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Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890.

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Mittwoch,
Zweites Morgenblatt, Nr. 342 der Allgemeinen Zeitung.
10. December 1890.

Inhalts-Uebersicht.
Deutscher Reichstag. -- Preußischer Landtag.
Handel und Volkswirthschaft.



Deutscher Reichstag.
Telegraphischer Privatbericht der Allg. Ztg.
37. Sitzung.

Die Sitzung beginnt Mittags
12 1/4 Uhr. Am Tische des Bundesraths: Reichskanzler v. Ca-
privi,
die Staatssecretäre v. Boetticher, v. Maltzahn,
v. Stephan,
Kriegsminister v. Kaltenborn-Stachau u. A. --
Zunächst steht zur dritten Berathung der Gesetzentwurf, betreffend
die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen
Reiche.

Abg. Stadthagen (Soc.); Ich habe meinen juristischen und
verfassungsrechtlichen Bedenken schon bei den früheren Lesungen
Ausdruck gegeben. Der Kaiser ist nach der Verfassung befugt, das
Reich völkerrechtlich zu vertreten, er kann Verträge mit fremden
Staaten rechtsgültig abschließen, aber nur insoweit, als es sich
nicht um Gegenstände handelt, die zu ihrem Abschluß der Zustim-
mung des Bundesraths und zu ihrer Genehmigung der Zustim-
mung des Reichstags bedürfen. Das deutsch-englische Abkommen
über Helgoland enthält folche Gegenstände; es enthält Bestim-
mungen über das bürgerliche Recht, über Zoll- und Militärwesen,
es mußte also die Genehmigung des Reichstages für den Vertrag
mit England eingeholt werden, und da dies nicht geschehen ist, ist
er ebenso ungültig, wie seine Consequenz, das Abkommen betreffend
Helgoland. Es würde auch nicht genügen, diese Punkte des Vertrages
gesondert dem Reichstage vorzulegen, da der deutsch-englische Ver-
trag in Folge seines die Reichsgesetzgebung betreffenden Inhalts
nach Art. 11 der Verfassung der Genehmigung des Reichstags bedarf.
Nach der Ansicht der Regierung ist aber der Vertrag entgegen
seinem Wortlaute vom Reich abgeschlossen. Dann ist aber die
Zustimmung des Reichstags erst recht erforderlich. Aber auch wenn
der Reichstag seine Zustimmung gäbe, wäre der Vertrag doch noch
ungültig, da die Helgoländer gar nicht gefragt sind, ob sie Deutsche
werden wollen. Meine wiederholte Anfrage, ob diejenigen Helgo-
länder, welche nicht deutsch werden wollen, aus ihrem Heimathlande
verwiesen werden sollen oder nicht, ist vom Regierungstische aus nicht
beantwortet worden. Es genügt nicht, wie der Vertrag bestimmt,
den Helgoländern Gelegenheit zu geben, für Englaud zu optiren,
sondern es muß eine Erklärung von ihnen verlangt werden, daß
sie Deutsche werden wollen. Die Macht des Deutschen Reiches
darf nicht dazu mißbraucht werden, einen Zwang auf die Mit-
glieder von 500 Haushaltungen auszuüben. Wir werden also
gegen die Einverleibung Helgolands stimmen, und ich hoffe, daß
der Reichstag aus verfassungsrechtlichen Bedenken so lange noch
mit der Erledigung dieser Sache warten wird, bis das deutsch-
englische Abkommen hier genehmigt und die Helgoländer gefragt
sind, ob sie deutsch werden wollen oder nicht.

Staatssecretär v. Boetticher: Nichts ist klarer, als daß
der Deutsche Kaiser befugt ist, im Namen des Deutschen Neichs
völkerrechtlich zu verhandeln und Verträge zu schließen, und nichts
ist klarer, als daß die Reichsregierung verpflichtet ist, zur Rechts-
gültigkeit solcher Verträge die Zustimmung des Reichstags nachzu-
suchen, insoweit, wie es in Art. 11 der Verfassung heißt, die Ver-
träge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen,
welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung ge-
hören. Gerade um dieser Vorschrift des Art. 11 gerecht zu
werden, ist dem Reichstag diese Vorlage gemacht worden.
Insoweit das deutsch-englische Abkommen Gegenstände bezüglich der
Insel Helgoland berührt, welche nach Vorschrift des Art. 4 der
Reichsverfassung zum Gebiet der Reichsgesetzgebung gehören, ist
eben die Genehmigung des Reichstags in der Form nachzusuchen,
daß Ihnen eine Vorlage in Gestalt des gegenwärtigen Gesetz-
entwurfes gemacht worden ist. Es ist also bezüglich dieses
Punktes alles in schönster Ordnung. Wenn der Hr. Vorredner
auch heute wieder darauf zurückgekommen ist, daß man aus dem
deutsch-englischen Abkommen nicht klug werde, ob der Deutsche
Kaiser für sich als Person die Insel Helgoland erworben,
oder ob er die Insel für das Reich erworben habe, so ist auch
darüber von Anfang der Verhandlungen an kein Zweifel gewesen,
und es entspricht durchaus den Intentionen Sr. Majestät des Kaisers.
Daß der Kaiser hier in diesem Falle als negotiorum gestor für
das Reich gehandelt hat, dieser Begriff wird dem Hrn. Vorredner,
der ja Jurist ist, klar sein. Also der Kaiser hat die Insel Helgo-
land für das Reich erworben, und insoweit bei dieser Erwerbung
Gegenstände zu reguliren sind, die nach der Reichsverfassung dem
Gebiete der Reichsgesetzgebung angehören, ist die Zustimmung
des Reichstags nothwendig. Diese Zustimmung wird in Gestalt
der Vorlage von Ihnen begehrt. Nun hat der Hr, Vorredner
auch heute wieder einen Punkt berührt, in den er sich meines Er-
achtens gleichfalls in einem Rechtsirrthum befindet. Er hat ge-
sagt: die Helgoländer sind bisher gar nicht gehört worden, ob
sie Deutsche werden wollen oder nicht. Auch in dieser Beziehung
ist weiter nichts maßgebend gewesen, als die Nummer 2 des
deutsch-englischen Abkommens. In dieser Nummer 2 ist aus-
drücklich gesagt, daß die deutsche Regierung den aus dem abgetre-
tenen Gebiet herstammenden Personen die Befugniß gewähren
werde, vermöge einer vor dem 1. Januar 1892 von ihnen selbst
oder bei minderjährigen Kindern von deren Eltern oder Vormün-
dern abzugebenden Erklärung, die brittische Staatsangehörigkeit zu
wählen. Dieser Artikel 12 des Vertrags mit seiner Nr. 2 ist
auf Helgoland publicirt worden, und männiglich in Helgoland
weiß, daß ihm bis zum 1. Januar 1892 die Vefugniß zusteht,
für England zu optiren. Was das für Folgen hat, ist ganz klar:
Wenn Einer optirt, so wird oder bleibt er Engländer, und wenn
er in Deutschland bleibt -- und Helgoland ist deutsch -- so wird
er als ein Ausländer, der im Inland wohnt, behandelt; darüber
kann nach unserm Recht auch nicht der mindeste Zweifel sein.
Wenn der Hr. Vorredner verlangt, daß eine Erklärung dahin ab-
gegeben werde, daß diesen Optanten bis an ihr seliges
Ende die Befugniß zugestanden werden sollte, auf deutschem
Gebiet in Helgoland zu bleiben, so kann principiell eine solche
Befugniß einem Ausländer überhaupt nicht gegeben werden.
Es ist ein Recht eines jeden Staates, den Ausländer, der ihm im
Inlande unbequem wird, über seine Grenzen zu weisen. Und
dieses Recht muß natürlich auch rücksichtlich solcher Optanten auf-
recht erhalten werden. Uebrigens darf sich der Herr Vorredner
darüber beruhigen; der Fall wird nicht vorkommen. Es ist, wie
gesagt, bis jetzt -- und die erste Zeit ist ja in der Regel in dieser
Beziehung die kritischste -- noch Niemand von den Bewohnern
Helgolands gekommen, der für England optirt hätte, und ich fürchte
nach den von mir gemachten Wahrnehmungen auch nicht, daß in
Zukunft einer kommen wird. Im Gegentheil, die Leute wollen
Deutsche sein und sie werden sich, so Gott will, unter deutscher
Herrschaft mindestens ebenso wobl fühlen, wie sie bisher unter der
englischen gethan haben.

[Spaltenumbruch]

Abg. Stadthagen: Ich bleibe dabei, daß der ganze deutsch-
englische Vertrag dem Reichstage hätte vorgelegt werden müssen.
Es ist wiederum erllärt worden, daß die Helgoländer als Aus-
länder behandelt werden sollen. Das Gastrecht ist bei uns so hoch
geschätzt, daß jeder Ausländer ausgewiesen werden kann. Die
Einwohner von Helgotand, die ein natürliches Recht haben, auf
ihrer Insel zu bleiben, können also aus irgend einem Grunde aus-
gewiesen werden. Wie die Regierung dieses ihr Recht handhabt,
das sehen Sie an Elsaß-Lothringen und den übrigen annectirten
Ländern; es ist eine gerechte Forderung, daß den Helgoländern
gesagt wird: Ihr könnt brittisch bleiben oder deutsch werden; in
jedem Falle könnt ihr auf der Insel bleiben. Daß dies nicht ge-
schah, ist bezeichnend für die Art und Weise, wie Deutschland Ver-
träge schließt, sei es in der Nordsee, sei es in Afrika. Es ist das
ein Mißbrauch der Macht, eine Zwangspolitik.

Staatssecretär v. Boetticher: Ich habe dem Hrn. Vorredner
darauf nur zu erwidern, daß es sich hier nicht um Politik, noch
weniger um Zwangspolitik, sondern, daß es sich einfach darum
handelt, was unsre deutsche Verfassung erheischt, um den Erwerb
der Insel Helgoland vollständig zu machen. Wenn der Hr. Vor-
redner seine Theorien von der Nothwendigkeit einer Volksabstim-
mung hier in Deutschland zur Durchführung bringen will, dann
wird es für ihn nothwendig sein, erst die Verfassung dahin zu
ändern, daß die Volksabstimmung ein gesetzlich functionirendes
Organ werde.

Darauf werden die §§. 1--6 des Gesetzentwurfs genehmigt.

Abg. Klemm (Sachsen) beantragt, als §. 7 hinzuzufügen:
"Dieses Gesetz tritt mit der Verkündigung in Kraft".

Staatssecretär v. Boetticher stellt anheim, dem Antrage
Klemm zuzustimmen.

Der §. 7 wird angenommen. Die Schlußabstimmung über
das Gesetz im Ganzen muß aber in Folge dessen für eine spätere
Sitzung vorbehalten bleiben.

Es folgt die erste Berathung des Reichshaushaltsetats
für 1891/92 nebst dem Anleihegesetz.

Staatssecretär des Reichsschatzamts v. Maltzahn: Das Jahr
1889/90 schloß ab mit einem Ueberschuß von 2 1/2 Millionen, die
Bundesstaaten erhielten aus den Ueberweisungsmitteln 73 Mill. M.
mehr, als der Etat annahm. Diese 73 Millionen ergaben sich
daraus, daß bei den Zöllen 79 Millionen mehr einkamen, als der
Etat annahm, daß aber die Branntweinverbrauchsabgaben um
19 Millionen hinter dem Etat zurückblieben, während wieder die
Stempelabgaben 13 Millionen mehr ergaben. Auch das Jahr
1890/91 wird, soweit es sich jetzt schon überschen läßt, einen gün-
stigeren Abschluß ergeben, als der Etat angenommen hat. Nach
dem bisherigen Ergebniß bis zum Schlusse des Octobers wird man
die Ueberschüsse der Reichscasse nach Abzug der von dieser zu
leistenden Ausgaben auf 10 Millionen Mark und die Ueber-
weisungen an die Bundesstaaten auf 66--68 Millionen veranschla-
gen können. Die Erfahrungen der letzten Monate bestätigen also
meine Behauptung, die ich bei der Vorlegung des Nachtragsetats
von dieser Stelle aussprach, daß für die Anforderungen des Nach-
tragsetats im laufenden Etat zweifellos die Mittel vorhanden sein
werden, ohne die einzelnen Bundesstaaten in den Matricular-
beiträgen höher zu belasten. Der Nachtragsetat hat eine Erhöhung
der Matricularbeiträge um etwa 37 Millionen herbeigeführt.
Wenn Sie das von den 76 bis 78 Millionen abziehen, so bleibt
für die Einzelstaaten immer noch ein günstigerer Abschluß, als nach
dem Etat angenommen wurde. Die 10 Millionen Ueberschüsse der
Reichscasse für das laufende Jahr setzen sich folgendermaßen zu-
sammen: Wir haben auf Mehrausgaben zu rechnen von 132/3 Mil-
lionen. Dem stehen gegenüber Minderausgaben von 4 4/3 Mil-
lionen, so daß also 9 4/3 Millionen bleiben. Bei den Einnahmen
werden wir auf 22 Millionen Mehr- und etwa 2 4/3 Millionen
Mindereinnahmen, also etwa 19 4/3 Millionen rechnen können.
Nach Abzug der 9 4/3 Millionen Mehrausgaben bleiben also die
eben von mir genannten Millionen zu den 132/3 Millionen Mehr-
ausgaben im Auswärtigen Amte, für Gesandtschaften, Consulate etc.
Die beiden Hauptposten fallen auf die Verwaltung des Reichsheeres.
Es sind darunter sehr erhebliche Mehrausgaben bei der Brod-,
Fourage- und Victualienverpflegung in Folge der hohen Sommer-
preise, für die preußische Militärverwaltung in Höhe von 5,600,000
Mark. Allerdings sind zur Zeit die Preise nicht höher als im
Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Beim Garnisous-, Servis-
und Verwaltungswesen ist zu rechnen auf eine Mehrausgabe von
700,000 M., darunter eine halbe Million für Vergütung von Flur-
schäden, von 800,000 M. für Vorspann- und Transportkosten in
Folge des erhöhten Eisenbahn - Transports der Mann-
schaften und im Interesse einer verminderten Einquartie-
rungslast und einer früheren Entlassung der Reserven.
Außerdem sind Mehrausgaben erforderlich beim Remontewesen, bei
der Marineverwaltung, dem Reichsschatzamt und dem Nechnungshof;
die Minderausgabe von 4 1/2 Millionen ist darauf zurückzuführen,
daß die Verzinsung der Reichsschuld eine geringere Summe in
Anspruch nehmen wird, als wir annahmen; die Marktverhältnisse
während der ganzen Zeit dieses verflossenen Jahres waren un-
günstige und wir waren genöthigt, die Begebung der Reichsanleihe
auf das unbedingt Nothwendige zu beschräuken. Die Mehreinnahmen
betragen 22. die Mindereinnahmen 22/3 Millionen, es ist zu
rechnen auf eine Mehreinnahme von 11 Millionen bei der Zucker-
steuer, von 3 1/2 Millionen bei der Brausteuer, von 1 Million bei
der Wechselstempelsteuer, von 5 1/2 Millionen bei der Post- und
Telegraphen- und bei der Eisenbahnverwaltung, der Rest ist zu
erwarten bei der Salzsteuer, dem Spielkartenstempel, der statisti-
schen Gebühr und dem Bankwesen, dagegen werden wir
hinter dem Ansatz zurückbleiben bei der Maischbottich- und
Branntweinmaterialsteuer mit 2 Millionen und bei verschiedenen
Verwaltungseinnahmen. Im ganzen ist auf ein Plus von
10 Millionen für die eigenen Einnahmen des Reichs zu rechnen.
In Bezug auf die im Sommer vorigen Jahres bewilligten Stellen-
zulagen ist der Etat des letzten Jahres erst in letzter Zeit zur Aus-
führung gekommen. Die Ausschüttung dieses Titels hat sich bisher
verzögert, weil es nothwendig war, über die maßgebenden Grund-
sätze sich mit der preußischen Regierung zu verständigen. Diese
Verständigung hat jetzt stattgefunden, die Ausschüttung des Titels
ist im Gange, und ich werde Ihnen wohl über die Einzelheiten
dieser Grundsätze in der Budgetcommission jede erwünschte Aus-
kunft geben können. Für die Einzelheiten wird sich voraussichtlich
nach Abzug der Matricularbeiträge eine Mehrüberweisung von 66
bis 68 Millionen ergeben. An Zöllen sind 1889/90 eingelommen
circa 350 Millionen. In des 12 Monaten von November 1889
bis October 1890 sind eingekommen 371 1/2 Millionen. Dennoch
glaube ich nicht, daß man die Einnahmen aus den Zöllen für
1890/91 so hoch veranschlagen kann. Es hat nämlich der Getreide-
zoll von April bis October ergeben 1889 etwa 60, 1890 etwa
64 Millionen. Es ist also in den Sommermonaten von 1890
der Import von Getreide stärker gewesen, als 1889, schon deß-
halb würde es geboten sein, sich darauf vorzubereiten, daß
der Import des bevorstehenden Winters hinter dem des vorigen
Winters zurückbleiben muß. Dazu kommt, daß die Ernte
[Spaltenumbruch] des lausenden Jahres in Deutschland wesentlich besser
ist, als in den beiden vorangegangenen Jahren. Dieser
Rückgang des Imports ist um so mehr zu erwarten, als
der Nubelstand den Import von russischem Korn nach Deutschland
nicht in dem Maße begünstigt, wie im vorigen Jahre. Wir glau-
ben also den gesammten Ertrag der Zölle für das laufende Jahr
1890/91 nicht wesentlich höher veranschlagen zu dürfen, als der
Ertrag der Zölle im vorigen Etatsjahre gewesen ist. Was nun
den vorgelegten Etat für 1891/92 anlangt, so sind die Mehraus-
gaben des Ordinariums in einer ähnlichen Weise wie in den früheren
Jahren berechnet. Es wird eine Mehrausgabe im Ordinarium
von 46--47 Millionen von Ihnen gefordert, dazu kommt noch
das aus dem vorigen Jahre zu deckende Deficit von 20 Millionen,
so daß im ganzen 66 Millionen herauskommen. Darin steckt aber
eine Ausgabe von 10 Millionen, welche bestimmt sind, den April-
Coupon vom 1. April auf den 30. März zurückzulegen. Es bleiben
also rund 56 1/2 Millionen, eine sehr erhebliche Ziffer, aber von
diesen 56 4/2 Millionen beruht weitaus der größte Theil auf Ihren
frühreren Beschlüssen oder unvermeidlichen Consequenzen derselben.
Es werden die aus den Nachtragsetats folgenden Ausgaben in
vollem Jahresbetrage in den Etat eingestellt werden müssen.
Ferner hat eine sehr erhebliche Erhöhung der Titel für Beschaffung
der Munition stattfinden müssen, und wenn wir das neue Ge-
wehr eingeführt haben und das neue Pulver, so können wir uns
nicht der Nothwendigkeit entziehen, die Mehrkosten des neuen
Materials im nächsten Etat aus den laufenden Mitteln zu decken.
Dazu kommen ferner die Kosten unter den einmaligen Ausgaben
für die größere Sicherung und Erweiterung der Schießstände,
ferner die Erhöhung des Schuldentitels bei der Verzinsung der
von Ihnen bereits bewilligten Anleihen, endlich 6,229,260 M.
als erste Jahresrate der Aufwendungen in Folge des Alters- und
Invaliditätsgesetzes. Von Forderungen, die Sie früher abgelehnt
haben, ist nur eine von finanziell erheblichem Betrage wiederholt
worden, nämlich die Forderung der Gewährung von Prämien an
ausgediente Unterofficiere mit 3,800,000 M. An neuen Forde-
rungen ist eine einzige erhebliche im Etat enthalten: die Forde-
rung einer anderen Gestaltung der Entschädigung der Officiere
und Aerzte für ihre Pferdehaltung. Diese Forderung entspricht
einer Resolution des Reichstages. Ferner ist, einer weiteren
Resolution des Reichstages entsprechend, das Tempo in der Ver-
mehrung der etatsmäßigen Veamtenstellen beschleunigt worden,
z. B. bei der Neichspost- und Telegraphenverwaltung um mehr als
3000 Stellen und bei der Eisenbahnverwaltung um 200 Stellen.
Ferner hat der Reichstag eine Resolution beschlossen in Bezug auf
die Einführung der Altersdienststusen für die Besoldung der etats-
mäßigen Beamten. Zur Zeit besteht in unserm Etat sowohl das
System der Durchschnittssätze, als das des Avancements nach Dienst-
altersstufen, das letztere im Bereiche der Reichseisenbahnver-
waltung. Bei den übrigen Etats sind hie und da, wo unter dem
System der Durchschnittsgehaltssätze Stagnationen eintreten, wie
früher auch in diesem Etat, besondere Forderungen gestellt, um
derartige Ungleichheiten durch künftig wegfallende Bewilligungen
auszugleichen. Im übrigen werden wir die durch die Resolution
angeregte Frage in Fühlung mit der preußischen Regierung zu
verfolgen haben. Die preußische Regierung ist, soweit ich orientirt
bin, geneigt, dem entsprechenden Verlangen ihres Landtages näher
zu treten. Im Etat der Reichsschulden ist eine ziemlich erhebliche
Ausgabeerhöhung bei den Ausgaben für Zinsen zu erwarten.
Diese Zinsen sind in dem vorliegenden Etat als dreiprocentige
Zinsen berechnet und in der Presse ist diese Verechnung sehr scharf
kritisirt worden. Diese Kritik beruht auf einer Verkennung der
Sachlage. Der Umstand, daß man den Voranschlag auf Grund
einer 3 4/2-oder 4procentigen Verzinsung macht, ist für das
schließliche Verfahren bei der Vergebung der Anleihe keineswegs
bindend. Die Frage, ob für später zu begebende Theile der
Reichsanleihe der 3proc. Typus beibehalten oder auf den 3 1/2procentigen
zurückgegangen werden soll, ist zur Zeit eine völlig offene.
Ich brauche aber nicht hervorzuheben, daß die Gestaltung des
Marktes von der Reichs-Finanzverwaltung mindestens mit der-
selben Aufmerksamkeit verfolgt wird, wie von den übrigen bethei-
ligten Kreisen, und daß die Ausgabe des letzten Postens der
Reichsanleihe zu 3 Proc. nur nach sehr langen und eingehenden
Erwägungen erfolgt ist, welche selbstverständlich in beständiger
Fühlung mit der preußischen Finanzverwaltung geführt worden
sind. Wir befanden uns in einer absoluten Zwangslage. -- Die
Veranschlagung der Einnahmen ist nach den bisherigen Grund-
sätzen erfolgt. Die Einnahmen aus den Zöllen sind auf 314 bis
315 Millionen zu veranschlagen. Wir können nicht darauf
rechnen, daß im nächsten Jahre eine ebenso hohe Ueber-
schreitung des Etatsansatzes, wie wir sie in den beiden
letzten Jahren erlebt haben, erfolgen wird. Ja, es ist
überhaupt zweifelhaft, ob der Etatstitel erreicht wird.
Wir haben uns bei der Berechnung an die dreijährige Fraction
gehalten. Was nun die Theilung der Ausgaben in Vezug auf
ihre Deckung betrifft, so sind dem außerordentlichen Etat zuge-
wiesen 91,790,000 M. Davon sollen durch Anleihe 86 Millionen
gedeckt werden; darunter befinden sich etwa 62 1/2 Millionen, für
welche Anleihebewilligungen noch nicht vorliegen. Wir haben in
der Richtung einer solideren Finanzirung unsres Etats einen
Schritt vorwärts gethan. Sie wissen, daß bei der Deckung der
einmaligen Ausgaben der Marineverwaltung bisher immer 5
Millionen als Zuschuß aus den ordentlichen Einnahmen des Reichs
in den Etat eingestellt sind. In dem vorliegenden Etat haben wir
diese Summe von 5 auf 10 Millionen erhöht. Dann haben wir zu
demselben Zwecke, wie erwähnt, die Forderung von mehr als 10
Millionen eingestellt an einmaligen Ausgaben, um den Aprilcoupon
des nächsten Jahres in das laufende Jahr herüberzunehmen.
Früher ist die Verzinsung der Reichsanleihe, soweit sie am 1. April
fällig war, aus den Mitteln des neuen Etatsjahres gedeckt worden;
das ist unbedenklich, so lange die Gesammtsumme unserer Schulden
eine unbedeutende war; es wird bedenklich, wenn es sich um den
Posten von 10 Millionen handelt. Es wird um so bedenklicher,
als dieser Posten von 10 Millionen, den die Reichsfinanzverwal-
tung am ersten Tage des neuen Etatsjahres zu zahlen hat, das
ganze Jahr hindurch natürlich bei ihrem Betriebsfonds sehlt und
als die Betriebsfonds selbst gegenüber den gemessenen Aufgaben
des Reiches sich mehr und mehr als recht knapp bemessen darstel-
len. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß im nächsten Jahre
unser Betriebsfonds erhöht werden muß. Umsomehr schien es uns
geboten, jetzt, wo wir es unserer Meinung nach ohne wesent-
liche Uebelstände thun könnten, dieselben Coupons in das
alte Jahr, der es wirthschaftlich angehört, herüber zu nehmen.
Diese Summe von 10 Millionen schlagen wir Ihnen vor, durch
einen besonderen §. 7 des Etatsgesetzes ausnahmsweise derjenigen
Summe zu entnehmen, welche den Einzelstaaten nach der Francken-
stein'schen Clausel zufließen würde. Wenn Sie von den 66 bis
68 Millionen Ueberweisungen diese 10 Millionen abziehen, so
bleiben immer noch 56 bis 58 Millionen für die Einzelstaaten
übrig. Was nun das Gesammtergebniß des Ihnen vorliegenden
Etats betrifft, so fordert er von Ihnen eine Matricularumlage

Mittwoch,
Zweites Morgenblatt, Nr. 342 der Allgemeinen Zeitung.
10. December 1890.

Inhalts-Ueberſicht.
Deutſcher Reichstag. — Preußiſcher Landtag.
Handel und Volkswirthſchaft.



Deutſcher Reichstag.
Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg.
37. Sitzung.

Die Sitzung beginnt Mittags
12 1/4 Uhr. Am Tiſche des Bundesraths: Reichskanzler v. Ca-
privi,
die Staatsſecretäre v. Boetticher, v. Maltzahn,
v. Stephan,
Kriegsminiſter v. Kaltenborn-Stachau u. A. —
Zunächſt ſteht zur dritten Berathung der Geſetzentwurf, betreffend
die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutſchen
Reiche.

Abg. Stadthagen (Soc.); Ich habe meinen juriſtiſchen und
verfaſſungsrechtlichen Bedenken ſchon bei den früheren Leſungen
Ausdruck gegeben. Der Kaiſer iſt nach der Verfaſſung befugt, das
Reich völkerrechtlich zu vertreten, er kann Verträge mit fremden
Staaten rechtsgültig abſchließen, aber nur inſoweit, als es ſich
nicht um Gegenſtände handelt, die zu ihrem Abſchluß der Zuſtim-
mung des Bundesraths und zu ihrer Genehmigung der Zuſtim-
mung des Reichstags bedürfen. Das deutſch-engliſche Abkommen
über Helgoland enthält folche Gegenſtände; es enthält Beſtim-
mungen über das bürgerliche Recht, über Zoll- und Militärweſen,
es mußte alſo die Genehmigung des Reichstages für den Vertrag
mit England eingeholt werden, und da dies nicht geſchehen iſt, iſt
er ebenſo ungültig, wie ſeine Conſequenz, das Abkommen betreffend
Helgoland. Es würde auch nicht genügen, dieſe Punkte des Vertrages
geſondert dem Reichstage vorzulegen, da der deutſch-engliſche Ver-
trag in Folge ſeines die Reichsgeſetzgebung betreffenden Inhalts
nach Art. 11 der Verfaſſung der Genehmigung des Reichstags bedarf.
Nach der Anſicht der Regierung iſt aber der Vertrag entgegen
ſeinem Wortlaute vom Reich abgeſchloſſen. Dann iſt aber die
Zuſtimmung des Reichstags erſt recht erforderlich. Aber auch wenn
der Reichstag ſeine Zuſtimmung gäbe, wäre der Vertrag doch noch
ungültig, da die Helgoländer gar nicht gefragt ſind, ob ſie Deutſche
werden wollen. Meine wiederholte Anfrage, ob diejenigen Helgo-
länder, welche nicht deutſch werden wollen, aus ihrem Heimathlande
verwieſen werden ſollen oder nicht, iſt vom Regierungstiſche aus nicht
beantwortet worden. Es genügt nicht, wie der Vertrag beſtimmt,
den Helgoländern Gelegenheit zu geben, für Englaud zu optiren,
ſondern es muß eine Erklärung von ihnen verlangt werden, daß
ſie Deutſche werden wollen. Die Macht des Deutſchen Reiches
darf nicht dazu mißbraucht werden, einen Zwang auf die Mit-
glieder von 500 Haushaltungen auszuüben. Wir werden alſo
gegen die Einverleibung Helgolands ſtimmen, und ich hoffe, daß
der Reichstag aus verfaſſungsrechtlichen Bedenken ſo lange noch
mit der Erledigung dieſer Sache warten wird, bis das deutſch-
engliſche Abkommen hier genehmigt und die Helgoländer gefragt
ſind, ob ſie deutſch werden wollen oder nicht.

Staatsſecretär v. Boetticher: Nichts iſt klarer, als daß
der Deutſche Kaiſer befugt iſt, im Namen des Deutſchen Neichs
völkerrechtlich zu verhandeln und Verträge zu ſchließen, und nichts
iſt klarer, als daß die Reichsregierung verpflichtet iſt, zur Rechts-
gültigkeit ſolcher Verträge die Zuſtimmung des Reichstags nachzu-
ſuchen, inſoweit, wie es in Art. 11 der Verfaſſung heißt, die Ver-
träge mit fremden Staaten ſich auf ſolche Gegenſtände beziehen,
welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgeſetzgebung ge-
hören. Gerade um dieſer Vorſchrift des Art. 11 gerecht zu
werden, iſt dem Reichstag dieſe Vorlage gemacht worden.
Inſoweit das deutſch-engliſche Abkommen Gegenſtände bezüglich der
Inſel Helgoland berührt, welche nach Vorſchrift des Art. 4 der
Reichsverfaſſung zum Gebiet der Reichsgeſetzgebung gehören, iſt
eben die Genehmigung des Reichstags in der Form nachzuſuchen,
daß Ihnen eine Vorlage in Geſtalt des gegenwärtigen Geſetz-
entwurfes gemacht worden iſt. Es iſt alſo bezüglich dieſes
Punktes alles in ſchönſter Ordnung. Wenn der Hr. Vorredner
auch heute wieder darauf zurückgekommen iſt, daß man aus dem
deutſch-engliſchen Abkommen nicht klug werde, ob der Deutſche
Kaiſer für ſich als Perſon die Inſel Helgoland erworben,
oder ob er die Inſel für das Reich erworben habe, ſo iſt auch
darüber von Anfang der Verhandlungen an kein Zweifel geweſen,
und es entſpricht durchaus den Intentionen Sr. Majeſtät des Kaiſers.
Daß der Kaiſer hier in dieſem Falle als negotiorum gestor für
das Reich gehandelt hat, dieſer Begriff wird dem Hrn. Vorredner,
der ja Juriſt iſt, klar ſein. Alſo der Kaiſer hat die Inſel Helgo-
land für das Reich erworben, und inſoweit bei dieſer Erwerbung
Gegenſtände zu reguliren ſind, die nach der Reichsverfaſſung dem
Gebiete der Reichsgeſetzgebung angehören, iſt die Zuſtimmung
des Reichstags nothwendig. Dieſe Zuſtimmung wird in Geſtalt
der Vorlage von Ihnen begehrt. Nun hat der Hr, Vorredner
auch heute wieder einen Punkt berührt, in den er ſich meines Er-
achtens gleichfalls in einem Rechtsirrthum befindet. Er hat ge-
ſagt: die Helgoländer ſind bisher gar nicht gehört worden, ob
ſie Deutſche werden wollen oder nicht. Auch in dieſer Beziehung
iſt weiter nichts maßgebend geweſen, als die Nummer 2 des
deutſch-engliſchen Abkommens. In dieſer Nummer 2 iſt aus-
drücklich geſagt, daß die deutſche Regierung den aus dem abgetre-
tenen Gebiet herſtammenden Perſonen die Befugniß gewähren
werde, vermöge einer vor dem 1. Januar 1892 von ihnen ſelbſt
oder bei minderjährigen Kindern von deren Eltern oder Vormün-
dern abzugebenden Erklärung, die brittiſche Staatsangehörigkeit zu
wählen. Dieſer Artikel 12 des Vertrags mit ſeiner Nr. 2 iſt
auf Helgoland publicirt worden, und männiglich in Helgoland
weiß, daß ihm bis zum 1. Januar 1892 die Vefugniß zuſteht,
für England zu optiren. Was das für Folgen hat, iſt ganz klar:
Wenn Einer optirt, ſo wird oder bleibt er Engländer, und wenn
er in Deutſchland bleibt — und Helgoland iſt deutſch — ſo wird
er als ein Ausländer, der im Inland wohnt, behandelt; darüber
kann nach unſerm Recht auch nicht der mindeſte Zweifel ſein.
Wenn der Hr. Vorredner verlangt, daß eine Erklärung dahin ab-
gegeben werde, daß dieſen Optanten bis an ihr ſeliges
Ende die Befugniß zugeſtanden werden ſollte, auf deutſchem
Gebiet in Helgoland zu bleiben, ſo kann principiell eine ſolche
Befugniß einem Ausländer überhaupt nicht gegeben werden.
Es iſt ein Recht eines jeden Staates, den Ausländer, der ihm im
Inlande unbequem wird, über ſeine Grenzen zu weiſen. Und
dieſes Recht muß natürlich auch rückſichtlich ſolcher Optanten auf-
recht erhalten werden. Uebrigens darf ſich der Herr Vorredner
darüber beruhigen; der Fall wird nicht vorkommen. Es iſt, wie
geſagt, bis jetzt — und die erſte Zeit iſt ja in der Regel in dieſer
Beziehung die kritiſchſte — noch Niemand von den Bewohnern
Helgolands gekommen, der für England optirt hätte, und ich fürchte
nach den von mir gemachten Wahrnehmungen auch nicht, daß in
Zukunft einer kommen wird. Im Gegentheil, die Leute wollen
Deutſche ſein und ſie werden ſich, ſo Gott will, unter deutſcher
Herrſchaft mindeſtens ebenſo wobl fühlen, wie ſie bisher unter der
engliſchen gethan haben.

[Spaltenumbruch]

Abg. Stadthagen: Ich bleibe dabei, daß der ganze deutſch-
engliſche Vertrag dem Reichstage hätte vorgelegt werden müſſen.
Es iſt wiederum erllärt worden, daß die Helgoländer als Aus-
länder behandelt werden ſollen. Das Gaſtrecht iſt bei uns ſo hoch
geſchätzt, daß jeder Ausländer ausgewieſen werden kann. Die
Einwohner von Helgotand, die ein natürliches Recht haben, auf
ihrer Inſel zu bleiben, können alſo aus irgend einem Grunde aus-
gewieſen werden. Wie die Regierung dieſes ihr Recht handhabt,
das ſehen Sie an Elſaß-Lothringen und den übrigen annectirten
Ländern; es iſt eine gerechte Forderung, daß den Helgoländern
geſagt wird: Ihr könnt brittiſch bleiben oder deutſch werden; in
jedem Falle könnt ihr auf der Inſel bleiben. Daß dies nicht ge-
ſchah, iſt bezeichnend für die Art und Weiſe, wie Deutſchland Ver-
träge ſchließt, ſei es in der Nordſee, ſei es in Afrika. Es iſt das
ein Mißbrauch der Macht, eine Zwangspolitik.

Staatsſecretär v. Boetticher: Ich habe dem Hrn. Vorredner
darauf nur zu erwidern, daß es ſich hier nicht um Politik, noch
weniger um Zwangspolitik, ſondern, daß es ſich einfach darum
handelt, was unſre deutſche Verfaſſung erheiſcht, um den Erwerb
der Inſel Helgoland vollſtändig zu machen. Wenn der Hr. Vor-
redner ſeine Theorien von der Nothwendigkeit einer Volksabſtim-
mung hier in Deutſchland zur Durchführung bringen will, dann
wird es für ihn nothwendig ſein, erſt die Verfaſſung dahin zu
ändern, daß die Volksabſtimmung ein geſetzlich functionirendes
Organ werde.

Darauf werden die §§. 1—6 des Geſetzentwurfs genehmigt.

Abg. Klemm (Sachſen) beantragt, als §. 7 hinzuzufügen:
„Dieſes Geſetz tritt mit der Verkündigung in Kraft“.

Staatsſecretär v. Boetticher ſtellt anheim, dem Antrage
Klemm zuzuſtimmen.

Der §. 7 wird angenommen. Die Schlußabſtimmung über
das Geſetz im Ganzen muß aber in Folge deſſen für eine ſpätere
Sitzung vorbehalten bleiben.

Es folgt die erſte Berathung des Reichshaushaltsetats
für 1891/92 nebſt dem Anleihegeſetz.

Staatsſecretär des Reichsſchatzamts v. Maltzahn: Das Jahr
1889/90 ſchloß ab mit einem Ueberſchuß von 2 1/2 Millionen, die
Bundesſtaaten erhielten aus den Ueberweiſungsmitteln 73 Mill. M.
mehr, als der Etat annahm. Dieſe 73 Millionen ergaben ſich
daraus, daß bei den Zöllen 79 Millionen mehr einkamen, als der
Etat annahm, daß aber die Branntweinverbrauchsabgaben um
19 Millionen hinter dem Etat zurückblieben, während wieder die
Stempelabgaben 13 Millionen mehr ergaben. Auch das Jahr
1890/91 wird, ſoweit es ſich jetzt ſchon überſchen läßt, einen gün-
ſtigeren Abſchluß ergeben, als der Etat angenommen hat. Nach
dem bisherigen Ergebniß bis zum Schluſſe des Octobers wird man
die Ueberſchüſſe der Reichscaſſe nach Abzug der von dieſer zu
leiſtenden Ausgaben auf 10 Millionen Mark und die Ueber-
weiſungen an die Bundesſtaaten auf 66—68 Millionen veranſchla-
gen können. Die Erfahrungen der letzten Monate beſtätigen alſo
meine Behauptung, die ich bei der Vorlegung des Nachtragsetats
von dieſer Stelle ausſprach, daß für die Anforderungen des Nach-
tragsetats im laufenden Etat zweifellos die Mittel vorhanden ſein
werden, ohne die einzelnen Bundesſtaaten in den Matricular-
beiträgen höher zu belaſten. Der Nachtragsetat hat eine Erhöhung
der Matricularbeiträge um etwa 37 Millionen herbeigeführt.
Wenn Sie das von den 76 bis 78 Millionen abziehen, ſo bleibt
für die Einzelſtaaten immer noch ein günſtigerer Abſchluß, als nach
dem Etat angenommen wurde. Die 10 Millionen Ueberſchüſſe der
Reichscaſſe für das laufende Jahr ſetzen ſich folgendermaßen zu-
ſammen: Wir haben auf Mehrausgaben zu rechnen von 132/3 Mil-
lionen. Dem ſtehen gegenüber Minderausgaben von 4 4/3 Mil-
lionen, ſo daß alſo 9 4/3 Millionen bleiben. Bei den Einnahmen
werden wir auf 22 Millionen Mehr- und etwa 2 4/3 Millionen
Mindereinnahmen, alſo etwa 19 4/3 Millionen rechnen können.
Nach Abzug der 9 4/3 Millionen Mehrausgaben bleiben alſo die
eben von mir genannten Millionen zu den 132/3 Millionen Mehr-
ausgaben im Auswärtigen Amte, für Geſandtſchaften, Conſulate ꝛc.
Die beiden Hauptpoſten fallen auf die Verwaltung des Reichsheeres.
Es ſind darunter ſehr erhebliche Mehrausgaben bei der Brod-,
Fourage- und Victualienverpflegung in Folge der hohen Sommer-
preiſe, für die preußiſche Militärverwaltung in Höhe von 5,600,000
Mark. Allerdings ſind zur Zeit die Preiſe nicht höher als im
Durchſchnitt der letzten zehn Jahre. Beim Garniſous-, Servis-
und Verwaltungsweſen iſt zu rechnen auf eine Mehrausgabe von
700,000 M., darunter eine halbe Million für Vergütung von Flur-
ſchäden, von 800,000 M. für Vorſpann- und Transportkoſten in
Folge des erhöhten Eiſenbahn – Transports der Mann-
ſchaften und im Intereſſe einer verminderten Einquartie-
rungslaſt und einer früheren Entlaſſung der Reſerven.
Außerdem ſind Mehrausgaben erforderlich beim Remonteweſen, bei
der Marineverwaltung, dem Reichsſchatzamt und dem Nechnungshof;
die Minderausgabe von 4 1/2 Millionen iſt darauf zurückzuführen,
daß die Verzinſung der Reichsſchuld eine geringere Summe in
Anſpruch nehmen wird, als wir annahmen; die Marktverhältniſſe
während der ganzen Zeit dieſes verfloſſenen Jahres waren un-
günſtige und wir waren genöthigt, die Begebung der Reichsanleihe
auf das unbedingt Nothwendige zu beſchräuken. Die Mehreinnahmen
betragen 22. die Mindereinnahmen 22/3 Millionen, es iſt zu
rechnen auf eine Mehreinnahme von 11 Millionen bei der Zucker-
ſteuer, von 3 1/2 Millionen bei der Brauſteuer, von 1 Million bei
der Wechſelſtempelſteuer, von 5 1/2 Millionen bei der Poſt- und
Telegraphen- und bei der Eiſenbahnverwaltung, der Reſt iſt zu
erwarten bei der Salzſteuer, dem Spielkartenſtempel, der ſtatiſti-
ſchen Gebühr und dem Bankweſen, dagegen werden wir
hinter dem Anſatz zurückbleiben bei der Maiſchbottich- und
Branntweinmaterialſteuer mit 2 Millionen und bei verſchiedenen
Verwaltungseinnahmen. Im ganzen iſt auf ein Plus von
10 Millionen für die eigenen Einnahmen des Reichs zu rechnen.
In Bezug auf die im Sommer vorigen Jahres bewilligten Stellen-
zulagen iſt der Etat des letzten Jahres erſt in letzter Zeit zur Aus-
führung gekommen. Die Ausſchüttung dieſes Titels hat ſich bisher
verzögert, weil es nothwendig war, über die maßgebenden Grund-
ſätze ſich mit der preußiſchen Regierung zu verſtändigen. Dieſe
Verſtändigung hat jetzt ſtattgefunden, die Ausſchüttung des Titels
iſt im Gange, und ich werde Ihnen wohl über die Einzelheiten
dieſer Grundſätze in der Budgetcommiſſion jede erwünſchte Aus-
kunft geben können. Für die Einzelheiten wird ſich vorausſichtlich
nach Abzug der Matricularbeiträge eine Mehrüberweiſung von 66
bis 68 Millionen ergeben. An Zöllen ſind 1889/90 eingelommen
circa 350 Millionen. In des 12 Monaten von November 1889
bis October 1890 ſind eingekommen 371 1/2 Millionen. Dennoch
glaube ich nicht, daß man die Einnahmen aus den Zöllen für
1890/91 ſo hoch veranſchlagen kann. Es hat nämlich der Getreide-
zoll von April bis October ergeben 1889 etwa 60, 1890 etwa
64 Millionen. Es iſt alſo in den Sommermonaten von 1890
der Import von Getreide ſtärker geweſen, als 1889, ſchon deß-
halb würde es geboten ſein, ſich darauf vorzubereiten, daß
der Import des bevorſtehenden Winters hinter dem des vorigen
Winters zurückbleiben muß. Dazu kommt, daß die Ernte
[Spaltenumbruch] des lauſenden Jahres in Deutſchland weſentlich beſſer
iſt, als in den beiden vorangegangenen Jahren. Dieſer
Rückgang des Imports iſt um ſo mehr zu erwarten, als
der Nubelſtand den Import von ruſſiſchem Korn nach Deutſchland
nicht in dem Maße begünſtigt, wie im vorigen Jahre. Wir glau-
ben alſo den geſammten Ertrag der Zölle für das laufende Jahr
1890/91 nicht weſentlich höher veranſchlagen zu dürfen, als der
Ertrag der Zölle im vorigen Etatsjahre geweſen iſt. Was nun
den vorgelegten Etat für 1891/92 anlangt, ſo ſind die Mehraus-
gaben des Ordinariums in einer ähnlichen Weiſe wie in den früheren
Jahren berechnet. Es wird eine Mehrausgabe im Ordinarium
von 46—47 Millionen von Ihnen gefordert, dazu kommt noch
das aus dem vorigen Jahre zu deckende Deficit von 20 Millionen,
ſo daß im ganzen 66 Millionen herauskommen. Darin ſteckt aber
eine Ausgabe von 10 Millionen, welche beſtimmt ſind, den April-
Coupon vom 1. April auf den 30. März zurückzulegen. Es bleiben
alſo rund 56 1/2 Millionen, eine ſehr erhebliche Ziffer, aber von
dieſen 56 4/2 Millionen beruht weitaus der größte Theil auf Ihren
frühreren Beſchlüſſen oder unvermeidlichen Conſequenzen derſelben.
Es werden die aus den Nachtragsetats folgenden Ausgaben in
vollem Jahresbetrage in den Etat eingeſtellt werden müſſen.
Ferner hat eine ſehr erhebliche Erhöhung der Titel für Beſchaffung
der Munition ſtattfinden müſſen, und wenn wir das neue Ge-
wehr eingeführt haben und das neue Pulver, ſo können wir uns
nicht der Nothwendigkeit entziehen, die Mehrkoſten des neuen
Materials im nächſten Etat aus den laufenden Mitteln zu decken.
Dazu kommen ferner die Koſten unter den einmaligen Ausgaben
für die größere Sicherung und Erweiterung der Schießſtände,
ferner die Erhöhung des Schuldentitels bei der Verzinſung der
von Ihnen bereits bewilligten Anleihen, endlich 6,229,260 M.
als erſte Jahresrate der Aufwendungen in Folge des Alters- und
Invaliditätsgeſetzes. Von Forderungen, die Sie früher abgelehnt
haben, iſt nur eine von finanziell erheblichem Betrage wiederholt
worden, nämlich die Forderung der Gewährung von Prämien an
ausgediente Unterofficiere mit 3,800,000 M. An neuen Forde-
rungen iſt eine einzige erhebliche im Etat enthalten: die Forde-
rung einer anderen Geſtaltung der Entſchädigung der Officiere
und Aerzte für ihre Pferdehaltung. Dieſe Forderung entſpricht
einer Reſolution des Reichstages. Ferner iſt, einer weiteren
Reſolution des Reichstages entſprechend, das Tempo in der Ver-
mehrung der etatsmäßigen Veamtenſtellen beſchleunigt worden,
z. B. bei der Neichspoſt- und Telegraphenverwaltung um mehr als
3000 Stellen und bei der Eiſenbahnverwaltung um 200 Stellen.
Ferner hat der Reichstag eine Reſolution beſchloſſen in Bezug auf
die Einführung der Altersdienſtſtuſen für die Beſoldung der etats-
mäßigen Beamten. Zur Zeit beſteht in unſerm Etat ſowohl das
Syſtem der Durchſchnittsſätze, als das des Avancements nach Dienſt-
altersſtufen, das letztere im Bereiche der Reichseiſenbahnver-
waltung. Bei den übrigen Etats ſind hie und da, wo unter dem
Syſtem der Durchſchnittsgehaltsſätze Stagnationen eintreten, wie
früher auch in dieſem Etat, beſondere Forderungen geſtellt, um
derartige Ungleichheiten durch künftig wegfallende Bewilligungen
auszugleichen. Im übrigen werden wir die durch die Reſolution
angeregte Frage in Fühlung mit der preußiſchen Regierung zu
verfolgen haben. Die preußiſche Regierung iſt, ſoweit ich orientirt
bin, geneigt, dem entſprechenden Verlangen ihres Landtages näher
zu treten. Im Etat der Reichsſchulden iſt eine ziemlich erhebliche
Ausgabeerhöhung bei den Ausgaben für Zinſen zu erwarten.
Dieſe Zinſen ſind in dem vorliegenden Etat als dreiprocentige
Zinſen berechnet und in der Preſſe iſt dieſe Verechnung ſehr ſcharf
kritiſirt worden. Dieſe Kritik beruht auf einer Verkennung der
Sachlage. Der Umſtand, daß man den Voranſchlag auf Grund
einer 3 4/2-oder 4procentigen Verzinſung macht, iſt für das
ſchließliche Verfahren bei der Vergebung der Anleihe keineswegs
bindend. Die Frage, ob für ſpäter zu begebende Theile der
Reichsanleihe der 3proc. Typus beibehalten oder auf den 3 1/2procentigen
zurückgegangen werden ſoll, iſt zur Zeit eine völlig offene.
Ich brauche aber nicht hervorzuheben, daß die Geſtaltung des
Marktes von der Reichs-Finanzverwaltung mindeſtens mit der-
ſelben Aufmerkſamkeit verfolgt wird, wie von den übrigen bethei-
ligten Kreiſen, und daß die Ausgabe des letzten Poſtens der
Reichsanleihe zu 3 Proc. nur nach ſehr langen und eingehenden
Erwägungen erfolgt iſt, welche ſelbſtverſtändlich in beſtändiger
Fühlung mit der preußiſchen Finanzverwaltung geführt worden
ſind. Wir befanden uns in einer abſoluten Zwangslage. — Die
Veranſchlagung der Einnahmen iſt nach den bisherigen Grund-
ſätzen erfolgt. Die Einnahmen aus den Zöllen ſind auf 314 bis
315 Millionen zu veranſchlagen. Wir können nicht darauf
rechnen, daß im nächſten Jahre eine ebenſo hohe Ueber-
ſchreitung des Etatsanſatzes, wie wir ſie in den beiden
letzten Jahren erlebt haben, erfolgen wird. Ja, es iſt
überhaupt zweifelhaft, ob der Etatstitel erreicht wird.
Wir haben uns bei der Berechnung an die dreijährige Fraction
gehalten. Was nun die Theilung der Ausgaben in Vezug auf
ihre Deckung betrifft, ſo ſind dem außerordentlichen Etat zuge-
wieſen 91,790,000 M. Davon ſollen durch Anleihe 86 Millionen
gedeckt werden; darunter befinden ſich etwa 62 1/2 Millionen, für
welche Anleihebewilligungen noch nicht vorliegen. Wir haben in
der Richtung einer ſolideren Finanzirung unſres Etats einen
Schritt vorwärts gethan. Sie wiſſen, daß bei der Deckung der
einmaligen Ausgaben der Marineverwaltung bisher immer 5
Millionen als Zuſchuß aus den ordentlichen Einnahmen des Reichs
in den Etat eingeſtellt ſind. In dem vorliegenden Etat haben wir
dieſe Summe von 5 auf 10 Millionen erhöht. Dann haben wir zu
demſelben Zwecke, wie erwähnt, die Forderung von mehr als 10
Millionen eingeſtellt an einmaligen Ausgaben, um den Aprilcoupon
des nächſten Jahres in das laufende Jahr herüberzunehmen.
Früher iſt die Verzinſung der Reichsanleihe, ſoweit ſie am 1. April
fällig war, aus den Mitteln des neuen Etatsjahres gedeckt worden;
das iſt unbedenklich, ſo lange die Geſammtſumme unſerer Schulden
eine unbedeutende war; es wird bedenklich, wenn es ſich um den
Poſten von 10 Millionen handelt. Es wird um ſo bedenklicher,
als dieſer Poſten von 10 Millionen, den die Reichsfinanzverwal-
tung am erſten Tage des neuen Etatsjahres zu zahlen hat, das
ganze Jahr hindurch natürlich bei ihrem Betriebsfonds ſehlt und
als die Betriebsfonds ſelbſt gegenüber den gemeſſenen Aufgaben
des Reiches ſich mehr und mehr als recht knapp bemeſſen darſtel-
len. Ich halte es für ſehr wahrſcheinlich, daß im nächſten Jahre
unſer Betriebsfonds erhöht werden muß. Umſomehr ſchien es uns
geboten, jetzt, wo wir es unſerer Meinung nach ohne weſent-
liche Uebelſtände thun könnten, dieſelben Coupons in das
alte Jahr, der es wirthſchaftlich angehört, herüber zu nehmen.
Dieſe Summe von 10 Millionen ſchlagen wir Ihnen vor, durch
einen beſonderen §. 7 des Etatsgeſetzes ausnahmsweiſe derjenigen
Summe zu entnehmen, welche den Einzelſtaaten nach der Francken-
ſtein’ſchen Clauſel zufließen würde. Wenn Sie von den 66 bis
68 Millionen Ueberweiſungen dieſe 10 Millionen abziehen, ſo
bleiben immer noch 56 bis 58 Millionen für die Einzelſtaaten
übrig. Was nun das Geſammtergebniß des Ihnen vorliegenden
Etats betrifft, ſo fordert er von Ihnen eine Matricularumlage

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[0005] Mittwoch, Zweites Morgenblatt, Nr. 342 der Allgemeinen Zeitung. 10. December 1890. Inhalts-Ueberſicht. Deutſcher Reichstag. — Preußiſcher Landtag. Handel und Volkswirthſchaft. Deutſcher Reichstag. Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg. 37. Sitzung. ⎈ Berlin, 9. Dec. Die Sitzung beginnt Mittags 12 1/4 Uhr. Am Tiſche des Bundesraths: Reichskanzler v. Ca- privi, die Staatsſecretäre v. Boetticher, v. Maltzahn, v. Stephan, Kriegsminiſter v. Kaltenborn-Stachau u. A. — Zunächſt ſteht zur dritten Berathung der Geſetzentwurf, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutſchen Reiche. Abg. Stadthagen (Soc.); Ich habe meinen juriſtiſchen und verfaſſungsrechtlichen Bedenken ſchon bei den früheren Leſungen Ausdruck gegeben. Der Kaiſer iſt nach der Verfaſſung befugt, das Reich völkerrechtlich zu vertreten, er kann Verträge mit fremden Staaten rechtsgültig abſchließen, aber nur inſoweit, als es ſich nicht um Gegenſtände handelt, die zu ihrem Abſchluß der Zuſtim- mung des Bundesraths und zu ihrer Genehmigung der Zuſtim- mung des Reichstags bedürfen. Das deutſch-engliſche Abkommen über Helgoland enthält folche Gegenſtände; es enthält Beſtim- mungen über das bürgerliche Recht, über Zoll- und Militärweſen, es mußte alſo die Genehmigung des Reichstages für den Vertrag mit England eingeholt werden, und da dies nicht geſchehen iſt, iſt er ebenſo ungültig, wie ſeine Conſequenz, das Abkommen betreffend Helgoland. Es würde auch nicht genügen, dieſe Punkte des Vertrages geſondert dem Reichstage vorzulegen, da der deutſch-engliſche Ver- trag in Folge ſeines die Reichsgeſetzgebung betreffenden Inhalts nach Art. 11 der Verfaſſung der Genehmigung des Reichstags bedarf. Nach der Anſicht der Regierung iſt aber der Vertrag entgegen ſeinem Wortlaute vom Reich abgeſchloſſen. Dann iſt aber die Zuſtimmung des Reichstags erſt recht erforderlich. Aber auch wenn der Reichstag ſeine Zuſtimmung gäbe, wäre der Vertrag doch noch ungültig, da die Helgoländer gar nicht gefragt ſind, ob ſie Deutſche werden wollen. Meine wiederholte Anfrage, ob diejenigen Helgo- länder, welche nicht deutſch werden wollen, aus ihrem Heimathlande verwieſen werden ſollen oder nicht, iſt vom Regierungstiſche aus nicht beantwortet worden. Es genügt nicht, wie der Vertrag beſtimmt, den Helgoländern Gelegenheit zu geben, für Englaud zu optiren, ſondern es muß eine Erklärung von ihnen verlangt werden, daß ſie Deutſche werden wollen. Die Macht des Deutſchen Reiches darf nicht dazu mißbraucht werden, einen Zwang auf die Mit- glieder von 500 Haushaltungen auszuüben. Wir werden alſo gegen die Einverleibung Helgolands ſtimmen, und ich hoffe, daß der Reichstag aus verfaſſungsrechtlichen Bedenken ſo lange noch mit der Erledigung dieſer Sache warten wird, bis das deutſch- engliſche Abkommen hier genehmigt und die Helgoländer gefragt ſind, ob ſie deutſch werden wollen oder nicht. Staatsſecretär v. Boetticher: Nichts iſt klarer, als daß der Deutſche Kaiſer befugt iſt, im Namen des Deutſchen Neichs völkerrechtlich zu verhandeln und Verträge zu ſchließen, und nichts iſt klarer, als daß die Reichsregierung verpflichtet iſt, zur Rechts- gültigkeit ſolcher Verträge die Zuſtimmung des Reichstags nachzu- ſuchen, inſoweit, wie es in Art. 11 der Verfaſſung heißt, die Ver- träge mit fremden Staaten ſich auf ſolche Gegenſtände beziehen, welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgeſetzgebung ge- hören. Gerade um dieſer Vorſchrift des Art. 11 gerecht zu werden, iſt dem Reichstag dieſe Vorlage gemacht worden. Inſoweit das deutſch-engliſche Abkommen Gegenſtände bezüglich der Inſel Helgoland berührt, welche nach Vorſchrift des Art. 4 der Reichsverfaſſung zum Gebiet der Reichsgeſetzgebung gehören, iſt eben die Genehmigung des Reichstags in der Form nachzuſuchen, daß Ihnen eine Vorlage in Geſtalt des gegenwärtigen Geſetz- entwurfes gemacht worden iſt. Es iſt alſo bezüglich dieſes Punktes alles in ſchönſter Ordnung. Wenn der Hr. Vorredner auch heute wieder darauf zurückgekommen iſt, daß man aus dem deutſch-engliſchen Abkommen nicht klug werde, ob der Deutſche Kaiſer für ſich als Perſon die Inſel Helgoland erworben, oder ob er die Inſel für das Reich erworben habe, ſo iſt auch darüber von Anfang der Verhandlungen an kein Zweifel geweſen, und es entſpricht durchaus den Intentionen Sr. Majeſtät des Kaiſers. Daß der Kaiſer hier in dieſem Falle als negotiorum gestor für das Reich gehandelt hat, dieſer Begriff wird dem Hrn. Vorredner, der ja Juriſt iſt, klar ſein. Alſo der Kaiſer hat die Inſel Helgo- land für das Reich erworben, und inſoweit bei dieſer Erwerbung Gegenſtände zu reguliren ſind, die nach der Reichsverfaſſung dem Gebiete der Reichsgeſetzgebung angehören, iſt die Zuſtimmung des Reichstags nothwendig. Dieſe Zuſtimmung wird in Geſtalt der Vorlage von Ihnen begehrt. Nun hat der Hr, Vorredner auch heute wieder einen Punkt berührt, in den er ſich meines Er- achtens gleichfalls in einem Rechtsirrthum befindet. Er hat ge- ſagt: die Helgoländer ſind bisher gar nicht gehört worden, ob ſie Deutſche werden wollen oder nicht. Auch in dieſer Beziehung iſt weiter nichts maßgebend geweſen, als die Nummer 2 des deutſch-engliſchen Abkommens. In dieſer Nummer 2 iſt aus- drücklich geſagt, daß die deutſche Regierung den aus dem abgetre- tenen Gebiet herſtammenden Perſonen die Befugniß gewähren werde, vermöge einer vor dem 1. Januar 1892 von ihnen ſelbſt oder bei minderjährigen Kindern von deren Eltern oder Vormün- dern abzugebenden Erklärung, die brittiſche Staatsangehörigkeit zu wählen. Dieſer Artikel 12 des Vertrags mit ſeiner Nr. 2 iſt auf Helgoland publicirt worden, und männiglich in Helgoland weiß, daß ihm bis zum 1. Januar 1892 die Vefugniß zuſteht, für England zu optiren. Was das für Folgen hat, iſt ganz klar: Wenn Einer optirt, ſo wird oder bleibt er Engländer, und wenn er in Deutſchland bleibt — und Helgoland iſt deutſch — ſo wird er als ein Ausländer, der im Inland wohnt, behandelt; darüber kann nach unſerm Recht auch nicht der mindeſte Zweifel ſein. Wenn der Hr. Vorredner verlangt, daß eine Erklärung dahin ab- gegeben werde, daß dieſen Optanten bis an ihr ſeliges Ende die Befugniß zugeſtanden werden ſollte, auf deutſchem Gebiet in Helgoland zu bleiben, ſo kann principiell eine ſolche Befugniß einem Ausländer überhaupt nicht gegeben werden. Es iſt ein Recht eines jeden Staates, den Ausländer, der ihm im Inlande unbequem wird, über ſeine Grenzen zu weiſen. Und dieſes Recht muß natürlich auch rückſichtlich ſolcher Optanten auf- recht erhalten werden. Uebrigens darf ſich der Herr Vorredner darüber beruhigen; der Fall wird nicht vorkommen. Es iſt, wie geſagt, bis jetzt — und die erſte Zeit iſt ja in der Regel in dieſer Beziehung die kritiſchſte — noch Niemand von den Bewohnern Helgolands gekommen, der für England optirt hätte, und ich fürchte nach den von mir gemachten Wahrnehmungen auch nicht, daß in Zukunft einer kommen wird. Im Gegentheil, die Leute wollen Deutſche ſein und ſie werden ſich, ſo Gott will, unter deutſcher Herrſchaft mindeſtens ebenſo wobl fühlen, wie ſie bisher unter der engliſchen gethan haben. Abg. Stadthagen: Ich bleibe dabei, daß der ganze deutſch- engliſche Vertrag dem Reichstage hätte vorgelegt werden müſſen. Es iſt wiederum erllärt worden, daß die Helgoländer als Aus- länder behandelt werden ſollen. Das Gaſtrecht iſt bei uns ſo hoch geſchätzt, daß jeder Ausländer ausgewieſen werden kann. Die Einwohner von Helgotand, die ein natürliches Recht haben, auf ihrer Inſel zu bleiben, können alſo aus irgend einem Grunde aus- gewieſen werden. Wie die Regierung dieſes ihr Recht handhabt, das ſehen Sie an Elſaß-Lothringen und den übrigen annectirten Ländern; es iſt eine gerechte Forderung, daß den Helgoländern geſagt wird: Ihr könnt brittiſch bleiben oder deutſch werden; in jedem Falle könnt ihr auf der Inſel bleiben. Daß dies nicht ge- ſchah, iſt bezeichnend für die Art und Weiſe, wie Deutſchland Ver- träge ſchließt, ſei es in der Nordſee, ſei es in Afrika. Es iſt das ein Mißbrauch der Macht, eine Zwangspolitik. Staatsſecretär v. Boetticher: Ich habe dem Hrn. Vorredner darauf nur zu erwidern, daß es ſich hier nicht um Politik, noch weniger um Zwangspolitik, ſondern, daß es ſich einfach darum handelt, was unſre deutſche Verfaſſung erheiſcht, um den Erwerb der Inſel Helgoland vollſtändig zu machen. Wenn der Hr. Vor- redner ſeine Theorien von der Nothwendigkeit einer Volksabſtim- mung hier in Deutſchland zur Durchführung bringen will, dann wird es für ihn nothwendig ſein, erſt die Verfaſſung dahin zu ändern, daß die Volksabſtimmung ein geſetzlich functionirendes Organ werde. Darauf werden die §§. 1—6 des Geſetzentwurfs genehmigt. Abg. Klemm (Sachſen) beantragt, als §. 7 hinzuzufügen: „Dieſes Geſetz tritt mit der Verkündigung in Kraft“. Staatsſecretär v. Boetticher ſtellt anheim, dem Antrage Klemm zuzuſtimmen. Der §. 7 wird angenommen. Die Schlußabſtimmung über das Geſetz im Ganzen muß aber in Folge deſſen für eine ſpätere Sitzung vorbehalten bleiben. Es folgt die erſte Berathung des Reichshaushaltsetats für 1891/92 nebſt dem Anleihegeſetz. Staatsſecretär des Reichsſchatzamts v. Maltzahn: Das Jahr 1889/90 ſchloß ab mit einem Ueberſchuß von 2 1/2 Millionen, die Bundesſtaaten erhielten aus den Ueberweiſungsmitteln 73 Mill. M. mehr, als der Etat annahm. Dieſe 73 Millionen ergaben ſich daraus, daß bei den Zöllen 79 Millionen mehr einkamen, als der Etat annahm, daß aber die Branntweinverbrauchsabgaben um 19 Millionen hinter dem Etat zurückblieben, während wieder die Stempelabgaben 13 Millionen mehr ergaben. Auch das Jahr 1890/91 wird, ſoweit es ſich jetzt ſchon überſchen läßt, einen gün- ſtigeren Abſchluß ergeben, als der Etat angenommen hat. Nach dem bisherigen Ergebniß bis zum Schluſſe des Octobers wird man die Ueberſchüſſe der Reichscaſſe nach Abzug der von dieſer zu leiſtenden Ausgaben auf 10 Millionen Mark und die Ueber- weiſungen an die Bundesſtaaten auf 66—68 Millionen veranſchla- gen können. Die Erfahrungen der letzten Monate beſtätigen alſo meine Behauptung, die ich bei der Vorlegung des Nachtragsetats von dieſer Stelle ausſprach, daß für die Anforderungen des Nach- tragsetats im laufenden Etat zweifellos die Mittel vorhanden ſein werden, ohne die einzelnen Bundesſtaaten in den Matricular- beiträgen höher zu belaſten. Der Nachtragsetat hat eine Erhöhung der Matricularbeiträge um etwa 37 Millionen herbeigeführt. Wenn Sie das von den 76 bis 78 Millionen abziehen, ſo bleibt für die Einzelſtaaten immer noch ein günſtigerer Abſchluß, als nach dem Etat angenommen wurde. Die 10 Millionen Ueberſchüſſe der Reichscaſſe für das laufende Jahr ſetzen ſich folgendermaßen zu- ſammen: Wir haben auf Mehrausgaben zu rechnen von 132/3 Mil- lionen. Dem ſtehen gegenüber Minderausgaben von 4 4/3 Mil- lionen, ſo daß alſo 9 4/3 Millionen bleiben. Bei den Einnahmen werden wir auf 22 Millionen Mehr- und etwa 2 4/3 Millionen Mindereinnahmen, alſo etwa 19 4/3 Millionen rechnen können. Nach Abzug der 9 4/3 Millionen Mehrausgaben bleiben alſo die eben von mir genannten Millionen zu den 132/3 Millionen Mehr- ausgaben im Auswärtigen Amte, für Geſandtſchaften, Conſulate ꝛc. Die beiden Hauptpoſten fallen auf die Verwaltung des Reichsheeres. Es ſind darunter ſehr erhebliche Mehrausgaben bei der Brod-, Fourage- und Victualienverpflegung in Folge der hohen Sommer- preiſe, für die preußiſche Militärverwaltung in Höhe von 5,600,000 Mark. Allerdings ſind zur Zeit die Preiſe nicht höher als im Durchſchnitt der letzten zehn Jahre. Beim Garniſous-, Servis- und Verwaltungsweſen iſt zu rechnen auf eine Mehrausgabe von 700,000 M., darunter eine halbe Million für Vergütung von Flur- ſchäden, von 800,000 M. für Vorſpann- und Transportkoſten in Folge des erhöhten Eiſenbahn – Transports der Mann- ſchaften und im Intereſſe einer verminderten Einquartie- rungslaſt und einer früheren Entlaſſung der Reſerven. Außerdem ſind Mehrausgaben erforderlich beim Remonteweſen, bei der Marineverwaltung, dem Reichsſchatzamt und dem Nechnungshof; die Minderausgabe von 4 1/2 Millionen iſt darauf zurückzuführen, daß die Verzinſung der Reichsſchuld eine geringere Summe in Anſpruch nehmen wird, als wir annahmen; die Marktverhältniſſe während der ganzen Zeit dieſes verfloſſenen Jahres waren un- günſtige und wir waren genöthigt, die Begebung der Reichsanleihe auf das unbedingt Nothwendige zu beſchräuken. Die Mehreinnahmen betragen 22. die Mindereinnahmen 22/3 Millionen, es iſt zu rechnen auf eine Mehreinnahme von 11 Millionen bei der Zucker- ſteuer, von 3 1/2 Millionen bei der Brauſteuer, von 1 Million bei der Wechſelſtempelſteuer, von 5 1/2 Millionen bei der Poſt- und Telegraphen- und bei der Eiſenbahnverwaltung, der Reſt iſt zu erwarten bei der Salzſteuer, dem Spielkartenſtempel, der ſtatiſti- ſchen Gebühr und dem Bankweſen, dagegen werden wir hinter dem Anſatz zurückbleiben bei der Maiſchbottich- und Branntweinmaterialſteuer mit 2 Millionen und bei verſchiedenen Verwaltungseinnahmen. Im ganzen iſt auf ein Plus von 10 Millionen für die eigenen Einnahmen des Reichs zu rechnen. In Bezug auf die im Sommer vorigen Jahres bewilligten Stellen- zulagen iſt der Etat des letzten Jahres erſt in letzter Zeit zur Aus- führung gekommen. Die Ausſchüttung dieſes Titels hat ſich bisher verzögert, weil es nothwendig war, über die maßgebenden Grund- ſätze ſich mit der preußiſchen Regierung zu verſtändigen. Dieſe Verſtändigung hat jetzt ſtattgefunden, die Ausſchüttung des Titels iſt im Gange, und ich werde Ihnen wohl über die Einzelheiten dieſer Grundſätze in der Budgetcommiſſion jede erwünſchte Aus- kunft geben können. Für die Einzelheiten wird ſich vorausſichtlich nach Abzug der Matricularbeiträge eine Mehrüberweiſung von 66 bis 68 Millionen ergeben. An Zöllen ſind 1889/90 eingelommen circa 350 Millionen. In des 12 Monaten von November 1889 bis October 1890 ſind eingekommen 371 1/2 Millionen. Dennoch glaube ich nicht, daß man die Einnahmen aus den Zöllen für 1890/91 ſo hoch veranſchlagen kann. Es hat nämlich der Getreide- zoll von April bis October ergeben 1889 etwa 60, 1890 etwa 64 Millionen. Es iſt alſo in den Sommermonaten von 1890 der Import von Getreide ſtärker geweſen, als 1889, ſchon deß- halb würde es geboten ſein, ſich darauf vorzubereiten, daß der Import des bevorſtehenden Winters hinter dem des vorigen Winters zurückbleiben muß. Dazu kommt, daß die Ernte des lauſenden Jahres in Deutſchland weſentlich beſſer iſt, als in den beiden vorangegangenen Jahren. Dieſer Rückgang des Imports iſt um ſo mehr zu erwarten, als der Nubelſtand den Import von ruſſiſchem Korn nach Deutſchland nicht in dem Maße begünſtigt, wie im vorigen Jahre. Wir glau- ben alſo den geſammten Ertrag der Zölle für das laufende Jahr 1890/91 nicht weſentlich höher veranſchlagen zu dürfen, als der Ertrag der Zölle im vorigen Etatsjahre geweſen iſt. Was nun den vorgelegten Etat für 1891/92 anlangt, ſo ſind die Mehraus- gaben des Ordinariums in einer ähnlichen Weiſe wie in den früheren Jahren berechnet. Es wird eine Mehrausgabe im Ordinarium von 46—47 Millionen von Ihnen gefordert, dazu kommt noch das aus dem vorigen Jahre zu deckende Deficit von 20 Millionen, ſo daß im ganzen 66 Millionen herauskommen. Darin ſteckt aber eine Ausgabe von 10 Millionen, welche beſtimmt ſind, den April- Coupon vom 1. April auf den 30. März zurückzulegen. Es bleiben alſo rund 56 1/2 Millionen, eine ſehr erhebliche Ziffer, aber von dieſen 56 4/2 Millionen beruht weitaus der größte Theil auf Ihren frühreren Beſchlüſſen oder unvermeidlichen Conſequenzen derſelben. Es werden die aus den Nachtragsetats folgenden Ausgaben in vollem Jahresbetrage in den Etat eingeſtellt werden müſſen. Ferner hat eine ſehr erhebliche Erhöhung der Titel für Beſchaffung der Munition ſtattfinden müſſen, und wenn wir das neue Ge- wehr eingeführt haben und das neue Pulver, ſo können wir uns nicht der Nothwendigkeit entziehen, die Mehrkoſten des neuen Materials im nächſten Etat aus den laufenden Mitteln zu decken. Dazu kommen ferner die Koſten unter den einmaligen Ausgaben für die größere Sicherung und Erweiterung der Schießſtände, ferner die Erhöhung des Schuldentitels bei der Verzinſung der von Ihnen bereits bewilligten Anleihen, endlich 6,229,260 M. als erſte Jahresrate der Aufwendungen in Folge des Alters- und Invaliditätsgeſetzes. Von Forderungen, die Sie früher abgelehnt haben, iſt nur eine von finanziell erheblichem Betrage wiederholt worden, nämlich die Forderung der Gewährung von Prämien an ausgediente Unterofficiere mit 3,800,000 M. An neuen Forde- rungen iſt eine einzige erhebliche im Etat enthalten: die Forde- rung einer anderen Geſtaltung der Entſchädigung der Officiere und Aerzte für ihre Pferdehaltung. Dieſe Forderung entſpricht einer Reſolution des Reichstages. Ferner iſt, einer weiteren Reſolution des Reichstages entſprechend, das Tempo in der Ver- mehrung der etatsmäßigen Veamtenſtellen beſchleunigt worden, z. B. bei der Neichspoſt- und Telegraphenverwaltung um mehr als 3000 Stellen und bei der Eiſenbahnverwaltung um 200 Stellen. Ferner hat der Reichstag eine Reſolution beſchloſſen in Bezug auf die Einführung der Altersdienſtſtuſen für die Beſoldung der etats- mäßigen Beamten. Zur Zeit beſteht in unſerm Etat ſowohl das Syſtem der Durchſchnittsſätze, als das des Avancements nach Dienſt- altersſtufen, das letztere im Bereiche der Reichseiſenbahnver- waltung. Bei den übrigen Etats ſind hie und da, wo unter dem Syſtem der Durchſchnittsgehaltsſätze Stagnationen eintreten, wie früher auch in dieſem Etat, beſondere Forderungen geſtellt, um derartige Ungleichheiten durch künftig wegfallende Bewilligungen auszugleichen. Im übrigen werden wir die durch die Reſolution angeregte Frage in Fühlung mit der preußiſchen Regierung zu verfolgen haben. Die preußiſche Regierung iſt, ſoweit ich orientirt bin, geneigt, dem entſprechenden Verlangen ihres Landtages näher zu treten. Im Etat der Reichsſchulden iſt eine ziemlich erhebliche Ausgabeerhöhung bei den Ausgaben für Zinſen zu erwarten. Dieſe Zinſen ſind in dem vorliegenden Etat als dreiprocentige Zinſen berechnet und in der Preſſe iſt dieſe Verechnung ſehr ſcharf kritiſirt worden. Dieſe Kritik beruht auf einer Verkennung der Sachlage. Der Umſtand, daß man den Voranſchlag auf Grund einer 3 4/2-oder 4procentigen Verzinſung macht, iſt für das ſchließliche Verfahren bei der Vergebung der Anleihe keineswegs bindend. Die Frage, ob für ſpäter zu begebende Theile der Reichsanleihe der 3proc. Typus beibehalten oder auf den 3 1/2procentigen zurückgegangen werden ſoll, iſt zur Zeit eine völlig offene. Ich brauche aber nicht hervorzuheben, daß die Geſtaltung des Marktes von der Reichs-Finanzverwaltung mindeſtens mit der- ſelben Aufmerkſamkeit verfolgt wird, wie von den übrigen bethei- ligten Kreiſen, und daß die Ausgabe des letzten Poſtens der Reichsanleihe zu 3 Proc. nur nach ſehr langen und eingehenden Erwägungen erfolgt iſt, welche ſelbſtverſtändlich in beſtändiger Fühlung mit der preußiſchen Finanzverwaltung geführt worden ſind. Wir befanden uns in einer abſoluten Zwangslage. — Die Veranſchlagung der Einnahmen iſt nach den bisherigen Grund- ſätzen erfolgt. Die Einnahmen aus den Zöllen ſind auf 314 bis 315 Millionen zu veranſchlagen. Wir können nicht darauf rechnen, daß im nächſten Jahre eine ebenſo hohe Ueber- ſchreitung des Etatsanſatzes, wie wir ſie in den beiden letzten Jahren erlebt haben, erfolgen wird. Ja, es iſt überhaupt zweifelhaft, ob der Etatstitel erreicht wird. Wir haben uns bei der Berechnung an die dreijährige Fraction gehalten. Was nun die Theilung der Ausgaben in Vezug auf ihre Deckung betrifft, ſo ſind dem außerordentlichen Etat zuge- wieſen 91,790,000 M. Davon ſollen durch Anleihe 86 Millionen gedeckt werden; darunter befinden ſich etwa 62 1/2 Millionen, für welche Anleihebewilligungen noch nicht vorliegen. Wir haben in der Richtung einer ſolideren Finanzirung unſres Etats einen Schritt vorwärts gethan. Sie wiſſen, daß bei der Deckung der einmaligen Ausgaben der Marineverwaltung bisher immer 5 Millionen als Zuſchuß aus den ordentlichen Einnahmen des Reichs in den Etat eingeſtellt ſind. In dem vorliegenden Etat haben wir dieſe Summe von 5 auf 10 Millionen erhöht. Dann haben wir zu demſelben Zwecke, wie erwähnt, die Forderung von mehr als 10 Millionen eingeſtellt an einmaligen Ausgaben, um den Aprilcoupon des nächſten Jahres in das laufende Jahr herüberzunehmen. Früher iſt die Verzinſung der Reichsanleihe, ſoweit ſie am 1. April fällig war, aus den Mitteln des neuen Etatsjahres gedeckt worden; das iſt unbedenklich, ſo lange die Geſammtſumme unſerer Schulden eine unbedeutende war; es wird bedenklich, wenn es ſich um den Poſten von 10 Millionen handelt. Es wird um ſo bedenklicher, als dieſer Poſten von 10 Millionen, den die Reichsfinanzverwal- tung am erſten Tage des neuen Etatsjahres zu zahlen hat, das ganze Jahr hindurch natürlich bei ihrem Betriebsfonds ſehlt und als die Betriebsfonds ſelbſt gegenüber den gemeſſenen Aufgaben des Reiches ſich mehr und mehr als recht knapp bemeſſen darſtel- len. Ich halte es für ſehr wahrſcheinlich, daß im nächſten Jahre unſer Betriebsfonds erhöht werden muß. Umſomehr ſchien es uns geboten, jetzt, wo wir es unſerer Meinung nach ohne weſent- liche Uebelſtände thun könnten, dieſelben Coupons in das alte Jahr, der es wirthſchaftlich angehört, herüber zu nehmen. Dieſe Summe von 10 Millionen ſchlagen wir Ihnen vor, durch einen beſonderen §. 7 des Etatsgeſetzes ausnahmsweiſe derjenigen Summe zu entnehmen, welche den Einzelſtaaten nach der Francken- ſtein’ſchen Clauſel zufließen würde. Wenn Sie von den 66 bis 68 Millionen Ueberweiſungen dieſe 10 Millionen abziehen, ſo bleiben immer noch 56 bis 58 Millionen für die Einzelſtaaten übrig. Was nun das Geſammtergebniß des Ihnen vorliegenden Etats betrifft, ſo fordert er von Ihnen eine Matricularumlage

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine342_1890/5>, abgerufen am 04.06.2024.