Allgemeine Zeitung, Nr. 35, 4. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
es ja keine Schlagbäume und Zollstätten. De Wette's Ruhm, weit ent- (Beschluß folgt.) Joseph v. Radowitz. Leipzig, 1850.Eine Charakterschilderung von Emil Frensdorff. ** Wir erhalten hier die erste vollständige Lebensbeschreibung des Von 1824 an, wo Radowitz einen Sommer mit dem Prinzen Al- Radowitz hatte 1828 die Gräfin Maria Voß geheirathet, und Ein Besuch im orthopädischen Institut bei Hamburg. B. Endlich nach langem Stürmen und Toben der Elemente kam wie- Mit gesteigertem Interesse folgte ich daher dem Hrn. Dr. Langgaard [Spaltenumbruch]
es ja keine Schlagbäume und Zollſtätten. De Wette’s Ruhm, weit ent- (Beſchluß folgt.) Joſeph v. Radowitz. Leipzig, 1850.Eine Charakterſchilderung von Emil Frensdorff. ** Wir erhalten hier die erſte vollſtändige Lebensbeſchreibung des Von 1824 an, wo Radowitz einen Sommer mit dem Prinzen Al- Radowitz hatte 1828 die Gräfin Maria Voß geheirathet, und Ein Beſuch im orthopädiſchen Inſtitut bei Hamburg. B. Endlich nach langem Stürmen und Toben der Elemente kam wie- Mit geſteigertem Intereſſe folgte ich daher dem Hrn. Dr. Langgaard <TEI> <text> <body> <div> <p> <floatingText> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="555"/><cb/> es ja keine Schlagbäume und Zollſtätten. De Wette’s Ruhm, weit ent-<lb/> fernt in den engen Marken eines von vielen Ueberbildeten in Deutſchland<lb/> als roh verachteten Landes dürftig zu verkümmern, erglänzte vielmehr<lb/> fortwährend hell über ganz Deutſchland, ja ſelbſt nach Frankreich und<lb/> über den Ocean hinüber. Es ließ ſich vorausſehen daß die ungünſtige<lb/> Lage in welche die Univerſität Baſel durch die Ereigniſſe von 1833 ge-<lb/> rathen war, außerhalb benutzt werden, daß man Einladungen an einen<lb/> Mann wie De Wette ergehen laſſen würde, um ihn für einen andern Sitz<lb/> der Wiſſenſchaften zu gewinnen. Wirklich wurden auch von Seiten der<lb/> Univerſitäten <hi rendition="#g">Straßburg, Marburg</hi> und, wenn wir nicht irren, auch<lb/><hi rendition="#g">Jena</hi> ſolche Schritte bei ihm gethan, und beſonders ehrenvoll war der<lb/> Ruf welcher 1834 an ihn erging, und demzufolge ihm das Hauptpaſtorat<lb/> der St. Petrikirche zu <hi rendition="#g">Hamburg</hi> unter glänzenden Bedingungen ange-<lb/> tragen wurde. Allein er ſchlug alle dieſe lockenden Anerbietungen aus,<lb/> und blieb in der Stadt die ihn einſt freundlich aufgenommen und ſeine<lb/> zweite Heimath geworden war.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Beſchluß folgt.)</hi> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Joſeph v. Radowitz.</hi></hi><lb/><hi rendition="#g">Eine Charakterſchilderung</hi> von Emil Frensdorff.</head><lb/> <dateline>Leipzig, 1850.</dateline><lb/> <p>** Wir erhalten hier die erſte vollſtändige Lebensbeſchreibung des<lb/> Mannes der ſeit ſeinem Auftreten in der Paulskirche die allgemeine Auf-<lb/> merkſamkeit in ſo hohem Grad auf ſich gezogen hat. Die Radowitz’ſche<lb/> Familie gehörte urſprünglich dem kleinen Adel Ungarns an. 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Der Verfaſ-<lb/> ſer macht hierbei die richtige Bemerkung daß dieſe Schrift allerdings eine<lb/> Lücke gewahren laſſe. Denn neben der öſterreichiſchen Apathie und dem<lb/> bureaukratiſchen Widerſtand in Preußen ſey auch der Conflict zwiſchen den<lb/> Repräſentativverfaſſungen des Südens und dem preußiſchen Abſolutis-<lb/> mus als Hinderniß eingetreten. Preußen konnte mit dem Süden keine<lb/> politiſche Allianz bilden, ohne den Kammern und Ständeverſammlungen<lb/> der in den Bund aufzunehmenden Staaten mit demſelben Maße der Volks-<lb/> vertretung entgegenzutreten. Ja, da Preußen ſeiner Natur und ſeiner<lb/> hiſtoriſchen Tendenz zufolge berufen war für die nationale Organiſation<lb/> voranzugehen, ſo mußte Preußen noch conſtitutioneller ſeyn als das übrige<lb/> Deutſchland. Die Geſpräche aus der Gegenwart, ihrer Zeit in dieſen<lb/> Blättern mehrfach beſprochen, charakteriſirt der Verfaſſer ausführlich.<lb/> Die Worte mit welchen er dieſe Charakteriſtik ſchließt, bezeichnen den<lb/> Standpunkt von welchem aus er ſeinen Helden beurtheilt. „Es iſt jeden-<lb/> falls wahr, ſagt er, daß die gouvernementale deutſche Richtung des Ge-<lb/> nerals v. Radowitz eine vormärzliche war, und daß der Mann, mit ſeiner<lb/> Neigung die volkthümliche Zuſtimmung zu unterſchätzen, und ſeiner<lb/> ſtaatsmänniſchen Initiative, mit ſeiner aſcetiſchen Politik nach innen und<lb/> mit ſeinen weitſtrebenden Planen für das ganze Land, kurz mit ſeinen<lb/> Fehlern und Tugenden immer derſelbe war, in den Kreiſen zu Berlin<lb/> wie in Frankfurt, im Schloß zu Sansſouci wie in der zweiten preußiſchen<lb/> Kammer. Indeſſen werden wir auch anerkennen müſſen wie die ſchweren<lb/> Erfahrungen des letzten Jahres, und die friſche Luft welche in den erſten<lb/> Märzwochen durch Deutſchland wehte, manche liberale Forderung auch<lb/> dem fertigen Charakter in einer andern Geſtalt entgegenführen mußten.<lb/> Und wo eine beſſere Erkenntniß auch für das innere Regiment den Sieg<lb/> davon getragen hat, da muß in der Frankfurter Feuereſſe, welche den<lb/> Vortheil hatte Schlacken wie Gold zu Tage zu fördern, etwas davon ſein<lb/> Licht erhalten.“ Der Verfaſſer ſchildert dann Radowitzens Benehmen in<lb/> der Paulskirche, in die er gewählt worden war, nachdem er im April<lb/> 1848 in Folge der Berliner Revolution ſeinen Abſchied aus preußiſchem<lb/> Dienſte, ſowohl als Geſandter am badiſchen Hofe wie auch als General-<lb/> major in der Armee und als Militärbevollmächtigter beim Bunde, genom-<lb/> men hatte. 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Nach wenigen Schritten lag es vor mir in ſeiner<lb/> freundlichen, halb ländlichen, halb ſtädtiſchen Umgebung, und einige Minuten<lb/> ſpäter fühlte ich in ſeinen geräumigen und hellen Gemächern mich ſo wohl<lb/> und behaglich als es in einem Hauſe möglich iſt das man zum erſtenmal<lb/> betritt. Geführt von dem Director der Anſtalt, ſeiner Gattin und dem<lb/> Arzt des Inſtituts, Hrn. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Rothenburg, betrat ich die Zimmer die den<lb/> weiblichen Kranken zum gewöhnlichen Aufenthaltsort dienten. Etwa<lb/> dreißig an der Zahl waren die Patientinnen in die vier ſaubern und netten<lb/> Stuben dergeſtalt vertheilt daß die nach dem Alter zuſammengehörigen<lb/> von ihnen ſich in einem und demſelben Gemach bei einander befanden. Bei<lb/> unſerm Erſcheinen (die Mittagsſtunde, in der keine Beſuche zugelaſſen<lb/> werden, war vorüber) ruhten die Kranken ſämmtlich auf ihren beweglichen<lb/> Betten; einige von ihnen lagen ſtill da, andere laſen, dritte ſchrieben, noch<lb/> andere beſchäftigten ſich mit Handarbeiten, denn der bewegliche Tiſch und<lb/> die ſonftigen mechaniſchen Vorrichtungen die an jedem Bett angebracht<lb/> waren, erlaubten einer jeden Patientin ohne Hülfe von Dritten und ohne<lb/> ſchädliche Veränderung ihrer Lage in der bezeichneten Weiſe thätig zu ſeyn.<lb/> Was mich aber an allen überraſchte, war die friſche Farbe des Geſichts und<lb/> der heitere Blick. Hätten nicht die Maſchinen und die ledernen Riemen, die<lb/> den einzelnen ihre Lage vorſchrieben, mich eines andern belehrt, ſo hätte<lb/> ich gemeint in einem Ruhezimmer von Geſunden zu ſeyn, und ein ſolcher<lb/> Irrthum wäre um ſo verzeihlicher geweſen, da ein Blick in die umherliegen-<lb/> den, von den Kranken benutzten Bücher mir verrieth daß die körperliche<lb/> Ruhe der geiſtigen Ausbildung hier keinen Abbruch thue.</p><lb/> <p>Mit geſteigertem Intereſſe folgte ich daher dem Hrn. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Langgaard<lb/> in die übrigen Theile der Anſtalt, um auch dieſe näher kennen zu lernen,<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [555/0011]
es ja keine Schlagbäume und Zollſtätten. De Wette’s Ruhm, weit ent-
fernt in den engen Marken eines von vielen Ueberbildeten in Deutſchland
als roh verachteten Landes dürftig zu verkümmern, erglänzte vielmehr
fortwährend hell über ganz Deutſchland, ja ſelbſt nach Frankreich und
über den Ocean hinüber. Es ließ ſich vorausſehen daß die ungünſtige
Lage in welche die Univerſität Baſel durch die Ereigniſſe von 1833 ge-
rathen war, außerhalb benutzt werden, daß man Einladungen an einen
Mann wie De Wette ergehen laſſen würde, um ihn für einen andern Sitz
der Wiſſenſchaften zu gewinnen. Wirklich wurden auch von Seiten der
Univerſitäten Straßburg, Marburg und, wenn wir nicht irren, auch
Jena ſolche Schritte bei ihm gethan, und beſonders ehrenvoll war der
Ruf welcher 1834 an ihn erging, und demzufolge ihm das Hauptpaſtorat
der St. Petrikirche zu Hamburg unter glänzenden Bedingungen ange-
tragen wurde. Allein er ſchlug alle dieſe lockenden Anerbietungen aus,
und blieb in der Stadt die ihn einſt freundlich aufgenommen und ſeine
zweite Heimath geworden war.
(Beſchluß folgt.)
Joſeph v. Radowitz.
Eine Charakterſchilderung von Emil Frensdorff.
Leipzig, 1850.
** Wir erhalten hier die erſte vollſtändige Lebensbeſchreibung des
Mannes der ſeit ſeinem Auftreten in der Paulskirche die allgemeine Auf-
merkſamkeit in ſo hohem Grad auf ſich gezogen hat. Die Radowitz’ſche
Familie gehörte urſprünglich dem kleinen Adel Ungarns an. Aber ſchon
des Generals Großvater war in der Mitte des vorigen Jahrhunderts nach
Deutſchland gegangen, und ſein Vater hatte in Göttingen die Rechte
ſtudirt, und ohne Amt erſt in Blankenburg und dann in Altenburg gelebt,
wo er durch Theilnahme an einem mißlungenen Weingeſchäfte ſein Ver-
mögen einbüßte und 1819 ſtarb. In Blankenburg wurde ihm am 6 Febr.
1797 Joſeph v. Radowitz geboren, deſſen Mutter, eine geborne v. Könitz,
Proteſtantin war. Er erhielt den Schulunterricht in Altenburg, und
wurde bis zum 14ten Jahr in der proteſtantiſchen Confeſſion erzogen, von
da an übernahm der katholiſche Vater die religiöſe Erziehung, und der
Sohn wuchs von 1812 an in der katholiſchen Kirche auf. Er ſollte Sol-
dat werden, und der Vater ſandte ihn früher nach Frankreich zur Erler-
nung der franzöfiſchen Sprache. Auf weſtfäliſchen und franzöſiſchen
Schulen ſtudirte er dann die Kriegswiſſenſchaft, war 1812 ſchon weſt-
fäliſcher Artillerie-Officier und befehligte in der Schlacht bei Leipzig eine
weſtfäliſche Batterie, wurde verwundet und gefangen; ſchon vorher hatte
er den Orden der Ehrenlegion erhalten. In kurheſſiſchen Dienſten machte
er dann in der Artillerie die Feldzüge gegen Frankreich mit. 1815 wurde
er Lehrer der Mathematik und der Kriegswiſſenſchaften im Cadettencorps
zu Kaſſel, und trieb eifrig philoſophiſche und hiſtoriſche Studien, auf die
er die mathematiſche Strenge übertrug. In Folge eines ehrenhaften
Rathes den er der unglücklichen Kurfürſtin in Bezug auf das Ver-
hältniß zu der Gräfin v. Reichenbach gegeben hatte, wurde er als Haupt-
mann im Generalſtab aus kurheſſiſchem Dienſt entlaſſen, und trat in
preußiſche als Hauptmann im Generalſtab und Lehrer des Prinzen Al-
brecht. Von 1827 bis 1830 ſchrieb er mehrere mathematiſche Schriften,
wurde Mitglied der oberſten Militärſtudienbehörde, Lehrer an der Kriegs-
ſchule und Mitglied der Artillerieprüfungscommiſſion, 1828 Major, 1830
Chef des Generalſtabs der Artillerie.
Von 1824 an, wo Radowitz einen Sommer mit dem Prinzen Al-
brecht in Sansſouci zubrachte, datirt ſeine innige Freundſchaft mit dem
gegenwärtigen König von Preußen. Radowitz war immer katholiſch
gläubig, ohne frömmelnd oder ultramontan zu ſeyn; er war von der
Nothwendigkeit eines wahrhaft ariſtokratiſchen Elements in einem geſun-
den Staatsleben überzeugt, ohne daß ſeine Geburt ihm dazu Veranlaſſung
gegeben hätte. „Ich habe keinerlei Urſache“, ſchreibt er einem Freunde,
„hochmüthig zu ſeyn; aber wenn ich es wäre, ſo würde ich meinen Stolz
dahin einſetzen daß ich von nichts getragen worden, weder von Familie,
noch Gönnern, noch andern Glücksgütern, ſondern daß ich meinen Weg
bis hierher gegangen bin allein auf eigenen Füßen.“
Radowitz hatte 1828 die Gräfin Maria Voß geheirathet, und
lebte in den Kreiſen in welchen die HH. v. Gerlach, Voß, Graf
Brandenburg, v. d. Gröben u. a. ſich ſanden. Er war ein Mitgründer
des „Berliner politiſchen Wochenblatts“, welches das mehrdeutige Motto
führte: Nous ne voulons pas la contre-révolution, mais le contraire
de la révolution. 1829 ſchrieb Radowitz ſeine „Iconographie der Heili-
gen“ und den „Kriegsſchauplatz in der Türkei“. 1836 wurde er zum
preußiſchen Militärbevollmächtigten am Bundestag ernannt. Was er
nun in dieſer Stellung gethan, wie er für die Sicherheit Deutſchlands
durch ein vollſtändiges Vertheidigungsſyſtem gewirkt, und endlich kurz vor
dem Ausbruch der Märzrevolution und in deren erſten Stadien eine Ver-
bindung Preußens und Oeſterreichs mit den deutſchen Fürſten zum Zweck
einer Reform der Bundesverfaſſung angeſtrebt, iſt aus ſeiner eigenen
Schrift „Deutſchland und Friedrich Wilhelm IV“ bekannt. Der Verfaſ-
ſer macht hierbei die richtige Bemerkung daß dieſe Schrift allerdings eine
Lücke gewahren laſſe. Denn neben der öſterreichiſchen Apathie und dem
bureaukratiſchen Widerſtand in Preußen ſey auch der Conflict zwiſchen den
Repräſentativverfaſſungen des Südens und dem preußiſchen Abſolutis-
mus als Hinderniß eingetreten. Preußen konnte mit dem Süden keine
politiſche Allianz bilden, ohne den Kammern und Ständeverſammlungen
der in den Bund aufzunehmenden Staaten mit demſelben Maße der Volks-
vertretung entgegenzutreten. Ja, da Preußen ſeiner Natur und ſeiner
hiſtoriſchen Tendenz zufolge berufen war für die nationale Organiſation
voranzugehen, ſo mußte Preußen noch conſtitutioneller ſeyn als das übrige
Deutſchland. Die Geſpräche aus der Gegenwart, ihrer Zeit in dieſen
Blättern mehrfach beſprochen, charakteriſirt der Verfaſſer ausführlich.
Die Worte mit welchen er dieſe Charakteriſtik ſchließt, bezeichnen den
Standpunkt von welchem aus er ſeinen Helden beurtheilt. „Es iſt jeden-
falls wahr, ſagt er, daß die gouvernementale deutſche Richtung des Ge-
nerals v. Radowitz eine vormärzliche war, und daß der Mann, mit ſeiner
Neigung die volkthümliche Zuſtimmung zu unterſchätzen, und ſeiner
ſtaatsmänniſchen Initiative, mit ſeiner aſcetiſchen Politik nach innen und
mit ſeinen weitſtrebenden Planen für das ganze Land, kurz mit ſeinen
Fehlern und Tugenden immer derſelbe war, in den Kreiſen zu Berlin
wie in Frankfurt, im Schloß zu Sansſouci wie in der zweiten preußiſchen
Kammer. Indeſſen werden wir auch anerkennen müſſen wie die ſchweren
Erfahrungen des letzten Jahres, und die friſche Luft welche in den erſten
Märzwochen durch Deutſchland wehte, manche liberale Forderung auch
dem fertigen Charakter in einer andern Geſtalt entgegenführen mußten.
Und wo eine beſſere Erkenntniß auch für das innere Regiment den Sieg
davon getragen hat, da muß in der Frankfurter Feuereſſe, welche den
Vortheil hatte Schlacken wie Gold zu Tage zu fördern, etwas davon ſein
Licht erhalten.“ Der Verfaſſer ſchildert dann Radowitzens Benehmen in
der Paulskirche, in die er gewählt worden war, nachdem er im April
1848 in Folge der Berliner Revolution ſeinen Abſchied aus preußiſchem
Dienſte, ſowohl als Geſandter am badiſchen Hofe wie auch als General-
major in der Armee und als Militärbevollmächtigter beim Bunde, genom-
men hatte. Dieſe Thätigkeit Radowitz’s iſt uns noch im friſchen Anden-
ken; eine neue Auflage dieſes Büchleins wird in der gegenwärtigen Stel-
lung desſelben neue Motive für ſeine Charakteriſtik finden.
Ein Beſuch im orthopädiſchen Inſtitut bei Hamburg.
B. Endlich nach langem Stürmen und Toben der Elemente kam wie-
der einmal ein Tag an dem man ſich ſo recht mit Freuden ins Freie hin-
auswagen konnte. Der Himmel war heiter und klar, ein warmer Sonnen-
ſchein belebte die Landſchaft als ich vor das Dammthor hinaustrat, das
erquickende Einſtrömen der friſchen Luft verſcheuchte alle trüben Gedanken,
und mit einem von Theilnahme und Neugierde gemiſchten Gefühl näherte
ich mich dem Ziel meiner Wanderung: dem orthopädiſchen Inſtitut des
Hrn. Dr. Langgaard. Nach wenigen Schritten lag es vor mir in ſeiner
freundlichen, halb ländlichen, halb ſtädtiſchen Umgebung, und einige Minuten
ſpäter fühlte ich in ſeinen geräumigen und hellen Gemächern mich ſo wohl
und behaglich als es in einem Hauſe möglich iſt das man zum erſtenmal
betritt. Geführt von dem Director der Anſtalt, ſeiner Gattin und dem
Arzt des Inſtituts, Hrn. Dr. Rothenburg, betrat ich die Zimmer die den
weiblichen Kranken zum gewöhnlichen Aufenthaltsort dienten. Etwa
dreißig an der Zahl waren die Patientinnen in die vier ſaubern und netten
Stuben dergeſtalt vertheilt daß die nach dem Alter zuſammengehörigen
von ihnen ſich in einem und demſelben Gemach bei einander befanden. Bei
unſerm Erſcheinen (die Mittagsſtunde, in der keine Beſuche zugelaſſen
werden, war vorüber) ruhten die Kranken ſämmtlich auf ihren beweglichen
Betten; einige von ihnen lagen ſtill da, andere laſen, dritte ſchrieben, noch
andere beſchäftigten ſich mit Handarbeiten, denn der bewegliche Tiſch und
die ſonftigen mechaniſchen Vorrichtungen die an jedem Bett angebracht
waren, erlaubten einer jeden Patientin ohne Hülfe von Dritten und ohne
ſchädliche Veränderung ihrer Lage in der bezeichneten Weiſe thätig zu ſeyn.
Was mich aber an allen überraſchte, war die friſche Farbe des Geſichts und
der heitere Blick. Hätten nicht die Maſchinen und die ledernen Riemen, die
den einzelnen ihre Lage vorſchrieben, mich eines andern belehrt, ſo hätte
ich gemeint in einem Ruhezimmer von Geſunden zu ſeyn, und ein ſolcher
Irrthum wäre um ſo verzeihlicher geweſen, da ein Blick in die umherliegen-
den, von den Kranken benutzten Bücher mir verrieth daß die körperliche
Ruhe der geiſtigen Ausbildung hier keinen Abbruch thue.
Mit geſteigertem Intereſſe folgte ich daher dem Hrn. Dr. Langgaard
in die übrigen Theile der Anſtalt, um auch dieſe näher kennen zu lernen,
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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