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Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890.

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Nr. 342. -- 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Mittwoch, 10. December 1890.

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Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klincksieck in Paris; für Italien H. Loescher und Frat. Bocca in Turin, Florenz und Rom, U. Hoepli in Mailand; für den Orient das kaiserlich königliche Post-
amt in Wien oder Triest; für Nordamerika F. W. Christern, E. Steiger u. Co., Gust. E. Slechert,
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u. Co., Haasenstein u. Vogler n. N. Mosse.
In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz etc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenstr. 26) und S. Kornik (Krausenstr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publishing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.

Inhalts-Uebersicht.

Die Anfänge der neueren Schutzzollbewegung.
Zur Schulfrage in Preußen.
Deutsches Reich.
* Berlin: Vom Reichstage. Zur Sonn-
tagsruhe. Der Cultusminister. Verbot künstlicher Kaffeebohnen.
Italien. * Der neue Finanzminister. Duell Cavallotti-Sacerdoti.
Feuilleton: An der Loire.
Bayerische Chronik. -- Telegraphische Nachrichten.
Hiezu: Zweites und drittes Morgenblatt.



München, 9. December.


Die Anfänge der neueren Schutzzollbewegung.

G. M. Das Actenstück, welches die Begründung des neuen
französischen Zolltarifentwurfs bildet, enthält eine durchaus
schiefe Darstellung über den maßgebenden Antheil der Zoll-
politik Deutschlands an der neueren schutzzöllnerischen Bewegung.
Die deutsche Handelspolitik hat zwar durchaus keinen Grund,
irgendwie zu verläugnen, daß sie mit vollem Bewußtsein von
den Rücksichten, welche sie der nationalen Gütererzeugung
schuldet, die Bahn des Freihandels verlassen hat, sie kann aber
nicht zugeben, daß sie allein es gewesen sei, welche die ganze
moderne Schutzzollbewegung erst in Fluß gebracht habe. So
nämlich stellt das oben erwähnte Actenstück die Sache dar.
Danach hätte sich angeblich Frankreich bei dem vor zehn Jahren
angenommenen Zollsystem nicht erheblich von der Richtung ent-
fernt, welche seine Handelspolitik im Jahre 1860 eingeschlagen
hatte und welcher überhaupt ersichtlich noch im Jahre 1881
die Mehrzahl der europäischen Nationen angehört hätte. Einzig
und allein Deutschland hätte, nach der Meinung des Verfassers
jener Begründung des Meisterwerks neuester französischer Hoch-
schutzzollkunst, damals einen anderen Weg eingeschlagen. Unter
Verzicht auf den gemäßigten Tarif von 1865, der eine Folge
der Handelsverträge mit Frankreich und Oesterreich gewesen sei
und im Jahre 1873 ohne wesentliche Aenderung seines Ge-
sammtcharakters einige Aenderungen erfahren habe, sei deutscher-
seits mit dem Jahre 1879 ein streng schutzzöllnerisches Regime
inaugurirt worden: das von Deutschland gegebene Beispiel
aber habe nachher bei anderen Mächten Nachahmung ge-
funden.

Daß diese Darstellung von der Wahrheit abweicht, ist
Jedem, welcher bei der deutschen Zolltarifreform von 1879 mit-
zuwirken in der Lage war, auf den ersten Blick klar. Doch hat
man nicht sofort die einzelnen geschichtlichen Daten bequem zur
Hand, um die französische Geschichtsverdrehung zu widerlegen.
Da kommt das inhaltreiche Werk von Dr. Alexander v. Mat-
lekovits "Die Zollpolitik der österreichisch-ungarischen Monarchie
und des Deutschen Reiches seit 1868 und deren nächste Zukunft"
(Leipzig, Duncker und Humblot) sehr gelegen. Matlekovits ist
als Zeuge durchaus einwandfrei; denn er ist kein Freund,
sondern ein ausgesprochener Gegner der neueren deutschen Zoll-
politik; er ist überhaupt in seinen zollpolitischen Urtheilen durch
und durch Ungar, der als solcher den deutschen Schutzzoll un-
barmherzig verurtheilt, für ungarische Schutzzölle aber einen
[Spaltenumbruch] weiten Mantel der Liebe zur Verfügung hat. Auch darin, daß
er seine im übrigen so breit angelegte zollpolitische Geschichts-
erzählung erst mit 1868, also mit dem Jahre nach dem öster-
reichisch-ungarischen Ausgleich beginnen läßt, kommt das unga-
rische Selbstbewußtsein des Verfassers zum Ausdruck. Dieser
hohe ungarische Staatsbeamte, der viele Jahre bei den zoll-
politischen Verhandlungen seines Vaterlandes persönlich thätig
gewesen ist und der uns in seinem Buche jede Wandlung der
deutschen wie der österreichisch-ungarischen Zollpolitik feit
20 Jahren, gewissermaßen unter Abdruck seiner Handacten mit
kritischen Bemerkungen, getreulich vorführt, gibt freilich ein ganz
anderes Bild vom Antheil Deutschlands an der modernen
Schutzzollbewegung, als der französische Ministerialbeamte,
welcher muthmaßlich die Begründung zum dortigen Zolltarif-
entwurf fertiggestellt hat.

In sehr lehrreicher Weise zeigt Matlekovits bei seiner Dar-
legung der österreichischen Zollpolitik das frühzeitige, an den
Krach von 1873 sich anreihende und durch den Parlamentaris-
mus geförderte Erwachen der Schutzzollagitation, wie solche
insbesondere schon im Jahre 1874 durch den Verein der
Montan-, Eisen- und Maschinenindustriellen betrieben wurde.
Diese Bewegung war es, welche in Oesterreich zu dem auto
nomen Tarise von 1878 führte. Nicht minder ausgesprochen
wie in Oesterreich war in Italien schon im Jahre 1875 die
schutzzöllnerische Bewegung, namentlich als unter Luzzatti's
Führung eine Enquete veranstaltet wurde, bei welcher unter
Wanderung von Ort zu Ort die wirthschaftlichen Verhältnisse
und die Entwicklung der Industrie an Ort und Stelle ein-
gehend studirt und Material für die fernere Zoll- und Handels-
politik gesammelt wurde.

"In Deutschland war um diese Zeit" -- so sagt Matle-
kovits wörtlich -- "noch kaum eine Spur jener Richtung, die
dann später zur Tarifreform des Jahres 1879 führte; nur die
Eisenindustriellen rührten sich, allein auch nicht wegen Zoll-
erhöhungen, sondern nur um zu verhindern, daß die Zollfrei-
heit und die ermäßigten Zollsätze für Eisenfabricate und Eisen-
waaren am 1. Januar 1877 ins Leben träten, wie dies das
Zolltarifgesetz vom Jahre 1873 bestimmte; aber selbst diese
Regungen wurden von Seiten der Regierung mit aller Energie
zuruckgewiesen." Auch in Rußland waren die schutzzollnerischen
Ideen zu weiter Verbreitung gelangt und hatten schon im
Jahre 1876 zu dem Ukas geführt, nach welchem von 1877 an
die Zölle in Gold erhoben wurden. Was aber speciell Frank-
reich betrifft, wo man jetzt so scheinheilig von der durch Deutsch-
land gewissermaßen aufgenöthigten Schutzzollpolitik zu sprechen
liebt, so hebt Matlekovits zutreffend die entschieden schutz-
zöllnerischen Tendenzen des am 9. Februar 1877 vom französi-
schen Ackerbau- und Handelsminister der Kammer vorgelegten
Zolltarifentwurfes hervor.

Die angeführten Thatsachen beweisen, daß es eine Ge-
schichtsfälschung wäre, wenn man der deutschen Handelspolitik
die Ehre zuschreiben wollte, Europa vom Freihandel zum Schutz-
zoll bekehrt zu haben. Mit Necht bemerkt Matlekovits in dem
weiteren Capitel seines Werkes, in welchem er sich speciell mit
der Geschichte der deutschen Handelspolitik beschäftigt, gelegent-
lich der Schilderung der Entwicklung der schutzzöllnerischen
Strömung in Deutschland, daß sich Deutschland auf einmal
[Spaltenumbruch] von den Bestrebungen des Schutzzollsystems umgeben und sich
selbst auf dem "Isolirfchemel des Freihandels" sah. Freilich
fügt er dann, gewissermaßen befürchtend, als sei er von seinem
Standpunkt in der Rechtfertigung der deutschen Zollpolitik zu
weit gegangen, noch bei, daß thatsächlich (1877!) die höheren
Zölle nur von Seiten Rußlands eingeführt gewesen seien, die
übrigen Staaten hätten noch unter dem Banne der Handels-
verträge gestanden, es wäre also nur das allseitige
schutzzöllnerische Bestreben zu erkennen gewesen "und hätte
vielleicht ein vertragsfreundlicheres Vorgehen Deutschlands
manche Errungenschaften des Freihandels gesichert." In dem
Versuche, Deutschland in Bezug auf die Herbeiführung des
Schutzzolles zu belasten, faßt Matlekovits an anderer Stelle
seine subjective Auffassung, die freilich nicht ganz mit der von
ihm selbst vorgetragenen objectiven Geschichtserzählung über-
einstimmt, in folgendem Satze zusammen: "Wenn vielleicht
Deutschland mit dem Vorwurf nicht belastet werden kann, zu-
erst der liberalen Richtung Front geboten zu haben; wenn es
vielleicht ungerecht wäre, zu sagen, Deutschland habe zur Um-
kehr zum Schutzzoll die Parole gegeben: so viel ist gewiß, daß
der Vorgang Deutschlands die Reaction auf dem wirthschaft-
lichen Gebiete stabilisirte, daß durch sein Vorgehen das Schutz-
zollsystem, die Bestrebungen zum Abschluß der Verkehrsgebiete,
die sogenannte selbständige Führung der Handelspolitik durch
jeden einzelnen Staat befestigt -- wenn nicht befördert wurde."
Wir haben dieses an hypothetischen Windungen reiche Urtheil
von Matlekovits hier angeführt, weil es ersehen läßt, daß
eigentlich auch er sehr gern, wenn es nur ginge, Deutschland
als das Mutterland der Schutzzolltarife hinstellen möchte.
Es geht aber nicht, wie die objective Darlegung des Sachver-
haltes zeigt, welchen der tüchtige Zolltechniker und Zollpolitiker
Matlekovits in sorgsamer Weise uns vorfuhrt. Möge
der Verfasser der Motive zum neuesten französischen Zoll-
gesetzentwurf das Buch von Matlekovits, aus welchem er
viel lernen kann, aufmerksam durchlesen, dann wird er ein-
sehen, daß er eine Legende, nicht eine Geschichte von den An-
fängen der neueren Schutzzollbewegung zum Besten ge-
geben hat.



Zur Schulfrage in Preußen.

Die Beurtheilung der Rede, mit
welcher der Kaiser die Eröffnung der "Schulfrage" ein-
leitete, bildet in der Discussion der Privatkreise, in Haus und
Gesellschaft den Mittelpunkt des Interesses. Für den un-
gedruckten Theil der öffentlichen Meinung tritt das harte
Urtheil über den Journalismus dabei wesentlich in den
Hintergrund. Jedermann weiß, daß das scharfe Wort nur
cum grano salis verstanden werden darf. Es sind ganz
andere Punkte, an welche man anknüpft. Vor allem an das
Wort von den jungen Griechen und Römern. Mit aller Be-
stimmtheit läßt sich sagen, daß die große Masse unsrer Ge-
bildeten fest entschlossen ist, sich den Untergrund der antiken
Bildung nicht rauben zu lassen, und daß sie der eingehenden
Beschäftigung mit der Sagenwelt des Alterthums einen idealen
Gehalt zumißt, welchen die Edda und ihre Vorläufer ebenso
wenig beanspruchen dürfen, wie etwa das Nibelungenlied und

Feuilleton.


(Nachdruck verboten.)
An der Loire.
November-December 1870.

x In diesen Tagen, welche auch äußerlich an den Winter-
feldzug vor zwanzig Jahren anklingen, wird Mancher, der da-
mals unter "von der Tann" den Naupenhelm trug, mit seinen
Gedanken und Erinnerungen an der fernen Loire weilen. Die
Namen verehrter Führer, die Gedenktage blutiger Gefechte, sieg-
reicher Schlachten werden sich mischen mit wieder lebendig
werdenden Bildern endloser, beschwerlicher Märsche, unfreund-
licher Biwaks bei eisigem Wintersturm, ruhelosen, beschwerlichen
Dienstes. Aus den Schneelandschaften der Perche und der
Beauce tauchen die verschneiten Wege, die eintönigen, gerad-
linigen Chausseen mit den langweiligen Pappelreihen und ihren
unerschöpflichen Kilometern auf.

Und Abends, wenn "daheim" sie um den behaglichen war-
men Ofen saßen, und die Gedanken und Wünsche, Sorgen und
Hoffnungen herüberflogen vom Rhein und Main, von der Isar
und der Donau, vom dunklen Böhmerwald und von den hoch-
ragenden Alpen nach den Landschaften um Orleans, da drängten
sich die müden, hungrigen, verfrorenen, oft auch nur sehr un-
vorschriftsmäßig gekleideten und reichlich verwildert aussehen-
den "Blauen" um eine kleine, dürftige Kaminflamme. Das
waren aber noch die Glücklichen. Andere mußten dann erst noch
hinaus in die dunkle, unheimliche Nacht. Da hieß es meilen-
weit her Befehle holen, Lebensmittelwagen aufsuchen, Mel-
dungen überbringen. Aber auch für diese war noch wenigstens
ein Ende abzusehen. Sie konnten meistens gegen Morgen
noch einige Stunden Schlaf finden, während für Viele auf
einen ruhelosen Tag, oft nach erbittertem "Naufen" mit weit
überlegenem Gegner, eine ruhelose Nacht folgte -- auf Vor-
posten! Brach der Morgen an, so hieß es von neuem mar-
schiren, frieren, fechten. Dabei wiesen Feldflaschen und Brod-
beutel bedenkliche Leeren auf, denn mit dem Nequiriren in
den ausgesogenen Landstrichen sah es schlecht aus. Die Stiefel
wurden offenherzig und Ersatz schwierig. Stroh, frische Häute,
alte Lappen mußten als Fußbekleidung aushelfen, in verzweifelten
Fällen auch klappernde Holzschuhe.

So ging es hinaus in die Winterlandschaft, fast immer
noch ehe der Tag angebrochen war. Nebel, Schnee, eisglatte
[Spaltenumbruch] oder grundlose Straßen trugen eben nicht bei, die gute Laune
zu erhöhen. Plötzlich ertönt ferner, dumpfer Kanonendonner.
Die Officiere hoben die Kopfe und suchten sich aus der Karte
-- nolabene wenn noch solche vorhanden waren, da die "ge-
lieferten" Karten nicht mehr ausreichten -- zu orientiren. Der
Musketier und Jäger sah sein Gewehr nach, der Cürassier und
Chevauleger rückte im Sattel, der Kanonier schloß dichter hinter
seinem Geschütz auf.

Es geht los; so hieß es anfangs, als noch die Bataillone
einigermaßen vollzählig, die Pferde leistungsfähig, die Geschütze
brauchbar waren. Das war noch im November und in den
ersten December-Tagen, als es galt, Revanche zu nehmen für
Coulmiers. Die angeborne Tapferkeit des bayerischen Stammes
und die "Schneid" des bayerischen Officiercorps sah freudig
dem Kampfe entgegen. Sie trugen dessen Lasten und Verluste
mit Freuden.

Anders gestaltet sich das Bild nach dem 2. December,
nach der blutigen Schlacht von Loigny. Auch in der Zeit
zwischen dem 3. und 10. December ist das bayerische I. Armee-
corps nicht ärmer an Ruhm und Lorbeeren geworden. Aber
wenn damals die furchtbar gelichteten Compagnien, die Neiter
auf abgetriebenen Pferden, die Kanoniere bei ihren theilweise
unbrauchbar gewordenen Geschützen grollenden Donner als
Zeichen neuer Kämpfe vernahmen, dann ging es wohl durch die
Reihen: Es geht schon wieder los! Fester wurde die treue
Flinte oder Büchse gefaßt, fester schloß sich die Zügelfaust, aber
an Stelle der früheren Kampfesfreude trat jetzt ernste Besorgniß,
ob es noch möglich sein würde, zu siegen. Und es wurde mög-
lich trotz der drei- und vierfachen Ueberzahl der Feinde, trotz
Entbehrungen und Schwierigkeiten aller Art, weil Ehre und
Pflicht es geboten: darin lag das Geheimniß der deutschen
Erfolge in jenen schweren Wintertagen des Jahres 1870, ob-
gleich es eine Zeit lang scheinen konnte, als ob an der Loire
die deutsche Siegeslaufbahn zum Stehen kommen sollte.

Furchtbar waren allerdings die Opfer und außergewöhn-
lich groß die Verluste, mit denen gerade das I. bayerische
Armeecorps jenen endlichen Sieg der deutschen Waffen erkaufen
mußte. Das Armeecorps hat in der Zeit vom 1. Novem-
ber bis zum 16. December 1870 verloren 322 Officiere und
6778 Mann an Todten und Verwundeten. Diese Zahlen be-
deuten, daß das Armeecorps in diesen sechs Wochen weit über
den dritten Theil seines Bestandes allein auf dem Schlachtfeld
[Spaltenumbruch] eingebüßt hat. Dabei sind die Abgänge in Folge von Krank-
heiten und Strapazen nicht in Ansatz gebracht. Selbst die
Nachschübe an Ersatzmannschaften konnten die Lücken nicht
mehr schließen, weil Tag für Tag neue klafften.

Um einen vergleichenden Maßstab zu geben, wie schwer
und blutig die Hand der Kriegsfurie auf dem Corps von der
Tann lastete, sei erwähnt, daß diejenige preußische Division,
welche als Waffengefährtin der Bayern an der Loire am
meisten gelitten hat, die 22. (Hessen und Thüringer) in dem-
selben Zeitraum 67 Officiere und 1447 Mann vor dem Feind
verloren, also im Verhältniß zu den beiden Divisionen der
Bayern viel weniger gelitten hat.

Nachdem Orleans in Folge der Schlacht von Coulmiers
wieder in den Besitz der Franzosen gefallen, trat bei letzteren
eine Pause in den Operationen ein. Diese Pause war ziemlich
unfreiwillig. Der "Sieg" vom 9. November hatte das Ge-
füge der französischen Loire-Armee so erschüttert, daß sie an die
Befreiung von Paris angesichts der Armeeabtheilung des
Großherzogs von Mecklenburg -- I. bayerisches Armeecorps,
17. Infanteriedivision, 22. Infanteriedivision, 2., 4., 5. und
6. Cavalleriedivision -- vorläufig nicht dachte. Dagegen ent-
wickelte die Armeeabtheilung in der Zeit vom 16. bis 28. No-
vember eine rührige, außergewöhnliche Thätigkeit. Sie marschirte
zuerst in der Richtung auf Dreux, dann auf Le Mans, um schließlich
in Eilmärschen nach der Loire zurückzukehren, wo Orleans mit
schier magnetischer Kraft Franzosen wie Deutsche bannte.

Die Operationen der Armeeabtheilung vom 16. bis 28. No-
vember stellten ganz außerordentliche Anforderungen an die
Marschfähigkeit. Es ist in keiner Periode des deutsch-franzö-
sischen Krieges mehr und unter so erschwerenden Umständen
marschirt worden, als in jenen Novembertagen, aber auch in
keiner Peciode nutz- und erfolgloser wie damals. Es kann heute
kein Zweifel mehr darüber sein, daß die Armeeabtheilung sich
damals von den Franzosen hat dupiren lassen und einem Phantom
nachmarschirte, das immer wieder verschwand, als man es
greifen wollte. Selbst das Generalstabswerk kann nicht umhin,
die Planlosigkeit jener Operationen anzudeuten. Glücklicherweise
hatten Bayern, Hessen und Mecklenburger sich hiebei so gut ein-
marschirt, daß sie immer noch rechtzeitig zurückkamen, als es galt,
im Verein mit der zweiten Armee unter Prinz Friedrich Karl,
die entscheidenden Schläge gegen den anrückenden Feind zu thun.

Auf dem äußersten Flügel der in weitem Bogen den Wald

Nr. 342. — 92. Jahrgang.
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München, Mittwoch, 10. December 1890.

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ſprechendem Zuſchlag.

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n. Oeſterreich monalk.
M. 4. —, Ausland
M. 5. 60.

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Schwanthalerſtr. 73
in München.

Verichte ſind an die
Redaktion, Inſerat-
aufträge an die Ex-
pedition franko einzu-
ſenden.

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Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat. Bocca in Turin, Florenz und Rom, U. Hoepli in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt-
amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Slechert,
Weſtermaun u. Co., International Publiſhing Agency,
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Inſeratenannahme in München b. d. Expedition, Schwanthakerſtraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln,
Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Rürnberg. Wien, Paris, London, Zürich. Baſel ꝛc. b. d Annoncenbureaux G. L. Daube
u. Co., Haaſenſtein u. Vogler n. N. Moſſe.
In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publiſhing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.

Inhalts-Ueberſicht.

Die Anfänge der neueren Schutzzollbewegung.
Zur Schulfrage in Preußen.
Deutſches Reich.
* Berlin: Vom Reichstage. Zur Sonn-
tagsruhe. Der Cultusminiſter. Verbot künſtlicher Kaffeebohnen.
Italien. * Der neue Finanzminiſter. Duell Cavallotti-Sacerdoti.
Feuilleton: ⤩ An der Loire.
Bayeriſche Chronik. — Telegraphiſche Nachrichten.
Hiezu: Zweites und drittes Morgenblatt.



München, 9. December.


Die Anfänge der neueren Schutzzollbewegung.

G. M. Das Actenſtück, welches die Begründung des neuen
franzöſiſchen Zolltarifentwurfs bildet, enthält eine durchaus
ſchiefe Darſtellung über den maßgebenden Antheil der Zoll-
politik Deutſchlands an der neueren ſchutzzöllneriſchen Bewegung.
Die deutſche Handelspolitik hat zwar durchaus keinen Grund,
irgendwie zu verläugnen, daß ſie mit vollem Bewußtſein von
den Rückſichten, welche ſie der nationalen Gütererzeugung
ſchuldet, die Bahn des Freihandels verlaſſen hat, ſie kann aber
nicht zugeben, daß ſie allein es geweſen ſei, welche die ganze
moderne Schutzzollbewegung erſt in Fluß gebracht habe. So
nämlich ſtellt das oben erwähnte Actenſtück die Sache dar.
Danach hätte ſich angeblich Frankreich bei dem vor zehn Jahren
angenommenen Zollſyſtem nicht erheblich von der Richtung ent-
fernt, welche ſeine Handelspolitik im Jahre 1860 eingeſchlagen
hatte und welcher überhaupt erſichtlich noch im Jahre 1881
die Mehrzahl der europäiſchen Nationen angehört hätte. Einzig
und allein Deutſchland hätte, nach der Meinung des Verfaſſers
jener Begründung des Meiſterwerks neueſter franzöſiſcher Hoch-
ſchutzzollkunſt, damals einen anderen Weg eingeſchlagen. Unter
Verzicht auf den gemäßigten Tarif von 1865, der eine Folge
der Handelsverträge mit Frankreich und Oeſterreich geweſen ſei
und im Jahre 1873 ohne weſentliche Aenderung ſeines Ge-
ſammtcharakters einige Aenderungen erfahren habe, ſei deutſcher-
ſeits mit dem Jahre 1879 ein ſtreng ſchutzzöllneriſches Régime
inaugurirt worden: das von Deutſchland gegebene Beiſpiel
aber habe nachher bei anderen Mächten Nachahmung ge-
funden.

Daß dieſe Darſtellung von der Wahrheit abweicht, iſt
Jedem, welcher bei der deutſchen Zolltarifreform von 1879 mit-
zuwirken in der Lage war, auf den erſten Blick klar. Doch hat
man nicht ſofort die einzelnen geſchichtlichen Daten bequem zur
Hand, um die franzöſiſche Geſchichtsverdrehung zu widerlegen.
Da kommt das inhaltreiche Werk von Dr. Alexander v. Mat-
lekovits „Die Zollpolitik der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie
und des Deutſchen Reiches ſeit 1868 und deren nächſte Zukunft“
(Leipzig, Duncker und Humblot) ſehr gelegen. Matlekovits iſt
als Zeuge durchaus einwandfrei; denn er iſt kein Freund,
ſondern ein ausgeſprochener Gegner der neueren deutſchen Zoll-
politik; er iſt überhaupt in ſeinen zollpolitiſchen Urtheilen durch
und durch Ungar, der als ſolcher den deutſchen Schutzzoll un-
barmherzig verurtheilt, für ungariſche Schutzzölle aber einen
[Spaltenumbruch] weiten Mantel der Liebe zur Verfügung hat. Auch darin, daß
er ſeine im übrigen ſo breit angelegte zollpolitiſche Geſchichts-
erzählung erſt mit 1868, alſo mit dem Jahre nach dem öſter-
reichiſch-ungariſchen Ausgleich beginnen läßt, kommt das unga-
riſche Selbſtbewußtſein des Verfaſſers zum Ausdruck. Dieſer
hohe ungariſche Staatsbeamte, der viele Jahre bei den zoll-
politiſchen Verhandlungen ſeines Vaterlandes perſönlich thätig
geweſen iſt und der uns in ſeinem Buche jede Wandlung der
deutſchen wie der öſterreichiſch-ungariſchen Zollpolitik feit
20 Jahren, gewiſſermaßen unter Abdruck ſeiner Handacten mit
kritiſchen Bemerkungen, getreulich vorführt, gibt freilich ein ganz
anderes Bild vom Antheil Deutſchlands an der modernen
Schutzzollbewegung, als der franzöſiſche Miniſterialbeamte,
welcher muthmaßlich die Begründung zum dortigen Zolltarif-
entwurf fertiggeſtellt hat.

In ſehr lehrreicher Weiſe zeigt Matlekovits bei ſeiner Dar-
legung der öſterreichiſchen Zollpolitik das frühzeitige, an den
Krach von 1873 ſich anreihende und durch den Parlamentaris-
mus geförderte Erwachen der Schutzzollagitation, wie ſolche
insbeſondere ſchon im Jahre 1874 durch den Verein der
Montan-, Eiſen- und Maſchineninduſtriellen betrieben wurde.
Dieſe Bewegung war es, welche in Oeſterreich zu dem auto
nomen Tariſe von 1878 führte. Nicht minder ausgeſprochen
wie in Oeſterreich war in Italien ſchon im Jahre 1875 die
ſchutzzöllneriſche Bewegung, namentlich als unter Luzzatti’s
Führung eine Enquête veranſtaltet wurde, bei welcher unter
Wanderung von Ort zu Ort die wirthſchaftlichen Verhältniſſe
und die Entwicklung der Induſtrie an Ort und Stelle ein-
gehend ſtudirt und Material für die fernere Zoll- und Handels-
politik geſammelt wurde.

„In Deutſchland war um dieſe Zeit“ — ſo ſagt Matle-
kovits wörtlich — „noch kaum eine Spur jener Richtung, die
dann ſpäter zur Tarifreform des Jahres 1879 führte; nur die
Eiſeninduſtriellen rührten ſich, allein auch nicht wegen Zoll-
erhöhungen, ſondern nur um zu verhindern, daß die Zollfrei-
heit und die ermäßigten Zollſätze für Eiſenfabricate und Eiſen-
waaren am 1. Januar 1877 ins Leben träten, wie dies das
Zolltarifgeſetz vom Jahre 1873 beſtimmte; aber ſelbſt dieſe
Regungen wurden von Seiten der Regierung mit aller Energie
zuruckgewieſen.“ Auch in Rußland waren die ſchutzzollneriſchen
Ideen zu weiter Verbreitung gelangt und hatten ſchon im
Jahre 1876 zu dem Ukas geführt, nach welchem von 1877 an
die Zölle in Gold erhoben wurden. Was aber ſpeciell Frank-
reich betrifft, wo man jetzt ſo ſcheinheilig von der durch Deutſch-
land gewiſſermaßen aufgenöthigten Schutzzollpolitik zu ſprechen
liebt, ſo hebt Matlekovits zutreffend die entſchieden ſchutz-
zöllneriſchen Tendenzen des am 9. Februar 1877 vom franzöſi-
ſchen Ackerbau- und Handelsminiſter der Kammer vorgelegten
Zolltarifentwurfes hervor.

Die angeführten Thatſachen beweiſen, daß es eine Ge-
ſchichtsfälſchung wäre, wenn man der deutſchen Handelspolitik
die Ehre zuſchreiben wollte, Europa vom Freihandel zum Schutz-
zoll bekehrt zu haben. Mit Necht bemerkt Matlekovits in dem
weiteren Capitel ſeines Werkes, in welchem er ſich ſpeciell mit
der Geſchichte der deutſchen Handelspolitik beſchäftigt, gelegent-
lich der Schilderung der Entwicklung der ſchutzzöllneriſchen
Strömung in Deutſchland, daß ſich Deutſchland auf einmal
[Spaltenumbruch] von den Beſtrebungen des Schutzzollſyſtems umgeben und ſich
ſelbſt auf dem „Iſolirfchemel des Freihandels“ ſah. Freilich
fügt er dann, gewiſſermaßen befürchtend, als ſei er von ſeinem
Standpunkt in der Rechtfertigung der deutſchen Zollpolitik zu
weit gegangen, noch bei, daß thatſächlich (1877!) die höheren
Zölle nur von Seiten Rußlands eingeführt geweſen ſeien, die
übrigen Staaten hätten noch unter dem Banne der Handels-
verträge geſtanden, es wäre alſo nur das allſeitige
ſchutzzöllneriſche Beſtreben zu erkennen geweſen „und hätte
vielleicht ein vertragsfreundlicheres Vorgehen Deutſchlands
manche Errungenſchaften des Freihandels geſichert.“ In dem
Verſuche, Deutſchland in Bezug auf die Herbeiführung des
Schutzzolles zu belaſten, faßt Matlekovits an anderer Stelle
ſeine ſubjective Auffaſſung, die freilich nicht ganz mit der von
ihm ſelbſt vorgetragenen objectiven Geſchichtserzählung über-
einſtimmt, in folgendem Satze zuſammen: „Wenn vielleicht
Deutſchland mit dem Vorwurf nicht belaſtet werden kann, zu-
erſt der liberalen Richtung Front geboten zu haben; wenn es
vielleicht ungerecht wäre, zu ſagen, Deutſchland habe zur Um-
kehr zum Schutzzoll die Parole gegeben: ſo viel iſt gewiß, daß
der Vorgang Deutſchlands die Reaction auf dem wirthſchaft-
lichen Gebiete ſtabiliſirte, daß durch ſein Vorgehen das Schutz-
zollſyſtem, die Beſtrebungen zum Abſchluß der Verkehrsgebiete,
die ſogenannte ſelbſtändige Führung der Handelspolitik durch
jeden einzelnen Staat befeſtigt — wenn nicht befördert wurde.“
Wir haben dieſes an hypothetiſchen Windungen reiche Urtheil
von Matlekovits hier angeführt, weil es erſehen läßt, daß
eigentlich auch er ſehr gern, wenn es nur ginge, Deutſchland
als das Mutterland der Schutzzolltarife hinſtellen möchte.
Es geht aber nicht, wie die objective Darlegung des Sachver-
haltes zeigt, welchen der tüchtige Zolltechniker und Zollpolitiker
Matlekovits in ſorgſamer Weiſe uns vorfuhrt. Möge
der Verfaſſer der Motive zum neueſten franzöſiſchen Zoll-
geſetzentwurf das Buch von Matlekovits, aus welchem er
viel lernen kann, aufmerkſam durchleſen, dann wird er ein-
ſehen, daß er eine Legende, nicht eine Geſchichte von den An-
fängen der neueren Schutzzollbewegung zum Beſten ge-
geben hat.



Zur Schulfrage in Preußen.

Die Beurtheilung der Rede, mit
welcher der Kaiſer die Eröffnung der „Schulfrage“ ein-
leitete, bildet in der Discuſſion der Privatkreiſe, in Haus und
Geſellſchaft den Mittelpunkt des Intereſſes. Für den un-
gedruckten Theil der öffentlichen Meinung tritt das harte
Urtheil über den Journalismus dabei weſentlich in den
Hintergrund. Jedermann weiß, daß das ſcharfe Wort nur
cum grano salis verſtanden werden darf. Es ſind ganz
andere Punkte, an welche man anknüpft. Vor allem an das
Wort von den jungen Griechen und Römern. Mit aller Be-
ſtimmtheit läßt ſich ſagen, daß die große Maſſe unſrer Ge-
bildeten feſt entſchloſſen iſt, ſich den Untergrund der antiken
Bildung nicht rauben zu laſſen, und daß ſie der eingehenden
Beſchäftigung mit der Sagenwelt des Alterthums einen idealen
Gehalt zumißt, welchen die Edda und ihre Vorläufer ebenſo
wenig beanſpruchen dürfen, wie etwa das Nibelungenlied und

Feuilleton.


(Nachdruck verboten.)
An der Loire.
November-December 1870.

× In dieſen Tagen, welche auch äußerlich an den Winter-
feldzug vor zwanzig Jahren anklingen, wird Mancher, der da-
mals unter „von der Tann“ den Naupenhelm trug, mit ſeinen
Gedanken und Erinnerungen an der fernen Loire weilen. Die
Namen verehrter Führer, die Gedenktage blutiger Gefechte, ſieg-
reicher Schlachten werden ſich miſchen mit wieder lebendig
werdenden Bildern endloſer, beſchwerlicher Märſche, unfreund-
licher Biwaks bei eiſigem Winterſturm, ruheloſen, beſchwerlichen
Dienſtes. Aus den Schneelandſchaften der Perche und der
Beauce tauchen die verſchneiten Wege, die eintönigen, gerad-
linigen Chauſſeen mit den langweiligen Pappelreihen und ihren
unerſchöpflichen Kilometern auf.

Und Abends, wenn „daheim“ ſie um den behaglichen war-
men Ofen ſaßen, und die Gedanken und Wünſche, Sorgen und
Hoffnungen herüberflogen vom Rhein und Main, von der Iſar
und der Donau, vom dunklen Böhmerwald und von den hoch-
ragenden Alpen nach den Landſchaften um Orléans, da drängten
ſich die müden, hungrigen, verfrorenen, oft auch nur ſehr un-
vorſchriftsmäßig gekleideten und reichlich verwildert ausſehen-
den „Blauen“ um eine kleine, dürftige Kaminflamme. Das
waren aber noch die Glücklichen. Andere mußten dann erſt noch
hinaus in die dunkle, unheimliche Nacht. Da hieß es meilen-
weit her Befehle holen, Lebensmittelwagen aufſuchen, Mel-
dungen überbringen. Aber auch für dieſe war noch wenigſtens
ein Ende abzuſehen. Sie konnten meiſtens gegen Morgen
noch einige Stunden Schlaf finden, während für Viele auf
einen ruheloſen Tag, oft nach erbittertem „Naufen“ mit weit
überlegenem Gegner, eine ruheloſe Nacht folgte — auf Vor-
poſten! Brach der Morgen an, ſo hieß es von neuem mar-
ſchiren, frieren, fechten. Dabei wieſen Feldflaſchen und Brod-
beutel bedenkliche Leeren auf, denn mit dem Nequiriren in
den ausgeſogenen Landſtrichen ſah es ſchlecht aus. Die Stiefel
wurden offenherzig und Erſatz ſchwierig. Stroh, friſche Häute,
alte Lappen mußten als Fußbekleidung aushelfen, in verzweifelten
Fällen auch klappernde Holzſchuhe.

So ging es hinaus in die Winterlandſchaft, faſt immer
noch ehe der Tag angebrochen war. Nebel, Schnee, eisglatte
[Spaltenumbruch] oder grundloſe Straßen trugen eben nicht bei, die gute Laune
zu erhöhen. Plötzlich ertönt ferner, dumpfer Kanonendonner.
Die Officiere hoben die Kopfe und ſuchten ſich aus der Karte
nolabene wenn noch ſolche vorhanden waren, da die „ge-
lieferten“ Karten nicht mehr ausreichten — zu orientiren. Der
Musketier und Jäger ſah ſein Gewehr nach, der Cüraſſier und
Chevauleger rückte im Sattel, der Kanonier ſchloß dichter hinter
ſeinem Geſchütz auf.

Es geht los; ſo hieß es anfangs, als noch die Bataillone
einigermaßen vollzählig, die Pferde leiſtungsfähig, die Geſchütze
brauchbar waren. Das war noch im November und in den
erſten December-Tagen, als es galt, Revanche zu nehmen für
Coulmiers. Die angeborne Tapferkeit des bayeriſchen Stammes
und die „Schneid“ des bayeriſchen Officiercorps ſah freudig
dem Kampfe entgegen. Sie trugen deſſen Laſten und Verluſte
mit Freuden.

Anders geſtaltet ſich das Bild nach dem 2. December,
nach der blutigen Schlacht von Loigny. Auch in der Zeit
zwiſchen dem 3. und 10. December iſt das bayeriſche I. Armee-
corps nicht ärmer an Ruhm und Lorbeeren geworden. Aber
wenn damals die furchtbar gelichteten Compagnien, die Neiter
auf abgetriebenen Pferden, die Kanoniere bei ihren theilweiſe
unbrauchbar gewordenen Geſchützen grollenden Donner als
Zeichen neuer Kämpfe vernahmen, dann ging es wohl durch die
Reihen: Es geht ſchon wieder los! Feſter wurde die treue
Flinte oder Büchſe gefaßt, feſter ſchloß ſich die Zügelfauſt, aber
an Stelle der früheren Kampfesfreude trat jetzt ernſte Beſorgniß,
ob es noch möglich ſein würde, zu ſiegen. Und es wurde mög-
lich trotz der drei- und vierfachen Ueberzahl der Feinde, trotz
Entbehrungen und Schwierigkeiten aller Art, weil Ehre und
Pflicht es geboten: darin lag das Geheimniß der deutſchen
Erfolge in jenen ſchweren Wintertagen des Jahres 1870, ob-
gleich es eine Zeit lang ſcheinen konnte, als ob an der Loire
die deutſche Siegeslaufbahn zum Stehen kommen ſollte.

Furchtbar waren allerdings die Opfer und außergewöhn-
lich groß die Verluſte, mit denen gerade das I. bayeriſche
Armeecorps jenen endlichen Sieg der deutſchen Waffen erkaufen
mußte. Das Armeecorps hat in der Zeit vom 1. Novem-
ber bis zum 16. December 1870 verloren 322 Officiere und
6778 Mann an Todten und Verwundeten. Dieſe Zahlen be-
deuten, daß das Armeecorps in dieſen ſechs Wochen weit über
den dritten Theil ſeines Beſtandes allein auf dem Schlachtfeld
[Spaltenumbruch] eingebüßt hat. Dabei ſind die Abgänge in Folge von Krank-
heiten und Strapazen nicht in Anſatz gebracht. Selbſt die
Nachſchübe an Erſatzmannſchaften konnten die Lücken nicht
mehr ſchließen, weil Tag für Tag neue klafften.

Um einen vergleichenden Maßſtab zu geben, wie ſchwer
und blutig die Hand der Kriegsfurie auf dem Corps von der
Tann laſtete, ſei erwähnt, daß diejenige preußiſche Diviſion,
welche als Waffengefährtin der Bayern an der Loire am
meiſten gelitten hat, die 22. (Heſſen und Thüringer) in dem-
ſelben Zeitraum 67 Officiere und 1447 Mann vor dem Feind
verloren, alſo im Verhältniß zu den beiden Diviſionen der
Bayern viel weniger gelitten hat.

Nachdem Orléans in Folge der Schlacht von Coulmiers
wieder in den Beſitz der Franzoſen gefallen, trat bei letzteren
eine Pauſe in den Operationen ein. Dieſe Pauſe war ziemlich
unfreiwillig. Der „Sieg“ vom 9. November hatte das Ge-
füge der franzöſiſchen Loire-Armee ſo erſchüttert, daß ſie an die
Befreiung von Paris angeſichts der Armeeabtheilung des
Großherzogs von Mecklenburg — I. bayeriſches Armeecorps,
17. Infanteriediviſion, 22. Infanteriediviſion, 2., 4., 5. und
6. Cavalleriediviſion — vorläufig nicht dachte. Dagegen ent-
wickelte die Armeeabtheilung in der Zeit vom 16. bis 28. No-
vember eine rührige, außergewöhnliche Thätigkeit. Sie marſchirte
zuerſt in der Richtung auf Dreux, dann auf Le Mans, um ſchließlich
in Eilmärſchen nach der Loire zurückzukehren, wo Orléans mit
ſchier magnetiſcher Kraft Franzoſen wie Deutſche bannte.

Die Operationen der Armeeabtheilung vom 16. bis 28. No-
vember ſtellten ganz außerordentliche Anforderungen an die
Marſchfähigkeit. Es iſt in keiner Periode des deutſch-franzö-
ſiſchen Krieges mehr und unter ſo erſchwerenden Umſtänden
marſchirt worden, als in jenen Novembertagen, aber auch in
keiner Peciode nutz- und erfolgloſer wie damals. Es kann heute
kein Zweifel mehr darüber ſein, daß die Armeeabtheilung ſich
damals von den Franzoſen hat dupiren laſſen und einem Phantom
nachmarſchirte, das immer wieder verſchwand, als man es
greifen wollte. Selbſt das Generalſtabswerk kann nicht umhin,
die Planloſigkeit jener Operationen anzudeuten. Glücklicherweiſe
hatten Bayern, Heſſen und Mecklenburger ſich hiebei ſo gut ein-
marſchirt, daß ſie immer noch rechtzeitig zurückkamen, als es galt,
im Verein mit der zweiten Armee unter Prinz Friedrich Karl,
die entſcheidenden Schläge gegen den anrückenden Feind zu thun.

Auf dem äußerſten Flügel der in weitem Bogen den Wald

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Beauce tauchen die ver&#x017F;chneiten Wege, die eintönigen, gerad-<lb/>
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Coulmiers. Die angeborne Tapferkeit des bayeri&#x017F;chen Stammes<lb/>
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[0001] Nr. 342. — 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Mittwoch, 10. December 1890. Abonnementspreis in München b. d. Ex- pedition oder den im Stadtbezirk errichte- ten Depots abgeholt monatt. M. 2. —, bei 2malig. Zuſtellung ins Haus M. 2.50; durch d. Poſt bezogen: vier- teljährlich f. Deutſchl. u. Oeſterreich M. 9. —, für d. Ausl. mit ent- ſprechendem Zuſchlag. Direkter Bezug unter Sireifband für Deutſchland n. Oeſterreich monalk. M. 4. —, Ausland M. 5. 60. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis p. Colonelzeile 25 Pf.; financielle Anzeigen 35 Pf.; Lokalanzeigen 20 Pf.; kleine Anzei- gen i. gewöhnl Schrift 3 Pf.; in ſetter Schrift 5 Pf. für das Wort. Redaktion u. Expedi- tion befindon ſich Schwanthalerſtr. 73 in München. Verichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko einzu- ſenden. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Sir. London; für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. 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Inhalts-Ueberſicht. Die Anfänge der neueren Schutzzollbewegung. Zur Schulfrage in Preußen. Deutſches Reich. * Berlin: Vom Reichstage. Zur Sonn- tagsruhe. Der Cultusminiſter. Verbot künſtlicher Kaffeebohnen. Italien. * Der neue Finanzminiſter. Duell Cavallotti-Sacerdoti. Feuilleton: ⤩ An der Loire. Bayeriſche Chronik. — Telegraphiſche Nachrichten. Hiezu: Zweites und drittes Morgenblatt. München, 9. December. Die Anfänge der neueren Schutzzollbewegung. G. M. Das Actenſtück, welches die Begründung des neuen franzöſiſchen Zolltarifentwurfs bildet, enthält eine durchaus ſchiefe Darſtellung über den maßgebenden Antheil der Zoll- politik Deutſchlands an der neueren ſchutzzöllneriſchen Bewegung. Die deutſche Handelspolitik hat zwar durchaus keinen Grund, irgendwie zu verläugnen, daß ſie mit vollem Bewußtſein von den Rückſichten, welche ſie der nationalen Gütererzeugung ſchuldet, die Bahn des Freihandels verlaſſen hat, ſie kann aber nicht zugeben, daß ſie allein es geweſen ſei, welche die ganze moderne Schutzzollbewegung erſt in Fluß gebracht habe. So nämlich ſtellt das oben erwähnte Actenſtück die Sache dar. Danach hätte ſich angeblich Frankreich bei dem vor zehn Jahren angenommenen Zollſyſtem nicht erheblich von der Richtung ent- fernt, welche ſeine Handelspolitik im Jahre 1860 eingeſchlagen hatte und welcher überhaupt erſichtlich noch im Jahre 1881 die Mehrzahl der europäiſchen Nationen angehört hätte. Einzig und allein Deutſchland hätte, nach der Meinung des Verfaſſers jener Begründung des Meiſterwerks neueſter franzöſiſcher Hoch- ſchutzzollkunſt, damals einen anderen Weg eingeſchlagen. Unter Verzicht auf den gemäßigten Tarif von 1865, der eine Folge der Handelsverträge mit Frankreich und Oeſterreich geweſen ſei und im Jahre 1873 ohne weſentliche Aenderung ſeines Ge- ſammtcharakters einige Aenderungen erfahren habe, ſei deutſcher- ſeits mit dem Jahre 1879 ein ſtreng ſchutzzöllneriſches Régime inaugurirt worden: das von Deutſchland gegebene Beiſpiel aber habe nachher bei anderen Mächten Nachahmung ge- funden. Daß dieſe Darſtellung von der Wahrheit abweicht, iſt Jedem, welcher bei der deutſchen Zolltarifreform von 1879 mit- zuwirken in der Lage war, auf den erſten Blick klar. Doch hat man nicht ſofort die einzelnen geſchichtlichen Daten bequem zur Hand, um die franzöſiſche Geſchichtsverdrehung zu widerlegen. Da kommt das inhaltreiche Werk von Dr. Alexander v. Mat- lekovits „Die Zollpolitik der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie und des Deutſchen Reiches ſeit 1868 und deren nächſte Zukunft“ (Leipzig, Duncker und Humblot) ſehr gelegen. Matlekovits iſt als Zeuge durchaus einwandfrei; denn er iſt kein Freund, ſondern ein ausgeſprochener Gegner der neueren deutſchen Zoll- politik; er iſt überhaupt in ſeinen zollpolitiſchen Urtheilen durch und durch Ungar, der als ſolcher den deutſchen Schutzzoll un- barmherzig verurtheilt, für ungariſche Schutzzölle aber einen weiten Mantel der Liebe zur Verfügung hat. Auch darin, daß er ſeine im übrigen ſo breit angelegte zollpolitiſche Geſchichts- erzählung erſt mit 1868, alſo mit dem Jahre nach dem öſter- reichiſch-ungariſchen Ausgleich beginnen läßt, kommt das unga- riſche Selbſtbewußtſein des Verfaſſers zum Ausdruck. Dieſer hohe ungariſche Staatsbeamte, der viele Jahre bei den zoll- politiſchen Verhandlungen ſeines Vaterlandes perſönlich thätig geweſen iſt und der uns in ſeinem Buche jede Wandlung der deutſchen wie der öſterreichiſch-ungariſchen Zollpolitik feit 20 Jahren, gewiſſermaßen unter Abdruck ſeiner Handacten mit kritiſchen Bemerkungen, getreulich vorführt, gibt freilich ein ganz anderes Bild vom Antheil Deutſchlands an der modernen Schutzzollbewegung, als der franzöſiſche Miniſterialbeamte, welcher muthmaßlich die Begründung zum dortigen Zolltarif- entwurf fertiggeſtellt hat. In ſehr lehrreicher Weiſe zeigt Matlekovits bei ſeiner Dar- legung der öſterreichiſchen Zollpolitik das frühzeitige, an den Krach von 1873 ſich anreihende und durch den Parlamentaris- mus geförderte Erwachen der Schutzzollagitation, wie ſolche insbeſondere ſchon im Jahre 1874 durch den Verein der Montan-, Eiſen- und Maſchineninduſtriellen betrieben wurde. Dieſe Bewegung war es, welche in Oeſterreich zu dem auto nomen Tariſe von 1878 führte. Nicht minder ausgeſprochen wie in Oeſterreich war in Italien ſchon im Jahre 1875 die ſchutzzöllneriſche Bewegung, namentlich als unter Luzzatti’s Führung eine Enquête veranſtaltet wurde, bei welcher unter Wanderung von Ort zu Ort die wirthſchaftlichen Verhältniſſe und die Entwicklung der Induſtrie an Ort und Stelle ein- gehend ſtudirt und Material für die fernere Zoll- und Handels- politik geſammelt wurde. „In Deutſchland war um dieſe Zeit“ — ſo ſagt Matle- kovits wörtlich — „noch kaum eine Spur jener Richtung, die dann ſpäter zur Tarifreform des Jahres 1879 führte; nur die Eiſeninduſtriellen rührten ſich, allein auch nicht wegen Zoll- erhöhungen, ſondern nur um zu verhindern, daß die Zollfrei- heit und die ermäßigten Zollſätze für Eiſenfabricate und Eiſen- waaren am 1. Januar 1877 ins Leben träten, wie dies das Zolltarifgeſetz vom Jahre 1873 beſtimmte; aber ſelbſt dieſe Regungen wurden von Seiten der Regierung mit aller Energie zuruckgewieſen.“ Auch in Rußland waren die ſchutzzollneriſchen Ideen zu weiter Verbreitung gelangt und hatten ſchon im Jahre 1876 zu dem Ukas geführt, nach welchem von 1877 an die Zölle in Gold erhoben wurden. Was aber ſpeciell Frank- reich betrifft, wo man jetzt ſo ſcheinheilig von der durch Deutſch- land gewiſſermaßen aufgenöthigten Schutzzollpolitik zu ſprechen liebt, ſo hebt Matlekovits zutreffend die entſchieden ſchutz- zöllneriſchen Tendenzen des am 9. Februar 1877 vom franzöſi- ſchen Ackerbau- und Handelsminiſter der Kammer vorgelegten Zolltarifentwurfes hervor. Die angeführten Thatſachen beweiſen, daß es eine Ge- ſchichtsfälſchung wäre, wenn man der deutſchen Handelspolitik die Ehre zuſchreiben wollte, Europa vom Freihandel zum Schutz- zoll bekehrt zu haben. Mit Necht bemerkt Matlekovits in dem weiteren Capitel ſeines Werkes, in welchem er ſich ſpeciell mit der Geſchichte der deutſchen Handelspolitik beſchäftigt, gelegent- lich der Schilderung der Entwicklung der ſchutzzöllneriſchen Strömung in Deutſchland, daß ſich Deutſchland auf einmal von den Beſtrebungen des Schutzzollſyſtems umgeben und ſich ſelbſt auf dem „Iſolirfchemel des Freihandels“ ſah. Freilich fügt er dann, gewiſſermaßen befürchtend, als ſei er von ſeinem Standpunkt in der Rechtfertigung der deutſchen Zollpolitik zu weit gegangen, noch bei, daß thatſächlich (1877!) die höheren Zölle nur von Seiten Rußlands eingeführt geweſen ſeien, die übrigen Staaten hätten noch unter dem Banne der Handels- verträge geſtanden, es wäre alſo nur das allſeitige ſchutzzöllneriſche Beſtreben zu erkennen geweſen „und hätte vielleicht ein vertragsfreundlicheres Vorgehen Deutſchlands manche Errungenſchaften des Freihandels geſichert.“ In dem Verſuche, Deutſchland in Bezug auf die Herbeiführung des Schutzzolles zu belaſten, faßt Matlekovits an anderer Stelle ſeine ſubjective Auffaſſung, die freilich nicht ganz mit der von ihm ſelbſt vorgetragenen objectiven Geſchichtserzählung über- einſtimmt, in folgendem Satze zuſammen: „Wenn vielleicht Deutſchland mit dem Vorwurf nicht belaſtet werden kann, zu- erſt der liberalen Richtung Front geboten zu haben; wenn es vielleicht ungerecht wäre, zu ſagen, Deutſchland habe zur Um- kehr zum Schutzzoll die Parole gegeben: ſo viel iſt gewiß, daß der Vorgang Deutſchlands die Reaction auf dem wirthſchaft- lichen Gebiete ſtabiliſirte, daß durch ſein Vorgehen das Schutz- zollſyſtem, die Beſtrebungen zum Abſchluß der Verkehrsgebiete, die ſogenannte ſelbſtändige Führung der Handelspolitik durch jeden einzelnen Staat befeſtigt — wenn nicht befördert wurde.“ Wir haben dieſes an hypothetiſchen Windungen reiche Urtheil von Matlekovits hier angeführt, weil es erſehen läßt, daß eigentlich auch er ſehr gern, wenn es nur ginge, Deutſchland als das Mutterland der Schutzzolltarife hinſtellen möchte. Es geht aber nicht, wie die objective Darlegung des Sachver- haltes zeigt, welchen der tüchtige Zolltechniker und Zollpolitiker Matlekovits in ſorgſamer Weiſe uns vorfuhrt. Möge der Verfaſſer der Motive zum neueſten franzöſiſchen Zoll- geſetzentwurf das Buch von Matlekovits, aus welchem er viel lernen kann, aufmerkſam durchleſen, dann wird er ein- ſehen, daß er eine Legende, nicht eine Geſchichte von den An- fängen der neueren Schutzzollbewegung zum Beſten ge- geben hat. Zur Schulfrage in Preußen. §§ Berlin, 8. Dec. Die Beurtheilung der Rede, mit welcher der Kaiſer die Eröffnung der „Schulfrage“ ein- leitete, bildet in der Discuſſion der Privatkreiſe, in Haus und Geſellſchaft den Mittelpunkt des Intereſſes. Für den un- gedruckten Theil der öffentlichen Meinung tritt das harte Urtheil über den Journalismus dabei weſentlich in den Hintergrund. Jedermann weiß, daß das ſcharfe Wort nur cum grano salis verſtanden werden darf. Es ſind ganz andere Punkte, an welche man anknüpft. Vor allem an das Wort von den jungen Griechen und Römern. Mit aller Be- ſtimmtheit läßt ſich ſagen, daß die große Maſſe unſrer Ge- bildeten feſt entſchloſſen iſt, ſich den Untergrund der antiken Bildung nicht rauben zu laſſen, und daß ſie der eingehenden Beſchäftigung mit der Sagenwelt des Alterthums einen idealen Gehalt zumißt, welchen die Edda und ihre Vorläufer ebenſo wenig beanſpruchen dürfen, wie etwa das Nibelungenlied und Feuilleton. (Nachdruck verboten.) An der Loire. November-December 1870. × In dieſen Tagen, welche auch äußerlich an den Winter- feldzug vor zwanzig Jahren anklingen, wird Mancher, der da- mals unter „von der Tann“ den Naupenhelm trug, mit ſeinen Gedanken und Erinnerungen an der fernen Loire weilen. Die Namen verehrter Führer, die Gedenktage blutiger Gefechte, ſieg- reicher Schlachten werden ſich miſchen mit wieder lebendig werdenden Bildern endloſer, beſchwerlicher Märſche, unfreund- licher Biwaks bei eiſigem Winterſturm, ruheloſen, beſchwerlichen Dienſtes. Aus den Schneelandſchaften der Perche und der Beauce tauchen die verſchneiten Wege, die eintönigen, gerad- linigen Chauſſeen mit den langweiligen Pappelreihen und ihren unerſchöpflichen Kilometern auf. Und Abends, wenn „daheim“ ſie um den behaglichen war- men Ofen ſaßen, und die Gedanken und Wünſche, Sorgen und Hoffnungen herüberflogen vom Rhein und Main, von der Iſar und der Donau, vom dunklen Böhmerwald und von den hoch- ragenden Alpen nach den Landſchaften um Orléans, da drängten ſich die müden, hungrigen, verfrorenen, oft auch nur ſehr un- vorſchriftsmäßig gekleideten und reichlich verwildert ausſehen- den „Blauen“ um eine kleine, dürftige Kaminflamme. Das waren aber noch die Glücklichen. Andere mußten dann erſt noch hinaus in die dunkle, unheimliche Nacht. Da hieß es meilen- weit her Befehle holen, Lebensmittelwagen aufſuchen, Mel- dungen überbringen. Aber auch für dieſe war noch wenigſtens ein Ende abzuſehen. Sie konnten meiſtens gegen Morgen noch einige Stunden Schlaf finden, während für Viele auf einen ruheloſen Tag, oft nach erbittertem „Naufen“ mit weit überlegenem Gegner, eine ruheloſe Nacht folgte — auf Vor- poſten! Brach der Morgen an, ſo hieß es von neuem mar- ſchiren, frieren, fechten. Dabei wieſen Feldflaſchen und Brod- beutel bedenkliche Leeren auf, denn mit dem Nequiriren in den ausgeſogenen Landſtrichen ſah es ſchlecht aus. Die Stiefel wurden offenherzig und Erſatz ſchwierig. Stroh, friſche Häute, alte Lappen mußten als Fußbekleidung aushelfen, in verzweifelten Fällen auch klappernde Holzſchuhe. So ging es hinaus in die Winterlandſchaft, faſt immer noch ehe der Tag angebrochen war. Nebel, Schnee, eisglatte oder grundloſe Straßen trugen eben nicht bei, die gute Laune zu erhöhen. Plötzlich ertönt ferner, dumpfer Kanonendonner. Die Officiere hoben die Kopfe und ſuchten ſich aus der Karte — nolabene wenn noch ſolche vorhanden waren, da die „ge- lieferten“ Karten nicht mehr ausreichten — zu orientiren. Der Musketier und Jäger ſah ſein Gewehr nach, der Cüraſſier und Chevauleger rückte im Sattel, der Kanonier ſchloß dichter hinter ſeinem Geſchütz auf. Es geht los; ſo hieß es anfangs, als noch die Bataillone einigermaßen vollzählig, die Pferde leiſtungsfähig, die Geſchütze brauchbar waren. Das war noch im November und in den erſten December-Tagen, als es galt, Revanche zu nehmen für Coulmiers. Die angeborne Tapferkeit des bayeriſchen Stammes und die „Schneid“ des bayeriſchen Officiercorps ſah freudig dem Kampfe entgegen. Sie trugen deſſen Laſten und Verluſte mit Freuden. Anders geſtaltet ſich das Bild nach dem 2. December, nach der blutigen Schlacht von Loigny. Auch in der Zeit zwiſchen dem 3. und 10. December iſt das bayeriſche I. Armee- corps nicht ärmer an Ruhm und Lorbeeren geworden. Aber wenn damals die furchtbar gelichteten Compagnien, die Neiter auf abgetriebenen Pferden, die Kanoniere bei ihren theilweiſe unbrauchbar gewordenen Geſchützen grollenden Donner als Zeichen neuer Kämpfe vernahmen, dann ging es wohl durch die Reihen: Es geht ſchon wieder los! Feſter wurde die treue Flinte oder Büchſe gefaßt, feſter ſchloß ſich die Zügelfauſt, aber an Stelle der früheren Kampfesfreude trat jetzt ernſte Beſorgniß, ob es noch möglich ſein würde, zu ſiegen. Und es wurde mög- lich trotz der drei- und vierfachen Ueberzahl der Feinde, trotz Entbehrungen und Schwierigkeiten aller Art, weil Ehre und Pflicht es geboten: darin lag das Geheimniß der deutſchen Erfolge in jenen ſchweren Wintertagen des Jahres 1870, ob- gleich es eine Zeit lang ſcheinen konnte, als ob an der Loire die deutſche Siegeslaufbahn zum Stehen kommen ſollte. Furchtbar waren allerdings die Opfer und außergewöhn- lich groß die Verluſte, mit denen gerade das I. bayeriſche Armeecorps jenen endlichen Sieg der deutſchen Waffen erkaufen mußte. Das Armeecorps hat in der Zeit vom 1. Novem- ber bis zum 16. December 1870 verloren 322 Officiere und 6778 Mann an Todten und Verwundeten. Dieſe Zahlen be- deuten, daß das Armeecorps in dieſen ſechs Wochen weit über den dritten Theil ſeines Beſtandes allein auf dem Schlachtfeld eingebüßt hat. Dabei ſind die Abgänge in Folge von Krank- heiten und Strapazen nicht in Anſatz gebracht. Selbſt die Nachſchübe an Erſatzmannſchaften konnten die Lücken nicht mehr ſchließen, weil Tag für Tag neue klafften. Um einen vergleichenden Maßſtab zu geben, wie ſchwer und blutig die Hand der Kriegsfurie auf dem Corps von der Tann laſtete, ſei erwähnt, daß diejenige preußiſche Diviſion, welche als Waffengefährtin der Bayern an der Loire am meiſten gelitten hat, die 22. (Heſſen und Thüringer) in dem- ſelben Zeitraum 67 Officiere und 1447 Mann vor dem Feind verloren, alſo im Verhältniß zu den beiden Diviſionen der Bayern viel weniger gelitten hat. Nachdem Orléans in Folge der Schlacht von Coulmiers wieder in den Beſitz der Franzoſen gefallen, trat bei letzteren eine Pauſe in den Operationen ein. Dieſe Pauſe war ziemlich unfreiwillig. Der „Sieg“ vom 9. November hatte das Ge- füge der franzöſiſchen Loire-Armee ſo erſchüttert, daß ſie an die Befreiung von Paris angeſichts der Armeeabtheilung des Großherzogs von Mecklenburg — I. bayeriſches Armeecorps, 17. Infanteriediviſion, 22. Infanteriediviſion, 2., 4., 5. und 6. Cavalleriediviſion — vorläufig nicht dachte. Dagegen ent- wickelte die Armeeabtheilung in der Zeit vom 16. bis 28. No- vember eine rührige, außergewöhnliche Thätigkeit. Sie marſchirte zuerſt in der Richtung auf Dreux, dann auf Le Mans, um ſchließlich in Eilmärſchen nach der Loire zurückzukehren, wo Orléans mit ſchier magnetiſcher Kraft Franzoſen wie Deutſche bannte. Die Operationen der Armeeabtheilung vom 16. bis 28. No- vember ſtellten ganz außerordentliche Anforderungen an die Marſchfähigkeit. Es iſt in keiner Periode des deutſch-franzö- ſiſchen Krieges mehr und unter ſo erſchwerenden Umſtänden marſchirt worden, als in jenen Novembertagen, aber auch in keiner Peciode nutz- und erfolgloſer wie damals. Es kann heute kein Zweifel mehr darüber ſein, daß die Armeeabtheilung ſich damals von den Franzoſen hat dupiren laſſen und einem Phantom nachmarſchirte, das immer wieder verſchwand, als man es greifen wollte. Selbſt das Generalſtabswerk kann nicht umhin, die Planloſigkeit jener Operationen anzudeuten. Glücklicherweiſe hatten Bayern, Heſſen und Mecklenburger ſich hiebei ſo gut ein- marſchirt, daß ſie immer noch rechtzeitig zurückkamen, als es galt, im Verein mit der zweiten Armee unter Prinz Friedrich Karl, die entſcheidenden Schläge gegen den anrückenden Feind zu thun. Auf dem äußerſten Flügel der in weitem Bogen den Wald

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine342_1890/1>, abgerufen am 21.11.2024.