Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848.[Spaltenumbruch]
Kaiserreich in allen Theilen organisch zu constituiren, dennoch unstrei- (Beschluß folgt.) Aus Paris. § Paris, 9 März. Eine der merkwürdigsten Erscheinungen in * ^ Paris, 10 Febr. Die Arbeiterfrage ist das Räthsel der [Spaltenumbruch]
Kaiſerreich in allen Theilen organiſch zu conſtituiren, dennoch unſtrei- (Beſchluß folgt.) Aus Paris. § Paris, 9 März. Eine der merkwürdigſten Erſcheinungen in * △ Paris, 10 Febr. Die Arbeiterfrage iſt das Räthſel der <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0012" n="1212"/><cb/> Kaiſerreich in allen Theilen organiſch zu conſtituiren, dennoch unſtrei-<lb/> tig eine der wichtigſten Arterien des künftigen Organismus geſchaffen.<lb/> Außer dieſer bedeutſamen Thatſache liegen aber noch andere nicht we-<lb/> niger beachtenswerthe Erſcheinungen vor, an welche ſich die nach-<lb/> ſtehenden Betrachtungen knüpfen.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Beſchluß folgt.)</hi> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Aus Paris.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">§ Paris</hi>, 9 März.</dateline><lb/> <p>Eine der merkwürdigſten Erſcheinungen in<lb/> dem faſt unglaublichen Zuſtand in welchem ſich Paris befindet, und der<lb/> wie ein Kaleidoſkop iſt in dem alle Elemente der ſocialen Welt ſich be-<lb/> ſtändig umdrehen und in neuen Lagen zum Vorſchein kommen, iſt die<lb/> Verſammlung der Abgeordneten der Handwerker im Luxembourg. Sie<lb/> halten ihre Sitzungen im Saal der Pairskammer, wo ſie von den Huiſ-<lb/> ſiers bedient werden, gerade wie vor 14 Tagen die Pairskammer; ſie be-<lb/> tragen ſich mit großem Anſtand, hören mit äußerſter Aufmerkſamkeit<lb/> zu, und ſprechen oft ſehr gut und verſtändig. Die Sitzungen find nicht<lb/> öffentlich, aber bisweilen läßt ein Huiſſter einen ehemaligen Pair in die<lb/> Gänge eintreten. Jch halte es für ein Glück daß man dieſen Brenn-<lb/> punkt für die ſociale Gährung errichtet hat, nicht nur weil er die Ar-<lb/> beiter beſchäftigt, ſondern weil dort durch die Discuſſion nothwendig<lb/> die hohlen Papiertheorien von officieller Beſchäftigung durch den Staat<lb/> der Wirklichkeit und Möglichkeit entgegengeſetzt werden, und ſo auf<lb/> ihren wahren Werth zurückfallen müſſen. Was aus den Berathungen<lb/> im Luxembourg hervorgehen wird, läßt ſich nicht vorausſagen, aber je-<lb/> denfalls die Ueberzeugung daß der Staat ſich nicht an die Stelle des<lb/> natürlichen Bedürfniſſes einer civiliſtrten Geſellſchaft ſtellen und es er-<lb/> ſetzen kann. Die Secten welche ſeit 20 Jahren ihre ſocialen Syſteme<lb/> auf dem Papier ausgeführt haben, ſcheinen keinen Begriff von der<lb/> wirklichen Organiſation einer menſchlichen Geſellſchaft gehabt zu haben;<lb/> und ihr künſtlichſtes Syſtem kann die tauſend in ſich verſchlungenen<lb/> Canäle, durch die ſich Leben und Erwerb in einem Staat ergießt, eben-<lb/> ſowenig erſetzen als das Uhrwerk das Vaucanſon in ſeiner künſtlichen<lb/> Ente anbrachte, dem Thier Leben geben konnte. Die gegenwärtige Zeit<lb/> iſt eine furchtbare Lehrerin dieſer Elementarſätze von politiſcher Oeko-<lb/> nomie, denn hier iſt plötzlich alles ſtillgeſtanden, ſobald man von nationaler<lb/> Arbeit redete; jedermann fühlt ſich in der Sicherheit ſeiner Exiſtenz<lb/> angegriffen und verſagt ſich alles Ueberflüſſige, und viele müſſen ſich das<lb/> Nothwendige verſagen. Aller Verkauf, und folglich alle Fabrication<lb/> liegt darnieder. Als die Nationalgarde die Ruhe vor zehn Tagen wieder<lb/> in den Straßen hergeſtellt hatte, ſchien die Arbeit in den Metall- und<lb/> Holzwerkſtätten wieder anzufangen, weil die Zerſtörungen in Häuſern<lb/> und Eiſenbahnen ſie hier am dringendſten machten, aber der Fall der<lb/> Bank von Gouin, und die Unmöglichkeit das Papier des kleinen Han-<lb/> dels zu discontiren, hat wieder alles gelähmt. Die Regierung thut<lb/> was ſie kann Vertrauen einzuflößen, und ſie findet nirgends einen ma-<lb/> teriellen oder moraliſchen Widerſtand, aber da niemand auch nur eine<lb/> Vermuthung über das Kommende zu machen wagt, und der ungeheure<lb/> Fall aller Capitalien irgendeiner Art jeder neuen Unternehmung für<lb/> eine unbeſtimmte Zeit ein Ende macht, ſo ſteht alles ſtill. Man fieht<lb/> Proceſſionen von Arbeitern die zu Tauſenden mit Fahnen und fingend<lb/> durch die Straßen ziehen, dieß find Maurer, Schloſſer, Zimmerleute,<lb/> Gerber u. ſ. w., kurz die groben und nothwendigen Handwerke, dieſe<lb/> kann die Regierung zum Theil eine Zeitlang beſchäftigen, zum Theil<lb/> finden ſie Arbeit weil ſie ſich mit nothwendigen Lebensbedürſniſſen be-<lb/> ſchäftigen, aber die zahlloſe Menge der unglücklichen Menſchen, beſon-<lb/> ders weiblicher Arbeiter, welche in kleinen Lurusinduſtrien ihre Nah-<lb/> rung finden, iſt unbeſchreiblich unglücklich. Namentlich weibliche Arbeit<lb/> iſt immer ſehr ſchlecht bezahlt, und eine Näherin, Stickerin, Putzmache-<lb/> rin, Muſiklehrerin u. ſ. w. kann keine Arbeit in einer nationalen Werk-<lb/> ſtätte finden. Was ſoll aus dieſen werden, da ſie keine Erſparniſſe<lb/> haben und mit Mühe von Tag zu Tag leben konnten; was ſoll aus<lb/> Kupferſtechern, Porträtmalern, Sprachlehrern, aus Leuten die Schulen<lb/> und Penſtonen halten, aus den tauſend Jnduſtrien aller Art werden<lb/> welche ſich auf der Oberfläche einer gebildeten Geſellſchaft eine müh-<lb/> ſelige Exiſtenz gegründet haben? Der Buchhandel, deſſen Lage ſchlimm<lb/> genug war, hat ſo gut als aufgehört, und ich ſehe daß man jetzt vor-<lb/> ſchlägt der Staat ſolle eine Maſſe Bücher für Communalbibliotheken<lb/> drucken laſſen, um Schriftſteller, Papiermacher, Drucker und Buchbinder<lb/> zu beſchäftigen. Es find extreme und unmächtige Palliative, wie ſie<lb/><cb/> eine Zeit der äußerſten Noth hervorruft, und die weder helfen noch<lb/> dauern können. Man kauft in den Mairien die Waffen die den Trup-<lb/> pen abgenommen wurden wieder auf, und gibt 5 Franken für eine<lb/> Flinte und 3 Franken für den Reſt der Bewaffnung eines Jnfanterie-<lb/> ſoldaten; es werden viele tauſend auf dieſe Art eingeliefert, und nach<lb/> Vincennes in die Magazine geſchickt, aber die Mitglieder der Clubs<lb/> werden wohl die ihrigen behalten. Man fieht einiges Militär, aber<lb/> noch ſehr wenig, und doch iſt es hohe Zeit daß man der Nationalgarde<lb/> die größere Zahl der Poſten abnimmt die ſie verfieht. Uebrigens iſt<lb/> die ganze Geſchichte der letzten zwei Wochen ein ſprechender Beweis da-<lb/> für wie unvernünftig man ſie adminiſtrirt hatte, man hatte ſie mit<lb/> einem unnöthigen ekelhaften Nachtdienſt, Paraden und Patrouillen ge-<lb/> plagt, was zur einzigen Wirkung hatte die welche es irgend vermochten da-<lb/> von zu entfernen, d. h. die reichſten und einflußreichſten, den Reſt hat<lb/> man durch Gefängnißſtrafen zu ihrem Dienſt angehalten, und ihn ihnen<lb/> herzlich entleidet, während die Ereigniſſe gezeigt haben daß ſie den<lb/> größten Eifer freiwillig zeigt, ſobald die Sicherheit der Straßen es er-<lb/> fordert. Was jetzt aus ihr werden wird, wo die ganze Bevölkerung<lb/> dazu berufen iſt, läßt ſich noch nicht vorausſehen, jedenfalls aber iſt es<lb/> ein großes Element von Ruin für die Stadt, da man beſchloſſen hat<lb/> die welche ihre Uniform nicht bezahlen können auf öffentliche Koſten zu<lb/> uniformiren, was mit den Waffen, welche die Stadt ohnehin jedermann<lb/> lieferte, nicht unter 100 Fr. der Mann zu ſtehen kommen kann, und<lb/> daher der Stadt leicht 8 bis 10 Millionen koſten mag, in einem Au-<lb/> genblick wo ihre Ausgaben größer als je, und ihre Einnahmen theils<lb/> zerſtört, theils in Gefahr ſind. Dieß iſt die unvermeidliche Folge der<lb/> früheren Fehler, die Stadt hat ſich mit der größten Hartnäckigkeit an<lb/> das unhaltbare Syſtem der Stadtzölle gehängt, und ſich dadurch zu<lb/> einem großen Luxus verführen laſſen, anſtatt ſich nach und nach andere<lb/> Hülfsmittel zu ſchaffen und durch Sparſamkeit die Abſchaffung des<lb/> Octroi vorzubereiten. Es war der gemeinſchaftliche Fehler aller Theile<lb/> der früheren Verwaltung daß ſie das Beſtehende aufs äußerſte trieb<lb/> und jeder neuen Jdee ſich widerſetzte, anſtatt die Zeiten von Ruhe und<lb/> Wohlſtand zu benützen um den ſchädlichen Zweigen der Verwaltung<lb/> abzuhelfen. Man darf ſich nicht verbergen daß es, außer in England,<lb/> in ganz Europa mehr oder minder ſo geweſen iſt, möge nur die Er-<lb/> haltung des Friedens erlauben anderswo ruhig zu thun was hier ge-<lb/> waltſam und zerſtörend geſchehen iſt.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">*</hi> </p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">△ Paris,</hi> 10 Febr.</dateline><lb/> <p>Die Arbeiterfrage iſt das Räthſel der<lb/> Sphinx. Wir fürchten die Franzoſen find nicht berufen es zu löſen.<lb/> Die Art wie dieſe Frage ſich praktiſch bereits geſtaltet hat, iſt nicht die<lb/> einzige Urſache unſerer Furcht, obgleich ſie genügen könnte um an allem<lb/> ſchließlichen Erfolg zu zweifeln. „Weniger Arbeit und mehr Lohn!“<lb/> iſt die Auflöſung welche die Arbeiter ſelbſt auf das Sphinxräthſel ge-<lb/> funden haben. Aber ſo geſtellt wird jedes Zugeſtändniß nur zu neuen<lb/> Forderungen führen. Von zehn Stunden Arbeit wird man raſch auf<lb/> neun, acht, ſieben, ſechs herabſteigen; wenn ein Decret der Arbeiter-<lb/> commiſſion dazu genügt um ſo die Arbeit zu organiſtren. Und von<lb/> 2½ Fr. wird man ebenſo raſch zu 3, 4, 5 Fr. u. ſ. w. hinaufſteigen<lb/> wenn ein Aufſtand der Arbeiter dazu hinreicht ihre Lage ſo zu ver-<lb/> beſſern. Dieſe Frage iſt die einzige wahre Urſache des Mißtrauens in<lb/> die beſtehenden Zuſtände, und wir theilen dieß Mißtrauen vollkommen,<lb/> wenn auch aus andern Gründen und in anderer Richtung als die meiſten<lb/> Franzoſen. Wir glauben nicht daß es unmöglich iſt die Frage zu löſen,<lb/> wir glauben nur daß ſie in Frankreich verkehrt geſtellt iſt; wir denken<lb/> nicht daß ſie überflüſſig iſt, ſondern glauben im Gegentheil daß von ihrer<lb/> Löſung das Heil der Zukunft abhängt. Nur find wir überzeugt daß ſie<lb/> nicht als eine einſeitige <hi rendition="#g">Rechtsforderung</hi> des Arbeiters geſtellt wer-<lb/> den darf, ſondern als eine <hi rendition="#g">Pflichterfüllung</hi> zwiſchen Arbeiter und<lb/> Arbeitgeber. Das Geſammtintereſſe aller iſt dabei betheiligt und nicht<lb/> das Sonderintereſſe einer Claſſe. Und gerade deßwegen ſcheint uns die<lb/> Aufgabe falſch geſtellt wenn ſie mit Gewalt und bewaffneter Hand, in<lb/> gewiſſer Beziehung auf der Spitze eines Bajonnets und hinter einer<lb/> Barricade hervor der Geſellſchaft hingereicht wird. Die franzöſiſche<lb/> Bourgeoiſie hat ſie ſtets von ſich abgewieſen; und daher die Veranlaſ-<lb/> ſung gegeben daß das franzöſiſche <hi rendition="#g">Volk</hi> ſie ihr in gewiſſer Beziehung<lb/> mit Gewalt aufdringen mußte. Das iſt das Unheil dieſer ganzen Frage,<lb/> ſie wird heute nicht im Jntereſſe aller von allen Seiten betrachtet, ſondern<lb/> im Jntereſſe einer Claſſe einſeitig berückſichtigt. Das <hi rendition="#g">Volk</hi> hat ge-<lb/> ſiegt, die <hi rendition="#g">Bourgeoiſie</hi> iſt befiegt, wir fürchten, jenes denkt in Frank-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1212/0012]
Kaiſerreich in allen Theilen organiſch zu conſtituiren, dennoch unſtrei-
tig eine der wichtigſten Arterien des künftigen Organismus geſchaffen.
Außer dieſer bedeutſamen Thatſache liegen aber noch andere nicht we-
niger beachtenswerthe Erſcheinungen vor, an welche ſich die nach-
ſtehenden Betrachtungen knüpfen.
(Beſchluß folgt.)
Aus Paris.
§ Paris, 9 März.
Eine der merkwürdigſten Erſcheinungen in
dem faſt unglaublichen Zuſtand in welchem ſich Paris befindet, und der
wie ein Kaleidoſkop iſt in dem alle Elemente der ſocialen Welt ſich be-
ſtändig umdrehen und in neuen Lagen zum Vorſchein kommen, iſt die
Verſammlung der Abgeordneten der Handwerker im Luxembourg. Sie
halten ihre Sitzungen im Saal der Pairskammer, wo ſie von den Huiſ-
ſiers bedient werden, gerade wie vor 14 Tagen die Pairskammer; ſie be-
tragen ſich mit großem Anſtand, hören mit äußerſter Aufmerkſamkeit
zu, und ſprechen oft ſehr gut und verſtändig. Die Sitzungen find nicht
öffentlich, aber bisweilen läßt ein Huiſſter einen ehemaligen Pair in die
Gänge eintreten. Jch halte es für ein Glück daß man dieſen Brenn-
punkt für die ſociale Gährung errichtet hat, nicht nur weil er die Ar-
beiter beſchäftigt, ſondern weil dort durch die Discuſſion nothwendig
die hohlen Papiertheorien von officieller Beſchäftigung durch den Staat
der Wirklichkeit und Möglichkeit entgegengeſetzt werden, und ſo auf
ihren wahren Werth zurückfallen müſſen. Was aus den Berathungen
im Luxembourg hervorgehen wird, läßt ſich nicht vorausſagen, aber je-
denfalls die Ueberzeugung daß der Staat ſich nicht an die Stelle des
natürlichen Bedürfniſſes einer civiliſtrten Geſellſchaft ſtellen und es er-
ſetzen kann. Die Secten welche ſeit 20 Jahren ihre ſocialen Syſteme
auf dem Papier ausgeführt haben, ſcheinen keinen Begriff von der
wirklichen Organiſation einer menſchlichen Geſellſchaft gehabt zu haben;
und ihr künſtlichſtes Syſtem kann die tauſend in ſich verſchlungenen
Canäle, durch die ſich Leben und Erwerb in einem Staat ergießt, eben-
ſowenig erſetzen als das Uhrwerk das Vaucanſon in ſeiner künſtlichen
Ente anbrachte, dem Thier Leben geben konnte. Die gegenwärtige Zeit
iſt eine furchtbare Lehrerin dieſer Elementarſätze von politiſcher Oeko-
nomie, denn hier iſt plötzlich alles ſtillgeſtanden, ſobald man von nationaler
Arbeit redete; jedermann fühlt ſich in der Sicherheit ſeiner Exiſtenz
angegriffen und verſagt ſich alles Ueberflüſſige, und viele müſſen ſich das
Nothwendige verſagen. Aller Verkauf, und folglich alle Fabrication
liegt darnieder. Als die Nationalgarde die Ruhe vor zehn Tagen wieder
in den Straßen hergeſtellt hatte, ſchien die Arbeit in den Metall- und
Holzwerkſtätten wieder anzufangen, weil die Zerſtörungen in Häuſern
und Eiſenbahnen ſie hier am dringendſten machten, aber der Fall der
Bank von Gouin, und die Unmöglichkeit das Papier des kleinen Han-
dels zu discontiren, hat wieder alles gelähmt. Die Regierung thut
was ſie kann Vertrauen einzuflößen, und ſie findet nirgends einen ma-
teriellen oder moraliſchen Widerſtand, aber da niemand auch nur eine
Vermuthung über das Kommende zu machen wagt, und der ungeheure
Fall aller Capitalien irgendeiner Art jeder neuen Unternehmung für
eine unbeſtimmte Zeit ein Ende macht, ſo ſteht alles ſtill. Man fieht
Proceſſionen von Arbeitern die zu Tauſenden mit Fahnen und fingend
durch die Straßen ziehen, dieß find Maurer, Schloſſer, Zimmerleute,
Gerber u. ſ. w., kurz die groben und nothwendigen Handwerke, dieſe
kann die Regierung zum Theil eine Zeitlang beſchäftigen, zum Theil
finden ſie Arbeit weil ſie ſich mit nothwendigen Lebensbedürſniſſen be-
ſchäftigen, aber die zahlloſe Menge der unglücklichen Menſchen, beſon-
ders weiblicher Arbeiter, welche in kleinen Lurusinduſtrien ihre Nah-
rung finden, iſt unbeſchreiblich unglücklich. Namentlich weibliche Arbeit
iſt immer ſehr ſchlecht bezahlt, und eine Näherin, Stickerin, Putzmache-
rin, Muſiklehrerin u. ſ. w. kann keine Arbeit in einer nationalen Werk-
ſtätte finden. Was ſoll aus dieſen werden, da ſie keine Erſparniſſe
haben und mit Mühe von Tag zu Tag leben konnten; was ſoll aus
Kupferſtechern, Porträtmalern, Sprachlehrern, aus Leuten die Schulen
und Penſtonen halten, aus den tauſend Jnduſtrien aller Art werden
welche ſich auf der Oberfläche einer gebildeten Geſellſchaft eine müh-
ſelige Exiſtenz gegründet haben? Der Buchhandel, deſſen Lage ſchlimm
genug war, hat ſo gut als aufgehört, und ich ſehe daß man jetzt vor-
ſchlägt der Staat ſolle eine Maſſe Bücher für Communalbibliotheken
drucken laſſen, um Schriftſteller, Papiermacher, Drucker und Buchbinder
zu beſchäftigen. Es find extreme und unmächtige Palliative, wie ſie
eine Zeit der äußerſten Noth hervorruft, und die weder helfen noch
dauern können. Man kauft in den Mairien die Waffen die den Trup-
pen abgenommen wurden wieder auf, und gibt 5 Franken für eine
Flinte und 3 Franken für den Reſt der Bewaffnung eines Jnfanterie-
ſoldaten; es werden viele tauſend auf dieſe Art eingeliefert, und nach
Vincennes in die Magazine geſchickt, aber die Mitglieder der Clubs
werden wohl die ihrigen behalten. Man fieht einiges Militär, aber
noch ſehr wenig, und doch iſt es hohe Zeit daß man der Nationalgarde
die größere Zahl der Poſten abnimmt die ſie verfieht. Uebrigens iſt
die ganze Geſchichte der letzten zwei Wochen ein ſprechender Beweis da-
für wie unvernünftig man ſie adminiſtrirt hatte, man hatte ſie mit
einem unnöthigen ekelhaften Nachtdienſt, Paraden und Patrouillen ge-
plagt, was zur einzigen Wirkung hatte die welche es irgend vermochten da-
von zu entfernen, d. h. die reichſten und einflußreichſten, den Reſt hat
man durch Gefängnißſtrafen zu ihrem Dienſt angehalten, und ihn ihnen
herzlich entleidet, während die Ereigniſſe gezeigt haben daß ſie den
größten Eifer freiwillig zeigt, ſobald die Sicherheit der Straßen es er-
fordert. Was jetzt aus ihr werden wird, wo die ganze Bevölkerung
dazu berufen iſt, läßt ſich noch nicht vorausſehen, jedenfalls aber iſt es
ein großes Element von Ruin für die Stadt, da man beſchloſſen hat
die welche ihre Uniform nicht bezahlen können auf öffentliche Koſten zu
uniformiren, was mit den Waffen, welche die Stadt ohnehin jedermann
lieferte, nicht unter 100 Fr. der Mann zu ſtehen kommen kann, und
daher der Stadt leicht 8 bis 10 Millionen koſten mag, in einem Au-
genblick wo ihre Ausgaben größer als je, und ihre Einnahmen theils
zerſtört, theils in Gefahr ſind. Dieß iſt die unvermeidliche Folge der
früheren Fehler, die Stadt hat ſich mit der größten Hartnäckigkeit an
das unhaltbare Syſtem der Stadtzölle gehängt, und ſich dadurch zu
einem großen Luxus verführen laſſen, anſtatt ſich nach und nach andere
Hülfsmittel zu ſchaffen und durch Sparſamkeit die Abſchaffung des
Octroi vorzubereiten. Es war der gemeinſchaftliche Fehler aller Theile
der früheren Verwaltung daß ſie das Beſtehende aufs äußerſte trieb
und jeder neuen Jdee ſich widerſetzte, anſtatt die Zeiten von Ruhe und
Wohlſtand zu benützen um den ſchädlichen Zweigen der Verwaltung
abzuhelfen. Man darf ſich nicht verbergen daß es, außer in England,
in ganz Europa mehr oder minder ſo geweſen iſt, möge nur die Er-
haltung des Friedens erlauben anderswo ruhig zu thun was hier ge-
waltſam und zerſtörend geſchehen iſt.
*
△ Paris, 10 Febr.
Die Arbeiterfrage iſt das Räthſel der
Sphinx. Wir fürchten die Franzoſen find nicht berufen es zu löſen.
Die Art wie dieſe Frage ſich praktiſch bereits geſtaltet hat, iſt nicht die
einzige Urſache unſerer Furcht, obgleich ſie genügen könnte um an allem
ſchließlichen Erfolg zu zweifeln. „Weniger Arbeit und mehr Lohn!“
iſt die Auflöſung welche die Arbeiter ſelbſt auf das Sphinxräthſel ge-
funden haben. Aber ſo geſtellt wird jedes Zugeſtändniß nur zu neuen
Forderungen führen. Von zehn Stunden Arbeit wird man raſch auf
neun, acht, ſieben, ſechs herabſteigen; wenn ein Decret der Arbeiter-
commiſſion dazu genügt um ſo die Arbeit zu organiſtren. Und von
2½ Fr. wird man ebenſo raſch zu 3, 4, 5 Fr. u. ſ. w. hinaufſteigen
wenn ein Aufſtand der Arbeiter dazu hinreicht ihre Lage ſo zu ver-
beſſern. Dieſe Frage iſt die einzige wahre Urſache des Mißtrauens in
die beſtehenden Zuſtände, und wir theilen dieß Mißtrauen vollkommen,
wenn auch aus andern Gründen und in anderer Richtung als die meiſten
Franzoſen. Wir glauben nicht daß es unmöglich iſt die Frage zu löſen,
wir glauben nur daß ſie in Frankreich verkehrt geſtellt iſt; wir denken
nicht daß ſie überflüſſig iſt, ſondern glauben im Gegentheil daß von ihrer
Löſung das Heil der Zukunft abhängt. Nur find wir überzeugt daß ſie
nicht als eine einſeitige Rechtsforderung des Arbeiters geſtellt wer-
den darf, ſondern als eine Pflichterfüllung zwiſchen Arbeiter und
Arbeitgeber. Das Geſammtintereſſe aller iſt dabei betheiligt und nicht
das Sonderintereſſe einer Claſſe. Und gerade deßwegen ſcheint uns die
Aufgabe falſch geſtellt wenn ſie mit Gewalt und bewaffneter Hand, in
gewiſſer Beziehung auf der Spitze eines Bajonnets und hinter einer
Barricade hervor der Geſellſchaft hingereicht wird. Die franzöſiſche
Bourgeoiſie hat ſie ſtets von ſich abgewieſen; und daher die Veranlaſ-
ſung gegeben daß das franzöſiſche Volk ſie ihr in gewiſſer Beziehung
mit Gewalt aufdringen mußte. Das iſt das Unheil dieſer ganzen Frage,
ſie wird heute nicht im Jntereſſe aller von allen Seiten betrachtet, ſondern
im Jntereſſe einer Claſſe einſeitig berückſichtigt. Das Volk hat ge-
ſiegt, die Bourgeoiſie iſt befiegt, wir fürchten, jenes denkt in Frank-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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