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Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914.

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31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] Gefühle verletzten, unseren Nationalstolz reizten oder im Ausland
den geringsten unserer Rassebrüder mißhandelten.... Wenn
eine Nation über hundert Jahre lang ganz behaglich und sicher
vor jeder Angriffsgefahr gewesen ist, weil sie mühelos in Handel,
Industrie, Reichtum und Seemacht obenanstand, wirkt es selbst
auf ein phlegmatisches Volk erschreckend, zu erfahren, daß es in
all diesen Dingen rasch überholt wird, und noch dazu in wenigen
Jahren! ... Deutschland ist in weit größerem Maße, als wir uns
klarmachen, ein neuer Faktor in der Politik, ein neuer Konkurrent
im Handel, ein neuer Ritter auf der Turnierliste.... Von allen
Nationen der Welt wird es England am schwersten, neue Bekannt-
schaften zu machen und neue Freundschaften zu schließen, und
keine Nation ist darin auch nur annähernd so ungeschickt wie die
englische.... Ein neuer Hahn auf dem Hühnerhof wird nie mit
großer Herzlichkeit aufgenommen. Er muß sich seinen Platz und
seine Macht mit Schnabel und Sporen erkämpfen.... Man
kommt am besten miteinander aus, wenn man seine Persönlich-
keit, seine Vorurteile und Glaubenssätze intakt erhält. Auf andere
Weise geht es nicht.... Wir haben in Amerika ganze Klassen,
die England hassen, und in England gibt es nicht wenige, die ihre
Verachtung für Amerika nicht ganz verhehlen können, aber wir
haben Frieden gehalten, und seit England zur Zeit unseres spani-
schen Krieges den Mächten, die sich einmischen wollten, zurief
"Hände weg!", ist eine bedeutende Zunahme freundschaftlicher Ge-
sinnung zu bemerken. Aber Schmeicheleien sind so gut wie gar
nicht gewechselt worden. Wir haben einen Botschafter nach dem
andern nach England geschickt, die alle womöglich noch amerikani-
scher als die Amerikaner waren."

Professor Hofmiller schließt diesen Absatz mit den Worten:
"Waren auch unsere deutschen Botschafter in Petersburg, Paris
und London alle womöglich noch deutscher als die Deutschen? Das
ist die Frage, die man sich unwillkürlich stellt."

Kunst und Literatur
Hodler und Dalrroze.

Offene Antwort eines in Deutschland lebenden Schweizers an
Herrn Dr. Ferdinand Hodler in Bern und Herrn Jacques Dalcroze
in Genf.

Seit Beginn des Krieges hat Deutschland eine solche Menge
von verleumderischen Vorwürfen, nicht bloß seitens offen kämpfen-
der Gegner zu tragen, daß es eigentlich auf ein paar Stimmen
mehr oder weniger in dem großen internationalen Lügenchorus,
der die ganze alte Welt und ein gut Teil der neuen unter Vortritt
Englands z. Zt. umspannt, nicht ankäme. Die Träger der hier
in Betracht zu ziehenden Namen sind indes von einer gewissen
Bedeutung dadurch, daß sie es bisher nicht unter ihrer Würde
fanden, das Gebiet des deutschen Kunstlebens, der eine davon
vor allem den deutschen Kunstmarkt in ihrem persönlich-ureigensten
Interesse ausgiebig für sich zu beackern. Herr Dr. Ferdinand
Hodler, der für die Jenenser Universität das bekannte ausgezeich-
nete Wandbild -- Gegenstand der Darstellung: Die Anteilnahme
der akademischen deutschen Jugend an der Erhebung 1813 -- schuf,
erntete für diese Arbeit ernsten Beifall. Bei deutschen öffentlichen
Kunstausstellungen, wie bei Privatunternehmungen solcher Art
nahm er stets einen hervorragenden Platz ein. U. a. ist er Jnhaber
der großen Goldenen Münchener Ausstellungsmedaille, kurz, den
größeren Teil seiner Erfolge dankt er deutschem Jnteresse. Wo
Schweizer Künstler anläßlich solcher Gelegenheiten geschlossen auf-
traten, wie es z. B. bei den Münchener Jnternationalen Aus-
stellungen der Fall ist, da stand, in letzter Zeit wenigstens, diese
Abteilung -- ob zu ihrem Vor- oder Nachteil, das kommt hier
nicht in Betracht -- vorwiegend unter Hodlerschem Einflusse. Er
spielte die erste Geige da, wie er es auch bei den Schweizerischen
Wander-Ausstellungen, in der "Gesellschaft Schweizerischer Maler
und Bildhauer" tut. Ob der gefeierte Künstler nun, nachdem er
sich ostentativ dem gegen Deutschland tätigen Verleumder-Chor
angeschlossen hat, es unter seiner Würde finden wird, im Lande
der "Barbaren" weiterhin öffentlich seine Werke zur Schau zu
stellen, horrende Preise dafür einzuschieben?

Wer weiß es!

[Spaltenumbruch]

Bei seinen Freunden, den Franzosen, hat er, dessen ganze
Anschauung, offenbar durch erbliche Beanlagung bedingt, genau
so derb deutsch ist, wie sein Name, nicht annähernd, weder ideell
noch materiell denselben Erfolg gehabt, wie auf der Seite, die er,
der vorzugsweise französisch Sprechende, jetzt in offener Gegnerschaft
nicht angreift, nein, beschimpft. Die in Deutschland existierenden
"Hodler-Gemeinden" sind freilich, das muß hier offen gesagt sem,
ein Resultat der unverbesserlichen Ueberschätzung alles Auslän-
dischen. Aehnliches hat man ja mit anderen Deutschenhassern er-
lebt! Es sei an Mäterlink erinnert, an Leoncavallo, an den Ber-
liner Ehrendoktor Roosevelt, an General Botha usw. Manchmal
trägt man selbst ein gut Teil der Schuld an solchen Erfahrungen! An-
erkennung, in derart ausgiebiger, um nicht zu sagen übertriebener
Weise gespendet, zieht unverweigerlich ihre Folgen nach sich. Der
deutsche Kunstmarkt notierte für Hodler'sche Werke ganz enorme
Preise. Sie wurden nicht allein gefordert, nein, auch bezahlt,
kurzum, Deutschland war Hodlers ausgiebigstes Erntefeld. Doch --
das fällt hier außer Betracht. Nicht um den Künstler, nicht um
seine materiellen Erfolge im Lande der Barbaren handelt es sich
heute, sondern um eine Abwägung seines menschlichen Wertes. Mag
das Licht, in dem er sich seinen Gesinnungsgenossen zeigt, von diesen
gerühmt werden! Anderen Menschen, vorurteilsfreien Beobachtern
wahrer Tatsachen kann es kaum glänzend, anständig ganz gewiß
nicht erscheinen.

Das Benehmen Hodlers Deutschland gegenüber ist böswillig
oder -- sehr dumm. Das des anderen nicht minder.

Es kann nicht unbeantwortet bleiben, von seiten der in Deutsch-
land lebenden Schweizer in erster Linie nicht, soferne sie den Mut
haben, Farbe zu bekennen. Zunächst ist diese Art des Vorgehens
geeignet, seine Landsleute in ein falsches Licht zu stellen. Die Neu-
tralität eines Staates -- Herr Hodler fühlt sich hinter der Neutrali-
tät der Schweiz sicher -- besteht unter anderem darin, alles zu ver-
meiden, was die im Auslande niedergelassenen Bürger mit dem
Lande in Kollision bringen kann, wo sie wohnen. Freilich ist dies
der kulturell-verfeinerte Begriff des Neutral-Seins. Er setzt Empfin-
dung für den Begriff "Rücksicht" voraus. Daß diese nicht allen
"Neutralen" innewohnt, weiß man zur Genüge, Herrn Hodler, wie
manch anderem Welsch-Schweizer und phrasenhaften Deutschen-
fresser in erster Linie nicht. Können nun die im Auslande, im
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richtungen genau wie Bürger genießenden Schweizer, eine solche
vollauf beabsichtigte Jn-Zweifelstellung ihrer Gesinnung stillschwei-
gend hinnehmen? Quod non, Herr Hodler! Man wünscht nicht,
von der zurzeit allerdings nicht sehr großen, anständig denkenden
und handelnden Welt mit Jhnen in einen Topf geworfen zu werden,
ebensowenig mit Jhren Gesinnungsgenossen. Nach alledem er-
schiene es nur selbstverständlich, wenn keine deutsche Ausstellung,
sei sie öffentlicher oder privater Natur, künftig Hodlerschen Arbeiten
Platz, damit abermals großmütig die gleichen Chancen bieten würde
wie jenen, die Herr Hodler in etwas übertriebener Selbsteinschätzung
als "Barbaren" bezeichnet. Würden weiter danach Hodler'sche Ar-
beiten, in richtiger Würdigung des Autors, schon an der Grenze
zurückgewiesen, so mag er sich sagen: "Tu l'as voulu, George
Dandin." Würde der Künstler selbst endlich gegebenen Falles,
deutscherseits als "lästiger Ausländer" behandelt, so erhebt auch da-
gegen gewiß kein Vernünftiger Einspruch. Ebenso erscheint es
selbstverständlich, wenn alle deutschen Künstler-Korporationen, in
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allemal durchstreichen. Bei der Münchener und der Berliner Sezes-
sion ist es bereits geschehen; beim "Deutschen Künstlerbund" von
Franz von Stuck beantragt. Entstehen dadurch auf künftigen Aus-
stellungen auch vielleicht einige Lücken, -- das wird zu ertragen
sein, um so mehr, als manche der bisher alljährlich bei Münch-
nerischen, bei deutschen Ausstellungen überhaupt erst bekannt ge-
wordene Ausländer fehlen werden. Unter Umständen muß man
sich die Begrüßung berühmter Gäste versagen können. Deswegen
braucht einem nicht sofort der Atem auszugehen. Vielleicht begeg-
net man diesem Großen wieder einmal in der umgetauften Form
als "Audelaire". Uns soll's recht sein. Den Markt -- auf diesen
kam es dem Herrn, der ein äußerst gerissener Geschäftsmann sein
soll, sehr an -- mag er sich anderswo suchen. Engländer wie
Russen schätzen es gewiß hoch ein, daß Herr Hodler als neuer Ver-
bündeter zu ihnen stößt.

Nachträglich sucht Herr Hodler das Gehässige seines Benehmens
von sich abzuwälzen. Nach deutschen Begriffen gibt man weder
Namen noch Unterschrift für eine zweifelhaft festgestellte Sache.

31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] Gefühle verletzten, unſeren Nationalſtolz reizten oder im Ausland
den geringſten unſerer Raſſebrüder mißhandelten.... Wenn
eine Nation über hundert Jahre lang ganz behaglich und ſicher
vor jeder Angriffsgefahr geweſen iſt, weil ſie mühelos in Handel,
Induſtrie, Reichtum und Seemacht obenanſtand, wirkt es ſelbſt
auf ein phlegmatiſches Volk erſchreckend, zu erfahren, daß es in
all dieſen Dingen raſch überholt wird, und noch dazu in wenigen
Jahren! ... Deutſchland iſt in weit größerem Maße, als wir uns
klarmachen, ein neuer Faktor in der Politik, ein neuer Konkurrent
im Handel, ein neuer Ritter auf der Turnierliſte.... Von allen
Nationen der Welt wird es England am ſchwerſten, neue Bekannt-
ſchaften zu machen und neue Freundſchaften zu ſchließen, und
keine Nation iſt darin auch nur annähernd ſo ungeſchickt wie die
engliſche.... Ein neuer Hahn auf dem Hühnerhof wird nie mit
großer Herzlichkeit aufgenommen. Er muß ſich ſeinen Platz und
ſeine Macht mit Schnabel und Sporen erkämpfen.... Man
kommt am beſten miteinander aus, wenn man ſeine Perſönlich-
keit, ſeine Vorurteile und Glaubensſätze intakt erhält. Auf andere
Weiſe geht es nicht.... Wir haben in Amerika ganze Klaſſen,
die England haſſen, und in England gibt es nicht wenige, die ihre
Verachtung für Amerika nicht ganz verhehlen können, aber wir
haben Frieden gehalten, und ſeit England zur Zeit unſeres ſpani-
ſchen Krieges den Mächten, die ſich einmiſchen wollten, zurief
„Hände weg!“, iſt eine bedeutende Zunahme freundſchaftlicher Ge-
ſinnung zu bemerken. Aber Schmeicheleien ſind ſo gut wie gar
nicht gewechſelt worden. Wir haben einen Botſchafter nach dem
andern nach England geſchickt, die alle womöglich noch amerikani-
ſcher als die Amerikaner waren.“

Profeſſor Hofmiller ſchließt dieſen Abſatz mit den Worten:
„Waren auch unſere deutſchen Botſchafter in Petersburg, Paris
und London alle womöglich noch deutſcher als die Deutſchen? Das
iſt die Frage, die man ſich unwillkürlich ſtellt.“

Kunſt und Literatur
Hodler und Dalrroze.

Offene Antwort eines in Deutſchland lebenden Schweizers an
Herrn Dr. Ferdinand Hodler in Bern und Herrn Jacques Dalcroze
in Genf.

Seit Beginn des Krieges hat Deutſchland eine ſolche Menge
von verleumderiſchen Vorwürfen, nicht bloß ſeitens offen kämpfen-
der Gegner zu tragen, daß es eigentlich auf ein paar Stimmen
mehr oder weniger in dem großen internationalen Lügenchorus,
der die ganze alte Welt und ein gut Teil der neuen unter Vortritt
Englands z. Zt. umſpannt, nicht ankäme. Die Träger der hier
in Betracht zu ziehenden Namen ſind indes von einer gewiſſen
Bedeutung dadurch, daß ſie es bisher nicht unter ihrer Würde
fanden, das Gebiet des deutſchen Kunſtlebens, der eine davon
vor allem den deutſchen Kunſtmarkt in ihrem perſönlich-ureigenſten
Intereſſe ausgiebig für ſich zu beackern. Herr Dr. Ferdinand
Hodler, der für die Jenenſer Univerſität das bekannte ausgezeich-
nete Wandbild — Gegenſtand der Darſtellung: Die Anteilnahme
der akademiſchen deutſchen Jugend an der Erhebung 1813 — ſchuf,
erntete für dieſe Arbeit ernſten Beifall. Bei deutſchen öffentlichen
Kunſtausſtellungen, wie bei Privatunternehmungen ſolcher Art
nahm er ſtets einen hervorragenden Platz ein. U. a. iſt er Jnhaber
der großen Goldenen Münchener Ausſtellungsmedaille, kurz, den
größeren Teil ſeiner Erfolge dankt er deutſchem Jntereſſe. Wo
Schweizer Künſtler anläßlich ſolcher Gelegenheiten geſchloſſen auf-
traten, wie es z. B. bei den Münchener Jnternationalen Aus-
ſtellungen der Fall iſt, da ſtand, in letzter Zeit wenigſtens, dieſe
Abteilung — ob zu ihrem Vor- oder Nachteil, das kommt hier
nicht in Betracht — vorwiegend unter Hodlerſchem Einfluſſe. Er
ſpielte die erſte Geige da, wie er es auch bei den Schweizeriſchen
Wander-Ausſtellungen, in der „Geſellſchaft Schweizeriſcher Maler
und Bildhauer“ tut. Ob der gefeierte Künſtler nun, nachdem er
ſich oſtentativ dem gegen Deutſchland tätigen Verleumder-Chor
angeſchloſſen hat, es unter ſeiner Würde finden wird, im Lande
der „Barbaren“ weiterhin öffentlich ſeine Werke zur Schau zu
ſtellen, horrende Preiſe dafür einzuſchieben?

Wer weiß es!

[Spaltenumbruch]

Bei ſeinen Freunden, den Franzoſen, hat er, deſſen ganze
Anſchauung, offenbar durch erbliche Beanlagung bedingt, genau
ſo derb deutſch iſt, wie ſein Name, nicht annähernd, weder ideell
noch materiell denſelben Erfolg gehabt, wie auf der Seite, die er,
der vorzugsweiſe franzöſiſch Sprechende, jetzt in offener Gegnerſchaft
nicht angreift, nein, beſchimpft. Die in Deutſchland exiſtierenden
„Hodler-Gemeinden“ ſind freilich, das muß hier offen geſagt ſem,
ein Reſultat der unverbeſſerlichen Ueberſchätzung alles Auslän-
diſchen. Aehnliches hat man ja mit anderen Deutſchenhaſſern er-
lebt! Es ſei an Mäterlink erinnert, an Leoncavallo, an den Ber-
liner Ehrendoktor Rooſevelt, an General Botha uſw. Manchmal
trägt man ſelbſt ein gut Teil der Schuld an ſolchen Erfahrungen! An-
erkennung, in derart ausgiebiger, um nicht zu ſagen übertriebener
Weiſe geſpendet, zieht unverweigerlich ihre Folgen nach ſich. Der
deutſche Kunſtmarkt notierte für Hodler’ſche Werke ganz enorme
Preiſe. Sie wurden nicht allein gefordert, nein, auch bezahlt,
kurzum, Deutſchland war Hodlers ausgiebigſtes Erntefeld. Doch —
das fällt hier außer Betracht. Nicht um den Künſtler, nicht um
ſeine materiellen Erfolge im Lande der Barbaren handelt es ſich
heute, ſondern um eine Abwägung ſeines menſchlichen Wertes. Mag
das Licht, in dem er ſich ſeinen Geſinnungsgenoſſen zeigt, von dieſen
gerühmt werden! Anderen Menſchen, vorurteilsfreien Beobachtern
wahrer Tatſachen kann es kaum glänzend, anſtändig ganz gewiß
nicht erſcheinen.

Das Benehmen Hodlers Deutſchland gegenüber iſt böswillig
oder — ſehr dumm. Das des anderen nicht minder.

Es kann nicht unbeantwortet bleiben, von ſeiten der in Deutſch-
land lebenden Schweizer in erſter Linie nicht, ſoferne ſie den Mut
haben, Farbe zu bekennen. Zunächſt iſt dieſe Art des Vorgehens
geeignet, ſeine Landsleute in ein falſches Licht zu ſtellen. Die Neu-
tralität eines Staates — Herr Hodler fühlt ſich hinter der Neutrali-
tät der Schweiz ſicher — beſteht unter anderem darin, alles zu ver-
meiden, was die im Auslande niedergelaſſenen Bürger mit dem
Lande in Kolliſion bringen kann, wo ſie wohnen. Freilich iſt dies
der kulturell-verfeinerte Begriff des Neutral-Seins. Er ſetzt Empfin-
dung für den Begriff „Rückſicht“ voraus. Daß dieſe nicht allen
„Neutralen“ innewohnt, weiß man zur Genüge, Herrn Hodler, wie
manch anderem Welſch-Schweizer und phraſenhaften Deutſchen-
freſſer in erſter Linie nicht. Können nun die im Auslande, im
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richtungen genau wie Bürger genießenden Schweizer, eine ſolche
vollauf beabſichtigte Jn-Zweifelſtellung ihrer Geſinnung ſtillſchwei-
gend hinnehmen? Quod non, Herr Hodler! Man wünſcht nicht,
von der zurzeit allerdings nicht ſehr großen, anſtändig denkenden
und handelnden Welt mit Jhnen in einen Topf geworfen zu werden,
ebenſowenig mit Jhren Geſinnungsgenoſſen. Nach alledem er-
ſchiene es nur ſelbſtverſtändlich, wenn keine deutſche Ausſtellung,
ſei ſie öffentlicher oder privater Natur, künftig Hodlerſchen Arbeiten
Platz, damit abermals großmütig die gleichen Chancen bieten würde
wie jenen, die Herr Hodler in etwas übertriebener Selbſteinſchätzung
als „Barbaren“ bezeichnet. Würden weiter danach Hodler’ſche Ar-
beiten, in richtiger Würdigung des Autors, ſchon an der Grenze
zurückgewieſen, ſo mag er ſich ſagen: „Tu l’as voulu, George
Dandin.“ Würde der Künſtler ſelbſt endlich gegebenen Falles,
deutſcherſeits als „läſtiger Ausländer“ behandelt, ſo erhebt auch da-
gegen gewiß kein Vernünftiger Einſpruch. Ebenſo erſcheint es
ſelbſtverſtändlich, wenn alle deutſchen Künſtler-Korporationen, in
deren Liſten der Name Hodler vorkommt, dieſen Namen ein für
allemal durchſtreichen. Bei der Münchener und der Berliner Sezeſ-
ſion iſt es bereits geſchehen; beim „Deutſchen Künſtlerbund“ von
Franz von Stuck beantragt. Entſtehen dadurch auf künftigen Aus-
ſtellungen auch vielleicht einige Lücken, — das wird zu ertragen
ſein, um ſo mehr, als manche der bisher alljährlich bei Münch-
neriſchen, bei deutſchen Ausſtellungen überhaupt erſt bekannt ge-
wordene Ausländer fehlen werden. Unter Umſtänden muß man
ſich die Begrüßung berühmter Gäſte verſagen können. Deswegen
braucht einem nicht ſofort der Atem auszugehen. Vielleicht begeg-
net man dieſem Großen wieder einmal in der umgetauften Form
als „Audelaire“. Uns ſoll’s recht ſein. Den Markt — auf dieſen
kam es dem Herrn, der ein äußerſt geriſſener Geſchäftsmann ſein
ſoll, ſehr an — mag er ſich anderswo ſuchen. Engländer wie
Ruſſen ſchätzen es gewiß hoch ein, daß Herr Hodler als neuer Ver-
bündeter zu ihnen ſtößt.

Nachträglich ſucht Herr Hodler das Gehäſſige ſeines Benehmens
von ſich abzuwälzen. Nach deutſchen Begriffen gibt man weder
Namen noch Unterſchrift für eine zweifelhaft feſtgeſtellte Sache.

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[639/0007] 31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung Gefühle verletzten, unſeren Nationalſtolz reizten oder im Ausland den geringſten unſerer Raſſebrüder mißhandelten.... Wenn eine Nation über hundert Jahre lang ganz behaglich und ſicher vor jeder Angriffsgefahr geweſen iſt, weil ſie mühelos in Handel, Induſtrie, Reichtum und Seemacht obenanſtand, wirkt es ſelbſt auf ein phlegmatiſches Volk erſchreckend, zu erfahren, daß es in all dieſen Dingen raſch überholt wird, und noch dazu in wenigen Jahren! ... Deutſchland iſt in weit größerem Maße, als wir uns klarmachen, ein neuer Faktor in der Politik, ein neuer Konkurrent im Handel, ein neuer Ritter auf der Turnierliſte.... Von allen Nationen der Welt wird es England am ſchwerſten, neue Bekannt- ſchaften zu machen und neue Freundſchaften zu ſchließen, und keine Nation iſt darin auch nur annähernd ſo ungeſchickt wie die engliſche.... Ein neuer Hahn auf dem Hühnerhof wird nie mit großer Herzlichkeit aufgenommen. Er muß ſich ſeinen Platz und ſeine Macht mit Schnabel und Sporen erkämpfen.... Man kommt am beſten miteinander aus, wenn man ſeine Perſönlich- keit, ſeine Vorurteile und Glaubensſätze intakt erhält. Auf andere Weiſe geht es nicht.... Wir haben in Amerika ganze Klaſſen, die England haſſen, und in England gibt es nicht wenige, die ihre Verachtung für Amerika nicht ganz verhehlen können, aber wir haben Frieden gehalten, und ſeit England zur Zeit unſeres ſpani- ſchen Krieges den Mächten, die ſich einmiſchen wollten, zurief „Hände weg!“, iſt eine bedeutende Zunahme freundſchaftlicher Ge- ſinnung zu bemerken. Aber Schmeicheleien ſind ſo gut wie gar nicht gewechſelt worden. Wir haben einen Botſchafter nach dem andern nach England geſchickt, die alle womöglich noch amerikani- ſcher als die Amerikaner waren.“ Profeſſor Hofmiller ſchließt dieſen Abſatz mit den Worten: „Waren auch unſere deutſchen Botſchafter in Petersburg, Paris und London alle womöglich noch deutſcher als die Deutſchen? Das iſt die Frage, die man ſich unwillkürlich ſtellt.“ Kunſt und Literatur Hodler und Dalrroze. Offene Antwort eines in Deutſchland lebenden Schweizers an Herrn Dr. Ferdinand Hodler in Bern und Herrn Jacques Dalcroze in Genf. Seit Beginn des Krieges hat Deutſchland eine ſolche Menge von verleumderiſchen Vorwürfen, nicht bloß ſeitens offen kämpfen- der Gegner zu tragen, daß es eigentlich auf ein paar Stimmen mehr oder weniger in dem großen internationalen Lügenchorus, der die ganze alte Welt und ein gut Teil der neuen unter Vortritt Englands z. Zt. umſpannt, nicht ankäme. Die Träger der hier in Betracht zu ziehenden Namen ſind indes von einer gewiſſen Bedeutung dadurch, daß ſie es bisher nicht unter ihrer Würde fanden, das Gebiet des deutſchen Kunſtlebens, der eine davon vor allem den deutſchen Kunſtmarkt in ihrem perſönlich-ureigenſten Intereſſe ausgiebig für ſich zu beackern. Herr Dr. Ferdinand Hodler, der für die Jenenſer Univerſität das bekannte ausgezeich- nete Wandbild — Gegenſtand der Darſtellung: Die Anteilnahme der akademiſchen deutſchen Jugend an der Erhebung 1813 — ſchuf, erntete für dieſe Arbeit ernſten Beifall. Bei deutſchen öffentlichen Kunſtausſtellungen, wie bei Privatunternehmungen ſolcher Art nahm er ſtets einen hervorragenden Platz ein. U. a. iſt er Jnhaber der großen Goldenen Münchener Ausſtellungsmedaille, kurz, den größeren Teil ſeiner Erfolge dankt er deutſchem Jntereſſe. Wo Schweizer Künſtler anläßlich ſolcher Gelegenheiten geſchloſſen auf- traten, wie es z. B. bei den Münchener Jnternationalen Aus- ſtellungen der Fall iſt, da ſtand, in letzter Zeit wenigſtens, dieſe Abteilung — ob zu ihrem Vor- oder Nachteil, das kommt hier nicht in Betracht — vorwiegend unter Hodlerſchem Einfluſſe. Er ſpielte die erſte Geige da, wie er es auch bei den Schweizeriſchen Wander-Ausſtellungen, in der „Geſellſchaft Schweizeriſcher Maler und Bildhauer“ tut. Ob der gefeierte Künſtler nun, nachdem er ſich oſtentativ dem gegen Deutſchland tätigen Verleumder-Chor angeſchloſſen hat, es unter ſeiner Würde finden wird, im Lande der „Barbaren“ weiterhin öffentlich ſeine Werke zur Schau zu ſtellen, horrende Preiſe dafür einzuſchieben? Wer weiß es! Bei ſeinen Freunden, den Franzoſen, hat er, deſſen ganze Anſchauung, offenbar durch erbliche Beanlagung bedingt, genau ſo derb deutſch iſt, wie ſein Name, nicht annähernd, weder ideell noch materiell denſelben Erfolg gehabt, wie auf der Seite, die er, der vorzugsweiſe franzöſiſch Sprechende, jetzt in offener Gegnerſchaft nicht angreift, nein, beſchimpft. Die in Deutſchland exiſtierenden „Hodler-Gemeinden“ ſind freilich, das muß hier offen geſagt ſem, ein Reſultat der unverbeſſerlichen Ueberſchätzung alles Auslän- diſchen. Aehnliches hat man ja mit anderen Deutſchenhaſſern er- lebt! Es ſei an Mäterlink erinnert, an Leoncavallo, an den Ber- liner Ehrendoktor Rooſevelt, an General Botha uſw. Manchmal trägt man ſelbſt ein gut Teil der Schuld an ſolchen Erfahrungen! An- erkennung, in derart ausgiebiger, um nicht zu ſagen übertriebener Weiſe geſpendet, zieht unverweigerlich ihre Folgen nach ſich. Der deutſche Kunſtmarkt notierte für Hodler’ſche Werke ganz enorme Preiſe. Sie wurden nicht allein gefordert, nein, auch bezahlt, kurzum, Deutſchland war Hodlers ausgiebigſtes Erntefeld. Doch — das fällt hier außer Betracht. Nicht um den Künſtler, nicht um ſeine materiellen Erfolge im Lande der Barbaren handelt es ſich heute, ſondern um eine Abwägung ſeines menſchlichen Wertes. Mag das Licht, in dem er ſich ſeinen Geſinnungsgenoſſen zeigt, von dieſen gerühmt werden! Anderen Menſchen, vorurteilsfreien Beobachtern wahrer Tatſachen kann es kaum glänzend, anſtändig ganz gewiß nicht erſcheinen. Das Benehmen Hodlers Deutſchland gegenüber iſt böswillig oder — ſehr dumm. Das des anderen nicht minder. Es kann nicht unbeantwortet bleiben, von ſeiten der in Deutſch- land lebenden Schweizer in erſter Linie nicht, ſoferne ſie den Mut haben, Farbe zu bekennen. Zunächſt iſt dieſe Art des Vorgehens geeignet, ſeine Landsleute in ein falſches Licht zu ſtellen. Die Neu- tralität eines Staates — Herr Hodler fühlt ſich hinter der Neutrali- tät der Schweiz ſicher — beſteht unter anderem darin, alles zu ver- meiden, was die im Auslande niedergelaſſenen Bürger mit dem Lande in Kolliſion bringen kann, wo ſie wohnen. Freilich iſt dies der kulturell-verfeinerte Begriff des Neutral-Seins. Er ſetzt Empfin- dung für den Begriff „Rückſicht“ voraus. Daß dieſe nicht allen „Neutralen“ innewohnt, weiß man zur Genüge, Herrn Hodler, wie manch anderem Welſch-Schweizer und phraſenhaften Deutſchen- freſſer in erſter Linie nicht. Können nun die im Auslande, im vorliegenden Falle die in Deutſchland lebenden, alle ſtaatlichen Ein- richtungen genau wie Bürger genießenden Schweizer, eine ſolche vollauf beabſichtigte Jn-Zweifelſtellung ihrer Geſinnung ſtillſchwei- gend hinnehmen? Quod non, Herr Hodler! Man wünſcht nicht, von der zurzeit allerdings nicht ſehr großen, anſtändig denkenden und handelnden Welt mit Jhnen in einen Topf geworfen zu werden, ebenſowenig mit Jhren Geſinnungsgenoſſen. Nach alledem er- ſchiene es nur ſelbſtverſtändlich, wenn keine deutſche Ausſtellung, ſei ſie öffentlicher oder privater Natur, künftig Hodlerſchen Arbeiten Platz, damit abermals großmütig die gleichen Chancen bieten würde wie jenen, die Herr Hodler in etwas übertriebener Selbſteinſchätzung als „Barbaren“ bezeichnet. Würden weiter danach Hodler’ſche Ar- beiten, in richtiger Würdigung des Autors, ſchon an der Grenze zurückgewieſen, ſo mag er ſich ſagen: „Tu l’as voulu, George Dandin.“ Würde der Künſtler ſelbſt endlich gegebenen Falles, deutſcherſeits als „läſtiger Ausländer“ behandelt, ſo erhebt auch da- gegen gewiß kein Vernünftiger Einſpruch. Ebenſo erſcheint es ſelbſtverſtändlich, wenn alle deutſchen Künſtler-Korporationen, in deren Liſten der Name Hodler vorkommt, dieſen Namen ein für allemal durchſtreichen. Bei der Münchener und der Berliner Sezeſ- ſion iſt es bereits geſchehen; beim „Deutſchen Künſtlerbund“ von Franz von Stuck beantragt. Entſtehen dadurch auf künftigen Aus- ſtellungen auch vielleicht einige Lücken, — das wird zu ertragen ſein, um ſo mehr, als manche der bisher alljährlich bei Münch- neriſchen, bei deutſchen Ausſtellungen überhaupt erſt bekannt ge- wordene Ausländer fehlen werden. Unter Umſtänden muß man ſich die Begrüßung berühmter Gäſte verſagen können. Deswegen braucht einem nicht ſofort der Atem auszugehen. Vielleicht begeg- net man dieſem Großen wieder einmal in der umgetauften Form als „Audelaire“. Uns ſoll’s recht ſein. Den Markt — auf dieſen kam es dem Herrn, der ein äußerſt geriſſener Geſchäftsmann ſein ſoll, ſehr an — mag er ſich anderswo ſuchen. Engländer wie Ruſſen ſchätzen es gewiß hoch ein, daß Herr Hodler als neuer Ver- bündeter zu ihnen ſtößt. Nachträglich ſucht Herr Hodler das Gehäſſige ſeines Benehmens von ſich abzuwälzen. Nach deutſchen Begriffen gibt man weder Namen noch Unterſchrift für eine zweifelhaft feſtgeſtellte Sache.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine44_1914/7>, abgerufen am 03.12.2024.