Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Deutschland. Kurhessen. * Kassel, 6 März. Das von Hassenpflug hier ein- * Hanau, 10 März. [] Sowenig die Einberufung der Stände auf * Leipzig, 9 März. Die verschiedensten Nachrichten haben Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Deutſchland. Kurheſſen. * Kaſſel, 6 März. Das von Haſſenpflug hier ein- * Hanau, 10 März. [⁞] Sowenig die Einberufung der Stände auf * Leipzig, 9 März. Die verſchiedenſten Nachrichten haben <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0017"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> <docImprint> <docDate>vom 13 März 1848.</docDate> </docImprint> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Deutſchland.</hi> </head><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#g">Kurheſſen.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline>* <hi rendition="#b">Kaſſel,</hi> 6 März.</dateline> <p>Das von Haſſenpflug hier ein-<lb/> geführte, durch die Bundesbeſchlüſſe von 1832 ꝛc. gekräftigte, und von<lb/> einer wenig zahlreichen aber ſich eng aneinander anſchließenden Haſſen-<lb/> pflug’ſchem Epigonenſchaft fortgeſetzte Regierungsſyſtem der Verküm-<lb/> merung aller verfaſſnngsmäßigen Freiheiten — es iſt heute feierlich auf-<lb/> gegeben. Es wankte bereits vor den verhängnißvollen Februartagen durch<lb/> providentielle Fügung, oder, um die eigenen Worte der Schule zu ge-<lb/> brauchen, man konnte bereits vorher deutlich ſehen daß ſich das Heer<lb/> nicht mehr zu ihrem Werke bekenne.“ Münſcher und Bickell ſtarben,<lb/> Scheffer erkrankte ſchwer, und die durch die allerbedenklichſten Mittel er-<lb/> künſtelte Majorität der Ständeverſammlung begann ſo zweifelhaft zu<lb/> werden daß eine Vertagung nothwendig wurde, um Zeit zu gewinnen<lb/> und neue Aushülfe zu erdenken. So traf uns die Nachricht vom Ver-<lb/> ſchwinden des königlichen Thrones in Frankreich und der ernſte Aufruf<lb/> des Bundestags zum „<hi rendition="#g">einmüthigſten Zuſammenwirken</hi>“ der Völ-<lb/> ker mit ihren Regierungen. In Kaſſel war aber nicht nur im Miniſte-<lb/> rium, ſondern auch in der ſtädtiſchen Verwaltung mehr Lücke als Sub-<lb/> ſtanz: der neugewählte Bürgermeiſter <hi rendition="#g">Hartwig,</hi> einer der geachtetſten<lb/> Obergerichtsanwälte, war noch nicht beſtätigt, der Stadtſecretär <hi rendition="#g">Wip-<lb/> permann</hi> noch durch willkürlichen Miniſterialbefehl ſuspendirt, der<lb/> Vicebürgermeiſter <hi rendition="#g">Nebelthau</hi> nicht von dem erforderlichen Vertrauen<lb/> umgeben, demnach die Wirkſamkeit der ſtädtiſchen Organe ganz gelähmt.<lb/> Ehe man deßhalb hier auch nur eine Deputation bei dem Stadtrathe<lb/> zuwege bringen konnte, war bereits eine ſolche von <hi rendition="#g">Hanau</hi> mit einer<lb/> Bittſchrift angelangt, die allerdings in etwas derber Sprache, aber wahr<lb/> und offen die Landesſchäden aufdeckte, und zum Theil in trauriger Aus-<lb/> führlichkeit aufzählte. Von Marburg hatte ſich ebenfalls eine Deputation<lb/> angeſchloſſen, und hier bereitete eine große Anzahl von Bürgern, ohne<lb/> Mitwirkung der ſtädtiſchen Behörden, eine andere Bittſchrift vor, in der<lb/> ſie ebenfalls freier als es dem Stadtrath ſonſt geziemt hätte, alle Maßregeln<lb/> rügten, wodurch ſeit 16 Jahren der Verfaſſung Gewalt angethan ſei.<lb/> Die Hanauer und Marburger wurden geſtern empfangen, ſie konnten<lb/> ſich aber nicht entſchließen nach Hauſe zu reiſen, bevor ſie eine beruhigendere<lb/> Zuſicherung mitbringen würden als der Kurfürſt ihnen gegeben hatte.<lb/> Inzwiſchen war nun zwar die Beſtätigung des Oberbürgermeiſters Hart-<lb/> wig erfolgt, auch die Berufung des allgemein geachteten Obergerichts-<lb/> directors v. <hi rendition="#g">Baumbach</hi> zu Rinteln zum Juſtizminiſter bekannt gewor-<lb/> den, aber ſolange <hi rendition="#g">Scheffer</hi> noch zu Rathe gezogen wurde, konnte kein<lb/> Vertrauen Boden gewinnen. Die Aufregung ſtieg von Stunde zu<lb/> Stunde, und alle Hoffnungen concentrirten ſich auf heute Vormittag<lb/> um 10 Uhr, wo die beiden Kaſſler Bittſchriften von den betreffenden<lb/> Deputationen überreicht werden ſollten. Von guter Vorbedeutung war<lb/> es daß man ſchon frühmorgens erfuhr, Scheffer ſey entlaſſen und ab-<lb/> gereist, und daß die Vorſtände der höhern Behörden und die Geiſtlichkeit<lb/> hieſiger Stadt ſich perſönlich ins Schloß verfügten, um bei Sr. königl.<lb/> Hoheit die von den Bürgern vorzubringenden Beſchwerden gnädiger Be-<lb/> rückſichtigung zu empfehlen. Zugleich wurde eine Abtheilung Bürger-<lb/> garde vor dem kurfürſtlichen Schloſſe aufgeſtellt, und dieſer ward es leicht<lb/> der mit den Deputationen herankommenden Menge in geeigneter Weiſe<lb/> zu wehren. Der Erfolg entſprach dann auch der Erwartung; der Kur-<lb/> fürſt drückte ſeine Geneigtheit aus allen begründeten Beſchwerden abzuhel-<lb/> fen und den Landtag zur verfaſſungsmäßigen Mitwirkung alsbald wieder<lb/> einzurufen. Seitdem erfüllt Freude die Stadt, und wir dürfen hoffen daß<lb/> die Verfaſſung von nun an wieder wahres Leben gewinnt, namentlich<lb/> wenn die Preßfreiheit durch ein gutes Geſetz und durch Schwurgerichte<lb/> geregelt und geſichert wird. Bei dem Zuſammentritt des bisherigen<lb/> Landtags legen wir im Intereſſe des heſſiſchen und des deutſchen Vater-<lb/> landes und <hi rendition="#g">um ihrer eigenen Zukunft willen</hi> den Prinzen des<lb/> heſſiſchen Hauſes und den Standesherren welche ſich bisher durch Be-<lb/> vollmächtigte haben vertreten laſſen, die dringende Bitte ans Herz <hi rendition="#g">daß<lb/> ſie ſich ſchnell aufmachen und in Perſon die Sitze einneh-<lb/> men die ihnen im Rathe der deutſchen Fürſten und Völker<lb/> gebühren</hi>! Die Zeit geht ſchnell in unſern Tagen und könnte ſie leicht<lb/> überholen. Wehe dem der jetzt ſeine Sache nicht ſelbſt wahrnimmt und<lb/> zwar als ein ganzer deutſcher Mann! Und wehe der deutſchen Sache<lb/> wenn Fürſten und Völker nicht treu zuſammenhalten! — <hi rendition="#g">Nachſchrift</hi><lb/><cb/> am 7. Regierungsdirector <hi rendition="#g">Lotz</hi> aus Marburg iſt zum Miniſter des<lb/> Innern ernannt. Es iſt ein tüchtiger Mann, und er wird hoffentlich<lb/> ſeine neue Stellung und die neue Zeit begreifen. Ruhig und beruhigt<lb/> iſt man hier noch nicht, aber man hofft doch wieder daß ſich alles fried-<lb/> lich entwickle, und man wird nichts unthunliches begehren; denn noch<lb/> lebt die Ueberzeugung daß unſere Verfaſſung, <hi rendition="#g">verfaſſungsmäßig<lb/> vollzogen,</hi> das Wohl des Landes begründen und erhalten müſſe.<lb/> Möge dieſer Glaube und dieſe Zuverſicht nie ſchwinden, dann wird er<lb/> ſich auch gewiß bewahren.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline>* <hi rendition="#b">Hanau,</hi> 10 März.</dateline> <p><supplied>⁞</supplied> Sowenig die Einberufung der Stände auf<lb/> den 11 d. M., als die Proclamation des Kurfürſten vom 7 haben hier<lb/> die Aufregung beſchwichtigen können; nicht nur mußten, nachdem in<lb/> Staaten, wo minderer Grund zur Unzufriedenheit herrſchte, alles bewil-<lb/> ligt iſt, die halben Zugeſtändniſſe darin, ſondern auch ihr Ton die Sache<lb/> verſchlimmern. Hieraufhin hat die Volks-Commiſſion in Hanau an den<lb/> Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoheit, eine Antwort erlaſſen, die als<lb/> großgedruckte Beilage in der Hanauer Zeitung von heute erſchienen iſt.<lb/> Sie lautet im weſentlichen: <cit><quote>„Die Volkscommiſſion in Hanau an den<lb/> Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoh. Durch die Proclamation Ew. kgl.<lb/> Hoheit vom 7 d. M. ſind die Wünſche des Volkes <hi rendition="#g">nicht</hi> erfüllt und ſeine<lb/> Bitten unvollſtändig gewährt worden. Das Volk iſt mißtrauiſch gegen<lb/> Ew. königl. Hoheit ſelbſt, und ſieht in der unvollſtändigen Gewährung<lb/> ſeiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Das Volk hat in der unvollſtändi-<lb/> gen Gewährung ſeiner Bitten nichts geſehen als die dringendſte Auffor-<lb/> derung ſich noch enger zuſammenzuſchaaren und eine noch feſtere Hal-<lb/> tung Ew. königl. Hoheit gegenüber einzunehmen. Das Volk welches<lb/> wir meinen iſt nicht der vage Begriff mehr von ehedem, nein es ſind alle,<lb/> alle! Ja, königl. Hoheit, alle! Auch das Militär hat ſich für einſtimmig<lb/> erklärt! Das Volk verlangt was ihm gebührt. Es ſpricht den <hi rendition="#g">Willen</hi><lb/> aus daß ſeine Zukunft <hi rendition="#g">beſſer</hi> ſeyn ſolle als ſeine Vergangenheit, und<lb/> dieſer Wille iſt unwiderſtehlich. Das Volk hat ſich eine Commiſſion er-<lb/> wählt, und dieſe verlangt nun für es und Namens ſeiner: 1) Beſetzung<lb/> aller Miniſterien, ſoweit dieſe nicht neuerdings geſchehen iſt, mit Män-<lb/> nern welche das Vertrauen des Volkes genteßen. 2) Auflöſung der wie-<lb/> der einberufenen Ständeverſammlung und alsbaldige Berufung neu zu<lb/> erwählender Stände. 3) Bewilligung vollſtändiger Preßfreiheit auf<lb/> Grund der hiezu im § 95 der Verfaſſungsurkunde gewährten Zuſtändig-<lb/> keit. 4) Vollſtändige Amneſtie für alle ſeit dem Jahre 1830 begangenen<lb/> politiſchen Vergehen. 5) Gewährung vollſtändiger Religions- und Ge-<lb/> wiſſensfreiheit und deren Ausübung. 6) Hinwirkung bei dem deutſchen<lb/> Bund auf Bildung einer deutſchen Volkskammer. Zurücknahme aller<lb/> den Genuß verfaſſungsmäßiger Rechte, ganz insbeſondere das Petitions-,<lb/> Einigungs- und Verſammlungsrecht beſchränkenden Beſchlüſſe. 7) Die<lb/> beſtimmte Zuſage daß die bereits durch die Proclamation vom 7 d. zuge-<lb/> ſicherten und in Beziehung auf die ausgeſprochenen Deſiderien weiter er-<lb/> forderlichen Geſetzentwürfe der nächſten Ständeverſammlung vorgelegt<lb/> werden. 8) Entſchließung Ew. königl. Hoheit binnen <hi rendition="#g">drei</hi> Tagen von<lb/> heute an, deren Verſtreichen ohne Antwort als Ablehnung angeſehen<lb/> werden ſoll. Jetzt iſt die Stunde gekommen wo Sie zu zeigen haben,<lb/> königl. Hoheit, wie Sie es mit dem Volke meinen. Zögern Sie nicht<lb/> einen Augenblick zu gewähren, vollſtändig zu gewähren! Beſonnene<lb/> Männer, königl. Hoheit, ſagen Ihnen hier daß die Aufregung einen<lb/> furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den<lb/> Nachbarſtädten iſt bereits vorhanden, ſchon wird man mit dem Gedanken<lb/> einer Lostrennung vertraut, und kennt recht wohl das Gewicht der voll-<lb/> endeten Thatſachen. Königl. Hoheit! Gewähren Sie! Lenke Gott Ihr<lb/> Herz.“</quote></cit> Dieß „Ultimatum“ iſt durch eine Deputation von 8 Mann nach<lb/> Kaſſel abgegangen. Alle Verſtändigen wünſchen daß die Regierung auf-<lb/> richtig und vollſtändig nachgebe und wir ſowohl von dem Druck der Ver-<lb/> gangenheit befreit werden, als vor einer drohenden Zukunft bewahrt<lb/> bleiben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline>* <hi rendition="#b">Leipzig,</hi> 9 März.</dateline> <p>Die verſchiedenſten Nachrichten haben<lb/> heut einander gedrängt. Entweder hat man in Dresden beſſere An-<lb/> ſichten gewonnen oder ein Nachbarſtaat hat ſich der Reform günſtiger<lb/> gezeigt als bisher. Am Morgen erfuhren wir von einer mehr als un-<lb/> gnädigen Aufnahme der Deputirten mehrerer Städte, welche im Sinn<lb/> mit Leipzigs Adreſſen übereinſtimmende Schriften dem König überbracht<lb/> hatten. Dann am Mittag wiederum die Kunde daß von allen Seiten<lb/> Truppen um Leipzig zuſammengezogen werden, daß ſogar preußiſche Sol-<lb/> daten bereits an die nahe Gränze (Schkeuditz) gerückt ſind. Alſo überall<lb/> die Anzeichen reactionärer Maßregeln. Dann plötzlich am Abende kom-<lb/> men zwei Bekanntmachungen (ſ. unten) welche die Einberufung der<lb/> Stände auf den 20 März verheißen, und die Cenſur bis zum Erlaß eines<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 13 März 1848.
Deutſchland.
Kurheſſen.
* Kaſſel, 6 März.Das von Haſſenpflug hier ein-
geführte, durch die Bundesbeſchlüſſe von 1832 ꝛc. gekräftigte, und von
einer wenig zahlreichen aber ſich eng aneinander anſchließenden Haſſen-
pflug’ſchem Epigonenſchaft fortgeſetzte Regierungsſyſtem der Verküm-
merung aller verfaſſnngsmäßigen Freiheiten — es iſt heute feierlich auf-
gegeben. Es wankte bereits vor den verhängnißvollen Februartagen durch
providentielle Fügung, oder, um die eigenen Worte der Schule zu ge-
brauchen, man konnte bereits vorher deutlich ſehen daß ſich das Heer
nicht mehr zu ihrem Werke bekenne.“ Münſcher und Bickell ſtarben,
Scheffer erkrankte ſchwer, und die durch die allerbedenklichſten Mittel er-
künſtelte Majorität der Ständeverſammlung begann ſo zweifelhaft zu
werden daß eine Vertagung nothwendig wurde, um Zeit zu gewinnen
und neue Aushülfe zu erdenken. So traf uns die Nachricht vom Ver-
ſchwinden des königlichen Thrones in Frankreich und der ernſte Aufruf
des Bundestags zum „einmüthigſten Zuſammenwirken“ der Völ-
ker mit ihren Regierungen. In Kaſſel war aber nicht nur im Miniſte-
rium, ſondern auch in der ſtädtiſchen Verwaltung mehr Lücke als Sub-
ſtanz: der neugewählte Bürgermeiſter Hartwig, einer der geachtetſten
Obergerichtsanwälte, war noch nicht beſtätigt, der Stadtſecretär Wip-
permann noch durch willkürlichen Miniſterialbefehl ſuspendirt, der
Vicebürgermeiſter Nebelthau nicht von dem erforderlichen Vertrauen
umgeben, demnach die Wirkſamkeit der ſtädtiſchen Organe ganz gelähmt.
Ehe man deßhalb hier auch nur eine Deputation bei dem Stadtrathe
zuwege bringen konnte, war bereits eine ſolche von Hanau mit einer
Bittſchrift angelangt, die allerdings in etwas derber Sprache, aber wahr
und offen die Landesſchäden aufdeckte, und zum Theil in trauriger Aus-
führlichkeit aufzählte. Von Marburg hatte ſich ebenfalls eine Deputation
angeſchloſſen, und hier bereitete eine große Anzahl von Bürgern, ohne
Mitwirkung der ſtädtiſchen Behörden, eine andere Bittſchrift vor, in der
ſie ebenfalls freier als es dem Stadtrath ſonſt geziemt hätte, alle Maßregeln
rügten, wodurch ſeit 16 Jahren der Verfaſſung Gewalt angethan ſei.
Die Hanauer und Marburger wurden geſtern empfangen, ſie konnten
ſich aber nicht entſchließen nach Hauſe zu reiſen, bevor ſie eine beruhigendere
Zuſicherung mitbringen würden als der Kurfürſt ihnen gegeben hatte.
Inzwiſchen war nun zwar die Beſtätigung des Oberbürgermeiſters Hart-
wig erfolgt, auch die Berufung des allgemein geachteten Obergerichts-
directors v. Baumbach zu Rinteln zum Juſtizminiſter bekannt gewor-
den, aber ſolange Scheffer noch zu Rathe gezogen wurde, konnte kein
Vertrauen Boden gewinnen. Die Aufregung ſtieg von Stunde zu
Stunde, und alle Hoffnungen concentrirten ſich auf heute Vormittag
um 10 Uhr, wo die beiden Kaſſler Bittſchriften von den betreffenden
Deputationen überreicht werden ſollten. Von guter Vorbedeutung war
es daß man ſchon frühmorgens erfuhr, Scheffer ſey entlaſſen und ab-
gereist, und daß die Vorſtände der höhern Behörden und die Geiſtlichkeit
hieſiger Stadt ſich perſönlich ins Schloß verfügten, um bei Sr. königl.
Hoheit die von den Bürgern vorzubringenden Beſchwerden gnädiger Be-
rückſichtigung zu empfehlen. Zugleich wurde eine Abtheilung Bürger-
garde vor dem kurfürſtlichen Schloſſe aufgeſtellt, und dieſer ward es leicht
der mit den Deputationen herankommenden Menge in geeigneter Weiſe
zu wehren. Der Erfolg entſprach dann auch der Erwartung; der Kur-
fürſt drückte ſeine Geneigtheit aus allen begründeten Beſchwerden abzuhel-
fen und den Landtag zur verfaſſungsmäßigen Mitwirkung alsbald wieder
einzurufen. Seitdem erfüllt Freude die Stadt, und wir dürfen hoffen daß
die Verfaſſung von nun an wieder wahres Leben gewinnt, namentlich
wenn die Preßfreiheit durch ein gutes Geſetz und durch Schwurgerichte
geregelt und geſichert wird. Bei dem Zuſammentritt des bisherigen
Landtags legen wir im Intereſſe des heſſiſchen und des deutſchen Vater-
landes und um ihrer eigenen Zukunft willen den Prinzen des
heſſiſchen Hauſes und den Standesherren welche ſich bisher durch Be-
vollmächtigte haben vertreten laſſen, die dringende Bitte ans Herz daß
ſie ſich ſchnell aufmachen und in Perſon die Sitze einneh-
men die ihnen im Rathe der deutſchen Fürſten und Völker
gebühren! Die Zeit geht ſchnell in unſern Tagen und könnte ſie leicht
überholen. Wehe dem der jetzt ſeine Sache nicht ſelbſt wahrnimmt und
zwar als ein ganzer deutſcher Mann! Und wehe der deutſchen Sache
wenn Fürſten und Völker nicht treu zuſammenhalten! — Nachſchrift
am 7. Regierungsdirector Lotz aus Marburg iſt zum Miniſter des
Innern ernannt. Es iſt ein tüchtiger Mann, und er wird hoffentlich
ſeine neue Stellung und die neue Zeit begreifen. Ruhig und beruhigt
iſt man hier noch nicht, aber man hofft doch wieder daß ſich alles fried-
lich entwickle, und man wird nichts unthunliches begehren; denn noch
lebt die Ueberzeugung daß unſere Verfaſſung, verfaſſungsmäßig
vollzogen, das Wohl des Landes begründen und erhalten müſſe.
Möge dieſer Glaube und dieſe Zuverſicht nie ſchwinden, dann wird er
ſich auch gewiß bewahren.
* Hanau, 10 März.⁞ Sowenig die Einberufung der Stände auf
den 11 d. M., als die Proclamation des Kurfürſten vom 7 haben hier
die Aufregung beſchwichtigen können; nicht nur mußten, nachdem in
Staaten, wo minderer Grund zur Unzufriedenheit herrſchte, alles bewil-
ligt iſt, die halben Zugeſtändniſſe darin, ſondern auch ihr Ton die Sache
verſchlimmern. Hieraufhin hat die Volks-Commiſſion in Hanau an den
Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoheit, eine Antwort erlaſſen, die als
großgedruckte Beilage in der Hanauer Zeitung von heute erſchienen iſt.
Sie lautet im weſentlichen: „Die Volkscommiſſion in Hanau an den
Kurfürſten von Heſſen, königl. Hoh. Durch die Proclamation Ew. kgl.
Hoheit vom 7 d. M. ſind die Wünſche des Volkes nicht erfüllt und ſeine
Bitten unvollſtändig gewährt worden. Das Volk iſt mißtrauiſch gegen
Ew. königl. Hoheit ſelbſt, und ſieht in der unvollſtändigen Gewährung
ſeiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Das Volk hat in der unvollſtändi-
gen Gewährung ſeiner Bitten nichts geſehen als die dringendſte Auffor-
derung ſich noch enger zuſammenzuſchaaren und eine noch feſtere Hal-
tung Ew. königl. Hoheit gegenüber einzunehmen. Das Volk welches
wir meinen iſt nicht der vage Begriff mehr von ehedem, nein es ſind alle,
alle! Ja, königl. Hoheit, alle! Auch das Militär hat ſich für einſtimmig
erklärt! Das Volk verlangt was ihm gebührt. Es ſpricht den Willen
aus daß ſeine Zukunft beſſer ſeyn ſolle als ſeine Vergangenheit, und
dieſer Wille iſt unwiderſtehlich. Das Volk hat ſich eine Commiſſion er-
wählt, und dieſe verlangt nun für es und Namens ſeiner: 1) Beſetzung
aller Miniſterien, ſoweit dieſe nicht neuerdings geſchehen iſt, mit Män-
nern welche das Vertrauen des Volkes genteßen. 2) Auflöſung der wie-
der einberufenen Ständeverſammlung und alsbaldige Berufung neu zu
erwählender Stände. 3) Bewilligung vollſtändiger Preßfreiheit auf
Grund der hiezu im § 95 der Verfaſſungsurkunde gewährten Zuſtändig-
keit. 4) Vollſtändige Amneſtie für alle ſeit dem Jahre 1830 begangenen
politiſchen Vergehen. 5) Gewährung vollſtändiger Religions- und Ge-
wiſſensfreiheit und deren Ausübung. 6) Hinwirkung bei dem deutſchen
Bund auf Bildung einer deutſchen Volkskammer. Zurücknahme aller
den Genuß verfaſſungsmäßiger Rechte, ganz insbeſondere das Petitions-,
Einigungs- und Verſammlungsrecht beſchränkenden Beſchlüſſe. 7) Die
beſtimmte Zuſage daß die bereits durch die Proclamation vom 7 d. zuge-
ſicherten und in Beziehung auf die ausgeſprochenen Deſiderien weiter er-
forderlichen Geſetzentwürfe der nächſten Ständeverſammlung vorgelegt
werden. 8) Entſchließung Ew. königl. Hoheit binnen drei Tagen von
heute an, deren Verſtreichen ohne Antwort als Ablehnung angeſehen
werden ſoll. Jetzt iſt die Stunde gekommen wo Sie zu zeigen haben,
königl. Hoheit, wie Sie es mit dem Volke meinen. Zögern Sie nicht
einen Augenblick zu gewähren, vollſtändig zu gewähren! Beſonnene
Männer, königl. Hoheit, ſagen Ihnen hier daß die Aufregung einen
furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den
Nachbarſtädten iſt bereits vorhanden, ſchon wird man mit dem Gedanken
einer Lostrennung vertraut, und kennt recht wohl das Gewicht der voll-
endeten Thatſachen. Königl. Hoheit! Gewähren Sie! Lenke Gott Ihr
Herz.“ Dieß „Ultimatum“ iſt durch eine Deputation von 8 Mann nach
Kaſſel abgegangen. Alle Verſtändigen wünſchen daß die Regierung auf-
richtig und vollſtändig nachgebe und wir ſowohl von dem Druck der Ver-
gangenheit befreit werden, als vor einer drohenden Zukunft bewahrt
bleiben.
* Leipzig, 9 März.Die verſchiedenſten Nachrichten haben
heut einander gedrängt. Entweder hat man in Dresden beſſere An-
ſichten gewonnen oder ein Nachbarſtaat hat ſich der Reform günſtiger
gezeigt als bisher. Am Morgen erfuhren wir von einer mehr als un-
gnädigen Aufnahme der Deputirten mehrerer Städte, welche im Sinn
mit Leipzigs Adreſſen übereinſtimmende Schriften dem König überbracht
hatten. Dann am Mittag wiederum die Kunde daß von allen Seiten
Truppen um Leipzig zuſammengezogen werden, daß ſogar preußiſche Sol-
daten bereits an die nahe Gränze (Schkeuditz) gerückt ſind. Alſo überall
die Anzeichen reactionärer Maßregeln. Dann plötzlich am Abende kom-
men zwei Bekanntmachungen (ſ. unten) welche die Einberufung der
Stände auf den 20 März verheißen, und die Cenſur bis zum Erlaß eines
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(2021-08-16T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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