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Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 24. Oktober 1914.

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[Spaltenumbruch] mit demselben Erfolg, auf den Spielplan gesetzt wurde. Die
letzte lange Pause in den Aufführungen des köstlichen Werkes
war aber wohl auch einem besonderen Umstand zuzuschreiben.
Vor zehn Jahren nämlich enthüllte Max Hasse in einer Bro-
schüre, daß wir ja den echten und richtigen Barbier des Cor-
nelius gar nicht kennen. Es wies nach, daß Mottl und Levi,
im Glauben, daß Cornelius zu dünn instrumentiert habe, sich
mehr oder minder starke Veränderungen und Eingriffe in die
Partitur, insbesondere im instrumentalen Teil erlaubt hätten.
Es kam zu einer kurzen, in den hiesigen Süddeutschen
Monatsheften erschienenen Kontroverse zwischen Mottl und
dem Sohne des Dichter-Komponisten, die sich zwar in den höf-
lichsten Formen bewegte, aber doch zur Folge hatte, daß Mottl
den Barbier weder in der neuen noch in der alten Form mehr
aufführte. Die gegenwärtige Opernleitung weiß vermutlich
von alledem nichts, sonst hätte sie vielleicht den interessanten
Versuch unternommen, den Barbier im Original neu einzu-
studieren und aufzuführen. Der Klavierauszug nach dem
wiederhergestellten Original von Waldemar von Baußnern
liegt ja bei Breitkopf & Härtel vor. Nun wir sind auch für
die Aufführung in der Mottl-Levi'schen Bearbeitung dankbar.
Sie fand eine zahlreiche und überaus dankbare Zuhörerschaft.
Vielleicht daß nun, wo der Spielplan sich wohl oder übel mehr
auf das Deutsch-Nationale besinnen muß, bessere Zeiten auch
für diese Oper anbrechen, die in der komischen Oper der Ge-
gegenwart keinen Rivalen hat. Ja vielleicht erinnert man sich
auch, daß Cornelius auch einen "Cid" geschrieben hat, der
früher wiederholt und höchst eindrucksvoll über die Bretter
unserer Hofbühne gegangen ist, abgesehen davon, daß man
dem Münchener Publikum mit der Einstudierung seiner "Gun-
löd" einen seltenen Leckerbissen bieten könnte. Die Aufführ-
ung des Barbiers war vortrefflich. Herrn Bender habe ich
schon genannt. Er hat den Barbier schon früher einmal ge-
sungen, ebenso wie Herr Bauberger den Kalifen. Neu und
recht gut war der Nureddin des Herrn Erb und der Kadi des
Herrn Kuhn. Die beiden Frauenrollen waren durch Frau
Bosetti und Fräulein Willer sehr gut besetzt. Herr Walter
hatte die musikalische Leitung selbst übernommen und ließ der
Aufführung der Oper die Es-dur-Symphonie Mozarts voraus-
gehen, was gar kein übler Einfall war.

Ebenso erfreulich wie dieser deutsche Opernabend waren
ein paar folgende, an denen Beethovens Fidelio und Lort-
zings Wildschütz aufgeführt wurden. Die Fidelio-Aufführung
war uns deshalb interessant, weil sie Frl. Krüger Gelegenheit
gab, zum ersten Male die Titelrolle zu singen. Frl. Krüger
ist allem Anscheine nach die glücklichste Akquisition der letzten
Jahre in unserem Opernpersonal. Schon als Gast überraschte
sie angenehm in der Rolle der Amneris. In der obengenann-
ten Aufführung der Cavalleria rusticana sang sie auch die
Santuzza. Der Fidelio bedeutet nun den Höhepunkt ihrer
bisherigen Leistungen. Wenn auch noch nicht ganz fertig, so
ist er doch schon eine so hervorragende und vielversprechende
Talentprobe der jungen Künstlerin, daß wir ihr und uns dazu
gratulieren können. Erscheinung, Spiel und Vortrag schlossen
sich da zu einem harmonischen Ganzen zusammen, und wenn
wir ein Bedenken haben, so ist es nur das, ob diese ursprüng-
liche Mezzosopranstimme allen dramatischen Akzenten in der
Höhe ohne Schaden gewachsen sein wird. Die übrige von
Herrn Heß geleitete Aufführung fand mit altbewährten Kräf-
ten statt.

Auch der Erfolg des Wildschützen könnte unsere Opern-
leitung animieren, der deutschen komischen Oper eine größere
Aufmerksamkeit zu schenken. Das Personal dazu hätten wir,
es wäre nur notwendig, es für diese Aufgabe noch mehr zu
schulen und insbesondere darauf zu sehen, daß es dem ge-
sprochenen Worte und dem Spiel mehr Aufmerksamkeit und
Bedeutung schenke. Die restlos siegreiche Verschmelzung von
Wort, Ton und Spiel war eigentlich nur bei einem Dar-
steller im Wildschütz zu bemerken: bei Herrn Geis, dessen
Schulmeister Baculus schlechthin unübertrefflich ist und allein
schon den Erfolg der Aufführung entschied. Die Herren Brodersen
und Wolf befriedigten mehr nach der gesanglichen Seite und
schöpften die Möglichkeiten ihrer Rollen (Graf Eberbach und
Baron Kronthal) lange nicht aus. Recht gut und erfolgreich
waren die Damen Bosetti, Kuhn-Brunner und Willer, welch
letztere in der Rolle der Sophokles vortragenden Gräfin ihr
[Spaltenumbruch] Talent für derlei Rollen neuerdings bewies, sowie ihr nach-
fühlendes Verständnis für ihre unerreichte Vorgängerin in
dieser Rolle und Lehrmeisterin Viktoria Blank.

Vielleicht ist hier auch der passendste Ort auf einen lange
vernachlässigten Dichter-Komponisten von Bedeutung hinzu-
weisen, auf Max Zenger, dessen Todestag sich am 16. Novem-
ber ds. Jrs. zum drittenmal jähren wird. Wohl hat die Mün-
chener Oper seinen 70. Geburtstag noch durch Aufführung
seiner reizvollen melodischen Oper "Eros und Psyche" gefeiert,
aber seitdem ist es still geworden, und nicht einmal eine
Totenfeier wurde dem Komponisten des Kain, von "Wieland
der Schmied", "Eros und Psyche" und zahlreicher vaterlän-
discher Chöre und Gesänge, zuteil. Wir betrachten es gerade-
zu als eine freudige Gewissenspflicht, an dieser Stelle, von wo
Professor Max Zenger vor Jahrzehnten auch seine kritische
Stimme in zahlreichen Konzertberichten hat ertönen lassen, auf
diese Ehrenpflicht unserer Hofoper neuerdings hinzuweisen.
Als Lieder- und Opernkomponist, als Lehrer und Dirigent
und als Schriftsteller (wir verweisen nur auf seine leider schon
vergessenen Schriften: Franz Schuberts Wirken und Erden-
wallen [1902] und Entstehung und Entwicklung der Instru-
mentalmusik von den ersten Zeiten bis Johannes Brahms
[1906]) hat Max Zenger in seiner Vaterstadt gelebt und ge-
wirkt, aber auf keinen wohl hat das fatale Wort, daß der
Prophet nichts in seinem Vaterland gilt, so grausame Anwen-
dung gefunden wie auf ihn. Heute, wo wir uns von Tag zu
Tag mehr auf unsere nationalen Besitztümer besinnen, ist es
auch an der Zeit, auf diesen mit Unrecht halb und ganz Ver-
gessenen mahnend hinzuweisen.

Zu den nationalen Besitztümern werden wir nun Her-
mann Bahrs vieraktige Komödie "Der Querulant", die im
Münchener Schauspielhause in diesen Tagen zur Unauffüh-
rung kam, kaum zählen. Es ist ein Stück wie andere mehr
und ein echter Bahr: inkosequent und barok in seinen Ein-
fällen, mit einem guten, anscheinend zielsicheren Anfang und
einem matten und langweiligen Ausgang. Schon die Voraus-
setzung ist eine bare Unmöglichkeit. Ein alter armer Weg-
macher irgendwo in Oesterreich ist der Querulant, weil er
einen Prozeß gegen den Forstmeister durchführen will, der
ihm seinen alten streunenden Hund erschossen hat, die einzige
Freude seines Lebens. Geld als Entschädigung nimmt er
nicht an, er will den Mörder seines Hundes ins Zuchthaus
bringen und sieht trotz allem Zureden des Dorfrichters nicht
ein, daß kein Gesetz dazu ihm eine Möglichkeit gibt. Nach
dem zweiten Akt scheint nun Bahr selbst einzusehen, daß die
Geschichte unmöglich so weiter gehen kann. Er läßt deshalb
das Thema plötzlich fallen und schlägt eine unglückliche Liebes-
geschichte der Forstmeisterstochter als neues Thema an -- eine
Geschichte, die aber ebenso im Sande verläuft, wie die andere.
Trotzdem wären die ersten beiden Akte gar nicht so übel, voli
guter Einfälle und dankbaren Rollen, wie sie Bahr auch für
Nebenfiguren zu schreiben weiß. In diesen beiden Akten ging
das Publikum auch willig mit, dann verflachte sich der Ein-
druck, doch nicht so, daß Direktor Stollberg, der die Regie hatte,
für den abwesenden Verfasser nicht hätte danken können. Die
Aufführung war recht gut und forderte allein schon zum Bei-
fall heraus. Der alte Wegmacher war in Maske, Spiel und
Diolekt geradezu eine Meisterleistung unseres talentvollen, ver-
wandlungsfähigen Herrn Weydner. Herr Peppler gab den
Förster, Frl. Rosar dessen Tochter, Herr Randolf einen anar-
chistischen Richter von Bahrs Gnaden, und auch die kleineren
Rollen hatten entsprechende Vertreter gefunden. Als uns vor
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schauspiels als Regisseur übernehmen sollte, hat ihm Oskar
Blumenthal boshafte Ratschläge in Versen gewidmet. Die
letzte dieser Strophen lautet:

Doch wie auch das Abenteuer gedeiht,
Ein Vorteil muß uns bleiben:
Du hast im nächsten Jahr keine Zeit,
Noch eigene Stücke zu schreiben ...

Nun, aus Bahrs Regietätigkeit ist zum Glück nichts geworden:
er hatte also mächtig Zeit eigene Stücke zu schreiben. Wohl
uns, wenn es nicht schlechtere sind, als dieser Querulant. Es
hätte noch schlimmer kommen können.

24. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] mit demſelben Erfolg, auf den Spielplan geſetzt wurde. Die
letzte lange Pauſe in den Aufführungen des köſtlichen Werkes
war aber wohl auch einem beſonderen Umſtand zuzuſchreiben.
Vor zehn Jahren nämlich enthüllte Max Haſſe in einer Bro-
ſchüre, daß wir ja den echten und richtigen Barbier des Cor-
nelius gar nicht kennen. Es wies nach, daß Mottl und Levi,
im Glauben, daß Cornelius zu dünn inſtrumentiert habe, ſich
mehr oder minder ſtarke Veränderungen und Eingriffe in die
Partitur, insbeſondere im inſtrumentalen Teil erlaubt hätten.
Es kam zu einer kurzen, in den hieſigen Süddeutſchen
Monatsheften erſchienenen Kontroverſe zwiſchen Mottl und
dem Sohne des Dichter-Komponiſten, die ſich zwar in den höf-
lichſten Formen bewegte, aber doch zur Folge hatte, daß Mottl
den Barbier weder in der neuen noch in der alten Form mehr
aufführte. Die gegenwärtige Opernleitung weiß vermutlich
von alledem nichts, ſonſt hätte ſie vielleicht den intereſſanten
Verſuch unternommen, den Barbier im Original neu einzu-
ſtudieren und aufzuführen. Der Klavierauszug nach dem
wiederhergeſtellten Original von Waldemar von Baußnern
liegt ja bei Breitkopf & Härtel vor. Nun wir ſind auch für
die Aufführung in der Mottl-Levi’ſchen Bearbeitung dankbar.
Sie fand eine zahlreiche und überaus dankbare Zuhörerſchaft.
Vielleicht daß nun, wo der Spielplan ſich wohl oder übel mehr
auf das Deutſch-Nationale beſinnen muß, beſſere Zeiten auch
für dieſe Oper anbrechen, die in der komiſchen Oper der Ge-
gegenwart keinen Rivalen hat. Ja vielleicht erinnert man ſich
auch, daß Cornelius auch einen „Cid“ geſchrieben hat, der
früher wiederholt und höchſt eindrucksvoll über die Bretter
unſerer Hofbühne gegangen iſt, abgeſehen davon, daß man
dem Münchener Publikum mit der Einſtudierung ſeiner „Gun-
löd“ einen ſeltenen Leckerbiſſen bieten könnte. Die Aufführ-
ung des Barbiers war vortrefflich. Herrn Bender habe ich
ſchon genannt. Er hat den Barbier ſchon früher einmal ge-
ſungen, ebenſo wie Herr Bauberger den Kalifen. Neu und
recht gut war der Nureddin des Herrn Erb und der Kadi des
Herrn Kuhn. Die beiden Frauenrollen waren durch Frau
Boſetti und Fräulein Willer ſehr gut beſetzt. Herr Walter
hatte die muſikaliſche Leitung ſelbſt übernommen und ließ der
Aufführung der Oper die Es-dur-Symphonie Mozarts voraus-
gehen, was gar kein übler Einfall war.

Ebenſo erfreulich wie dieſer deutſche Opernabend waren
ein paar folgende, an denen Beethovens Fidelio und Lort-
zings Wildſchütz aufgeführt wurden. Die Fidelio-Aufführung
war uns deshalb intereſſant, weil ſie Frl. Krüger Gelegenheit
gab, zum erſten Male die Titelrolle zu ſingen. Frl. Krüger
iſt allem Anſcheine nach die glücklichſte Akquiſition der letzten
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ſie angenehm in der Rolle der Amneris. In der obengenann-
ten Aufführung der Cavalleria rusticana ſang ſie auch die
Santuzza. Der Fidelio bedeutet nun den Höhepunkt ihrer
bisherigen Leiſtungen. Wenn auch noch nicht ganz fertig, ſo
iſt er doch ſchon eine ſo hervorragende und vielverſprechende
Talentprobe der jungen Künſtlerin, daß wir ihr und uns dazu
gratulieren können. Erſcheinung, Spiel und Vortrag ſchloſſen
ſich da zu einem harmoniſchen Ganzen zuſammen, und wenn
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liche Mezzoſopranſtimme allen dramatiſchen Akzenten in der
Höhe ohne Schaden gewachſen ſein wird. Die übrige von
Herrn Heß geleitete Aufführung fand mit altbewährten Kräf-
ten ſtatt.

Auch der Erfolg des Wildſchützen könnte unſere Opern-
leitung animieren, der deutſchen komiſchen Oper eine größere
Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Das Perſonal dazu hätten wir,
es wäre nur notwendig, es für dieſe Aufgabe noch mehr zu
ſchulen und insbeſondere darauf zu ſehen, daß es dem ge-
ſprochenen Worte und dem Spiel mehr Aufmerkſamkeit und
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Wort, Ton und Spiel war eigentlich nur bei einem Dar-
ſteller im Wildſchütz zu bemerken: bei Herrn Geis, deſſen
Schulmeiſter Baculus ſchlechthin unübertrefflich iſt und allein
ſchon den Erfolg der Aufführung entſchied. Die Herren Broderſen
und Wolf befriedigten mehr nach der geſanglichen Seite und
ſchöpften die Möglichkeiten ihrer Rollen (Graf Eberbach und
Baron Kronthal) lange nicht aus. Recht gut und erfolgreich
waren die Damen Boſetti, Kuhn-Brunner und Willer, welch
letztere in der Rolle der Sophokles vortragenden Gräfin ihr
[Spaltenumbruch] Talent für derlei Rollen neuerdings bewies, ſowie ihr nach-
fühlendes Verſtändnis für ihre unerreichte Vorgängerin in
dieſer Rolle und Lehrmeiſterin Viktoria Blank.

Vielleicht iſt hier auch der paſſendſte Ort auf einen lange
vernachläſſigten Dichter-Komponiſten von Bedeutung hinzu-
weiſen, auf Max Zenger, deſſen Todestag ſich am 16. Novem-
ber ds. Jrs. zum drittenmal jähren wird. Wohl hat die Mün-
chener Oper ſeinen 70. Geburtstag noch durch Aufführung
ſeiner reizvollen melodiſchen Oper „Eros und Pſyche“ gefeiert,
aber ſeitdem iſt es ſtill geworden, und nicht einmal eine
Totenfeier wurde dem Komponiſten des Kain, von „Wieland
der Schmied“, „Eros und Pſyche“ und zahlreicher vaterlän-
diſcher Chöre und Geſänge, zuteil. Wir betrachten es gerade-
zu als eine freudige Gewiſſenspflicht, an dieſer Stelle, von wo
Profeſſor Max Zenger vor Jahrzehnten auch ſeine kritiſche
Stimme in zahlreichen Konzertberichten hat ertönen laſſen, auf
dieſe Ehrenpflicht unſerer Hofoper neuerdings hinzuweiſen.
Als Lieder- und Opernkomponiſt, als Lehrer und Dirigent
und als Schriftſteller (wir verweiſen nur auf ſeine leider ſchon
vergeſſenen Schriften: Franz Schuberts Wirken und Erden-
wallen [1902] und Entſtehung und Entwicklung der Inſtru-
mentalmuſik von den erſten Zeiten bis Johannes Brahms
[1906]) hat Max Zenger in ſeiner Vaterſtadt gelebt und ge-
wirkt, aber auf keinen wohl hat das fatale Wort, daß der
Prophet nichts in ſeinem Vaterland gilt, ſo grauſame Anwen-
dung gefunden wie auf ihn. Heute, wo wir uns von Tag zu
Tag mehr auf unſere nationalen Beſitztümer beſinnen, iſt es
auch an der Zeit, auf dieſen mit Unrecht halb und ganz Ver-
geſſenen mahnend hinzuweiſen.

Zu den nationalen Beſitztümern werden wir nun Her-
mann Bahrs vieraktige Komödie „Der Querulant“, die im
Münchener Schauſpielhauſe in dieſen Tagen zur Unauffüh-
rung kam, kaum zählen. Es iſt ein Stück wie andere mehr
und ein echter Bahr: inkoſequent und barok in ſeinen Ein-
fällen, mit einem guten, anſcheinend zielſicheren Anfang und
einem matten und langweiligen Ausgang. Schon die Voraus-
ſetzung iſt eine bare Unmöglichkeit. Ein alter armer Weg-
macher irgendwo in Oeſterreich iſt der Querulant, weil er
einen Prozeß gegen den Forſtmeiſter durchführen will, der
ihm ſeinen alten ſtreunenden Hund erſchoſſen hat, die einzige
Freude ſeines Lebens. Geld als Entſchädigung nimmt er
nicht an, er will den Mörder ſeines Hundes ins Zuchthaus
bringen und ſieht trotz allem Zureden des Dorfrichters nicht
ein, daß kein Geſetz dazu ihm eine Möglichkeit gibt. Nach
dem zweiten Akt ſcheint nun Bahr ſelbſt einzuſehen, daß die
Geſchichte unmöglich ſo weiter gehen kann. Er läßt deshalb
das Thema plötzlich fallen und ſchlägt eine unglückliche Liebes-
geſchichte der Forſtmeiſterstochter als neues Thema an — eine
Geſchichte, die aber ebenſo im Sande verläuft, wie die andere.
Trotzdem wären die erſten beiden Akte gar nicht ſo übel, voli
guter Einfälle und dankbaren Rollen, wie ſie Bahr auch für
Nebenfiguren zu ſchreiben weiß. In dieſen beiden Akten ging
das Publikum auch willig mit, dann verflachte ſich der Ein-
druck, doch nicht ſo, daß Direktor Stollberg, der die Regie hatte,
für den abweſenden Verfaſſer nicht hätte danken können. Die
Aufführung war recht gut und forderte allein ſchon zum Bei-
fall heraus. Der alte Wegmacher war in Maske, Spiel und
Diolekt geradezu eine Meiſterleiſtung unſeres talentvollen, ver-
wandlungsfähigen Herrn Weydner. Herr Peppler gab den
Förſter, Frl. Roſar deſſen Tochter, Herr Randolf einen anar-
chiſtiſchen Richter von Bahrs Gnaden, und auch die kleineren
Rollen hatten entſprechende Vertreter gefunden. Als uns vor
Jahren drohte, daß Herman Bahr die Leitung unſeres Hof-
ſchauſpiels als Regiſſeur übernehmen ſollte, hat ihm Oskar
Blumenthal boshafte Ratſchläge in Verſen gewidmet. Die
letzte dieſer Strophen lautet:

Doch wie auch das Abenteuer gedeiht,
Ein Vorteil muß uns bleiben:
Du haſt im nächſten Jahr keine Zeit,
Noch eigene Stücke zu ſchreiben ...

Nun, aus Bahrs Regietätigkeit iſt zum Glück nichts geworden:
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hätte noch ſchlimmer kommen können.

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[629/0013] 24. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung mit demſelben Erfolg, auf den Spielplan geſetzt wurde. Die letzte lange Pauſe in den Aufführungen des köſtlichen Werkes war aber wohl auch einem beſonderen Umſtand zuzuſchreiben. Vor zehn Jahren nämlich enthüllte Max Haſſe in einer Bro- ſchüre, daß wir ja den echten und richtigen Barbier des Cor- nelius gar nicht kennen. Es wies nach, daß Mottl und Levi, im Glauben, daß Cornelius zu dünn inſtrumentiert habe, ſich mehr oder minder ſtarke Veränderungen und Eingriffe in die Partitur, insbeſondere im inſtrumentalen Teil erlaubt hätten. Es kam zu einer kurzen, in den hieſigen Süddeutſchen Monatsheften erſchienenen Kontroverſe zwiſchen Mottl und dem Sohne des Dichter-Komponiſten, die ſich zwar in den höf- lichſten Formen bewegte, aber doch zur Folge hatte, daß Mottl den Barbier weder in der neuen noch in der alten Form mehr aufführte. Die gegenwärtige Opernleitung weiß vermutlich von alledem nichts, ſonſt hätte ſie vielleicht den intereſſanten Verſuch unternommen, den Barbier im Original neu einzu- ſtudieren und aufzuführen. Der Klavierauszug nach dem wiederhergeſtellten Original von Waldemar von Baußnern liegt ja bei Breitkopf & Härtel vor. Nun wir ſind auch für die Aufführung in der Mottl-Levi’ſchen Bearbeitung dankbar. Sie fand eine zahlreiche und überaus dankbare Zuhörerſchaft. Vielleicht daß nun, wo der Spielplan ſich wohl oder übel mehr auf das Deutſch-Nationale beſinnen muß, beſſere Zeiten auch für dieſe Oper anbrechen, die in der komiſchen Oper der Ge- gegenwart keinen Rivalen hat. Ja vielleicht erinnert man ſich auch, daß Cornelius auch einen „Cid“ geſchrieben hat, der früher wiederholt und höchſt eindrucksvoll über die Bretter unſerer Hofbühne gegangen iſt, abgeſehen davon, daß man dem Münchener Publikum mit der Einſtudierung ſeiner „Gun- löd“ einen ſeltenen Leckerbiſſen bieten könnte. Die Aufführ- ung des Barbiers war vortrefflich. Herrn Bender habe ich ſchon genannt. Er hat den Barbier ſchon früher einmal ge- ſungen, ebenſo wie Herr Bauberger den Kalifen. Neu und recht gut war der Nureddin des Herrn Erb und der Kadi des Herrn Kuhn. Die beiden Frauenrollen waren durch Frau Boſetti und Fräulein Willer ſehr gut beſetzt. Herr Walter hatte die muſikaliſche Leitung ſelbſt übernommen und ließ der Aufführung der Oper die Es-dur-Symphonie Mozarts voraus- gehen, was gar kein übler Einfall war. Ebenſo erfreulich wie dieſer deutſche Opernabend waren ein paar folgende, an denen Beethovens Fidelio und Lort- zings Wildſchütz aufgeführt wurden. Die Fidelio-Aufführung war uns deshalb intereſſant, weil ſie Frl. Krüger Gelegenheit gab, zum erſten Male die Titelrolle zu ſingen. Frl. Krüger iſt allem Anſcheine nach die glücklichſte Akquiſition der letzten Jahre in unſerem Opernperſonal. Schon als Gaſt überraſchte ſie angenehm in der Rolle der Amneris. In der obengenann- ten Aufführung der Cavalleria rusticana ſang ſie auch die Santuzza. Der Fidelio bedeutet nun den Höhepunkt ihrer bisherigen Leiſtungen. Wenn auch noch nicht ganz fertig, ſo iſt er doch ſchon eine ſo hervorragende und vielverſprechende Talentprobe der jungen Künſtlerin, daß wir ihr und uns dazu gratulieren können. Erſcheinung, Spiel und Vortrag ſchloſſen ſich da zu einem harmoniſchen Ganzen zuſammen, und wenn wir ein Bedenken haben, ſo iſt es nur das, ob dieſe urſprüng- liche Mezzoſopranſtimme allen dramatiſchen Akzenten in der Höhe ohne Schaden gewachſen ſein wird. Die übrige von Herrn Heß geleitete Aufführung fand mit altbewährten Kräf- ten ſtatt. Auch der Erfolg des Wildſchützen könnte unſere Opern- leitung animieren, der deutſchen komiſchen Oper eine größere Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Das Perſonal dazu hätten wir, es wäre nur notwendig, es für dieſe Aufgabe noch mehr zu ſchulen und insbeſondere darauf zu ſehen, daß es dem ge- ſprochenen Worte und dem Spiel mehr Aufmerkſamkeit und Bedeutung ſchenke. Die reſtlos ſiegreiche Verſchmelzung von Wort, Ton und Spiel war eigentlich nur bei einem Dar- ſteller im Wildſchütz zu bemerken: bei Herrn Geis, deſſen Schulmeiſter Baculus ſchlechthin unübertrefflich iſt und allein ſchon den Erfolg der Aufführung entſchied. Die Herren Broderſen und Wolf befriedigten mehr nach der geſanglichen Seite und ſchöpften die Möglichkeiten ihrer Rollen (Graf Eberbach und Baron Kronthal) lange nicht aus. Recht gut und erfolgreich waren die Damen Boſetti, Kuhn-Brunner und Willer, welch letztere in der Rolle der Sophokles vortragenden Gräfin ihr Talent für derlei Rollen neuerdings bewies, ſowie ihr nach- fühlendes Verſtändnis für ihre unerreichte Vorgängerin in dieſer Rolle und Lehrmeiſterin Viktoria Blank. Vielleicht iſt hier auch der paſſendſte Ort auf einen lange vernachläſſigten Dichter-Komponiſten von Bedeutung hinzu- weiſen, auf Max Zenger, deſſen Todestag ſich am 16. Novem- ber ds. Jrs. zum drittenmal jähren wird. Wohl hat die Mün- chener Oper ſeinen 70. Geburtstag noch durch Aufführung ſeiner reizvollen melodiſchen Oper „Eros und Pſyche“ gefeiert, aber ſeitdem iſt es ſtill geworden, und nicht einmal eine Totenfeier wurde dem Komponiſten des Kain, von „Wieland der Schmied“, „Eros und Pſyche“ und zahlreicher vaterlän- diſcher Chöre und Geſänge, zuteil. Wir betrachten es gerade- zu als eine freudige Gewiſſenspflicht, an dieſer Stelle, von wo Profeſſor Max Zenger vor Jahrzehnten auch ſeine kritiſche Stimme in zahlreichen Konzertberichten hat ertönen laſſen, auf dieſe Ehrenpflicht unſerer Hofoper neuerdings hinzuweiſen. Als Lieder- und Opernkomponiſt, als Lehrer und Dirigent und als Schriftſteller (wir verweiſen nur auf ſeine leider ſchon vergeſſenen Schriften: Franz Schuberts Wirken und Erden- wallen [1902] und Entſtehung und Entwicklung der Inſtru- mentalmuſik von den erſten Zeiten bis Johannes Brahms [1906]) hat Max Zenger in ſeiner Vaterſtadt gelebt und ge- wirkt, aber auf keinen wohl hat das fatale Wort, daß der Prophet nichts in ſeinem Vaterland gilt, ſo grauſame Anwen- dung gefunden wie auf ihn. Heute, wo wir uns von Tag zu Tag mehr auf unſere nationalen Beſitztümer beſinnen, iſt es auch an der Zeit, auf dieſen mit Unrecht halb und ganz Ver- geſſenen mahnend hinzuweiſen. Zu den nationalen Beſitztümern werden wir nun Her- mann Bahrs vieraktige Komödie „Der Querulant“, die im Münchener Schauſpielhauſe in dieſen Tagen zur Unauffüh- rung kam, kaum zählen. Es iſt ein Stück wie andere mehr und ein echter Bahr: inkoſequent und barok in ſeinen Ein- fällen, mit einem guten, anſcheinend zielſicheren Anfang und einem matten und langweiligen Ausgang. Schon die Voraus- ſetzung iſt eine bare Unmöglichkeit. Ein alter armer Weg- macher irgendwo in Oeſterreich iſt der Querulant, weil er einen Prozeß gegen den Forſtmeiſter durchführen will, der ihm ſeinen alten ſtreunenden Hund erſchoſſen hat, die einzige Freude ſeines Lebens. Geld als Entſchädigung nimmt er nicht an, er will den Mörder ſeines Hundes ins Zuchthaus bringen und ſieht trotz allem Zureden des Dorfrichters nicht ein, daß kein Geſetz dazu ihm eine Möglichkeit gibt. Nach dem zweiten Akt ſcheint nun Bahr ſelbſt einzuſehen, daß die Geſchichte unmöglich ſo weiter gehen kann. Er läßt deshalb das Thema plötzlich fallen und ſchlägt eine unglückliche Liebes- geſchichte der Forſtmeiſterstochter als neues Thema an — eine Geſchichte, die aber ebenſo im Sande verläuft, wie die andere. Trotzdem wären die erſten beiden Akte gar nicht ſo übel, voli guter Einfälle und dankbaren Rollen, wie ſie Bahr auch für Nebenfiguren zu ſchreiben weiß. In dieſen beiden Akten ging das Publikum auch willig mit, dann verflachte ſich der Ein- druck, doch nicht ſo, daß Direktor Stollberg, der die Regie hatte, für den abweſenden Verfaſſer nicht hätte danken können. Die Aufführung war recht gut und forderte allein ſchon zum Bei- fall heraus. Der alte Wegmacher war in Maske, Spiel und Diolekt geradezu eine Meiſterleiſtung unſeres talentvollen, ver- wandlungsfähigen Herrn Weydner. Herr Peppler gab den Förſter, Frl. Roſar deſſen Tochter, Herr Randolf einen anar- chiſtiſchen Richter von Bahrs Gnaden, und auch die kleineren Rollen hatten entſprechende Vertreter gefunden. Als uns vor Jahren drohte, daß Herman Bahr die Leitung unſeres Hof- ſchauſpiels als Regiſſeur übernehmen ſollte, hat ihm Oskar Blumenthal boshafte Ratſchläge in Verſen gewidmet. Die letzte dieſer Strophen lautet: Doch wie auch das Abenteuer gedeiht, Ein Vorteil muß uns bleiben: Du haſt im nächſten Jahr keine Zeit, Noch eigene Stücke zu ſchreiben ... Nun, aus Bahrs Regietätigkeit iſt zum Glück nichts geworden: er hatte alſo mächtig Zeit eigene Stücke zu ſchreiben. Wohl uns, wenn es nicht ſchlechtere ſind, als dieſer Querulant. Es hätte noch ſchlimmer kommen können. Alfred Frhr. v. Menſi.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 24. Oktober 1914, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine43_1914/13>, abgerufen am 17.06.2024.