Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] Die Soldaten ziehen in die Casernen. Nur an der Burg, an der Staats-
kanzlei, am Ständehause bleibt Militär in ruhiger Haltung. Tausende
durchziehen die Straßen; man steht in Gruppen; man geht spazieren;
Herrten und Damen; alles beleuchtet und ein milder Frühlingshimmel sieht
herab auf die ruhig wallenden Menschen. Hier schließe ich und sende diesen
Brief ab, obgleich ich nicht weiß ob er abgehen kann, abgehen wird.
Heute werden Waffen aus dem bürgerlichen Zeughause abgegeben;
alles bewaffnet sich und man sieht neuen Unruhen entgegen. Jch
glaube nicht daß Ruhe vollständige Ruhe möglich sey bis daß der Staat
in das neue Geleise eingefahren seyn wird welches die Umstände vor-
schreiben. Aus dem alten ist bereits ausgelenkt worden. -- Der Abendtrain
aus Prag brachte gestern Nachricht von ähnlichen Auftritten. Man er-
wartet das Gleiche aus andern Städten zu hören. -- Mittags. Die
bewaffneten Bürgerpatrouillen durchziehen die Stadt nach allen Richtun-
gen und werden mit Jubel begrüßt. Eine kaiserliche Proclamation ver-
heißt: Volksbewaffnung, und gibt die Versicherung die Zeit in Erwä-
gung zu ziehen unter dem Beirathe nicht nur der Stände, sondern
auch einiger Mitglieder aus dem Bürgerstande. Zugleich wird zur Ord-
nung ermahnt, indem "Se. Majestät nur mit Bedauern Gebrauch von
den Waffen machen lassen würde." Dieser letztere Beisatz beruhigt
eben nicht; vielmehr sind die Proclamationen fast an den meisten
Straßenecken abgerissen. Man ist von allen Seiten voll banger Er-
wartung. Jn Mariahilf brannte es; viele Todte hat es dort gegeben.
Gestern gingen die Posten nicht fort; ich will diesem Briefe ein besseres
Schicksal wünschen. Fürst Metternich und mehrere andere Personen
haben die Stadt verlassen.


Nationalgarde
unter dem Befehl des Grafen Hoyos; Preßfreiheit; dieß find die
großen Angebinde der Bewegung. Erzherzog Albrecht, welcher ge-
stern den Befehl zum Feuern gab, hat das Generalcommando der Mi-
litärmacht verloren, und wird vom Fürsten von Windischgrätz ersetzt
werden. Als Stellvertreter von Metternich wird Montecucculi
oder Colloredo genannt. Die Bürgerschaft wird unverzüglich zur
Wahl eines neuen Bürgermeisters schreiten, und man hat Rudolph
Arthaber so ziemlich als denjenigen bezeichnet auf den die Wahl fal-
len wird. Welche große Ereignisse in 24 Stunden! Oesterreich mit
den freiesten Jnstitutionen, das so weit darin zurück war. Aber die
Bevölkerung hat sie sich errungen, auf eine Weise errungen die sie deren
werth zeigt. Der Jubel ist unbeschreiblich; alles mit weißen Schleifen
geschmückt, welche die Damen nebst Kränzen auf die vorüberziehenden
bewaffneten Bürger werfen. Als Motto wählt die Nationalgarde:
Besitz, Arbeit, Jntelligenz! Kein Unterschied der Confessionen,
obgleich noch nicht von oben herab decretirt; ebenso dem Adel Achtung
wenn er arbeitet oder intelligent ist.


Die Nacht war lärmend. Die Volksbewaff-
nung nimmt zu. Jedermann der Lust hat erhält Waffen aus dem bür-
gerlichen Zeughaus. Das Militär zieht ab, und Studenten und bewaff-
nete Bürger beziehen alle Posten. Man erwartet jede Stunde ein Zu-
geständniß der Regierung. Fürst Metternich hat resignirt. Bür-
ger und Studenten durchziehen die Stadt, und halten Ordnung soviel
ihre Kräfte vermögen, und bis jetzt ist es ihrem Eifer gelungen. Pri-
vateigenthum ist nirgends verletzt. In den Vorstädten soll es sehr übel
aussehen. Auf den Glacis find die Gaspsähle herausgerissen, die La-
ternen zertrümmert. Bürger und Studenten trachten auch dort Ord-
nung herzustellen. 11 Uhr. In den Vorstädten soll es wild hergehen;
man soll Angriffe auf einige Fabriken gemacht haben. Jn der Stadt hat
man bis jetzt nur an den Regierungsgebäuden zerstört was man erreichen
konnte. Von der Regierung ist eine Kundmachung in der Zeitung er-
schienen, ohne Wirkung zu machen. Seither ist nichts mehr von ihr
bekannt gemacht worden.


Wien ist im Aufstand; Blut ist geflossen,
Fürst Metternich hat Abends 7 Uhr abgedankt. Wer diese friedliche
lebenslustige Stadt Morgens 8 Uhr noch gesehen hat, konnte sie um
die Mittagsstunde nicht mehr erkennen, glaubte sich um 5 Uhr Nach-
mittags mitten im Tumulte einer Pariser Julirevolution und Abends
um 9 Uhr in einer Stadt des freudigsten Feenmärchens, in der nur
hie und da böse Kobolde noch durch einzelne Schüsse geheimnißvoll fern
und nahe erschrecken. Ein Theil des Adels flieht. Eine Proclama-
tion ruft das Volk zur Ordnung und will durch vage Versprechungen
der allgemeinen Ruhe dienen. Daß Metternich gestürzt, hat einen
[Spaltenumbruch] unermeßlichen Jubel hervorgerufen, der von Minute zu Minute steigt,
indem man endlich Bürgermilitär und bewaffnete Studenten patrouil-
liren sieht. Die Zahl der Todten beträgt nach einigen 10, nach an-
deren 18; die Zahl der Verwundeten 40 bis 50. Die Aufregung ist
noch unbeschreiblich, alle Thore sind gesperrt, man läßt nur Einzelne
aus und ein. Gestürmt ist das Stadtgerichtsgebäude, zu wiederhol-
tenmalen das Schottenthor, das Zeughaus konnte man nicht erstürmen.
Von höhern Officieren sind einige als Opfer gefallen.


Eine kaiserl. Proclamation er-
mahnt zur Ruhe; eine Commission mit Hinzunahme von Männern aus
dem Bürgerstande ist niedergesetzt die Reformen schleunigst zu entwer-
fen. Die Studenten sind bewaffnet und ziehen gemeinschaftlich mit der
Bürgergarde durch die Stadt, wo sie erscheinen ungeheurer Jubel.
Ueberhaupt gebührt den Studenten das erhebendste Zeugniß von festem
Bewußtseyn, edler Haltung, hinreißender Begeisterung; sie haben haupt-
sächlich dem ungeheuren Strome der allgemeinen Bewegung den ent-
scheidenden Anstoß und die Richtung geben helfen. Heute gesteigerte
Spannung, die Vorstädte werden gefürchtet, in den Straßen das Publi-
cum ein anderes als gestern; Handwerker aller Art, fürchterliche Schaa-
ren ziehen umher. Wenn bis Mittag keine umfassenden Reformen da
find, steht das Aergste zu erwarten. Nachrichten aus allen Provinzen
sehr bedenkliche. Die Forderungen an die Regierung find dieselben die
ganz Deutschland an seine Regierungen stellt, eher überbietend als da-
hinter zurückbleibend. Nachschrift. Eben organisiren sich der juristisch-
politische und andere Vereine als Bürgergarde, sie erhalten Waffen aus
dem Zeughause.

Großbritannien.

Lord John Russell ist von seinem kurzen Aufenthalt an der See-
küste nach London zurückgekehrt, und wohnte am 10 März der fortge-
setzten Unterhausverhandlung über Hrn. Hume's Amendement: die
Fortbewilligung der Einkommensteuer auf ein Jahr zu beschränken, als
stummer Zuhörer bei. Der Standard sagt: "Wir haben starken
Grund zu glauben daß Lord Johns Gesundheit fortwährend in einem
sehr unbefriedigenden, um nicht zu sagen bedenklichen Zustand ist. Die
Sorgen und Beängstigungen des Ministeriums sind, wir wissen es
aus bester Quelle, zuviel für die Kräfte des edlen Lord, und sein län-
geres Verbleiben in einem so beschwerlichen Amte dürfte selbst von Ge-
fahr für sein Leben begleitet seyn." Die Times -- von welcher Daily
News
bemerkt sie ahne bevorstehenden Tod mit so sicherem Jnstinct wie
ein Aasgeier oder ein Rabe -- deutet in ziemlich bestimmten Worten
den nahen Rücktritt der jetzigen Verwaltung an. "Bei dem dermaligen
kritischen Stande der auswärtigen Angelegenheiten", sagt sie, "stellen
sich viele die Frage: besitzen wir eine hinlänglich energische Regierung,
welche die nöthigen Verbesserungen im Innern leiten und durchführen
kann? Die Nation ahnt in diesem Punkt nichts gutes. Bei all unserer
persönlichen Achtung für die einzelnen Mitglieder des jetzigen Cabinets
können wir doch für den Minister und seine Plane kein volles Vertrauen
in Anspruch nehmen. Wenig wird verheißen, aber noch weniger gethan.
Wichtige Maßregeln schiebt man auf die lange Bank. Wie kommt es
daß die Regierung so beständig und erfolgreich angegriffen wird? Weil
sie stillsitzt und dem Schützen ein leichtes Ziel darbietet. Jeder Ein-
faltspinsel kann eine stationäre Regierung treffen. Niemand kann
denen helfen die sich selbst nicht helfen wollen. Was thun die Minister?
Lord J. Russell ist unwohl. Unwohl war Oberst Elphinstone in Kabul,
unwohl war der Befehlshaber der "Snake", die im August v. J. an der
Küste von Ost-Afrika scheiterte. Leider wird die Kränklichkeit eines
Ministers leicht ansteckend. Arbeitsleute schaffen selten gut wenn das
Auge des Werkmeisters nicht über ihnen wacht. Das Parlament sitzt seit
drei Monaten, und wie wenig hat es in dieser Zeit geleistet! Man miß-
verstehe uns nicht, wenn wir sagen: jetzt wo alle unsere Nachbarn ihre
Revolutionen haben, muß auch England eine haben -- eine Revolu-
tion der ruhigen und verfassungsmäßigen Art. Ganz Europa, insoweit
es nicht von Barbaren bewohnt ist, schreitet in neue Bahnen. Jedes
Land trägt etwas zu der Bewegung bei. Frankreich hofft durch seine
Aenderung etwas zu gewinnen. Das brittische Volk würde sich schämen
dahinter zu bleiben. Es will keine Staatsumwälzung im gewöhnlichen
Sinn, aber einen entschiedenen Fortschritt; kann es solchen nicht durch
den einen Minister erlangen, wird es ihn ersuchen abzudanken und sei-
nen Platz an einen andern übertragen."

[Spaltenumbruch] Die Soldaten ziehen in die Caſernen. Nur an der Burg, an der Staats-
kanzlei, am Ständehauſe bleibt Militär in ruhiger Haltung. Tauſende
durchziehen die Straßen; man ſteht in Gruppen; man geht ſpazieren;
Herrten und Damen; alles beleuchtet und ein milder Frühlingshimmel ſieht
herab auf die ruhig wallenden Menſchen. Hier ſchließe ich und ſende dieſen
Brief ab, obgleich ich nicht weiß ob er abgehen kann, abgehen wird.
Heute werden Waffen aus dem bürgerlichen Zeughauſe abgegeben;
alles bewaffnet ſich und man ſieht neuen Unruhen entgegen. Jch
glaube nicht daß Ruhe vollſtändige Ruhe möglich ſey bis daß der Staat
in das neue Geleiſe eingefahren ſeyn wird welches die Umſtände vor-
ſchreiben. Aus dem alten iſt bereits ausgelenkt worden. — Der Abendtrain
aus Prag brachte geſtern Nachricht von ähnlichen Auftritten. Man er-
wartet das Gleiche aus andern Städten zu hören. — Mittags. Die
bewaffneten Bürgerpatrouillen durchziehen die Stadt nach allen Richtun-
gen und werden mit Jubel begrüßt. Eine kaiſerliche Proclamation ver-
heißt: Volksbewaffnung, und gibt die Verſicherung die Zeit in Erwä-
gung zu ziehen unter dem Beirathe nicht nur der Stände, ſondern
auch einiger Mitglieder aus dem Bürgerſtande. Zugleich wird zur Ord-
nung ermahnt, indem „Se. Majeſtät nur mit Bedauern Gebrauch von
den Waffen machen laſſen würde.“ Dieſer letztere Beiſatz beruhigt
eben nicht; vielmehr ſind die Proclamationen faſt an den meiſten
Straßenecken abgeriſſen. Man iſt von allen Seiten voll banger Er-
wartung. Jn Mariahilf brannte es; viele Todte hat es dort gegeben.
Geſtern gingen die Poſten nicht fort; ich will dieſem Briefe ein beſſeres
Schickſal wünſchen. Fürſt Metternich und mehrere andere Perſonen
haben die Stadt verlaſſen.


Nationalgarde
unter dem Befehl des Grafen Hoyos; Preßfreiheit; dieß find die
großen Angebinde der Bewegung. Erzherzog Albrecht, welcher ge-
ſtern den Befehl zum Feuern gab, hat das Generalcommando der Mi-
litärmacht verloren, und wird vom Fürſten von Windiſchgrätz erſetzt
werden. Als Stellvertreter von Metternich wird Montecucculi
oder Colloredo genannt. Die Bürgerſchaft wird unverzüglich zur
Wahl eines neuen Bürgermeiſters ſchreiten, und man hat Rudolph
Arthaber ſo ziemlich als denjenigen bezeichnet auf den die Wahl fal-
len wird. Welche große Ereigniſſe in 24 Stunden! Oeſterreich mit
den freieſten Jnſtitutionen, das ſo weit darin zurück war. Aber die
Bevölkerung hat ſie ſich errungen, auf eine Weiſe errungen die ſie deren
werth zeigt. Der Jubel iſt unbeſchreiblich; alles mit weißen Schleifen
geſchmückt, welche die Damen nebſt Kränzen auf die vorüberziehenden
bewaffneten Bürger werfen. Als Motto wählt die Nationalgarde:
Beſitz, Arbeit, Jntelligenz! Kein Unterſchied der Confeſſionen,
obgleich noch nicht von oben herab decretirt; ebenſo dem Adel Achtung
wenn er arbeitet oder intelligent iſt.


Die Nacht war lärmend. Die Volksbewaff-
nung nimmt zu. Jedermann der Luſt hat erhält Waffen aus dem bür-
gerlichen Zeughaus. Das Militär zieht ab, und Studenten und bewaff-
nete Bürger beziehen alle Poſten. Man erwartet jede Stunde ein Zu-
geſtändniß der Regierung. Fürſt Metternich hat reſignirt. Bür-
ger und Studenten durchziehen die Stadt, und halten Ordnung ſoviel
ihre Kräfte vermögen, und bis jetzt iſt es ihrem Eifer gelungen. Pri-
vateigenthum iſt nirgends verletzt. In den Vorſtädten ſoll es ſehr übel
ausſehen. Auf den Glacis find die Gaspſähle herausgeriſſen, die La-
ternen zertrümmert. Bürger und Studenten trachten auch dort Ord-
nung herzuſtellen. 11 Uhr. In den Vorſtädten ſoll es wild hergehen;
man ſoll Angriffe auf einige Fabriken gemacht haben. Jn der Stadt hat
man bis jetzt nur an den Regierungsgebäuden zerſtört was man erreichen
konnte. Von der Regierung iſt eine Kundmachung in der Zeitung er-
ſchienen, ohne Wirkung zu machen. Seither iſt nichts mehr von ihr
bekannt gemacht worden.


Wien iſt im Aufſtand; Blut iſt gefloſſen,
Fürſt Metternich hat Abends 7 Uhr abgedankt. Wer dieſe friedliche
lebensluſtige Stadt Morgens 8 Uhr noch geſehen hat, konnte ſie um
die Mittagsſtunde nicht mehr erkennen, glaubte ſich um 5 Uhr Nach-
mittags mitten im Tumulte einer Pariſer Julirevolution und Abends
um 9 Uhr in einer Stadt des freudigſten Feenmärchens, in der nur
hie und da böſe Kobolde noch durch einzelne Schüſſe geheimnißvoll fern
und nahe erſchrecken. Ein Theil des Adels flieht. Eine Proclama-
tion ruft das Volk zur Ordnung und will durch vage Verſprechungen
der allgemeinen Ruhe dienen. Daß Metternich geſtürzt, hat einen
[Spaltenumbruch] unermeßlichen Jubel hervorgerufen, der von Minute zu Minute ſteigt,
indem man endlich Bürgermilitär und bewaffnete Studenten patrouil-
liren ſieht. Die Zahl der Todten beträgt nach einigen 10, nach an-
deren 18; die Zahl der Verwundeten 40 bis 50. Die Aufregung iſt
noch unbeſchreiblich, alle Thore ſind geſperrt, man läßt nur Einzelne
aus und ein. Geſtürmt iſt das Stadtgerichtsgebäude, zu wiederhol-
tenmalen das Schottenthor, das Zeughaus konnte man nicht erſtürmen.
Von höhern Officieren ſind einige als Opfer gefallen.


Eine kaiſerl. Proclamation er-
mahnt zur Ruhe; eine Commiſſion mit Hinzunahme von Männern aus
dem Bürgerſtande iſt niedergeſetzt die Reformen ſchleunigſt zu entwer-
fen. Die Studenten ſind bewaffnet und ziehen gemeinſchaftlich mit der
Bürgergarde durch die Stadt, wo ſie erſcheinen ungeheurer Jubel.
Ueberhaupt gebührt den Studenten das erhebendſte Zeugniß von feſtem
Bewußtſeyn, edler Haltung, hinreißender Begeiſterung; ſie haben haupt-
ſächlich dem ungeheuren Strome der allgemeinen Bewegung den ent-
ſcheidenden Anſtoß und die Richtung geben helfen. Heute geſteigerte
Spannung, die Vorſtädte werden gefürchtet, in den Straßen das Publi-
cum ein anderes als geſtern; Handwerker aller Art, fürchterliche Schaa-
ren ziehen umher. Wenn bis Mittag keine umfaſſenden Reformen da
find, ſteht das Aergſte zu erwarten. Nachrichten aus allen Provinzen
ſehr bedenkliche. Die Forderungen an die Regierung find dieſelben die
ganz Deutſchland an ſeine Regierungen ſtellt, eher überbietend als da-
hinter zurückbleibend. Nachſchrift. Eben organiſiren ſich der juriſtiſch-
politiſche und andere Vereine als Bürgergarde, ſie erhalten Waffen aus
dem Zeughauſe.

Großbritannien.

Lord John Ruſſell iſt von ſeinem kurzen Aufenthalt an der See-
küſte nach London zurückgekehrt, und wohnte am 10 März der fortge-
ſetzten Unterhausverhandlung über Hrn. Hume’s Amendement: die
Fortbewilligung der Einkommenſteuer auf ein Jahr zu beſchränken, als
ſtummer Zuhörer bei. Der Standard ſagt: „Wir haben ſtarken
Grund zu glauben daß Lord Johns Geſundheit fortwährend in einem
ſehr unbefriedigenden, um nicht zu ſagen bedenklichen Zuſtand iſt. Die
Sorgen und Beängſtigungen des Miniſteriums ſind, wir wiſſen es
aus beſter Quelle, zuviel für die Kräfte des edlen Lord, und ſein län-
geres Verbleiben in einem ſo beſchwerlichen Amte dürfte ſelbſt von Ge-
fahr für ſein Leben begleitet ſeyn.“ Die Times — von welcher Daily
News
bemerkt ſie ahne bevorſtehenden Tod mit ſo ſicherem Jnſtinct wie
ein Aasgeier oder ein Rabe — deutet in ziemlich beſtimmten Worten
den nahen Rücktritt der jetzigen Verwaltung an. „Bei dem dermaligen
kritiſchen Stande der auswärtigen Angelegenheiten“, ſagt ſie, „ſtellen
ſich viele die Frage: beſitzen wir eine hinlänglich energiſche Regierung,
welche die nöthigen Verbeſſerungen im Innern leiten und durchführen
kann? Die Nation ahnt in dieſem Punkt nichts gutes. Bei all unſerer
perſönlichen Achtung für die einzelnen Mitglieder des jetzigen Cabinets
können wir doch für den Miniſter und ſeine Plane kein volles Vertrauen
in Anſpruch nehmen. Wenig wird verheißen, aber noch weniger gethan.
Wichtige Maßregeln ſchiebt man auf die lange Bank. Wie kommt es
daß die Regierung ſo beſtändig und erfolgreich angegriffen wird? Weil
ſie ſtillſitzt und dem Schützen ein leichtes Ziel darbietet. Jeder Ein-
faltspinſel kann eine ſtationäre Regierung treffen. Niemand kann
denen helfen die ſich ſelbſt nicht helfen wollen. Was thun die Miniſter?
Lord J. Ruſſell iſt unwohl. Unwohl war Oberſt Elphinſtone in Kabul,
unwohl war der Befehlshaber der „Snake“, die im Auguſt v. J. an der
Küſte von Oſt-Afrika ſcheiterte. Leider wird die Kränklichkeit eines
Miniſters leicht anſteckend. Arbeitsleute ſchaffen ſelten gut wenn das
Auge des Werkmeiſters nicht über ihnen wacht. Das Parlament ſitzt ſeit
drei Monaten, und wie wenig hat es in dieſer Zeit geleiſtet! Man miß-
verſtehe uns nicht, wenn wir ſagen: jetzt wo alle unſere Nachbarn ihre
Revolutionen haben, muß auch England eine haben — eine Revolu-
tion der ruhigen und verfaſſungsmäßigen Art. Ganz Europa, inſoweit
es nicht von Barbaren bewohnt iſt, ſchreitet in neue Bahnen. Jedes
Land trägt etwas zu der Bewegung bei. Frankreich hofft durch ſeine
Aenderung etwas zu gewinnen. Das brittiſche Volk würde ſich ſchämen
dahinter zu bleiben. Es will keine Staatsumwälzung im gewöhnlichen
Sinn, aber einen entſchiedenen Fortſchritt; kann es ſolchen nicht durch
den einen Miniſter erlangen, wird es ihn erſuchen abzudanken und ſei-
nen Platz an einen andern übertragen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div n="2">
          <div type="jArticle" n="3">
            <p><pb facs="#f0007" n="1223"/><cb/>
Die Soldaten ziehen in die Ca&#x017F;ernen. Nur an der Burg, an der Staats-<lb/>
kanzlei, am Ständehau&#x017F;e bleibt Militär in ruhiger Haltung. Tau&#x017F;ende<lb/>
durchziehen die Straßen; man &#x017F;teht in Gruppen; man geht &#x017F;pazieren;<lb/>
Herrten und Damen; alles beleuchtet und ein milder Frühlingshimmel &#x017F;ieht<lb/>
herab auf die ruhig wallenden Men&#x017F;chen. Hier &#x017F;chließe ich und &#x017F;ende die&#x017F;en<lb/>
Brief ab, obgleich ich nicht weiß ob er abgehen kann, abgehen wird.<lb/>
Heute werden Waffen aus dem bürgerlichen Zeughau&#x017F;e abgegeben;<lb/>
alles bewaffnet &#x017F;ich und man &#x017F;ieht neuen Unruhen entgegen. Jch<lb/>
glaube nicht daß Ruhe voll&#x017F;tändige Ruhe möglich &#x017F;ey bis daß der Staat<lb/>
in das neue Gelei&#x017F;e eingefahren &#x017F;eyn wird welches die Um&#x017F;tände vor-<lb/>
&#x017F;chreiben. Aus dem alten i&#x017F;t bereits ausgelenkt worden. &#x2014; Der Abendtrain<lb/>
aus Prag brachte ge&#x017F;tern Nachricht von ähnlichen Auftritten. Man er-<lb/>
wartet das Gleiche aus andern Städten zu hören. &#x2014; <hi rendition="#g">Mittags</hi>. Die<lb/>
bewaffneten Bürgerpatrouillen durchziehen die Stadt nach allen Richtun-<lb/>
gen und werden mit Jubel begrüßt. Eine kai&#x017F;erliche Proclamation ver-<lb/>
heißt: Volksbewaffnung, und gibt die Ver&#x017F;icherung die Zeit in Erwä-<lb/>
gung zu ziehen unter dem Beirathe nicht nur der Stände, &#x017F;ondern<lb/>
auch einiger Mitglieder aus dem Bürger&#x017F;tande. Zugleich wird zur Ord-<lb/>
nung ermahnt, indem &#x201E;Se. Maje&#x017F;tät nur mit Bedauern Gebrauch von<lb/>
den Waffen machen la&#x017F;&#x017F;en würde.&#x201C; Die&#x017F;er letztere Bei&#x017F;atz beruhigt<lb/>
eben nicht; vielmehr &#x017F;ind die Proclamationen fa&#x017F;t an den mei&#x017F;ten<lb/>
Straßenecken abgeri&#x017F;&#x017F;en. Man i&#x017F;t von allen Seiten voll banger Er-<lb/>
wartung. Jn Mariahilf brannte es; viele Todte hat es dort gegeben.<lb/>
Ge&#x017F;tern gingen die Po&#x017F;ten nicht fort; ich will die&#x017F;em Briefe ein be&#x017F;&#x017F;eres<lb/>
Schick&#x017F;al wün&#x017F;chen. Für&#x017F;t Metternich und mehrere andere Per&#x017F;onen<lb/>
haben die Stadt verla&#x017F;&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jComment" n="3">
            <dateline><hi rendition="#b">&#x2643; Wien,</hi> 14 März. (Nachmittags 3 Uhr.)</dateline><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Nationalgarde</hi><lb/>
unter dem Befehl des Grafen <hi rendition="#g">Hoyos; Preßfreiheit;</hi> dieß find die<lb/>
großen Angebinde der Bewegung. Erzherzog <hi rendition="#g">Albrecht</hi>, welcher ge-<lb/>
&#x017F;tern den Befehl zum Feuern gab, hat das Generalcommando der Mi-<lb/>
litärmacht verloren, und wird vom Für&#x017F;ten von <hi rendition="#g">Windi&#x017F;chgrätz</hi> er&#x017F;etzt<lb/>
werden. Als Stellvertreter von <hi rendition="#g">Metternich</hi> wird <hi rendition="#g">Montecucculi</hi><lb/>
oder <hi rendition="#g">Colloredo</hi> genannt. Die Bürger&#x017F;chaft wird unverzüglich zur<lb/>
Wahl eines neuen Bürgermei&#x017F;ters &#x017F;chreiten, und man hat Rudolph<lb/><hi rendition="#g">Arthaber</hi> &#x017F;o ziemlich als denjenigen bezeichnet auf den die Wahl fal-<lb/>
len wird. Welche große Ereigni&#x017F;&#x017F;e in 24 Stunden! Oe&#x017F;terreich mit<lb/>
den freie&#x017F;ten Jn&#x017F;titutionen, das &#x017F;o weit darin zurück war. Aber die<lb/>
Bevölkerung hat &#x017F;ie &#x017F;ich errungen, auf eine Wei&#x017F;e errungen die &#x017F;ie deren<lb/>
werth zeigt. Der Jubel i&#x017F;t unbe&#x017F;chreiblich; alles mit weißen Schleifen<lb/>
ge&#x017F;chmückt, welche die Damen neb&#x017F;t Kränzen auf die vorüberziehenden<lb/>
bewaffneten Bürger werfen. Als Motto wählt die Nationalgarde:<lb/><hi rendition="#g">Be&#x017F;itz, Arbeit, Jntelligenz!</hi> Kein Unter&#x017F;chied der Confe&#x017F;&#x017F;ionen,<lb/>
obgleich noch nicht von oben herab decretirt; eben&#x017F;o dem Adel Achtung<lb/>
wenn er arbeitet oder intelligent i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <dateline>* <hi rendition="#b">Wien,</hi> 14 März.</dateline><lb/>
            <p>Die Nacht war lärmend. Die Volksbewaff-<lb/>
nung nimmt zu. Jedermann der Lu&#x017F;t hat erhält Waffen aus dem bür-<lb/>
gerlichen Zeughaus. Das Militär zieht ab, und Studenten und bewaff-<lb/>
nete Bürger beziehen alle Po&#x017F;ten. Man erwartet jede Stunde ein Zu-<lb/>
ge&#x017F;tändniß der Regierung. <hi rendition="#g">Für&#x017F;t Metternich hat re&#x017F;ignirt</hi>. Bür-<lb/>
ger und Studenten durchziehen die Stadt, und halten Ordnung &#x017F;oviel<lb/>
ihre Kräfte vermögen, und bis jetzt i&#x017F;t es ihrem Eifer gelungen. Pri-<lb/>
vateigenthum i&#x017F;t nirgends verletzt. In den Vor&#x017F;tädten &#x017F;oll es &#x017F;ehr übel<lb/>
aus&#x017F;ehen. Auf den Glacis find die Gasp&#x017F;ähle herausgeri&#x017F;&#x017F;en, die La-<lb/>
ternen zertrümmert. Bürger und Studenten trachten auch dort Ord-<lb/>
nung herzu&#x017F;tellen. 11 <hi rendition="#g">Uhr</hi>. In den Vor&#x017F;tädten &#x017F;oll es wild hergehen;<lb/>
man &#x017F;oll Angriffe auf einige Fabriken gemacht haben. Jn der Stadt hat<lb/>
man bis jetzt nur an den Regierungsgebäuden zer&#x017F;tört was man erreichen<lb/>
konnte. Von der Regierung i&#x017F;t eine Kundmachung in der Zeitung er-<lb/>
&#x017F;chienen, ohne Wirkung zu machen. Seither i&#x017F;t nichts mehr von ihr<lb/>
bekannt gemacht worden.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <dateline>&#x2609; <hi rendition="#b">Wien,</hi> 13 März.</dateline><lb/>
            <p>Wien i&#x017F;t im Auf&#x017F;tand; Blut i&#x017F;t geflo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
Für&#x017F;t Metternich hat Abends 7 Uhr abgedankt. Wer die&#x017F;e friedliche<lb/>
lebenslu&#x017F;tige Stadt Morgens 8 Uhr noch ge&#x017F;ehen hat, konnte &#x017F;ie um<lb/>
die Mittags&#x017F;tunde nicht mehr erkennen, glaubte &#x017F;ich um 5 Uhr Nach-<lb/>
mittags mitten im Tumulte einer Pari&#x017F;er Julirevolution und Abends<lb/>
um 9 Uhr in einer Stadt des freudig&#x017F;ten Feenmärchens, in der nur<lb/>
hie und da bö&#x017F;e Kobolde noch durch einzelne Schü&#x017F;&#x017F;e geheimnißvoll fern<lb/>
und nahe er&#x017F;chrecken. Ein Theil des Adels flieht. Eine Proclama-<lb/>
tion ruft das Volk zur Ordnung und will durch vage Ver&#x017F;prechungen<lb/>
der allgemeinen Ruhe dienen. Daß Metternich ge&#x017F;türzt, hat einen<lb/><cb/>
unermeßlichen Jubel hervorgerufen, der von Minute zu Minute &#x017F;teigt,<lb/>
indem man endlich Bürgermilitär und bewaffnete Studenten patrouil-<lb/>
liren &#x017F;ieht. Die Zahl der Todten beträgt nach einigen 10, nach an-<lb/>
deren 18; die Zahl der Verwundeten 40 bis 50. Die Aufregung i&#x017F;t<lb/>
noch unbe&#x017F;chreiblich, alle Thore &#x017F;ind ge&#x017F;perrt, man läßt nur Einzelne<lb/>
aus und ein. Ge&#x017F;türmt i&#x017F;t das Stadtgerichtsgebäude, zu wiederhol-<lb/>
tenmalen das Schottenthor, das Zeughaus konnte man nicht er&#x017F;türmen.<lb/>
Von höhern Officieren &#x017F;ind einige als Opfer gefallen.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <dateline>&#x2609; <hi rendition="#b">Wien,</hi> 14 März Morgens.</dateline><lb/>
            <p>Eine kai&#x017F;erl. Proclamation er-<lb/>
mahnt zur Ruhe; eine Commi&#x017F;&#x017F;ion mit Hinzunahme von Männern aus<lb/>
dem Bürger&#x017F;tande i&#x017F;t niederge&#x017F;etzt die Reformen &#x017F;chleunig&#x017F;t zu entwer-<lb/>
fen. Die Studenten &#x017F;ind bewaffnet und ziehen gemein&#x017F;chaftlich mit der<lb/>
Bürgergarde durch die Stadt, wo &#x017F;ie er&#x017F;cheinen ungeheurer Jubel.<lb/>
Ueberhaupt gebührt den Studenten das erhebend&#x017F;te Zeugniß von fe&#x017F;tem<lb/>
Bewußt&#x017F;eyn, edler Haltung, hinreißender Begei&#x017F;terung; &#x017F;ie haben haupt-<lb/>
&#x017F;ächlich dem ungeheuren Strome der allgemeinen Bewegung den ent-<lb/>
&#x017F;cheidenden An&#x017F;toß und die Richtung geben helfen. Heute ge&#x017F;teigerte<lb/>
Spannung, die Vor&#x017F;tädte werden gefürchtet, in den Straßen das Publi-<lb/>
cum ein anderes als ge&#x017F;tern; Handwerker aller Art, fürchterliche Schaa-<lb/>
ren ziehen umher. Wenn bis Mittag keine umfa&#x017F;&#x017F;enden Reformen da<lb/>
find, &#x017F;teht das Aerg&#x017F;te zu erwarten. Nachrichten aus allen Provinzen<lb/>
&#x017F;ehr bedenkliche. Die Forderungen an die Regierung find die&#x017F;elben die<lb/>
ganz Deut&#x017F;chland an &#x017F;eine Regierungen &#x017F;tellt, eher überbietend als da-<lb/>
hinter zurückbleibend. <hi rendition="#g">Nach&#x017F;chrift</hi>. Eben organi&#x017F;iren &#x017F;ich der juri&#x017F;ti&#x017F;ch-<lb/>
politi&#x017F;che und andere Vereine als Bürgergarde, &#x017F;ie erhalten Waffen aus<lb/>
dem Zeughau&#x017F;e.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 11 März.</dateline><lb/>
            <p>Lord John Ru&#x017F;&#x017F;ell i&#x017F;t von &#x017F;einem kurzen Aufenthalt an der See-<lb/>&#x017F;te nach London zurückgekehrt, und wohnte am 10 März der fortge-<lb/>
&#x017F;etzten Unterhausverhandlung über Hrn. Hume&#x2019;s Amendement: die<lb/>
Fortbewilligung der Einkommen&#x017F;teuer auf <hi rendition="#g">ein</hi> Jahr zu be&#x017F;chränken, als<lb/>
&#x017F;tummer Zuhörer bei. Der <hi rendition="#g">Standard</hi> &#x017F;agt: &#x201E;Wir haben &#x017F;tarken<lb/>
Grund zu glauben daß Lord Johns Ge&#x017F;undheit fortwährend in einem<lb/>
&#x017F;ehr unbefriedigenden, um nicht zu &#x017F;agen bedenklichen Zu&#x017F;tand i&#x017F;t. Die<lb/>
Sorgen und Beäng&#x017F;tigungen des Mini&#x017F;teriums &#x017F;ind, wir wi&#x017F;&#x017F;en es<lb/>
aus be&#x017F;ter Quelle, zuviel für die Kräfte des edlen Lord, und &#x017F;ein län-<lb/>
geres Verbleiben in einem &#x017F;o be&#x017F;chwerlichen Amte dürfte &#x017F;elb&#x017F;t von Ge-<lb/>
fahr für &#x017F;ein Leben begleitet &#x017F;eyn.&#x201C; Die <hi rendition="#g">Times</hi> &#x2014; von welcher <hi rendition="#g">Daily<lb/>
News</hi> bemerkt &#x017F;ie ahne bevor&#x017F;tehenden Tod mit &#x017F;o &#x017F;icherem Jn&#x017F;tinct wie<lb/>
ein Aasgeier oder ein Rabe &#x2014; deutet in ziemlich be&#x017F;timmten Worten<lb/>
den nahen Rücktritt der jetzigen Verwaltung an. &#x201E;Bei dem dermaligen<lb/>
kriti&#x017F;chen Stande der auswärtigen Angelegenheiten&#x201C;, &#x017F;agt &#x017F;ie, &#x201E;&#x017F;tellen<lb/>
&#x017F;ich viele die Frage: be&#x017F;itzen wir eine hinlänglich energi&#x017F;che Regierung,<lb/>
welche die nöthigen Verbe&#x017F;&#x017F;erungen im Innern leiten und durchführen<lb/>
kann? Die Nation ahnt in die&#x017F;em Punkt nichts gutes. Bei all un&#x017F;erer<lb/>
per&#x017F;önlichen Achtung für die einzelnen Mitglieder des jetzigen Cabinets<lb/>
können wir doch für den Mini&#x017F;ter und &#x017F;eine Plane kein volles Vertrauen<lb/>
in An&#x017F;pruch nehmen. Wenig wird verheißen, aber noch weniger gethan.<lb/>
Wichtige Maßregeln &#x017F;chiebt man auf die lange Bank. Wie kommt es<lb/>
daß die Regierung &#x017F;o be&#x017F;tändig und erfolgreich angegriffen wird? Weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;till&#x017F;itzt und dem Schützen ein leichtes Ziel darbietet. Jeder Ein-<lb/>
faltspin&#x017F;el kann eine &#x017F;tationäre Regierung treffen. Niemand kann<lb/>
denen helfen die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht helfen wollen. Was thun die Mini&#x017F;ter?<lb/>
Lord J. Ru&#x017F;&#x017F;ell i&#x017F;t unwohl. Unwohl war Ober&#x017F;t Elphin&#x017F;tone in Kabul,<lb/>
unwohl war der Befehlshaber der &#x201E;Snake&#x201C;, die im Augu&#x017F;t v. J. an der<lb/>&#x017F;te von O&#x017F;t-Afrika &#x017F;cheiterte. Leider wird die Kränklichkeit eines<lb/>
Mini&#x017F;ters leicht an&#x017F;teckend. Arbeitsleute &#x017F;chaffen &#x017F;elten gut wenn das<lb/>
Auge des Werkmei&#x017F;ters nicht über ihnen wacht. Das Parlament &#x017F;itzt &#x017F;eit<lb/>
drei Monaten, und wie wenig hat es in die&#x017F;er Zeit gelei&#x017F;tet! Man miß-<lb/>
ver&#x017F;tehe uns nicht, wenn wir &#x017F;agen: jetzt wo alle un&#x017F;ere Nachbarn ihre<lb/>
Revolutionen haben, muß auch England eine haben &#x2014; eine Revolu-<lb/>
tion der ruhigen und verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Art. Ganz Europa, in&#x017F;oweit<lb/>
es nicht von Barbaren bewohnt i&#x017F;t, &#x017F;chreitet in neue Bahnen. Jedes<lb/>
Land trägt etwas zu der Bewegung bei. Frankreich hofft durch &#x017F;eine<lb/>
Aenderung etwas zu gewinnen. Das britti&#x017F;che Volk würde &#x017F;ich &#x017F;chämen<lb/>
dahinter zu bleiben. Es will keine Staatsumwälzung im gewöhnlichen<lb/>
Sinn, aber einen ent&#x017F;chiedenen Fort&#x017F;chritt; kann es &#x017F;olchen nicht durch<lb/>
den einen Mini&#x017F;ter erlangen, wird es ihn er&#x017F;uchen abzudanken und &#x017F;ei-<lb/>
nen Platz an einen andern übertragen.&#x201C;</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1223/0007] Die Soldaten ziehen in die Caſernen. Nur an der Burg, an der Staats- kanzlei, am Ständehauſe bleibt Militär in ruhiger Haltung. Tauſende durchziehen die Straßen; man ſteht in Gruppen; man geht ſpazieren; Herrten und Damen; alles beleuchtet und ein milder Frühlingshimmel ſieht herab auf die ruhig wallenden Menſchen. Hier ſchließe ich und ſende dieſen Brief ab, obgleich ich nicht weiß ob er abgehen kann, abgehen wird. Heute werden Waffen aus dem bürgerlichen Zeughauſe abgegeben; alles bewaffnet ſich und man ſieht neuen Unruhen entgegen. Jch glaube nicht daß Ruhe vollſtändige Ruhe möglich ſey bis daß der Staat in das neue Geleiſe eingefahren ſeyn wird welches die Umſtände vor- ſchreiben. Aus dem alten iſt bereits ausgelenkt worden. — Der Abendtrain aus Prag brachte geſtern Nachricht von ähnlichen Auftritten. Man er- wartet das Gleiche aus andern Städten zu hören. — Mittags. Die bewaffneten Bürgerpatrouillen durchziehen die Stadt nach allen Richtun- gen und werden mit Jubel begrüßt. Eine kaiſerliche Proclamation ver- heißt: Volksbewaffnung, und gibt die Verſicherung die Zeit in Erwä- gung zu ziehen unter dem Beirathe nicht nur der Stände, ſondern auch einiger Mitglieder aus dem Bürgerſtande. Zugleich wird zur Ord- nung ermahnt, indem „Se. Majeſtät nur mit Bedauern Gebrauch von den Waffen machen laſſen würde.“ Dieſer letztere Beiſatz beruhigt eben nicht; vielmehr ſind die Proclamationen faſt an den meiſten Straßenecken abgeriſſen. Man iſt von allen Seiten voll banger Er- wartung. Jn Mariahilf brannte es; viele Todte hat es dort gegeben. Geſtern gingen die Poſten nicht fort; ich will dieſem Briefe ein beſſeres Schickſal wünſchen. Fürſt Metternich und mehrere andere Perſonen haben die Stadt verlaſſen. ♃ Wien, 14 März. (Nachmittags 3 Uhr.) Nationalgarde unter dem Befehl des Grafen Hoyos; Preßfreiheit; dieß find die großen Angebinde der Bewegung. Erzherzog Albrecht, welcher ge- ſtern den Befehl zum Feuern gab, hat das Generalcommando der Mi- litärmacht verloren, und wird vom Fürſten von Windiſchgrätz erſetzt werden. Als Stellvertreter von Metternich wird Montecucculi oder Colloredo genannt. Die Bürgerſchaft wird unverzüglich zur Wahl eines neuen Bürgermeiſters ſchreiten, und man hat Rudolph Arthaber ſo ziemlich als denjenigen bezeichnet auf den die Wahl fal- len wird. Welche große Ereigniſſe in 24 Stunden! Oeſterreich mit den freieſten Jnſtitutionen, das ſo weit darin zurück war. Aber die Bevölkerung hat ſie ſich errungen, auf eine Weiſe errungen die ſie deren werth zeigt. Der Jubel iſt unbeſchreiblich; alles mit weißen Schleifen geſchmückt, welche die Damen nebſt Kränzen auf die vorüberziehenden bewaffneten Bürger werfen. Als Motto wählt die Nationalgarde: Beſitz, Arbeit, Jntelligenz! Kein Unterſchied der Confeſſionen, obgleich noch nicht von oben herab decretirt; ebenſo dem Adel Achtung wenn er arbeitet oder intelligent iſt. * Wien, 14 März. Die Nacht war lärmend. Die Volksbewaff- nung nimmt zu. Jedermann der Luſt hat erhält Waffen aus dem bür- gerlichen Zeughaus. Das Militär zieht ab, und Studenten und bewaff- nete Bürger beziehen alle Poſten. Man erwartet jede Stunde ein Zu- geſtändniß der Regierung. Fürſt Metternich hat reſignirt. Bür- ger und Studenten durchziehen die Stadt, und halten Ordnung ſoviel ihre Kräfte vermögen, und bis jetzt iſt es ihrem Eifer gelungen. Pri- vateigenthum iſt nirgends verletzt. In den Vorſtädten ſoll es ſehr übel ausſehen. Auf den Glacis find die Gaspſähle herausgeriſſen, die La- ternen zertrümmert. Bürger und Studenten trachten auch dort Ord- nung herzuſtellen. 11 Uhr. In den Vorſtädten ſoll es wild hergehen; man ſoll Angriffe auf einige Fabriken gemacht haben. Jn der Stadt hat man bis jetzt nur an den Regierungsgebäuden zerſtört was man erreichen konnte. Von der Regierung iſt eine Kundmachung in der Zeitung er- ſchienen, ohne Wirkung zu machen. Seither iſt nichts mehr von ihr bekannt gemacht worden. ☉ Wien, 13 März. Wien iſt im Aufſtand; Blut iſt gefloſſen, Fürſt Metternich hat Abends 7 Uhr abgedankt. Wer dieſe friedliche lebensluſtige Stadt Morgens 8 Uhr noch geſehen hat, konnte ſie um die Mittagsſtunde nicht mehr erkennen, glaubte ſich um 5 Uhr Nach- mittags mitten im Tumulte einer Pariſer Julirevolution und Abends um 9 Uhr in einer Stadt des freudigſten Feenmärchens, in der nur hie und da böſe Kobolde noch durch einzelne Schüſſe geheimnißvoll fern und nahe erſchrecken. Ein Theil des Adels flieht. Eine Proclama- tion ruft das Volk zur Ordnung und will durch vage Verſprechungen der allgemeinen Ruhe dienen. Daß Metternich geſtürzt, hat einen unermeßlichen Jubel hervorgerufen, der von Minute zu Minute ſteigt, indem man endlich Bürgermilitär und bewaffnete Studenten patrouil- liren ſieht. Die Zahl der Todten beträgt nach einigen 10, nach an- deren 18; die Zahl der Verwundeten 40 bis 50. Die Aufregung iſt noch unbeſchreiblich, alle Thore ſind geſperrt, man läßt nur Einzelne aus und ein. Geſtürmt iſt das Stadtgerichtsgebäude, zu wiederhol- tenmalen das Schottenthor, das Zeughaus konnte man nicht erſtürmen. Von höhern Officieren ſind einige als Opfer gefallen. ☉ Wien, 14 März Morgens. Eine kaiſerl. Proclamation er- mahnt zur Ruhe; eine Commiſſion mit Hinzunahme von Männern aus dem Bürgerſtande iſt niedergeſetzt die Reformen ſchleunigſt zu entwer- fen. Die Studenten ſind bewaffnet und ziehen gemeinſchaftlich mit der Bürgergarde durch die Stadt, wo ſie erſcheinen ungeheurer Jubel. Ueberhaupt gebührt den Studenten das erhebendſte Zeugniß von feſtem Bewußtſeyn, edler Haltung, hinreißender Begeiſterung; ſie haben haupt- ſächlich dem ungeheuren Strome der allgemeinen Bewegung den ent- ſcheidenden Anſtoß und die Richtung geben helfen. Heute geſteigerte Spannung, die Vorſtädte werden gefürchtet, in den Straßen das Publi- cum ein anderes als geſtern; Handwerker aller Art, fürchterliche Schaa- ren ziehen umher. Wenn bis Mittag keine umfaſſenden Reformen da find, ſteht das Aergſte zu erwarten. Nachrichten aus allen Provinzen ſehr bedenkliche. Die Forderungen an die Regierung find dieſelben die ganz Deutſchland an ſeine Regierungen ſtellt, eher überbietend als da- hinter zurückbleibend. Nachſchrift. Eben organiſiren ſich der juriſtiſch- politiſche und andere Vereine als Bürgergarde, ſie erhalten Waffen aus dem Zeughauſe. Großbritannien. London, 11 März. Lord John Ruſſell iſt von ſeinem kurzen Aufenthalt an der See- küſte nach London zurückgekehrt, und wohnte am 10 März der fortge- ſetzten Unterhausverhandlung über Hrn. Hume’s Amendement: die Fortbewilligung der Einkommenſteuer auf ein Jahr zu beſchränken, als ſtummer Zuhörer bei. Der Standard ſagt: „Wir haben ſtarken Grund zu glauben daß Lord Johns Geſundheit fortwährend in einem ſehr unbefriedigenden, um nicht zu ſagen bedenklichen Zuſtand iſt. Die Sorgen und Beängſtigungen des Miniſteriums ſind, wir wiſſen es aus beſter Quelle, zuviel für die Kräfte des edlen Lord, und ſein län- geres Verbleiben in einem ſo beſchwerlichen Amte dürfte ſelbſt von Ge- fahr für ſein Leben begleitet ſeyn.“ Die Times — von welcher Daily News bemerkt ſie ahne bevorſtehenden Tod mit ſo ſicherem Jnſtinct wie ein Aasgeier oder ein Rabe — deutet in ziemlich beſtimmten Worten den nahen Rücktritt der jetzigen Verwaltung an. „Bei dem dermaligen kritiſchen Stande der auswärtigen Angelegenheiten“, ſagt ſie, „ſtellen ſich viele die Frage: beſitzen wir eine hinlänglich energiſche Regierung, welche die nöthigen Verbeſſerungen im Innern leiten und durchführen kann? Die Nation ahnt in dieſem Punkt nichts gutes. Bei all unſerer perſönlichen Achtung für die einzelnen Mitglieder des jetzigen Cabinets können wir doch für den Miniſter und ſeine Plane kein volles Vertrauen in Anſpruch nehmen. Wenig wird verheißen, aber noch weniger gethan. Wichtige Maßregeln ſchiebt man auf die lange Bank. Wie kommt es daß die Regierung ſo beſtändig und erfolgreich angegriffen wird? Weil ſie ſtillſitzt und dem Schützen ein leichtes Ziel darbietet. Jeder Ein- faltspinſel kann eine ſtationäre Regierung treffen. Niemand kann denen helfen die ſich ſelbſt nicht helfen wollen. Was thun die Miniſter? Lord J. Ruſſell iſt unwohl. Unwohl war Oberſt Elphinſtone in Kabul, unwohl war der Befehlshaber der „Snake“, die im Auguſt v. J. an der Küſte von Oſt-Afrika ſcheiterte. Leider wird die Kränklichkeit eines Miniſters leicht anſteckend. Arbeitsleute ſchaffen ſelten gut wenn das Auge des Werkmeiſters nicht über ihnen wacht. Das Parlament ſitzt ſeit drei Monaten, und wie wenig hat es in dieſer Zeit geleiſtet! Man miß- verſtehe uns nicht, wenn wir ſagen: jetzt wo alle unſere Nachbarn ihre Revolutionen haben, muß auch England eine haben — eine Revolu- tion der ruhigen und verfaſſungsmäßigen Art. Ganz Europa, inſoweit es nicht von Barbaren bewohnt iſt, ſchreitet in neue Bahnen. Jedes Land trägt etwas zu der Bewegung bei. Frankreich hofft durch ſeine Aenderung etwas zu gewinnen. Das brittiſche Volk würde ſich ſchämen dahinter zu bleiben. Es will keine Staatsumwälzung im gewöhnlichen Sinn, aber einen entſchiedenen Fortſchritt; kann es ſolchen nicht durch den einen Miniſter erlangen, wird es ihn erſuchen abzudanken und ſei- nen Platz an einen andern übertragen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848/7
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848, S. 1223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848/7>, abgerufen am 23.11.2024.