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Allgemeine Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848.

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[Spaltenumbruch] sämmtliche Posten von der Bürgergarde und den Studenten besetzt
werden sollen. 11 Uhr. Die bewaffneten Studenten mit den Bürger-
garden und anderen bewaffneten Bürgern ziehen in die k. k. Hofburg.
Das Militär welches die Zugänge besetzt hält, öffnet ihnen die Reihen
um sie passiren zu lassen. Das Volk jubelt ihnen entgegen. 12 Uhr.
Von allen Seiten schmücken sich die Studenten mit weißen Bändern und
überall wo sie vorbeiziehen wirft man ihnen aus den Fenstern Bänder
und Schleifen zu. Der Enthusiasmus ist unbeschreiblich. 11/2 Uhr
Nachmittag.
Aus dem Munde eines ständischen Deputirten erfuhr
ich soeben daß der Kaiser die Errichtung einer Nationalgarde unter dem
Commando des ständischen Deputirten Grafen Hoyos (Vater) bewilligt
hat, daß der Erzherzog Albrecht als General- und Stadtcommandant
von Wien durch den Fürsten Windischgrätz ersetzt und daß der Oberst-
landmarschall Graf Montecuculi an die Stelle des Fürsten Metternich
treten soll. Andere bezeichnen den wenig beliebten Grafen Fiquelmont,
wieder andere den Grafen Colloredo als den Nachfolger für das Mini-
sterium des Auswärtigen. Der sreisinnige Vicekanzler Baron Pillers-
dorf wird als Nachfolger des Grafen Sedlnitzky und Hr. v. Arthaber,
ein allgemein geachteter Bürger und Kaufmann, an die Stelle des Bür-
germeisters Czapka, gegen welchen sich in der letzten Zeit die öffentliche
Meinung besonders stark aussprach, genannt. 3 Uhr Nachmittags.
Es heißt daß auch die Bewilligung der Preßfreiheit und noch andere
Concessionen im Zuge sind. Soeben|durchziehen die bewaffneten Studenten
mit Fahnen auf welchen "Preßfreiheit" zu lesen ist die Straßen unter
dem jubelnden Zuruf der sie begleitenden Bevölkerung. Jn den Vor-
städten soll es noch immer heiß hergehen. Der Pöbel zündet und plün-
dert. Leider muß die bewaffnete Macht hier energischer eintreten und
es soll bereits viel Blut geflossen seyn. An der Taborlinie wie an
der Favoritenlinie und Mariahilferlinie wurden die Zollhäuser zer-
stört, mehrere Fabrikgebäude theils eingeäschert, theils geplün-
dert. Aus der Umgegend Wiens sollen mehrere Regimenter eiligst herbei-
gezogen werden und zum Theil auch schon im Anzuge seyn. An den Bahn-
höfen der Nord- und Südbahn soll Geschütz aufgestellt seyn um einen et-
waigen gewaltsamen Versuch die Comunication abzuschneiden zu verhin-
dern. Halb 4 Uhr. So eben wird eine gedruckte Kundmachung zur
Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und der Qrdnung auf den Stra-
ßen verlesen. Das Volk benimmt sich im Innern der Stadt ruhig, allein
die Ruhe scheint doch noch nicht hergestellt. Von der Straße tönt der
Ruf nach Preßfreiheit herauf -- die Studenten ziehen unter dem Wir-
beln der Trommeln und den Vivats der Bevölkerung von einem Punkte
der Stadt zum andern, überall zur Ruhe mahnend. Vier Uhr. Der
Erzherzog Albrecht hat die Stadt verlassen. Man bezeichnet ihn als die
erste unglückselige Veranlassung zum gestrigen Feuern auf das Volk da
er unvermuthet ins Gedränge kam, und, wie man sagt, den Befehl zum
Schießen gab. Aber vorzüglich groß ist die Erbitterung gegen jene
Polizeisoldaten welche gestern Abends aus den Fenstern der Polizeidirec-
tion auf das Volk schossen, wobei drei Personen getödtet und einige
verwundet wurden. So eben erschallt es jubelnd von der Straße herauf
daß der Kaiser auch Preßfreiheit bewilligt habe. Ich kann Ihnen das
Nähere darüber für heute nicht mehr mittheilen da der Abgang der
Post drängt. Jedenfalls werden dadurch die Wünsche eines treuen bie-
deren Volkes erfüllt, und es ist nicht zu zweifeln daß nunmehr die Ruhe
nicht weiter gestört werden wird. Eine Volksmenge von etwa 20,000
Menschen, die Bürgergarden, die bewaffneten Studenten jubeln in die-
sem Augenblick auf dem Platze vor der Hofburg. So feiert denn die
Bevölkerung Wiens einen Sieg, der es um so inniger an seinen ange-
stammten Herrscher fesselt. Die Stände, die Studenten und die wackern
Bürger Wiens haben ein großes Werk vollbracht.

Frankreich.

Die officielle Darlegung des Zustandes der
Finanzen und die Maßregeln welche darauf begründet sind, haben nicht
zur Wiederherstellung des Vertrauens geführt, obgleich der Minister
nichts gethan hat als was in der Natur der Sache lag. Das Unterbre-
chen des Tilgungsfonds war unvermeidlich, und es war nichts als ein
finanzieller Hocuspocus daß die letzte Regierung ihn beibehielt, während
sie alle Jahre neue Schulden machte; das englische System nur abzulö-
sen wenn das finanzielle Jahr einen Ueberschuß läßt ist einfacher, ehr-
licher und wohlfeiler, daher hat auch die Unterbrechung hier kein Be-
dauern erregt, um so mehr als die Nothwendigkeit der Maßregel voll-
kommen begründer war, wenn man nicht alle öffentlichen Arbeiten ein-
stellen wollte. Die Schwierigkeiten die man der Bezahlung der Summen
[Spaltenumbruch] in den Sparcassen entgegensetzt, sind eine viel bedauernswerthere Maß-
regel, indem sie nothwendig jede Einzahlung künftig hindern werden;
allein das wußte jedermann daß bei einem panischen Schrecken wie
gegenwärtig, dem Staat, wie auch seine Verfassung seyn mochte, im-
mer unmöglich seyn mußte, plötzlich 3 bis 400 Mill. Fr. zu bezahlen.
Es liegt in der Natur der Sache daß er dieses Geld nicht daliegen lassen
durfte wenn er Zinsen daraus bezahlen sollte, und daß er auf einmal,
besonders in der Mitte einer solchen Erschütterung aller Verhältnisse,
die Capitalien, auf welche Art er sie auch angelegt oder verwendet haben
mochte, nicht plötzlich realisiren konnte. Wie groß die Unruhe hier ist
kann man leicht daraus abnehmen daß 1000 Fr. Gold noch heute
65 Fr. Agio bezahlten, während gewöhnlich das Gold auf 9 bis 11 Fr.
steht. Dieß kommt einzig von dem panischen Schrecken her welcher ver-
ursacht daß viele um jeden Preis Gold haben wollen, um auf äußerste
Fälle bereit zu seyn, nicht weil man die Guillotine und den Terrorismus
der ersten Republik fürchtet, zu denen die Zeiten nicht mehr find, sondern
weil man vor dem ganz Unbekannten steht. Aber diese Furcht bringt
durch ihre eigenen Wirkungen hervor was ohne sie nicht existiren würde,
und was ihr Grund schien ist eigentlich ihre Folge. Sie lähmt alles,
und hat die Suspension von Gouin, Laffitte, Baudon und andern Dis-
contirhäusern hervorgebracht, welche ihrerseits den ganzen Handel und die
Fabrication von Paris plötzlich unmöglich macht, und die Finanzschwie-
rigkeiten der Regierung aufs äußerste vermehrt. Man sagt, der Plan
des Finanzministers sey die Besoldungen temporär herabzusetzen, wie im
Jahr 1816 in Form einer Kriegssteuer geschehen ist. Diesem wird sich
jedermann ohne Schwierigkeit unterwerfen, aber die Maßregel kann
nicht definitiv seyn, indem die Stellen hier im allgemeinen eher zu schlecht
bezahlt sind als zu gut, und dieß hat der Finanzminister selbst anerkannt,
indem er erklärt daß die Republik wenigere aber verhältnißmäßig be-
zahlte Beamte wolle. Es war der große Fehler der letzten Regierung
daß sie die Zahl der Stellen ins unendliche vermehrte, und auf diese Art
jährlich den Ueberschuß der Steuern versplitterte, den sie zu Herabsetzung
drückender Lasten hätte verwenden sollen. Man will die Unterpräfec-
turen abschaffen, und die Zahl der Schreiber aller Classen in den Bureaux
aller Ministerien beträchtlich vermindern; aber es gibt doch nur zwei
Maßregeln welche eine sehr beträchtliche Ersparniß im Budget geben
könnten: die Verminderung der Armee und die Ausbreitung municipa-
ler Jnstitutionen. Die erste könnte ohne Schwierigkeit geschehen, indem
niemand daran denken kann Frankreich anzugreifen, und die zweite ist
durchaus nothwendig wenn die Republik dauern soll, indem sie offenbar
nicht auf einer administrativen Centralisation beruhen kann, wie sie das
Kaiserthum eingeführt und die zwei königlichen Dynastien seitdem bei-
behalten und ausgedehnt haben. Aber bis jetzt sieht man kein Zeichen
das darauf hindeutet daß man an das eine oder das andere denkt, ob-
gleich es jetzt, wo die politischen Schwierigkeiten noch nicht begonnen
haben, leicht und vortheilhaft gewesen wäre beides wenigstens im Prin-
cip anzukündigen und die Ausführung vorzubereiten. Wird von der Na-
tionalversammlung ein ordnender Geist ausfließen der im Stande wäre
den unklaren Jdeen der Nation eine Richtung zu geben? Denn es muß
viel, schnell und mit einer sichern Hand geschehen.


Die Nachrichten aus Lyon bessern sich
einstweilen hat die Regierung einen ihrer bewährtesten Anhänger, Tre-
lat, Arzt an dem Hospital La Salpetriere, dahin geschickt. Der Minister
des Innern, Ledru-Rollin, läßt für alle Gemeinden der Republik eine
Zeitung drucken die in Form eines Maueranschlags erscheint und in gro-
ßer Zahl unentgeltlich vertheilt wird. Heute wird die erste Nummer
versandt, die einen kurzen Rückblick auf die Regierung Ludwig Philipps
und eine Belehrung über das Wesen der Republik enthält. Unter der
Caricaturen begegneten wir heute auf dem Kai einer die den Schlußvers
des schönen Gedichts von Beranger "Nostradamus" versinnlicht. Nostra-
damus, ein schlechter Rechen meister wie sich jetzt zeigt, verkündigt daß
im Jahr 2000 der letzte König von Frankreich um öffentliche Almoser
flehen, und die Republik ihn, wenn er sich gut aufführt, zum Maire von
St. Cloud ernennen wird. Auf der Caricatur, von der ich spreche, sitz
Ludwig Philipp mit ziemlich langen Ohren, den Hut zwischen den Knier
haltend, und unten liest man: Faites l'aumone au dernier de vos
rois!
Damit die Anwendung und der Sinn des Bildes vollständig seyen
steht Guizot, auf einer Geige spielend, neben dem blinden König und
dieser ruht auf einem Haufen gefüllter Geldsäcke.


Die Unterhandlungen der provisorischer
Regierung mit dem General Lamoriciere um denselben für die Ueber-

[Spaltenumbruch] ſämmtliche Poſten von der Bürgergarde und den Studenten beſetzt
werden ſollen. 11 Uhr. Die bewaffneten Studenten mit den Bürger-
garden und anderen bewaffneten Bürgern ziehen in die k. k. Hofburg.
Das Militär welches die Zugänge beſetzt hält, öffnet ihnen die Reihen
um ſie paſſiren zu laſſen. Das Volk jubelt ihnen entgegen. 12 Uhr.
Von allen Seiten ſchmücken ſich die Studenten mit weißen Bändern und
überall wo ſie vorbeiziehen wirft man ihnen aus den Fenſtern Bänder
und Schleifen zu. Der Enthuſiasmus iſt unbeſchreiblich. 1½ Uhr
Nachmittag.
Aus dem Munde eines ſtändiſchen Deputirten erfuhr
ich ſoeben daß der Kaiſer die Errichtung einer Nationalgarde unter dem
Commando des ſtändiſchen Deputirten Grafen Hoyos (Vater) bewilligt
hat, daß der Erzherzog Albrecht als General- und Stadtcommandant
von Wien durch den Fürſten Windiſchgrätz erſetzt und daß der Oberſt-
landmarſchall Graf Montecuculi an die Stelle des Fürſten Metternich
treten ſoll. Andere bezeichnen den wenig beliebten Grafen Fiquelmont,
wieder andere den Grafen Colloredo als den Nachfolger für das Mini-
ſterium des Auswärtigen. Der ſreiſinnige Vicekanzler Baron Pillers-
dorf wird als Nachfolger des Grafen Sedlnitzky und Hr. v. Arthaber,
ein allgemein geachteter Bürger und Kaufmann, an die Stelle des Bür-
germeiſters Czapka, gegen welchen ſich in der letzten Zeit die öffentliche
Meinung beſonders ſtark ausſprach, genannt. 3 Uhr Nachmittags.
Es heißt daß auch die Bewilligung der Preßfreiheit und noch andere
Conceſſionen im Zuge ſind. Soeben|durchziehen die bewaffneten Studenten
mit Fahnen auf welchen „Preßfreiheit“ zu leſen iſt die Straßen unter
dem jubelnden Zuruf der ſie begleitenden Bevölkerung. Jn den Vor-
ſtädten ſoll es noch immer heiß hergehen. Der Pöbel zündet und plün-
dert. Leider muß die bewaffnete Macht hier energiſcher eintreten und
es ſoll bereits viel Blut gefloſſen ſeyn. An der Taborlinie wie an
der Favoritenlinie und Mariahilferlinie wurden die Zollhäuſer zer-
ſtört, mehrere Fabrikgebäude theils eingeäſchert, theils geplün-
dert. Aus der Umgegend Wiens ſollen mehrere Regimenter eiligſt herbei-
gezogen werden und zum Theil auch ſchon im Anzuge ſeyn. An den Bahn-
höfen der Nord- und Südbahn ſoll Geſchütz aufgeſtellt ſeyn um einen et-
waigen gewaltſamen Verſuch die Comunication abzuſchneiden zu verhin-
dern. Halb 4 Uhr. So eben wird eine gedruckte Kundmachung zur
Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und der Qrdnung auf den Stra-
ßen verleſen. Das Volk benimmt ſich im Innern der Stadt ruhig, allein
die Ruhe ſcheint doch noch nicht hergeſtellt. Von der Straße tönt der
Ruf nach Preßfreiheit herauf — die Studenten ziehen unter dem Wir-
beln der Trommeln und den Vivats der Bevölkerung von einem Punkte
der Stadt zum andern, überall zur Ruhe mahnend. Vier Uhr. Der
Erzherzog Albrecht hat die Stadt verlaſſen. Man bezeichnet ihn als die
erſte unglückſelige Veranlaſſung zum geſtrigen Feuern auf das Volk da
er unvermuthet ins Gedränge kam, und, wie man ſagt, den Befehl zum
Schießen gab. Aber vorzüglich groß iſt die Erbitterung gegen jene
Polizeiſoldaten welche geſtern Abends aus den Fenſtern der Polizeidirec-
tion auf das Volk ſchoſſen, wobei drei Perſonen getödtet und einige
verwundet wurden. So eben erſchallt es jubelnd von der Straße herauf
daß der Kaiſer auch Preßfreiheit bewilligt habe. Ich kann Ihnen das
Nähere darüber für heute nicht mehr mittheilen da der Abgang der
Poſt drängt. Jedenfalls werden dadurch die Wünſche eines treuen bie-
deren Volkes erfüllt, und es iſt nicht zu zweifeln daß nunmehr die Ruhe
nicht weiter geſtört werden wird. Eine Volksmenge von etwa 20,000
Menſchen, die Bürgergarden, die bewaffneten Studenten jubeln in die-
ſem Augenblick auf dem Platze vor der Hofburg. So feiert denn die
Bevölkerung Wiens einen Sieg, der es um ſo inniger an ſeinen ange-
ſtammten Herrſcher feſſelt. Die Stände, die Studenten und die wackern
Bürger Wiens haben ein großes Werk vollbracht.

Frankreich.

Die officielle Darlegung des Zuſtandes der
Finanzen und die Maßregeln welche darauf begründet ſind, haben nicht
zur Wiederherſtellung des Vertrauens geführt, obgleich der Miniſter
nichts gethan hat als was in der Natur der Sache lag. Das Unterbre-
chen des Tilgungsfonds war unvermeidlich, und es war nichts als ein
finanzieller Hocuspocus daß die letzte Regierung ihn beibehielt, während
ſie alle Jahre neue Schulden machte; das engliſche Syſtem nur abzulö-
ſen wenn das finanzielle Jahr einen Ueberſchuß läßt iſt einfacher, ehr-
licher und wohlfeiler, daher hat auch die Unterbrechung hier kein Be-
dauern erregt, um ſo mehr als die Nothwendigkeit der Maßregel voll-
kommen begründer war, wenn man nicht alle öffentlichen Arbeiten ein-
ſtellen wollte. Die Schwierigkeiten die man der Bezahlung der Summen
[Spaltenumbruch] in den Sparcaſſen entgegenſetzt, ſind eine viel bedauernswerthere Maß-
regel, indem ſie nothwendig jede Einzahlung künftig hindern werden;
allein das wußte jedermann daß bei einem paniſchen Schrecken wie
gegenwärtig, dem Staat, wie auch ſeine Verfaſſung ſeyn mochte, im-
mer unmöglich ſeyn mußte, plötzlich 3 bis 400 Mill. Fr. zu bezahlen.
Es liegt in der Natur der Sache daß er dieſes Geld nicht daliegen laſſen
durfte wenn er Zinſen daraus bezahlen ſollte, und daß er auf einmal,
beſonders in der Mitte einer ſolchen Erſchütterung aller Verhältniſſe,
die Capitalien, auf welche Art er ſie auch angelegt oder verwendet haben
mochte, nicht plötzlich realiſiren konnte. Wie groß die Unruhe hier iſt
kann man leicht daraus abnehmen daß 1000 Fr. Gold noch heute
65 Fr. Agio bezahlten, während gewöhnlich das Gold auf 9 bis 11 Fr.
ſteht. Dieß kommt einzig von dem paniſchen Schrecken her welcher ver-
urſacht daß viele um jeden Preis Gold haben wollen, um auf äußerſte
Fälle bereit zu ſeyn, nicht weil man die Guillotine und den Terrorismus
der erſten Republik fürchtet, zu denen die Zeiten nicht mehr find, ſondern
weil man vor dem ganz Unbekannten ſteht. Aber dieſe Furcht bringt
durch ihre eigenen Wirkungen hervor was ohne ſie nicht exiſtiren würde,
und was ihr Grund ſchien iſt eigentlich ihre Folge. Sie lähmt alles,
und hat die Suspenſion von Gouin, Laffitte, Baudon und andern Dis-
contirhäuſern hervorgebracht, welche ihrerſeits den ganzen Handel und die
Fabrication von Paris plötzlich unmöglich macht, und die Finanzſchwie-
rigkeiten der Regierung aufs äußerſte vermehrt. Man ſagt, der Plan
des Finanzminiſters ſey die Beſoldungen temporär herabzuſetzen, wie im
Jahr 1816 in Form einer Kriegsſteuer geſchehen iſt. Dieſem wird ſich
jedermann ohne Schwierigkeit unterwerfen, aber die Maßregel kann
nicht definitiv ſeyn, indem die Stellen hier im allgemeinen eher zu ſchlecht
bezahlt ſind als zu gut, und dieß hat der Finanzminiſter ſelbſt anerkannt,
indem er erklärt daß die Republik wenigere aber verhältnißmäßig be-
zahlte Beamte wolle. Es war der große Fehler der letzten Regierung
daß ſie die Zahl der Stellen ins unendliche vermehrte, und auf dieſe Art
jährlich den Ueberſchuß der Steuern verſplitterte, den ſie zu Herabſetzung
drückender Laſten hätte verwenden ſollen. Man will die Unterpräfec-
turen abſchaffen, und die Zahl der Schreiber aller Claſſen in den Bureaux
aller Miniſterien beträchtlich vermindern; aber es gibt doch nur zwei
Maßregeln welche eine ſehr beträchtliche Erſparniß im Budget geben
könnten: die Verminderung der Armee und die Ausbreitung municipa-
ler Jnſtitutionen. Die erſte könnte ohne Schwierigkeit geſchehen, indem
niemand daran denken kann Frankreich anzugreifen, und die zweite iſt
durchaus nothwendig wenn die Republik dauern ſoll, indem ſie offenbar
nicht auf einer adminiſtrativen Centraliſation beruhen kann, wie ſie das
Kaiſerthum eingeführt und die zwei königlichen Dynaſtien ſeitdem bei-
behalten und ausgedehnt haben. Aber bis jetzt ſieht man kein Zeichen
das darauf hindeutet daß man an das eine oder das andere denkt, ob-
gleich es jetzt, wo die politiſchen Schwierigkeiten noch nicht begonnen
haben, leicht und vortheilhaft geweſen wäre beides wenigſtens im Prin-
cip anzukündigen und die Ausführung vorzubereiten. Wird von der Na-
tionalverſammlung ein ordnender Geiſt ausfließen der im Stande wäre
den unklaren Jdeen der Nation eine Richtung zu geben? Denn es muß
viel, ſchnell und mit einer ſichern Hand geſchehen.


Die Nachrichten aus Lyon beſſern ſich
einſtweilen hat die Regierung einen ihrer bewährteſten Anhänger, Tré-
lat, Arzt an dem Hoſpital La Salpétriére, dahin geſchickt. Der Miniſter
des Innern, Ledru-Rollin, läßt für alle Gemeinden der Republik eine
Zeitung drucken die in Form eines Maueranſchlags erſcheint und in gro-
ßer Zahl unentgeltlich vertheilt wird. Heute wird die erſte Nummer
verſandt, die einen kurzen Rückblick auf die Regierung Ludwig Philipps
und eine Belehrung über das Weſen der Republik enthält. Unter der
Caricaturen begegneten wir heute auf dem Kai einer die den Schlußvers
des ſchönen Gedichts von Béranger „Noſtradamus“ verſinnlicht. Noſtra-
damus, ein ſchlechter Rechen meiſter wie ſich jetzt zeigt, verkündigt daß
im Jahr 2000 der letzte König von Frankreich um öffentliche Almoſer
flehen, und die Republik ihn, wenn er ſich gut aufführt, zum Maire von
St. Cloud ernennen wird. Auf der Caricatur, von der ich ſpreche, ſitz
Ludwig Philipp mit ziemlich langen Ohren, den Hut zwiſchen den Knier
haltend, und unten liest man: Faites l’aumône au dernier de vos
rois!
Damit die Anwendung und der Sinn des Bildes vollſtändig ſeyen
ſteht Guizot, auf einer Geige ſpielend, neben dem blinden König und
dieſer ruht auf einem Haufen gefüllter Geldſäcke.


Die Unterhandlungen der proviſoriſcher
Regierung mit dem General Lamoricière um denſelben für die Ueber-

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[0019] ſämmtliche Poſten von der Bürgergarde und den Studenten beſetzt werden ſollen. 11 Uhr. Die bewaffneten Studenten mit den Bürger- garden und anderen bewaffneten Bürgern ziehen in die k. k. Hofburg. Das Militär welches die Zugänge beſetzt hält, öffnet ihnen die Reihen um ſie paſſiren zu laſſen. Das Volk jubelt ihnen entgegen. 12 Uhr. Von allen Seiten ſchmücken ſich die Studenten mit weißen Bändern und überall wo ſie vorbeiziehen wirft man ihnen aus den Fenſtern Bänder und Schleifen zu. Der Enthuſiasmus iſt unbeſchreiblich. 1½ Uhr Nachmittag. Aus dem Munde eines ſtändiſchen Deputirten erfuhr ich ſoeben daß der Kaiſer die Errichtung einer Nationalgarde unter dem Commando des ſtändiſchen Deputirten Grafen Hoyos (Vater) bewilligt hat, daß der Erzherzog Albrecht als General- und Stadtcommandant von Wien durch den Fürſten Windiſchgrätz erſetzt und daß der Oberſt- landmarſchall Graf Montecuculi an die Stelle des Fürſten Metternich treten ſoll. Andere bezeichnen den wenig beliebten Grafen Fiquelmont, wieder andere den Grafen Colloredo als den Nachfolger für das Mini- ſterium des Auswärtigen. Der ſreiſinnige Vicekanzler Baron Pillers- dorf wird als Nachfolger des Grafen Sedlnitzky und Hr. v. Arthaber, ein allgemein geachteter Bürger und Kaufmann, an die Stelle des Bür- germeiſters Czapka, gegen welchen ſich in der letzten Zeit die öffentliche Meinung beſonders ſtark ausſprach, genannt. 3 Uhr Nachmittags. Es heißt daß auch die Bewilligung der Preßfreiheit und noch andere Conceſſionen im Zuge ſind. Soeben|durchziehen die bewaffneten Studenten mit Fahnen auf welchen „Preßfreiheit“ zu leſen iſt die Straßen unter dem jubelnden Zuruf der ſie begleitenden Bevölkerung. Jn den Vor- ſtädten ſoll es noch immer heiß hergehen. Der Pöbel zündet und plün- dert. Leider muß die bewaffnete Macht hier energiſcher eintreten und es ſoll bereits viel Blut gefloſſen ſeyn. An der Taborlinie wie an der Favoritenlinie und Mariahilferlinie wurden die Zollhäuſer zer- ſtört, mehrere Fabrikgebäude theils eingeäſchert, theils geplün- dert. Aus der Umgegend Wiens ſollen mehrere Regimenter eiligſt herbei- gezogen werden und zum Theil auch ſchon im Anzuge ſeyn. An den Bahn- höfen der Nord- und Südbahn ſoll Geſchütz aufgeſtellt ſeyn um einen et- waigen gewaltſamen Verſuch die Comunication abzuſchneiden zu verhin- dern. Halb 4 Uhr. So eben wird eine gedruckte Kundmachung zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und der Qrdnung auf den Stra- ßen verleſen. Das Volk benimmt ſich im Innern der Stadt ruhig, allein die Ruhe ſcheint doch noch nicht hergeſtellt. Von der Straße tönt der Ruf nach Preßfreiheit herauf — die Studenten ziehen unter dem Wir- beln der Trommeln und den Vivats der Bevölkerung von einem Punkte der Stadt zum andern, überall zur Ruhe mahnend. Vier Uhr. Der Erzherzog Albrecht hat die Stadt verlaſſen. Man bezeichnet ihn als die erſte unglückſelige Veranlaſſung zum geſtrigen Feuern auf das Volk da er unvermuthet ins Gedränge kam, und, wie man ſagt, den Befehl zum Schießen gab. Aber vorzüglich groß iſt die Erbitterung gegen jene Polizeiſoldaten welche geſtern Abends aus den Fenſtern der Polizeidirec- tion auf das Volk ſchoſſen, wobei drei Perſonen getödtet und einige verwundet wurden. So eben erſchallt es jubelnd von der Straße herauf daß der Kaiſer auch Preßfreiheit bewilligt habe. Ich kann Ihnen das Nähere darüber für heute nicht mehr mittheilen da der Abgang der Poſt drängt. Jedenfalls werden dadurch die Wünſche eines treuen bie- deren Volkes erfüllt, und es iſt nicht zu zweifeln daß nunmehr die Ruhe nicht weiter geſtört werden wird. Eine Volksmenge von etwa 20,000 Menſchen, die Bürgergarden, die bewaffneten Studenten jubeln in die- ſem Augenblick auf dem Platze vor der Hofburg. So feiert denn die Bevölkerung Wiens einen Sieg, der es um ſo inniger an ſeinen ange- ſtammten Herrſcher feſſelt. Die Stände, die Studenten und die wackern Bürger Wiens haben ein großes Werk vollbracht. Frankreich. § Paris, 12 März. Die officielle Darlegung des Zuſtandes der Finanzen und die Maßregeln welche darauf begründet ſind, haben nicht zur Wiederherſtellung des Vertrauens geführt, obgleich der Miniſter nichts gethan hat als was in der Natur der Sache lag. Das Unterbre- chen des Tilgungsfonds war unvermeidlich, und es war nichts als ein finanzieller Hocuspocus daß die letzte Regierung ihn beibehielt, während ſie alle Jahre neue Schulden machte; das engliſche Syſtem nur abzulö- ſen wenn das finanzielle Jahr einen Ueberſchuß läßt iſt einfacher, ehr- licher und wohlfeiler, daher hat auch die Unterbrechung hier kein Be- dauern erregt, um ſo mehr als die Nothwendigkeit der Maßregel voll- kommen begründer war, wenn man nicht alle öffentlichen Arbeiten ein- ſtellen wollte. Die Schwierigkeiten die man der Bezahlung der Summen in den Sparcaſſen entgegenſetzt, ſind eine viel bedauernswerthere Maß- regel, indem ſie nothwendig jede Einzahlung künftig hindern werden; allein das wußte jedermann daß bei einem paniſchen Schrecken wie gegenwärtig, dem Staat, wie auch ſeine Verfaſſung ſeyn mochte, im- mer unmöglich ſeyn mußte, plötzlich 3 bis 400 Mill. Fr. zu bezahlen. Es liegt in der Natur der Sache daß er dieſes Geld nicht daliegen laſſen durfte wenn er Zinſen daraus bezahlen ſollte, und daß er auf einmal, beſonders in der Mitte einer ſolchen Erſchütterung aller Verhältniſſe, die Capitalien, auf welche Art er ſie auch angelegt oder verwendet haben mochte, nicht plötzlich realiſiren konnte. Wie groß die Unruhe hier iſt kann man leicht daraus abnehmen daß 1000 Fr. Gold noch heute 65 Fr. Agio bezahlten, während gewöhnlich das Gold auf 9 bis 11 Fr. ſteht. Dieß kommt einzig von dem paniſchen Schrecken her welcher ver- urſacht daß viele um jeden Preis Gold haben wollen, um auf äußerſte Fälle bereit zu ſeyn, nicht weil man die Guillotine und den Terrorismus der erſten Republik fürchtet, zu denen die Zeiten nicht mehr find, ſondern weil man vor dem ganz Unbekannten ſteht. Aber dieſe Furcht bringt durch ihre eigenen Wirkungen hervor was ohne ſie nicht exiſtiren würde, und was ihr Grund ſchien iſt eigentlich ihre Folge. Sie lähmt alles, und hat die Suspenſion von Gouin, Laffitte, Baudon und andern Dis- contirhäuſern hervorgebracht, welche ihrerſeits den ganzen Handel und die Fabrication von Paris plötzlich unmöglich macht, und die Finanzſchwie- rigkeiten der Regierung aufs äußerſte vermehrt. Man ſagt, der Plan des Finanzminiſters ſey die Beſoldungen temporär herabzuſetzen, wie im Jahr 1816 in Form einer Kriegsſteuer geſchehen iſt. Dieſem wird ſich jedermann ohne Schwierigkeit unterwerfen, aber die Maßregel kann nicht definitiv ſeyn, indem die Stellen hier im allgemeinen eher zu ſchlecht bezahlt ſind als zu gut, und dieß hat der Finanzminiſter ſelbſt anerkannt, indem er erklärt daß die Republik wenigere aber verhältnißmäßig be- zahlte Beamte wolle. Es war der große Fehler der letzten Regierung daß ſie die Zahl der Stellen ins unendliche vermehrte, und auf dieſe Art jährlich den Ueberſchuß der Steuern verſplitterte, den ſie zu Herabſetzung drückender Laſten hätte verwenden ſollen. Man will die Unterpräfec- turen abſchaffen, und die Zahl der Schreiber aller Claſſen in den Bureaux aller Miniſterien beträchtlich vermindern; aber es gibt doch nur zwei Maßregeln welche eine ſehr beträchtliche Erſparniß im Budget geben könnten: die Verminderung der Armee und die Ausbreitung municipa- ler Jnſtitutionen. Die erſte könnte ohne Schwierigkeit geſchehen, indem niemand daran denken kann Frankreich anzugreifen, und die zweite iſt durchaus nothwendig wenn die Republik dauern ſoll, indem ſie offenbar nicht auf einer adminiſtrativen Centraliſation beruhen kann, wie ſie das Kaiſerthum eingeführt und die zwei königlichen Dynaſtien ſeitdem bei- behalten und ausgedehnt haben. Aber bis jetzt ſieht man kein Zeichen das darauf hindeutet daß man an das eine oder das andere denkt, ob- gleich es jetzt, wo die politiſchen Schwierigkeiten noch nicht begonnen haben, leicht und vortheilhaft geweſen wäre beides wenigſtens im Prin- cip anzukündigen und die Ausführung vorzubereiten. Wird von der Na- tionalverſammlung ein ordnender Geiſt ausfließen der im Stande wäre den unklaren Jdeen der Nation eine Richtung zu geben? Denn es muß viel, ſchnell und mit einer ſichern Hand geſchehen. ═ Paris, 13 März. Die Nachrichten aus Lyon beſſern ſich einſtweilen hat die Regierung einen ihrer bewährteſten Anhänger, Tré- lat, Arzt an dem Hoſpital La Salpétriére, dahin geſchickt. Der Miniſter des Innern, Ledru-Rollin, läßt für alle Gemeinden der Republik eine Zeitung drucken die in Form eines Maueranſchlags erſcheint und in gro- ßer Zahl unentgeltlich vertheilt wird. Heute wird die erſte Nummer verſandt, die einen kurzen Rückblick auf die Regierung Ludwig Philipps und eine Belehrung über das Weſen der Republik enthält. Unter der Caricaturen begegneten wir heute auf dem Kai einer die den Schlußvers des ſchönen Gedichts von Béranger „Noſtradamus“ verſinnlicht. Noſtra- damus, ein ſchlechter Rechen meiſter wie ſich jetzt zeigt, verkündigt daß im Jahr 2000 der letzte König von Frankreich um öffentliche Almoſer flehen, und die Republik ihn, wenn er ſich gut aufführt, zum Maire von St. Cloud ernennen wird. Auf der Caricatur, von der ich ſpreche, ſitz Ludwig Philipp mit ziemlich langen Ohren, den Hut zwiſchen den Knier haltend, und unten liest man: Faites l’aumône au dernier de vos rois! Damit die Anwendung und der Sinn des Bildes vollſtändig ſeyen ſteht Guizot, auf einer Geige ſpielend, neben dem blinden König und dieſer ruht auf einem Haufen gefüllter Geldſäcke. = Paris, 14 März. Die Unterhandlungen der proviſoriſcher Regierung mit dem General Lamoricière um denſelben für die Ueber-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine78_1848/19>, abgerufen am 18.12.2024.