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Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 20. März 1900.

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München, Dienstag Allgemeine Zeitung 20. März 1900. Nr. 77.
[Spaltenumbruch]
Deutscher Reichstag.
171. Sitzung.

er dem schwarzen Pessimismus, daß bei den Verhand-
lungen über eine Tarifreform überhaupt gar nichts
herauskommen werde, mit einer erfreulich optimistisch ge-
haltenen Erklärung entgegen. Sozialdemokratische Ab-
geordnete machten sich zum Sprachrohr für angeblich in
Braunschweig und in Sachsen gegen die selbstsüchtige
preußische Verwaltung gehegten Animositäten, aber,
nachdem erst Präsident Schulz erklärt hatte, daß
ihm aus Braunschweig keine Klagen zugegangen
seien, vielmehr aus dortigen Handelskreisen eine An-
erkennungskundgebung für die angegriffene Verwaltung
vorliege, versicherte der sächsische Bundesrathsbevollmächtigte,
Graf Hohenthal, ausdrücklich, daß zwischen der sächsi-
schen
und preußischen Verwaltung die besten Beziehungen
herrschten. Sehr werthvoll war auch die Entschiedenheit,
mit der der sächsische Vertreter zwei Dinge als unverrück-
bare Normen, von denen die Regierung durch keinerlei
Agitation sich werde abdrängen lassen, hinstellte: die
Disciplin unter den Eisenbahnbeamten und die Für-
sorge für die Sicherheit des Verkehrs. Hr. v. Kar-
dorff
(Reichsp.) verhehlte nicht, daß es ein schwerer
Fehler gewesen sei, die Regelung der Gehaltsverhält-
nisse der Eisenbahnbeamten ganz und gar in die Hand
des Parlaments zu legen und so der Agitation
Thor und Thür zu öffnen. Nach dem Etat des Eisen-
bahnamts kam noch der allgemeine Pensionsfonds
zur Besprechung. Der Referent Graf Oriola (nat.-lib.)
gedachte namentlich der bedeutungsvollen Erklärungen des
preußischen Kriegsministers v. Goßler vor der Kommission,
wonach eine allgemeine Neuregelung der Pensions-
verhältnisse eintreten soll. Morgen wird die Etats-
berathung fortgesetzt.



Ausführlicher telegraphischer Bericht.

Das Haus wendet sich wieder
dem Etat zu. Beim Etat des Reichseisenbahnamts fragt

Abg. Pachnicke (Frs. Vgg.), was bisher zur Ausführung
des Artikels 45 der Verfassung gethan sei, wonach das Reich
für möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife
sorgen solle. In Süddeutschland sei man zu einer Ermäßigung
bereit, aber nicht in Preußen. Der preußische Eisenbahnminister
v. Thielen will nur eine Vereinfachung der Tarife, keine Herab-
setzung, und auch die Vereinfachung nur zur Entlastung und
Verminderung der Schalterbeamten, nicht im Interesse des
Publikums; dabei beruft er sich auf die Nothwendigkeit, die
Stetigkeit der Einnahmen zu erhalten, trotz ihrer beständigen
Zunahme in Preußen.

Präsident des Reichseisenbahnamts Dr. Schulz: Der
Hr. Vorredner wird sich noch etwas gedulden müssen. Das
Amt hat alles Mögliche gethan, um die Verhandlungen mit
den Bundesregierungen über die Vereinfachung der Personen-
tarife zu fördern. Dazu ist die Beseitigung einer großen
Anzahl verschiedener Sonderbestimmungen nothwendig. Den
Ausgleich wird man nur darin finden können, daß man das
Niveau der einfachen Tarife angemessen ermäßigt. In Nord-
deutschland wäre eine weitere Ermäßigung möglich durch Auf-
hebung des Freigepäcks. Die große Schwierigkeit liegt in der
Konstruktion des richtigen Niveaus für die künftigen Tarife.
Auf die Finanzen der Einzelstaaten muß Rücksicht genommen
werden. In diesem Punkte ist noch keine Einigung erreicht.
Ferner sind die Einzelstaaten in der Gestaltung ihrer Tarife
unabhängig und es kann von Reichs wegen kein Zwang auf
sie ausgeübt werden. Mit dem, was der preußische Eisenbahn-
minister in diesem Punkte erklärt hat, muß auch das Reichs-
eisenbahnamt rechnen; ich hoffe dennoch, daß das endliche
Resultat noch etwas besser sein wird, als wir erwarteten.
Ueber den einfachen billigen Gepäcktarif ist die Einigung nahezu
herbeigeführt.

Abg. Calwer (Soz.): Die preußische Eisenbahnverwaltung
hat von ihrer Uebermacht Braunschweig gegenüber in will-
kürlichster Weise Gebrauch gemacht, um die braunschweigischen
Eisenbahninteressen zu vergewaltigen. Redner sucht dies im
einzelnen sowohl an den Linienführungen der Bahnen wie an
der Art des Betriebes und Verkehrs nachzuweisen.

Präsident Schulz: Bisher sind Beschwerden an das
Reichseisenbahnamt nicht gelangt. Einzuschreiten hatte es keinen
Anlaß. Mit der Betriebssicherheit ist es auf den braun-
schweigischen Bahnhöfen ebenso gut bestellt wie anderswo;
[Spaltenumbruch] gewiß sind viele des Umbaues bedürftig; sie werden wohl
alle einmal an die Reihe kommen. Die Beschwerden sind
örtlicher Natur und gehören in die Einzellandtage. Dem
preußischen Ressoriminister hat der Präsident der braun-
schweigischen Handelskammer für seine Fürsorge gedankt.

Abg. Müller-Sagan (Frs. Vp.): So sind denn die
Hoffnungen auf baldige Tarifreform noch tiefer herabgestimmt.
Das Reichseisenbahnamt, anstatt energisch Initiative zu er-
greifen, respektirt entsagungsvoll die Einsprüche des Ministers
v. Thielen. Wie stark der Widerstand bis jetzt ist, hat sich deutlich
gezeigt, als wir die billigen Tarife für kommandirte Soldaten
in geschlossenen Trupps auf den einzelnen Urlauber auszu-
dehnen beantragten. Durch die Aenderung in der Ausbil-
dung der Mannschaften, durch die Friedensübungen auf den
großen Korpsübungsplätzen haben auch die Einnahmen der
Eisenbahn stark zugenommen.

Präsident Schulz: Die Befugniß des Bundesraths, den
Tarif für Militärpersonen festzusetzen, beruht auf dem Gesetz
für die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden.
Die frühere Unterscheidung zwischen ausgerüsteten und nicht
ausgerüsteten Mannschaften ist 1887 beseitigt und der Satz
allgemein auf 11/2 Pf. für den Kilometer normirt worden.
Seitdem ist eine weitere Ermäßigung eingetreten. Für dienst-
liche Transporte ist der Satz auf 1 Pf. herabgesetzt, weil
größere Kommandos eine gute Ausnützung der Transport-
mittel gestatten. Dienstliche Einzelfahrten kommen kaum in
Frage. Bei Urlaubsfahrten der einzelnen Soldaten ist die
Ermäßigung nicht gewährt worden, weil der eben angeführte
Grund in Fortfall kommt und der Satz von 11/2 Pf. schon
jetzt eine starke Ermäßigung gegenüber dem gewöhnlichen
Tarif darstellt. Die Stellungnahme des Bundesraths zu der
eventuell vom Reichstag zu fassenden Resolution wird abzu-
warten sein. Die weitere Anregung, den Soldaten einmal
im Jahre freie Fahrt nach der Heimath zu gewähren, findet
in den bestehenden Gesetzen keinen Boden. Der Bundesrath
würde die Eisenbahn dazu nicht nöthigen können.

Abg. Stolle (Soz.) verlangt endliche Berücksichtigung
der Ansprüche der Hunderttausende der Eisenbahnbetriebs-
beamten und -arbeiter auf eine angemessene Ruhezeit. Daß
die Zahl der Eisenbahnunfälle zunimmt, ist nichts als die
natürliche Folge der aus Knickerei entsprungenen Ueberlastung
des einzelnen Beamten und Arbeiters. Das furchtbare Eisen-
bahnunglück von Bischweiler hat sich am hellen Tage er-
eignet. Den Arbeitern darf die Berufsfreudigkeit nicht ge-
nommen werden, aber anstatt ihnen irgendwie entgegenzu-
kommen, maßregelt man sie, wenn sie das Staatsverbrechen
begehen, sich zu versammeln, um über ihre Lage zu berathen;
so ist es den Eisenbahnern in Sachsen und Preußen ge-
gangen. Auch Artikel 42 der Verfassung, wonach die Bundes-
regierungen verpflichtet sind, die deutschen Bahnen im Inter-
esse des Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten zu
lassen, ist seit 30 Jahren bestehendes Recht, aber ausgeführt
wird es nicht. Noch immer werden die unglaublichsten Um-
wege für die sächsischen Exportgüter gewählt, damit nur der
preußische Eisenbahnfiskus nicht zu kurz kommt.

Präsident Schulz: Die Unfälle auf den Eisenbahnen
haben in den letzten Jahren nicht zu-, sondern abgenommen.
Das Reichseisenbahnamt hat keine Befugniß, gegen die Maß-
nahmen der einzelnen Staatsbahnverwaltungen den Eisenbahn-
beamtenvereinigungen gegenüber Stellung zu nehmen, soweit
nicht Interessen der Landesvertheidigung und des allgemeinen
Verkehrs in Betracht kommen. Diesen Interessen wird jeden-
falls durch eine wohlwollende, aber strenge Disciplin gedient.

Sächsischer Gesandter Graf Hohenthal: Die Agitation
des Vereins der Eisenbahnarbeiter hat in Sachsen sogar die
Disciplin in den Eisenbahnwerkstätten stark gestört. Infolge-
dessen hat die Regierung eine Verordnung erlassen, die die
Arbeiter und Beamten warnt, da der Beitritt zum Verein
die Entlassung aus dem Staatsdienst unweigerlich zur Folge
haben werde. Bei dieser Verordnung wird es bleiben. Wie
der Arbeiter überall seine Kraft zu verwerthen die Freiheit
und das Recht hat, ebenso hat der Arbeitgeber das Recht,
sich der Arbeiter zu entledigen, von denen er annimmt, daß
sie zu seinem Dienst nicht geeignet sind. Die Beziehungen
der beiden Verwaltungen Sachsen und Preußen sind die
besten und der Wettbewerb um gewisse Transporte wird in
der allerloyalsten Weise geführt.

Abg. Bräsicke (Frs. Vp.) kommt auf die Frage der
[Spaltenumbruch] Staffeltarife zurück Hr. v. Thielen sei denselben gar nicht
so abgeneigt, aber ein Mächtigerer stehe leider hinter ihm Es
gelte, den Widerstand des preußischen Finanzministers zu brechen.

Abg. v. Kardorff (Reichsp.): Mit einer straffen Disciplin,
wie sie im Eisenbahnwesen herrschen muß, ist ein unbedingtes
Koalitionsrecht der Eisenbahnarbeiter unvereinbar. Daß die
Regierung die Regelung der Gehälter der Beamten ganz und
gar in die Hände der Parlamente hat gleiten lassen, ist ein
Vorwurf, den ich ihr heute wiederhole; unter dem Fürsten
Bismarck wäre das nicht möglich gewesen. Das hat nicht
nur zur Demoralisation der Beamten, sondern auch der
Parlamente geführt. (Große Unruhe links.) Daran tragen
alle Parteien ohne Ausnahme gleichmäßig Schuld. Für die
großen Handelshäuser und den Großverkehr bilden die Eisen-
bahntarife eine gewisse indirekte Steuer, da sie sonst von den
indirekten Steuern zu wenig getroffen werden. (Hört! Hört!
links.). Unfälle im Eisenbahnbetrieb sind zum Theil gerade
infolge einer gewissen übertriebenen Sparsamkeit, zumal in
Preußen, eingetreten, und ich muß wünschen, daß diese Spar-
samkeit nicht weiter übertrieben wird.

Abg. Schrader (Frs. Vgg.): Die Eisenbahnen sind heute
keine Verkehrsanstalt, sondern eine Staatsanstalt zur Hebung
des Staatseinkommens. Das Absonderlichste auf dem Ge-
biete dieser Auffassung leistet Hr. v. Kardorff, der die Eisen-
bahntarife für eine Art Ergänzungssteuer, eine Konsumtions-
steuer auf die Güter erklärte. Allgemeine Durchführung von
Vorrichtungen zur Verstärkung der Betriebssicherheit würde
viele Millionen kosten, und vor so hohen Ausgaben scheut
eine Verwaltung naturgemäß zurück, die in erster Linie auf
alle Fälle große Ueberschüsse herauswirthschaften soll. Redner
empfiehlt schließlich den Uebergang zur amerikanischen Ver-
kuppelung.

Präsident Schulz: Die Prüfung dieser Frage ist im
Gange; die entgegenstehenden Schwierigkeiten sind aber nicht
zu unterschätzen; auf den bayerischen Staatsbahnen laufen
allerdings schon einige mit dieser neuen Verkuppelung ver-
sehene Wagen.

Abg. Stolle: Das Vorgehen der sächsischen Eisenbahn-
verwaltung gegen die Eisenbahner fördert nicht, sondern ge-
fährdet die Betriebssicherheit der Eisenbahn. In Sachsen hat
man nach preußischem Vorgang und Muster eine Verordnung
erlassen, wonach Anträge auf Vermehrung der Beamten aufs
äußerste zu beschränken sind. Die Beschwichtigung des
sächsischen Gesandten wird die sächsische Industrie, die über
Hamburg nach England exportirt, nicht befriedigen. Seine
Auffassung über das Arbeitsverhältniß war rein kapitalistisch.

Präsident Schulz: Die sächsische Staatsbahnverwaltung
steht nicht bloß in der Zahl der Eisenbahnbeamten und Ar-
beiter, sondern gerade auch in Bezug auf deren Bezahlung
über dem Durchschnitt der deutschen Bahnen.

Sächsischer Gesandter Graf Hohenthal: Es kann
auch für den Arbeitgeber schmerzlich sein, einen bewährten
Arbeiter entlassen zu müssen. Meine Auffassung ist auch die
Auffassung der sächsischen Regierung.

Abg. Hoch (Soz.): Auch in Preußen fehlt nicht bloß
der Wille, die Zustände zu bessern, sondern man läßt den
baulichen Zustand der Bahnen thatsächlich schlechter und
schlechter werden. Die Streckenarbeiter werden erbärmlich
entlohnt. Arbeitgeber ist doch der Staat und der Staat sind
nicht die paar Minister, sondern die Gesammtheit der Bevöl-
kerung, die von der Regierung ein ganz anderes Entgegen-
kommen gegen die Arbeiter verlangen muß. Die Tendenz
der Verwaltung geht einfach dahin, immer mehr Arbeiter
auszuschalten, ohne jede Rücksicht auf die Betriebssicherheit.

Graf Hohenthal: Gewiß hat der Staat als Arbeit-
geber ganz besondere Verpflichtungen, aber bei einem gewissen
Punkt hören diese Verpflichtungen auf: bei dem Punkt der
Disciplin und bei dem Punkt der Sicherheit des Verkehrs.

Damit schließt die Diskussion und der Etat wird be-
willigt
.

Ueber den Etat des allgemeinen Pensionsfonds
berichtet Abg. Graf Oriola (nat.-lib.). Der Referent ver-
weist auf die in der Kommission abgegebenen Erklärungen
des preußischen Kriegsministers v. Goßler, daß die Ge-
setzgebung über die Militärpensionen auf neue Grundlagen
unter Anlehnung an die Unfallgesetzgebung gestellt werden soll.

Der Etat wird bewilligt. Die Sitzung schließt um
6 Uhr. Dienstag 1 Uhr wird die Berathung fortgesetzt.



[Spaltenumbruch]

Höhe: gleich beim Beginn der schwerfälligen Exposition konnte
man die Natürlichkeit der Herren bei Tisch bewundern. Wie
langweilig werden dagegen Eßscenen auf deutschen Bühnen ge-
spielt! Da war keine Spur von jener deutschen Schwerfälligkeit,
die vom Darsteller verlangt, daß er in einem Akt im Namen
der Wahrheit alle Sessel eines Salons durchprobiren muß. Die
lebendigen Italiener gaben das Stück als italienisches Kon-
versationsstück, und selbst die possenhaften Nebenrollen wurden
gedämpft, sozusagen gesellschaftsmäßig gespielt, wie es dem
englischen Geschmack keineswegs zusagen würde. Frau Duse
hält darauf, daß der Eindruck einer Vorstellung nicht durch
Talentlosigkeit der einzelnen Künstler gestört werde; sie weiß
das Talent neben sich zu dulden. Der Darsteller des Gatten
Aubery, Carlo Rosaspina, fand sich sehr gut mit seiner
nichtssagenden, leeren Rolle ab, die übrigens kein abschließendes
Urtheil über den Künstler gestattet. Die kommenden Abende
werden die Duse und die Truppe in bedeutsameren Werken
zeigen. Das Publikum nahm die glänzende Leistung des be-
rühmten Gastes mit der entsprechenden Begeisterung auf.

# Konzerte.

Am vergangenen Samstag spielten im
Odeon Pablo de Sarasate und Berthe Marx. Wie
der dichtgefüllte Saal bewies, hat das berühmte Künstlerpaar
von seiner fast noch berühmteren Anziehungskraft, wenigstens
bei uns, nicht das Geringste eingebüßt. Auch der stets eruptiv
hervorbrechende Beifallssturm erinnerte an die nun mehr als
ein Lustrum zurückliegende Zeit, wo die Beiden im Verein
triumphbeladen durch den Kontinent gezogen kamen und aller-
orts einen Jubel entfesselten, der an Heftigkeit und Dauer
das Dagewesene weit übertraf. Es ist bekannt, daß, als
Sarasate allein reiste, seltsamerweise nicht nur der urfeurige
Applaus zurückging, sondern auch die allgemeine, bedingungs-
lose Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen. Wie oft
hat der "spanische Geigerkönig", namentlich in den letzten
Jahren, zum süßen Lob nicht den bitteren Zusatz schlucken
müssen: "er wird merklich alt!" Auch das gilt heuer nicht.
Sarafate geigte so frisch und freudig, intonirte so sauber,
brachte die Flageoletdoppelgriffe so schwebungslos heraus,
daß man sich faktisch um zehn Jahre zurückversetzt wähnte,
in den Zenith seines Ruhmes. Erstannliche Leichtigkeit der
Bogenführung war von jeher seine Tugend. Sie ist mit der
Grund, warum der an sich nicht große Ton so gewaltig
trägt und selbst im raschesten Tempo und bei den höchsten
Anforderungen an die Applikatur niemals versagt. Freilich
[Spaltenumbruch] macht der Künstler von dieser seiner Stärke den ausgiebigsten
Gebrauch auch da, wo ein geringes Maß hinlänglich genügte.
Er beweist damit, daß es ihm mehr um die Entfaltung ver-
blüffender Hexenkünste zu thun ist, als um wirklich künst-
lerisches Gestalten. Virtuosität um ihrer selbstwillen aber ist
eine böse Sache. Sarasate spielte Schuberts Phantasie in C,
eine stark gewässerte Sonate für Violine und Klavier von
Saint-Saens, Raffs "Liebesfee" und zuletzt zwei unsäglich
triviale Sachen eigener Komposition. Das Raff'sche Stück
gab er auch geistig tiefergehend wohl am besten wieder. Seine
Partnerin am Klavier, Frau Berthe Marx, hat sich, seit wir
sie das letzte Mal hörten, wenig verändert. Sie ist die
Meisterin des brillanten Vortrags. Alles Technische beherrscht
sie mit wunderbarer Sicherheit und künstlerischer Verklärung.
Die kleinen, aber schwierigen Solostücke von Händel, Daquin
und Scarlatti entwarf sie unnachahmlich klar in den Umrissen.
Wenn sie sie nur nicht so sehr in Eis gekühlt hätte! Erst in
Chopins Barcarole und zwei Rhapsodien von Lißt entwickelte
sich die prickelnde Kohlensäure. Das waren phänomenale
Leistungen, voll innerer treibender Kraft, großzügig, entzückend
fein detaillirt, Kabinetstücke von Elastizität des Anschlags
und der Auffassung. -- In der III. Matinee von
Elfriede Schunck (Klavier), Emil Wagner (Violine) und
Hans Weber (Cello) gelangte außer den Trios in B (Peters,
Nr. 2) von Mozart und in Es op. 100 von Schubert eine
sehr werthvolle Sonate für Cello und Klavier op. 15 von
Anton Beer zur Aufführung. Intensive Ausdruckswärme
und gutgeprägte Themen sind die Vorzüge dieses Werks.
Der erste Satz ist durchwegs kräftig gehalten, streift aber
zeitweilig auch durch schattige Gebiete. In der Durchführung
überwiegt die Arbeit die Phantasie. Tiefer geht der Kom-
ponist im marschmäßigen Andante, dem er ein etwas leiden-
des, doch edles Gesangsthema zugrunde legt; im zweiten
Theil läßt er die gedämpften Streichinstrumente einen visio-
nären Blick in die Zukunft thun. Der Schlußsatz spiegelt
sich auf romantischem Grund; er erzählt von frohem Ge-
nießen und blickt sinnend in die sonnige Landschaft hinaus.
Frl. Schunck und Hr. Weber brachten die einzelnen Schön-
heiten des Werks mit hohem Verständniß und errangen
freundlichen Beifall. Ihre Wiedergabe der Trios, zu der sich
der ausgezeichnete Geiger Hr. Wagner gesellte, zeigte von
neuem, wie wahrhaft tief die jungen Künstler in den Geist
unsrer Klassiker schon eingedrungen sind.

[Spaltenumbruch]

Ein heller Vorfrühlingstag
brachte heute die vom Kaiser vollzogene Eröffnung der
27. Jahresausstellung im Künstlerhause. Selten
bot diese Eröffnung ein glänzenderes äußeres Bild: Reihen
von stolzen Equipagen, ein Besucherzudrang zum Ersticken.
Architekt Urban hat die weiten, vielfachen Räume den Be-
dürfnissen der Ausstellung geschickt angepaßt. Kein Zuviel
im Dekorativen, zweckmäßige Einbauten im Säulenhof
und im deutschen Saale, hübsche diskrete Ziermuster an den
Wänden. Die Münchener haben den Hauptantheil am Aus-
stellungsbilde. Sogleich in dem der Großplastik gewidmeten
Mittelraume begrüßen wir Rudolf Maisons "Kaiser Otto I."
und die mächtigen Heroldreiter vom Berliner Reichstags-
palast in polychromischen Abgüssen. Jef Lambeaux' monu-
mentale Ringergruppe, Edmund v. Hofmanns Kolossalfigur
Lionardo da Vinci's in Mormor und eine Bildnißbüste von
Zumbusch verdienen besonderes Interesse. Der Luitpold-
Gruppe wurden drei Säle, worunter der große französische,
eingeräumt. Man bleibt zunächst vor dem großen Bild der
Brüder Schuster-Woldan und Firle's "Heiliger Nacht" stehen.
Im deutschen Saal geben die Worpsweder die Note an.
Mackensens eindrucksvolles Großbild "Die Scholle" sieht man
zum erstenmal in Wien; Vinnen imponirt durch großgeschante,
umfangreiche Landschaften. Ein besonderes Kabinet hat der
Capriccio-Maler Strathmann erhalten. Seine Kuriosa haben
ihr Publikum. Das Bildniß ist durch Lenbach, den Ungarn
Laßlo (Reichskanzler Fürst Hohenlohe), Horovitz, Pochwalski,
Frau Rosenthal-Hatschek (Erzherzog Eugen) vertreten; Pippich
bringt sein großes Gefechtsbild "Bei Jajce"; unter den Land-
schaftern sind Courtens (großes Herbstbild), Schaeffer (Vor-
frühling) und die meisten aus der jüngeren Schule: Zoff,
Wilt, Ameseder, Kasparides, der auch ein mächtiges Figuren-
bild ausstellt, Bamberger, Tomec hervorragend zu nennen;
Goltz' "Vorüber" hat Stimmung; die modernste Note unter
den Landschaften schlagen zwei Neue, Slavicek und Hudecek,
an. Während Paris aus naheliegenden Gründen sich nur
sehr mäßig betheiligte -- die Damenbildnisse de la Gandara's
fallen am meisten auf --, haben sich die Engländer mit einer
ganzen Galerie eingefunden, welcher man den oberen Haupt-
saal eingeräumt hat. Wir kommen selbstredend auf Sezession
und Künstlerhaus zurück.



München, Dienſtag Allgemeine Zeitung 20. März 1900. Nr. 77.
[Spaltenumbruch]
Deutſcher Reichstag.
171. Sitzung.

er dem ſchwarzen Peſſimismus, daß bei den Verhand-
lungen über eine Tarifreform überhaupt gar nichts
herauskommen werde, mit einer erfreulich optimiſtiſch ge-
haltenen Erklärung entgegen. Sozialdemokratiſche Ab-
geordnete machten ſich zum Sprachrohr für angeblich in
Braunſchweig und in Sachſen gegen die ſelbſtſüchtige
preußiſche Verwaltung gehegten Animoſitäten, aber,
nachdem erſt Präſident Schulz erklärt hatte, daß
ihm aus Braunſchweig keine Klagen zugegangen
ſeien, vielmehr aus dortigen Handelskreiſen eine An-
erkennungskundgebung für die angegriffene Verwaltung
vorliege, verſicherte der ſächſiſche Bundesrathsbevollmächtigte,
Graf Hohenthal, ausdrücklich, daß zwiſchen der ſächſi-
ſchen
und preußiſchen Verwaltung die beſten Beziehungen
herrſchten. Sehr werthvoll war auch die Entſchiedenheit,
mit der der ſächſiſche Vertreter zwei Dinge als unverrück-
bare Normen, von denen die Regierung durch keinerlei
Agitation ſich werde abdrängen laſſen, hinſtellte: die
Diſciplin unter den Eiſenbahnbeamten und die Für-
ſorge für die Sicherheit des Verkehrs. Hr. v. Kar-
dorff
(Reichsp.) verhehlte nicht, daß es ein ſchwerer
Fehler geweſen ſei, die Regelung der Gehaltsverhält-
niſſe der Eiſenbahnbeamten ganz und gar in die Hand
des Parlaments zu legen und ſo der Agitation
Thor und Thür zu öffnen. Nach dem Etat des Eiſen-
bahnamts kam noch der allgemeine Penſionsfonds
zur Beſprechung. Der Referent Graf Oriola (nat.-lib.)
gedachte namentlich der bedeutungsvollen Erklärungen des
preußiſchen Kriegsminiſters v. Goßler vor der Kommiſſion,
wonach eine allgemeine Neuregelung der Penſions-
verhältniſſe eintreten ſoll. Morgen wird die Etats-
berathung fortgeſetzt.



Ausführlicher telegraphiſcher Bericht.

Das Haus wendet ſich wieder
dem Etat zu. Beim Etat des Reichseiſenbahnamts fragt

Abg. Pachnicke (Frſ. Vgg.), was bisher zur Ausführung
des Artikels 45 der Verfaſſung gethan ſei, wonach das Reich
für möglichſte Gleichmäßigkeit und Herabſetzung der Tarife
ſorgen ſolle. In Süddeutſchland ſei man zu einer Ermäßigung
bereit, aber nicht in Preußen. Der preußiſche Eiſenbahnminiſter
v. Thielen will nur eine Vereinfachung der Tarife, keine Herab-
ſetzung, und auch die Vereinfachung nur zur Entlaſtung und
Verminderung der Schalterbeamten, nicht im Intereſſe des
Publikums; dabei beruft er ſich auf die Nothwendigkeit, die
Stetigkeit der Einnahmen zu erhalten, trotz ihrer beſtändigen
Zunahme in Preußen.

Präſident des Reichseiſenbahnamts Dr. Schulz: Der
Hr. Vorredner wird ſich noch etwas gedulden müſſen. Das
Amt hat alles Mögliche gethan, um die Verhandlungen mit
den Bundesregierungen über die Vereinfachung der Perſonen-
tarife zu fördern. Dazu iſt die Beſeitigung einer großen
Anzahl verſchiedener Sonderbeſtimmungen nothwendig. Den
Ausgleich wird man nur darin finden können, daß man das
Niveau der einfachen Tarife angemeſſen ermäßigt. In Nord-
deutſchland wäre eine weitere Ermäßigung möglich durch Auf-
hebung des Freigepäcks. Die große Schwierigkeit liegt in der
Konſtruktion des richtigen Niveaus für die künftigen Tarife.
Auf die Finanzen der Einzelſtaaten muß Rückſicht genommen
werden. In dieſem Punkte iſt noch keine Einigung erreicht.
Ferner ſind die Einzelſtaaten in der Geſtaltung ihrer Tarife
unabhängig und es kann von Reichs wegen kein Zwang auf
ſie ausgeübt werden. Mit dem, was der preußiſche Eiſenbahn-
miniſter in dieſem Punkte erklärt hat, muß auch das Reichs-
eiſenbahnamt rechnen; ich hoffe dennoch, daß das endliche
Reſultat noch etwas beſſer ſein wird, als wir erwarteten.
Ueber den einfachen billigen Gepäcktarif iſt die Einigung nahezu
herbeigeführt.

Abg. Calwer (Soz.): Die preußiſche Eiſenbahnverwaltung
hat von ihrer Uebermacht Braunſchweig gegenüber in will-
kürlichſter Weiſe Gebrauch gemacht, um die braunſchweigiſchen
Eiſenbahnintereſſen zu vergewaltigen. Redner ſucht dies im
einzelnen ſowohl an den Linienführungen der Bahnen wie an
der Art des Betriebes und Verkehrs nachzuweiſen.

Präſident Schulz: Bisher ſind Beſchwerden an das
Reichseiſenbahnamt nicht gelangt. Einzuſchreiten hatte es keinen
Anlaß. Mit der Betriebsſicherheit iſt es auf den braun-
ſchweigiſchen Bahnhöfen ebenſo gut beſtellt wie anderswo;
[Spaltenumbruch] gewiß ſind viele des Umbaues bedürftig; ſie werden wohl
alle einmal an die Reihe kommen. Die Beſchwerden ſind
örtlicher Natur und gehören in die Einzellandtage. Dem
preußiſchen Reſſoriminiſter hat der Präſident der braun-
ſchweigiſchen Handelskammer für ſeine Fürſorge gedankt.

Abg. Müller-Sagan (Frſ. Vp.): So ſind denn die
Hoffnungen auf baldige Tarifreform noch tiefer herabgeſtimmt.
Das Reichseiſenbahnamt, anſtatt energiſch Initiative zu er-
greifen, reſpektirt entſagungsvoll die Einſprüche des Miniſters
v. Thielen. Wie ſtark der Widerſtand bis jetzt iſt, hat ſich deutlich
gezeigt, als wir die billigen Tarife für kommandirte Soldaten
in geſchloſſenen Trupps auf den einzelnen Urlauber auszu-
dehnen beantragten. Durch die Aenderung in der Ausbil-
dung der Mannſchaften, durch die Friedensübungen auf den
großen Korpsübungsplätzen haben auch die Einnahmen der
Eiſenbahn ſtark zugenommen.

Präſident Schulz: Die Befugniß des Bundesraths, den
Tarif für Militärperſonen feſtzuſetzen, beruht auf dem Geſetz
für die Naturalleiſtungen für die bewaffnete Macht im Frieden.
Die frühere Unterſcheidung zwiſchen ausgerüſteten und nicht
ausgerüſteten Mannſchaften iſt 1887 beſeitigt und der Satz
allgemein auf 1½ Pf. für den Kilometer normirt worden.
Seitdem iſt eine weitere Ermäßigung eingetreten. Für dienſt-
liche Transporte iſt der Satz auf 1 Pf. herabgeſetzt, weil
größere Kommandos eine gute Ausnützung der Transport-
mittel geſtatten. Dienſtliche Einzelfahrten kommen kaum in
Frage. Bei Urlaubsfahrten der einzelnen Soldaten iſt die
Ermäßigung nicht gewährt worden, weil der eben angeführte
Grund in Fortfall kommt und der Satz von 1½ Pf. ſchon
jetzt eine ſtarke Ermäßigung gegenüber dem gewöhnlichen
Tarif darſtellt. Die Stellungnahme des Bundesraths zu der
eventuell vom Reichstag zu faſſenden Reſolution wird abzu-
warten ſein. Die weitere Anregung, den Soldaten einmal
im Jahre freie Fahrt nach der Heimath zu gewähren, findet
in den beſtehenden Geſetzen keinen Boden. Der Bundesrath
würde die Eiſenbahn dazu nicht nöthigen können.

Abg. Stolle (Soz.) verlangt endliche Berückſichtigung
der Anſprüche der Hunderttauſende der Eiſenbahnbetriebs-
beamten und -arbeiter auf eine angemeſſene Ruhezeit. Daß
die Zahl der Eiſenbahnunfälle zunimmt, iſt nichts als die
natürliche Folge der aus Knickerei entſprungenen Ueberlaſtung
des einzelnen Beamten und Arbeiters. Das furchtbare Eiſen-
bahnunglück von Biſchweiler hat ſich am hellen Tage er-
eignet. Den Arbeitern darf die Berufsfreudigkeit nicht ge-
nommen werden, aber anſtatt ihnen irgendwie entgegenzu-
kommen, maßregelt man ſie, wenn ſie das Staatsverbrechen
begehen, ſich zu verſammeln, um über ihre Lage zu berathen;
ſo iſt es den Eiſenbahnern in Sachſen und Preußen ge-
gangen. Auch Artikel 42 der Verfaſſung, wonach die Bundes-
regierungen verpflichtet ſind, die deutſchen Bahnen im Inter-
eſſe des Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten zu
laſſen, iſt ſeit 30 Jahren beſtehendes Recht, aber ausgeführt
wird es nicht. Noch immer werden die unglaublichſten Um-
wege für die ſächſiſchen Exportgüter gewählt, damit nur der
preußiſche Eiſenbahnfiskus nicht zu kurz kommt.

Präſident Schulz: Die Unfälle auf den Eiſenbahnen
haben in den letzten Jahren nicht zu-, ſondern abgenommen.
Das Reichseiſenbahnamt hat keine Befugniß, gegen die Maß-
nahmen der einzelnen Staatsbahnverwaltungen den Eiſenbahn-
beamtenvereinigungen gegenüber Stellung zu nehmen, ſoweit
nicht Intereſſen der Landesvertheidigung und des allgemeinen
Verkehrs in Betracht kommen. Dieſen Intereſſen wird jeden-
falls durch eine wohlwollende, aber ſtrenge Diſciplin gedient.

Sächſiſcher Geſandter Graf Hohenthal: Die Agitation
des Vereins der Eiſenbahnarbeiter hat in Sachſen ſogar die
Diſciplin in den Eiſenbahnwerkſtätten ſtark geſtört. Infolge-
deſſen hat die Regierung eine Verordnung erlaſſen, die die
Arbeiter und Beamten warnt, da der Beitritt zum Verein
die Entlaſſung aus dem Staatsdienſt unweigerlich zur Folge
haben werde. Bei dieſer Verordnung wird es bleiben. Wie
der Arbeiter überall ſeine Kraft zu verwerthen die Freiheit
und das Recht hat, ebenſo hat der Arbeitgeber das Recht,
ſich der Arbeiter zu entledigen, von denen er annimmt, daß
ſie zu ſeinem Dienſt nicht geeignet ſind. Die Beziehungen
der beiden Verwaltungen Sachſen und Preußen ſind die
beſten und der Wettbewerb um gewiſſe Transporte wird in
der allerloyalſten Weiſe geführt.

Abg. Bräſicke (Frſ. Vp.) kommt auf die Frage der
[Spaltenumbruch] Staffeltarife zurück Hr. v. Thielen ſei denſelben gar nicht
ſo abgeneigt, aber ein Mächtigerer ſtehe leider hinter ihm Es
gelte, den Widerſtand des preußiſchen Finanzminiſters zu brechen.

Abg. v. Kardorff (Reichsp.): Mit einer ſtraffen Diſciplin,
wie ſie im Eiſenbahnweſen herrſchen muß, iſt ein unbedingtes
Koalitionsrecht der Eiſenbahnarbeiter unvereinbar. Daß die
Regierung die Regelung der Gehälter der Beamten ganz und
gar in die Hände der Parlamente hat gleiten laſſen, iſt ein
Vorwurf, den ich ihr heute wiederhole; unter dem Fürſten
Bismarck wäre das nicht möglich geweſen. Das hat nicht
nur zur Demoraliſation der Beamten, ſondern auch der
Parlamente geführt. (Große Unruhe links.) Daran tragen
alle Parteien ohne Ausnahme gleichmäßig Schuld. Für die
großen Handelshäuſer und den Großverkehr bilden die Eiſen-
bahntarife eine gewiſſe indirekte Steuer, da ſie ſonſt von den
indirekten Steuern zu wenig getroffen werden. (Hört! Hört!
links.). Unfälle im Eiſenbahnbetrieb ſind zum Theil gerade
infolge einer gewiſſen übertriebenen Sparſamkeit, zumal in
Preußen, eingetreten, und ich muß wünſchen, daß dieſe Spar-
ſamkeit nicht weiter übertrieben wird.

Abg. Schrader (Frſ. Vgg.): Die Eiſenbahnen ſind heute
keine Verkehrsanſtalt, ſondern eine Staatsanſtalt zur Hebung
des Staatseinkommens. Das Abſonderlichſte auf dem Ge-
biete dieſer Auffaſſung leiſtet Hr. v. Kardorff, der die Eiſen-
bahntarife für eine Art Ergänzungsſteuer, eine Konſumtions-
ſteuer auf die Güter erklärte. Allgemeine Durchführung von
Vorrichtungen zur Verſtärkung der Betriebsſicherheit würde
viele Millionen koſten, und vor ſo hohen Ausgaben ſcheut
eine Verwaltung naturgemäß zurück, die in erſter Linie auf
alle Fälle große Ueberſchüſſe herauswirthſchaften ſoll. Redner
empfiehlt ſchließlich den Uebergang zur amerikaniſchen Ver-
kuppelung.

Präſident Schulz: Die Prüfung dieſer Frage iſt im
Gange; die entgegenſtehenden Schwierigkeiten ſind aber nicht
zu unterſchätzen; auf den bayeriſchen Staatsbahnen laufen
allerdings ſchon einige mit dieſer neuen Verkuppelung ver-
ſehene Wagen.

Abg. Stolle: Das Vorgehen der ſächſiſchen Eiſenbahn-
verwaltung gegen die Eiſenbahner fördert nicht, ſondern ge-
fährdet die Betriebsſicherheit der Eiſenbahn. In Sachſen hat
man nach preußiſchem Vorgang und Muſter eine Verordnung
erlaſſen, wonach Anträge auf Vermehrung der Beamten aufs
äußerſte zu beſchränken ſind. Die Beſchwichtigung des
ſächſiſchen Geſandten wird die ſächſiſche Induſtrie, die über
Hamburg nach England exportirt, nicht befriedigen. Seine
Auffaſſung über das Arbeitsverhältniß war rein kapitaliſtiſch.

Präſident Schulz: Die ſächſiſche Staatsbahnverwaltung
ſteht nicht bloß in der Zahl der Eiſenbahnbeamten und Ar-
beiter, ſondern gerade auch in Bezug auf deren Bezahlung
über dem Durchſchnitt der deutſchen Bahnen.

Sächſiſcher Geſandter Graf Hohenthal: Es kann
auch für den Arbeitgeber ſchmerzlich ſein, einen bewährten
Arbeiter entlaſſen zu müſſen. Meine Auffaſſung iſt auch die
Auffaſſung der ſächſiſchen Regierung.

Abg. Hoch (Soz.): Auch in Preußen fehlt nicht bloß
der Wille, die Zuſtände zu beſſern, ſondern man läßt den
baulichen Zuſtand der Bahnen thatſächlich ſchlechter und
ſchlechter werden. Die Streckenarbeiter werden erbärmlich
entlohnt. Arbeitgeber iſt doch der Staat und der Staat ſind
nicht die paar Miniſter, ſondern die Geſammtheit der Bevöl-
kerung, die von der Regierung ein ganz anderes Entgegen-
kommen gegen die Arbeiter verlangen muß. Die Tendenz
der Verwaltung geht einfach dahin, immer mehr Arbeiter
auszuſchalten, ohne jede Rückſicht auf die Betriebsſicherheit.

Graf Hohenthal: Gewiß hat der Staat als Arbeit-
geber ganz beſondere Verpflichtungen, aber bei einem gewiſſen
Punkt hören dieſe Verpflichtungen auf: bei dem Punkt der
Diſciplin und bei dem Punkt der Sicherheit des Verkehrs.

Damit ſchließt die Diskuſſion und der Etat wird be-
willigt
.

Ueber den Etat des allgemeinen Penſionsfonds
berichtet Abg. Graf Oriola (nat.-lib.). Der Referent ver-
weist auf die in der Kommiſſion abgegebenen Erklärungen
des preußiſchen Kriegsminiſters v. Goßler, daß die Ge-
ſetzgebung über die Militärpenſionen auf neue Grundlagen
unter Anlehnung an die Unfallgeſetzgebung geſtellt werden ſoll.

Der Etat wird bewilligt. Die Sitzung ſchließt um
6 Uhr. Dienſtag 1 Uhr wird die Berathung fortgeſetzt.



[Spaltenumbruch]

Höhe: gleich beim Beginn der ſchwerfälligen Expoſition konnte
man die Natürlichkeit der Herren bei Tiſch bewundern. Wie
langweilig werden dagegen Eßſcenen auf deutſchen Bühnen ge-
ſpielt! Da war keine Spur von jener deutſchen Schwerfälligkeit,
die vom Darſteller verlangt, daß er in einem Akt im Namen
der Wahrheit alle Seſſel eines Salons durchprobiren muß. Die
lebendigen Italiener gaben das Stück als italieniſches Kon-
verſationsſtück, und ſelbſt die poſſenhaften Nebenrollen wurden
gedämpft, ſozuſagen geſellſchaftsmäßig geſpielt, wie es dem
engliſchen Geſchmack keineswegs zuſagen würde. Frau Duſe
hält darauf, daß der Eindruck einer Vorſtellung nicht durch
Talentloſigkeit der einzelnen Künſtler geſtört werde; ſie weiß
das Talent neben ſich zu dulden. Der Darſteller des Gatten
Aubery, Carlo Roſaſpina, fand ſich ſehr gut mit ſeiner
nichtsſagenden, leeren Rolle ab, die übrigens kein abſchließendes
Urtheil über den Künſtler geſtattet. Die kommenden Abende
werden die Duſe und die Truppe in bedeutſameren Werken
zeigen. Das Publikum nahm die glänzende Leiſtung des be-
rühmten Gaſtes mit der entſprechenden Begeiſterung auf.

# Konzerte.

Am vergangenen Samſtag ſpielten im
Odeon Pablo de Saraſate und Berthe Marx. Wie
der dichtgefüllte Saal bewies, hat das berühmte Künſtlerpaar
von ſeiner faſt noch berühmteren Anziehungskraft, wenigſtens
bei uns, nicht das Geringſte eingebüßt. Auch der ſtets eruptiv
hervorbrechende Beifallsſturm erinnerte an die nun mehr als
ein Luſtrum zurückliegende Zeit, wo die Beiden im Verein
triumphbeladen durch den Kontinent gezogen kamen und aller-
orts einen Jubel entfeſſelten, der an Heftigkeit und Dauer
das Dageweſene weit übertraf. Es iſt bekannt, daß, als
Saraſate allein reiste, ſeltſamerweiſe nicht nur der urfeurige
Applaus zurückging, ſondern auch die allgemeine, bedingungs-
loſe Anerkennung ſeiner künſtleriſchen Leiſtungen. Wie oft
hat der „ſpaniſche Geigerkönig“, namentlich in den letzten
Jahren, zum ſüßen Lob nicht den bitteren Zuſatz ſchlucken
müſſen: „er wird merklich alt!“ Auch das gilt heuer nicht.
Sarafate geigte ſo friſch und freudig, intonirte ſo ſauber,
brachte die Flageoletdoppelgriffe ſo ſchwebungslos heraus,
daß man ſich faktiſch um zehn Jahre zurückverſetzt wähnte,
in den Zenith ſeines Ruhmes. Erſtannliche Leichtigkeit der
Bogenführung war von jeher ſeine Tugend. Sie iſt mit der
Grund, warum der an ſich nicht große Ton ſo gewaltig
trägt und ſelbſt im raſcheſten Tempo und bei den höchſten
Anforderungen an die Applikatur niemals verſagt. Freilich
[Spaltenumbruch] macht der Künſtler von dieſer ſeiner Stärke den ausgiebigſten
Gebrauch auch da, wo ein geringes Maß hinlänglich genügte.
Er beweist damit, daß es ihm mehr um die Entfaltung ver-
blüffender Hexenkünſte zu thun iſt, als um wirklich künſt-
leriſches Geſtalten. Virtuoſität um ihrer ſelbſtwillen aber iſt
eine böſe Sache. Saraſate ſpielte Schuberts Phantaſie in C,
eine ſtark gewäſſerte Sonate für Violine und Klavier von
Saint-Saëns, Raffs „Liebesfee“ und zuletzt zwei unſäglich
triviale Sachen eigener Kompoſition. Das Raff’ſche Stück
gab er auch geiſtig tiefergehend wohl am beſten wieder. Seine
Partnerin am Klavier, Frau Berthe Marx, hat ſich, ſeit wir
ſie das letzte Mal hörten, wenig verändert. Sie iſt die
Meiſterin des brillanten Vortrags. Alles Techniſche beherrſcht
ſie mit wunderbarer Sicherheit und künſtleriſcher Verklärung.
Die kleinen, aber ſchwierigen Soloſtücke von Händel, Daquin
und Scarlatti entwarf ſie unnachahmlich klar in den Umriſſen.
Wenn ſie ſie nur nicht ſo ſehr in Eis gekühlt hätte! Erſt in
Chopins Barcarole und zwei Rhapſodien von Liſzt entwickelte
ſich die prickelnde Kohlenſäure. Das waren phänomenale
Leiſtungen, voll innerer treibender Kraft, großzügig, entzückend
fein detaillirt, Kabinetſtücke von Elaſtizität des Anſchlags
und der Auffaſſung. — In der III. Matinee von
Elfriede Schunck (Klavier), Emil Wagner (Violine) und
Hans Weber (Cello) gelangte außer den Trios in B (Peters,
Nr. 2) von Mozart und in Es op. 100 von Schubert eine
ſehr werthvolle Sonate für Cello und Klavier op. 15 von
Anton Beer zur Aufführung. Intenſive Ausdruckswärme
und gutgeprägte Themen ſind die Vorzüge dieſes Werks.
Der erſte Satz iſt durchwegs kräftig gehalten, ſtreift aber
zeitweilig auch durch ſchattige Gebiete. In der Durchführung
überwiegt die Arbeit die Phantaſie. Tiefer geht der Kom-
poniſt im marſchmäßigen Andante, dem er ein etwas leiden-
des, doch edles Geſangsthema zugrunde legt; im zweiten
Theil läßt er die gedämpften Streichinſtrumente einen viſio-
nären Blick in die Zukunft thun. Der Schlußſatz ſpiegelt
ſich auf romantiſchem Grund; er erzählt von frohem Ge-
nießen und blickt ſinnend in die ſonnige Landſchaft hinaus.
Frl. Schunck und Hr. Weber brachten die einzelnen Schön-
heiten des Werks mit hohem Verſtändniß und errangen
freundlichen Beifall. Ihre Wiedergabe der Trios, zu der ſich
der ausgezeichnete Geiger Hr. Wagner geſellte, zeigte von
neuem, wie wahrhaft tief die jungen Künſtler in den Geiſt
unſrer Klaſſiker ſchon eingedrungen ſind.

[Spaltenumbruch]

Ein heller Vorfrühlingstag
brachte heute die vom Kaiſer vollzogene Eröffnung der
27. Jahresausſtellung im Künſtlerhauſe. Selten
bot dieſe Eröffnung ein glänzenderes äußeres Bild: Reihen
von ſtolzen Equipagen, ein Beſucherzudrang zum Erſticken.
Architekt Urban hat die weiten, vielfachen Räume den Be-
dürfniſſen der Ausſtellung geſchickt angepaßt. Kein Zuviel
im Dekorativen, zweckmäßige Einbauten im Säulenhof
und im deutſchen Saale, hübſche diskrete Ziermuſter an den
Wänden. Die Münchener haben den Hauptantheil am Aus-
ſtellungsbilde. Sogleich in dem der Großplaſtik gewidmeten
Mittelraume begrüßen wir Rudolf Maiſons „Kaiſer Otto I.
und die mächtigen Heroldreiter vom Berliner Reichstags-
palaſt in polychromiſchen Abgüſſen. Jef Lambeaux’ monu-
mentale Ringergruppe, Edmund v. Hofmanns Koloſſalfigur
Lionardo da Vinci’s in Mormor und eine Bildnißbüſte von
Zumbuſch verdienen beſonderes Intereſſe. Der Luitpold-
Gruppe wurden drei Säle, worunter der große franzöſiſche,
eingeräumt. Man bleibt zunächſt vor dem großen Bild der
Brüder Schuſter-Woldan und Firle’s „Heiliger Nacht“ ſtehen.
Im deutſchen Saal geben die Worpsweder die Note an.
Mackenſens eindrucksvolles Großbild „Die Scholle“ ſieht man
zum erſtenmal in Wien; Vinnen imponirt durch großgeſchante,
umfangreiche Landſchaften. Ein beſonderes Kabinet hat der
Capriccio-Maler Strathmann erhalten. Seine Kurioſa haben
ihr Publikum. Das Bildniß iſt durch Lenbach, den Ungarn
Laſzlo (Reichskanzler Fürſt Hohenlohe), Horovitz, Pochwalski,
Frau Roſenthal-Hatſchek (Erzherzog Eugen) vertreten; Pippich
bringt ſein großes Gefechtsbild „Bei Jajce“; unter den Land-
ſchaftern ſind Courtens (großes Herbſtbild), Schaeffer (Vor-
frühling) und die meiſten aus der jüngeren Schule: Zoff,
Wilt, Ameseder, Kaſparides, der auch ein mächtiges Figuren-
bild ausſtellt, Bamberger, Tomec hervorragend zu nennen;
Goltz’ „Vorüber“ hat Stimmung; die modernſte Note unter
den Landſchaften ſchlagen zwei Neue, Slavicek und Hudecek,
an. Während Paris aus naheliegenden Gründen ſich nur
ſehr mäßig betheiligte — die Damenbildniſſe de la Gandara’s
fallen am meiſten auf —, haben ſich die Engländer mit einer
ganzen Galerie eingefunden, welcher man den oberen Haupt-
ſaal eingeräumt hat. Wir kommen ſelbſtredend auf Sezeſſion
und Künſtlerhaus zurück.



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Preußen, eingetreten, und ich muß wün&#x017F;chen, daß die&#x017F;e Spar-<lb/>
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[2/0002] München, Dienſtag Allgemeine Zeitung 20. März 1900. Nr. 77. Deutſcher Reichstag. 171. Sitzung. er dem ſchwarzen Peſſimismus, daß bei den Verhand- lungen über eine Tarifreform überhaupt gar nichts herauskommen werde, mit einer erfreulich optimiſtiſch ge- haltenen Erklärung entgegen. Sozialdemokratiſche Ab- geordnete machten ſich zum Sprachrohr für angeblich in Braunſchweig und in Sachſen gegen die ſelbſtſüchtige preußiſche Verwaltung gehegten Animoſitäten, aber, nachdem erſt Präſident Schulz erklärt hatte, daß ihm aus Braunſchweig keine Klagen zugegangen ſeien, vielmehr aus dortigen Handelskreiſen eine An- erkennungskundgebung für die angegriffene Verwaltung vorliege, verſicherte der ſächſiſche Bundesrathsbevollmächtigte, Graf Hohenthal, ausdrücklich, daß zwiſchen der ſächſi- ſchen und preußiſchen Verwaltung die beſten Beziehungen herrſchten. Sehr werthvoll war auch die Entſchiedenheit, mit der der ſächſiſche Vertreter zwei Dinge als unverrück- bare Normen, von denen die Regierung durch keinerlei Agitation ſich werde abdrängen laſſen, hinſtellte: die Diſciplin unter den Eiſenbahnbeamten und die Für- ſorge für die Sicherheit des Verkehrs. Hr. v. Kar- dorff (Reichsp.) verhehlte nicht, daß es ein ſchwerer Fehler geweſen ſei, die Regelung der Gehaltsverhält- niſſe der Eiſenbahnbeamten ganz und gar in die Hand des Parlaments zu legen und ſo der Agitation Thor und Thür zu öffnen. Nach dem Etat des Eiſen- bahnamts kam noch der allgemeine Penſionsfonds zur Beſprechung. Der Referent Graf Oriola (nat.-lib.) gedachte namentlich der bedeutungsvollen Erklärungen des preußiſchen Kriegsminiſters v. Goßler vor der Kommiſſion, wonach eine allgemeine Neuregelung der Penſions- verhältniſſe eintreten ſoll. Morgen wird die Etats- berathung fortgeſetzt. Ausführlicher telegraphiſcher Bericht. ⎈ Berlin, 19. März. Das Haus wendet ſich wieder dem Etat zu. Beim Etat des Reichseiſenbahnamts fragt Abg. Pachnicke (Frſ. Vgg.), was bisher zur Ausführung des Artikels 45 der Verfaſſung gethan ſei, wonach das Reich für möglichſte Gleichmäßigkeit und Herabſetzung der Tarife ſorgen ſolle. In Süddeutſchland ſei man zu einer Ermäßigung bereit, aber nicht in Preußen. Der preußiſche Eiſenbahnminiſter v. Thielen will nur eine Vereinfachung der Tarife, keine Herab- ſetzung, und auch die Vereinfachung nur zur Entlaſtung und Verminderung der Schalterbeamten, nicht im Intereſſe des Publikums; dabei beruft er ſich auf die Nothwendigkeit, die Stetigkeit der Einnahmen zu erhalten, trotz ihrer beſtändigen Zunahme in Preußen. Präſident des Reichseiſenbahnamts Dr. Schulz: Der Hr. Vorredner wird ſich noch etwas gedulden müſſen. Das Amt hat alles Mögliche gethan, um die Verhandlungen mit den Bundesregierungen über die Vereinfachung der Perſonen- tarife zu fördern. Dazu iſt die Beſeitigung einer großen Anzahl verſchiedener Sonderbeſtimmungen nothwendig. Den Ausgleich wird man nur darin finden können, daß man das Niveau der einfachen Tarife angemeſſen ermäßigt. In Nord- deutſchland wäre eine weitere Ermäßigung möglich durch Auf- hebung des Freigepäcks. Die große Schwierigkeit liegt in der Konſtruktion des richtigen Niveaus für die künftigen Tarife. Auf die Finanzen der Einzelſtaaten muß Rückſicht genommen werden. In dieſem Punkte iſt noch keine Einigung erreicht. Ferner ſind die Einzelſtaaten in der Geſtaltung ihrer Tarife unabhängig und es kann von Reichs wegen kein Zwang auf ſie ausgeübt werden. Mit dem, was der preußiſche Eiſenbahn- miniſter in dieſem Punkte erklärt hat, muß auch das Reichs- eiſenbahnamt rechnen; ich hoffe dennoch, daß das endliche Reſultat noch etwas beſſer ſein wird, als wir erwarteten. Ueber den einfachen billigen Gepäcktarif iſt die Einigung nahezu herbeigeführt. Abg. Calwer (Soz.): Die preußiſche Eiſenbahnverwaltung hat von ihrer Uebermacht Braunſchweig gegenüber in will- kürlichſter Weiſe Gebrauch gemacht, um die braunſchweigiſchen Eiſenbahnintereſſen zu vergewaltigen. Redner ſucht dies im einzelnen ſowohl an den Linienführungen der Bahnen wie an der Art des Betriebes und Verkehrs nachzuweiſen. Präſident Schulz: Bisher ſind Beſchwerden an das Reichseiſenbahnamt nicht gelangt. Einzuſchreiten hatte es keinen Anlaß. Mit der Betriebsſicherheit iſt es auf den braun- ſchweigiſchen Bahnhöfen ebenſo gut beſtellt wie anderswo; gewiß ſind viele des Umbaues bedürftig; ſie werden wohl alle einmal an die Reihe kommen. Die Beſchwerden ſind örtlicher Natur und gehören in die Einzellandtage. Dem preußiſchen Reſſoriminiſter hat der Präſident der braun- ſchweigiſchen Handelskammer für ſeine Fürſorge gedankt. Abg. Müller-Sagan (Frſ. Vp.): So ſind denn die Hoffnungen auf baldige Tarifreform noch tiefer herabgeſtimmt. Das Reichseiſenbahnamt, anſtatt energiſch Initiative zu er- greifen, reſpektirt entſagungsvoll die Einſprüche des Miniſters v. Thielen. Wie ſtark der Widerſtand bis jetzt iſt, hat ſich deutlich gezeigt, als wir die billigen Tarife für kommandirte Soldaten in geſchloſſenen Trupps auf den einzelnen Urlauber auszu- dehnen beantragten. Durch die Aenderung in der Ausbil- dung der Mannſchaften, durch die Friedensübungen auf den großen Korpsübungsplätzen haben auch die Einnahmen der Eiſenbahn ſtark zugenommen. Präſident Schulz: Die Befugniß des Bundesraths, den Tarif für Militärperſonen feſtzuſetzen, beruht auf dem Geſetz für die Naturalleiſtungen für die bewaffnete Macht im Frieden. Die frühere Unterſcheidung zwiſchen ausgerüſteten und nicht ausgerüſteten Mannſchaften iſt 1887 beſeitigt und der Satz allgemein auf 1½ Pf. für den Kilometer normirt worden. Seitdem iſt eine weitere Ermäßigung eingetreten. Für dienſt- liche Transporte iſt der Satz auf 1 Pf. herabgeſetzt, weil größere Kommandos eine gute Ausnützung der Transport- mittel geſtatten. Dienſtliche Einzelfahrten kommen kaum in Frage. Bei Urlaubsfahrten der einzelnen Soldaten iſt die Ermäßigung nicht gewährt worden, weil der eben angeführte Grund in Fortfall kommt und der Satz von 1½ Pf. ſchon jetzt eine ſtarke Ermäßigung gegenüber dem gewöhnlichen Tarif darſtellt. Die Stellungnahme des Bundesraths zu der eventuell vom Reichstag zu faſſenden Reſolution wird abzu- warten ſein. Die weitere Anregung, den Soldaten einmal im Jahre freie Fahrt nach der Heimath zu gewähren, findet in den beſtehenden Geſetzen keinen Boden. Der Bundesrath würde die Eiſenbahn dazu nicht nöthigen können. Abg. Stolle (Soz.) verlangt endliche Berückſichtigung der Anſprüche der Hunderttauſende der Eiſenbahnbetriebs- beamten und -arbeiter auf eine angemeſſene Ruhezeit. Daß die Zahl der Eiſenbahnunfälle zunimmt, iſt nichts als die natürliche Folge der aus Knickerei entſprungenen Ueberlaſtung des einzelnen Beamten und Arbeiters. Das furchtbare Eiſen- bahnunglück von Biſchweiler hat ſich am hellen Tage er- eignet. Den Arbeitern darf die Berufsfreudigkeit nicht ge- nommen werden, aber anſtatt ihnen irgendwie entgegenzu- kommen, maßregelt man ſie, wenn ſie das Staatsverbrechen begehen, ſich zu verſammeln, um über ihre Lage zu berathen; ſo iſt es den Eiſenbahnern in Sachſen und Preußen ge- gangen. Auch Artikel 42 der Verfaſſung, wonach die Bundes- regierungen verpflichtet ſind, die deutſchen Bahnen im Inter- eſſe des Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten zu laſſen, iſt ſeit 30 Jahren beſtehendes Recht, aber ausgeführt wird es nicht. Noch immer werden die unglaublichſten Um- wege für die ſächſiſchen Exportgüter gewählt, damit nur der preußiſche Eiſenbahnfiskus nicht zu kurz kommt. Präſident Schulz: Die Unfälle auf den Eiſenbahnen haben in den letzten Jahren nicht zu-, ſondern abgenommen. Das Reichseiſenbahnamt hat keine Befugniß, gegen die Maß- nahmen der einzelnen Staatsbahnverwaltungen den Eiſenbahn- beamtenvereinigungen gegenüber Stellung zu nehmen, ſoweit nicht Intereſſen der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs in Betracht kommen. Dieſen Intereſſen wird jeden- falls durch eine wohlwollende, aber ſtrenge Diſciplin gedient. Sächſiſcher Geſandter Graf Hohenthal: Die Agitation des Vereins der Eiſenbahnarbeiter hat in Sachſen ſogar die Diſciplin in den Eiſenbahnwerkſtätten ſtark geſtört. Infolge- deſſen hat die Regierung eine Verordnung erlaſſen, die die Arbeiter und Beamten warnt, da der Beitritt zum Verein die Entlaſſung aus dem Staatsdienſt unweigerlich zur Folge haben werde. Bei dieſer Verordnung wird es bleiben. Wie der Arbeiter überall ſeine Kraft zu verwerthen die Freiheit und das Recht hat, ebenſo hat der Arbeitgeber das Recht, ſich der Arbeiter zu entledigen, von denen er annimmt, daß ſie zu ſeinem Dienſt nicht geeignet ſind. Die Beziehungen der beiden Verwaltungen Sachſen und Preußen ſind die beſten und der Wettbewerb um gewiſſe Transporte wird in der allerloyalſten Weiſe geführt. Abg. Bräſicke (Frſ. Vp.) kommt auf die Frage der Staffeltarife zurück Hr. v. Thielen ſei denſelben gar nicht ſo abgeneigt, aber ein Mächtigerer ſtehe leider hinter ihm Es gelte, den Widerſtand des preußiſchen Finanzminiſters zu brechen. Abg. v. Kardorff (Reichsp.): Mit einer ſtraffen Diſciplin, wie ſie im Eiſenbahnweſen herrſchen muß, iſt ein unbedingtes Koalitionsrecht der Eiſenbahnarbeiter unvereinbar. Daß die Regierung die Regelung der Gehälter der Beamten ganz und gar in die Hände der Parlamente hat gleiten laſſen, iſt ein Vorwurf, den ich ihr heute wiederhole; unter dem Fürſten Bismarck wäre das nicht möglich geweſen. Das hat nicht nur zur Demoraliſation der Beamten, ſondern auch der Parlamente geführt. (Große Unruhe links.) Daran tragen alle Parteien ohne Ausnahme gleichmäßig Schuld. Für die großen Handelshäuſer und den Großverkehr bilden die Eiſen- bahntarife eine gewiſſe indirekte Steuer, da ſie ſonſt von den indirekten Steuern zu wenig getroffen werden. (Hört! Hört! links.). Unfälle im Eiſenbahnbetrieb ſind zum Theil gerade infolge einer gewiſſen übertriebenen Sparſamkeit, zumal in Preußen, eingetreten, und ich muß wünſchen, daß dieſe Spar- ſamkeit nicht weiter übertrieben wird. Abg. Schrader (Frſ. Vgg.): Die Eiſenbahnen ſind heute keine Verkehrsanſtalt, ſondern eine Staatsanſtalt zur Hebung des Staatseinkommens. Das Abſonderlichſte auf dem Ge- biete dieſer Auffaſſung leiſtet Hr. v. Kardorff, der die Eiſen- bahntarife für eine Art Ergänzungsſteuer, eine Konſumtions- ſteuer auf die Güter erklärte. Allgemeine Durchführung von Vorrichtungen zur Verſtärkung der Betriebsſicherheit würde viele Millionen koſten, und vor ſo hohen Ausgaben ſcheut eine Verwaltung naturgemäß zurück, die in erſter Linie auf alle Fälle große Ueberſchüſſe herauswirthſchaften ſoll. Redner empfiehlt ſchließlich den Uebergang zur amerikaniſchen Ver- kuppelung. Präſident Schulz: Die Prüfung dieſer Frage iſt im Gange; die entgegenſtehenden Schwierigkeiten ſind aber nicht zu unterſchätzen; auf den bayeriſchen Staatsbahnen laufen allerdings ſchon einige mit dieſer neuen Verkuppelung ver- ſehene Wagen. Abg. Stolle: Das Vorgehen der ſächſiſchen Eiſenbahn- verwaltung gegen die Eiſenbahner fördert nicht, ſondern ge- fährdet die Betriebsſicherheit der Eiſenbahn. In Sachſen hat man nach preußiſchem Vorgang und Muſter eine Verordnung erlaſſen, wonach Anträge auf Vermehrung der Beamten aufs äußerſte zu beſchränken ſind. Die Beſchwichtigung des ſächſiſchen Geſandten wird die ſächſiſche Induſtrie, die über Hamburg nach England exportirt, nicht befriedigen. Seine Auffaſſung über das Arbeitsverhältniß war rein kapitaliſtiſch. Präſident Schulz: Die ſächſiſche Staatsbahnverwaltung ſteht nicht bloß in der Zahl der Eiſenbahnbeamten und Ar- beiter, ſondern gerade auch in Bezug auf deren Bezahlung über dem Durchſchnitt der deutſchen Bahnen. Sächſiſcher Geſandter Graf Hohenthal: Es kann auch für den Arbeitgeber ſchmerzlich ſein, einen bewährten Arbeiter entlaſſen zu müſſen. Meine Auffaſſung iſt auch die Auffaſſung der ſächſiſchen Regierung. Abg. Hoch (Soz.): Auch in Preußen fehlt nicht bloß der Wille, die Zuſtände zu beſſern, ſondern man läßt den baulichen Zuſtand der Bahnen thatſächlich ſchlechter und ſchlechter werden. Die Streckenarbeiter werden erbärmlich entlohnt. Arbeitgeber iſt doch der Staat und der Staat ſind nicht die paar Miniſter, ſondern die Geſammtheit der Bevöl- kerung, die von der Regierung ein ganz anderes Entgegen- kommen gegen die Arbeiter verlangen muß. Die Tendenz der Verwaltung geht einfach dahin, immer mehr Arbeiter auszuſchalten, ohne jede Rückſicht auf die Betriebsſicherheit. Graf Hohenthal: Gewiß hat der Staat als Arbeit- geber ganz beſondere Verpflichtungen, aber bei einem gewiſſen Punkt hören dieſe Verpflichtungen auf: bei dem Punkt der Diſciplin und bei dem Punkt der Sicherheit des Verkehrs. Damit ſchließt die Diskuſſion und der Etat wird be- willigt. Ueber den Etat des allgemeinen Penſionsfonds berichtet Abg. Graf Oriola (nat.-lib.). Der Referent ver- weist auf die in der Kommiſſion abgegebenen Erklärungen des preußiſchen Kriegsminiſters v. Goßler, daß die Ge- ſetzgebung über die Militärpenſionen auf neue Grundlagen unter Anlehnung an die Unfallgeſetzgebung geſtellt werden ſoll. Der Etat wird bewilligt. Die Sitzung ſchließt um 6 Uhr. Dienſtag 1 Uhr wird die Berathung fortgeſetzt. Höhe: gleich beim Beginn der ſchwerfälligen Expoſition konnte man die Natürlichkeit der Herren bei Tiſch bewundern. Wie langweilig werden dagegen Eßſcenen auf deutſchen Bühnen ge- ſpielt! Da war keine Spur von jener deutſchen Schwerfälligkeit, die vom Darſteller verlangt, daß er in einem Akt im Namen der Wahrheit alle Seſſel eines Salons durchprobiren muß. Die lebendigen Italiener gaben das Stück als italieniſches Kon- verſationsſtück, und ſelbſt die poſſenhaften Nebenrollen wurden gedämpft, ſozuſagen geſellſchaftsmäßig geſpielt, wie es dem engliſchen Geſchmack keineswegs zuſagen würde. Frau Duſe hält darauf, daß der Eindruck einer Vorſtellung nicht durch Talentloſigkeit der einzelnen Künſtler geſtört werde; ſie weiß das Talent neben ſich zu dulden. Der Darſteller des Gatten Aubery, Carlo Roſaſpina, fand ſich ſehr gut mit ſeiner nichtsſagenden, leeren Rolle ab, die übrigens kein abſchließendes Urtheil über den Künſtler geſtattet. Die kommenden Abende werden die Duſe und die Truppe in bedeutſameren Werken zeigen. Das Publikum nahm die glänzende Leiſtung des be- rühmten Gaſtes mit der entſprechenden Begeiſterung auf. # Konzerte. Am vergangenen Samſtag ſpielten im Odeon Pablo de Saraſate und Berthe Marx. Wie der dichtgefüllte Saal bewies, hat das berühmte Künſtlerpaar von ſeiner faſt noch berühmteren Anziehungskraft, wenigſtens bei uns, nicht das Geringſte eingebüßt. Auch der ſtets eruptiv hervorbrechende Beifallsſturm erinnerte an die nun mehr als ein Luſtrum zurückliegende Zeit, wo die Beiden im Verein triumphbeladen durch den Kontinent gezogen kamen und aller- orts einen Jubel entfeſſelten, der an Heftigkeit und Dauer das Dageweſene weit übertraf. Es iſt bekannt, daß, als Saraſate allein reiste, ſeltſamerweiſe nicht nur der urfeurige Applaus zurückging, ſondern auch die allgemeine, bedingungs- loſe Anerkennung ſeiner künſtleriſchen Leiſtungen. Wie oft hat der „ſpaniſche Geigerkönig“, namentlich in den letzten Jahren, zum ſüßen Lob nicht den bitteren Zuſatz ſchlucken müſſen: „er wird merklich alt!“ Auch das gilt heuer nicht. Sarafate geigte ſo friſch und freudig, intonirte ſo ſauber, brachte die Flageoletdoppelgriffe ſo ſchwebungslos heraus, daß man ſich faktiſch um zehn Jahre zurückverſetzt wähnte, in den Zenith ſeines Ruhmes. Erſtannliche Leichtigkeit der Bogenführung war von jeher ſeine Tugend. Sie iſt mit der Grund, warum der an ſich nicht große Ton ſo gewaltig trägt und ſelbſt im raſcheſten Tempo und bei den höchſten Anforderungen an die Applikatur niemals verſagt. Freilich macht der Künſtler von dieſer ſeiner Stärke den ausgiebigſten Gebrauch auch da, wo ein geringes Maß hinlänglich genügte. Er beweist damit, daß es ihm mehr um die Entfaltung ver- blüffender Hexenkünſte zu thun iſt, als um wirklich künſt- leriſches Geſtalten. Virtuoſität um ihrer ſelbſtwillen aber iſt eine böſe Sache. Saraſate ſpielte Schuberts Phantaſie in C, eine ſtark gewäſſerte Sonate für Violine und Klavier von Saint-Saëns, Raffs „Liebesfee“ und zuletzt zwei unſäglich triviale Sachen eigener Kompoſition. Das Raff’ſche Stück gab er auch geiſtig tiefergehend wohl am beſten wieder. Seine Partnerin am Klavier, Frau Berthe Marx, hat ſich, ſeit wir ſie das letzte Mal hörten, wenig verändert. Sie iſt die Meiſterin des brillanten Vortrags. Alles Techniſche beherrſcht ſie mit wunderbarer Sicherheit und künſtleriſcher Verklärung. Die kleinen, aber ſchwierigen Soloſtücke von Händel, Daquin und Scarlatti entwarf ſie unnachahmlich klar in den Umriſſen. Wenn ſie ſie nur nicht ſo ſehr in Eis gekühlt hätte! Erſt in Chopins Barcarole und zwei Rhapſodien von Liſzt entwickelte ſich die prickelnde Kohlenſäure. Das waren phänomenale Leiſtungen, voll innerer treibender Kraft, großzügig, entzückend fein detaillirt, Kabinetſtücke von Elaſtizität des Anſchlags und der Auffaſſung. — In der III. Matinee von Elfriede Schunck (Klavier), Emil Wagner (Violine) und Hans Weber (Cello) gelangte außer den Trios in B (Peters, Nr. 2) von Mozart und in Es op. 100 von Schubert eine ſehr werthvolle Sonate für Cello und Klavier op. 15 von Anton Beer zur Aufführung. Intenſive Ausdruckswärme und gutgeprägte Themen ſind die Vorzüge dieſes Werks. Der erſte Satz iſt durchwegs kräftig gehalten, ſtreift aber zeitweilig auch durch ſchattige Gebiete. In der Durchführung überwiegt die Arbeit die Phantaſie. Tiefer geht der Kom- poniſt im marſchmäßigen Andante, dem er ein etwas leiden- des, doch edles Geſangsthema zugrunde legt; im zweiten Theil läßt er die gedämpften Streichinſtrumente einen viſio- nären Blick in die Zukunft thun. Der Schlußſatz ſpiegelt ſich auf romantiſchem Grund; er erzählt von frohem Ge- nießen und blickt ſinnend in die ſonnige Landſchaft hinaus. Frl. Schunck und Hr. Weber brachten die einzelnen Schön- heiten des Werks mit hohem Verſtändniß und errangen freundlichen Beifall. Ihre Wiedergabe der Trios, zu der ſich der ausgezeichnete Geiger Hr. Wagner geſellte, zeigte von neuem, wie wahrhaft tief die jungen Künſtler in den Geiſt unſrer Klaſſiker ſchon eingedrungen ſind. v. V. Wien, 17. März. Ein heller Vorfrühlingstag brachte heute die vom Kaiſer vollzogene Eröffnung der 27. Jahresausſtellung im Künſtlerhauſe. Selten bot dieſe Eröffnung ein glänzenderes äußeres Bild: Reihen von ſtolzen Equipagen, ein Beſucherzudrang zum Erſticken. Architekt Urban hat die weiten, vielfachen Räume den Be- dürfniſſen der Ausſtellung geſchickt angepaßt. Kein Zuviel im Dekorativen, zweckmäßige Einbauten im Säulenhof und im deutſchen Saale, hübſche diskrete Ziermuſter an den Wänden. Die Münchener haben den Hauptantheil am Aus- ſtellungsbilde. Sogleich in dem der Großplaſtik gewidmeten Mittelraume begrüßen wir Rudolf Maiſons „Kaiſer Otto I.“ und die mächtigen Heroldreiter vom Berliner Reichstags- palaſt in polychromiſchen Abgüſſen. Jef Lambeaux’ monu- mentale Ringergruppe, Edmund v. Hofmanns Koloſſalfigur Lionardo da Vinci’s in Mormor und eine Bildnißbüſte von Zumbuſch verdienen beſonderes Intereſſe. Der Luitpold- Gruppe wurden drei Säle, worunter der große franzöſiſche, eingeräumt. Man bleibt zunächſt vor dem großen Bild der Brüder Schuſter-Woldan und Firle’s „Heiliger Nacht“ ſtehen. Im deutſchen Saal geben die Worpsweder die Note an. Mackenſens eindrucksvolles Großbild „Die Scholle“ ſieht man zum erſtenmal in Wien; Vinnen imponirt durch großgeſchante, umfangreiche Landſchaften. Ein beſonderes Kabinet hat der Capriccio-Maler Strathmann erhalten. Seine Kurioſa haben ihr Publikum. Das Bildniß iſt durch Lenbach, den Ungarn Laſzlo (Reichskanzler Fürſt Hohenlohe), Horovitz, Pochwalski, Frau Roſenthal-Hatſchek (Erzherzog Eugen) vertreten; Pippich bringt ſein großes Gefechtsbild „Bei Jajce“; unter den Land- ſchaftern ſind Courtens (großes Herbſtbild), Schaeffer (Vor- frühling) und die meiſten aus der jüngeren Schule: Zoff, Wilt, Ameseder, Kaſparides, der auch ein mächtiges Figuren- bild ausſtellt, Bamberger, Tomec hervorragend zu nennen; Goltz’ „Vorüber“ hat Stimmung; die modernſte Note unter den Landſchaften ſchlagen zwei Neue, Slavicek und Hudecek, an. Während Paris aus naheliegenden Gründen ſich nur ſehr mäßig betheiligte — die Damenbildniſſe de la Gandara’s fallen am meiſten auf —, haben ſich die Engländer mit einer ganzen Galerie eingefunden, welcher man den oberen Haupt- ſaal eingeräumt hat. Wir kommen ſelbſtredend auf Sezeſſion und Künſtlerhaus zurück.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 20. März 1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1900/2>, abgerufen am 06.06.2024.