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Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 13 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutschland.
Kurhessen.

Das von Hassenpflug hier ein-
geführte, durch die Bundesbeschlüsse von 1832 etc. gekräftigte, und von
einer wenig zahlreichen aber sich eng aneinander anschließenden Hassen-
pflug'schem Epigonenschaft fortgesetzte Regierungssystem der Verküm-
merung aller verfassnngsmäßigen Freiheiten -- es ist heute feierlich auf-
gegeben. Es wankte bereits vor den verhängnißvollen Februartagen durch
providentielle Fügung, oder, um die eigenen Worte der Schule zu ge-
brauchen, man konnte bereits vorher deutlich sehen daß sich das Heer
nicht mehr zu ihrem Werke bekenne." Münscher und Bickell starben,
Scheffer erkrankte schwer, und die durch die allerbedenklichsten Mittel er-
künstelte Majorität der Ständeversammlung begann so zweifelhaft zu
werden daß eine Vertagung nothwendig wurde, um Zeit zu gewinnen
und neue Aushülfe zu erdenken. So traf uns die Nachricht vom Ver-
schwinden des königlichen Thrones in Frankreich und der ernste Aufruf
des Bundestags zum "einmüthigsten Zusammenwirken" der Völ-
ker mit ihren Regierungen. In Kassel war aber nicht nur im Ministe-
rium, sondern auch in der städtischen Verwaltung mehr Lücke als Sub-
stanz: der neugewählte Bürgermeister Hartwig, einer der geachtetsten
Obergerichtsanwälte, war noch nicht bestätigt, der Stadtsecretär Wip-
permann
noch durch willkürlichen Ministerialbefehl suspendirt, der
Vicebürgermeister Nebelthau nicht von dem erforderlichen Vertrauen
umgeben, demnach die Wirksamkeit der städtischen Organe ganz gelähmt.
Ehe man deßhalb hier auch nur eine Deputation bei dem Stadtrathe
zuwege bringen konnte, war bereits eine solche von Hanau mit einer
Bittschrift angelangt, die allerdings in etwas derber Sprache, aber wahr
und offen die Landesschäden aufdeckte, und zum Theil in trauriger Aus-
führlichkeit aufzählte. Von Marburg hatte sich ebenfalls eine Deputation
angeschlossen, und hier bereitete eine große Anzahl von Bürgern, ohne
Mitwirkung der städtischen Behörden, eine andere Bittschrift vor, in der
sie ebenfalls freier als es dem Stadtrath sonst geziemt hätte, alle Maßregeln
rügten, wodurch seit 16 Jahren der Verfassung Gewalt angethan sei.
Die Hanauer und Marburger wurden gestern empfangen, sie konnten
sich aber nicht entschließen nach Hause zu reisen, bevor sie eine beruhigendere
Zusicherung mitbringen würden als der Kurfürst ihnen gegeben hatte.
Inzwischen war nun zwar die Bestätigung des Oberbürgermeisters Hart-
wig erfolgt, auch die Berufung des allgemein geachteten Obergerichts-
directors v. Baumbach zu Rinteln zum Justizminister bekannt gewor-
den, aber solange Scheffer noch zu Rathe gezogen wurde, konnte kein
Vertrauen Boden gewinnen. Die Aufregung stieg von Stunde zu
Stunde, und alle Hoffnungen concentrirten sich auf heute Vormittag
um 10 Uhr, wo die beiden Kassler Bittschriften von den betreffenden
Deputationen überreicht werden sollten. Von guter Vorbedeutung war
es daß man schon frühmorgens erfuhr, Scheffer sey entlassen und ab-
gereist, und daß die Vorstände der höhern Behörden und die Geistlichkeit
hiesiger Stadt sich persönlich ins Schloß verfügten, um bei Sr. königl.
Hoheit die von den Bürgern vorzubringenden Beschwerden gnädiger Be-
rücksichtigung zu empfehlen. Zugleich wurde eine Abtheilung Bürger-
garde vor dem kurfürstlichen Schlosse aufgestellt, und dieser ward es leicht
der mit den Deputationen herankommenden Menge in geeigneter Weise
zu wehren. Der Erfolg entsprach dann auch der Erwartung; der Kur-
fürst drückte seine Geneigtheit aus allen begründeten Beschwerden abzuhel-
fen und den Landtag zur verfassungsmäßigen Mitwirkung alsbald wieder
einzurufen. Seitdem erfüllt Freude die Stadt, und wir dürfen hoffen daß
die Verfassung von nun an wieder wahres Leben gewinnt, namentlich
wenn die Preßfreiheit durch ein gutes Gesetz und durch Schwurgerichte
geregelt und gesichert wird. Bei dem Zusammentritt des bisherigen
Landtags legen wir im Interesse des hessischen und des deutschen Vater-
landes und um ihrer eigenen Zukunft willen den Prinzen des
hessischen Hauses und den Standesherren welche sich bisher durch Be-
vollmächtigte haben vertreten lassen, die dringende Bitte ans Herz daß
sie sich schnell aufmachen und in Person die Sitze einneh-
men die ihnen im Rathe der deutschen Fürsten und Völker
gebühren
! Die Zeit geht schnell in unsern Tagen und könnte sie leicht
überholen. Wehe dem der jetzt seine Sache nicht selbst wahrnimmt und
zwar als ein ganzer deutscher Mann! Und wehe der deutschen Sache
wenn Fürsten und Völker nicht treu zusammenhalten! -- Nachschrift
[Spaltenumbruch] am 7. Regierungsdirector Lotz aus Marburg ist zum Minister des
Innern ernannt. Es ist ein tüchtiger Mann, und er wird hoffentlich
seine neue Stellung und die neue Zeit begreifen. Ruhig und beruhigt
ist man hier noch nicht, aber man hofft doch wieder daß sich alles fried-
lich entwickle, und man wird nichts unthunliches begehren; denn noch
lebt die Ueberzeugung daß unsere Verfassung, verfassungsmäßig
vollzogen,
das Wohl des Landes begründen und erhalten müsse.
Möge dieser Glaube und diese Zuversicht nie schwinden, dann wird er
sich auch gewiß bewahren.

[] Sowenig die Einberufung der Stände auf
den 11 d. M., als die Proclamation des Kurfürsten vom 7 haben hier
die Aufregung beschwichtigen können; nicht nur mußten, nachdem in
Staaten, wo minderer Grund zur Unzufriedenheit herrschte, alles bewil-
ligt ist, die halben Zugeständnisse darin, sondern auch ihr Ton die Sache
verschlimmern. Hieraufhin hat die Volks-Commission in Hanau an den
Kurfürsten von Hessen, königl. Hoheit, eine Antwort erlassen, die als
großgedruckte Beilage in der Hanauer Zeitung von heute erschienen ist.
Sie lautet im wesentlichen: "Die Volkscommission in Hanau an den
Kurfürsten von Hessen, königl. Hoh. Durch die Proclamation Ew. kgl.
Hoheit vom 7 d. M. sind die Wünsche des Volkes nicht erfüllt und seine
Bitten unvollständig gewährt worden. Das Volk ist mißtrauisch gegen
Ew. königl. Hoheit selbst, und sieht in der unvollständigen Gewährung
seiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Das Volk hat in der unvollständi-
gen Gewährung seiner Bitten nichts gesehen als die dringendste Auffor-
derung sich noch enger zusammenzuschaaren und eine noch festere Hal-
tung Ew. königl. Hoheit gegenüber einzunehmen. Das Volk welches
wir meinen ist nicht der vage Begriff mehr von ehedem, nein es sind alle,
alle! Ja, königl. Hoheit, alle! Auch das Militär hat sich für einstimmig
erklärt! Das Volk verlangt was ihm gebührt. Es spricht den Willen
aus daß seine Zukunft besser seyn solle als seine Vergangenheit, und
dieser Wille ist unwiderstehlich. Das Volk hat sich eine Commission er-
wählt, und diese verlangt nun für es und Namens seiner: 1) Besetzung
aller Ministerien, soweit diese nicht neuerdings geschehen ist, mit Män-
nern welche das Vertrauen des Volkes genteßen. 2) Auflösung der wie-
der einberufenen Ständeversammlung und alsbaldige Berufung neu zu
erwählender Stände. 3) Bewilligung vollständiger Preßfreiheit auf
Grund der hiezu im § 95 der Verfassungsurkunde gewährten Zuständig-
keit. 4) Vollständige Amnestie für alle seit dem Jahre 1830 begangenen
politischen Vergehen. 5) Gewährung vollständiger Religions- und Ge-
wissensfreiheit und deren Ausübung. 6) Hinwirkung bei dem deutschen
Bund auf Bildung einer deutschen Volkskammer. Zurücknahme aller
den Genuß verfassungsmäßiger Rechte, ganz insbesondere das Petitions-,
Einigungs- und Versammlungsrecht beschränkenden Beschlüsse. 7) Die
bestimmte Zusage daß die bereits durch die Proclamation vom 7 d. zuge-
sicherten und in Beziehung auf die ausgesprochenen Desiderien weiter er-
forderlichen Gesetzentwürfe der nächsten Ständeversammlung vorgelegt
werden. 8) Entschließung Ew. königl. Hoheit binnen drei Tagen von
heute an, deren Verstreichen ohne Antwort als Ablehnung angesehen
werden soll. Jetzt ist die Stunde gekommen wo Sie zu zeigen haben,
königl. Hoheit, wie Sie es mit dem Volke meinen. Zögern Sie nicht
einen Augenblick zu gewähren, vollständig zu gewähren! Besonnene
Männer, königl. Hoheit, sagen Ihnen hier daß die Aufregung einen
furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den
Nachbarstädten ist bereits vorhanden, schon wird man mit dem Gedanken
einer Lostrennung vertraut, und kennt recht wohl das Gewicht der voll-
endeten Thatsachen. Königl. Hoheit! Gewähren Sie! Lenke Gott Ihr
Herz."
Dieß "Ultimatum" ist durch eine Deputation von 8 Mann nach
Kassel abgegangen. Alle Verständigen wünschen daß die Regierung auf-
richtig und vollständig nachgebe und wir sowohl von dem Druck der Ver-
gangenheit befreit werden, als vor einer drohenden Zukunft bewahrt
bleiben.

Die verschiedensten Nachrichten haben
heut einander gedrängt. Entweder hat man in Dresden bessere An-
sichten gewonnen oder ein Nachbarstaat hat sich der Reform günstiger
gezeigt als bisher. Am Morgen erfuhren wir von einer mehr als un-
gnädigen Aufnahme der Deputirten mehrerer Städte, welche im Sinn
mit Leipzigs Adressen übereinstimmende Schriften dem König überbracht
hatten. Dann am Mittag wiederum die Kunde daß von allen Seiten
Truppen um Leipzig zusammengezogen werden, daß sogar preußische Sol-
daten bereits an die nahe Gränze (Schkeuditz) gerückt sind. Also überall
die Anzeichen reactionärer Maßregeln. Dann plötzlich am Abende kom-
men zwei Bekanntmachungen (s. unten) welche die Einberufung der
Stände auf den 20 März verheißen, und die Censur bis zum Erlaß eines

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 13 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutſchland.
Kurheſſen.

Das von Haſſenpflug hier ein-
geführte, durch die Bundesbeſchlüſſe von 1832 ꝛc. gekräftigte, und von
einer wenig zahlreichen aber ſich eng aneinander anſchließenden Haſſen-
pflug’ſchem Epigonenſchaft fortgeſetzte Regierungsſyſtem der Verküm-
merung aller verfaſſnngsmäßigen Freiheiten — es iſt heute feierlich auf-
gegeben. Es wankte bereits vor den verhängnißvollen Februartagen durch
providentielle Fügung, oder, um die eigenen Worte der Schule zu ge-
brauchen, man konnte bereits vorher deutlich ſehen daß ſich das Heer
nicht mehr zu ihrem Werke bekenne.“ Münſcher und Bickell ſtarben,
Scheffer erkrankte ſchwer, und die durch die allerbedenklichſten Mittel er-
künſtelte Majorität der Ständeverſammlung begann ſo zweifelhaft zu
werden daß eine Vertagung nothwendig wurde, um Zeit zu gewinnen
und neue Aushülfe zu erdenken. So traf uns die Nachricht vom Ver-
ſchwinden des königlichen Thrones in Frankreich und der ernſte Aufruf
des Bundestags zum „einmüthigſten Zuſammenwirken“ der Völ-
ker mit ihren Regierungen. In Kaſſel war aber nicht nur im Miniſte-
rium, ſondern auch in der ſtädtiſchen Verwaltung mehr Lücke als Sub-
ſtanz: der neugewählte Bürgermeiſter Hartwig, einer der geachtetſten
Obergerichtsanwälte, war noch nicht beſtätigt, der Stadtſecretär Wip-
permann
noch durch willkürlichen Miniſterialbefehl ſuspendirt, der
Vicebürgermeiſter Nebelthau nicht von dem erforderlichen Vertrauen
umgeben, demnach die Wirkſamkeit der ſtädtiſchen Organe ganz gelähmt.
Ehe man deßhalb hier auch nur eine Deputation bei dem Stadtrathe
zuwege bringen konnte, war bereits eine ſolche von Hanau mit einer
Bittſchrift angelangt, die allerdings in etwas derber Sprache, aber wahr
und offen die Landesſchäden aufdeckte, und zum Theil in trauriger Aus-
führlichkeit aufzählte. Von Marburg hatte ſich ebenfalls eine Deputation
angeſchloſſen, und hier bereitete eine große Anzahl von Bürgern, ohne
Mitwirkung der ſtädtiſchen Behörden, eine andere Bittſchrift vor, in der
ſie ebenfalls freier als es dem Stadtrath ſonſt geziemt hätte, alle Maßregeln
rügten, wodurch ſeit 16 Jahren der Verfaſſung Gewalt angethan ſei.
Die Hanauer und Marburger wurden geſtern empfangen, ſie konnten
ſich aber nicht entſchließen nach Hauſe zu reiſen, bevor ſie eine beruhigendere
Zuſicherung mitbringen würden als der Kurfürſt ihnen gegeben hatte.
Inzwiſchen war nun zwar die Beſtätigung des Oberbürgermeiſters Hart-
wig erfolgt, auch die Berufung des allgemein geachteten Obergerichts-
directors v. Baumbach zu Rinteln zum Juſtizminiſter bekannt gewor-
den, aber ſolange Scheffer noch zu Rathe gezogen wurde, konnte kein
Vertrauen Boden gewinnen. Die Aufregung ſtieg von Stunde zu
Stunde, und alle Hoffnungen concentrirten ſich auf heute Vormittag
um 10 Uhr, wo die beiden Kaſſler Bittſchriften von den betreffenden
Deputationen überreicht werden ſollten. Von guter Vorbedeutung war
es daß man ſchon frühmorgens erfuhr, Scheffer ſey entlaſſen und ab-
gereist, und daß die Vorſtände der höhern Behörden und die Geiſtlichkeit
hieſiger Stadt ſich perſönlich ins Schloß verfügten, um bei Sr. königl.
Hoheit die von den Bürgern vorzubringenden Beſchwerden gnädiger Be-
rückſichtigung zu empfehlen. Zugleich wurde eine Abtheilung Bürger-
garde vor dem kurfürſtlichen Schloſſe aufgeſtellt, und dieſer ward es leicht
der mit den Deputationen herankommenden Menge in geeigneter Weiſe
zu wehren. Der Erfolg entſprach dann auch der Erwartung; der Kur-
fürſt drückte ſeine Geneigtheit aus allen begründeten Beſchwerden abzuhel-
fen und den Landtag zur verfaſſungsmäßigen Mitwirkung alsbald wieder
einzurufen. Seitdem erfüllt Freude die Stadt, und wir dürfen hoffen daß
die Verfaſſung von nun an wieder wahres Leben gewinnt, namentlich
wenn die Preßfreiheit durch ein gutes Geſetz und durch Schwurgerichte
geregelt und geſichert wird. Bei dem Zuſammentritt des bisherigen
Landtags legen wir im Intereſſe des heſſiſchen und des deutſchen Vater-
landes und um ihrer eigenen Zukunft willen den Prinzen des
heſſiſchen Hauſes und den Standesherren welche ſich bisher durch Be-
vollmächtigte haben vertreten laſſen, die dringende Bitte ans Herz daß
ſie ſich ſchnell aufmachen und in Perſon die Sitze einneh-
men die ihnen im Rathe der deutſchen Fürſten und Völker
gebühren
! Die Zeit geht ſchnell in unſern Tagen und könnte ſie leicht
überholen. Wehe dem der jetzt ſeine Sache nicht ſelbſt wahrnimmt und
zwar als ein ganzer deutſcher Mann! Und wehe der deutſchen Sache
wenn Fürſten und Völker nicht treu zuſammenhalten! — Nachſchrift
[Spaltenumbruch] am 7. Regierungsdirector Lotz aus Marburg iſt zum Miniſter des
Innern ernannt. Es iſt ein tüchtiger Mann, und er wird hoffentlich
ſeine neue Stellung und die neue Zeit begreifen. Ruhig und beruhigt
iſt man hier noch nicht, aber man hofft doch wieder daß ſich alles fried-
lich entwickle, und man wird nichts unthunliches begehren; denn noch
lebt die Ueberzeugung daß unſere Verfaſſung, verfaſſungsmäßig
vollzogen,
das Wohl des Landes begründen und erhalten müſſe.
Möge dieſer Glaube und dieſe Zuverſicht nie ſchwinden, dann wird er
ſich auch gewiß bewahren.

[⁞] Sowenig die Einberufung der Stände auf
den 11 d. M., als die Proclamation des Kurfürſten vom 7 haben hier
die Aufregung beſchwichtigen können; nicht nur mußten, nachdem in
Staaten, wo minderer Grund zur Unzufriedenheit herrſchte, alles bewil-
ligt iſt, die halben Zugeſtändniſſe darin, ſondern auch ihr Ton die Sache
verſchlimmern. Hieraufhin hat die Volks-Commiſſion in Hanau an den
Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoheit, eine Antwort erlaſſen, die als
großgedruckte Beilage in der Hanauer Zeitung von heute erſchienen iſt.
Sie lautet im weſentlichen: „Die Volkscommiſſion in Hanau an den
Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoh. Durch die Proclamation Ew. kgl.
Hoheit vom 7 d. M. ſind die Wünſche des Volkes nicht erfüllt und ſeine
Bitten unvollſtändig gewährt worden. Das Volk iſt mißtrauiſch gegen
Ew. königl. Hoheit ſelbſt, und ſieht in der unvollſtändigen Gewährung
ſeiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Das Volk hat in der unvollſtändi-
gen Gewährung ſeiner Bitten nichts geſehen als die dringendſte Auffor-
derung ſich noch enger zuſammenzuſchaaren und eine noch feſtere Hal-
tung Ew. königl. Hoheit gegenüber einzunehmen. Das Volk welches
wir meinen iſt nicht der vage Begriff mehr von ehedem, nein es ſind alle,
alle! Ja, königl. Hoheit, alle! Auch das Militär hat ſich für einſtimmig
erklärt! Das Volk verlangt was ihm gebührt. Es ſpricht den Willen
aus daß ſeine Zukunft beſſer ſeyn ſolle als ſeine Vergangenheit, und
dieſer Wille iſt unwiderſtehlich. Das Volk hat ſich eine Commiſſion er-
wählt, und dieſe verlangt nun für es und Namens ſeiner: 1) Beſetzung
aller Miniſterien, ſoweit dieſe nicht neuerdings geſchehen iſt, mit Män-
nern welche das Vertrauen des Volkes genteßen. 2) Auflöſung der wie-
der einberufenen Ständeverſammlung und alsbaldige Berufung neu zu
erwählender Stände. 3) Bewilligung vollſtändiger Preßfreiheit auf
Grund der hiezu im § 95 der Verfaſſungsurkunde gewährten Zuſtändig-
keit. 4) Vollſtändige Amneſtie für alle ſeit dem Jahre 1830 begangenen
politiſchen Vergehen. 5) Gewährung vollſtändiger Religions- und Ge-
wiſſensfreiheit und deren Ausübung. 6) Hinwirkung bei dem deutſchen
Bund auf Bildung einer deutſchen Volkskammer. Zurücknahme aller
den Genuß verfaſſungsmäßiger Rechte, ganz insbeſondere das Petitions-,
Einigungs- und Verſammlungsrecht beſchränkenden Beſchlüſſe. 7) Die
beſtimmte Zuſage daß die bereits durch die Proclamation vom 7 d. zuge-
ſicherten und in Beziehung auf die ausgeſprochenen Deſiderien weiter er-
forderlichen Geſetzentwürfe der nächſten Ständeverſammlung vorgelegt
werden. 8) Entſchließung Ew. königl. Hoheit binnen drei Tagen von
heute an, deren Verſtreichen ohne Antwort als Ablehnung angeſehen
werden ſoll. Jetzt iſt die Stunde gekommen wo Sie zu zeigen haben,
königl. Hoheit, wie Sie es mit dem Volke meinen. Zögern Sie nicht
einen Augenblick zu gewähren, vollſtändig zu gewähren! Beſonnene
Männer, königl. Hoheit, ſagen Ihnen hier daß die Aufregung einen
furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den
Nachbarſtädten iſt bereits vorhanden, ſchon wird man mit dem Gedanken
einer Lostrennung vertraut, und kennt recht wohl das Gewicht der voll-
endeten Thatſachen. Königl. Hoheit! Gewähren Sie! Lenke Gott Ihr
Herz.“
Dieß „Ultimatum“ iſt durch eine Deputation von 8 Mann nach
Kaſſel abgegangen. Alle Verſtändigen wünſchen daß die Regierung auf-
richtig und vollſtändig nachgebe und wir ſowohl von dem Druck der Ver-
gangenheit befreit werden, als vor einer drohenden Zukunft bewahrt
bleiben.

Die verſchiedenſten Nachrichten haben
heut einander gedrängt. Entweder hat man in Dresden beſſere An-
ſichten gewonnen oder ein Nachbarſtaat hat ſich der Reform günſtiger
gezeigt als bisher. Am Morgen erfuhren wir von einer mehr als un-
gnädigen Aufnahme der Deputirten mehrerer Städte, welche im Sinn
mit Leipzigs Adreſſen übereinſtimmende Schriften dem König überbracht
hatten. Dann am Mittag wiederum die Kunde daß von allen Seiten
Truppen um Leipzig zuſammengezogen werden, daß ſogar preußiſche Sol-
daten bereits an die nahe Gränze (Schkeuditz) gerückt ſind. Alſo überall
die Anzeichen reactionärer Maßregeln. Dann plötzlich am Abende kom-
men zwei Bekanntmachungen (ſ. unten) welche die Einberufung der
Stände auf den 20 März verheißen, und die Cenſur bis zum Erlaß eines

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 13 März 1848. Deutſchland. Kurheſſen. * Kaſſel, 6 März.Das von Haſſenpflug hier ein- geführte, durch die Bundesbeſchlüſſe von 1832 ꝛc. gekräftigte, und von einer wenig zahlreichen aber ſich eng aneinander anſchließenden Haſſen- pflug’ſchem Epigonenſchaft fortgeſetzte Regierungsſyſtem der Verküm- merung aller verfaſſnngsmäßigen Freiheiten — es iſt heute feierlich auf- gegeben. Es wankte bereits vor den verhängnißvollen Februartagen durch providentielle Fügung, oder, um die eigenen Worte der Schule zu ge- brauchen, man konnte bereits vorher deutlich ſehen daß ſich das Heer nicht mehr zu ihrem Werke bekenne.“ Münſcher und Bickell ſtarben, Scheffer erkrankte ſchwer, und die durch die allerbedenklichſten Mittel er- künſtelte Majorität der Ständeverſammlung begann ſo zweifelhaft zu werden daß eine Vertagung nothwendig wurde, um Zeit zu gewinnen und neue Aushülfe zu erdenken. So traf uns die Nachricht vom Ver- ſchwinden des königlichen Thrones in Frankreich und der ernſte Aufruf des Bundestags zum „einmüthigſten Zuſammenwirken“ der Völ- ker mit ihren Regierungen. In Kaſſel war aber nicht nur im Miniſte- rium, ſondern auch in der ſtädtiſchen Verwaltung mehr Lücke als Sub- ſtanz: der neugewählte Bürgermeiſter Hartwig, einer der geachtetſten Obergerichtsanwälte, war noch nicht beſtätigt, der Stadtſecretär Wip- permann noch durch willkürlichen Miniſterialbefehl ſuspendirt, der Vicebürgermeiſter Nebelthau nicht von dem erforderlichen Vertrauen umgeben, demnach die Wirkſamkeit der ſtädtiſchen Organe ganz gelähmt. Ehe man deßhalb hier auch nur eine Deputation bei dem Stadtrathe zuwege bringen konnte, war bereits eine ſolche von Hanau mit einer Bittſchrift angelangt, die allerdings in etwas derber Sprache, aber wahr und offen die Landesſchäden aufdeckte, und zum Theil in trauriger Aus- führlichkeit aufzählte. Von Marburg hatte ſich ebenfalls eine Deputation angeſchloſſen, und hier bereitete eine große Anzahl von Bürgern, ohne Mitwirkung der ſtädtiſchen Behörden, eine andere Bittſchrift vor, in der ſie ebenfalls freier als es dem Stadtrath ſonſt geziemt hätte, alle Maßregeln rügten, wodurch ſeit 16 Jahren der Verfaſſung Gewalt angethan ſei. Die Hanauer und Marburger wurden geſtern empfangen, ſie konnten ſich aber nicht entſchließen nach Hauſe zu reiſen, bevor ſie eine beruhigendere Zuſicherung mitbringen würden als der Kurfürſt ihnen gegeben hatte. Inzwiſchen war nun zwar die Beſtätigung des Oberbürgermeiſters Hart- wig erfolgt, auch die Berufung des allgemein geachteten Obergerichts- directors v. Baumbach zu Rinteln zum Juſtizminiſter bekannt gewor- den, aber ſolange Scheffer noch zu Rathe gezogen wurde, konnte kein Vertrauen Boden gewinnen. Die Aufregung ſtieg von Stunde zu Stunde, und alle Hoffnungen concentrirten ſich auf heute Vormittag um 10 Uhr, wo die beiden Kaſſler Bittſchriften von den betreffenden Deputationen überreicht werden ſollten. Von guter Vorbedeutung war es daß man ſchon frühmorgens erfuhr, Scheffer ſey entlaſſen und ab- gereist, und daß die Vorſtände der höhern Behörden und die Geiſtlichkeit hieſiger Stadt ſich perſönlich ins Schloß verfügten, um bei Sr. königl. Hoheit die von den Bürgern vorzubringenden Beſchwerden gnädiger Be- rückſichtigung zu empfehlen. Zugleich wurde eine Abtheilung Bürger- garde vor dem kurfürſtlichen Schloſſe aufgeſtellt, und dieſer ward es leicht der mit den Deputationen herankommenden Menge in geeigneter Weiſe zu wehren. Der Erfolg entſprach dann auch der Erwartung; der Kur- fürſt drückte ſeine Geneigtheit aus allen begründeten Beſchwerden abzuhel- fen und den Landtag zur verfaſſungsmäßigen Mitwirkung alsbald wieder einzurufen. Seitdem erfüllt Freude die Stadt, und wir dürfen hoffen daß die Verfaſſung von nun an wieder wahres Leben gewinnt, namentlich wenn die Preßfreiheit durch ein gutes Geſetz und durch Schwurgerichte geregelt und geſichert wird. Bei dem Zuſammentritt des bisherigen Landtags legen wir im Intereſſe des heſſiſchen und des deutſchen Vater- landes und um ihrer eigenen Zukunft willen den Prinzen des heſſiſchen Hauſes und den Standesherren welche ſich bisher durch Be- vollmächtigte haben vertreten laſſen, die dringende Bitte ans Herz daß ſie ſich ſchnell aufmachen und in Perſon die Sitze einneh- men die ihnen im Rathe der deutſchen Fürſten und Völker gebühren! Die Zeit geht ſchnell in unſern Tagen und könnte ſie leicht überholen. Wehe dem der jetzt ſeine Sache nicht ſelbſt wahrnimmt und zwar als ein ganzer deutſcher Mann! Und wehe der deutſchen Sache wenn Fürſten und Völker nicht treu zuſammenhalten! — Nachſchrift am 7. Regierungsdirector Lotz aus Marburg iſt zum Miniſter des Innern ernannt. Es iſt ein tüchtiger Mann, und er wird hoffentlich ſeine neue Stellung und die neue Zeit begreifen. Ruhig und beruhigt iſt man hier noch nicht, aber man hofft doch wieder daß ſich alles fried- lich entwickle, und man wird nichts unthunliches begehren; denn noch lebt die Ueberzeugung daß unſere Verfaſſung, verfaſſungsmäßig vollzogen, das Wohl des Landes begründen und erhalten müſſe. Möge dieſer Glaube und dieſe Zuverſicht nie ſchwinden, dann wird er ſich auch gewiß bewahren. * Hanau, 10 März.⁞ Sowenig die Einberufung der Stände auf den 11 d. M., als die Proclamation des Kurfürſten vom 7 haben hier die Aufregung beſchwichtigen können; nicht nur mußten, nachdem in Staaten, wo minderer Grund zur Unzufriedenheit herrſchte, alles bewil- ligt iſt, die halben Zugeſtändniſſe darin, ſondern auch ihr Ton die Sache verſchlimmern. Hieraufhin hat die Volks-Commiſſion in Hanau an den Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoheit, eine Antwort erlaſſen, die als großgedruckte Beilage in der Hanauer Zeitung von heute erſchienen iſt. Sie lautet im weſentlichen: „Die Volkscommiſſion in Hanau an den Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoh. Durch die Proclamation Ew. kgl. Hoheit vom 7 d. M. ſind die Wünſche des Volkes nicht erfüllt und ſeine Bitten unvollſtändig gewährt worden. Das Volk iſt mißtrauiſch gegen Ew. königl. Hoheit ſelbſt, und ſieht in der unvollſtändigen Gewährung ſeiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Das Volk hat in der unvollſtändi- gen Gewährung ſeiner Bitten nichts geſehen als die dringendſte Auffor- derung ſich noch enger zuſammenzuſchaaren und eine noch feſtere Hal- tung Ew. königl. Hoheit gegenüber einzunehmen. Das Volk welches wir meinen iſt nicht der vage Begriff mehr von ehedem, nein es ſind alle, alle! Ja, königl. Hoheit, alle! Auch das Militär hat ſich für einſtimmig erklärt! Das Volk verlangt was ihm gebührt. Es ſpricht den Willen aus daß ſeine Zukunft beſſer ſeyn ſolle als ſeine Vergangenheit, und dieſer Wille iſt unwiderſtehlich. Das Volk hat ſich eine Commiſſion er- wählt, und dieſe verlangt nun für es und Namens ſeiner: 1) Beſetzung aller Miniſterien, ſoweit dieſe nicht neuerdings geſchehen iſt, mit Män- nern welche das Vertrauen des Volkes genteßen. 2) Auflöſung der wie- der einberufenen Ständeverſammlung und alsbaldige Berufung neu zu erwählender Stände. 3) Bewilligung vollſtändiger Preßfreiheit auf Grund der hiezu im § 95 der Verfaſſungsurkunde gewährten Zuſtändig- keit. 4) Vollſtändige Amneſtie für alle ſeit dem Jahre 1830 begangenen politiſchen Vergehen. 5) Gewährung vollſtändiger Religions- und Ge- wiſſensfreiheit und deren Ausübung. 6) Hinwirkung bei dem deutſchen Bund auf Bildung einer deutſchen Volkskammer. Zurücknahme aller den Genuß verfaſſungsmäßiger Rechte, ganz insbeſondere das Petitions-, Einigungs- und Verſammlungsrecht beſchränkenden Beſchlüſſe. 7) Die beſtimmte Zuſage daß die bereits durch die Proclamation vom 7 d. zuge- ſicherten und in Beziehung auf die ausgeſprochenen Deſiderien weiter er- forderlichen Geſetzentwürfe der nächſten Ständeverſammlung vorgelegt werden. 8) Entſchließung Ew. königl. Hoheit binnen drei Tagen von heute an, deren Verſtreichen ohne Antwort als Ablehnung angeſehen werden ſoll. Jetzt iſt die Stunde gekommen wo Sie zu zeigen haben, königl. Hoheit, wie Sie es mit dem Volke meinen. Zögern Sie nicht einen Augenblick zu gewähren, vollſtändig zu gewähren! Beſonnene Männer, königl. Hoheit, ſagen Ihnen hier daß die Aufregung einen furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den Nachbarſtädten iſt bereits vorhanden, ſchon wird man mit dem Gedanken einer Lostrennung vertraut, und kennt recht wohl das Gewicht der voll- endeten Thatſachen. Königl. Hoheit! Gewähren Sie! Lenke Gott Ihr Herz.“ Dieß „Ultimatum“ iſt durch eine Deputation von 8 Mann nach Kaſſel abgegangen. Alle Verſtändigen wünſchen daß die Regierung auf- richtig und vollſtändig nachgebe und wir ſowohl von dem Druck der Ver- gangenheit befreit werden, als vor einer drohenden Zukunft bewahrt bleiben. * Leipzig, 9 März.Die verſchiedenſten Nachrichten haben heut einander gedrängt. Entweder hat man in Dresden beſſere An- ſichten gewonnen oder ein Nachbarſtaat hat ſich der Reform günſtiger gezeigt als bisher. Am Morgen erfuhren wir von einer mehr als un- gnädigen Aufnahme der Deputirten mehrerer Städte, welche im Sinn mit Leipzigs Adreſſen übereinſtimmende Schriften dem König überbracht hatten. Dann am Mittag wiederum die Kunde daß von allen Seiten Truppen um Leipzig zuſammengezogen werden, daß ſogar preußiſche Sol- daten bereits an die nahe Gränze (Schkeuditz) gerückt ſind. Alſo überall die Anzeichen reactionärer Maßregeln. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine73_1848/17>, abgerufen am 25.11.2024.