahlen durchſetzen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>... <hi rendition="#b">Paris</hi>, 17 März.</dateline> <p>Die Elitecompagnien der Nationalgarde<lb/> haben mit ihrem Schritte geſtern nicht nur nichts erreicht, ſondern heute<lb/> ſogar in einer Proclamation ihres Befehlshabers Courtais eine öffent-<lb/> ſiche Zurechtweiſung erhalten. Einige Abtheilungen, welche vereinzelt<lb/> vor das Stadthaus gekommen waren, getrennt von der Maſſe, wurden<lb/> buchſtäblich von den Blouſenmännern zerſprengt, nachdem ſie ausgeziſcht<lb/> und auf jede Weiſe verhöhnt worden waren. Einige Compagnien Gre-<lb/> nadiere zwang man ſogar die Bärenmützen abzunehmen und ſo entblöß-<lb/> ten Hauptes einherzuziehen. Die Regierung ſteht indeß ſehr gut daß<lb/> all dieß den Geiſt der Nationalgarde nicht zu gewinnen geeignet iſt, und<lb/> ſie hat nun, um nicht die Grenadiere und Schützen gewiſſermaßen als<lb/> Parias erſcheinen zu laſſen, auch die Auflöſung aller andern Compagnien<lb/> aller Legionen ausgeſprochen, und dafür die übertriebene Stärke einzel-<lb/> ner Compagnien als Grund angegeben. Dieſelben ſollen nun in glei-<lb/> cher Stärke neu gebildet und dabei die Bürger jedes Bezirks und Vier-<lb/> tels beiſammen gehalten, kein Bataillon aber ſtärker als acht Compag-<lb/> nien werden. Dieſer Ausweg iſt allerdings geſchickt genug, und dürfte<lb/> wohl die Aufregung der Grenadiere und Schützen etwas beſchwichtigen.<lb/> Die Stimmung im allgemeinen nimmt aber unverkennbar in dem Maße<lb/> an Gereiztheit zu als die Lage verwickelter wird. Sie ſehen die<lb/> Sprache welche die Regierung in der von Hrn. v. Lamartine vorgeſtern<lb/> verheißenen Erklärung führt die heute in allen Straßen angeheftet iſt.<lb/> Dieſe Sprache verräth deutlich genug die Verlegenheit in der ſie ſich be-<lb/> findet. Die Ultrademokraten der Clubs, auf die Maſſen der Arbeiter<lb/> ſich ſtützend, dringen immer lauter auf Verſchiebung der Wahlen für die<lb/> Nationalverſammlung, während die wirklichen Freunde der Ordnung,<lb/> ſelbſt die einſichtigen Republicaner vor allem aus dieſem proviſoriſchen<lb/> Zuſtande herauskommen wollen, unter welchem alles zu Grunde zu ge-<lb/> hen droht. Schon jetzt ſind Handel und Induſtrie größtentheils ver-<lb/> nichtet, der Credit exiſtirt nur noch dem Namen nach, heute läßt das<lb/> Gerücht ſogar das Haus Rothſchild zur Liquidirung ſchreiten. Unglaub-<lb/> lich iſt nichts mehr in dieſem chaotiſchen Zuſtande, in welchen wir jetzt<lb/> ſchon hier gekommen ſind. Inzwiſchen feiern heute alle Arbeiter, ſie haben<lb/> wichtigeres zu thun als zu arbeiten. In ungeheurer Zahl verſammelten ſie<lb/> ſich dieſen Vormittag ſchon auf dem Revolutionsplatze um über die Staats-<lb/> angelegenheiten zu berathen, und dann nach dem Stadthauſe zu ziehen,<lb/> dort der Regierung ihre Verlangen vorzutragen. Lärm gibt es dabei<lb/> allerdings nicht, man läßt ſie machen: aber man darf nur die beſorg-<lb/> lichen Geſichter der Anwohner in den Straßen anſehen, durch welche<lb/> ſolche Haufen ziehen, um den Eindruck zu ermeſſen den ſie hervorbrin-<lb/> gen. An Aerzten zur Rettung Frankreichs fehlt es nicht, wenn uur der<lb/> Kranke nicht am Ende darüber zu Grunde geht! Heute verkündet einer<lb/> durch öffentlichen Aufruf daß er das Mittel gefunden hat Frankreich in<lb/> acht Tagen reich zu machen. Der Plan iſt ſehr einfach. Es gibt 6 bis 7<lb/> Mill. Individuen — ſagt der Erfinder — die durchſchnittlich für 300 Fr.<lb/> Silberzeug beſitzen. Das ſollen ſie dem Staat abtreten, und dafür<lb/> 5procentiges Papier zum jetzigen Curs erhalten. So erhielte der<lb/> Staat 2 Milliarden und die Rente würde ſchnell wieder auf Pari ſtei-<lb/> gen. Einzelheiten erlaſſen Sie mir: aber wie finden Sie den Plan?<lb/> Dagegen rufen andere zu Theilung der Vermögen zwiſchen Reichen und<lb/> Armen auf: allerdings ein heroiſches Mittel, zu dem ſich aber nur auf<lb/> einer Seite Liebhaber finden werden. In einem Club des Fauburg<lb/> Poiſſonnière hat der ehemalige politiſche Verurtheilte Blanqui auch<lb/> eine große Anzahl von Köpfen verlangt, ein anderer, die Nothwendigkeit<lb/> davon zeigend, den Antrag unterſtützt, als ein dritter, ein ganz kleiner<lb/> Mann auftrat und ſagte: auch er ſey dafür, aber Blanqui’s Kopf müſſe<lb/> der erſte ſeyn der ſpringe. Dieß wirkte ziemlich draſtiſch und Blan-<lb/> qui ſoll ſeitdem nicht wieder in dem nämlichen Club erſchienen ſeyn.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>ニ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 17 März.</dateline> <p>Die Nachrichten und Briefe aus Wien,<lb/> welche geſtern hier ankamen und die Zuſicherung enthalten daß das<lb/> öſterreichiſche Cabinet nicht gewillt ſey ſich in unſere innern Angelegen-<lb/> heiten zu miſchen und keinen agreſſoriſchen Schritt gegen Frankreich be-<lb/> abſichtige, ſolange von dieſem keine Beeinträchtigung der beſtehenden<lb/> Staatsverträge angeſtrebt werde, hat einen überaus günſtigen Eindruck<lb/> auf alle Freunde der Ordnung und zugleich auf die Börſe hervorge-<lb/> bracht. Die Frage über eine ausgedehnte Coloniſirung Algeriens ward<lb/> neulich im Regierungsrathe verhandelt. Hoffentlich ſpricht ſich die Na-<lb/> tionalverſammlung zu Gunſten eines Geſetzentwurfs aus der verlangt<lb/> daß etwa 20 — 30,000 unſerer unbeſchäftigten Proletarier dahier, wel-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
die Fenſter öffnete, mit dem Tuche winkte und dem Volke amtlich das
große beſeligende Ereigniß verkündete, da kannte der Jubel keine
Gränzen, alle Nationalitäten ſchienen in eine verſchmolzen, da um-
armten ſich glücklich fühlend Deutſche und Italiener. Die ganze Nacht
hindurch hörte der Geſang auf der Straße nicht auf, Muſikchöre
ſpielten die Volkshymne, die überhaupt vielleicht nie ſo oft lebhaft
und innig wie bis in dieſem Augenblicke ertönte. Heute morgens
um 6 Uhr ſah ich bereits auf allen Kaufläden geſchrieben oggi festa
nazionale (heute iſt Volksfeſt). Die Stadt iſt frendig bewegt, die
ganze Bevölkerung auf den Straßen, das Volk überläßt ſich unge-
zwungen der Freude, der betäubende Jubelruf dringt in mein Zim-
mer; in einem ruhigen Augenblicke theile ich Ihnen mehr mit. Ich
kenne in dieſem Augenblick nur ein Gefühl — das wie glücklich Milli-
onen durch das kaiſerliche Wort geworden ſind.
Frankreich.
∆ Paris, 18 Febr.Vor der Juliusrevolution war das Palais
Royal der Zuſammenfluß aller „Loretten“ von Paris. Da petitionirten
die Budenbeſitzer des Palais Royal — alten Styls — darum daß die
Polizei die öffentlichen Dirnen aus den Galerien des Palaſtes austrei-
ben möchte. Die Folge war daß das luſtige und luftige Treiben des
Palais Royal mit ihnen auszog, und dann die Boutiquiers am Ende dar-
um petitionirten daß die Polizei den alten Inſaſſen wieder erlauben möge
ins Palais Royal zu kommen. Aber die Polizei ſagte dießmal Veto. Und ſo
könnte es den Pariſer Boutiquiers nächſtens auch mit Louis Philipp er-
gehen. Wir hören ſchon Stimmen genug die ſagen: „Da ſeht Ihr,
was Ihr gewonnen habt?“ Aber wir erinnern daran daß deßwegen die
„habituées du Palais royal“ nicht beſſer waren, weil ſie Käufer anzo-
gen, und daß Louis Philipp vor wie nach alles Unheil das über Frank-
reich kommt zu verantworten hat. Wir wollen hoffen daß dieß Unheil
nur vorübergehend ſeyn, und am Ende zu viel beſſern als den geopfer-
ten Zuſtänden führen wird. Aber wir geſtehen daß die letzten Tage
dieſe Hoffnungen herabgeſchraubt haben. Vor allem ſcheint uns die
Niederlage welche die alte Nationalgarde geſtern erlitten hat, ein Un-
glück — und zwar nicht ſo ſehr um der Niederlage willen als um
der Leute willen, von denen dieſe Niederlage vorzugsweiſe veranlaßt
war und auch ausgebeutet werden wird. Die Nationalgarde hat ſehr
unklug gehandelt daß ſie bei ihrem erſten Auftreten nach der Revolution
in gewiſſer Beziehung eine Art angreifende Stellung gegen die Regie-
rung einnahm. Dadurch hat ſie alle Anhänger der Republik gegen ſich.
Die Leute welche die Nationalgarde anklagen die Leibwache der Bour-
geoiſte zu ſeyn, die das „Volk“ gegen die Bourgeoiſte hetzen, fanden
geſtern die ſchönſte Gelegenheit hiezu. „Das iſt ein royaliſtiſches Com-
plott, das haben die Anhänger der Régence eingeleitet; man will die
proviſoriſche Regierung ſtürzen.“ So ging es durch die Faubourgs.
Und ſehr viele Leute des Volks drängten ſich nach den Kaien und der
Place de Grève zuſammen, wo ſie dann die Nationalgarde nicht ohne
Hohn und Spott zurücktrieben. Die Nationalgarde hat dabei ſehr we-
nig Muth gezeigt. Der geſtrige Tag iſt ſomit ein doppelter Sieg für
die Rothen, eine doppelte Niederlage für die Bourgeoiſie. Heute werden
nun die Freunde des „Volkes“, die eben das Volk grundſätzlich zum Haſſe
gegen die Bourgeoiſte treiben, ebenfalls einen Verſuch machen ob ſie
ihrerſeits nicht mehr Erfolg haben, wenn es ſich darum handelt die Re-
gierung einzuſchüchtern. Sie wollen heute in Maſſe aufs Stadthaus
ziehen, um die Hinusſetzung der Wahlen zu bevorworten. Alle ge-
mäßigten Leute der Regierung ſind gegen dieſen Aufſchub, eine Minori-
tät dafür. Es handelt ſich darum ob die Majorität oder die Minorität
Recht behalten ſoll, und wir hoffen feſt daß insbeſondere Hr. Lamar-
tine heute ebenſo viele Feſtigkeit zeigen wird als er geſtern und ſchon
mehreremal vorher gezeigt hat. Das Geſchick der Republik entſcheidet
ſich alle Tage mehr; der geſtrige war ein verhängnißvoller, und hat un-
gefähr alle Hoffnungen in Hrn. v. Lamartine concentrirt. Seine Partei
wurde geſtern in einer Demonſtration für ihn und gegen Ledru-Rollin
geſchlagen; es fragt ſich ob der Führer der geſtern geſchlagenen Partei
heute allein mehr werth ſeyn wird als geſtern die Legionen die für ihn
eintraten. Wir hoffen es feſt, denn wenn er geſtern ſetne unklugen
Freunde abgewieſen hat, ſo hat er gerade dadurch ſich im Volk alle ver-
ſtändigen Leute nur um ſo feſter angeſchloſſen. In Lamartine ruht
heute das Heil Frankreichs. Das wird alle Tage mehr zum Geſammt-
bewußtſeyn der Nation, und wir halten es für wahrſcheinlich daß dieſes
Geſammtbewußtſeyn ſich auch im Nationalconvent ſehr bald ausſprechen
wird — wenn die Sieger von geſtern nicht heute noch Hrn. v. Lamar-
tine beſtegen und die Aufſchiebung der Wahlen durchſetzen.
... Paris, 17 März.Die Elitecompagnien der Nationalgarde
haben mit ihrem Schritte geſtern nicht nur nichts erreicht, ſondern heute
ſogar in einer Proclamation ihres Befehlshabers Courtais eine öffent-
ſiche Zurechtweiſung erhalten. Einige Abtheilungen, welche vereinzelt
vor das Stadthaus gekommen waren, getrennt von der Maſſe, wurden
buchſtäblich von den Blouſenmännern zerſprengt, nachdem ſie ausgeziſcht
und auf jede Weiſe verhöhnt worden waren. Einige Compagnien Gre-
nadiere zwang man ſogar die Bärenmützen abzunehmen und ſo entblöß-
ten Hauptes einherzuziehen. Die Regierung ſteht indeß ſehr gut daß
all dieß den Geiſt der Nationalgarde nicht zu gewinnen geeignet iſt, und
ſie hat nun, um nicht die Grenadiere und Schützen gewiſſermaßen als
Parias erſcheinen zu laſſen, auch die Auflöſung aller andern Compagnien
aller Legionen ausgeſprochen, und dafür die übertriebene Stärke einzel-
ner Compagnien als Grund angegeben. Dieſelben ſollen nun in glei-
cher Stärke neu gebildet und dabei die Bürger jedes Bezirks und Vier-
tels beiſammen gehalten, kein Bataillon aber ſtärker als acht Compag-
nien werden. Dieſer Ausweg iſt allerdings geſchickt genug, und dürfte
wohl die Aufregung der Grenadiere und Schützen etwas beſchwichtigen.
Die Stimmung im allgemeinen nimmt aber unverkennbar in dem Maße
an Gereiztheit zu als die Lage verwickelter wird. Sie ſehen die
Sprache welche die Regierung in der von Hrn. v. Lamartine vorgeſtern
verheißenen Erklärung führt die heute in allen Straßen angeheftet iſt.
Dieſe Sprache verräth deutlich genug die Verlegenheit in der ſie ſich be-
findet. Die Ultrademokraten der Clubs, auf die Maſſen der Arbeiter
ſich ſtützend, dringen immer lauter auf Verſchiebung der Wahlen für die
Nationalverſammlung, während die wirklichen Freunde der Ordnung,
ſelbſt die einſichtigen Republicaner vor allem aus dieſem proviſoriſchen
Zuſtande herauskommen wollen, unter welchem alles zu Grunde zu ge-
hen droht. Schon jetzt ſind Handel und Induſtrie größtentheils ver-
nichtet, der Credit exiſtirt nur noch dem Namen nach, heute läßt das
Gerücht ſogar das Haus Rothſchild zur Liquidirung ſchreiten. Unglaub-
lich iſt nichts mehr in dieſem chaotiſchen Zuſtande, in welchen wir jetzt
ſchon hier gekommen ſind. Inzwiſchen feiern heute alle Arbeiter, ſie haben
wichtigeres zu thun als zu arbeiten. In ungeheurer Zahl verſammelten ſie
ſich dieſen Vormittag ſchon auf dem Revolutionsplatze um über die Staats-
angelegenheiten zu berathen, und dann nach dem Stadthauſe zu ziehen,
dort der Regierung ihre Verlangen vorzutragen. Lärm gibt es dabei
allerdings nicht, man läßt ſie machen: aber man darf nur die beſorg-
lichen Geſichter der Anwohner in den Straßen anſehen, durch welche
ſolche Haufen ziehen, um den Eindruck zu ermeſſen den ſie hervorbrin-
gen. An Aerzten zur Rettung Frankreichs fehlt es nicht, wenn uur der
Kranke nicht am Ende darüber zu Grunde geht! Heute verkündet einer
durch öffentlichen Aufruf daß er das Mittel gefunden hat Frankreich in
acht Tagen reich zu machen. Der Plan iſt ſehr einfach. Es gibt 6 bis 7
Mill. Individuen — ſagt der Erfinder — die durchſchnittlich für 300 Fr.
Silberzeug beſitzen. Das ſollen ſie dem Staat abtreten, und dafür
5procentiges Papier zum jetzigen Curs erhalten. So erhielte der
Staat 2 Milliarden und die Rente würde ſchnell wieder auf Pari ſtei-
gen. Einzelheiten erlaſſen Sie mir: aber wie finden Sie den Plan?
Dagegen rufen andere zu Theilung der Vermögen zwiſchen Reichen und
Armen auf: allerdings ein heroiſches Mittel, zu dem ſich aber nur auf
einer Seite Liebhaber finden werden. In einem Club des Fauburg
Poiſſonnière hat der ehemalige politiſche Verurtheilte Blanqui auch
eine große Anzahl von Köpfen verlangt, ein anderer, die Nothwendigkeit
davon zeigend, den Antrag unterſtützt, als ein dritter, ein ganz kleiner
Mann auftrat und ſagte: auch er ſey dafür, aber Blanqui’s Kopf müſſe
der erſte ſeyn der ſpringe. Dieß wirkte ziemlich draſtiſch und Blan-
qui ſoll ſeitdem nicht wieder in dem nämlichen Club erſchienen ſeyn.
ニ Paris, 17 März.Die Nachrichten und Briefe aus Wien,
welche geſtern hier ankamen und die Zuſicherung enthalten daß das
öſterreichiſche Cabinet nicht gewillt ſey ſich in unſere innern Angelegen-
heiten zu miſchen und keinen agreſſoriſchen Schritt gegen Frankreich be-
abſichtige, ſolange von dieſem keine Beeinträchtigung der beſtehenden
Staatsverträge angeſtrebt werde, hat einen überaus günſtigen Eindruck
auf alle Freunde der Ordnung und zugleich auf die Börſe hervorge-
bracht. Die Frage über eine ausgedehnte Coloniſirung Algeriens ward
neulich im Regierungsrathe verhandelt. Hoffentlich ſpricht ſich die Na-
tionalverſammlung zu Gunſten eines Geſetzentwurfs aus der verlangt
daß etwa 20 — 30,000 unſerer unbeſchäftigten Proletarier dahier, wel-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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