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Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 20 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutschland.

Ich versuche es, soweit
die Erregung des Tages es hier im Augenblick zuläßt, Ihnen die ereig-
nißreichen Stunden seit gestern Abend ausführlicher zu schildern. Die
Zusammenhäufungen von Menschen begannen gestern, nachdem der Tag
ruhig geblieben war, mit dem Einbruch der Dunkelheit auf dem Schloß-
platz und in der anstoßenden Breiten- und Brüderstraße von neuem. Da
sich gleichzeitig starke Militärpatrouillen sehen lassen, so war hiermit
zugleich der Erregung der Gemüther durch Pfeifen, Schreien u. s. w.
volle Nahrung gegeben. Der Lärm und die Erhitzung steigerten sich in
dieser Weise bis gegen 9 Uhr, wodurch das Militär auch seinerseits sehr
gereizt werden mochte, obgleich das Nichterscheinen desselben sicherlich
jeden Aufruhr verhindert hätte. Etwas nach 9 Uhr aber begab sich
in der Brüderstraße ein Ereigniß, welches an sich beklagenswerth, es in
seinen Folgen noch mehr wurde. Nachdem das Militär nämlich den
einen Ausgang dieser Straße, da wo sie am Schloßplatz ausmündet, besetzt
hatte, sprengte die Cavallerie am andern Ende mit verhängten Zügeln
und hochgeschwungenen Säbeln in dieselbe heran. Der Schrecken und
die Verwirrung war gränzenlos. Die zusammengepreßte Menge, welche
weder vor- noch rückwärts konnte und ebenso wenig in den ver-
schlossenen Häusern Rettung fand, war schutzlos den Hieben der Dragoner
preisgegeben. Diese machten obenein von dem Vortheil ihrer Position
rücksichtslosen Gebrauch, und so sind denn viele und schwere Verwun-
dungen und in Folge derselben heute bereits einige Todesfälle zu bekla-
gen gewesen. Es haben dieselben auch friedliche Bürger getroffen,
welche in Geschäften oder sonst in ruhiger Absicht des Weges kamen.
Der Anblick war in der That so entsetzlich daß die Vewohner der Straße
aus ihren Fenstern dem Militär ihren Unwillen zuriefen und zum Theil die
Thüren öffneten um die Verwundeten bei sich aufzunehmen. Der Tu-
mult legte sich dann gegen Mitternacht. Heute morgen war die Erre-
gung in Folge dieses nächtlichen Ereignisses eine tiefe und allgemeine.
Die Straße war schon in den frühen Stunden mit Menschen ange-
füllt, welche theils die Blutflecken theils die einzelnen Spuren der Ca-
valleriehiebe an Fenstern und Häusern betrachteten und sich dabei die
Ereignisse erzählten. Um 10 Uhr versammelten sich die Bürger der
Straße im Hause des Justizraths Bergling, woselbst alle Einzelheiten
protokollarisch zusammengestellt und von 40 bis 50 Augenzeugen unter-
schrieben wurden. Man erwählte darauf eine Deputation von fünf
Männern und beauftragte sie dieses Protokoll sogleich mit einer ernsten
Beschwerde der Bürgerschaft dem Oberbürgermeister, dem Polizeiprä-
sidenten und dem Commandanten zu überreichen. Die Deputation ent-
ledigte sich sofort dieses Auftrags, erhielt überall die befriedigendsten
Zusicherungen schleunigster Abhülfe, und verfügte sich demnächst in die
gerade zu geheimer Sitzung versammelten Stadtverordnetenversamm-
lung. Hier brachte sie ihre Beschwerde gleichfalls an und formirte die
Ihnen schon bekannten beiden Anträge daß das Militär bis zu einer
wirklichen Verletzung des Volkes gegen Person und Eigenthum zurück-
gezogen und den Bürgern die Bewahrung der Ruhe allein überlassen
bleibe. Die Stadtverordnetenversammlung beschied die Deputation nach
kurzer Berathung dahin daß sie sich diesem Gesuch der Bürgerschaft aus
der Brüderstraße dahin anschließe die Staatsregierung zu ersuchen: 1) das
Einschreiten des Militärs möglichst ganz zu verbieten, 2) wenn dieß unthun-
lich bleiben sollte, doch wenigstens demselben größte Schonung zur Pflicht zu
machen. Zugleich ordnete die Stadtverordnetenversammlung auch ih-
rerseits eine Deputation an den Gouverneur, an den Oberbürgermeister
und an den Minister des Innern ab, und erließ eine Aufforderung an
alle Bezirksvorsteher sich mit ihren Bürgern in Verbindung zu setzen
und dieselben aufzufordern friedlich und beruhigend auf die Menge ein-
zuwirken. So war es Mittag geworden. Die Deputation kehrte in
die Brüderstraße zurück und fand in derselben bereits Tausende versam-
melt welche sich von hier ab über den ganzen Schloßplatz verbreitet hat-
ten. Gleichzeitig ging ihr eine Verfügung des Ministers des Innern
und des Stadtcommandanten zu, worin diese Behörden erklärten daß
sofort eine Untersuchungscommission niedergesetzt werde um das bekla-
genswerthe Ereigniß in der Brüderstraße zu ermitteln und sofortige Be-
strafung des Schuldigen zu veranlassen. Hr. Dr. Wöniger als Wort-
führer der Deputation übernahm es jetzt die gesammelte Menge von den
[Spaltenumbruch] Bestrebungen der Deputation durch einen vom Balkon eines Hauses ge-
haltenen Vortrag in Kenntniß zu setzen, theilte das Ministerialrescript
mit und ermahnte dann zur Ruhe und Gesetzlichkeit, in welcher allein
das Recht sich verfechten und erringen lasse. Die Menge antwor-
tete mit wiederholtem Hurrah und zerstreute sich, so daß die Brüder-
straße bald darauf leer war. Der Schloßplatz blieb indeß gefüllt, und
als hier in Folge der Aufforderung der Bezirksvorsteher Bürger mit
weißen Binden erschienen um die Versammelten zum Auseinandergehen
zu bewegen, wurden sie verlacht. Die Menge verhielt sich übrigens durch-
aus passiv und wogte ruhig auf dem großen Platze durcheinander. Am
Nachmittag erschienen Anschläge der städtischen Behörden, sowie von
Seite des Polizeipräsidiums, worin erstere zur Ruhe aufforderten, letz-
teres noch einmal sich für die strengste Untersuchung und resp. Bestra-
fung der Brüderstraßenexcesse verbürgte. Gleichzeitlich veröffentlichte
die Bürgerdeputation der Brüderstraße eine Ansprache an die Mitbürger,
worin sie die Verfügung des Ministers des Innern und des Stadtcom-
mandanten mittheilte. Dieselbe ist Ihnen im vorigen Briefe zugegan-
gen. Diese Ansprache wurde auf dem Schloßplatz vertheilt und eifrig
gelesen. Die guten Wirkungen paralysirten sich indeß wieder dadurch
daß etwa in derselben Zeit plötzlich auf dem ganzen Schloßplatz das
Gerücht verbreitet war in Wien sey eine Revolution ausgebrochen,
das Militär besiegt und dem Kaiser eine Constitution abgezwungen.
Diese Mittheilung vermehrte die Aufregung in einem sehr sichtbaren
Grade. Die Menge war, je mehr der Tag sich neigte, um so massen-
hafter angeschwollen und begann die am Schlosse aufgestellten Posten
zu insultiren. Die ganze Wache trat jetzt ins Gewehr, nahm jedoch
eine ruhige Haltung an. Hierdurch vermehrte sich die Aufregung, und
nach lebhaftem Geschrei und Gepfeife flogen einzelne Steine gegen
das Schloß und die Soldaten. Jndeß war es dunkel geworden, un-
zählige Schaaren bedeckten den Schloßplatz. Nunmehr entwickelten
sich imposantere Cavalleriemassen, welche von der entgegengesetzten Seite
in das Innere der Schloßhöfe geführt waren und aus denselben heraus-
zogen. Dieß war das Signal für die Menge sich in regelloser Eile in
die Brüder- und Breitensiraße, sowie gegen die Königsstraße zurückzu-
ziehen, woselbst überall Barrikaden aufgerichtet wurden. Angstvoll hat-
ten sich die Bewohner in die Häuser zurückgezogen, die Thüren ge-
schlossen, die Lichter von den Fenstern entfernt. Einzelne Schwärme
durcheilten die Straßen mit dem Rufe: "Thüren auf", und hoben die
Brücken von den Rinnsteinen, um sie quer über die Straße zu wer-
fen oder sie zu den Barrikaden zu verwenden, an welchen das Ge-
hämmer und Gestampf den schreckenerregenden Eindruck der Scene ver-
mehrte. Etwa um 7 Uhr rückte das Militär vom Schloßplatz in die
Straße ein. Die Infanterie gab einige Salven, worauf alles die Bar-
rikaden in wilder Flucht verließ, so daß sie mit leichter Mühe beseitigt
und dadurch auch den Cavalleriezügen Bahn gebrochen werden konnte.
Imposante Militärmassen entwickelten sich nun und durchzogen die Um-
gegend des Schlosses nach allen Richtungen, so daß die Menge bald
in die entfernteren Stadttheile zurückgedrängt oder zersprengt war.
Ernstere Widersetzlichkeit scheint sich fast nirgends gezeigt zu haben,
auch scheinen die Gewehrsalven, welche wir übrigens aus den verschie-
densten Theilen der Stadt gehört haben, meistens blind gewesen zu
seyn, wenigstens vernimmt man heute Abend noch nichts von
Todten oder Verwundeten; doch müssen wir darüber sowie über die
Einzelheiten des Kampfes den Bericht offen halten, da es unmöglich
ist sich darüber schon jetzt zuverlässig zu unterrichten. Verhaftungen
sind höchst zahlreiche vorgenommen. In diesem Augenblick wo wir
unsern Brief schließen, gegen Mitternacht, scheint alles ruhig; die
Nachtwächter rufen die Stunden ab. Die Straßen sind menschenleer,
nur starke Militärabtheilungen durchziehen noch die Straßen. Die
Bewegung des Volks hat sich übrigens ausschließlich gegen das Militär
gerichtet, ohne das Eigenthum im mindesten anzutasten; alle verlangen
Arbeit und allenfalls Verminderung der Steuern. Damit Sie übrigens
sehen welche Bestrebungen doch auch hier versuchsweise vorkamen, theilen
wir zum Schluß die nachstehende Adresse mit, welche vorgestern Abends
überall vertheilt wurde. Wir brauchen kaum zu sagen daß sie spurlos
vorübergegangen ist. Dazu sind unsere Arbeiter politisch noch viel zu
ungebildet. Sie war lithographirt, orthographisch -- vielleicht absicht-

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 20 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutſchland.

Ich verſuche es, ſoweit
die Erregung des Tages es hier im Augenblick zuläßt, Ihnen die ereig-
nißreichen Stunden ſeit geſtern Abend ausführlicher zu ſchildern. Die
Zuſammenhäufungen von Menſchen begannen geſtern, nachdem der Tag
ruhig geblieben war, mit dem Einbruch der Dunkelheit auf dem Schloß-
platz und in der anſtoßenden Breiten- und Brüderſtraße von neuem. Da
ſich gleichzeitig ſtarke Militärpatrouillen ſehen laſſen, ſo war hiermit
zugleich der Erregung der Gemüther durch Pfeifen, Schreien u. ſ. w.
volle Nahrung gegeben. Der Lärm und die Erhitzung ſteigerten ſich in
dieſer Weiſe bis gegen 9 Uhr, wodurch das Militär auch ſeinerſeits ſehr
gereizt werden mochte, obgleich das Nichterſcheinen desſelben ſicherlich
jeden Aufruhr verhindert hätte. Etwas nach 9 Uhr aber begab ſich
in der Brüderſtraße ein Ereigniß, welches an ſich beklagenswerth, es in
ſeinen Folgen noch mehr wurde. Nachdem das Militär nämlich den
einen Ausgang dieſer Straße, da wo ſie am Schloßplatz ausmündet, beſetzt
hatte, ſprengte die Cavallerie am andern Ende mit verhängten Zügeln
und hochgeſchwungenen Säbeln in dieſelbe heran. Der Schrecken und
die Verwirrung war gränzenlos. Die zuſammengepreßte Menge, welche
weder vor- noch rückwärts konnte und ebenſo wenig in den ver-
ſchloſſenen Häuſern Rettung fand, war ſchutzlos den Hieben der Dragoner
preisgegeben. Dieſe machten obenein von dem Vortheil ihrer Poſition
rückſichtsloſen Gebrauch, und ſo ſind denn viele und ſchwere Verwun-
dungen und in Folge derſelben heute bereits einige Todesfälle zu bekla-
gen geweſen. Es haben dieſelben auch friedliche Bürger getroffen,
welche in Geſchäften oder ſonſt in ruhiger Abſicht des Weges kamen.
Der Anblick war in der That ſo entſetzlich daß die Vewohner der Straße
aus ihren Fenſtern dem Militär ihren Unwillen zuriefen und zum Theil die
Thüren öffneten um die Verwundeten bei ſich aufzunehmen. Der Tu-
mult legte ſich dann gegen Mitternacht. Heute morgen war die Erre-
gung in Folge dieſes nächtlichen Ereigniſſes eine tiefe und allgemeine.
Die Straße war ſchon in den frühen Stunden mit Menſchen ange-
füllt, welche theils die Blutflecken theils die einzelnen Spuren der Ca-
valleriehiebe an Fenſtern und Häuſern betrachteten und ſich dabei die
Ereigniſſe erzählten. Um 10 Uhr verſammelten ſich die Bürger der
Straße im Hauſe des Juſtizraths Bergling, woſelbſt alle Einzelheiten
protokollariſch zuſammengeſtellt und von 40 bis 50 Augenzeugen unter-
ſchrieben wurden. Man erwählte darauf eine Deputation von fünf
Männern und beauftragte ſie dieſes Protokoll ſogleich mit einer ernſten
Beſchwerde der Bürgerſchaft dem Oberbürgermeiſter, dem Polizeiprä-
ſidenten und dem Commandanten zu überreichen. Die Deputation ent-
ledigte ſich ſofort dieſes Auftrags, erhielt überall die befriedigendſten
Zuſicherungen ſchleunigſter Abhülfe, und verfügte ſich demnächſt in die
gerade zu geheimer Sitzung verſammelten Stadtverordnetenverſamm-
lung. Hier brachte ſie ihre Beſchwerde gleichfalls an und formirte die
Ihnen ſchon bekannten beiden Anträge daß das Militär bis zu einer
wirklichen Verletzung des Volkes gegen Perſon und Eigenthum zurück-
gezogen und den Bürgern die Bewahrung der Ruhe allein überlaſſen
bleibe. Die Stadtverordnetenverſammlung beſchied die Deputation nach
kurzer Berathung dahin daß ſie ſich dieſem Geſuch der Bürgerſchaft aus
der Brüderſtraße dahin anſchließe die Staatsregierung zu erſuchen: 1) das
Einſchreiten des Militärs möglichſt ganz zu verbieten, 2) wenn dieß unthun-
lich bleiben ſollte, doch wenigſtens demſelben größte Schonung zur Pflicht zu
machen. Zugleich ordnete die Stadtverordnetenverſammlung auch ih-
rerſeits eine Deputation an den Gouverneur, an den Oberbürgermeiſter
und an den Miniſter des Innern ab, und erließ eine Aufforderung an
alle Bezirksvorſteher ſich mit ihren Bürgern in Verbindung zu ſetzen
und dieſelben aufzufordern friedlich und beruhigend auf die Menge ein-
zuwirken. So war es Mittag geworden. Die Deputation kehrte in
die Brüderſtraße zurück und fand in derſelben bereits Tauſende verſam-
melt welche ſich von hier ab über den ganzen Schloßplatz verbreitet hat-
ten. Gleichzeitig ging ihr eine Verfügung des Miniſters des Innern
und des Stadtcommandanten zu, worin dieſe Behörden erklärten daß
ſofort eine Unterſuchungscommiſſion niedergeſetzt werde um das bekla-
genswerthe Ereigniß in der Brüderſtraße zu ermitteln und ſofortige Be-
ſtrafung des Schuldigen zu veranlaſſen. Hr. Dr. Wöniger als Wort-
führer der Deputation übernahm es jetzt die geſammelte Menge von den
[Spaltenumbruch] Beſtrebungen der Deputation durch einen vom Balkon eines Hauſes ge-
haltenen Vortrag in Kenntniß zu ſetzen, theilte das Miniſterialreſcript
mit und ermahnte dann zur Ruhe und Geſetzlichkeit, in welcher allein
das Recht ſich verfechten und erringen laſſe. Die Menge antwor-
tete mit wiederholtem Hurrah und zerſtreute ſich, ſo daß die Brüder-
ſtraße bald darauf leer war. Der Schloßplatz blieb indeß gefüllt, und
als hier in Folge der Aufforderung der Bezirksvorſteher Bürger mit
weißen Binden erſchienen um die Verſammelten zum Auseinandergehen
zu bewegen, wurden ſie verlacht. Die Menge verhielt ſich übrigens durch-
aus paſſiv und wogte ruhig auf dem großen Platze durcheinander. Am
Nachmittag erſchienen Anſchläge der ſtädtiſchen Behörden, ſowie von
Seite des Polizeipräſidiums, worin erſtere zur Ruhe aufforderten, letz-
teres noch einmal ſich für die ſtrengſte Unterſuchung und reſp. Beſtra-
fung der Brüderſtraßenexceſſe verbürgte. Gleichzeitlich veröffentlichte
die Bürgerdeputation der Brüderſtraße eine Anſprache an die Mitbürger,
worin ſie die Verfügung des Miniſters des Innern und des Stadtcom-
mandanten mittheilte. Dieſelbe iſt Ihnen im vorigen Briefe zugegan-
gen. Dieſe Anſprache wurde auf dem Schloßplatz vertheilt und eifrig
geleſen. Die guten Wirkungen paralyſirten ſich indeß wieder dadurch
daß etwa in derſelben Zeit plötzlich auf dem ganzen Schloßplatz das
Gerücht verbreitet war in Wien ſey eine Revolution ausgebrochen,
das Militär beſiegt und dem Kaiſer eine Conſtitution abgezwungen.
Dieſe Mittheilung vermehrte die Aufregung in einem ſehr ſichtbaren
Grade. Die Menge war, je mehr der Tag ſich neigte, um ſo maſſen-
hafter angeſchwollen und begann die am Schloſſe aufgeſtellten Poſten
zu inſultiren. Die ganze Wache trat jetzt ins Gewehr, nahm jedoch
eine ruhige Haltung an. Hierdurch vermehrte ſich die Aufregung, und
nach lebhaftem Geſchrei und Gepfeife flogen einzelne Steine gegen
das Schloß und die Soldaten. Jndeß war es dunkel geworden, un-
zählige Schaaren bedeckten den Schloßplatz. Nunmehr entwickelten
ſich impoſantere Cavalleriemaſſen, welche von der entgegengeſetzten Seite
in das Innere der Schloßhöfe geführt waren und aus denſelben heraus-
zogen. Dieß war das Signal für die Menge ſich in regelloſer Eile in
die Brüder- und Breitenſiraße, ſowie gegen die Königsſtraße zurückzu-
ziehen, woſelbſt überall Barrikaden aufgerichtet wurden. Angſtvoll hat-
ten ſich die Bewohner in die Häuſer zurückgezogen, die Thüren ge-
ſchloſſen, die Lichter von den Fenſtern entfernt. Einzelne Schwärme
durcheilten die Straßen mit dem Rufe: „Thüren auf“, und hoben die
Brücken von den Rinnſteinen, um ſie quer über die Straße zu wer-
fen oder ſie zu den Barrikaden zu verwenden, an welchen das Ge-
hämmer und Geſtampf den ſchreckenerregenden Eindruck der Scene ver-
mehrte. Etwa um 7 Uhr rückte das Militär vom Schloßplatz in die
Straße ein. Die Infanterie gab einige Salven, worauf alles die Bar-
rikaden in wilder Flucht verließ, ſo daß ſie mit leichter Mühe beſeitigt
und dadurch auch den Cavalleriezügen Bahn gebrochen werden konnte.
Impoſante Militärmaſſen entwickelten ſich nun und durchzogen die Um-
gegend des Schloſſes nach allen Richtungen, ſo daß die Menge bald
in die entfernteren Stadttheile zurückgedrängt oder zerſprengt war.
Ernſtere Widerſetzlichkeit ſcheint ſich faſt nirgends gezeigt zu haben,
auch ſcheinen die Gewehrſalven, welche wir übrigens aus den verſchie-
denſten Theilen der Stadt gehört haben, meiſtens blind geweſen zu
ſeyn, wenigſtens vernimmt man heute Abend noch nichts von
Todten oder Verwundeten; doch müſſen wir darüber ſowie über die
Einzelheiten des Kampfes den Bericht offen halten, da es unmöglich
iſt ſich darüber ſchon jetzt zuverläſſig zu unterrichten. Verhaftungen
ſind höchſt zahlreiche vorgenommen. In dieſem Augenblick wo wir
unſern Brief ſchließen, gegen Mitternacht, ſcheint alles ruhig; die
Nachtwächter rufen die Stunden ab. Die Straßen ſind menſchenleer,
nur ſtarke Militärabtheilungen durchziehen noch die Straßen. Die
Bewegung des Volks hat ſich übrigens ausſchließlich gegen das Militär
gerichtet, ohne das Eigenthum im mindeſten anzutaſten; alle verlangen
Arbeit und allenfalls Verminderung der Steuern. Damit Sie übrigens
ſehen welche Beſtrebungen doch auch hier verſuchsweiſe vorkamen, theilen
wir zum Schluß die nachſtehende Adreſſe mit, welche vorgeſtern Abends
überall vertheilt wurde. Wir brauchen kaum zu ſagen daß ſie ſpurlos
vorübergegangen iſt. Dazu ſind unſere Arbeiter politiſch noch viel zu
ungebildet. Sie war lithographirt, orthographiſch — vielleicht abſicht-

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 20 März 1848. Deutſchland. — Berlin, 15 März. Abends 10 Uhr. Ich verſuche es, ſoweit die Erregung des Tages es hier im Augenblick zuläßt, Ihnen die ereig- nißreichen Stunden ſeit geſtern Abend ausführlicher zu ſchildern. Die Zuſammenhäufungen von Menſchen begannen geſtern, nachdem der Tag ruhig geblieben war, mit dem Einbruch der Dunkelheit auf dem Schloß- platz und in der anſtoßenden Breiten- und Brüderſtraße von neuem. Da ſich gleichzeitig ſtarke Militärpatrouillen ſehen laſſen, ſo war hiermit zugleich der Erregung der Gemüther durch Pfeifen, Schreien u. ſ. w. volle Nahrung gegeben. Der Lärm und die Erhitzung ſteigerten ſich in dieſer Weiſe bis gegen 9 Uhr, wodurch das Militär auch ſeinerſeits ſehr gereizt werden mochte, obgleich das Nichterſcheinen desſelben ſicherlich jeden Aufruhr verhindert hätte. Etwas nach 9 Uhr aber begab ſich in der Brüderſtraße ein Ereigniß, welches an ſich beklagenswerth, es in ſeinen Folgen noch mehr wurde. Nachdem das Militär nämlich den einen Ausgang dieſer Straße, da wo ſie am Schloßplatz ausmündet, beſetzt hatte, ſprengte die Cavallerie am andern Ende mit verhängten Zügeln und hochgeſchwungenen Säbeln in dieſelbe heran. Der Schrecken und die Verwirrung war gränzenlos. Die zuſammengepreßte Menge, welche weder vor- noch rückwärts konnte und ebenſo wenig in den ver- ſchloſſenen Häuſern Rettung fand, war ſchutzlos den Hieben der Dragoner preisgegeben. Dieſe machten obenein von dem Vortheil ihrer Poſition rückſichtsloſen Gebrauch, und ſo ſind denn viele und ſchwere Verwun- dungen und in Folge derſelben heute bereits einige Todesfälle zu bekla- gen geweſen. Es haben dieſelben auch friedliche Bürger getroffen, welche in Geſchäften oder ſonſt in ruhiger Abſicht des Weges kamen. Der Anblick war in der That ſo entſetzlich daß die Vewohner der Straße aus ihren Fenſtern dem Militär ihren Unwillen zuriefen und zum Theil die Thüren öffneten um die Verwundeten bei ſich aufzunehmen. Der Tu- mult legte ſich dann gegen Mitternacht. Heute morgen war die Erre- gung in Folge dieſes nächtlichen Ereigniſſes eine tiefe und allgemeine. Die Straße war ſchon in den frühen Stunden mit Menſchen ange- füllt, welche theils die Blutflecken theils die einzelnen Spuren der Ca- valleriehiebe an Fenſtern und Häuſern betrachteten und ſich dabei die Ereigniſſe erzählten. Um 10 Uhr verſammelten ſich die Bürger der Straße im Hauſe des Juſtizraths Bergling, woſelbſt alle Einzelheiten protokollariſch zuſammengeſtellt und von 40 bis 50 Augenzeugen unter- ſchrieben wurden. Man erwählte darauf eine Deputation von fünf Männern und beauftragte ſie dieſes Protokoll ſogleich mit einer ernſten Beſchwerde der Bürgerſchaft dem Oberbürgermeiſter, dem Polizeiprä- ſidenten und dem Commandanten zu überreichen. Die Deputation ent- ledigte ſich ſofort dieſes Auftrags, erhielt überall die befriedigendſten Zuſicherungen ſchleunigſter Abhülfe, und verfügte ſich demnächſt in die gerade zu geheimer Sitzung verſammelten Stadtverordnetenverſamm- lung. Hier brachte ſie ihre Beſchwerde gleichfalls an und formirte die Ihnen ſchon bekannten beiden Anträge daß das Militär bis zu einer wirklichen Verletzung des Volkes gegen Perſon und Eigenthum zurück- gezogen und den Bürgern die Bewahrung der Ruhe allein überlaſſen bleibe. Die Stadtverordnetenverſammlung beſchied die Deputation nach kurzer Berathung dahin daß ſie ſich dieſem Geſuch der Bürgerſchaft aus der Brüderſtraße dahin anſchließe die Staatsregierung zu erſuchen: 1) das Einſchreiten des Militärs möglichſt ganz zu verbieten, 2) wenn dieß unthun- lich bleiben ſollte, doch wenigſtens demſelben größte Schonung zur Pflicht zu machen. Zugleich ordnete die Stadtverordnetenverſammlung auch ih- rerſeits eine Deputation an den Gouverneur, an den Oberbürgermeiſter und an den Miniſter des Innern ab, und erließ eine Aufforderung an alle Bezirksvorſteher ſich mit ihren Bürgern in Verbindung zu ſetzen und dieſelben aufzufordern friedlich und beruhigend auf die Menge ein- zuwirken. So war es Mittag geworden. Die Deputation kehrte in die Brüderſtraße zurück und fand in derſelben bereits Tauſende verſam- melt welche ſich von hier ab über den ganzen Schloßplatz verbreitet hat- ten. Gleichzeitig ging ihr eine Verfügung des Miniſters des Innern und des Stadtcommandanten zu, worin dieſe Behörden erklärten daß ſofort eine Unterſuchungscommiſſion niedergeſetzt werde um das bekla- genswerthe Ereigniß in der Brüderſtraße zu ermitteln und ſofortige Be- ſtrafung des Schuldigen zu veranlaſſen. Hr. Dr. Wöniger als Wort- führer der Deputation übernahm es jetzt die geſammelte Menge von den Beſtrebungen der Deputation durch einen vom Balkon eines Hauſes ge- haltenen Vortrag in Kenntniß zu ſetzen, theilte das Miniſterialreſcript mit und ermahnte dann zur Ruhe und Geſetzlichkeit, in welcher allein das Recht ſich verfechten und erringen laſſe. Die Menge antwor- tete mit wiederholtem Hurrah und zerſtreute ſich, ſo daß die Brüder- ſtraße bald darauf leer war. Der Schloßplatz blieb indeß gefüllt, und als hier in Folge der Aufforderung der Bezirksvorſteher Bürger mit weißen Binden erſchienen um die Verſammelten zum Auseinandergehen zu bewegen, wurden ſie verlacht. Die Menge verhielt ſich übrigens durch- aus paſſiv und wogte ruhig auf dem großen Platze durcheinander. Am Nachmittag erſchienen Anſchläge der ſtädtiſchen Behörden, ſowie von Seite des Polizeipräſidiums, worin erſtere zur Ruhe aufforderten, letz- teres noch einmal ſich für die ſtrengſte Unterſuchung und reſp. Beſtra- fung der Brüderſtraßenexceſſe verbürgte. Gleichzeitlich veröffentlichte die Bürgerdeputation der Brüderſtraße eine Anſprache an die Mitbürger, worin ſie die Verfügung des Miniſters des Innern und des Stadtcom- mandanten mittheilte. Dieſelbe iſt Ihnen im vorigen Briefe zugegan- gen. Dieſe Anſprache wurde auf dem Schloßplatz vertheilt und eifrig geleſen. Die guten Wirkungen paralyſirten ſich indeß wieder dadurch daß etwa in derſelben Zeit plötzlich auf dem ganzen Schloßplatz das Gerücht verbreitet war in Wien ſey eine Revolution ausgebrochen, das Militär beſiegt und dem Kaiſer eine Conſtitution abgezwungen. Dieſe Mittheilung vermehrte die Aufregung in einem ſehr ſichtbaren Grade. Die Menge war, je mehr der Tag ſich neigte, um ſo maſſen- hafter angeſchwollen und begann die am Schloſſe aufgeſtellten Poſten zu inſultiren. Die ganze Wache trat jetzt ins Gewehr, nahm jedoch eine ruhige Haltung an. Hierdurch vermehrte ſich die Aufregung, und nach lebhaftem Geſchrei und Gepfeife flogen einzelne Steine gegen das Schloß und die Soldaten. Jndeß war es dunkel geworden, un- zählige Schaaren bedeckten den Schloßplatz. Nunmehr entwickelten ſich impoſantere Cavalleriemaſſen, welche von der entgegengeſetzten Seite in das Innere der Schloßhöfe geführt waren und aus denſelben heraus- zogen. Dieß war das Signal für die Menge ſich in regelloſer Eile in die Brüder- und Breitenſiraße, ſowie gegen die Königsſtraße zurückzu- ziehen, woſelbſt überall Barrikaden aufgerichtet wurden. Angſtvoll hat- ten ſich die Bewohner in die Häuſer zurückgezogen, die Thüren ge- ſchloſſen, die Lichter von den Fenſtern entfernt. Einzelne Schwärme durcheilten die Straßen mit dem Rufe: „Thüren auf“, und hoben die Brücken von den Rinnſteinen, um ſie quer über die Straße zu wer- fen oder ſie zu den Barrikaden zu verwenden, an welchen das Ge- hämmer und Geſtampf den ſchreckenerregenden Eindruck der Scene ver- mehrte. Etwa um 7 Uhr rückte das Militär vom Schloßplatz in die Straße ein. Die Infanterie gab einige Salven, worauf alles die Bar- rikaden in wilder Flucht verließ, ſo daß ſie mit leichter Mühe beſeitigt und dadurch auch den Cavalleriezügen Bahn gebrochen werden konnte. Impoſante Militärmaſſen entwickelten ſich nun und durchzogen die Um- gegend des Schloſſes nach allen Richtungen, ſo daß die Menge bald in die entfernteren Stadttheile zurückgedrängt oder zerſprengt war. Ernſtere Widerſetzlichkeit ſcheint ſich faſt nirgends gezeigt zu haben, auch ſcheinen die Gewehrſalven, welche wir übrigens aus den verſchie- denſten Theilen der Stadt gehört haben, meiſtens blind geweſen zu ſeyn, wenigſtens vernimmt man heute Abend noch nichts von Todten oder Verwundeten; doch müſſen wir darüber ſowie über die Einzelheiten des Kampfes den Bericht offen halten, da es unmöglich iſt ſich darüber ſchon jetzt zuverläſſig zu unterrichten. Verhaftungen ſind höchſt zahlreiche vorgenommen. In dieſem Augenblick wo wir unſern Brief ſchließen, gegen Mitternacht, ſcheint alles ruhig; die Nachtwächter rufen die Stunden ab. Die Straßen ſind menſchenleer, nur ſtarke Militärabtheilungen durchziehen noch die Straßen. Die Bewegung des Volks hat ſich übrigens ausſchließlich gegen das Militär gerichtet, ohne das Eigenthum im mindeſten anzutaſten; alle verlangen Arbeit und allenfalls Verminderung der Steuern. Damit Sie übrigens ſehen welche Beſtrebungen doch auch hier verſuchsweiſe vorkamen, theilen wir zum Schluß die nachſtehende Adreſſe mit, welche vorgeſtern Abends überall vertheilt wurde. Wir brauchen kaum zu ſagen daß ſie ſpurlos vorübergegangen iſt. Dazu ſind unſere Arbeiter politiſch noch viel zu ungebildet. Sie war lithographirt, orthographiſch — vielleicht abſicht-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine80_1848/17>, abgerufen am 06.06.2024.