Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848.Nr. 74. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
14 März 1848.[Spaltenumbruch]
Die neue Zeit in Deutschland. II. * Die Ereignisse überstürzen sich fast, und es thut noth den Kopf Alle diese Schwierigkeiten finken aber fast in nichts zurück vor Die vorsichtige Schweigsamkeit ist jetzt am unrechten Ort; wer es Wohl wissen wir daß in diesen Worten sehr bittere, unangenehme Bei dieser Drachensaat von Zerwürfnissen im Innern der Staaten Bundesreform. *** Frankfurt a. M., 10 März.Bei Winter in Heidelberg Nr. 74. [Spaltenumbruch]
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14 März 1848.[Spaltenumbruch]
Die neue Zeit in Deutſchland. II. * Die Ereigniſſe überſtürzen ſich faſt, und es thut noth den Kopf Alle dieſe Schwierigkeiten finken aber faſt in nichts zurück vor Die vorſichtige Schweigſamkeit iſt jetzt am unrechten Ort; wer es Wohl wiſſen wir daß in dieſen Worten ſehr bittere, unangenehme Bei dieſer Drachenſaat von Zerwürfniſſen im Innern der Staaten Bundesreform. *** Frankfurt a. M., 10 März.Bei Winter in Heidelberg <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="volume"> <hi rendition="#b">Nr. 74.</hi> </titlePart> <cb/> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zur Allgemeinen Zeitung.</hi> </titlePart> </docTitle> <cb/> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">14 März 1848.</hi> </docDate> </docImprint> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die neue Zeit in Deutſchland.<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi></hi> </hi> </head><lb/> <p>* Die Ereigniſſe überſtürzen ſich faſt, und es thut noth den Kopf<lb/> aufrecht zu erhalten, um nicht im Wirrwarr die Beſinnung zu verlieren.<lb/> Wir haben im erſten Artikel angedeutet auf welche Weiſe am ſchnellſten<lb/> eine wahre Bundesgewalt geſchaffen werden könne, aber wir müſſen<lb/> dießmal zuerſt einen Blick auf das Innere der Staaten werfen. Faſt<lb/> allenthalben iſt eine gänzliche Miniſterveränderung vorgegangen oder<lb/> im Werk, und Männer meiſt aus der entſchiedenſten Oppoſition ſind<lb/> ins Miniſterium eingetreten. Was werden, was können dieſe thun?<lb/> Sie ſollen die nöthigen Rüſtungen betreiben, um allenfallſige fremde<lb/> Angriffe abzuwehren, ſie ſollen in den drückendſten Steuern Erleichte-<lb/> rung eintreten laſſen und andere Einnahmequellen erhöhen, ſie ſolleu<lb/> die Verwaltung umgeſtalten und populärer machen; ſie ſollen Oeffent-<lb/> lichkeit und Mündlichkeit des Gerichts aus dem Stegreif einführen, und<lb/> alles dieß in möglichſter Uebereinſtimmung mit den andern Staaten,<lb/> was ohne mühſelige Unterhandlungen nicht möglich iſt. Wahrlich es<lb/> gehört kein geringer Muth dazu eine ſolche Aufgabe zu übernehmen.<lb/> Noch mehr: ſie ſollen die Volksbewaffnung ins Werk ſetzen, damit dieſe<lb/> als ſtarker Nachhalt für das im Felde ſtehende Heer diene; ſie ſollen,<lb/> aller hergebrachten Form entgegen, eine Bundesgewalt ſchaffen, und<lb/> dieſe mit Geld verſorgen, das ihnen ſelbſt abgeht. Allerdings würden<lb/> ſie auch der Koſten des im Felde ſtehenden Heeres enthoben, aber dieſer<lb/> felddienſtfähige Heerbeſtand war vorher ſozuſagen gar nicht vorhanden,<lb/> da man, die Specialwaffen ausgenommen, faſt nur Cadres hatte. Mit<lb/> einem Wort, die neuen Miniſterien ſollen von ihren gewohnten Ein-<lb/> nahmen abgeben und neue Mittel ſchaffen unter Umſtänden welche eine<lb/> Erleichterung in jeder Weiſe nothwendig machen. Um ihre Stellung<lb/> darf alſo die neuen Gewalthaber niemand beneiden.</p><lb/> <p>Alle dieſe Schwierigkeiten finken aber faſt in nichts zurück vor<lb/> einer neuen, welche immer drohender heranwächst, einem Bauernkrieg.<lb/> Schon hat ſich an vielen Orten die Unbotmäßigkeit des Landvolks<lb/> bemächtigt, und welche Mittel ſtehen den Regierungen zu Gebot um<lb/> dieſen Sturm zu beſchwören, wenn er in weiterem Umkreis zum Aus-<lb/> bruch kommt? Fromme Wünſche und ſchöne Worte, wie man ſolche be-<lb/> reits vernommen, helfen hier nichts; Gewalt iſt bei weiterem Umſich-<lb/> greifen unmöglich, alſo muß man ſich mit dem Landvolk beſtmöglich<lb/> vertragen, man muß es auf ſein eigenes Intereſſe aufmerkſam machen,<lb/> unter ſeiner eigenen Zuſtimmung und Beihülfe die Verwaltung her-<lb/> ſtellen. Wie viele unſerer bureaukratiſch gebildeten Beamten ſind aber<lb/> dazu gemacht? Wir benützen die neugewährte Preßfreiheit um dieſe mit<lb/> jedem Tage dringender werdenden Fragen bei Zeiten zur Sprache brin-<lb/> gen; die Sache wird durch das Beſprechen nicht ſchlimmer als ſie iſt,<lb/> denn ſie läßt ſich in keiner Art mehr von ſich weiſen, und es hilft durch-<lb/> aus nichts den Vogel Strauß zu ſpielen und den Kopf in die Ecke zu<lb/> ſtecken, ſondern man muß der Gefahr offen ins Angeſicht blicken. Man<lb/> hat bis jetzt vom Bureau und mit der Feder regiert, die Zeit kommt<lb/> aber mit raſchen Schritten heran wo man mit freier Rede die Menſchen<lb/> leiten und die unheilbar Verirrten mit dem Schwert zwingen muß.<lb/> Wir wollen Frevel wie ſie in Niederſtetten und den neueſten Nach-<lb/> richten zufolge noch in manchen andern Orten begangen wurden, weder<lb/> entſchuldigen noch beſchönigen, wer aber ein menſchliches Herz im Buſen<lb/> trägt, der werfe, wenn er es über ſich vermag, den erſten Stein auf<lb/> die Verirrten! Wie oft hat man ihre demüthigſten Bitten unbeachtet<lb/> gelaſſen, wie oft hat man ſie gehudelt, wie oft das ſauer erworbene<lb/> Geld in unmäßigen Steuern ihnen abgepreßt! Bis jetzt hat man kaum<lb/> etwas anderes verſtanden als den Leuten zu befehlen, und wenn ſie end-<lb/> lich ſich widerſpenſtig zeigten, ihnen Polizei oder gar Militär auf den<lb/> Hals zu ſchicken. Die Zeit iſt aber nicht mehr ferne wo man letzteres<lb/> nicht mehr kann und erſteres nicht mehr achtet. Hier iſt ein Keim von<lb/> Zerrüttung, welcher am ſchwerſten auszurotten ſeyn möchte. Die<lb/> Städte können ſich am Ende ſelbſt helfen, Ordnung in ihrem Innern<lb/> herſtellen, aber ſchwächer ſind die Elemente der Ordnung auf dem Lande,<lb/> wenn die Bande der Autorität hier mehr und mehr ſich löſen ſollten,<lb/> was leider ſehr zu befürchten iſt. Denn man vergeſſe nicht daß ſeit<lb/> der franzöſiſchen Revolution und der Ausrufung der Republik erſt 14<lb/><cb/> Tage verfloſſen ſind, und daß was in dieſen 14 Tagen geſchehen, un-<lb/> ſchwer einen Schluß auf die nächſten Monate machen läßt.</p><lb/> <p>Die vorſichtige Schweigſamkeit iſt jetzt am unrechten Ort; wer es<lb/> mit dem Vaterlande redlich meint, muß ohne Leidenſchaft, aber auch ohne<lb/> Umſchweife ſeine Meinung ſagen. Die Grundſätze welche man ſeit den<lb/> Karlsbader Beſchlüſſen in ſämmtlichen deutſchen Ländern hier mit mehr,<lb/> dort mit weniger Strenge verfolgt hat, gingen alle darauf hinaus den<lb/> Geiſt politiſcher Freiheit nicht zur Entwicklung gelangen zu laſſen;<lb/> nur vergaß man dabei daß durch die Unterdrückung der Preſſe auch die<lb/> Regierungen ſelbſt mehr und mehr in Unwiſſenheit über den wahren<lb/> Stand der Sache geblieben ſind, und je leichter es war den offenen<lb/> Widerſpruch in Rede und Schrift niederzuhalten, deſto mehr überließ<lb/> man ſich einer gemächlichen Regiererei, welche in dem Actenwuſt auf-<lb/> ging. Das hätte ohne nachtheiligen Folgen, wenn auch nicht für die<lb/> Regierten, doch für die Regierenden bleiben mögen, denn das ganze<lb/> Syſtem beruhte auf der gegenſeitigen Hülfe welche im Fall von Un-<lb/> ruhen ein Bundesſtaat dem andern zu leiſten hätte; dieſe Grundlage<lb/> iſt aber durch die neueſten Ereigniſſe, vorerſt wenigſtens, gänzlich ver-<lb/> ſchwunden, und dadurch den Regierungen der Boden unter den Füßen<lb/> weggezogen. Kein Bundesſtaat kann dem andern unter den gegenwär-<lb/> tigen Umſtänden aushelfen, denn alle befinden ſich ſo ziemlich in der-<lb/> ſelben Lage, und jetzt iſt was vorher den Völkern und ihren Freiheits-<lb/> beſtrebungen nachtheilig war, die Zerſplitterung und der ſchwache Zu-<lb/> ſammenhang Deutſchlands, auf einmal den Regierungen nachtheilig<lb/> geworden, denn die Völker ſind jetzt in Uebereinſtimmung, und nicht<lb/> nur finden ganz directe Beſprechungen ſtatt, welche man im Angeſicht<lb/> der äußern Gefahr nicht mehr zu hindern wagt, ſondern die Völker<lb/> geben ſich auch durch das tauſendfältige Echo der Zeitungen Kunde von<lb/> ihrem Thun, und das Beiſpiel des einen wirkt auf das andere mit rei-<lb/> ßender Gewalt.</p><lb/> <p>Wohl wiſſen wir daß in dieſen Worten ſehr bittere, unangenehme<lb/> Wahrheiten liegen, allein nur die Wahrheit und die geſunde Erkennt-<lb/> niß kann uns jetzt noch retten vor der drohenden Anarchie. Man muß<lb/> mit dem Verſtand und der Einſicht, ſonach auch mit der Zuſtimmung<lb/> der gebildeten Claſſen regieren, und mit Hülfe derſelben die Wunden<lb/> welche der großen Maſſe geſchlagen worden ſind und ſie zum Aufſtand<lb/> reif gemacht haben, zu heilen ſuchen. Dieß iſt eine unvermeidliche<lb/> Nothwendigkeit geworden, gegen welche man umſonſt die Augen ſchließt.<lb/> Das Volk ſteht nicht aus Muthwillen auf, ſondern nur wenn eine lange<lb/> Reihe von Fehlern ſeinen Zuſtand mehr oder minder unerträglich ge-<lb/> macht hat. Die Maſſen jedoch bequemen ſich, wenn ſie von Seite der<lb/> Regierungsgewalt wahrhaft guten Willen ſehen den vorhandenen Uebeln<lb/> zu ſteuern, ſehr bald wieder, zumal in Deutſchland, aber man hüte ſich vor<lb/> zweideutigen Schritten, ſie wecken nur ein unbezähmbares Mißtrauen,<lb/> und dann iſt die Wiederherſtellung der Ruhe nur noch durch ganz neue<lb/> Menſchen möglich.</p><lb/> <p>Bei dieſer Drachenſaat von Zerwürfniſſen im Innern der Staaten<lb/> iſt eine Bundesgewalt von höchſter Nothwendigkeit; wer kann den 38<lb/> Regierungen Deutſchlands zumuthen daß ſie alle in ihrem Kreis mit<lb/> gleicher Aufmerkſamkeit auf die auswärtigen Verhältniſſe Bedacht neh-<lb/> men, wer kann erwarten daß ſie alle nach Einem Sinn und Geiſt han-<lb/> deln? Das liegt nicht in der menſchlichen Natur. Schwer genug haben<lb/> die Handelsintereſſen Deutſchlands ſeit 30 Jahren den Mangel einer<lb/> gemeinſamen Leitung empfunden, aber ſchwerer würde ihn noch das<lb/> ganze Volk empfinden, wenn wir in unſerer jetzigen Lage dem äußern<lb/> Feind gegenübertreten ſollten. Was der erſte Ruf Einzelner gleich nach<lb/> dem Empfang der erſten Nachrichten über die franzöſiſche Revolution<lb/> war: Einheit nach außen, Stärkung des Bundes durch gemeinſame<lb/> Vertretung am Bundestag, das wird bald von den Alpen bis zum Belt<lb/> wiederhallen und das Feldgeſchrei Deutſchlands bilden. Der Uebergang<lb/> zu größerer Einheit iſt unvermeidlich, und auf je friedlicherem Wege<lb/> derſelbe herbeigeführt werden kann, deſto beſſer für alle. <hi rendition="#et">E. W.</hi></p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Bundesreform.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">*** Frankfurt a. 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Nr. 74.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
14 März 1848.
Die neue Zeit in Deutſchland.
II.
* Die Ereigniſſe überſtürzen ſich faſt, und es thut noth den Kopf
aufrecht zu erhalten, um nicht im Wirrwarr die Beſinnung zu verlieren.
Wir haben im erſten Artikel angedeutet auf welche Weiſe am ſchnellſten
eine wahre Bundesgewalt geſchaffen werden könne, aber wir müſſen
dießmal zuerſt einen Blick auf das Innere der Staaten werfen. Faſt
allenthalben iſt eine gänzliche Miniſterveränderung vorgegangen oder
im Werk, und Männer meiſt aus der entſchiedenſten Oppoſition ſind
ins Miniſterium eingetreten. Was werden, was können dieſe thun?
Sie ſollen die nöthigen Rüſtungen betreiben, um allenfallſige fremde
Angriffe abzuwehren, ſie ſollen in den drückendſten Steuern Erleichte-
rung eintreten laſſen und andere Einnahmequellen erhöhen, ſie ſolleu
die Verwaltung umgeſtalten und populärer machen; ſie ſollen Oeffent-
lichkeit und Mündlichkeit des Gerichts aus dem Stegreif einführen, und
alles dieß in möglichſter Uebereinſtimmung mit den andern Staaten,
was ohne mühſelige Unterhandlungen nicht möglich iſt. Wahrlich es
gehört kein geringer Muth dazu eine ſolche Aufgabe zu übernehmen.
Noch mehr: ſie ſollen die Volksbewaffnung ins Werk ſetzen, damit dieſe
als ſtarker Nachhalt für das im Felde ſtehende Heer diene; ſie ſollen,
aller hergebrachten Form entgegen, eine Bundesgewalt ſchaffen, und
dieſe mit Geld verſorgen, das ihnen ſelbſt abgeht. Allerdings würden
ſie auch der Koſten des im Felde ſtehenden Heeres enthoben, aber dieſer
felddienſtfähige Heerbeſtand war vorher ſozuſagen gar nicht vorhanden,
da man, die Specialwaffen ausgenommen, faſt nur Cadres hatte. Mit
einem Wort, die neuen Miniſterien ſollen von ihren gewohnten Ein-
nahmen abgeben und neue Mittel ſchaffen unter Umſtänden welche eine
Erleichterung in jeder Weiſe nothwendig machen. Um ihre Stellung
darf alſo die neuen Gewalthaber niemand beneiden.
Alle dieſe Schwierigkeiten finken aber faſt in nichts zurück vor
einer neuen, welche immer drohender heranwächst, einem Bauernkrieg.
Schon hat ſich an vielen Orten die Unbotmäßigkeit des Landvolks
bemächtigt, und welche Mittel ſtehen den Regierungen zu Gebot um
dieſen Sturm zu beſchwören, wenn er in weiterem Umkreis zum Aus-
bruch kommt? Fromme Wünſche und ſchöne Worte, wie man ſolche be-
reits vernommen, helfen hier nichts; Gewalt iſt bei weiterem Umſich-
greifen unmöglich, alſo muß man ſich mit dem Landvolk beſtmöglich
vertragen, man muß es auf ſein eigenes Intereſſe aufmerkſam machen,
unter ſeiner eigenen Zuſtimmung und Beihülfe die Verwaltung her-
ſtellen. Wie viele unſerer bureaukratiſch gebildeten Beamten ſind aber
dazu gemacht? Wir benützen die neugewährte Preßfreiheit um dieſe mit
jedem Tage dringender werdenden Fragen bei Zeiten zur Sprache brin-
gen; die Sache wird durch das Beſprechen nicht ſchlimmer als ſie iſt,
denn ſie läßt ſich in keiner Art mehr von ſich weiſen, und es hilft durch-
aus nichts den Vogel Strauß zu ſpielen und den Kopf in die Ecke zu
ſtecken, ſondern man muß der Gefahr offen ins Angeſicht blicken. Man
hat bis jetzt vom Bureau und mit der Feder regiert, die Zeit kommt
aber mit raſchen Schritten heran wo man mit freier Rede die Menſchen
leiten und die unheilbar Verirrten mit dem Schwert zwingen muß.
Wir wollen Frevel wie ſie in Niederſtetten und den neueſten Nach-
richten zufolge noch in manchen andern Orten begangen wurden, weder
entſchuldigen noch beſchönigen, wer aber ein menſchliches Herz im Buſen
trägt, der werfe, wenn er es über ſich vermag, den erſten Stein auf
die Verirrten! Wie oft hat man ihre demüthigſten Bitten unbeachtet
gelaſſen, wie oft hat man ſie gehudelt, wie oft das ſauer erworbene
Geld in unmäßigen Steuern ihnen abgepreßt! Bis jetzt hat man kaum
etwas anderes verſtanden als den Leuten zu befehlen, und wenn ſie end-
lich ſich widerſpenſtig zeigten, ihnen Polizei oder gar Militär auf den
Hals zu ſchicken. Die Zeit iſt aber nicht mehr ferne wo man letzteres
nicht mehr kann und erſteres nicht mehr achtet. Hier iſt ein Keim von
Zerrüttung, welcher am ſchwerſten auszurotten ſeyn möchte. Die
Städte können ſich am Ende ſelbſt helfen, Ordnung in ihrem Innern
herſtellen, aber ſchwächer ſind die Elemente der Ordnung auf dem Lande,
wenn die Bande der Autorität hier mehr und mehr ſich löſen ſollten,
was leider ſehr zu befürchten iſt. Denn man vergeſſe nicht daß ſeit
der franzöſiſchen Revolution und der Ausrufung der Republik erſt 14
Tage verfloſſen ſind, und daß was in dieſen 14 Tagen geſchehen, un-
ſchwer einen Schluß auf die nächſten Monate machen läßt.
Die vorſichtige Schweigſamkeit iſt jetzt am unrechten Ort; wer es
mit dem Vaterlande redlich meint, muß ohne Leidenſchaft, aber auch ohne
Umſchweife ſeine Meinung ſagen. Die Grundſätze welche man ſeit den
Karlsbader Beſchlüſſen in ſämmtlichen deutſchen Ländern hier mit mehr,
dort mit weniger Strenge verfolgt hat, gingen alle darauf hinaus den
Geiſt politiſcher Freiheit nicht zur Entwicklung gelangen zu laſſen;
nur vergaß man dabei daß durch die Unterdrückung der Preſſe auch die
Regierungen ſelbſt mehr und mehr in Unwiſſenheit über den wahren
Stand der Sache geblieben ſind, und je leichter es war den offenen
Widerſpruch in Rede und Schrift niederzuhalten, deſto mehr überließ
man ſich einer gemächlichen Regiererei, welche in dem Actenwuſt auf-
ging. Das hätte ohne nachtheiligen Folgen, wenn auch nicht für die
Regierten, doch für die Regierenden bleiben mögen, denn das ganze
Syſtem beruhte auf der gegenſeitigen Hülfe welche im Fall von Un-
ruhen ein Bundesſtaat dem andern zu leiſten hätte; dieſe Grundlage
iſt aber durch die neueſten Ereigniſſe, vorerſt wenigſtens, gänzlich ver-
ſchwunden, und dadurch den Regierungen der Boden unter den Füßen
weggezogen. Kein Bundesſtaat kann dem andern unter den gegenwär-
tigen Umſtänden aushelfen, denn alle befinden ſich ſo ziemlich in der-
ſelben Lage, und jetzt iſt was vorher den Völkern und ihren Freiheits-
beſtrebungen nachtheilig war, die Zerſplitterung und der ſchwache Zu-
ſammenhang Deutſchlands, auf einmal den Regierungen nachtheilig
geworden, denn die Völker ſind jetzt in Uebereinſtimmung, und nicht
nur finden ganz directe Beſprechungen ſtatt, welche man im Angeſicht
der äußern Gefahr nicht mehr zu hindern wagt, ſondern die Völker
geben ſich auch durch das tauſendfältige Echo der Zeitungen Kunde von
ihrem Thun, und das Beiſpiel des einen wirkt auf das andere mit rei-
ßender Gewalt.
Wohl wiſſen wir daß in dieſen Worten ſehr bittere, unangenehme
Wahrheiten liegen, allein nur die Wahrheit und die geſunde Erkennt-
niß kann uns jetzt noch retten vor der drohenden Anarchie. Man muß
mit dem Verſtand und der Einſicht, ſonach auch mit der Zuſtimmung
der gebildeten Claſſen regieren, und mit Hülfe derſelben die Wunden
welche der großen Maſſe geſchlagen worden ſind und ſie zum Aufſtand
reif gemacht haben, zu heilen ſuchen. Dieß iſt eine unvermeidliche
Nothwendigkeit geworden, gegen welche man umſonſt die Augen ſchließt.
Das Volk ſteht nicht aus Muthwillen auf, ſondern nur wenn eine lange
Reihe von Fehlern ſeinen Zuſtand mehr oder minder unerträglich ge-
macht hat. Die Maſſen jedoch bequemen ſich, wenn ſie von Seite der
Regierungsgewalt wahrhaft guten Willen ſehen den vorhandenen Uebeln
zu ſteuern, ſehr bald wieder, zumal in Deutſchland, aber man hüte ſich vor
zweideutigen Schritten, ſie wecken nur ein unbezähmbares Mißtrauen,
und dann iſt die Wiederherſtellung der Ruhe nur noch durch ganz neue
Menſchen möglich.
Bei dieſer Drachenſaat von Zerwürfniſſen im Innern der Staaten
iſt eine Bundesgewalt von höchſter Nothwendigkeit; wer kann den 38
Regierungen Deutſchlands zumuthen daß ſie alle in ihrem Kreis mit
gleicher Aufmerkſamkeit auf die auswärtigen Verhältniſſe Bedacht neh-
men, wer kann erwarten daß ſie alle nach Einem Sinn und Geiſt han-
deln? Das liegt nicht in der menſchlichen Natur. Schwer genug haben
die Handelsintereſſen Deutſchlands ſeit 30 Jahren den Mangel einer
gemeinſamen Leitung empfunden, aber ſchwerer würde ihn noch das
ganze Volk empfinden, wenn wir in unſerer jetzigen Lage dem äußern
Feind gegenübertreten ſollten. Was der erſte Ruf Einzelner gleich nach
dem Empfang der erſten Nachrichten über die franzöſiſche Revolution
war: Einheit nach außen, Stärkung des Bundes durch gemeinſame
Vertretung am Bundestag, das wird bald von den Alpen bis zum Belt
wiederhallen und das Feldgeſchrei Deutſchlands bilden. Der Uebergang
zu größerer Einheit iſt unvermeidlich, und auf je friedlicherem Wege
derſelbe herbeigeführt werden kann, deſto beſſer für alle. E. W.
Bundesreform.
*** Frankfurt a. M., 10 März.Bei Winter in Heidelberg
erſcheint in den nächſten Tagen eine eben jetzt hier gedruckte Schrift des
Profeſſors des Staatsrechtes an der Univerſität Heidelberg, Hofraths
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(2022-03-29T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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