Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848.Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
[Spaltenumbruch] Die Ereignisse in Wien.| H Wien, 15 März. Ich schreibe Ihnen aus einem Zimmer, Wien, 15 März. Mein gestriger Bericht reichte bis gegen *) Wir erhielten vorgestern 17, gestern 11, heute 13 Briefe aus Wien,
sind aber für den vorliegenden so dankbar wie für die übrigen. Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
[Spaltenumbruch] Die Ereigniſſe in Wien.| H Wien, 15 März. Ich ſchreibe Ihnen aus einem Zimmer, ✡ Wien, 15 März. Mein geſtriger Bericht reichte bis gegen *) Wir erhielten vorgeſtern 17, geſtern 11, heute 13 Briefe aus Wien,
ſind aber für den vorliegenden ſo dankbar wie für die übrigen. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0017"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> <docImprint> <docDate>vom 19 März 1848.</docDate> </docImprint> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Ereigniſſe in Wien.|</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">H</hi> Wien,</hi> 15 März.</dateline><lb/> <p>Ich ſchreibe Ihnen aus einem Zimmer,<lb/> das die Ausſicht auf ein Lager darbietet, und vor mir liegt das Extra-<lb/> Blatt der Wiener Zeitung, welches die Aufhebung der Cenſur, die<lb/> in nächſter Ausſicht ſtehende Veröffentlichung eines Preßgeſetzes und<lb/> die Errichtung einer Nationalgarde für die Reſidenz proclamirt. Hier-<lb/> aus ſchließen Sie ſchon daß die letzten Tage für Wien und den Staat<lb/> deſſen Mittelpunkt Wien bildet, ereignißvoll geweſen ſind. Sie waren<lb/> es im höchſten Grade, und da die mir bekannten gewöhnlichen Cor-<lb/> reſpondenten Ihrer Zeitung, geborne Oeſterreicher, bereits als National-<lb/> gardiſten unter den Waffen ſtehen, und dadurch, wie mir einer derſelben<lb/> eben ſagte, verhindert find Ihnen zu ſchreiben,<note place="foot" n="*)">Wir erhielten vorgeſtern 17, geſtern 11, heute 13 Briefe aus Wien,<lb/> ſind aber für den vorliegenden ſo dankbar wie für die übrigen.</note> ſo ergreife ich, der<lb/> Ausländer oder vielmehr nur der Nicht-Oeſterreicher, der durch geſetz-<lb/> liche Verfügung von dieſer Ehre ausgeſchloſſen iſt, ſtatt ihrer die Feder.<lb/> Ich beſchränke mich bei meiner Darſtellung auf dasjenige was ich ver-<lb/> bürgen kann; andere Mittheilungen mögen und werden die meinigen<lb/> ergänzen. Auf Montag, den 13 d. M., waren die niederöſterreichiſchen<lb/> Stände einberufen, von deren dießjähriger Wirkſamkeit die Partei des<lb/> Fortſchritts ſchon vor dem Sturz der Julius-Dynaſtie große Erwartun-<lb/> gen gehegt hatte, und nach demſelben natürlich keine geringeren zu hegen<lb/> anfing. Vornehmlich war es die akademiſche Jugend die auf die Stände<lb/> ihre Hoffnung ſetzte; aber auch die Bürgerſchaft glaubte den Moment<lb/> ihres Zuſammentretens für das Ausſprechen lange genährter Wünſche<lb/> ergreifen zu müſſen, und eine an die Stände gerichtete Adreſſe worin<lb/> das geſchah, wälzte ſich wie eine Lawine von Haus zu Haus und fand<lb/> in kürzeſter Zeit Tauſende und aber Tauſende von Unterſchriften. Dieſe<lb/> Wünſche gingen hier, wie überall wo man noch zu wünſchen hat, auf<lb/> Erleichterung der Preſſe, auf öffentliche Gerichte und auf eine conſtitu-<lb/> tionelle Verfaſſung in angemeſſenen und die Garantie der Dauer in ſich<lb/> ſchließenden Formen. Auch die Studenten wollten eine Adreſſe ähnli-<lb/> chen Jnhalts einreichen und verſammelten ſich am Sonntag im Univer-<lb/> ſitätsgebäude, um die, wie ich glaube, bereits aufgeſetzte zu unterzeich-<lb/> nen; ſie unterließen es aber, wiewohl nicht ohne Zögern und Wider-<lb/> ſtand, auf die Verſicherung eines von ihnen mit Recht hochverehrten<lb/> Lehrers daß die Profeſſoren, ſtatt ihrer, <hi rendition="#aq">in corpore</hi> mit einer der ihrigen<lb/> entſprechenden Adreſſe hervortreten und ſie unmittelbar an den Thron<lb/> richten und bringen würden. Da ich bei dieſen Vorgängen nicht anwe-<lb/> ſend war, ſo kann ich ſie nur kurz berühren. Am Montag, Morgens<lb/> um 10 Uhr, fand ich die Herrengaſſe, in der ſich das Ständehaus be-<lb/> findet, ſchon zum Erdrücken voll von Menſchen; ob die Studenten, ob die<lb/> Stände feierlich in geordneten Reihen aufgezogen find, weiß ich nicht<lb/> zu ſagen, obgleich ich mich zeitig genug einfand; das kann ich aber ver-<lb/> ſichern daß ſich nicht das Proletariat, ſondern die Bildung eingeſtellt<lb/> hatte. Jn dem ſehr geräumigen Hof des Ständehauſes, der bald von<lb/> der ſich immer mehr vergrößernden Menge überfluthet wurde, concen-<lb/> trirte ſich vornehmlich die akademiſche Jugend; aus dem Ständeſaal<lb/> ſieht man in dieſen Hof hinab, was einen unmittelbaren Verkehr zwi-<lb/> ſchen den Petitionirend-Haranguirenden von unten und den Beſchwich-<lb/> tigend-Verſprechenden von oben möglich machte. Es ging dabei her, wie<lb/> es konnte; ein Brunnenhaus ward die Tribüne der Studenten, und<lb/> der Marſchall der Stände ſprach aus einem Fenſter herab. Reden wur-<lb/> den gehalten und vorgeleſen, die Schlagworte: Preßfreiheit, öffentliches<lb/> Gerichtsverfahren, conſtitutionelle Monarchie! erſchollen und electriſir-<lb/> ten, aber die Vivats die man dem kaiſerlichen Hauſe eben ſo zahlreich<lb/> ausbrachte, begeiſterten nicht weniger. Aus der Mitte der Studiren-<lb/> den ward eine Deputation an die Stände geſchickt, die Stände ihrerſeits<lb/> ſchickten den Entwurf einer von ihnen an den Thron zu richtenden Adreſſe<lb/> herunter, dieſer ward freilich nicht genehmigt, ſogar zerriſſen, aber<lb/> Ordnung und Ruhe wurden nicht geſtört, wenn das unaufhörliche Ru-<lb/> fen nach Ordnung und Ruhe, das kaum nöthig war, nicht für eine<lb/> ſolche Störung gelten ſoll. Gegen Mittag wurde einer der Redner von den<lb/> ihn Umringenden im Triumph auf den Ballplatz vor die Staatskanzlei<lb/> getragen, wo er, in der Mitte eines Auditoriums das ſchnell zuſam-<lb/> menfloß, und dennoch ſo groß war wie der Platz ſelbſt, ſeine Rede wie-<lb/><cb/> derholte; hier ging es ſchon etwas lebhafter zu, aber von Exceſſen, ver-<lb/> ſuchten oder ausgeführten, war nicht die Rede. Bald darauf kam es<lb/> zwar im Ständehaus zu einem bedauerlichen Auftritt, jedoch nur aus<lb/> Mißverſtändniß. Ein Portier ſchloß, wie mir erzählt ward, die Thüre<lb/> welche die Deputirten der Studenten von der auf den Treppen und in den<lb/> Galerien des Gebäudes vertheilten Menge, die ihnen nachgedrungen<lb/> war, trennte; man glaubte daß ſie ihrer Freiheit beraubt worden ſeyen<lb/> und drang gewaltſam ein, wobei denn die Fenſter eingeſchlagen und die<lb/> Sitzbänke zertrümmert wurden. Das Werk der Zerſtörung dauerte<lb/> aber nicht länger als der Irrthum, und hatte keine andere Folge als daß man<lb/> ſich gegenſeitig um ſo angelegentlicher zu Ordnung und Ruhe ermahnte.<lb/> Mittlerweile oder vorher ſchon — ich weiß es nicht genau, denn ich war dem<lb/> Zug auf den Ballplatz geſolgt — hatte ſich eine Deputation der Stände<lb/> zu Sr. Maj. dem Kaiſer begeben, deren Reſultat die Studenten im Stän-<lb/> dehauſe abwarten wollten. Bis dahin war von Polizei nichts zu er-<lb/> blicken geweſen, was einen ſehr günſtigen Eindruck hervorgebracht und<lb/> als ein Zeichen des Vertrauens lebhafte Anerkennung gefunden hatte;<lb/> jetzt aber fing das Militär an ſich auszubreiten. Es entſtanden auf der<lb/> Straße zwiſchen dem Volk und den Truppen Reibungen, wie ſie ſelbſt<lb/> bei feſtlichen Gelegenheiten nur ſelten auszubleiben pflegen, ſie ſteigerten<lb/> ſich allmählich, erreichten aber, ſo weit ich, der ich faſt immer ein ſehr<lb/> naher Augenzeuge war, urtheilen konnte, keineswegs einen Grad, der<lb/> erwarten ließ was um 3 Uhr geſchah. Um dieſe Zeit wurde nämlich,<lb/> als ich, das Ständehaus verlaſſend und noch die letzte Studenten-Ermah-<lb/> nung zur Ruhe in den Ohren, wieder heraustrat, eine Salve gegeben,<lb/> von der hart neben mir ein Menſch fiel. Nun gab es allerdings einen<lb/> wilden Tumult, man zerſtreute ſich durch die ganze Stadt, alle Straßen<lb/> füllten ſich, es kam noch an mehreren Plätzen zu blutigen Auftritten, von<lb/> denen ich nicht weiß ob ſie mehr durch die äußerſte Noth herbeigeführt<lb/> wurden wie jener erſte, das Militär erſchien in Maſſen, Kanonen wur-<lb/> den aufgefahren, die Thore geſchloſſen. Da ich in einer Vorſtadt wohne,<lb/> und ein Gerücht das ſich raſch verbreitete, mich zu den Todten zählte, ſo<lb/> eilte ich auf einen Moment zu den meinigen, wurde aber, zurückkehrend,<lb/> nicht wieder in die Stadt gelaſſen. Ich fand draußen auch genug zu<lb/> thun, die Aufregung war hier faſt noch größer als drinnen, und theilte<lb/> ſich den allerunterſten Claſſen mit; Brandſtifter, Räuber und Plünderer<lb/> tauchten auf mit Einbruch der Nacht, es gab beſonders vor der Maria-<lb/> hilfer-Linie, in Gumpendorf und Fünfhaus ſchreckliche Scenen. Jn der<lb/> Stadt ſchien es dagegen heiter herzugehen; ſie wurde illuminirt; ich<lb/> konnte nicht erfahren warum. Am nächſten Morgen hörte ich, es ſey<lb/> geſchehen weil, wie bekannt geworden war, der Fürſt Metternich ſein Amt<lb/> als Staatskanzler niedergelegt habe, welche Nachricht denn auch die<lb/> Wiener Zeitung officiell publicirte. Dieſen Tag, den 14, nahm die<lb/> Volksbewegung noch mehr wie den Tag zuvor den Charakter einer all-<lb/> gemeinen an; mit ihr ſtieg auch die Bereitwilligkeit des Kaiſers ſie durch<lb/> Eingehen in die Wünſche ſo vieler Tauſende zu beſchwichtigen. Die Er-<lb/> richtung einer Nationalgarde, einſtweilen freilich auf die Reſidenz be-<lb/> ſchränkt, unter Garantien wie ſie „der Beſitz und die Intelligenz„ darbie-<lb/> ten, war ſchon vorgeſtern ſpät Abends auf den Antrag des Magiſtrats<lb/> geſtattet worden; ſie trat gleich am Morgen ins Leben. Die Aufhe-<lb/> bung der Cenſur wurde demnächſt ausgeſprochen und die alsbaldige Ver-<lb/> öffentlichung eines Preßgeſetzes in Ausſicht geſtellt; die Zuſammenbe-<lb/> rufung von berathenden Provinzialſtänden ſämmtlicher Provinzen mit<lb/> Ausnahme Ungarns iſt ebenfalls bereits auf den 3 Jul. feſtgeſetzt. Das<lb/> ſind Errungenſchaften, denen gegenüber ſich jede Aufregung legt und le-<lb/> gen muß. Wenn daher heute, am dritten dieſer drei großen Wiener<lb/> Tage, der ausgetretene Strom noch nicht ganz in ſein Bett zurückgekehrt<lb/> iſt, ſo wird er es doch ſicher morgen thun, und das Militär, das jetzt noch<lb/> auf dem Glacis vor meinen Fenſtern campirt und bivouakirt, wird ohne<lb/> Zweifel allernächſtens in ſeine Caſernen heimziehen. Wie man geſtern<lb/> das Standbild Kaiſer Joſephs bekränzte, hat man heute Mittag Kaiſer<lb/> Ferdinand, als er ſich öffentlich zeigte, jubelnd begrüßt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>✡ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 15 März.</dateline><lb/> <p>Mein geſtriger Bericht reichte bis gegen<lb/> die Morgenſtunden des 14. Die Stadt und die Vorſtädte waren, wie<lb/> ich Ihnen meldete, ziemlich ruhig; zahlreiche Studentenpatrouillen<lb/> durchſtreiften ſie in allen Richtungen, und das Univerſitätsgebäude glich<lb/> einem großen Lager. Gegen 7 Uhr ſchon war alles auf den Beinen;<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 19 März 1848.
Die Ereigniſſe in Wien.|
H Wien, 15 März.
Ich ſchreibe Ihnen aus einem Zimmer,
das die Ausſicht auf ein Lager darbietet, und vor mir liegt das Extra-
Blatt der Wiener Zeitung, welches die Aufhebung der Cenſur, die
in nächſter Ausſicht ſtehende Veröffentlichung eines Preßgeſetzes und
die Errichtung einer Nationalgarde für die Reſidenz proclamirt. Hier-
aus ſchließen Sie ſchon daß die letzten Tage für Wien und den Staat
deſſen Mittelpunkt Wien bildet, ereignißvoll geweſen ſind. Sie waren
es im höchſten Grade, und da die mir bekannten gewöhnlichen Cor-
reſpondenten Ihrer Zeitung, geborne Oeſterreicher, bereits als National-
gardiſten unter den Waffen ſtehen, und dadurch, wie mir einer derſelben
eben ſagte, verhindert find Ihnen zu ſchreiben, *) ſo ergreife ich, der
Ausländer oder vielmehr nur der Nicht-Oeſterreicher, der durch geſetz-
liche Verfügung von dieſer Ehre ausgeſchloſſen iſt, ſtatt ihrer die Feder.
Ich beſchränke mich bei meiner Darſtellung auf dasjenige was ich ver-
bürgen kann; andere Mittheilungen mögen und werden die meinigen
ergänzen. Auf Montag, den 13 d. M., waren die niederöſterreichiſchen
Stände einberufen, von deren dießjähriger Wirkſamkeit die Partei des
Fortſchritts ſchon vor dem Sturz der Julius-Dynaſtie große Erwartun-
gen gehegt hatte, und nach demſelben natürlich keine geringeren zu hegen
anfing. Vornehmlich war es die akademiſche Jugend die auf die Stände
ihre Hoffnung ſetzte; aber auch die Bürgerſchaft glaubte den Moment
ihres Zuſammentretens für das Ausſprechen lange genährter Wünſche
ergreifen zu müſſen, und eine an die Stände gerichtete Adreſſe worin
das geſchah, wälzte ſich wie eine Lawine von Haus zu Haus und fand
in kürzeſter Zeit Tauſende und aber Tauſende von Unterſchriften. Dieſe
Wünſche gingen hier, wie überall wo man noch zu wünſchen hat, auf
Erleichterung der Preſſe, auf öffentliche Gerichte und auf eine conſtitu-
tionelle Verfaſſung in angemeſſenen und die Garantie der Dauer in ſich
ſchließenden Formen. Auch die Studenten wollten eine Adreſſe ähnli-
chen Jnhalts einreichen und verſammelten ſich am Sonntag im Univer-
ſitätsgebäude, um die, wie ich glaube, bereits aufgeſetzte zu unterzeich-
nen; ſie unterließen es aber, wiewohl nicht ohne Zögern und Wider-
ſtand, auf die Verſicherung eines von ihnen mit Recht hochverehrten
Lehrers daß die Profeſſoren, ſtatt ihrer, in corpore mit einer der ihrigen
entſprechenden Adreſſe hervortreten und ſie unmittelbar an den Thron
richten und bringen würden. Da ich bei dieſen Vorgängen nicht anwe-
ſend war, ſo kann ich ſie nur kurz berühren. Am Montag, Morgens
um 10 Uhr, fand ich die Herrengaſſe, in der ſich das Ständehaus be-
findet, ſchon zum Erdrücken voll von Menſchen; ob die Studenten, ob die
Stände feierlich in geordneten Reihen aufgezogen find, weiß ich nicht
zu ſagen, obgleich ich mich zeitig genug einfand; das kann ich aber ver-
ſichern daß ſich nicht das Proletariat, ſondern die Bildung eingeſtellt
hatte. Jn dem ſehr geräumigen Hof des Ständehauſes, der bald von
der ſich immer mehr vergrößernden Menge überfluthet wurde, concen-
trirte ſich vornehmlich die akademiſche Jugend; aus dem Ständeſaal
ſieht man in dieſen Hof hinab, was einen unmittelbaren Verkehr zwi-
ſchen den Petitionirend-Haranguirenden von unten und den Beſchwich-
tigend-Verſprechenden von oben möglich machte. Es ging dabei her, wie
es konnte; ein Brunnenhaus ward die Tribüne der Studenten, und
der Marſchall der Stände ſprach aus einem Fenſter herab. Reden wur-
den gehalten und vorgeleſen, die Schlagworte: Preßfreiheit, öffentliches
Gerichtsverfahren, conſtitutionelle Monarchie! erſchollen und electriſir-
ten, aber die Vivats die man dem kaiſerlichen Hauſe eben ſo zahlreich
ausbrachte, begeiſterten nicht weniger. Aus der Mitte der Studiren-
den ward eine Deputation an die Stände geſchickt, die Stände ihrerſeits
ſchickten den Entwurf einer von ihnen an den Thron zu richtenden Adreſſe
herunter, dieſer ward freilich nicht genehmigt, ſogar zerriſſen, aber
Ordnung und Ruhe wurden nicht geſtört, wenn das unaufhörliche Ru-
fen nach Ordnung und Ruhe, das kaum nöthig war, nicht für eine
ſolche Störung gelten ſoll. Gegen Mittag wurde einer der Redner von den
ihn Umringenden im Triumph auf den Ballplatz vor die Staatskanzlei
getragen, wo er, in der Mitte eines Auditoriums das ſchnell zuſam-
menfloß, und dennoch ſo groß war wie der Platz ſelbſt, ſeine Rede wie-
derholte; hier ging es ſchon etwas lebhafter zu, aber von Exceſſen, ver-
ſuchten oder ausgeführten, war nicht die Rede. Bald darauf kam es
zwar im Ständehaus zu einem bedauerlichen Auftritt, jedoch nur aus
Mißverſtändniß. Ein Portier ſchloß, wie mir erzählt ward, die Thüre
welche die Deputirten der Studenten von der auf den Treppen und in den
Galerien des Gebäudes vertheilten Menge, die ihnen nachgedrungen
war, trennte; man glaubte daß ſie ihrer Freiheit beraubt worden ſeyen
und drang gewaltſam ein, wobei denn die Fenſter eingeſchlagen und die
Sitzbänke zertrümmert wurden. Das Werk der Zerſtörung dauerte
aber nicht länger als der Irrthum, und hatte keine andere Folge als daß man
ſich gegenſeitig um ſo angelegentlicher zu Ordnung und Ruhe ermahnte.
Mittlerweile oder vorher ſchon — ich weiß es nicht genau, denn ich war dem
Zug auf den Ballplatz geſolgt — hatte ſich eine Deputation der Stände
zu Sr. Maj. dem Kaiſer begeben, deren Reſultat die Studenten im Stän-
dehauſe abwarten wollten. Bis dahin war von Polizei nichts zu er-
blicken geweſen, was einen ſehr günſtigen Eindruck hervorgebracht und
als ein Zeichen des Vertrauens lebhafte Anerkennung gefunden hatte;
jetzt aber fing das Militär an ſich auszubreiten. Es entſtanden auf der
Straße zwiſchen dem Volk und den Truppen Reibungen, wie ſie ſelbſt
bei feſtlichen Gelegenheiten nur ſelten auszubleiben pflegen, ſie ſteigerten
ſich allmählich, erreichten aber, ſo weit ich, der ich faſt immer ein ſehr
naher Augenzeuge war, urtheilen konnte, keineswegs einen Grad, der
erwarten ließ was um 3 Uhr geſchah. Um dieſe Zeit wurde nämlich,
als ich, das Ständehaus verlaſſend und noch die letzte Studenten-Ermah-
nung zur Ruhe in den Ohren, wieder heraustrat, eine Salve gegeben,
von der hart neben mir ein Menſch fiel. Nun gab es allerdings einen
wilden Tumult, man zerſtreute ſich durch die ganze Stadt, alle Straßen
füllten ſich, es kam noch an mehreren Plätzen zu blutigen Auftritten, von
denen ich nicht weiß ob ſie mehr durch die äußerſte Noth herbeigeführt
wurden wie jener erſte, das Militär erſchien in Maſſen, Kanonen wur-
den aufgefahren, die Thore geſchloſſen. Da ich in einer Vorſtadt wohne,
und ein Gerücht das ſich raſch verbreitete, mich zu den Todten zählte, ſo
eilte ich auf einen Moment zu den meinigen, wurde aber, zurückkehrend,
nicht wieder in die Stadt gelaſſen. Ich fand draußen auch genug zu
thun, die Aufregung war hier faſt noch größer als drinnen, und theilte
ſich den allerunterſten Claſſen mit; Brandſtifter, Räuber und Plünderer
tauchten auf mit Einbruch der Nacht, es gab beſonders vor der Maria-
hilfer-Linie, in Gumpendorf und Fünfhaus ſchreckliche Scenen. Jn der
Stadt ſchien es dagegen heiter herzugehen; ſie wurde illuminirt; ich
konnte nicht erfahren warum. Am nächſten Morgen hörte ich, es ſey
geſchehen weil, wie bekannt geworden war, der Fürſt Metternich ſein Amt
als Staatskanzler niedergelegt habe, welche Nachricht denn auch die
Wiener Zeitung officiell publicirte. Dieſen Tag, den 14, nahm die
Volksbewegung noch mehr wie den Tag zuvor den Charakter einer all-
gemeinen an; mit ihr ſtieg auch die Bereitwilligkeit des Kaiſers ſie durch
Eingehen in die Wünſche ſo vieler Tauſende zu beſchwichtigen. Die Er-
richtung einer Nationalgarde, einſtweilen freilich auf die Reſidenz be-
ſchränkt, unter Garantien wie ſie „der Beſitz und die Intelligenz„ darbie-
ten, war ſchon vorgeſtern ſpät Abends auf den Antrag des Magiſtrats
geſtattet worden; ſie trat gleich am Morgen ins Leben. Die Aufhe-
bung der Cenſur wurde demnächſt ausgeſprochen und die alsbaldige Ver-
öffentlichung eines Preßgeſetzes in Ausſicht geſtellt; die Zuſammenbe-
rufung von berathenden Provinzialſtänden ſämmtlicher Provinzen mit
Ausnahme Ungarns iſt ebenfalls bereits auf den 3 Jul. feſtgeſetzt. Das
ſind Errungenſchaften, denen gegenüber ſich jede Aufregung legt und le-
gen muß. Wenn daher heute, am dritten dieſer drei großen Wiener
Tage, der ausgetretene Strom noch nicht ganz in ſein Bett zurückgekehrt
iſt, ſo wird er es doch ſicher morgen thun, und das Militär, das jetzt noch
auf dem Glacis vor meinen Fenſtern campirt und bivouakirt, wird ohne
Zweifel allernächſtens in ſeine Caſernen heimziehen. Wie man geſtern
das Standbild Kaiſer Joſephs bekränzte, hat man heute Mittag Kaiſer
Ferdinand, als er ſich öffentlich zeigte, jubelnd begrüßt.
✡ Wien, 15 März.
Mein geſtriger Bericht reichte bis gegen
die Morgenſtunden des 14. Die Stadt und die Vorſtädte waren, wie
ich Ihnen meldete, ziemlich ruhig; zahlreiche Studentenpatrouillen
durchſtreiften ſie in allen Richtungen, und das Univerſitätsgebäude glich
einem großen Lager. Gegen 7 Uhr ſchon war alles auf den Beinen;
*) Wir erhielten vorgeſtern 17, geſtern 11, heute 13 Briefe aus Wien,
ſind aber für den vorliegenden ſo dankbar wie für die übrigen.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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