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Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890.

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Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung. 14. December 1890.


[Spaltenumbruch]
Inhalts-Uebersicht.
Niederlande. P. Amsterdam: Ministerium. Deficit. H. de Veer.
Italien. Rom: Zum Inhalt der Thronrede. Die Minister-
krisis und das Finanzprogramm der Regierung. * Zur Er-
nennung Grimaldi's. Aus Afrika.
Schweden und Norwegen. Stockholm: Zur Russificirung
Finnlands.
Rußland. St. Petersburg: Nihilistenproceß. Russificirung.
Rumänien. H. Bukarest: Aus dem Parlament. Zum make-
donischen Kirchenconflict. Staatsschuld.
Montenegro. Weinbau auf den Schwarzen Bergen.
Verschiedenes. -- Handel und Volkswirthschaft.
Niederlande.

Der Verlauf der ersten Sitzung
der Zweiten Kammer nach dem Tode des Königs zeigte, wie sehr
es den Abgeordneten Bedürsniß war, sich wieder einmal gründlich
auszusprechen. Der Colonialminister Makay mußte es am meisten
entgelten. Schon seit einigen Tagen wird ihm von der gesammten
Presse ein Verstoß gegen die Verfassung vorgehalten. Das Mini-
sterium
hatte nämlich, wahrscheinlich mit Rücksicht auf den ange-
griffenen Zustand der Königin-Regentin, unterlassen, der Form wegen
seine Entlassung einzureichen und die Königin-Regentin wiederum
hatte durch Cabinetsordre das Ministerium bestätigt. Dies
dünkt einem Theil der Presse ungeheuerlich, und namentlich
die Radicalen rühren die Alarmtrommel ganz energisch.
Unangenehmer als dieser Zwischenfall ist für den Ministerpräsi-
denten das Deficit von 23 Millionen Gulden im indischen Budget
und wenig tröstlich klingen seine Entschuldigungen: "Die schlechte
Kaffeeernte trage die Schuld, der Zustand sei nicht hoffnungslos;
die Ueberschüsse der früheren Jahre genügten zur Deckung; eine
Anleihe sei unnöthig." Fest steht, daß die Deficite im Colonial-
budget sich von Jahr zu Jahr mehren. Der Atjeh-Krieg allerdings
verschlingt Unsummen; auch die unglückliche Zinnexpedition nach Flores
erfordert viele Opfer an Geld und Menschen, allein die eigentliche Ur-
sache sitzt tiefer. Das Gouvernement ermuntert das Privatcapital
viel zu wenig und die chinesische Mauer, die nunmehr gegen aus-
wärtiges Capital errichtet ist durch das Verbot gegen Niederlassungen
nicht holländischer Landbauunternehmungen, wird auch das Ihrige
dazu beitragen. Das directe telegraphische Verbindungskabel mit
Surinam (Riederländisch-Indien) wurde gestern eröffnet. Der
Preis eines Wortes beträgt 1 fl. 10 Cents mehr als früher.
H. de Veer, der langjährige Redacteur des Volksblattes "Nieuws
van den Dag", das sehr viel Sympathie für Deutschland hegt, ist
heute im 61. Lebensjahre gestorben.

Italien.

Daß die Thronrede, mit welcher
heute die 17. Legislaturperiode eröffnet worden ist, ein
stilistisches Meisterstück sei, kann nicht behauptet werden. In
vielfach schwerfälligem und unbeholfenem Ausdruck, dem man
die Verlegenheit über die plötzlich ausgebrochene Ministerkrisis
anzumerken meint, und in sprungweiser Darstellung reiht sie
mühsam die Gesichtspunkte aneinander, welche die Regierung
vor der zum ersten Mal versammelten neuen Volksvertretung
entwickeln zu müssen glaubte. Trotz der Kürze und an-
scheinenden Bestimmtheit der mit Redeblumen durchflochtenen
Sätze wird man den Eindruck nicht los, daß die Thronrede
nicht gewagt hat, ebenso entschieden wie die Turiner Pro-
grammrede des Ministerpräsidenten von den Absichten der Re-
gierung zu reden, welche den dringenden Wünschen des Landes
entsprechen und dasselbe bewogen haben, bei den Wahlen sich
mit so großer Mehrheit für die gegenwärtige Politik auszu-
sprechen. Mit Befriedigung werden die Italiener von neuem
hören, was schon mehrere frühere Thronreden ausgesprochen
haben: daß die Nation abermals ihr Vertrauen in die freien
Staatseinrichtungen bestätigt hat, daß sie in den Grundsätzen
der Ordnung und Freiheit die Basis der modernen Gesellschaft
erblickt, daß das sichere Bewußtsein seiner Rechte und Pflichten,
der bestimmte Ausdruck seines Willens dem italienischen Staate
überall Achtung und Ansehen verschaffe und daß eine durchaus
friedliche Luft in Europa wehe, auch in Afrika nur noch
friedliche Aufgaben zu lösen seien. Auffällig gezwungen aber
sind die Uebergänge von der mit der Motivirung des Amnestie-
decrets verbundenen Zusicherung, daß die Arbeiterschutz- und
Versorgungsgesetzgebung die Hauptaufgabe der neuen Gesetz-
gebungsperiode bilden werde, von der Erwähnung des Eintritts
der königlichen Prinzen in den Senat und ihrer be-
ginnenden Mitwirkung an der Hebung der vaterländischen
Wohlfahrt und der "Befruchtung der Volksliebe" zu der Er-
klärung, daß "deßhalb das Heer und die Flotte nicht ver-
gessen werden sollen", indem "nach Erledigung der Heeres-
organisation in den Grenzen der Vertheidigung Italien sich
sicher fühlt und ohne Beunruhigung die Ereignisse abwarten
kann." Wenn man diesen Hinweis nicht als ganz überflüssig
betrachten soll, so kann er schwerlich anders aufgefaßt werden,
denn als eine Zurückweisung der Hoffnungen auf allmähliche
Herabsetzung des ungeheuer angewachsenen Militäretats. --
"Gemeinsame Sorge wird vor allem die Solidität der Finanzen
sein müssen." Es wird demgemäß die Vorlegung von Finanz-
maßregeln verheißen, von denen die Regierung das Gleichgewicht
im Staatshaushalt "erwartet"; "das Parlament wird verstehen,
durch Ersparnisse in den Verwaltungsämtern und eine Neu-
ordnung des Steuerwesens die Mittel für Herstellung des
Gleichgewichts zu finden." Die Verwaltung soll weniger kost-
spielig gemacht werden; das Eingreifen des Staates soll über-
all da aufhören, wo die Provinzen, Gemeinden und die Privat-
initiative genügen können, ohne daß indessen der Staat auf
diejenige Oberaufsicht verzichtet, welche eine dem Willen der
Nation zuwiderlaufende Entwicklung des localen Lebens aus-
schließt. -- Der letzte Theil der Thronrede ist mit einem Nach-
druck, den nur die jüngst bekannt gewordenen, auf Zusammen-
fassung aller staatsfeindlichen klerikalen Kräfte gerichteten
neuen Anstrengungen des Vaticans erklärlich machen, der
Zurückweisung aller gegen die Staatsgewalt und die königliche
Souveränetät gerichteten, "im Namen der Religion" unternom-
menen Angriffe gewidmet. Vielleicht wäre es besser, wenn von
der Unantastbarkeit der Institutionen weniger oft und feierlich
die Rede wäre. Aber die Regierung mag geglaubt haben,
sowohl den klerikalen als den radicalen Staatsfeinden, wenn
auch beide weit entfernt sind, eine ernstliche Gefahr für Italien
zu bilden, eine neue Warnung zukommen lassen zu sollen.
Allgemeiner Zustimmung ist die Zusage sicher, daß die italie-
nische Monarchie, "gegründet auf die Plebiscite und die Ueber-
lieferung", ein Pfand des Friedens und der Freiheit, jeder
gesetzlichen Bethätigung offen ist, daß sie Vertrauen zum Fort-
schritt hat und jede Reform annimmt, welche dem Wohle des
Volkes dient, "dessen Liebe die Basis des Thrones ist". Es
fehlt in der Thronrede jede Andeutung des Weges, auf welchem
[Spaltenumbruch] die Regierung die nothwendigen Ersparungen verwirklichen, die
wirthschaftliche Lage und den Credit heben, durch die Gesetz-
gebung den enterbten Classen zu Hülfe kommen wolle. Es ist
daher sehr begreiflich, daß die öffentliche Meinung zunächst
mehr beunruhigt worden ist, umsomehr, als die ganz un-
erwartete Ministerkrisis am Tage vor der Parlamentseröff-
nung den gewagtesten Vermuthungen Thür und Thor öffnete.
Während 24 Stunden zuvor die Meinungsverschiedenheiten
zwischen dem Finanz- und dem Bautenminister als ausgeglichen
bezeichnet werden und ihrer Natur nach so angesehen werden
mußten, erfuhr man mit Staunen, daß der König am 9. Dec.
Vormittags das Entlassungsgesuch Giolitti's genehmigt und
Grimaldi zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Der Bauten-
minister, welcher, dem Ersparnißprogramm gehorsam, die Mehr-
forderung von 17 Millionen auf 3 Millionen ermäßigt hatte,
weigerte sich, auch auf diese 3 Millionen zu verzichten, wie
Giolitti unerbittlich verlangte, und er stellte sein Portefeuille
dem Ministerpräsidenten zur Verfügung. Dieser bot es dem
Finanzminister an, damit er versuche, ohne die 3 Millionen
auszukommen. Giolitti lehnte sowohl dies wie auch den Vor-
schlag, der Kammer die Entscheidung zu überlassen, ab, weil er
versprochen hatte, ein im Gleichgewicht befindliches Budget
vorzulegen, und er zog vor, zurückzutreten. Crispi, der in der
gestrigen Mehrheitsversammlung -- an welcher 280 De-
putirte theilnahmen -- diese Vorgänge bestätigte, fügte
zur Beschwichtigung der entstandenen Besorgnisse hinzu, daß
das Finanzprogramm der Negierung nicht die geringste
Aenderung erleide, daß kein Centesimo neuer Steuern aufgelegt
werden solle und daß der nächstjährige Fehlbetrag auf
7 Millionen reducirt sei. Und das Gleichgewicht?!

* Eine der "Pol. Corr." aus Rom zugehende Meldung
versichert auf Grund von nicht anzuzweifelnden Mittheilungen,
daß der Eintritt des Herrn Grimaldi in das italienische
Cabinet als Finanzminister keinerlei Aenderung in dem be-
kannten Finanzprogramm der Regierung zur Folge haben
werde. Es sei vorauszusehen, daß Hr. Grimaldi, dessen Be-
streben auf finanzpolitischem Gebiete stets auf die Herstellung
des Gleichgewichtes im italienischen Staatshaushalte gerichtet
war, seine Thätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen,
welche hiefür weit günstiger sind als die früheren, mit um so größerer
Energie auf die Erreichung dieses Zieles concentriren werde.
Weiter wird gemeldet, daß dem Ministerpräsidenten Crispi
ein vom König des Tigre-Gebietes, Ras Mangascha, unter-
zeichneter, gleichzeitig aber auch im Namen des Negus
Menelik, dessen Vasall Mangascha ist, geschriebener Brief
zugekommen ist, welcher einen sehr freundschaftlichen Charakter
trägt und volle Ergebenheit für Italien zum Ausdruck bringt.
Das Schreiben gipfelt in der Erklärung Mangascha's, daß
Italien und Aethiopien für alle Zukunft als unzertrennlich
anzusehen seien. Diese Kundgebung bildet die gründlichste
Widerlegung der von französischen Journalen, insbesondere
vom Pariser "Siecle" (vgl. die gestrige Tagesschau. D. R.)
in jüngster Zeit verbreiteten Gerüchte über eine angeblich
in den Beziehungen Italiens zu Abessinien eingetretene
Spannung.

Schweden und Norwegen.

Aus Finnland treffen fortdauernd
sehr trübe Nachrichten ein, welche hier zu Lande große Aufregung
hervorrufen. In St. Petersburg soll jetzt eine Commission nieder-
gesetzt sein, welche die finnländische Verfassung umarbeiten soll;
der finnländische Landtag soll allerdings bestehen bleiben, aber er
soll nur die Eigenschaft einer berathenden Versammlung haben,
nicht mehr eine gesetzgebende Körperschaft sein. Ferner wird be-
richtet, daß das bestehende finnländische Strafgesetzbuch suspendirt
werden soll. Der Zar hat als Regent (Großfürst) Finnlands gar
nicht das Recht, ein verfassungsmäßig zu Stande gekommenes und
von ihm selbst sanctionirtes Gesetz außer Kraft zu setzen, aber
von der russischen Gewaltherrschaft kann man eben Alles erwarten.
Die angedrohte Suspendirung des Strafgesetzbuches soll den Rück-
tritt des finnländischen Senators Montgomery bewirkt haben.
Dieser legte schon vor vier Jahren sein damaliges Staats-
procuratoramt wegen russischer Uebergriffe nieder; 1887 wurde er
dann Präsident des Wasa-Hofgerichts und im darauf folgenden
Jahre wurde er Mitglied des Comites für finnische Angelegen-
heiten im Staatssecretariat zu St. Petersburg. Montgomery ist
der dritte ausscheidende Senator, ihm gingen voran die Senatoren
Mechelin und Weißenberg. Das von unserm Hofe wohlorientirte
"Stockholms Dagblad" schreibt anläßlich der aufregenden Vor-
gänge in Finnland: "Daß einer der bedeutendsten Männer Finn-
lands nach dem anderen auf solche Weise seinen verantwortungs-
vollen Posten verläßt, ist in Wahrheit ein trauriges Zeichen der
Zeit, welches, wie so vieles Andere, zeigt, wie schlecht es in
unserm alten Bruderlande bestellt ist." Sehr gespannt ist man
hier, wie der am 22. Januar zusammentretende finnländische
Landtag sich zu den russischen Gewaltmaßregeln stellen wird. Daß
derselbe sich gegen diese auflehnen wird, steht mit Sicherheit zu
erwarten.

Rußland.

Dem "Bureau Reuter" wird
von hier gemeldet: Der Nihilistenproceß, der gegenwärtig vor
einer außerordentlichen Abtheilung des Senats verhandelt wird,
dürfte bis Ende dieses Jahres dauern, denn die Angeklagten sind
zahlreich. Sie wurden aus verschiedenen Gründen zu verschiedenen
Zeiten seit Beginn des laufenden Jahres verhaftet. Es wird
ihnen in Gruppen von je fünf der Proceß gemacht. Wie die
Hauptfigur der ersten vor etwa drei Wochen schuldig befundenen
Gruppe (Sophie Günsberg), ist auch die hervorragendste Persön-
lichkeit der zweiten Gruppe von Angeklagten, deren Proceß
jetzt verhandelt wird, ein junges Weib, und zwar die nahe
Anverwandte eines ziemlich hochgestellten Beamten des
Cultusministeriums, der ein dem heiligen Synod gehöriges
Haus bewohnt. In diesem Hause wurde die junge Frau ver-
hastet und die Polizei fand gleichzeitig dort zahlreiche revo-
lutionäre Proclamationen, etliche Bomben und eine Quantität
Dynamit vor. Ganz besondere Umstände erregten den Verdacht
der Behörden und veranlaßten sie, eine Haussuchung dort vorzu-
nehmen. Die junge Dame heißt Olga Iwanowsky und studirte
Medicin. Eine ihrer intimsten Freundinnen war Sophie Güns-
berg. Ihr Onkel ist der Geheimrath Illinsky, Leiter einer Ab-
theilung im heiligen Synod am Liteinaia-Prospect. Die Polizei-
behörde wurde durch einen anonymen Brief veranlaßt, eine Haus-
suchung in der Wohnung Illinsky's vorzunehmen. In den von
Illinsky bewohnten Gemächern entdeckte die Polizei eine Anzahl
revolutionärer Proclamationen, Manuscripte in Ziffernschrist, eine
Quantität Dynamit und eine große Anzahl von Briefen des
Frl. Iwanowsky. Aus den Briefen ging hervor, daß sie einen
sehr ausgedehnten Briefwechsel mit Nihilisten im In- und Auslande
unterhielt. Die junge Dame wurde sofort verhaftet. Die mit
Beschlag belegten Briefe lieferten der Polizei die Namen und
[Spaltenumbruch] Adressen von Nihilisten, auf welche sie lange gefahndet hatte, und
sie nahm nun in verschiedenen Theilen des Reiches eine Reihe
von Verhaftungen vor. Im Laufe des Processes wurde festge-
stellt, daß täglich Nihilistenversammlungen unter dem Vorsitz von
Olga Iwanowsky in dem Hause am Liteinaia-Prospect statt-
fanden, und zwar immer, wenn Geheimrath Illinsky in Amts-
geschäften abwesend war.

* Die Russificirung der baltischen Provinzen nimmt
ihren Fortgang und die dem Deutschthum feindseligsten Organe
sprechen ihre volle Zufriedenheit mit dem jetzigen entschiedenen Vor-
gehen der Regierung aus. Die "Moskauer (russische) Zeitung"
freut sich, daß der baltische Adel seiner "Vorrechte" gründlich ent-
kleidet wird; habe er ja doch nur dann russische Gesinnung gezeigt,
wenn es sich um Erhaltung seiner Privilegien handelte, im ent-
gegengesetzten Fall habe er unter russischer, wie früher unter schwedi-
scher und polnischer Herrschaft sich nicht geschent, den Schutz des
Auslands anzurufen! -- Was den Ausgleich der Institutionen
Finnlands mit denjenigen des Kaiserreichs betrifft, so wird den
rigaischen "Wjestnik" aus St. Petersburg geschrieben: Die Ar-
beiten der unter dem Vorsitz des Grafen Heyden behufs der Zoll-
vereinigung
Finnlands mit Rußland niedergesetzten besonderen
Commission rücken rüstig vorwärts, da ihre Beendigung mit der-
jenigen der Arbeiten der Tarifcommission zusammenfallen soll. Wie
man hört, beabsichtigt die Commission, in Finnland den Differential-
tarif zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig ungesäumt die
volle Vereinigung der finnländischen Zollinstitutionen mit denjenigen
des ganzen Reiches zu vollziehen. Ueberhaupt findet die Commis-
sion, daß die völlige Aufhebung der Zollgrenze zwischen dem Groß-
fürstenthum und dem Reich nur eine Frage der nächsten Zeit sein
dürfte, da die producirende Industrie beider Länder bei einer der-
artigen Entscheidung der Frage durchaus nicht leide, daß diese Frage
aber nur nach Uebergang der finnländischen Zollämter in das
Ressort der russischen Zollverwaltung verwirklicht werden könne, sobald
die letzten Maßregeln zur Erfüllung dieser Angelegenheit klargestellt
sein werden. Bis dahin sei es aber unerläßlich, das Reich vor
dem Zustrom ausländischer Producte und Erzeugnisse unter dem
Deckmantel finnländischer zu schützen, wie es bereits das Finanz-
ministerium angeregt habe. Zugleich hat die Commission für noth-
wendig befunden, gleichzeitig mit der Entscheidung der Zollfrage,
einheitliche Regeln und Steuern für die Handelsflotten des
Großsürstenthums und des Reichs festzustellen, da die gegenwärtig
in dieser Beziehung bestehenden Vorschriften sich durch große Un-
gleichmäßigkeit und sogar geradezu durch Ungerechtigkeit auszeichnen,
was wiederum äußerst schädlich auf die russische Handelsschifffahrt
einwirkt. Was die Verschmelzung des Münzverkehrs angeht,
so ist im Princip bereits beschlossen, den finnländischen Münzhof
zu schließen und in dem Großfürstenthum dieselbe Gold- und Silber-
münze einzuführen, wie sie im Reich im Verkehr ist, umsomehr, als
sich die finnländische von der letzteren nur durch die Benennungen
unterscheidet, dem Werthe nach aber ihr fast vollständig entspricht.
Was die Einführung der Creditbillete im Großfürstenthum an-
betrifft, so wird diese Frage noch nicht bearbeitet.

Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von
Theaterplacaten, sonstigen Affichen, Wohnungsanzeigen u. s. w. in
deutscher Sprache allein verboten und die Beifügung eines
russischen Textes für alle derartigen Kundmachungen vorge-
schrieben. -- Die russische Regierung hat die Einführung eines
intensiven Unterrichtes in der russischen Sprache, 10 bis 20
Stunden wöchentlich, an den Volksschulen der in Südrußland be-
stehenden deutschen Mennoniten-Colonien verfügt -- eine
Maßregel, durch welche die von der Regierung beschlossene voll-
ständige Verdrängung der deutschen Unterrichtssprache an diesen
Anstalten und ihre Ersetzung durch das Russische angebahnt wer-
den soll.

Rumänien.

In der heutigen Kammersitzung
wurde die von der Adreßcommission in Vorschlag gebrachte
Antwort auf die Eröffnungs-Thronrede verlesen. Einzig und
allein eine Umschreibung der diesmal außergewöhnlich lang
ausgefallenen Thronrede bietend, wird der in Rede stehende
Adreßentwurf eben in Folge seiner Länge den oppositionellen
Parteien willkommene Gelegenheit zur Einbringung zahlreicher
Abänderungs- und Zusatzanträge bieten, deren einziger Zweck
lediglich auf obstructionistischem Gebiete zu suchen sein wird.
Haben ja doch auch die von altconservativer, nationalliberaler
und radicaler Seite eingebrachten Proteste gegen den ver-
fassungsmäßigen Charakter des Ministeriums Mano eben auch
nur die Verhinderung jedweder positiven parlamentarischen Leistung
im Auge, während die von nationalliberaler und altconservativer
Seite eingeleitete außerparlamentarische Parallelaction die Thätig-
keit der Regierung dem großen Publicum gegenüber herab-
zusetzen bemüht ist. So kündigt eine in der vorgestrigen Ver-
sammlung der nationalliberalen Partei gefaßte Resolution
die "energischeste Fortsetzung des Kampfes gegen die dem
Lande gegen seinen Willen aufgezwungene Willkürherrschaft"
an, während die Anhänger Catargiu's und Vernesco's ein Mani-
fest an die Bevölkerung vorbereiten, welches ebenso, wie die
Erklärung L. Catargiu's gegen den angeblich mit der Ver-
fassung in Widerspruch stehenden Fortbestand der gegenwärtigen
Regierung gerichtet ist. Ob es dem Zusammenwirken der
nationalliberalen und der altconservativen Opposition gelingen
wird, das Cabinet Mano zum Falle zu bringen, hängt in
erster Reihe von der Verläßlichkeit des conservativen Flügels
der Regierungspartei ab, und es würde im Hinblick auf die
schon bei verschiedenen Anlässen zu Tage getretene Unzuver-
lässigkeit der gouvernemental-conservativen Partei, namentlich
des Senats, doch eine etwas allzu optimistische Auffassung
der inneren politischen Lage bekunden, wenn man die Krisen-
gefahr als eine durch das jüngste Vertrauensvotum des
Senats überwundene ansehen wollte. -- Die Meldungen
hiesiger Blätter, daß Cultusminister Majoresco bei der
Pfortenregierung die Errichtung eines rumänischen Bis-
thums in Makedonien
beantragt habe oder beantragen
werde, werden vom officiösen Blatte unsres Auswärtigen
Amtes mit aller Entschiedenheit dementirt. Wohl seien der
hohen Pforte angesichts des zur Sperrung der orthodoxen
Kirchen Makedoniens führenden Kirchenstreites mehrere Ge-
suche der makedonischen Rumänen um Bestellung eines der
rumänischen Sprache mächtigen Bischofs zugegangen. Aber
abgesehen davon, daß diese Gesuche durch die mittlerweile
zur Beilegung des Conflictes ergriffenen Maßregeln und durch
die Wiedereröffnung der makedonischen Kirchen gegenstandslos
geworden seien, habe die Regierung Rumäniens auch niemals
daran gedacht, sich in eine innere Angelegenheit des befreun-
deten Pfortenstaates zu mengen. -- Nach amtlichen Mitthei-
lungen wird die öffentliche Schuld am 1./13. April
Frcs. 934,718,040.98 betragen und sind für dieselbe in das
Budget des Verwaltungsjahres 1891--1892 Frcs. 54,803,743
als Jahreserforderniß an Zinsen und Amortisationsquoten
eingestellt worden.

Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung. 14. December 1890.


[Spaltenumbruch]
Inhalts-Ueberſicht.
Niederlande. P. Amſterdam: Miniſterium. Deficit. H. de Veer.
Italien.Rom: Zum Inhalt der Thronrede. Die Miniſter-
kriſis und das Finanzprogramm der Regierung. * Zur Er-
nennung Grimaldi’s. Aus Afrika.
Schweden und Norwegen.Stockholm: Zur Ruſſificirung
Finnlands.
Rußland. St. Petersburg: Nihiliſtenproceß. Ruſſificirung.
Rumänien. H. Bukareſt: Aus dem Parlament. Zum make-
doniſchen Kirchenconflict. Staatsſchuld.
Montenegro. Weinbau auf den Schwarzen Bergen.
Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft.
Niederlande.

Der Verlauf der erſten Sitzung
der Zweiten Kammer nach dem Tode des Königs zeigte, wie ſehr
es den Abgeordneten Bedürſniß war, ſich wieder einmal gründlich
auszuſprechen. Der Colonialminiſter Makay mußte es am meiſten
entgelten. Schon ſeit einigen Tagen wird ihm von der geſammten
Preſſe ein Verſtoß gegen die Verfaſſung vorgehalten. Das Mini-
ſterium
hatte nämlich, wahrſcheinlich mit Rückſicht auf den ange-
griffenen Zuſtand der Königin-Regentin, unterlaſſen, der Form wegen
ſeine Entlaſſung einzureichen und die Königin-Regentin wiederum
hatte durch Cabinetsordre das Miniſterium beſtätigt. Dies
dünkt einem Theil der Preſſe ungeheuerlich, und namentlich
die Radicalen rühren die Alarmtrommel ganz energiſch.
Unangenehmer als dieſer Zwiſchenfall iſt für den Miniſterpräſi-
denten das Deficit von 23 Millionen Gulden im indiſchen Budget
und wenig tröſtlich klingen ſeine Entſchuldigungen: „Die ſchlechte
Kaffeeernte trage die Schuld, der Zuſtand ſei nicht hoffnungslos;
die Ueberſchüſſe der früheren Jahre genügten zur Deckung; eine
Anleihe ſei unnöthig.“ Feſt ſteht, daß die Deficite im Colonial-
budget ſich von Jahr zu Jahr mehren. Der Atjeh-Krieg allerdings
verſchlingt Unſummen; auch die unglückliche Zinnexpedition nach Flores
erfordert viele Opfer an Geld und Menſchen, allein die eigentliche Ur-
ſache ſitzt tiefer. Das Gouvernement ermuntert das Privatcapital
viel zu wenig und die chineſiſche Mauer, die nunmehr gegen aus-
wärtiges Capital errichtet iſt durch das Verbot gegen Niederlaſſungen
nicht holländiſcher Landbauunternehmungen, wird auch das Ihrige
dazu beitragen. Das directe telegraphiſche Verbindungskabel mit
Surinam (Riederländiſch-Indien) wurde geſtern eröffnet. Der
Preis eines Wortes beträgt 1 fl. 10 Cents mehr als früher.
H. de Veer, der langjährige Redacteur des Volksblattes „Nieuws
van den Dag“, das ſehr viel Sympathie für Deutſchland hegt, iſt
heute im 61. Lebensjahre geſtorben.

Italien.

Daß die Thronrede, mit welcher
heute die 17. Legislaturperiode eröffnet worden iſt, ein
ſtiliſtiſches Meiſterſtück ſei, kann nicht behauptet werden. In
vielfach ſchwerfälligem und unbeholfenem Ausdruck, dem man
die Verlegenheit über die plötzlich ausgebrochene Miniſterkriſis
anzumerken meint, und in ſprungweiſer Darſtellung reiht ſie
mühſam die Geſichtspunkte aneinander, welche die Regierung
vor der zum erſten Mal verſammelten neuen Volksvertretung
entwickeln zu müſſen glaubte. Trotz der Kürze und an-
ſcheinenden Beſtimmtheit der mit Redeblumen durchflochtenen
Sätze wird man den Eindruck nicht los, daß die Thronrede
nicht gewagt hat, ebenſo entſchieden wie die Turiner Pro-
grammrede des Miniſterpräſidenten von den Abſichten der Re-
gierung zu reden, welche den dringenden Wünſchen des Landes
entſprechen und dasſelbe bewogen haben, bei den Wahlen ſich
mit ſo großer Mehrheit für die gegenwärtige Politik auszu-
ſprechen. Mit Befriedigung werden die Italiener von neuem
hören, was ſchon mehrere frühere Thronreden ausgeſprochen
haben: daß die Nation abermals ihr Vertrauen in die freien
Staatseinrichtungen beſtätigt hat, daß ſie in den Grundſätzen
der Ordnung und Freiheit die Baſis der modernen Geſellſchaft
erblickt, daß das ſichere Bewußtſein ſeiner Rechte und Pflichten,
der beſtimmte Ausdruck ſeines Willens dem italieniſchen Staate
überall Achtung und Anſehen verſchaffe und daß eine durchaus
friedliche Luft in Europa wehe, auch in Afrika nur noch
friedliche Aufgaben zu löſen ſeien. Auffällig gezwungen aber
ſind die Uebergänge von der mit der Motivirung des Amneſtie-
decrets verbundenen Zuſicherung, daß die Arbeiterſchutz- und
Verſorgungsgeſetzgebung die Hauptaufgabe der neuen Geſetz-
gebungsperiode bilden werde, von der Erwähnung des Eintritts
der königlichen Prinzen in den Senat und ihrer be-
ginnenden Mitwirkung an der Hebung der vaterländiſchen
Wohlfahrt und der „Befruchtung der Volksliebe“ zu der Er-
klärung, daß „deßhalb das Heer und die Flotte nicht ver-
geſſen werden ſollen“, indem „nach Erledigung der Heeres-
organiſation in den Grenzen der Vertheidigung Italien ſich
ſicher fühlt und ohne Beunruhigung die Ereigniſſe abwarten
kann.“ Wenn man dieſen Hinweis nicht als ganz überflüſſig
betrachten ſoll, ſo kann er ſchwerlich anders aufgefaßt werden,
denn als eine Zurückweiſung der Hoffnungen auf allmähliche
Herabſetzung des ungeheuer angewachſenen Militäretats. —
„Gemeinſame Sorge wird vor allem die Solidität der Finanzen
ſein müſſen.“ Es wird demgemäß die Vorlegung von Finanz-
maßregeln verheißen, von denen die Regierung das Gleichgewicht
im Staatshaushalt „erwartet“; „das Parlament wird verſtehen,
durch Erſparniſſe in den Verwaltungsämtern und eine Neu-
ordnung des Steuerweſens die Mittel für Herſtellung des
Gleichgewichts zu finden.“ Die Verwaltung ſoll weniger koſt-
ſpielig gemacht werden; das Eingreifen des Staates ſoll über-
all da aufhören, wo die Provinzen, Gemeinden und die Privat-
initiative genügen können, ohne daß indeſſen der Staat auf
diejenige Oberaufſicht verzichtet, welche eine dem Willen der
Nation zuwiderlaufende Entwicklung des localen Lebens aus-
ſchließt. — Der letzte Theil der Thronrede iſt mit einem Nach-
druck, den nur die jüngſt bekannt gewordenen, auf Zuſammen-
faſſung aller ſtaatsfeindlichen klerikalen Kräfte gerichteten
neuen Anſtrengungen des Vaticans erklärlich machen, der
Zurückweiſung aller gegen die Staatsgewalt und die königliche
Souveränetät gerichteten, „im Namen der Religion“ unternom-
menen Angriffe gewidmet. Vielleicht wäre es beſſer, wenn von
der Unantaſtbarkeit der Inſtitutionen weniger oft und feierlich
die Rede wäre. Aber die Regierung mag geglaubt haben,
ſowohl den klerikalen als den radicalen Staatsfeinden, wenn
auch beide weit entfernt ſind, eine ernſtliche Gefahr für Italien
zu bilden, eine neue Warnung zukommen laſſen zu ſollen.
Allgemeiner Zuſtimmung iſt die Zuſage ſicher, daß die italie-
niſche Monarchie, „gegründet auf die Plebiſcite und die Ueber-
lieferung“, ein Pfand des Friedens und der Freiheit, jeder
geſetzlichen Bethätigung offen iſt, daß ſie Vertrauen zum Fort-
ſchritt hat und jede Reform annimmt, welche dem Wohle des
Volkes dient, „deſſen Liebe die Baſis des Thrones iſt“. Es
fehlt in der Thronrede jede Andeutung des Weges, auf welchem
[Spaltenumbruch] die Regierung die nothwendigen Erſparungen verwirklichen, die
wirthſchaftliche Lage und den Credit heben, durch die Geſetz-
gebung den enterbten Claſſen zu Hülfe kommen wolle. Es iſt
daher ſehr begreiflich, daß die öffentliche Meinung zunächſt
mehr beunruhigt worden iſt, umſomehr, als die ganz un-
erwartete Miniſterkriſis am Tage vor der Parlamentseröff-
nung den gewagteſten Vermuthungen Thür und Thor öffnete.
Während 24 Stunden zuvor die Meinungsverſchiedenheiten
zwiſchen dem Finanz- und dem Bautenminiſter als ausgeglichen
bezeichnet werden und ihrer Natur nach ſo angeſehen werden
mußten, erfuhr man mit Staunen, daß der König am 9. Dec.
Vormittags das Entlaſſungsgeſuch Giolitti’s genehmigt und
Grimaldi zu ſeinem Nachfolger ernannt hatte. Der Bauten-
miniſter, welcher, dem Erſparnißprogramm gehorſam, die Mehr-
forderung von 17 Millionen auf 3 Millionen ermäßigt hatte,
weigerte ſich, auch auf dieſe 3 Millionen zu verzichten, wie
Giolitti unerbittlich verlangte, und er ſtellte ſein Portefeuille
dem Miniſterpräſidenten zur Verfügung. Dieſer bot es dem
Finanzminiſter an, damit er verſuche, ohne die 3 Millionen
auszukommen. Giolitti lehnte ſowohl dies wie auch den Vor-
ſchlag, der Kammer die Entſcheidung zu überlaſſen, ab, weil er
verſprochen hatte, ein im Gleichgewicht befindliches Budget
vorzulegen, und er zog vor, zurückzutreten. Criſpi, der in der
geſtrigen Mehrheitsverſammlung — an welcher 280 De-
putirte theilnahmen — dieſe Vorgänge beſtätigte, fügte
zur Beſchwichtigung der entſtandenen Beſorgniſſe hinzu, daß
das Finanzprogramm der Negierung nicht die geringſte
Aenderung erleide, daß kein Centeſimo neuer Steuern aufgelegt
werden ſolle und daß der nächſtjährige Fehlbetrag auf
7 Millionen reducirt ſei. Und das Gleichgewicht?!

* Eine der „Pol. Corr.“ aus Rom zugehende Meldung
verſichert auf Grund von nicht anzuzweifelnden Mittheilungen,
daß der Eintritt des Herrn Grimaldi in das italieniſche
Cabinet als Finanzminiſter keinerlei Aenderung in dem be-
kannten Finanzprogramm der Regierung zur Folge haben
werde. Es ſei vorauszuſehen, daß Hr. Grimaldi, deſſen Be-
ſtreben auf finanzpolitiſchem Gebiete ſtets auf die Herſtellung
des Gleichgewichtes im italieniſchen Staatshaushalte gerichtet
war, ſeine Thätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen,
welche hiefür weit günſtiger ſind als die früheren, mit um ſo größerer
Energie auf die Erreichung dieſes Zieles concentriren werde.
Weiter wird gemeldet, daß dem Miniſterpräſidenten Criſpi
ein vom König des Tigré-Gebietes, Ras Mangaſcha, unter-
zeichneter, gleichzeitig aber auch im Namen des Negus
Menelik, deſſen Vaſall Mangaſcha iſt, geſchriebener Brief
zugekommen iſt, welcher einen ſehr freundſchaftlichen Charakter
trägt und volle Ergebenheit für Italien zum Ausdruck bringt.
Das Schreiben gipfelt in der Erklärung Mangaſcha’s, daß
Italien und Aethiopien für alle Zukunft als unzertrennlich
anzuſehen ſeien. Dieſe Kundgebung bildet die gründlichſte
Widerlegung der von franzöſiſchen Journalen, insbeſondere
vom Pariſer „Siècle“ (vgl. die geſtrige Tagesſchau. D. R.)
in jüngſter Zeit verbreiteten Gerüchte über eine angeblich
in den Beziehungen Italiens zu Abeſſinien eingetretene
Spannung.

Schweden und Norwegen.

Aus Finnland treffen fortdauernd
ſehr trübe Nachrichten ein, welche hier zu Lande große Aufregung
hervorrufen. In St. Petersburg ſoll jetzt eine Commiſſion nieder-
geſetzt ſein, welche die finnländiſche Verfaſſung umarbeiten ſoll;
der finnländiſche Landtag ſoll allerdings beſtehen bleiben, aber er
ſoll nur die Eigenſchaft einer berathenden Verſammlung haben,
nicht mehr eine geſetzgebende Körperſchaft ſein. Ferner wird be-
richtet, daß das beſtehende finnländiſche Strafgeſetzbuch ſuspendirt
werden ſoll. Der Zar hat als Regent (Großfürſt) Finnlands gar
nicht das Recht, ein verfaſſungsmäßig zu Stande gekommenes und
von ihm ſelbſt ſanctionirtes Geſetz außer Kraft zu ſetzen, aber
von der ruſſiſchen Gewaltherrſchaft kann man eben Alles erwarten.
Die angedrohte Suspendirung des Strafgeſetzbuches ſoll den Rück-
tritt des finnländiſchen Senators Montgomery bewirkt haben.
Dieſer legte ſchon vor vier Jahren ſein damaliges Staats-
procuratoramt wegen ruſſiſcher Uebergriffe nieder; 1887 wurde er
dann Präſident des Waſa-Hofgerichts und im darauf folgenden
Jahre wurde er Mitglied des Comités für finniſche Angelegen-
heiten im Staatsſecretariat zu St. Petersburg. Montgomery iſt
der dritte ausſcheidende Senator, ihm gingen voran die Senatoren
Mechelin und Weißenberg. Das von unſerm Hofe wohlorientirte
„Stockholms Dagblad“ ſchreibt anläßlich der aufregenden Vor-
gänge in Finnland: „Daß einer der bedeutendſten Männer Finn-
lands nach dem anderen auf ſolche Weiſe ſeinen verantwortungs-
vollen Poſten verläßt, iſt in Wahrheit ein trauriges Zeichen der
Zeit, welches, wie ſo vieles Andere, zeigt, wie ſchlecht es in
unſerm alten Bruderlande beſtellt iſt.“ Sehr geſpannt iſt man
hier, wie der am 22. Januar zuſammentretende finnländiſche
Landtag ſich zu den ruſſiſchen Gewaltmaßregeln ſtellen wird. Daß
derſelbe ſich gegen dieſe auflehnen wird, ſteht mit Sicherheit zu
erwarten.

Rußland.

Dem „Bureau Reuter“ wird
von hier gemeldet: Der Nihiliſtenproceß, der gegenwärtig vor
einer außerordentlichen Abtheilung des Senats verhandelt wird,
dürfte bis Ende dieſes Jahres dauern, denn die Angeklagten ſind
zahlreich. Sie wurden aus verſchiedenen Gründen zu verſchiedenen
Zeiten ſeit Beginn des laufenden Jahres verhaftet. Es wird
ihnen in Gruppen von je fünf der Proceß gemacht. Wie die
Hauptfigur der erſten vor etwa drei Wochen ſchuldig befundenen
Gruppe (Sophie Günsberg), iſt auch die hervorragendſte Perſön-
lichkeit der zweiten Gruppe von Angeklagten, deren Proceß
jetzt verhandelt wird, ein junges Weib, und zwar die nahe
Anverwandte eines ziemlich hochgeſtellten Beamten des
Cultusminiſteriums, der ein dem heiligen Synod gehöriges
Haus bewohnt. In dieſem Hauſe wurde die junge Frau ver-
haſtet und die Polizei fand gleichzeitig dort zahlreiche revo-
lutionäre Proclamationen, etliche Bomben und eine Quantität
Dynamit vor. Ganz beſondere Umſtände erregten den Verdacht
der Behörden und veranlaßten ſie, eine Hausſuchung dort vorzu-
nehmen. Die junge Dame heißt Olga Iwanowsky und ſtudirte
Medicin. Eine ihrer intimſten Freundinnen war Sophie Güns-
berg. Ihr Onkel iſt der Geheimrath Illinsky, Leiter einer Ab-
theilung im heiligen Synod am Liteinaia-Proſpect. Die Polizei-
behörde wurde durch einen anonymen Brief veranlaßt, eine Haus-
ſuchung in der Wohnung Illinsky’s vorzunehmen. In den von
Illinsky bewohnten Gemächern entdeckte die Polizei eine Anzahl
revolutionärer Proclamationen, Manuſcripte in Ziffernſchriſt, eine
Quantität Dynamit und eine große Anzahl von Briefen des
Frl. Iwanowsky. Aus den Briefen ging hervor, daß ſie einen
ſehr ausgedehnten Briefwechſel mit Nihiliſten im In- und Auslande
unterhielt. Die junge Dame wurde ſofort verhaftet. Die mit
Beſchlag belegten Briefe lieferten der Polizei die Namen und
[Spaltenumbruch] Adreſſen von Nihiliſten, auf welche ſie lange gefahndet hatte, und
ſie nahm nun in verſchiedenen Theilen des Reiches eine Reihe
von Verhaftungen vor. Im Laufe des Proceſſes wurde feſtge-
ſtellt, daß täglich Nihiliſtenverſammlungen unter dem Vorſitz von
Olga Iwanowsky in dem Hauſe am Liteinaia-Proſpect ſtatt-
fanden, und zwar immer, wenn Geheimrath Illinsky in Amts-
geſchäften abweſend war.

* Die Ruſſificirung der baltiſchen Provinzen nimmt
ihren Fortgang und die dem Deutſchthum feindſeligſten Organe
ſprechen ihre volle Zufriedenheit mit dem jetzigen entſchiedenen Vor-
gehen der Regierung aus. Die „Moskauer (ruſſiſche) Zeitung“
freut ſich, daß der baltiſche Adel ſeiner „Vorrechte“ gründlich ent-
kleidet wird; habe er ja doch nur dann ruſſiſche Geſinnung gezeigt,
wenn es ſich um Erhaltung ſeiner Privilegien handelte, im ent-
gegengeſetzten Fall habe er unter ruſſiſcher, wie früher unter ſchwedi-
ſcher und polniſcher Herrſchaft ſich nicht geſchent, den Schutz des
Auslands anzurufen! — Was den Ausgleich der Inſtitutionen
Finnlands mit denjenigen des Kaiſerreichs betrifft, ſo wird den
rigaiſchen „Wjeſtnik“ aus St. Petersburg geſchrieben: Die Ar-
beiten der unter dem Vorſitz des Grafen Heyden behufs der Zoll-
vereinigung
Finnlands mit Rußland niedergeſetzten beſonderen
Commiſſion rücken rüſtig vorwärts, da ihre Beendigung mit der-
jenigen der Arbeiten der Tarifcommiſſion zuſammenfallen ſoll. Wie
man hört, beabſichtigt die Commiſſion, in Finnland den Differential-
tarif zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig ungeſäumt die
volle Vereinigung der finnländiſchen Zollinſtitutionen mit denjenigen
des ganzen Reiches zu vollziehen. Ueberhaupt findet die Commiſ-
ſion, daß die völlige Aufhebung der Zollgrenze zwiſchen dem Groß-
fürſtenthum und dem Reich nur eine Frage der nächſten Zeit ſein
dürfte, da die producirende Induſtrie beider Länder bei einer der-
artigen Entſcheidung der Frage durchaus nicht leide, daß dieſe Frage
aber nur nach Uebergang der finnländiſchen Zollämter in das
Reſſort der ruſſiſchen Zollverwaltung verwirklicht werden könne, ſobald
die letzten Maßregeln zur Erfüllung dieſer Angelegenheit klargeſtellt
ſein werden. Bis dahin ſei es aber unerläßlich, das Reich vor
dem Zuſtrom ausländiſcher Producte und Erzeugniſſe unter dem
Deckmantel finnländiſcher zu ſchützen, wie es bereits das Finanz-
miniſterium angeregt habe. Zugleich hat die Commiſſion für noth-
wendig befunden, gleichzeitig mit der Entſcheidung der Zollfrage,
einheitliche Regeln und Steuern für die Handelsflotten des
Großſürſtenthums und des Reichs feſtzuſtellen, da die gegenwärtig
in dieſer Beziehung beſtehenden Vorſchriften ſich durch große Un-
gleichmäßigkeit und ſogar geradezu durch Ungerechtigkeit auszeichnen,
was wiederum äußerſt ſchädlich auf die ruſſiſche Handelsſchifffahrt
einwirkt. Was die Verſchmelzung des Münzverkehrs angeht,
ſo iſt im Princip bereits beſchloſſen, den finnländiſchen Münzhof
zu ſchließen und in dem Großfürſtenthum dieſelbe Gold- und Silber-
münze einzuführen, wie ſie im Reich im Verkehr iſt, umſomehr, als
ſich die finnländiſche von der letzteren nur durch die Benennungen
unterſcheidet, dem Werthe nach aber ihr faſt vollſtändig entſpricht.
Was die Einführung der Creditbillete im Großfürſtenthum an-
betrifft, ſo wird dieſe Frage noch nicht bearbeitet.

Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von
Theaterplacaten, ſonſtigen Affichen, Wohnungsanzeigen u. ſ. w. in
deutſcher Sprache allein verboten und die Beifügung eines
ruſſiſchen Textes für alle derartigen Kundmachungen vorge-
ſchrieben. — Die ruſſiſche Regierung hat die Einführung eines
intenſiven Unterrichtes in der ruſſiſchen Sprache, 10 bis 20
Stunden wöchentlich, an den Volksſchulen der in Südrußland be-
ſtehenden deutſchen Mennoniten-Colonien verfügt — eine
Maßregel, durch welche die von der Regierung beſchloſſene voll-
ſtändige Verdrängung der deutſchen Unterrichtsſprache an dieſen
Anſtalten und ihre Erſetzung durch das Ruſſiſche angebahnt wer-
den ſoll.

Rumänien.

In der heutigen Kammerſitzung
wurde die von der Adreßcommiſſion in Vorſchlag gebrachte
Antwort auf die Eröffnungs-Thronrede verleſen. Einzig und
allein eine Umſchreibung der diesmal außergewöhnlich lang
ausgefallenen Thronrede bietend, wird der in Rede ſtehende
Adreßentwurf eben in Folge ſeiner Länge den oppoſitionellen
Parteien willkommene Gelegenheit zur Einbringung zahlreicher
Abänderungs- und Zuſatzanträge bieten, deren einziger Zweck
lediglich auf obſtructioniſtiſchem Gebiete zu ſuchen ſein wird.
Haben ja doch auch die von altconſervativer, nationalliberaler
und radicaler Seite eingebrachten Proteſte gegen den ver-
faſſungsmäßigen Charakter des Miniſteriums Mano eben auch
nur die Verhinderung jedweder poſitiven parlamentariſchen Leiſtung
im Auge, während die von nationalliberaler und altconſervativer
Seite eingeleitete außerparlamentariſche Parallelaction die Thätig-
keit der Regierung dem großen Publicum gegenüber herab-
zuſetzen bemüht iſt. So kündigt eine in der vorgeſtrigen Ver-
ſammlung der nationalliberalen Partei gefaßte Reſolution
die „energiſcheſte Fortſetzung des Kampfes gegen die dem
Lande gegen ſeinen Willen aufgezwungene Willkürherrſchaft“
an, während die Anhänger Catargiu’s und Vernesco’s ein Mani-
feſt an die Bevölkerung vorbereiten, welches ebenſo, wie die
Erklärung L. Catargiu’s gegen den angeblich mit der Ver-
faſſung in Widerſpruch ſtehenden Fortbeſtand der gegenwärtigen
Regierung gerichtet iſt. Ob es dem Zuſammenwirken der
nationalliberalen und der altconſervativen Oppoſition gelingen
wird, das Cabinet Mano zum Falle zu bringen, hängt in
erſter Reihe von der Verläßlichkeit des conſervativen Flügels
der Regierungspartei ab, und es würde im Hinblick auf die
ſchon bei verſchiedenen Anläſſen zu Tage getretene Unzuver-
läſſigkeit der gouvernemental-conſervativen Partei, namentlich
des Senats, doch eine etwas allzu optimiſtiſche Auffaſſung
der inneren politiſchen Lage bekunden, wenn man die Kriſen-
gefahr als eine durch das jüngſte Vertrauensvotum des
Senats überwundene anſehen wollte. — Die Meldungen
hieſiger Blätter, daß Cultusminiſter Majoresco bei der
Pfortenregierung die Errichtung eines rumäniſchen Bis-
thums in Makedonien
beantragt habe oder beantragen
werde, werden vom officiöſen Blatte unſres Auswärtigen
Amtes mit aller Entſchiedenheit dementirt. Wohl ſeien der
hohen Pforte angeſichts des zur Sperrung der orthodoxen
Kirchen Makedoniens führenden Kirchenſtreites mehrere Ge-
ſuche der makedoniſchen Rumänen um Beſtellung eines der
rumäniſchen Sprache mächtigen Biſchofs zugegangen. Aber
abgeſehen davon, daß dieſe Geſuche durch die mittlerweile
zur Beilegung des Conflictes ergriffenen Maßregeln und durch
die Wiedereröffnung der makedoniſchen Kirchen gegenſtandslos
geworden ſeien, habe die Regierung Rumäniens auch niemals
daran gedacht, ſich in eine innere Angelegenheit des befreun-
deten Pfortenſtaates zu mengen. — Nach amtlichen Mitthei-
lungen wird die öffentliche Schuld am 1./13. April
Frcs. 934,718,040.98 betragen und ſind für dieſelbe in das
Budget des Verwaltungsjahres 1891—1892 Frcs. 54,803,743
als Jahreserforderniß an Zinſen und Amortiſationsquoten
eingeſtellt worden.

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[0009] Sonntag, Drittes Morgenblatt, Nr. 346 der Allgemeinen Zeitung. 14. December 1890. Inhalts-Ueberſicht. Niederlande. P. Amſterdam: Miniſterium. Deficit. H. de Veer. Italien. ♋ Rom: Zum Inhalt der Thronrede. Die Miniſter- kriſis und das Finanzprogramm der Regierung. * Zur Er- nennung Grimaldi’s. Aus Afrika. Schweden und Norwegen. ♁ Stockholm: Zur Ruſſificirung Finnlands. Rußland. St. Petersburg: Nihiliſtenproceß. Ruſſificirung. Rumänien. H. Bukareſt: Aus dem Parlament. Zum make- doniſchen Kirchenconflict. Staatsſchuld. Montenegro. Weinbau auf den Schwarzen Bergen. Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft. Niederlande. P. Amſterdam, 11. Dec. Der Verlauf der erſten Sitzung der Zweiten Kammer nach dem Tode des Königs zeigte, wie ſehr es den Abgeordneten Bedürſniß war, ſich wieder einmal gründlich auszuſprechen. Der Colonialminiſter Makay mußte es am meiſten entgelten. Schon ſeit einigen Tagen wird ihm von der geſammten Preſſe ein Verſtoß gegen die Verfaſſung vorgehalten. Das Mini- ſterium hatte nämlich, wahrſcheinlich mit Rückſicht auf den ange- griffenen Zuſtand der Königin-Regentin, unterlaſſen, der Form wegen ſeine Entlaſſung einzureichen und die Königin-Regentin wiederum hatte durch Cabinetsordre das Miniſterium beſtätigt. Dies dünkt einem Theil der Preſſe ungeheuerlich, und namentlich die Radicalen rühren die Alarmtrommel ganz energiſch. Unangenehmer als dieſer Zwiſchenfall iſt für den Miniſterpräſi- denten das Deficit von 23 Millionen Gulden im indiſchen Budget und wenig tröſtlich klingen ſeine Entſchuldigungen: „Die ſchlechte Kaffeeernte trage die Schuld, der Zuſtand ſei nicht hoffnungslos; die Ueberſchüſſe der früheren Jahre genügten zur Deckung; eine Anleihe ſei unnöthig.“ Feſt ſteht, daß die Deficite im Colonial- budget ſich von Jahr zu Jahr mehren. Der Atjeh-Krieg allerdings verſchlingt Unſummen; auch die unglückliche Zinnexpedition nach Flores erfordert viele Opfer an Geld und Menſchen, allein die eigentliche Ur- ſache ſitzt tiefer. Das Gouvernement ermuntert das Privatcapital viel zu wenig und die chineſiſche Mauer, die nunmehr gegen aus- wärtiges Capital errichtet iſt durch das Verbot gegen Niederlaſſungen nicht holländiſcher Landbauunternehmungen, wird auch das Ihrige dazu beitragen. Das directe telegraphiſche Verbindungskabel mit Surinam (Riederländiſch-Indien) wurde geſtern eröffnet. Der Preis eines Wortes beträgt 1 fl. 10 Cents mehr als früher. H. de Veer, der langjährige Redacteur des Volksblattes „Nieuws van den Dag“, das ſehr viel Sympathie für Deutſchland hegt, iſt heute im 61. Lebensjahre geſtorben. Italien. ♋ Rom, 10. Dec. Daß die Thronrede, mit welcher heute die 17. Legislaturperiode eröffnet worden iſt, ein ſtiliſtiſches Meiſterſtück ſei, kann nicht behauptet werden. In vielfach ſchwerfälligem und unbeholfenem Ausdruck, dem man die Verlegenheit über die plötzlich ausgebrochene Miniſterkriſis anzumerken meint, und in ſprungweiſer Darſtellung reiht ſie mühſam die Geſichtspunkte aneinander, welche die Regierung vor der zum erſten Mal verſammelten neuen Volksvertretung entwickeln zu müſſen glaubte. Trotz der Kürze und an- ſcheinenden Beſtimmtheit der mit Redeblumen durchflochtenen Sätze wird man den Eindruck nicht los, daß die Thronrede nicht gewagt hat, ebenſo entſchieden wie die Turiner Pro- grammrede des Miniſterpräſidenten von den Abſichten der Re- gierung zu reden, welche den dringenden Wünſchen des Landes entſprechen und dasſelbe bewogen haben, bei den Wahlen ſich mit ſo großer Mehrheit für die gegenwärtige Politik auszu- ſprechen. Mit Befriedigung werden die Italiener von neuem hören, was ſchon mehrere frühere Thronreden ausgeſprochen haben: daß die Nation abermals ihr Vertrauen in die freien Staatseinrichtungen beſtätigt hat, daß ſie in den Grundſätzen der Ordnung und Freiheit die Baſis der modernen Geſellſchaft erblickt, daß das ſichere Bewußtſein ſeiner Rechte und Pflichten, der beſtimmte Ausdruck ſeines Willens dem italieniſchen Staate überall Achtung und Anſehen verſchaffe und daß eine durchaus friedliche Luft in Europa wehe, auch in Afrika nur noch friedliche Aufgaben zu löſen ſeien. Auffällig gezwungen aber ſind die Uebergänge von der mit der Motivirung des Amneſtie- decrets verbundenen Zuſicherung, daß die Arbeiterſchutz- und Verſorgungsgeſetzgebung die Hauptaufgabe der neuen Geſetz- gebungsperiode bilden werde, von der Erwähnung des Eintritts der königlichen Prinzen in den Senat und ihrer be- ginnenden Mitwirkung an der Hebung der vaterländiſchen Wohlfahrt und der „Befruchtung der Volksliebe“ zu der Er- klärung, daß „deßhalb das Heer und die Flotte nicht ver- geſſen werden ſollen“, indem „nach Erledigung der Heeres- organiſation in den Grenzen der Vertheidigung Italien ſich ſicher fühlt und ohne Beunruhigung die Ereigniſſe abwarten kann.“ Wenn man dieſen Hinweis nicht als ganz überflüſſig betrachten ſoll, ſo kann er ſchwerlich anders aufgefaßt werden, denn als eine Zurückweiſung der Hoffnungen auf allmähliche Herabſetzung des ungeheuer angewachſenen Militäretats. — „Gemeinſame Sorge wird vor allem die Solidität der Finanzen ſein müſſen.“ Es wird demgemäß die Vorlegung von Finanz- maßregeln verheißen, von denen die Regierung das Gleichgewicht im Staatshaushalt „erwartet“; „das Parlament wird verſtehen, durch Erſparniſſe in den Verwaltungsämtern und eine Neu- ordnung des Steuerweſens die Mittel für Herſtellung des Gleichgewichts zu finden.“ Die Verwaltung ſoll weniger koſt- ſpielig gemacht werden; das Eingreifen des Staates ſoll über- all da aufhören, wo die Provinzen, Gemeinden und die Privat- initiative genügen können, ohne daß indeſſen der Staat auf diejenige Oberaufſicht verzichtet, welche eine dem Willen der Nation zuwiderlaufende Entwicklung des localen Lebens aus- ſchließt. — Der letzte Theil der Thronrede iſt mit einem Nach- druck, den nur die jüngſt bekannt gewordenen, auf Zuſammen- faſſung aller ſtaatsfeindlichen klerikalen Kräfte gerichteten neuen Anſtrengungen des Vaticans erklärlich machen, der Zurückweiſung aller gegen die Staatsgewalt und die königliche Souveränetät gerichteten, „im Namen der Religion“ unternom- menen Angriffe gewidmet. Vielleicht wäre es beſſer, wenn von der Unantaſtbarkeit der Inſtitutionen weniger oft und feierlich die Rede wäre. Aber die Regierung mag geglaubt haben, ſowohl den klerikalen als den radicalen Staatsfeinden, wenn auch beide weit entfernt ſind, eine ernſtliche Gefahr für Italien zu bilden, eine neue Warnung zukommen laſſen zu ſollen. Allgemeiner Zuſtimmung iſt die Zuſage ſicher, daß die italie- niſche Monarchie, „gegründet auf die Plebiſcite und die Ueber- lieferung“, ein Pfand des Friedens und der Freiheit, jeder geſetzlichen Bethätigung offen iſt, daß ſie Vertrauen zum Fort- ſchritt hat und jede Reform annimmt, welche dem Wohle des Volkes dient, „deſſen Liebe die Baſis des Thrones iſt“. Es fehlt in der Thronrede jede Andeutung des Weges, auf welchem die Regierung die nothwendigen Erſparungen verwirklichen, die wirthſchaftliche Lage und den Credit heben, durch die Geſetz- gebung den enterbten Claſſen zu Hülfe kommen wolle. Es iſt daher ſehr begreiflich, daß die öffentliche Meinung zunächſt mehr beunruhigt worden iſt, umſomehr, als die ganz un- erwartete Miniſterkriſis am Tage vor der Parlamentseröff- nung den gewagteſten Vermuthungen Thür und Thor öffnete. Während 24 Stunden zuvor die Meinungsverſchiedenheiten zwiſchen dem Finanz- und dem Bautenminiſter als ausgeglichen bezeichnet werden und ihrer Natur nach ſo angeſehen werden mußten, erfuhr man mit Staunen, daß der König am 9. Dec. Vormittags das Entlaſſungsgeſuch Giolitti’s genehmigt und Grimaldi zu ſeinem Nachfolger ernannt hatte. Der Bauten- miniſter, welcher, dem Erſparnißprogramm gehorſam, die Mehr- forderung von 17 Millionen auf 3 Millionen ermäßigt hatte, weigerte ſich, auch auf dieſe 3 Millionen zu verzichten, wie Giolitti unerbittlich verlangte, und er ſtellte ſein Portefeuille dem Miniſterpräſidenten zur Verfügung. Dieſer bot es dem Finanzminiſter an, damit er verſuche, ohne die 3 Millionen auszukommen. Giolitti lehnte ſowohl dies wie auch den Vor- ſchlag, der Kammer die Entſcheidung zu überlaſſen, ab, weil er verſprochen hatte, ein im Gleichgewicht befindliches Budget vorzulegen, und er zog vor, zurückzutreten. Criſpi, der in der geſtrigen Mehrheitsverſammlung — an welcher 280 De- putirte theilnahmen — dieſe Vorgänge beſtätigte, fügte zur Beſchwichtigung der entſtandenen Beſorgniſſe hinzu, daß das Finanzprogramm der Negierung nicht die geringſte Aenderung erleide, daß kein Centeſimo neuer Steuern aufgelegt werden ſolle und daß der nächſtjährige Fehlbetrag auf 7 Millionen reducirt ſei. Und das Gleichgewicht?! * Eine der „Pol. Corr.“ aus Rom zugehende Meldung verſichert auf Grund von nicht anzuzweifelnden Mittheilungen, daß der Eintritt des Herrn Grimaldi in das italieniſche Cabinet als Finanzminiſter keinerlei Aenderung in dem be- kannten Finanzprogramm der Regierung zur Folge haben werde. Es ſei vorauszuſehen, daß Hr. Grimaldi, deſſen Be- ſtreben auf finanzpolitiſchem Gebiete ſtets auf die Herſtellung des Gleichgewichtes im italieniſchen Staatshaushalte gerichtet war, ſeine Thätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen, welche hiefür weit günſtiger ſind als die früheren, mit um ſo größerer Energie auf die Erreichung dieſes Zieles concentriren werde. Weiter wird gemeldet, daß dem Miniſterpräſidenten Criſpi ein vom König des Tigré-Gebietes, Ras Mangaſcha, unter- zeichneter, gleichzeitig aber auch im Namen des Negus Menelik, deſſen Vaſall Mangaſcha iſt, geſchriebener Brief zugekommen iſt, welcher einen ſehr freundſchaftlichen Charakter trägt und volle Ergebenheit für Italien zum Ausdruck bringt. Das Schreiben gipfelt in der Erklärung Mangaſcha’s, daß Italien und Aethiopien für alle Zukunft als unzertrennlich anzuſehen ſeien. Dieſe Kundgebung bildet die gründlichſte Widerlegung der von franzöſiſchen Journalen, insbeſondere vom Pariſer „Siècle“ (vgl. die geſtrige Tagesſchau. D. R.) in jüngſter Zeit verbreiteten Gerüchte über eine angeblich in den Beziehungen Italiens zu Abeſſinien eingetretene Spannung. Schweden und Norwegen. ♁ Stockholm, 8. Dec. Aus Finnland treffen fortdauernd ſehr trübe Nachrichten ein, welche hier zu Lande große Aufregung hervorrufen. In St. Petersburg ſoll jetzt eine Commiſſion nieder- geſetzt ſein, welche die finnländiſche Verfaſſung umarbeiten ſoll; der finnländiſche Landtag ſoll allerdings beſtehen bleiben, aber er ſoll nur die Eigenſchaft einer berathenden Verſammlung haben, nicht mehr eine geſetzgebende Körperſchaft ſein. Ferner wird be- richtet, daß das beſtehende finnländiſche Strafgeſetzbuch ſuspendirt werden ſoll. Der Zar hat als Regent (Großfürſt) Finnlands gar nicht das Recht, ein verfaſſungsmäßig zu Stande gekommenes und von ihm ſelbſt ſanctionirtes Geſetz außer Kraft zu ſetzen, aber von der ruſſiſchen Gewaltherrſchaft kann man eben Alles erwarten. Die angedrohte Suspendirung des Strafgeſetzbuches ſoll den Rück- tritt des finnländiſchen Senators Montgomery bewirkt haben. Dieſer legte ſchon vor vier Jahren ſein damaliges Staats- procuratoramt wegen ruſſiſcher Uebergriffe nieder; 1887 wurde er dann Präſident des Waſa-Hofgerichts und im darauf folgenden Jahre wurde er Mitglied des Comités für finniſche Angelegen- heiten im Staatsſecretariat zu St. Petersburg. Montgomery iſt der dritte ausſcheidende Senator, ihm gingen voran die Senatoren Mechelin und Weißenberg. Das von unſerm Hofe wohlorientirte „Stockholms Dagblad“ ſchreibt anläßlich der aufregenden Vor- gänge in Finnland: „Daß einer der bedeutendſten Männer Finn- lands nach dem anderen auf ſolche Weiſe ſeinen verantwortungs- vollen Poſten verläßt, iſt in Wahrheit ein trauriges Zeichen der Zeit, welches, wie ſo vieles Andere, zeigt, wie ſchlecht es in unſerm alten Bruderlande beſtellt iſt.“ Sehr geſpannt iſt man hier, wie der am 22. Januar zuſammentretende finnländiſche Landtag ſich zu den ruſſiſchen Gewaltmaßregeln ſtellen wird. Daß derſelbe ſich gegen dieſe auflehnen wird, ſteht mit Sicherheit zu erwarten. Rußland. * St. Petersburg, 8. Dec. Dem „Bureau Reuter“ wird von hier gemeldet: Der Nihiliſtenproceß, der gegenwärtig vor einer außerordentlichen Abtheilung des Senats verhandelt wird, dürfte bis Ende dieſes Jahres dauern, denn die Angeklagten ſind zahlreich. Sie wurden aus verſchiedenen Gründen zu verſchiedenen Zeiten ſeit Beginn des laufenden Jahres verhaftet. Es wird ihnen in Gruppen von je fünf der Proceß gemacht. Wie die Hauptfigur der erſten vor etwa drei Wochen ſchuldig befundenen Gruppe (Sophie Günsberg), iſt auch die hervorragendſte Perſön- lichkeit der zweiten Gruppe von Angeklagten, deren Proceß jetzt verhandelt wird, ein junges Weib, und zwar die nahe Anverwandte eines ziemlich hochgeſtellten Beamten des Cultusminiſteriums, der ein dem heiligen Synod gehöriges Haus bewohnt. In dieſem Hauſe wurde die junge Frau ver- haſtet und die Polizei fand gleichzeitig dort zahlreiche revo- lutionäre Proclamationen, etliche Bomben und eine Quantität Dynamit vor. Ganz beſondere Umſtände erregten den Verdacht der Behörden und veranlaßten ſie, eine Hausſuchung dort vorzu- nehmen. Die junge Dame heißt Olga Iwanowsky und ſtudirte Medicin. Eine ihrer intimſten Freundinnen war Sophie Güns- berg. Ihr Onkel iſt der Geheimrath Illinsky, Leiter einer Ab- theilung im heiligen Synod am Liteinaia-Proſpect. Die Polizei- behörde wurde durch einen anonymen Brief veranlaßt, eine Haus- ſuchung in der Wohnung Illinsky’s vorzunehmen. In den von Illinsky bewohnten Gemächern entdeckte die Polizei eine Anzahl revolutionärer Proclamationen, Manuſcripte in Ziffernſchriſt, eine Quantität Dynamit und eine große Anzahl von Briefen des Frl. Iwanowsky. Aus den Briefen ging hervor, daß ſie einen ſehr ausgedehnten Briefwechſel mit Nihiliſten im In- und Auslande unterhielt. Die junge Dame wurde ſofort verhaftet. Die mit Beſchlag belegten Briefe lieferten der Polizei die Namen und Adreſſen von Nihiliſten, auf welche ſie lange gefahndet hatte, und ſie nahm nun in verſchiedenen Theilen des Reiches eine Reihe von Verhaftungen vor. Im Laufe des Proceſſes wurde feſtge- ſtellt, daß täglich Nihiliſtenverſammlungen unter dem Vorſitz von Olga Iwanowsky in dem Hauſe am Liteinaia-Proſpect ſtatt- fanden, und zwar immer, wenn Geheimrath Illinsky in Amts- geſchäften abweſend war. * Die Ruſſificirung der baltiſchen Provinzen nimmt ihren Fortgang und die dem Deutſchthum feindſeligſten Organe ſprechen ihre volle Zufriedenheit mit dem jetzigen entſchiedenen Vor- gehen der Regierung aus. Die „Moskauer (ruſſiſche) Zeitung“ freut ſich, daß der baltiſche Adel ſeiner „Vorrechte“ gründlich ent- kleidet wird; habe er ja doch nur dann ruſſiſche Geſinnung gezeigt, wenn es ſich um Erhaltung ſeiner Privilegien handelte, im ent- gegengeſetzten Fall habe er unter ruſſiſcher, wie früher unter ſchwedi- ſcher und polniſcher Herrſchaft ſich nicht geſchent, den Schutz des Auslands anzurufen! — Was den Ausgleich der Inſtitutionen Finnlands mit denjenigen des Kaiſerreichs betrifft, ſo wird den rigaiſchen „Wjeſtnik“ aus St. Petersburg geſchrieben: Die Ar- beiten der unter dem Vorſitz des Grafen Heyden behufs der Zoll- vereinigung Finnlands mit Rußland niedergeſetzten beſonderen Commiſſion rücken rüſtig vorwärts, da ihre Beendigung mit der- jenigen der Arbeiten der Tarifcommiſſion zuſammenfallen ſoll. Wie man hört, beabſichtigt die Commiſſion, in Finnland den Differential- tarif zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig ungeſäumt die volle Vereinigung der finnländiſchen Zollinſtitutionen mit denjenigen des ganzen Reiches zu vollziehen. Ueberhaupt findet die Commiſ- ſion, daß die völlige Aufhebung der Zollgrenze zwiſchen dem Groß- fürſtenthum und dem Reich nur eine Frage der nächſten Zeit ſein dürfte, da die producirende Induſtrie beider Länder bei einer der- artigen Entſcheidung der Frage durchaus nicht leide, daß dieſe Frage aber nur nach Uebergang der finnländiſchen Zollämter in das Reſſort der ruſſiſchen Zollverwaltung verwirklicht werden könne, ſobald die letzten Maßregeln zur Erfüllung dieſer Angelegenheit klargeſtellt ſein werden. Bis dahin ſei es aber unerläßlich, das Reich vor dem Zuſtrom ausländiſcher Producte und Erzeugniſſe unter dem Deckmantel finnländiſcher zu ſchützen, wie es bereits das Finanz- miniſterium angeregt habe. Zugleich hat die Commiſſion für noth- wendig befunden, gleichzeitig mit der Entſcheidung der Zollfrage, einheitliche Regeln und Steuern für die Handelsflotten des Großſürſtenthums und des Reichs feſtzuſtellen, da die gegenwärtig in dieſer Beziehung beſtehenden Vorſchriften ſich durch große Un- gleichmäßigkeit und ſogar geradezu durch Ungerechtigkeit auszeichnen, was wiederum äußerſt ſchädlich auf die ruſſiſche Handelsſchifffahrt einwirkt. Was die Verſchmelzung des Münzverkehrs angeht, ſo iſt im Princip bereits beſchloſſen, den finnländiſchen Münzhof zu ſchließen und in dem Großfürſtenthum dieſelbe Gold- und Silber- münze einzuführen, wie ſie im Reich im Verkehr iſt, umſomehr, als ſich die finnländiſche von der letzteren nur durch die Benennungen unterſcheidet, dem Werthe nach aber ihr faſt vollſtändig entſpricht. Was die Einführung der Creditbillete im Großfürſtenthum an- betrifft, ſo wird dieſe Frage noch nicht bearbeitet. Der Gouverneur von Kurland hat die Veröffentlichung von Theaterplacaten, ſonſtigen Affichen, Wohnungsanzeigen u. ſ. w. in deutſcher Sprache allein verboten und die Beifügung eines ruſſiſchen Textes für alle derartigen Kundmachungen vorge- ſchrieben. — Die ruſſiſche Regierung hat die Einführung eines intenſiven Unterrichtes in der ruſſiſchen Sprache, 10 bis 20 Stunden wöchentlich, an den Volksſchulen der in Südrußland be- ſtehenden deutſchen Mennoniten-Colonien verfügt — eine Maßregel, durch welche die von der Regierung beſchloſſene voll- ſtändige Verdrängung der deutſchen Unterrichtsſprache an dieſen Anſtalten und ihre Erſetzung durch das Ruſſiſche angebahnt wer- den ſoll. Rumänien. H. Bukareſt, 9. Dec. In der heutigen Kammerſitzung wurde die von der Adreßcommiſſion in Vorſchlag gebrachte Antwort auf die Eröffnungs-Thronrede verleſen. Einzig und allein eine Umſchreibung der diesmal außergewöhnlich lang ausgefallenen Thronrede bietend, wird der in Rede ſtehende Adreßentwurf eben in Folge ſeiner Länge den oppoſitionellen Parteien willkommene Gelegenheit zur Einbringung zahlreicher Abänderungs- und Zuſatzanträge bieten, deren einziger Zweck lediglich auf obſtructioniſtiſchem Gebiete zu ſuchen ſein wird. Haben ja doch auch die von altconſervativer, nationalliberaler und radicaler Seite eingebrachten Proteſte gegen den ver- faſſungsmäßigen Charakter des Miniſteriums Mano eben auch nur die Verhinderung jedweder poſitiven parlamentariſchen Leiſtung im Auge, während die von nationalliberaler und altconſervativer Seite eingeleitete außerparlamentariſche Parallelaction die Thätig- keit der Regierung dem großen Publicum gegenüber herab- zuſetzen bemüht iſt. So kündigt eine in der vorgeſtrigen Ver- ſammlung der nationalliberalen Partei gefaßte Reſolution die „energiſcheſte Fortſetzung des Kampfes gegen die dem Lande gegen ſeinen Willen aufgezwungene Willkürherrſchaft“ an, während die Anhänger Catargiu’s und Vernesco’s ein Mani- feſt an die Bevölkerung vorbereiten, welches ebenſo, wie die Erklärung L. Catargiu’s gegen den angeblich mit der Ver- faſſung in Widerſpruch ſtehenden Fortbeſtand der gegenwärtigen Regierung gerichtet iſt. Ob es dem Zuſammenwirken der nationalliberalen und der altconſervativen Oppoſition gelingen wird, das Cabinet Mano zum Falle zu bringen, hängt in erſter Reihe von der Verläßlichkeit des conſervativen Flügels der Regierungspartei ab, und es würde im Hinblick auf die ſchon bei verſchiedenen Anläſſen zu Tage getretene Unzuver- läſſigkeit der gouvernemental-conſervativen Partei, namentlich des Senats, doch eine etwas allzu optimiſtiſche Auffaſſung der inneren politiſchen Lage bekunden, wenn man die Kriſen- gefahr als eine durch das jüngſte Vertrauensvotum des Senats überwundene anſehen wollte. — Die Meldungen hieſiger Blätter, daß Cultusminiſter Majoresco bei der Pfortenregierung die Errichtung eines rumäniſchen Bis- thums in Makedonien beantragt habe oder beantragen werde, werden vom officiöſen Blatte unſres Auswärtigen Amtes mit aller Entſchiedenheit dementirt. Wohl ſeien der hohen Pforte angeſichts des zur Sperrung der orthodoxen Kirchen Makedoniens führenden Kirchenſtreites mehrere Ge- ſuche der makedoniſchen Rumänen um Beſtellung eines der rumäniſchen Sprache mächtigen Biſchofs zugegangen. Aber abgeſehen davon, daß dieſe Geſuche durch die mittlerweile zur Beilegung des Conflictes ergriffenen Maßregeln und durch die Wiedereröffnung der makedoniſchen Kirchen gegenſtandslos geworden ſeien, habe die Regierung Rumäniens auch niemals daran gedacht, ſich in eine innere Angelegenheit des befreun- deten Pfortenſtaates zu mengen. — Nach amtlichen Mitthei- lungen wird die öffentliche Schuld am 1./13. April Frcs. 934,718,040.98 betragen und ſind für dieſelbe in das Budget des Verwaltungsjahres 1891—1892 Frcs. 54,803,743 als Jahreserforderniß an Zinſen und Amortiſationsquoten eingeſtellt worden.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine346_1890/9>, abgerufen am 07.07.2024.