Allgemeine Zeitung, Nr. 335, 3. Dezember 1890.Mittwoch, Zweites Morgenblatt, Nr. 335 der Allgemeinen Zeitung. 3. December 1890. [Spaltenumbruch] Inhalts-Uebersicht. Italien. Nom: Die Lage nach den Wahlen. Spanien. C. Madrid: Die Wahljunta. Sagasta. Das allge- meine Wahlrecht und die Regierung. Verschiedenes. Deutscher Reichstag. Verschiedenes. -- Handel und Volkswirthschaft. Italien. Rom, 27. Nov. Die Radicalen wollten hundert Mann Rom, 30. Nov. Die in meinem vorigen Briefe er- Spanien. C. Madrid, 27. Nov. Noch immer bildet der zwischen Deutscher Reichstag. Telegraphischer Privatbericht der Allg. Ztg. [] Berlin, 2. Dec.33. Sitzung. Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet. Präsident v. Levetzow: Seit der letzten Sitzung sind die Abgg. Grad, Virnich, Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Staatssecretär v. Boetticher: Mittwoch, Zweites Morgenblatt, Nr. 335 der Allgemeinen Zeitung. 3. December 1890. [Spaltenumbruch] Inhalts-Ueberſicht. Italien. ♋ Nom: Die Lage nach den Wahlen. Spanien. C. Madrid: Die Wahljunta. Sagaſta. Das allge- meine Wahlrecht und die Regierung. Verſchiedenes. Deutſcher Reichstag. Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft. Italien. ♋ Rom, 27. Nov. Die Radicalen wollten hundert Mann ♋ Rom, 30. Nov. Die in meinem vorigen Briefe er- Spanien. C. Madrid, 27. Nov. Noch immer bildet der zwiſchen Deutſcher Reichstag. Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg. [] Berlin, 2. Dec.33. Sitzung. Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet. Präſident v. Levetzow: Seit der letzten Sitzung ſind die Abgg. Grad, Virnich, Auf der Tagesordnung ſteht zunächſt die erſte Berathung des Staatsſecretär v. Boetticher: <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0005"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main">Mittwoch, <hi rendition="#b">Zweites Morgenblatt, Nr. 335 der Allgemeinen Zeitung.</hi> 3. December 1890.</titlePart> </docTitle> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="contents" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Inhalts-Ueberſicht.</hi> </head> <list><lb/> <item><hi rendition="#b">Italien.</hi> ♋ <hi rendition="#g">Nom:</hi> Die Lage nach den Wahlen.</item><lb/> <item><hi rendition="#b">Spanien.</hi><hi rendition="#aq">C.</hi><hi rendition="#g">Madrid:</hi> Die Wahljunta. Sagaſta. Das allge-<lb/> meine Wahlrecht und die Regierung. Verſchiedenes.</item><lb/> <item> <hi rendition="#b">Deutſcher Reichstag.</hi> </item><lb/> <item> <hi rendition="#b">Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft.</hi> </item><lb/> </list> </div> </front> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <dateline>♋ <hi rendition="#b">Rom,</hi> 27. Nov.</dateline><lb/> <p>Die Radicalen wollten hundert Mann<lb/> ſtark in die Kammer zurückkehren. Unter dem Tritt ihrer<lb/> Wählerbataillone ſollten Criſpi und ſein Regierungsſyſtem, der<lb/> Dreibund und die Freundſchaft mit Oeſterreich, der Servilismus<lb/> des Parlaments und die verrottete Verwaltung zermalmt wer-<lb/> den. Seitdem die Wahlergebniſſe bekannt ſind, iſt es von den<lb/> meiſten dieſer hochgemuthen Abſichten ſtill geworden. Nur der<lb/> auswärtigen Politik iſt nach der Behauptung der radicalen<lb/> Blätter thatſächlich der Todesſtoß verſetzt worden — und zwar<lb/> durch die Erwählung des Trientiners Bezzi in Ravenna und<lb/> des Trieſtiners Barzilai in Rom, über welche die Anhängerſchaft<lb/> Cavallotti’s und Imbriani’s ein betäubendes Jubelgeſchrei erhebt,<lb/> um ſo betäubender, als die berechtigten Hinweiſe der Gegner auf das<lb/> allgemeine radicale Fiasco übertönt werden müſſen. Man muß ſich<lb/> fragen, ob die Verblendung oder die Verſtellung der radicalen Wort-<lb/> führer oder ihr Zutrauen in die urtheilsloſe Leichtgläubigkeit ihrer<lb/> Schaaren größer iſt, wenn man liest, daß die beiden genannten<lb/> Wahlen die „ſchmachvolle Verurtheilung der ſervilen und das<lb/> Land ruinirenden auswärtigen Politik“ bedeuten ſollen, während<lb/> vier Fünftheile der erwählten Volksvertreter dieſe Politik aus-<lb/> drücklich billigen und mindeſtens die Hälfte des Neſtes ſie nie<lb/> mißbilligt hat. — Die größte Zuverſicht tragen bis jetzt<lb/> die moderirten Elemente der Negierungsmehrheit zur<lb/> Schau, welche bereits glauben, dem Miniſterium Bedingungen<lb/> für ihre fernere Unterſtützung vorſchreiben zu dürfen. Die<lb/> römiſche „Opinione“ gibt deutlich zu verſtehen, daß ſie außer<lb/> der Haltung aller Verſprechungen des Turiner Programms<lb/> auch eine theilweiſe Umgeſtaltung des Miniſteriums im mode-<lb/> rirten Sinne erwarte, was von anderen regierungsfreundlichen<lb/> Blättern, wie dem „Popolo Romano“, der ſeinerſeits unerbitt-<lb/> liche Strenge gegen die Nadicalen fordert, nur als verfrüht<lb/> und daher bedenklich bezeichnet, aber im Grunde nicht zurück-<lb/> gewieſen wird. Das Miniſterium wird trotz, beziehungsweiſe<lb/> wegen der übergroßen Mehrheit, die bei den Wahlen unter<lb/> ſeine Fahnen getreten iſt, der parlamentariſchen Schwierig-<lb/> keiten nicht ledig ſein. Die Criſpi’ſche „Riforma“ geſteht zu,<lb/> daß zahlreiche Deputirte, welche unter dem Zeichen der<lb/> Regierungsfreundſchaft über ihre Wahlgegner geſiegt haben,<lb/> mit Necht ſich nicht zur Unterſtützung des Miniſteriums<lb/> für verbunden halten werden, falls das letztere nicht bald<lb/> und ernſtlich an die Einlöſung ſeiner Verſprechungen denke.<lb/> Aber es dürfte ſich zeigen, daß dies allein nicht genügt. Das<lb/> Turiner Programm iſt umfaſſend und mannichfach. Nicht alle<lb/> Miniſteriellen nehmen es in allen Theilen an; und über den<lb/> Modus, das Tempo, die Ausdehnung der Ausführung gehen<lb/> die Wünſche und Anſichten auch bezüglich der allgemein ge-<lb/> billigten Punkte, wie der Finanzregulirung, der Steuerreform,<lb/> der wirthſchaftlichen und Handelsmaßnahmen, des Creditweſens,<lb/> der Einſchränkung der Militär- und Bautenausgaben aus-<lb/> einander. Vor allem werden natürlich die Radicalen es ſich<lb/> angelegen ſein laſſen, dem Cabinet von den erſten Tagen an<lb/> das Leben ſauer zu machen.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <dateline>♋ <hi rendition="#b">Rom,</hi> 30. Nov.</dateline><lb/> <p>Die in meinem vorigen Briefe er-<lb/> wähnten Verſuche einiger moderirter Blätter, wie der „Opinione“,<lb/> ſchon jetzt unter Berufung auf die Wahlerfolge der Moderirten<lb/> und ihre Unentbehrlichkeit für Criſpi die Nothwendigkeit einer<lb/> Aufopferung der fortſchrittlichen Miniſter darzulegen, werden<lb/> allgemein als ungeſchickt und verfrüht bezeichnet. In der That<lb/> können derartige Fragen nicht mit Nutzen aufgeworfen werden,<lb/> ſo lange es noch völlig im Dunkeln liegt, ein wie großer Theil<lb/> der als miniſteriell bezeichneten Deputirtenmaſſe ſich wirklich<lb/> auf die Seite der Regierung ſchlagen, welche Haltung die<lb/> Oppoſition einnehmen, welchen Weg die Regierung gehen,<lb/> welche Vorlagen und parlamentariſchen Vorkommniſſe eine<lb/> Scheidung der Parteien hervorrufen werden. Vor Ende<lb/> Januar iſt an eine entſcheidende Debatte kaum zu denken,<lb/> denn die kurze Friſt vom 10. December bis zum Antritt der<lb/> Weihnachtsferien wird höchſtens ausreichen, die Conſtituirung<lb/> des Hauſes, die Wahl der Permanenzausſchüſſe, die Wahl-<lb/> prüfungen und die Berathung des Nachtragsetats vorzunehmen.<lb/> Die Radicalen werden zwar verſuchen, für ihre Wahlniederlage<lb/> ſich durch erhöhten Lärm und noch herausfordernderes Auftreten<lb/> in der Kammer zu entſchädigen. Aber es iſt nicht wahrſchein-<lb/> lich, daß die Kammer ihr Spiel unterſtützen werde, und ſelbſt<lb/> wenn man Barzilai, Ferrari oder einem Andern der ſcandal-<lb/> füchtigen Schaar den Gefallen thun ſollte, ſeine Tiraden unver-<lb/> kürzt anzuhören, ſo wird die Folge nur die ſein, daß ihnen<lb/> abermals zu Gemüthe geführt wird, wie weit ſie von der<lb/> Billigung der großen Mehrheit entfernt ſind. Sehr bald<lb/> dürfte ſich auch herausſtellen, daß der geringe numeriſche Zu-<lb/> wachs, mit dem die Radicalen auf den Montecitorio zurückkehren,<lb/> nichts weniger als geeignet iſt, die moraliſche Niederlage aus-<lb/> zugleichen, die in der eclatanten Erfolgloſigkeit ihrer Agitation<lb/> gegen Criſpi und den Dreibund, in dem Unterliegen der Hälfte<lb/> ihrer früheren Vertreter und in der Uneinigkeit der Führer<lb/> liegt. Schon wird von verſchiedenen Seiten angedeutet, daß<lb/> Fortis, der ehemalige Unterſtaatsſecretär Criſpi’s, welchem kurz<lb/> vor der Wahl ſeine Liſten- und Parteigenoſſen Ferrari und<lb/> Vendemini feindlich entgegentraten, weil er einem legalen<lb/> Nadicalismus huldigte, die Abſicht habe, alle Anhänger des<lb/> letzteren, d. h. ein gutes Dritttheil der Partei, als beſondere<lb/> Gruppe um ſich zu ſammeln. Die fortſchrittliche „Tribuna“,<lb/> welche die Fehlgriffe und Spaltungen der radicalen Partei<lb/> immer bedauert hat, ſtellt es als ausgemacht hin, daß dieſe<lb/> Fortis’ſche Gruppe in allen den Veſtand der Inſtitutionen be-<lb/> rührenden Fragen gegen die äußerſte Linke, d. h. mit den Fort-<lb/> ſchrittlichen, ſtimmen werde. Vermuthlich gibt ſie damit nur<lb/> ihrem Wunſche Ausdruck. Jedoch ſteht feſt, daß die verkappten<lb/> Republicaner und Socialiſten unter den Radicalen bei ihren<lb/> Wühlereien und Fehden gegen die Regierung durchaus nicht<lb/> auf die Zuſtimmung der ganzen Partei rechnen können. Zählt<lb/> die progreſſiſtiſche Linke nicht ohne Grund auf zeitweiligen Zu-<lb/> zug aus den radicalen Reihen, ſo betont die miniſterielle Preſſe,<lb/> daß die bei den Wahlen erfolgte und in der Kammer zu er-<lb/> wartende Unterſtützung durch die Rechtsliberalen das Cabinet<lb/> keineswegs von ſeiner linksliberalen Baſis wegdrängen werde.<lb/> Dasſelbe ſei und bleibe fortſchrittlich und demokratiſch. Dazu<lb/> bemüht ſich die „Riforma“, nachzuweiſen, daß die weſentlich<lb/> wirthſchaftlichen und ſocialen Reformen der neuen Legislatur-<lb/> periode einen Streit über die Parteiphyſiognomie der Regie-<lb/><cb/> rung ziemlich überflüſſig erſcheinen laſſen, da alle Parteien<lb/> jenen Reformen zuſtimmen müßten.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Spanien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#aq">C.</hi><hi rendition="#b">Madrid,</hi> 27. Nov.</dateline><lb/> <p>Noch immer bildet der zwiſchen<lb/> der Centralwahljunta und dem Cabinet beſtehende Conflict den<lb/> Gegenſtand der Erörterungen der Tagespreſſe. Die Negierung<lb/> hat auf das von der Junta übermittelte officielle Schriftſtück<lb/> über geforderten Appell an die Cortes in der zuvorkommendſten<lb/> Form geantwortet, mit dem Vemerken, daß die Unterbreitung<lb/> des Documents ſofort nach der geſetzlich vorgeſehenen Ein-<lb/> berufung der Kammer geſchehen und die bei der Gelegenheit<lb/> von dem Cabinet über ſein eigenes Verhalten abzugebende Er-<lb/> klärung gewiß alle Theile befriedigen werde. Inzwiſchen fordern<lb/> die demokratiſchen und republicaniſchen Blätter, unter Führung<lb/> des ſalmeroniſtiſchen Organs, der „Juſticia“, zur Abhaltung<lb/> von Meetings auf, um auf dieſe Weiſe gegen die Vergewal-<lb/> tigung des Wahlgeſetzes zu proteſtiren und die Omnipotenz der<lb/> Regierung der parlamentariſchen Körperſchaft gegenüber zu be-<lb/> ſeitigen. Dazu gibt hauptſächlich eine ſeit den letzten Tagen<lb/> ausgeführte Rechtsſchwenkung Sagaſta’s den Anlaß, welcher<lb/> als Monarchiſt ſich der Gefährlichkeit des beſchrittenen Weges<lb/> wohl bewußt iſt und nicht dem radicalen Element den Boden<lb/> ebnen will. In demſelben Maße, als ſich der Zeitpunkt nähert,<lb/> an welchem das neue Wahlgeſetz ſich praktiſch bewähren ſoll,<lb/> häuſen ſich auch die bei der Ausarbeitung desſelben begangenen<lb/> und erſt jetzt erkannten Fehler, und der Staatsminiſter Silvela<lb/> arbeitet mit ſieberhafter Haſt, um durch nachträgliche königliche<lb/> Decrete die Lücken der Geſetzgebung auszufüllen. Zuerſt war<lb/> es die Anwendung des Geſetzes auf die Provinzwahlen, welche<lb/> der Centralwahljunta und der Regierung Schwierigkeiten ſchuf,<lb/> und nachgerade findet man, daß die ebenfalls verſpätete Ein-<lb/> theilung der Wahldiſtricte in Sectionen und Specialcollegien<lb/> zu allen möglichen Wahlbeeinfluſſungen führen könnte. Jeden-<lb/> falls ſind noch viele Kämpfe zu gewärtigen, ehe das ſeinerzeit<lb/> faſt ohne Discuſſion angenommene Geſetz definitive Form ge-<lb/> winnt. Im Hinblick auf die genannten Vorgänge wird ſeitens<lb/> der Demokraten und Republicaner die Verechtigung einer Kriſis<lb/> betont, d. h. der Bildung eines interimiſtiſchen neutralen Mini-<lb/> ſteriums zur Wahrung der Unparteilichkeit während der Wahl-<lb/> periode. Der Regierung, welche ſich aus principiellen Gegnern<lb/> der Wahlreform zuſammenſetzt und ſich erſt zur Annahme derſelben<lb/> bereit finden ließ, als ſie ſich ſelbſt zur Anwendung des Ge-<lb/> ſetzes auserſehen wußte, ſteht die Maſſe der Wähler gegenüber,<lb/> welche in der gedachten Neform ihre letzte Hoffnung in Bezug<lb/> auf Geltendmachung eigener Rechte erblicken. Man iſt allgemein<lb/> der Ueberzeugung, daß die Cabinetsfrage zwar nicht geſtellt<lb/> werden wird, aber Grund genug vorhanden iſt, eine weitere<lb/> Zuſpitzung des Conflicts bei den Wahlkämpfen zu befürchten.<lb/> — Der liberale Ex-Miniſter Canal<hi rendition="#aq">é</hi>jas hat in ſeiner vor<lb/> wenigen Tagen in Alcoy gehaltenen Wahlrede das gegen-<lb/> wärtige conſervative Cabinet wegen ſeiner Politik und<lb/> ſeines Verhaltens bei den früheren Wahlen auf’s heftigſte<lb/> angegriffen. Unter anderem meint er, daß zwar der an-<lb/> fängliche Widerſtand der Conſervativen gegen die allgemeine<lb/> Wahl begreiflich, die nachträgliche Fälſchung der letzteren hin-<lb/> gegen geradezu unvernünftig ſei. — Die durch die Zerſtörung<lb/> der hieſigen <hi rendition="#g">Tabakfabrik</hi> zeitweilig brodlos gewordenen<lb/> Cigarrenarbeiterinnen haben aus der Privatcaſſe der Königin<lb/> 10,000 Peſetas zugewieſen erhalten, ebenſo ſind denſelben<lb/> weitere Hülfeleiſtungen ſeitens der Regierung, durch Theater-<lb/> vorſtellungen u. ſ. w. geſichert. — Seit dem 13. Mai, an<lb/> welchem der erſte <hi rendition="#g">Cholerafall</hi> in Puebla de Nugat con-<lb/> ſtatirt wurde, iſt der 20. November der erſte Tag, welcher<lb/> ohne neuen Erkrankungsfall innerhalb ganz Spaniens verlief.<lb/> Auch in Bezug auf die Blatternepidemie in Madrid iſt er-<lb/> freulicherweiſe ein Rückgang zu conſtatiren, der, wenn auch<lb/> nicht bedeutend, immerhin Hoffnung auf baldiges Verſchwinden<lb/> der Krankheit läßt. — Ueber die auf einer der <hi rendition="#g">Carolinen-<lb/> inſeln</hi> (Ascenſion) zur Beſtrafung aufrühreriſcher Eingeborenen<lb/> kürzlich unternommene <hi rendition="#g">militäriſche Expedition</hi> liegt nun<lb/> der officielle Bericht vor. Aus demſelben iſt, in Verbindung<lb/> mit den früher erhaltenen Telegrammen, erſichtlich, daß<lb/> die aus ca. 600 Mann beſtehende Truppe unter Befehl eines<lb/> Oberſten von der Hafenſtadt Ponap<hi rendition="#aq">è</hi> aufgebrochen war, um<lb/> dem betreffenden Stamm (Metalanim), welcher ſich der Er-<lb/> mordung einer ſpaniſchen Beſatzung von 25 Mann ſchuldig<lb/> gemacht, auf dem Landweg beizukommen. Die Schwierig-<lb/> keiten des Terrains und daraus entſtandener Verluſt des<lb/> Proviants zwangen aber zur Umkehr, was der Führer der<lb/> Expedition ſich ſo zu Herzen nahm, daß er ſich in ſeinem Zelt<lb/> entleibte. Darauf erfolgte, diesmal von der Seeſeite her, der<lb/> Angriff und die Einnahme der von den Eingeborenen nach<lb/> europäiſcher Art gut befeſtigten Stellungen von Oua, welcher<lb/> Ort nach Vertreibung und theilweiſer Niedermachung der fliehen-<lb/> den Aufrührer der Vernichtung durch die Flammen preis-<lb/> gegeben ward. Man hofft, durch dieſes Vorgehen die Ruhe<lb/> auf den Carolin en wiederhergeſtellt zu haben.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Deutſcher Reichstag.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <head><hi rendition="#g">Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg.<lb/> 33. Sitzung</hi>.</head><lb/> <dateline><supplied>&#xfffc;</supplied><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 2. Dec.</dateline><lb/> <p>Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet.<lb/> Am Bundesrathstiſche Reichskanzler v. <hi rendition="#g">Caprivi, v. Boetticher,<lb/> v. Maltzahn, v. Kaltenborn-Stachau, v. Oehlſchläger,<lb/> Hollmann</hi> und Commiſſare.</p><lb/> <p>Präſident <hi rendition="#b">v. Levetzow</hi>: <cit><quote>Mit freundlichem Gruß an die<lb/> Herren Collegen eröffne ich die Sitzung. Dieſelbe früher anzu-<lb/> beraumen, war nicht möglich, weil geeignetes Berathungsmaterial<lb/> nicht vorlag. Das Präſidium hat aus Anlaß der Vermäh-<lb/> lung der Prinzeſſin Victoria von Preußen und des Prinzen<lb/> Adolf von Schaumburg-Lippe Sr. Majeſtät dem Kaiſer und<lb/> Ihrer Majeſtät der Kaiſerin Friedrich die ehrerbietigſten<lb/> Glückwünſche des Reichstags dargebracht. Se. Majeſtät haben in<lb/> Folge deſſen mich beauftragt, den allerhöchſten wärmſten Dank für<lb/> die Theilnahme dem Reichstage auszudrücken. Eines gleichen Auf-<lb/> trages habe ich mich von Ihrer Majeſtät der Kaiſerin Friedrich zu<lb/> entledigen. Unſerm hochverehrten Mitgliede und Senior Feld-<lb/> marſchall Grafen Moltke hat das Präſidium zu deſſen 90. Geburts-<lb/> tage die Glückwünſche des Reichstags überbracht. Dieſe Glück-<lb/> wünſche ſind in freundlichſter und dankbarſter Weiſe aufgenommen<lb/> worden. Nicht minder halte ich mich Ihrer Zuſtimmung dafür<lb/> gewiß, daß ich dem erſten und langjährigen Präſidenten des Reichs-<lb/> tags, dem Reichsgerichtspräſidenten <hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. Simſon, zu deſſen<lb/> 80. Geburtstage ſchriftlich im Namen des Reichstags gratulirt<lb/> habe. (Zuſtimmung.) Auch dieſer Glückwunſch iſt freundlich und<lb/> dankbar aufgenommen worden. Das Protokoll der vorigen Sitzung<lb/> liegt für diejenigen, deren Gedächtniß nicht ſo weit zurückreicht,<lb/> auf dem Bureau zur Einſicht aus. (Heiterkeit.)</quote></cit></p><lb/> <cb/> <p>Seit der letzten Sitzung ſind die Abgg. <hi rendition="#g">Grad, Virnich,<lb/> Witt</hi> und <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Stöhr</hi> verſtorben. Das Haus ehrt das An-<lb/> denken derſelben in der üblichen Weiſe. Die Abgg. <hi rendition="#g">Scheffer</hi><lb/> und v. <hi rendition="#g">Schorlemer-Alſt</hi> haben ihre Mandate niedergelegt.</p><lb/> <p>Auf der Tagesordnung ſteht zunächſt die erſte Berathung des<lb/> Geſetzentwurfs betreffend die <hi rendition="#g">Vereinigung von Helgoland<lb/> mit dem Deutſchen Reich</hi>.</p><lb/> <p>Staatsſecretär v. <hi rendition="#b">Boetticher:</hi> <cit><quote>Ich begrüße es als ein gün-<lb/> ſtiges Omen für den Verlauf der wiederaufgenommenen Be-<lb/> rathungen des Reichstags, daß es ſich hier um einen Geſetzentwurf<lb/> handelt, der, wie ich hoffen darf, die ungetheilte Zuſtimmung<lb/> aller Parteien des Hauſes finden wird. Möchten die übri-<lb/> gen Vorlagen — und in dieſer Beziehung haben Sie<lb/> ja noch ein reiches und wichtiges Penſum vor ſich — mit<lb/> gleicher ungetheilter Theilnahme von Ihnen behandelt werden!<lb/> Die Hoffnung, daß die Einverleibung Helgolands in das Deutſche<lb/> Reich und der Uebergang Helgolands auf den preußiſchen Staat<lb/> von dem hohen Hauſe gutgeheißen werden wird, ſtützt ſich bei mir<lb/> vor allen Dingen auf die Aufnahme, welche die Nachricht von dem<lb/> friedlichen Erwerb der Inſel im Juli d. J. beim deutſchen Volke<lb/> gefunden hat. Man fand in dem Erwerb dieſer Inſel die Er-<lb/> füllung eines bei vielen Mitgliedern der Nation ſtill ge-<lb/> hegten Wunſches, daß die Inſel, die vor wichtigen deutſchen<lb/> Strömen liegt, auch die deutſche Flagge tragen möge. Wenn ich<lb/> auch anerkennen will, daß in Helgoland ſelbſt die erſten<lb/> Nachrichten von dem Uebergange der Inſel auf die Deutſche Reichs-<lb/> hoheit getheilte Gefühle hervorriefen; wenn ich den Eindruck<lb/> empfing, daß damals unter den Helgoländern ſelbſt mit einer<lb/> gewiſſen Sorge in die Zukunft geblickt wurde, hauptſächlich wohl<lb/> deßhalb, weil deutſche Wehrpflicht und deutſche Steuern im Aus-<lb/> lande ſehr gefürchtete Gegenſtände ſind, an die man ſich erſt ge-<lb/> wöhnen muß, um ihnen Geſchmack abzugewinnen (Heiterkeit): ſo<lb/> kann ich heute nach den Wahrnehmungen während einer mehr als<lb/> dreimonatigen Verwaltung verſichern, daß die Helgoländer, und<lb/> zwar vorzugsweiſe dank dem Eindruck der ſofortigen Anweſenheit<lb/> Sr. Majeſtät bei der Beſitzergreifung, willig in den<lb/> neuen Curs hineingeſegelt ſind und daß ſie jetzt mit<lb/> vollem Vertrauen ihrer zukünſtigen Entwicklung entgegenſehen.<lb/> Ich möchte in die Verathung nicht eintreten, ohne an dieſer Stelle<lb/> den Dank der Reichsregierung ausgeſprochen zu haben für das<lb/> wohlwollende und freundliche Entgegenkommen der königlich groß-<lb/> britanniſchen Regierung, die durch die Aufſtellung des Programms<lb/> für die Uebergabe der Inſel und durch ein wohlwollendes Ent-<lb/> gegenkommen gegen die deutſchen Wünſche dem Uebergange ſelbſt<lb/> die Bahn in einer nicht genug anzuerkennenden Weiſe geebnet hat.<lb/> Ich ſpreche ferner perſönlich meinen Dank dem letzten Gouverneur<lb/> der Inſel aus, den leider jetzt bereits der Raſen deckt, für die Art<lb/> und Weiſe, wie er, den Intentionen ſeiner hohen Regierung ent-<lb/> ſprechend, mir, dem Bevollmächtigten Sr. Majeſtät des Kaijſers,<lb/> entgegengekommen iſt und der deutſchen Regierung das Terrain<lb/> ſo geebnet hat, daß ſie ſofort und ohne Störung in ihre<lb/> Thätigkeit eintreten konnte. Bei der Uebernahme mußten wir<lb/> uns fragen, was zunächſt mit der Inſel zu geſchehen habe.<lb/> Wir befanden uns der Thatſache gegenüber, daß Se. Majeſtät der<lb/> Kaiſer Namens des Reichs die Inſel überkommen hatte, und daraus<lb/> ergab ſich die Folgerung, daß zunächſt die Verwaltung vom Reich<lb/> übernommen werden mußte. Dabei konnte es indeſſen nicht blei-<lb/> ben. Man hat ſich vielfach darüber die Köpfe zerbrochen, welches<lb/> der richtige Weg ſei, um die ſtaatsrechtliche und verfaſſungsrecht-<lb/> liche Sanction des Ueberganges der Inſel auf Deutſchland herbei-<lb/> zuführen. Die eine Meinung ging dahin, man ſolle die Inſel<lb/> zunächſt in Preußen einverleiben, und dann würde auf Grund des<lb/> Artikels 1 der Reichsverfaſſung der Uebergang auf das Reich von<lb/> ſelbſt ſich vollzogen haben. Wir ſind der andern Meinung gefolgt<lb/> und hielten es für richtig, zunächſt die Reichsgeſetzgebung in<lb/> Thätigkeit zu ſetzen, denn das Reich iſt derjenige Factor, welcher<lb/> Helgoland beſitzt, und ſollen über Helgoland irgendwelche<lb/> ſtaatsrechtliche Dispoſitionen getroffen werden, ſo ſind das<lb/> Reich und ſeine geſetzgebenden Factoren berufen, dieſe<lb/> Dispoſitionen zu treffen. Die weitere Frage war: Soll<lb/> Helgoland ein ſelbſtändiges Staatsweſen bleiben, ähnlich wie<lb/> die Reichslande, oder ſoll es einem der deutſchen Staaten an-<lb/> geſchloſſen werden? Dieſe Frage, die gewiß verſchiedenartig be-<lb/> antwortet werden kann, glaubten wir in dem Sinne beantworten<lb/> zu müſſen, daß Helgoland einem deutſchen Staate anzuſchließen<lb/> ſei. Das Reich würde gar nicht ohne einen außergewöhnlichen<lb/> Aufwand an Apparaten für die Verwaltung und Rechtſprechung<lb/> in der Lage ſein, ein ſo kleines Territorium in eigene Verwaltung<lb/> zu nehmen. Dazu kam, daß die Geſchichte der Inſel, welche bis<lb/> 1807 einem deutſchen Lande angehört hatte, darauf hinwies, die<lb/> Verbindung mit dieſem ſelben deutſchen Lande wieder zu ſuchen.<lb/> Wir ſchlagen Ihnen deßhalb im §. 1 des Entwurfs vor, daß<lb/> Helgoland einmal dem Bundesgebiet einverleibt wird, und daß<lb/> Sie die Zuſtimmung dazu ertheilen wollen, daß Helgoland dem-<lb/> nächſt dem preußiſchen Staat überwieſen wird. An der Vereit-<lb/> willigkeit Preußens und ſeiner gefetzgebenden Factoren, die Inſel<lb/> in ſein Staatsweſen aufzunehmen, wird füglich in dieſem Hauſe<lb/> Niemand zweifeln. Daß es nicht zweckmäßig iſt, die Reichsver-<lb/> faſſung eher einzuführen, als bis Helgoland ein Glied des preußi-<lb/> ſchen Staates geworden ſein wird, wird unſchwer verſtanden werden.<lb/> Es fehlen bis jetzt die Organe zur Durchführung der Reichsver-<lb/> faſſung, und man wird umſomehr bis zum Momente der Einver-<lb/> leibung in Preußen warten können, als es in der Abſicht der<lb/> preußiſchen Regierung liegt, dieſe Einverleibung ſo bald wie möglich,<lb/> und zwar ſchon zum 1. April n. J., zu vollziehen. Die Reichsverfaſſung,<lb/> welche nach §. 2 mit dem Tage der Einverleibung in Preußen auf<lb/> Helgoland in Kraft tritt, wird indeſſen nicht ohne Einſchränkung<lb/> eingeführt werden können. Der Artikel 12 des engliſch-deutſchen<lb/> Abkommens vom 1. Juli d. J. ſichert der Inſel Helgoland zu,<lb/> daß der gegenwärtig dort geltende Zolltarif bis zum Jahre 1910<lb/> in ſeinen Sätzen nicht erhöht werden darf. Damit iſt für uns die<lb/> Nothwendigkeit gegeben, von der Einverleibung der Inſel in das<lb/> Zollgebiet des Reichs vorläufig abzuſehen. Es iſt deßhalb Art. 6<lb/> der Reichsverfaſſung, welcher von dem Zoll- und Handelsweſen<lb/> handelt, zunächſt nicht auf der Inſel zur Einführung gebracht<lb/> worden. Die weitere Folge davon iſt, daß Preußen als das<lb/> künftige Staatsweſen, dem Helgoland angehören wird, für die<lb/> Inſel zu den gemeinſamen Ausgaben des Reichs ein Averſum<lb/> zahlen wird, wie es in Artikel 38 der Reichsverfaſſung<lb/> für die Gebiete, welche dem Zollgebiet des Reichs nicht<lb/> angeſchloſſen ſind, vorgeſehen iſt. §. 3 (Befreiung von der<lb/> Wehrpflicht) gewährt gegenüber dem Artikel 12 des deutſch-<lb/> engliſchen Abkommens eine Erweiterung. In dieſem Ab-<lb/> kommen war vorgeſehen, daß die von der Inſel herſtammenden<lb/> Perſonen und ihre vor dem 1. Juli 1890 geborenen Kinder von<lb/> der Wehrpflicht befreit ſein ſollen. Wir haben mit Rückſicht<lb/> darauf, daß Se. Majeſtät der Kaiſer in der am 10. Auguſt d. J.<lb/> erlaſſenen Proclamation Allerhöchſtſelbſt dieſe Befreiung von<lb/> der Wehrpflicht verkündet hat, den Termin für die Befreiung bis<lb/> zum 11. Auguſt d. J. erweitert. Sie können dem um ſo mehr<lb/> zuſtimmen, als damit eine weſentliche Schwächung der deutſchen<lb/></quote></cit></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0005]
Mittwoch, Zweites Morgenblatt, Nr. 335 der Allgemeinen Zeitung. 3. December 1890.
Inhalts-Ueberſicht.
Italien. ♋ Nom: Die Lage nach den Wahlen.
Spanien. C. Madrid: Die Wahljunta. Sagaſta. Das allge-
meine Wahlrecht und die Regierung. Verſchiedenes.
Deutſcher Reichstag.
Verſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft.
Italien.
♋ Rom, 27. Nov.
Die Radicalen wollten hundert Mann
ſtark in die Kammer zurückkehren. Unter dem Tritt ihrer
Wählerbataillone ſollten Criſpi und ſein Regierungsſyſtem, der
Dreibund und die Freundſchaft mit Oeſterreich, der Servilismus
des Parlaments und die verrottete Verwaltung zermalmt wer-
den. Seitdem die Wahlergebniſſe bekannt ſind, iſt es von den
meiſten dieſer hochgemuthen Abſichten ſtill geworden. Nur der
auswärtigen Politik iſt nach der Behauptung der radicalen
Blätter thatſächlich der Todesſtoß verſetzt worden — und zwar
durch die Erwählung des Trientiners Bezzi in Ravenna und
des Trieſtiners Barzilai in Rom, über welche die Anhängerſchaft
Cavallotti’s und Imbriani’s ein betäubendes Jubelgeſchrei erhebt,
um ſo betäubender, als die berechtigten Hinweiſe der Gegner auf das
allgemeine radicale Fiasco übertönt werden müſſen. Man muß ſich
fragen, ob die Verblendung oder die Verſtellung der radicalen Wort-
führer oder ihr Zutrauen in die urtheilsloſe Leichtgläubigkeit ihrer
Schaaren größer iſt, wenn man liest, daß die beiden genannten
Wahlen die „ſchmachvolle Verurtheilung der ſervilen und das
Land ruinirenden auswärtigen Politik“ bedeuten ſollen, während
vier Fünftheile der erwählten Volksvertreter dieſe Politik aus-
drücklich billigen und mindeſtens die Hälfte des Neſtes ſie nie
mißbilligt hat. — Die größte Zuverſicht tragen bis jetzt
die moderirten Elemente der Negierungsmehrheit zur
Schau, welche bereits glauben, dem Miniſterium Bedingungen
für ihre fernere Unterſtützung vorſchreiben zu dürfen. Die
römiſche „Opinione“ gibt deutlich zu verſtehen, daß ſie außer
der Haltung aller Verſprechungen des Turiner Programms
auch eine theilweiſe Umgeſtaltung des Miniſteriums im mode-
rirten Sinne erwarte, was von anderen regierungsfreundlichen
Blättern, wie dem „Popolo Romano“, der ſeinerſeits unerbitt-
liche Strenge gegen die Nadicalen fordert, nur als verfrüht
und daher bedenklich bezeichnet, aber im Grunde nicht zurück-
gewieſen wird. Das Miniſterium wird trotz, beziehungsweiſe
wegen der übergroßen Mehrheit, die bei den Wahlen unter
ſeine Fahnen getreten iſt, der parlamentariſchen Schwierig-
keiten nicht ledig ſein. Die Criſpi’ſche „Riforma“ geſteht zu,
daß zahlreiche Deputirte, welche unter dem Zeichen der
Regierungsfreundſchaft über ihre Wahlgegner geſiegt haben,
mit Necht ſich nicht zur Unterſtützung des Miniſteriums
für verbunden halten werden, falls das letztere nicht bald
und ernſtlich an die Einlöſung ſeiner Verſprechungen denke.
Aber es dürfte ſich zeigen, daß dies allein nicht genügt. Das
Turiner Programm iſt umfaſſend und mannichfach. Nicht alle
Miniſteriellen nehmen es in allen Theilen an; und über den
Modus, das Tempo, die Ausdehnung der Ausführung gehen
die Wünſche und Anſichten auch bezüglich der allgemein ge-
billigten Punkte, wie der Finanzregulirung, der Steuerreform,
der wirthſchaftlichen und Handelsmaßnahmen, des Creditweſens,
der Einſchränkung der Militär- und Bautenausgaben aus-
einander. Vor allem werden natürlich die Radicalen es ſich
angelegen ſein laſſen, dem Cabinet von den erſten Tagen an
das Leben ſauer zu machen.
♋ Rom, 30. Nov.
Die in meinem vorigen Briefe er-
wähnten Verſuche einiger moderirter Blätter, wie der „Opinione“,
ſchon jetzt unter Berufung auf die Wahlerfolge der Moderirten
und ihre Unentbehrlichkeit für Criſpi die Nothwendigkeit einer
Aufopferung der fortſchrittlichen Miniſter darzulegen, werden
allgemein als ungeſchickt und verfrüht bezeichnet. In der That
können derartige Fragen nicht mit Nutzen aufgeworfen werden,
ſo lange es noch völlig im Dunkeln liegt, ein wie großer Theil
der als miniſteriell bezeichneten Deputirtenmaſſe ſich wirklich
auf die Seite der Regierung ſchlagen, welche Haltung die
Oppoſition einnehmen, welchen Weg die Regierung gehen,
welche Vorlagen und parlamentariſchen Vorkommniſſe eine
Scheidung der Parteien hervorrufen werden. Vor Ende
Januar iſt an eine entſcheidende Debatte kaum zu denken,
denn die kurze Friſt vom 10. December bis zum Antritt der
Weihnachtsferien wird höchſtens ausreichen, die Conſtituirung
des Hauſes, die Wahl der Permanenzausſchüſſe, die Wahl-
prüfungen und die Berathung des Nachtragsetats vorzunehmen.
Die Radicalen werden zwar verſuchen, für ihre Wahlniederlage
ſich durch erhöhten Lärm und noch herausfordernderes Auftreten
in der Kammer zu entſchädigen. Aber es iſt nicht wahrſchein-
lich, daß die Kammer ihr Spiel unterſtützen werde, und ſelbſt
wenn man Barzilai, Ferrari oder einem Andern der ſcandal-
füchtigen Schaar den Gefallen thun ſollte, ſeine Tiraden unver-
kürzt anzuhören, ſo wird die Folge nur die ſein, daß ihnen
abermals zu Gemüthe geführt wird, wie weit ſie von der
Billigung der großen Mehrheit entfernt ſind. Sehr bald
dürfte ſich auch herausſtellen, daß der geringe numeriſche Zu-
wachs, mit dem die Radicalen auf den Montecitorio zurückkehren,
nichts weniger als geeignet iſt, die moraliſche Niederlage aus-
zugleichen, die in der eclatanten Erfolgloſigkeit ihrer Agitation
gegen Criſpi und den Dreibund, in dem Unterliegen der Hälfte
ihrer früheren Vertreter und in der Uneinigkeit der Führer
liegt. Schon wird von verſchiedenen Seiten angedeutet, daß
Fortis, der ehemalige Unterſtaatsſecretär Criſpi’s, welchem kurz
vor der Wahl ſeine Liſten- und Parteigenoſſen Ferrari und
Vendemini feindlich entgegentraten, weil er einem legalen
Nadicalismus huldigte, die Abſicht habe, alle Anhänger des
letzteren, d. h. ein gutes Dritttheil der Partei, als beſondere
Gruppe um ſich zu ſammeln. Die fortſchrittliche „Tribuna“,
welche die Fehlgriffe und Spaltungen der radicalen Partei
immer bedauert hat, ſtellt es als ausgemacht hin, daß dieſe
Fortis’ſche Gruppe in allen den Veſtand der Inſtitutionen be-
rührenden Fragen gegen die äußerſte Linke, d. h. mit den Fort-
ſchrittlichen, ſtimmen werde. Vermuthlich gibt ſie damit nur
ihrem Wunſche Ausdruck. Jedoch ſteht feſt, daß die verkappten
Republicaner und Socialiſten unter den Radicalen bei ihren
Wühlereien und Fehden gegen die Regierung durchaus nicht
auf die Zuſtimmung der ganzen Partei rechnen können. Zählt
die progreſſiſtiſche Linke nicht ohne Grund auf zeitweiligen Zu-
zug aus den radicalen Reihen, ſo betont die miniſterielle Preſſe,
daß die bei den Wahlen erfolgte und in der Kammer zu er-
wartende Unterſtützung durch die Rechtsliberalen das Cabinet
keineswegs von ſeiner linksliberalen Baſis wegdrängen werde.
Dasſelbe ſei und bleibe fortſchrittlich und demokratiſch. Dazu
bemüht ſich die „Riforma“, nachzuweiſen, daß die weſentlich
wirthſchaftlichen und ſocialen Reformen der neuen Legislatur-
periode einen Streit über die Parteiphyſiognomie der Regie-
rung ziemlich überflüſſig erſcheinen laſſen, da alle Parteien
jenen Reformen zuſtimmen müßten.
Spanien.
C. Madrid, 27. Nov.
Noch immer bildet der zwiſchen
der Centralwahljunta und dem Cabinet beſtehende Conflict den
Gegenſtand der Erörterungen der Tagespreſſe. Die Negierung
hat auf das von der Junta übermittelte officielle Schriftſtück
über geforderten Appell an die Cortes in der zuvorkommendſten
Form geantwortet, mit dem Vemerken, daß die Unterbreitung
des Documents ſofort nach der geſetzlich vorgeſehenen Ein-
berufung der Kammer geſchehen und die bei der Gelegenheit
von dem Cabinet über ſein eigenes Verhalten abzugebende Er-
klärung gewiß alle Theile befriedigen werde. Inzwiſchen fordern
die demokratiſchen und republicaniſchen Blätter, unter Führung
des ſalmeroniſtiſchen Organs, der „Juſticia“, zur Abhaltung
von Meetings auf, um auf dieſe Weiſe gegen die Vergewal-
tigung des Wahlgeſetzes zu proteſtiren und die Omnipotenz der
Regierung der parlamentariſchen Körperſchaft gegenüber zu be-
ſeitigen. Dazu gibt hauptſächlich eine ſeit den letzten Tagen
ausgeführte Rechtsſchwenkung Sagaſta’s den Anlaß, welcher
als Monarchiſt ſich der Gefährlichkeit des beſchrittenen Weges
wohl bewußt iſt und nicht dem radicalen Element den Boden
ebnen will. In demſelben Maße, als ſich der Zeitpunkt nähert,
an welchem das neue Wahlgeſetz ſich praktiſch bewähren ſoll,
häuſen ſich auch die bei der Ausarbeitung desſelben begangenen
und erſt jetzt erkannten Fehler, und der Staatsminiſter Silvela
arbeitet mit ſieberhafter Haſt, um durch nachträgliche königliche
Decrete die Lücken der Geſetzgebung auszufüllen. Zuerſt war
es die Anwendung des Geſetzes auf die Provinzwahlen, welche
der Centralwahljunta und der Regierung Schwierigkeiten ſchuf,
und nachgerade findet man, daß die ebenfalls verſpätete Ein-
theilung der Wahldiſtricte in Sectionen und Specialcollegien
zu allen möglichen Wahlbeeinfluſſungen führen könnte. Jeden-
falls ſind noch viele Kämpfe zu gewärtigen, ehe das ſeinerzeit
faſt ohne Discuſſion angenommene Geſetz definitive Form ge-
winnt. Im Hinblick auf die genannten Vorgänge wird ſeitens
der Demokraten und Republicaner die Verechtigung einer Kriſis
betont, d. h. der Bildung eines interimiſtiſchen neutralen Mini-
ſteriums zur Wahrung der Unparteilichkeit während der Wahl-
periode. Der Regierung, welche ſich aus principiellen Gegnern
der Wahlreform zuſammenſetzt und ſich erſt zur Annahme derſelben
bereit finden ließ, als ſie ſich ſelbſt zur Anwendung des Ge-
ſetzes auserſehen wußte, ſteht die Maſſe der Wähler gegenüber,
welche in der gedachten Neform ihre letzte Hoffnung in Bezug
auf Geltendmachung eigener Rechte erblicken. Man iſt allgemein
der Ueberzeugung, daß die Cabinetsfrage zwar nicht geſtellt
werden wird, aber Grund genug vorhanden iſt, eine weitere
Zuſpitzung des Conflicts bei den Wahlkämpfen zu befürchten.
— Der liberale Ex-Miniſter Canaléjas hat in ſeiner vor
wenigen Tagen in Alcoy gehaltenen Wahlrede das gegen-
wärtige conſervative Cabinet wegen ſeiner Politik und
ſeines Verhaltens bei den früheren Wahlen auf’s heftigſte
angegriffen. Unter anderem meint er, daß zwar der an-
fängliche Widerſtand der Conſervativen gegen die allgemeine
Wahl begreiflich, die nachträgliche Fälſchung der letzteren hin-
gegen geradezu unvernünftig ſei. — Die durch die Zerſtörung
der hieſigen Tabakfabrik zeitweilig brodlos gewordenen
Cigarrenarbeiterinnen haben aus der Privatcaſſe der Königin
10,000 Peſetas zugewieſen erhalten, ebenſo ſind denſelben
weitere Hülfeleiſtungen ſeitens der Regierung, durch Theater-
vorſtellungen u. ſ. w. geſichert. — Seit dem 13. Mai, an
welchem der erſte Cholerafall in Puebla de Nugat con-
ſtatirt wurde, iſt der 20. November der erſte Tag, welcher
ohne neuen Erkrankungsfall innerhalb ganz Spaniens verlief.
Auch in Bezug auf die Blatternepidemie in Madrid iſt er-
freulicherweiſe ein Rückgang zu conſtatiren, der, wenn auch
nicht bedeutend, immerhin Hoffnung auf baldiges Verſchwinden
der Krankheit läßt. — Ueber die auf einer der Carolinen-
inſeln (Ascenſion) zur Beſtrafung aufrühreriſcher Eingeborenen
kürzlich unternommene militäriſche Expedition liegt nun
der officielle Bericht vor. Aus demſelben iſt, in Verbindung
mit den früher erhaltenen Telegrammen, erſichtlich, daß
die aus ca. 600 Mann beſtehende Truppe unter Befehl eines
Oberſten von der Hafenſtadt Ponapè aufgebrochen war, um
dem betreffenden Stamm (Metalanim), welcher ſich der Er-
mordung einer ſpaniſchen Beſatzung von 25 Mann ſchuldig
gemacht, auf dem Landweg beizukommen. Die Schwierig-
keiten des Terrains und daraus entſtandener Verluſt des
Proviants zwangen aber zur Umkehr, was der Führer der
Expedition ſich ſo zu Herzen nahm, daß er ſich in ſeinem Zelt
entleibte. Darauf erfolgte, diesmal von der Seeſeite her, der
Angriff und die Einnahme der von den Eingeborenen nach
europäiſcher Art gut befeſtigten Stellungen von Oua, welcher
Ort nach Vertreibung und theilweiſer Niedermachung der fliehen-
den Aufrührer der Vernichtung durch die Flammen preis-
gegeben ward. Man hofft, durch dieſes Vorgehen die Ruhe
auf den Carolin en wiederhergeſtellt zu haben.
Deutſcher Reichstag.
Telegraphiſcher Privatbericht der Allg. Ztg.
33. Sitzung.
 Berlin, 2. Dec.
Die Sitzung wird um 2 Uhr eröffnet.
Am Bundesrathstiſche Reichskanzler v. Caprivi, v. Boetticher,
v. Maltzahn, v. Kaltenborn-Stachau, v. Oehlſchläger,
Hollmann und Commiſſare.
Präſident v. Levetzow: Mit freundlichem Gruß an die
Herren Collegen eröffne ich die Sitzung. Dieſelbe früher anzu-
beraumen, war nicht möglich, weil geeignetes Berathungsmaterial
nicht vorlag. Das Präſidium hat aus Anlaß der Vermäh-
lung der Prinzeſſin Victoria von Preußen und des Prinzen
Adolf von Schaumburg-Lippe Sr. Majeſtät dem Kaiſer und
Ihrer Majeſtät der Kaiſerin Friedrich die ehrerbietigſten
Glückwünſche des Reichstags dargebracht. Se. Majeſtät haben in
Folge deſſen mich beauftragt, den allerhöchſten wärmſten Dank für
die Theilnahme dem Reichstage auszudrücken. Eines gleichen Auf-
trages habe ich mich von Ihrer Majeſtät der Kaiſerin Friedrich zu
entledigen. Unſerm hochverehrten Mitgliede und Senior Feld-
marſchall Grafen Moltke hat das Präſidium zu deſſen 90. Geburts-
tage die Glückwünſche des Reichstags überbracht. Dieſe Glück-
wünſche ſind in freundlichſter und dankbarſter Weiſe aufgenommen
worden. Nicht minder halte ich mich Ihrer Zuſtimmung dafür
gewiß, daß ich dem erſten und langjährigen Präſidenten des Reichs-
tags, dem Reichsgerichtspräſidenten Dr. v. Simſon, zu deſſen
80. Geburtstage ſchriftlich im Namen des Reichstags gratulirt
habe. (Zuſtimmung.) Auch dieſer Glückwunſch iſt freundlich und
dankbar aufgenommen worden. Das Protokoll der vorigen Sitzung
liegt für diejenigen, deren Gedächtniß nicht ſo weit zurückreicht,
auf dem Bureau zur Einſicht aus. (Heiterkeit.)
Seit der letzten Sitzung ſind die Abgg. Grad, Virnich,
Witt und Dr. Stöhr verſtorben. Das Haus ehrt das An-
denken derſelben in der üblichen Weiſe. Die Abgg. Scheffer
und v. Schorlemer-Alſt haben ihre Mandate niedergelegt.
Auf der Tagesordnung ſteht zunächſt die erſte Berathung des
Geſetzentwurfs betreffend die Vereinigung von Helgoland
mit dem Deutſchen Reich.
Staatsſecretär v. Boetticher: Ich begrüße es als ein gün-
ſtiges Omen für den Verlauf der wiederaufgenommenen Be-
rathungen des Reichstags, daß es ſich hier um einen Geſetzentwurf
handelt, der, wie ich hoffen darf, die ungetheilte Zuſtimmung
aller Parteien des Hauſes finden wird. Möchten die übri-
gen Vorlagen — und in dieſer Beziehung haben Sie
ja noch ein reiches und wichtiges Penſum vor ſich — mit
gleicher ungetheilter Theilnahme von Ihnen behandelt werden!
Die Hoffnung, daß die Einverleibung Helgolands in das Deutſche
Reich und der Uebergang Helgolands auf den preußiſchen Staat
von dem hohen Hauſe gutgeheißen werden wird, ſtützt ſich bei mir
vor allen Dingen auf die Aufnahme, welche die Nachricht von dem
friedlichen Erwerb der Inſel im Juli d. J. beim deutſchen Volke
gefunden hat. Man fand in dem Erwerb dieſer Inſel die Er-
füllung eines bei vielen Mitgliedern der Nation ſtill ge-
hegten Wunſches, daß die Inſel, die vor wichtigen deutſchen
Strömen liegt, auch die deutſche Flagge tragen möge. Wenn ich
auch anerkennen will, daß in Helgoland ſelbſt die erſten
Nachrichten von dem Uebergange der Inſel auf die Deutſche Reichs-
hoheit getheilte Gefühle hervorriefen; wenn ich den Eindruck
empfing, daß damals unter den Helgoländern ſelbſt mit einer
gewiſſen Sorge in die Zukunft geblickt wurde, hauptſächlich wohl
deßhalb, weil deutſche Wehrpflicht und deutſche Steuern im Aus-
lande ſehr gefürchtete Gegenſtände ſind, an die man ſich erſt ge-
wöhnen muß, um ihnen Geſchmack abzugewinnen (Heiterkeit): ſo
kann ich heute nach den Wahrnehmungen während einer mehr als
dreimonatigen Verwaltung verſichern, daß die Helgoländer, und
zwar vorzugsweiſe dank dem Eindruck der ſofortigen Anweſenheit
Sr. Majeſtät bei der Beſitzergreifung, willig in den
neuen Curs hineingeſegelt ſind und daß ſie jetzt mit
vollem Vertrauen ihrer zukünſtigen Entwicklung entgegenſehen.
Ich möchte in die Verathung nicht eintreten, ohne an dieſer Stelle
den Dank der Reichsregierung ausgeſprochen zu haben für das
wohlwollende und freundliche Entgegenkommen der königlich groß-
britanniſchen Regierung, die durch die Aufſtellung des Programms
für die Uebergabe der Inſel und durch ein wohlwollendes Ent-
gegenkommen gegen die deutſchen Wünſche dem Uebergange ſelbſt
die Bahn in einer nicht genug anzuerkennenden Weiſe geebnet hat.
Ich ſpreche ferner perſönlich meinen Dank dem letzten Gouverneur
der Inſel aus, den leider jetzt bereits der Raſen deckt, für die Art
und Weiſe, wie er, den Intentionen ſeiner hohen Regierung ent-
ſprechend, mir, dem Bevollmächtigten Sr. Majeſtät des Kaijſers,
entgegengekommen iſt und der deutſchen Regierung das Terrain
ſo geebnet hat, daß ſie ſofort und ohne Störung in ihre
Thätigkeit eintreten konnte. Bei der Uebernahme mußten wir
uns fragen, was zunächſt mit der Inſel zu geſchehen habe.
Wir befanden uns der Thatſache gegenüber, daß Se. Majeſtät der
Kaiſer Namens des Reichs die Inſel überkommen hatte, und daraus
ergab ſich die Folgerung, daß zunächſt die Verwaltung vom Reich
übernommen werden mußte. Dabei konnte es indeſſen nicht blei-
ben. Man hat ſich vielfach darüber die Köpfe zerbrochen, welches
der richtige Weg ſei, um die ſtaatsrechtliche und verfaſſungsrecht-
liche Sanction des Ueberganges der Inſel auf Deutſchland herbei-
zuführen. Die eine Meinung ging dahin, man ſolle die Inſel
zunächſt in Preußen einverleiben, und dann würde auf Grund des
Artikels 1 der Reichsverfaſſung der Uebergang auf das Reich von
ſelbſt ſich vollzogen haben. Wir ſind der andern Meinung gefolgt
und hielten es für richtig, zunächſt die Reichsgeſetzgebung in
Thätigkeit zu ſetzen, denn das Reich iſt derjenige Factor, welcher
Helgoland beſitzt, und ſollen über Helgoland irgendwelche
ſtaatsrechtliche Dispoſitionen getroffen werden, ſo ſind das
Reich und ſeine geſetzgebenden Factoren berufen, dieſe
Dispoſitionen zu treffen. Die weitere Frage war: Soll
Helgoland ein ſelbſtändiges Staatsweſen bleiben, ähnlich wie
die Reichslande, oder ſoll es einem der deutſchen Staaten an-
geſchloſſen werden? Dieſe Frage, die gewiß verſchiedenartig be-
antwortet werden kann, glaubten wir in dem Sinne beantworten
zu müſſen, daß Helgoland einem deutſchen Staate anzuſchließen
ſei. Das Reich würde gar nicht ohne einen außergewöhnlichen
Aufwand an Apparaten für die Verwaltung und Rechtſprechung
in der Lage ſein, ein ſo kleines Territorium in eigene Verwaltung
zu nehmen. Dazu kam, daß die Geſchichte der Inſel, welche bis
1807 einem deutſchen Lande angehört hatte, darauf hinwies, die
Verbindung mit dieſem ſelben deutſchen Lande wieder zu ſuchen.
Wir ſchlagen Ihnen deßhalb im §. 1 des Entwurfs vor, daß
Helgoland einmal dem Bundesgebiet einverleibt wird, und daß
Sie die Zuſtimmung dazu ertheilen wollen, daß Helgoland dem-
nächſt dem preußiſchen Staat überwieſen wird. An der Vereit-
willigkeit Preußens und ſeiner gefetzgebenden Factoren, die Inſel
in ſein Staatsweſen aufzunehmen, wird füglich in dieſem Hauſe
Niemand zweifeln. Daß es nicht zweckmäßig iſt, die Reichsver-
faſſung eher einzuführen, als bis Helgoland ein Glied des preußi-
ſchen Staates geworden ſein wird, wird unſchwer verſtanden werden.
Es fehlen bis jetzt die Organe zur Durchführung der Reichsver-
faſſung, und man wird umſomehr bis zum Momente der Einver-
leibung in Preußen warten können, als es in der Abſicht der
preußiſchen Regierung liegt, dieſe Einverleibung ſo bald wie möglich,
und zwar ſchon zum 1. April n. J., zu vollziehen. Die Reichsverfaſſung,
welche nach §. 2 mit dem Tage der Einverleibung in Preußen auf
Helgoland in Kraft tritt, wird indeſſen nicht ohne Einſchränkung
eingeführt werden können. Der Artikel 12 des engliſch-deutſchen
Abkommens vom 1. Juli d. J. ſichert der Inſel Helgoland zu,
daß der gegenwärtig dort geltende Zolltarif bis zum Jahre 1910
in ſeinen Sätzen nicht erhöht werden darf. Damit iſt für uns die
Nothwendigkeit gegeben, von der Einverleibung der Inſel in das
Zollgebiet des Reichs vorläufig abzuſehen. Es iſt deßhalb Art. 6
der Reichsverfaſſung, welcher von dem Zoll- und Handelsweſen
handelt, zunächſt nicht auf der Inſel zur Einführung gebracht
worden. Die weitere Folge davon iſt, daß Preußen als das
künftige Staatsweſen, dem Helgoland angehören wird, für die
Inſel zu den gemeinſamen Ausgaben des Reichs ein Averſum
zahlen wird, wie es in Artikel 38 der Reichsverfaſſung
für die Gebiete, welche dem Zollgebiet des Reichs nicht
angeſchloſſen ſind, vorgeſehen iſt. §. 3 (Befreiung von der
Wehrpflicht) gewährt gegenüber dem Artikel 12 des deutſch-
engliſchen Abkommens eine Erweiterung. In dieſem Ab-
kommen war vorgeſehen, daß die von der Inſel herſtammenden
Perſonen und ihre vor dem 1. Juli 1890 geborenen Kinder von
der Wehrpflicht befreit ſein ſollen. Wir haben mit Rückſicht
darauf, daß Se. Majeſtät der Kaiſer in der am 10. Auguſt d. J.
erlaſſenen Proclamation Allerhöchſtſelbſt dieſe Befreiung von
der Wehrpflicht verkündet hat, den Termin für die Befreiung bis
zum 11. Auguſt d. J. erweitert. Sie können dem um ſo mehr
zuſtimmen, als damit eine weſentliche Schwächung der deutſchen
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(2022-03-29T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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