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Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] den Alpen ist fertig; das deutsche Reich ist zur Thatsache geworden, darum
wollen auch wir uns auf den neuen Boden stellen welchen diese Thatsache
geschaffen hat. Wir wollen als lebendige und vollberechtigte Glieder an
dem nationalen und staatlichen Leben des deutschen Reichs theilnehmen.
Darum müssen wir zum ersten deutschen Reichstag mitwählen. Es ist
eine heilige Pflicht für jeden der sein Vaterland und sein Volk liebt sich
an dieser Wahl zu betheiligen. Von ihrem Ausfall hängt es ab ob das
neue deutsche Reich so ausgebaut und eingerichtet wird, daß die Freiheit
neben der Einheit noch Raum findet. Alle wichtigen Interessen und An-
gelegenheiten -- die religiösen so gut wie die politischen, bürgerlichen und
finanziellen -- werden künftig im Reichstag berathen und entschieden.
Da müssen und wollen auch wir mitrathen und mitthaten; darum wollen
auch wir bei der Reichstagswahl ebenso fest und mannhaft wie bei den
früheren Wahlen zusammenstehen, um möglichst viele Abgeordnete unserer
Richtung in den ersten deutschen Reichstag zu bringen. Einheit nach
außen, Freiheit nach innen!
ist unsere Parole. Wir werden
darum nur Abgeordnete in den Reichstag wählen welche 1) für die frei-
heitliche Entwicklung der deutschen Reichsverfassung, für die innere Selb-
ständigkeit der einzelnen Staaten und Stämme und für die Selbstverwal-
tung ihrer inneren Angelegenheiten eintreten. 2) Wir erwarten von unsern
Reichstagsabgeordneten daß sie für eine weise Sparsamkeit im Staats-
haushalt eintreten und mit aller Entschiedenheit darnach streben daß die
Pflichten und Lasten auf alle Erwerbsclassen nach gerechtem Maßstabe
vertheilt werden. 3) Zur möglichsten Schonung der Steuerkraft des
Volkes wollen wir entschiedenes Eintreten unserer Abgeordneten für mög-
lichste Beschränkung der Militärlast im Frieden. 4) Wir bewundern die
Großthaten unserer Heere, und wünschen daß das dankbare Vaterland die
Fürsorge für die Verwundeten und Invaliden, wie für die Hinterbliebenen
der gefallenen Krieger übernehme. 5) Wir verlangen von unsern Abge-
ordneten daß sie für gesetzliche Feststellung von Diäten für die Reichstags-
Abgeordneten eintreten. 6) Wir wollen ein für ganz Deutschland gültiges
und wahrhaft freisinniges Vereins- und Preßgesetz. 7) Freiheit der Kirche,
Gleichberechtigung der Confessionen! ist in kirchlich-politischer Beziehung
unsere Losung. Wir werden nur christlich gesinnte Männer in den Reichs-
tag wählen, welche sich bemühen, wie die politische, so auch die kirchliche
Freiheit und das Recht der Religionsgesellschaften gegen mögliche Eingriffe
der Gesetzgebung sowohl als auch gegen feindliche Parteibestrebungen zu
wahren. 8) Wir erblicken im Frieden die sicherste Bürgschaft der Freiheit
und des Volkswohls. Ueberzeugt daß keine Macht der Welt das waffen-
mächtige und siegesstarke Deutschland anzugreifen wagt wenn es auf-
richtige Freundschaft mit Oesterreich hält, das durch seine neutrale Haltung
uns den schweren Kampf erleichtert hat, wollen wir daß unsere Reichtags-
Abgeordneten nach Möglichkeit für ein Schutz- und Trutzbündniß zwischen
Deutschland und Oesterreich wirken. Wir erblicken in der Erhaltung des
österreichischen Kaiserstaates, in welchem 10 Millionen deutscher Stammes-
brüder wohnen, die für Deutschlands nothwendige Vormauer gegen die
Gefahren welche von Osten her der Civilisation und Völkerfreiheit drohen.
Mit diesem Programm gehen wir in den Wahlkampf. Wer die Grund-
sätze desselben theilt -- und gewiß theilt sie jeder patriotische Mann --
der stehe zu uns am Wahltag und wähle mit uns die Männer dieses Pro-
gramms -- gewissenhafte, entschiedene, ganze Männer, welche für das
Recht, die Interessen und die Freiheit des Volkes einzustehen den Muth
haben. Unsere norddeutschen Freunde blicken auf uns, und erwarten daß
auch wir gleich ihnen am Wahltag unsere Pflicht thun und eine große Zahl
conservativer Vertreter in den Reichstag senden. Mit ihnen vereint wer-
den unsere Abgeordneten eine starke Vertretung bilden, mit der man rechnen
muß. Wir wollen die Erwartung unserer norddeutschen Freunde nicht
täuschen! Wohlan! So treten wir in den Wahlkampf ein! Die Rührigkeit
unserer politischen Gegner beweist daß es gilt wichtige Interessen zu
wahren."

Dieses Manifest trägt 25 Unterschriften, worunter an bekannten
Namen zu erwähnen sind: die Abgg. Dr. Max Huttler, Karl Barth,
Pfarrer Hafenmair von Memmingen, Pfarrer Bach und Kaufmann Schöpf
von Pfaffenhausen.

In einer gestern Abends von 1500 bis
2000 liberalen Wahlberechtigten besuchten Versammlung wurde als Can-
didat des Augsburger Wahlkreises für den Reichstag der erste Bürgermeister
Hr. Fischer aufgestellt. In Vorschlag waren überhaupt drei Candidaten
gekommen: Dr. Völk, Bürgermeister Fischer und von socialdemokratischer
Seite Hr. Franz. In Uebereinstimmung mit den Ausführungen des Prof.
Mezger, welcher unter lebhaftem Beifall für die Wahl Fischers eintrat,
erklärte Appellrath Behringer: daß Dr. Völk, um keine Zersplitterung her-
beizuführen, unter keinen Umständen in Augsburg candidiren werde. Nach-
dem auch Hr. Franz seine Ansichten vom "deutschen Volksstaat" und der
Nothwendigkeit des Umsturzes aller bestehenden Staatsinstitutionen,
namentlich des deutschen Kaiserthums, entwickelt, wurde bei der Abstim-
mung unter lebhaften Zurufen Hr. Fischer mit allen gegen die etwa 25
bis 30 Stimmen der (unmittelbar vor der Tribüne zusammenstehenden)
Socialdemokraten als alleiniger liberaler Candidat proclamirt. Den Vor-
sitz in der Versammlung, welche nicht viel über eine Stunde währte, führte
Hr. Appellrath Westermaier.

Von einem großen Theil der östlichen Pro-
vinzen sind wir seit mehreren Tagen völlig abgeschnitten. Landstraßen und
Eisenbahnen sind dort hügelartig mit Schneemassen bedeckt und hemmen
[Spaltenumbruch] den Verkehr für Fuhrwerk und Locomotiven. Bei dem Mangel an Ar-
beitskräften lassen sich diese Hindernisse auch nur langsam beseitigen, trotz
dem lobenswerthen Eifer mit welchem die Behörden überall eingreifen.
Die Unzuträglichkeiten welche auch für die hiesige Bevölkerung aus diesen
Verkehrsstockungen entspringen, indem dadurch namentlich die Zufuhr an
Heizungsmaterial momentan fast ganz unterbrochen ist, werden durch die
ungewöhnliche Strenge des Winters (wir haben heute 18 Grad Kälte)
nicht wenig vermehrt. Unter den unbemittelten Classen herrscht denn auch
wirklich bereits sehr viel Elend, da die armen Leute nicht mehr wissen
woher sie die Mittel nehmen sollen ihre eisigen Wohnräume zu erwärmen.
Stein- und Brennkohlen sind um 110, resp. 120 Proc. im Preise gestiegen
und kaum noch für Geld und gute Worte zu haben. Angesichts solcher Zu-
stände ist es sehr begreiflich wenn man hier in fieberhafter Spannung dem
Ende des Kriegs entgegensieht, dem man nicht mit Unrecht auch die Ver-
theuerung fast aller Lebensmittelpreise zuschreibt. So wenig indessen auch
an dem baldigen Zustandekommen des Friedens zu zweifeln ist, so wird
die Entwicklung der Dinge in Frankreich doch schwerlich gleichen Schritt
mit den hier gehegten Hoffnungen halten. Die ungewöhnliche Lage in
welcher sich Frankreich gegenwärtig befindet, und namentlich die durch den
Krieg und durch Naturereignisse bewirkten Verkehrsstörungen machen es
mehr als wahrscheinlich daß die National-Versammlung morgen noch nicht
in beschlußfähiger Anzahl sich zu Bordeaux versammeln kann. Eine Ver-
längerung des Waffenstillstandes wird sich daher als unvermeidlich heraus-
stellen, wenn man überhaupt will daß derselbe zum Frieden führen soll.
Hier ist auch die Ueberzeugung vorherrschend daß in dieser Beziehung von
unserer Seite keine Schwierigkeiten erhoben werden, wenn nur der Ausfall
der Wahlen Aussichten auf die Annahme unserer Friedensbedingungen bietet.
Einige Sorge könnte allenfalls der Umstand bereiten daß die Ablieferung
der Waffen von Paris aus bis jetzt nur sehr langsam von statten gegangen
ist, und voraussichtlich nicht innerhalb der vereinbarten Frist bewirkt sein
wird. Hoffentlich wird unsere Armeeführung daraus aber keinen Grund
nehmen die von officiösen Correspondenten im Hauptquartier ausge-
sprochene Drohung zu verwirklichen und mit den Feindseligkeiten gegen
Paris wieder zu beginnen, was leicht das glücklich eingeleitete Friedens-
werk zerstören könnte. -- Wie der allgemeinen Erwartung entsprechend,
hat die Budget-Commission einstimmig den Beschluß gefaßt dem Abge-
ordnetenhause die Bewilligung des vom Bundeskanzler erbetenen Vor-
schusses von 50 Millionen mit dem Vorbehalt seiner Wiedererstattung bis
zum 1 Juli l. Is. zu empfehlen, wobei der Finanzminister erklärte: daß
dieser Vorschuß erst auf den Antrag des Kaisers und des Bundesraths
verabfolgt werden solle. Die Bereitwilligkeit zur Bewilligung der Fort
derung war übrigens in der Commission so stark, daß sie, nach der Ansich-
des Correferenten, selbst auf die Gefahr hin erfolgt sein würde den Vor-
schuß überhaupt nicht mehr erstattet zu erhalten. -- In der gestrigen
Sitzung des Abgeordnetenhauses wurde das Ausführungsgesetz zu dem
Bundesgesetz betreffend den Unterstützungswohnsitz berathen. Conserva-
tive und Liberale bethätigten hierbei so viel Entgegenkommen und der
Minister des Innern spielte die Rolle eines Vermittlers zwischen den ent-
gegenstehenden Anschauungen dieses und des anderen Hauses so geschickt, daß
das Zustandekommen des Gesetzes kaum noch einem Zweifel unterliegt.
Die Verhandlung drehte sich hauptsächlich um die Frage: ob die in Sachsen
und Holland bestehende Einrichtung, die Unterstützung von dem Eintritt
in ein Arbeitshaus abhängig zu machen, nachgeahmt werden solle oder
nicht. Conservative erblickten in dieser Bedingung ein Prüfungsmittel
für wirkliche Noth; ein Zuchtmittel für zweifelhafte Arme, während Libe-
rale mit dem Ausdruck "Arbeiterhaus" den Begriff einer Correctionsan-
stalt verknüpften, und sich unter Zustimmung des Ministers dagegen auf-
lehnten. Schließlich wurde der betreffende Paragraph nach dem Vor-
schlage der Commission in folgender Fassung angenommen: "Jedem hülfs-
bedürftigen Deutschen ist von dem zu seiner Unterstützung verpflichteten
Armen-Verband Obdach, der unentbehrliche Lebensunterhalt, die erfor-
derliche Pflege im Krankheitsfalle, und im Falle seines Ablebens ein an-
gemessenes Begräbniß zu gewähren; die Unterstützung kann geeigneten
Falles, so lange dieselbe in Anspruch genommen wird, mittelst Unterbrin-
gung in einem Armen- oder Krankenhause, sowie mittelst Anweisung der
den Kräften der Hülfsbedürftigen entsprechenden Arbeiten gewährt werden."
-- Die Commission des Herrenhauses hat die hessische Kirchengesetz-Vor-
lage ebenfalls verworfen.

Es überrascht hier die Behauptung des
Versailler Correspondenten der "Kreuzzeitung," der bekanntlich in der Um-
gebung des Hofes lebt, daß man, um die Annullirung des Gambetta'schen
Wahldecrets zu erzwingen, die nach Paris hineingehenden Züge mit Ge-
treide, Mehl und Schlachtvieh habe aufhalten lassen. Seitdem soll auch
die Ablieferung der Waffen, welche gar nicht recht in Fluß kommen wollte,
mit einem unverkennbaren Eifer betrieben werden, auch die Auflösung der

[Spaltenumbruch] den Alpen iſt fertig; das deutſche Reich iſt zur Thatſache geworden, darum
wollen auch wir uns auf den neuen Boden ſtellen welchen dieſe Thatſache
geſchaffen hat. Wir wollen als lebendige und vollberechtigte Glieder an
dem nationalen und ſtaatlichen Leben des deutſchen Reichs theilnehmen.
Darum müſſen wir zum erſten deutſchen Reichstag mitwählen. Es iſt
eine heilige Pflicht für jeden der ſein Vaterland und ſein Volk liebt ſich
an dieſer Wahl zu betheiligen. Von ihrem Ausfall hängt es ab ob das
neue deutſche Reich ſo ausgebaut und eingerichtet wird, daß die Freiheit
neben der Einheit noch Raum findet. Alle wichtigen Intereſſen und An-
gelegenheiten — die religiöſen ſo gut wie die politiſchen, bürgerlichen und
finanziellen — werden künftig im Reichstag berathen und entſchieden.
Da müſſen und wollen auch wir mitrathen und mitthaten; darum wollen
auch wir bei der Reichstagswahl ebenſo feſt und mannhaft wie bei den
früheren Wahlen zuſammenſtehen, um möglichſt viele Abgeordnete unſerer
Richtung in den erſten deutſchen Reichstag zu bringen. Einheit nach
außen, Freiheit nach innen!
iſt unſere Parole. Wir werden
darum nur Abgeordnete in den Reichstag wählen welche 1) für die frei-
heitliche Entwicklung der deutſchen Reichsverfaſſung, für die innere Selb-
ſtändigkeit der einzelnen Staaten und Stämme und für die Selbſtverwal-
tung ihrer inneren Angelegenheiten eintreten. 2) Wir erwarten von unſern
Reichstagsabgeordneten daß ſie für eine weiſe Sparſamkeit im Staats-
haushalt eintreten und mit aller Entſchiedenheit darnach ſtreben daß die
Pflichten und Laſten auf alle Erwerbsclaſſen nach gerechtem Maßſtabe
vertheilt werden. 3) Zur möglichſten Schonung der Steuerkraft des
Volkes wollen wir entſchiedenes Eintreten unſerer Abgeordneten für mög-
lichſte Beſchränkung der Militärlaſt im Frieden. 4) Wir bewundern die
Großthaten unſerer Heere, und wünſchen daß das dankbare Vaterland die
Fürſorge für die Verwundeten und Invaliden, wie für die Hinterbliebenen
der gefallenen Krieger übernehme. 5) Wir verlangen von unſern Abge-
ordneten daß ſie für geſetzliche Feſtſtellung von Diäten für die Reichstags-
Abgeordneten eintreten. 6) Wir wollen ein für ganz Deutſchland gültiges
und wahrhaft freiſinniges Vereins- und Preßgeſetz. 7) Freiheit der Kirche,
Gleichberechtigung der Confeſſionen! iſt in kirchlich-politiſcher Beziehung
unſere Loſung. Wir werden nur chriſtlich geſinnte Männer in den Reichs-
tag wählen, welche ſich bemühen, wie die politiſche, ſo auch die kirchliche
Freiheit und das Recht der Religionsgeſellſchaften gegen mögliche Eingriffe
der Geſetzgebung ſowohl als auch gegen feindliche Parteibeſtrebungen zu
wahren. 8) Wir erblicken im Frieden die ſicherſte Bürgſchaft der Freiheit
und des Volkswohls. Ueberzeugt daß keine Macht der Welt das waffen-
mächtige und ſiegesſtarke Deutſchland anzugreifen wagt wenn es auf-
richtige Freundſchaft mit Oeſterreich hält, das durch ſeine neutrale Haltung
uns den ſchweren Kampf erleichtert hat, wollen wir daß unſere Reichtags-
Abgeordneten nach Möglichkeit für ein Schutz- und Trutzbündniß zwiſchen
Deutſchland und Oeſterreich wirken. Wir erblicken in der Erhaltung des
öſterreichiſchen Kaiſerſtaates, in welchem 10 Millionen deutſcher Stammes-
brüder wohnen, die für Deutſchlands nothwendige Vormauer gegen die
Gefahren welche von Oſten her der Civiliſation und Völkerfreiheit drohen.
Mit dieſem Programm gehen wir in den Wahlkampf. Wer die Grund-
ſätze desſelben theilt — und gewiß theilt ſie jeder patriotiſche Mann —
der ſtehe zu uns am Wahltag und wähle mit uns die Männer dieſes Pro-
gramms — gewiſſenhafte, entſchiedene, ganze Männer, welche für das
Recht, die Intereſſen und die Freiheit des Volkes einzuſtehen den Muth
haben. Unſere norddeutſchen Freunde blicken auf uns, und erwarten daß
auch wir gleich ihnen am Wahltag unſere Pflicht thun und eine große Zahl
conſervativer Vertreter in den Reichstag ſenden. Mit ihnen vereint wer-
den unſere Abgeordneten eine ſtarke Vertretung bilden, mit der man rechnen
muß. Wir wollen die Erwartung unſerer norddeutſchen Freunde nicht
täuſchen! Wohlan! So treten wir in den Wahlkampf ein! Die Rührigkeit
unſerer politiſchen Gegner beweist daß es gilt wichtige Intereſſen zu
wahren.“

Dieſes Manifeſt trägt 25 Unterſchriften, worunter an bekannten
Namen zu erwähnen ſind: die Abgg. Dr. Max Huttler, Karl Barth,
Pfarrer Hafenmair von Memmingen, Pfarrer Bach und Kaufmann Schöpf
von Pfaffenhauſen.

In einer geſtern Abends von 1500 bis
2000 liberalen Wahlberechtigten beſuchten Verſammlung wurde als Can-
didat des Augsburger Wahlkreiſes für den Reichstag der erſte Bürgermeiſter
Hr. Fiſcher aufgeſtellt. In Vorſchlag waren überhaupt drei Candidaten
gekommen: Dr. Völk, Bürgermeiſter Fiſcher und von ſocialdemokratiſcher
Seite Hr. Franz. In Uebereinſtimmung mit den Ausführungen des Prof.
Mezger, welcher unter lebhaftem Beifall für die Wahl Fiſchers eintrat,
erklärte Appellrath Behringer: daß Dr. Völk, um keine Zerſplitterung her-
beizuführen, unter keinen Umſtänden in Augsburg candidiren werde. Nach-
dem auch Hr. Franz ſeine Anſichten vom „deutſchen Volksſtaat“ und der
Nothwendigkeit des Umſturzes aller beſtehenden Staatsinſtitutionen,
namentlich des deutſchen Kaiſerthums, entwickelt, wurde bei der Abſtim-
mung unter lebhaften Zurufen Hr. Fiſcher mit allen gegen die etwa 25
bis 30 Stimmen der (unmittelbar vor der Tribüne zuſammenſtehenden)
Socialdemokraten als alleiniger liberaler Candidat proclamirt. Den Vor-
ſitz in der Verſammlung, welche nicht viel über eine Stunde währte, führte
Hr. Appellrath Weſtermaier.

Von einem großen Theil der öſtlichen Pro-
vinzen ſind wir ſeit mehreren Tagen völlig abgeſchnitten. Landſtraßen und
Eiſenbahnen ſind dort hügelartig mit Schneemaſſen bedeckt und hemmen
[Spaltenumbruch] den Verkehr für Fuhrwerk und Locomotiven. Bei dem Mangel an Ar-
beitskräften laſſen ſich dieſe Hinderniſſe auch nur langſam beſeitigen, trotz
dem lobenswerthen Eifer mit welchem die Behörden überall eingreifen.
Die Unzuträglichkeiten welche auch für die hieſige Bevölkerung aus dieſen
Verkehrsſtockungen entſpringen, indem dadurch namentlich die Zufuhr an
Heizungsmaterial momentan faſt ganz unterbrochen iſt, werden durch die
ungewöhnliche Strenge des Winters (wir haben heute 18 Grad Kälte)
nicht wenig vermehrt. Unter den unbemittelten Claſſen herrſcht denn auch
wirklich bereits ſehr viel Elend, da die armen Leute nicht mehr wiſſen
woher ſie die Mittel nehmen ſollen ihre eiſigen Wohnräume zu erwärmen.
Stein- und Brennkohlen ſind um 110, reſp. 120 Proc. im Preiſe geſtiegen
und kaum noch für Geld und gute Worte zu haben. Angeſichts ſolcher Zu-
ſtände iſt es ſehr begreiflich wenn man hier in fieberhafter Spannung dem
Ende des Kriegs entgegenſieht, dem man nicht mit Unrecht auch die Ver-
theuerung faſt aller Lebensmittelpreiſe zuſchreibt. So wenig indeſſen auch
an dem baldigen Zuſtandekommen des Friedens zu zweifeln iſt, ſo wird
die Entwicklung der Dinge in Frankreich doch ſchwerlich gleichen Schritt
mit den hier gehegten Hoffnungen halten. Die ungewöhnliche Lage in
welcher ſich Frankreich gegenwärtig befindet, und namentlich die durch den
Krieg und durch Naturereigniſſe bewirkten Verkehrsſtörungen machen es
mehr als wahrſcheinlich daß die National-Verſammlung morgen noch nicht
in beſchlußfähiger Anzahl ſich zu Bordeaux verſammeln kann. Eine Ver-
längerung des Waffenſtillſtandes wird ſich daher als unvermeidlich heraus-
ſtellen, wenn man überhaupt will daß derſelbe zum Frieden führen ſoll.
Hier iſt auch die Ueberzeugung vorherrſchend daß in dieſer Beziehung von
unſerer Seite keine Schwierigkeiten erhoben werden, wenn nur der Ausfall
der Wahlen Ausſichten auf die Annahme unſerer Friedensbedingungen bietet.
Einige Sorge könnte allenfalls der Umſtand bereiten daß die Ablieferung
der Waffen von Paris aus bis jetzt nur ſehr langſam von ſtatten gegangen
iſt, und vorausſichtlich nicht innerhalb der vereinbarten Friſt bewirkt ſein
wird. Hoffentlich wird unſere Armeeführung daraus aber keinen Grund
nehmen die von officiöſen Correſpondenten im Hauptquartier ausge-
ſprochene Drohung zu verwirklichen und mit den Feindſeligkeiten gegen
Paris wieder zu beginnen, was leicht das glücklich eingeleitete Friedens-
werk zerſtören könnte. — Wie der allgemeinen Erwartung entſprechend,
hat die Budget-Commiſſion einſtimmig den Beſchluß gefaßt dem Abge-
ordnetenhauſe die Bewilligung des vom Bundeskanzler erbetenen Vor-
ſchuſſes von 50 Millionen mit dem Vorbehalt ſeiner Wiedererſtattung bis
zum 1 Juli l. Is. zu empfehlen, wobei der Finanzminiſter erklärte: daß
dieſer Vorſchuß erſt auf den Antrag des Kaiſers und des Bundesraths
verabfolgt werden ſolle. Die Bereitwilligkeit zur Bewilligung der Fort
derung war übrigens in der Commiſſion ſo ſtark, daß ſie, nach der Anſich-
des Correferenten, ſelbſt auf die Gefahr hin erfolgt ſein würde den Vor-
ſchuß überhaupt nicht mehr erſtattet zu erhalten. — In der geſtrigen
Sitzung des Abgeordnetenhauſes wurde das Ausführungsgeſetz zu dem
Bundesgeſetz betreffend den Unterſtützungswohnſitz berathen. Conſerva-
tive und Liberale bethätigten hierbei ſo viel Entgegenkommen und der
Miniſter des Innern ſpielte die Rolle eines Vermittlers zwiſchen den ent-
gegenſtehenden Anſchauungen dieſes und des anderen Hauſes ſo geſchickt, daß
das Zuſtandekommen des Geſetzes kaum noch einem Zweifel unterliegt.
Die Verhandlung drehte ſich hauptſächlich um die Frage: ob die in Sachſen
und Holland beſtehende Einrichtung, die Unterſtützung von dem Eintritt
in ein Arbeitshaus abhängig zu machen, nachgeahmt werden ſolle oder
nicht. Conſervative erblickten in dieſer Bedingung ein Prüfungsmittel
für wirkliche Noth; ein Zuchtmittel für zweifelhafte Arme, während Libe-
rale mit dem Ausdruck „Arbeiterhaus“ den Begriff einer Correctionsan-
ſtalt verknüpften, und ſich unter Zuſtimmung des Miniſters dagegen auf-
lehnten. Schließlich wurde der betreffende Paragraph nach dem Vor-
ſchlage der Commiſſion in folgender Faſſung angenommen: „Jedem hülfs-
bedürftigen Deutſchen iſt von dem zu ſeiner Unterſtützung verpflichteten
Armen-Verband Obdach, der unentbehrliche Lebensunterhalt, die erfor-
derliche Pflege im Krankheitsfalle, und im Falle ſeines Ablebens ein an-
gemeſſenes Begräbniß zu gewähren; die Unterſtützung kann geeigneten
Falles, ſo lange dieſelbe in Anſpruch genommen wird, mittelſt Unterbrin-
gung in einem Armen- oder Krankenhauſe, ſowie mittelſt Anweiſung der
den Kräften der Hülfsbedürftigen entſprechenden Arbeiten gewährt werden.“
— Die Commiſſion des Herrenhauſes hat die heſſiſche Kirchengeſetz-Vor-
lage ebenfalls verworfen.

Es überraſcht hier die Behauptung des
Verſailler Correſpondenten der „Kreuzzeitung,“ der bekanntlich in der Um-
gebung des Hofes lebt, daß man, um die Annullirung des Gambetta’ſchen
Wahldecrets zu erzwingen, die nach Paris hineingehenden Züge mit Ge-
treide, Mehl und Schlachtvieh habe aufhalten laſſen. Seitdem ſoll auch
die Ablieferung der Waffen, welche gar nicht recht in Fluß kommen wollte,
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[764/0004] den Alpen iſt fertig; das deutſche Reich iſt zur Thatſache geworden, darum wollen auch wir uns auf den neuen Boden ſtellen welchen dieſe Thatſache geſchaffen hat. Wir wollen als lebendige und vollberechtigte Glieder an dem nationalen und ſtaatlichen Leben des deutſchen Reichs theilnehmen. Darum müſſen wir zum erſten deutſchen Reichstag mitwählen. Es iſt eine heilige Pflicht für jeden der ſein Vaterland und ſein Volk liebt ſich an dieſer Wahl zu betheiligen. Von ihrem Ausfall hängt es ab ob das neue deutſche Reich ſo ausgebaut und eingerichtet wird, daß die Freiheit neben der Einheit noch Raum findet. Alle wichtigen Intereſſen und An- gelegenheiten — die religiöſen ſo gut wie die politiſchen, bürgerlichen und finanziellen — werden künftig im Reichstag berathen und entſchieden. Da müſſen und wollen auch wir mitrathen und mitthaten; darum wollen auch wir bei der Reichstagswahl ebenſo feſt und mannhaft wie bei den früheren Wahlen zuſammenſtehen, um möglichſt viele Abgeordnete unſerer Richtung in den erſten deutſchen Reichstag zu bringen. Einheit nach außen, Freiheit nach innen! iſt unſere Parole. Wir werden darum nur Abgeordnete in den Reichstag wählen welche 1) für die frei- heitliche Entwicklung der deutſchen Reichsverfaſſung, für die innere Selb- ſtändigkeit der einzelnen Staaten und Stämme und für die Selbſtverwal- tung ihrer inneren Angelegenheiten eintreten. 2) Wir erwarten von unſern Reichstagsabgeordneten daß ſie für eine weiſe Sparſamkeit im Staats- haushalt eintreten und mit aller Entſchiedenheit darnach ſtreben daß die Pflichten und Laſten auf alle Erwerbsclaſſen nach gerechtem Maßſtabe vertheilt werden. 3) Zur möglichſten Schonung der Steuerkraft des Volkes wollen wir entſchiedenes Eintreten unſerer Abgeordneten für mög- lichſte Beſchränkung der Militärlaſt im Frieden. 4) Wir bewundern die Großthaten unſerer Heere, und wünſchen daß das dankbare Vaterland die Fürſorge für die Verwundeten und Invaliden, wie für die Hinterbliebenen der gefallenen Krieger übernehme. 5) Wir verlangen von unſern Abge- ordneten daß ſie für geſetzliche Feſtſtellung von Diäten für die Reichstags- Abgeordneten eintreten. 6) Wir wollen ein für ganz Deutſchland gültiges und wahrhaft freiſinniges Vereins- und Preßgeſetz. 7) Freiheit der Kirche, Gleichberechtigung der Confeſſionen! iſt in kirchlich-politiſcher Beziehung unſere Loſung. Wir werden nur chriſtlich geſinnte Männer in den Reichs- tag wählen, welche ſich bemühen, wie die politiſche, ſo auch die kirchliche Freiheit und das Recht der Religionsgeſellſchaften gegen mögliche Eingriffe der Geſetzgebung ſowohl als auch gegen feindliche Parteibeſtrebungen zu wahren. 8) Wir erblicken im Frieden die ſicherſte Bürgſchaft der Freiheit und des Volkswohls. Ueberzeugt daß keine Macht der Welt das waffen- mächtige und ſiegesſtarke Deutſchland anzugreifen wagt wenn es auf- richtige Freundſchaft mit Oeſterreich hält, das durch ſeine neutrale Haltung uns den ſchweren Kampf erleichtert hat, wollen wir daß unſere Reichtags- Abgeordneten nach Möglichkeit für ein Schutz- und Trutzbündniß zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich wirken. Wir erblicken in der Erhaltung des öſterreichiſchen Kaiſerſtaates, in welchem 10 Millionen deutſcher Stammes- brüder wohnen, die für Deutſchlands nothwendige Vormauer gegen die Gefahren welche von Oſten her der Civiliſation und Völkerfreiheit drohen. Mit dieſem Programm gehen wir in den Wahlkampf. Wer die Grund- ſätze desſelben theilt — und gewiß theilt ſie jeder patriotiſche Mann — der ſtehe zu uns am Wahltag und wähle mit uns die Männer dieſes Pro- gramms — gewiſſenhafte, entſchiedene, ganze Männer, welche für das Recht, die Intereſſen und die Freiheit des Volkes einzuſtehen den Muth haben. Unſere norddeutſchen Freunde blicken auf uns, und erwarten daß auch wir gleich ihnen am Wahltag unſere Pflicht thun und eine große Zahl conſervativer Vertreter in den Reichstag ſenden. Mit ihnen vereint wer- den unſere Abgeordneten eine ſtarke Vertretung bilden, mit der man rechnen muß. Wir wollen die Erwartung unſerer norddeutſchen Freunde nicht täuſchen! Wohlan! So treten wir in den Wahlkampf ein! Die Rührigkeit unſerer politiſchen Gegner beweist daß es gilt wichtige Intereſſen zu wahren.“ Dieſes Manifeſt trägt 25 Unterſchriften, worunter an bekannten Namen zu erwähnen ſind: die Abgg. Dr. Max Huttler, Karl Barth, Pfarrer Hafenmair von Memmingen, Pfarrer Bach und Kaufmann Schöpf von Pfaffenhauſen. * Augsburg, 14 Febr. In einer geſtern Abends von 1500 bis 2000 liberalen Wahlberechtigten beſuchten Verſammlung wurde als Can- didat des Augsburger Wahlkreiſes für den Reichstag der erſte Bürgermeiſter Hr. Fiſcher aufgeſtellt. In Vorſchlag waren überhaupt drei Candidaten gekommen: Dr. Völk, Bürgermeiſter Fiſcher und von ſocialdemokratiſcher Seite Hr. Franz. In Uebereinſtimmung mit den Ausführungen des Prof. Mezger, welcher unter lebhaftem Beifall für die Wahl Fiſchers eintrat, erklärte Appellrath Behringer: daß Dr. Völk, um keine Zerſplitterung her- beizuführen, unter keinen Umſtänden in Augsburg candidiren werde. Nach- dem auch Hr. Franz ſeine Anſichten vom „deutſchen Volksſtaat“ und der Nothwendigkeit des Umſturzes aller beſtehenden Staatsinſtitutionen, namentlich des deutſchen Kaiſerthums, entwickelt, wurde bei der Abſtim- mung unter lebhaften Zurufen Hr. Fiſcher mit allen gegen die etwa 25 bis 30 Stimmen der (unmittelbar vor der Tribüne zuſammenſtehenden) Socialdemokraten als alleiniger liberaler Candidat proclamirt. Den Vor- ſitz in der Verſammlung, welche nicht viel über eine Stunde währte, führte Hr. Appellrath Weſtermaier. (—) Berlin, 11 Febr. Von einem großen Theil der öſtlichen Pro- vinzen ſind wir ſeit mehreren Tagen völlig abgeſchnitten. Landſtraßen und Eiſenbahnen ſind dort hügelartig mit Schneemaſſen bedeckt und hemmen den Verkehr für Fuhrwerk und Locomotiven. Bei dem Mangel an Ar- beitskräften laſſen ſich dieſe Hinderniſſe auch nur langſam beſeitigen, trotz dem lobenswerthen Eifer mit welchem die Behörden überall eingreifen. Die Unzuträglichkeiten welche auch für die hieſige Bevölkerung aus dieſen Verkehrsſtockungen entſpringen, indem dadurch namentlich die Zufuhr an Heizungsmaterial momentan faſt ganz unterbrochen iſt, werden durch die ungewöhnliche Strenge des Winters (wir haben heute 18 Grad Kälte) nicht wenig vermehrt. Unter den unbemittelten Claſſen herrſcht denn auch wirklich bereits ſehr viel Elend, da die armen Leute nicht mehr wiſſen woher ſie die Mittel nehmen ſollen ihre eiſigen Wohnräume zu erwärmen. Stein- und Brennkohlen ſind um 110, reſp. 120 Proc. im Preiſe geſtiegen und kaum noch für Geld und gute Worte zu haben. Angeſichts ſolcher Zu- ſtände iſt es ſehr begreiflich wenn man hier in fieberhafter Spannung dem Ende des Kriegs entgegenſieht, dem man nicht mit Unrecht auch die Ver- theuerung faſt aller Lebensmittelpreiſe zuſchreibt. So wenig indeſſen auch an dem baldigen Zuſtandekommen des Friedens zu zweifeln iſt, ſo wird die Entwicklung der Dinge in Frankreich doch ſchwerlich gleichen Schritt mit den hier gehegten Hoffnungen halten. Die ungewöhnliche Lage in welcher ſich Frankreich gegenwärtig befindet, und namentlich die durch den Krieg und durch Naturereigniſſe bewirkten Verkehrsſtörungen machen es mehr als wahrſcheinlich daß die National-Verſammlung morgen noch nicht in beſchlußfähiger Anzahl ſich zu Bordeaux verſammeln kann. Eine Ver- längerung des Waffenſtillſtandes wird ſich daher als unvermeidlich heraus- ſtellen, wenn man überhaupt will daß derſelbe zum Frieden führen ſoll. Hier iſt auch die Ueberzeugung vorherrſchend daß in dieſer Beziehung von unſerer Seite keine Schwierigkeiten erhoben werden, wenn nur der Ausfall der Wahlen Ausſichten auf die Annahme unſerer Friedensbedingungen bietet. Einige Sorge könnte allenfalls der Umſtand bereiten daß die Ablieferung der Waffen von Paris aus bis jetzt nur ſehr langſam von ſtatten gegangen iſt, und vorausſichtlich nicht innerhalb der vereinbarten Friſt bewirkt ſein wird. Hoffentlich wird unſere Armeeführung daraus aber keinen Grund nehmen die von officiöſen Correſpondenten im Hauptquartier ausge- ſprochene Drohung zu verwirklichen und mit den Feindſeligkeiten gegen Paris wieder zu beginnen, was leicht das glücklich eingeleitete Friedens- werk zerſtören könnte. — Wie der allgemeinen Erwartung entſprechend, hat die Budget-Commiſſion einſtimmig den Beſchluß gefaßt dem Abge- ordnetenhauſe die Bewilligung des vom Bundeskanzler erbetenen Vor- ſchuſſes von 50 Millionen mit dem Vorbehalt ſeiner Wiedererſtattung bis zum 1 Juli l. Is. zu empfehlen, wobei der Finanzminiſter erklärte: daß dieſer Vorſchuß erſt auf den Antrag des Kaiſers und des Bundesraths verabfolgt werden ſolle. Die Bereitwilligkeit zur Bewilligung der Fort derung war übrigens in der Commiſſion ſo ſtark, daß ſie, nach der Anſich- des Correferenten, ſelbſt auf die Gefahr hin erfolgt ſein würde den Vor- ſchuß überhaupt nicht mehr erſtattet zu erhalten. — In der geſtrigen Sitzung des Abgeordnetenhauſes wurde das Ausführungsgeſetz zu dem Bundesgeſetz betreffend den Unterſtützungswohnſitz berathen. Conſerva- tive und Liberale bethätigten hierbei ſo viel Entgegenkommen und der Miniſter des Innern ſpielte die Rolle eines Vermittlers zwiſchen den ent- gegenſtehenden Anſchauungen dieſes und des anderen Hauſes ſo geſchickt, daß das Zuſtandekommen des Geſetzes kaum noch einem Zweifel unterliegt. Die Verhandlung drehte ſich hauptſächlich um die Frage: ob die in Sachſen und Holland beſtehende Einrichtung, die Unterſtützung von dem Eintritt in ein Arbeitshaus abhängig zu machen, nachgeahmt werden ſolle oder nicht. Conſervative erblickten in dieſer Bedingung ein Prüfungsmittel für wirkliche Noth; ein Zuchtmittel für zweifelhafte Arme, während Libe- rale mit dem Ausdruck „Arbeiterhaus“ den Begriff einer Correctionsan- ſtalt verknüpften, und ſich unter Zuſtimmung des Miniſters dagegen auf- lehnten. Schließlich wurde der betreffende Paragraph nach dem Vor- ſchlage der Commiſſion in folgender Faſſung angenommen: „Jedem hülfs- bedürftigen Deutſchen iſt von dem zu ſeiner Unterſtützung verpflichteten Armen-Verband Obdach, der unentbehrliche Lebensunterhalt, die erfor- derliche Pflege im Krankheitsfalle, und im Falle ſeines Ablebens ein an- gemeſſenes Begräbniß zu gewähren; die Unterſtützung kann geeigneten Falles, ſo lange dieſelbe in Anſpruch genommen wird, mittelſt Unterbrin- gung in einem Armen- oder Krankenhauſe, ſowie mittelſt Anweiſung der den Kräften der Hülfsbedürftigen entſprechenden Arbeiten gewährt werden.“ — Die Commiſſion des Herrenhauſes hat die heſſiſche Kirchengeſetz-Vor- lage ebenfalls verworfen. (—) Berlin, 12 Febr. Es überraſcht hier die Behauptung des Verſailler Correſpondenten der „Kreuzzeitung,“ der bekanntlich in der Um- gebung des Hofes lebt, daß man, um die Annullirung des Gambetta’ſchen Wahldecrets zu erzwingen, die nach Paris hineingehenden Züge mit Ge- treide, Mehl und Schlachtvieh habe aufhalten laſſen. Seitdem ſoll auch die Ablieferung der Waffen, welche gar nicht recht in Fluß kommen wollte, mit einem unverkennbaren Eifer betrieben werden, auch die Auflöſung der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine46_1871/4>, abgerufen am 24.11.2024.