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Allgemeine Zeitung. Nr. 334. München, 2. Dezember 1890.

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Allgemeine Zeitung.
Nr. 334. -- 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Dienstag, 2. December 1890.


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sprechendem Zuschlag.
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Redaktion u. Expedi-
tion befinden sich
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Redaktion, Inserat-
aufträge an die Ex-
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Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle. 30 Lime Str. London: für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klincksieck in Paris; für Italien H. Loescher und Frat.
Bocca
in Turin, Florenz und Rom, U. Hoepli in Mailand; für den Orient das kaiserlich königliche Post-
amt in Wien oder Triest; für Nordamerika F. W. Christern. E Steiger u. Co., Gust. E. Stechert,
Westermann u. Co., International Publishing Agency,
710 Broadway, in New York.
Verantwortlicher Redakteur: Hugo Jacobi in München.
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Inseratenannahme in München b. d. Expedition, Schwanthalerstraße 73, serner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln,
Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg, Wien, Paris, London, Zürich, Basel etc. b. d. Annoncenbureaux G. L. Daube
u. Co., Haasenstein u. Vogler u. R. Mosse
. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz etc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenstr. 26) und S. Kornik (Krausenstr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publishing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.


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Inhalts-Uebersicht.
Der Reichshaushalt.
Preußischer Landtag. -- Zur Reform des Schulwesens
in Preußen.
Deutsches Reich. * Berlin: Gedenkfeier. Armeebefehl.
Luxemburg. ch. Luxemburg: Reise des Großherzogs nach
dem Haag.
Oesterreich-Ungarn. S. Eger: Rede des Abg. Dr. Plener.
Großbritannien. [] London: Zur Parnell-Affaire.
Bayerische Chronik. -- Weitere telegraphische Nachrichten.
[] Hiezu: Zweites Morgenblatt.


München, 1. December.


Der Reichshaushaltsetat.

[] Der Reichshaushaltsetat für 1891/92 enthält nichts
sonderlich Ueberraschendes. Sensationelle Positionen, wie man
sie in den letzten Jahren wohl in den einmaligen Ausgaben
für die Heeresverwaltung fand, sucht man diesmal vergebens.
Was am meisten in die Augen springt, ist die Steigerung der
fortdauernden Ausgaben um 47,983,296 Mark. Es nehmen
daran vorwiegend theil die Verwaltung des Reichsheeres mit
25,754,707, das Reichsamt des Innern mit 7,302,424, die
Reichsschuld mit 7,239,000, die Marineverwaltung mit 4,424,801,
der Allgemeine Pensionsfonds mit 2,947,077 Mark. Im Militär-
etat ist die Mehrforderung im wesentlichen die natürliche Con-
sequenz der im Frühjahr bewilligten Heeresverstärkung. Hervor-
zuheben ist der Posten zur Beschaffung und Erhaltung der
Munition mit einer Mehrausgabe von 6,572,282 Mark. Derselbe
erscheint nur zu einem Theile als Wirkung der Heeresverstärkung;
rund 6 Millionen figuriren als Erhöhung der Ansätze zur Be-
schaffung, Erhaltung und Verwaltung der Munition, sowie zu
den Schießübungen der Artillerie in Folge der Aenderungen
und Fortschritte auf dem Gebiete des Munitionswesens. Die
Ausgabensteigerung im Reichsamt des Innern ist zum weitaus
größten Theile veranlaßt durch das bevorstehende Inkrafttreten
der Invaliditäts- und Altersversicherung, welche für dieses An-
fangsjahr mit einem Kostenaufwande von 6,229,260 Mark be-
rechnet ist. 6,213,510 Mark fallen davon auf die Zuschüffe des
Reichs zu Altersrenten; Invaliditätsrente tritt im ersten Jahre
der Wirksamkeit des Gesetzes noch nicht ein. Die Mehr-
erfordernisse der Reichsschuldenverwaltung ergeben sich aus der
Verzinsung der neuen Reichsanleihen, die des Allgemeinen
Pensionsfonds aus der Beobachtung der thatsächlichen Gestal-
tung der Verhältnisse in den letzten Jahren. Was die Marine-
verwaltung anlangt, so fallen die Mehrausgaben überwiegend,
nämlich mit 1,831,900 Mark, auf die Indiensthaltung der
Schiffe, und mit 1,748,466 Mark auf den Wersthetrieb. Der
letztere Mehrbedarf wird mit der Vermehrung des Flotten-
materials, namentlich der Torpedofahrzeuge, und der all-
gemeinen Steigerung der Preise, welche nicht nur bei der Be-
schaffung des Materials und Inventars, sondern auch im An-
ziehen der Arbeitslöhne zutagetrete, begründet. Sämmtliche
Verwaltungen werden durch die Aufbesserung der Beamten-
gehälter, manche auch durch den Eintritt der Invaliditäts- und
Altersversicherung, d. h. durch die in Folge dessen vom Reiche
als Arbeitgeber zu leistenden Wochenbeiträge, in ihrem Aus-
gabenetat gesteigert.

Ueberblickt man diese Zusammensetzung der in dem neuen
Reichshaushaltsetat geforderten dauernden Mehrausgaben, so
wird man nicht die Empfindung haben, daß erhebliche Abzüge
möglich seien. Ueber die Nothwendigkeit der bedeutenden Ver-
mehrung der Kosten der Indiensthaltung von Schiffen wird
die Marineverwaltung noch näheren Aufschluß zu geben haben;
viel wird aber weder hier, noch bei der Munition im Militär-
etat zu ersparen sein. Andrerseits kann der Ansatz für den
Reichszuschuß zur Invaliditäts- und Altersversicherung eher
zu niedrig, als zu hoch gegriffen sein. Selbst bei dem All-
gemeinen Pensionsfonds wird man kaum erwarten dürfen, daß
eine gründliche Untersuchung eine sehr erhebliche Herabminde-
rung der Verechnung des dauernden Mehrbedarfs bewirken
wird.

Während die fortdauernden Ausgaben um 47,983,296 Mark
höher erscheinen, stellen sich die einmaligen Ausgaben des
ordentlichen Etats um 1,373,610 Mark geringer, als im Etat
für 1890/91 dar. Dieses günstige Ergebniß wird indeß nur da-
durch erzielt, daß der Fehlbetrag aus früheren Jahren, welcher
noch im letzten Etat rund 20 Millionen betrug, in Wegfall
gekommen ist. Der stärkste Mehrbedarf erscheint diesmal bei
dem Etat der Reichsschuld, nämlich 10,242,500 Mark. Dieser
Betrag ist indeß nur dazu bestimmt, die am 1. April fälligen
Zinsen der Reichsschuld, welche bisher dem am 1. April be-
ginnenden Etatsjahre zur Last gestellt wurden, auf das alte
Etatsjahr, wohin sie gehören, zu übertragen. Es ist das also
eine als durchaus zweckmäßig anzuerkennende einmalige
Correctur, die noch obendrein aus den großen Ueberschüssen
der diesjährigen Zolleinnahmen gedeckt werden soll, den Etat
für 1891/92 also eigentlich gar nicht berührt. Im übrigen ist
es die Marineverwaltung, welche mit 7,221,130 Mark den
größten Mehrbedarf in den einmaligen Ausgaben aufweist. Es
sind die ersten Naten für den Bau dreier Panzerfahrzeuge,
eines Kreuzers, eines Avisos und zur Herstellung von Torpedo-
booten, welche diesen Mehrbedarf bedingen. Um diese Forde-
rungen wird sich wahrscheinlich einiger Kampf entspinnen;
allein sie liegen im Nahmen des einmal feststehenden Planes
und werden große Ermäßigungen kaum zulassen. Der Militär-
etat bleibt in den einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats
[Spaltenumbruch] hinter dem Vorjahre um eine Kleinigkeit zurück. Trotzdem hat
er eine Reihe von Positionen, welche mehr oder weniger leb-
haften Angriffen ausgesetzt sein werden. So werden 2,800,000
Mark gefordert zum Erwerb eines zur Abhaltung größerer
Gefechts- und Schießübungen geeigneten Uebungsplatzes im
östlichen Theile des 7. Armeecorpsbezirks, ferner eine erste
Nate von 3,260,393 Mark für Schießstände aus Anlaß der
Einführung weittragender Handfeuerwaffen; für den gleichen
Zweck wird in Elsaß-Lothringen eine erste Rate von 1,980,500
Mark verlangt. Zur Erhöhung der Kohlenbestände für die
Localverwaltungen und technischen Institute der Militärver-
waltung werden 1,563,550 Mark in Aussicht genommen. Alle
diese Positionen werden näherer Erläuterung bedürfen. Angriffe
werden auch die Forderungen des Militäretats zur Errichtung
zweier neuer Unterofficiervorschulen (in Jülich und Wohlau)
erfahren. Die Nützlichkeit und Nothwendigkeit dieser Institute
ist indeß durch die Erfahrung so zweifellos klargestellt, daß
der Reichstag auch in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung
sich dem Gewicht der guten Gründe nicht wird entziehen
können.

Alles in Allem wird man sagen müssen, daß die Aus-
gaben des ordentlichen Etats -- die durch Anleihe und sonstige
außerordentliche Deckungsmittel zu deckenden Ausgaben des
außerordentlichen Etats lassen wir hier außer Betracht -- nach
Maßgabe des wohlerwogenen Bedürfnisses berechnet sind. Die
in dem Etat angenommene Mehrausgabe von rund 461/2 Mil-
lionen wird also einstweilen festzuhalten sein. Es fragt sich
nun, ob dem gegenüber die Einnahmen einen entsprechenden
Zuwachs aufzuweisen haben. Der Etat nimmt einen solchen
aus den eigenen Einnahmen des Reichs in Höhe von
15,916,108 M. an, wovon der Löwenantheil, nämlich 11,465,000
Mark, auf die Zuckersteuer entfällt. Jenen nahezu 16 Mill.
Mark treten die oben erwähnten rund 10 1/5 Millionen aus
den Zöllen und der Tabaksteuer des laufenden Jahres hinzu,
so daß von dem Mehrbetrage der Ausgaben noch 20,451,078
Mark durch Steigerung der Matricularbeiträge zu decken
bleiben. Dieser Steigerung der Matricularbeiträge steht nun
freilich eine beträchtlich höhere Steigerung der gesetzmäßigen
Ueberweisungen an die Bundesstaaten, nämlich um 32,843,000
Mark, gegenüber. Es muß aber hervorgehoben werden, daß
sich im laufenden Jahre das Verhältniß zwischen den Matri-
cularbeiträgen und den Ueberweisungen erheblich verschlechtert
hat. In dem Etat für 1889/90 betrugen die Matricularbei-
träge 228,132,691 M., der etatsmäßige Betrag der Ueber-
weisungen 281,440,000 M., im gegenwärtigen Etatsentwurf
figuriren die Matricularbeiträge mit 322,623,505, die Ueber-
weisungen mit 331,353,000 M. Dort also ein Ueberschuß der
Ueberweisungen von rund 53, hier von kaum 9 Millionen.
Diese Zahlen entsprechen nun freilich insofern nicht der Wirk-
lichkeit, als die Ueberweisungen auf Grund der thatsächlichen
Einnahmen den Etat weit überschreiten. So haben im Etats-
jahr 1889/90 nach der amtlichen Uebersicht der Ausgaben und
Einnahmen die Ueberweisungen das Etats-Soll um 73,593,901
Mark überschritten. Ein ähnliches Ergebniß kann auch für
das laufende Jahr erwartet werden. Nichtsdestoweniger wird
die Thatsache einer Verschiebung des Verhältnisses zu Un-
gunsten der Matricularbeiträge dadurch nicht verändert. Dazu
kommt, daß die Ausgaben des Reichs in den nächsten Jahren
schon durch den Reichszuschuß zu den Invaliditäts- und Alters-
renten bedeutend wachsen werden, während andererseits
wenigstens die Möglichkeit einer Verminderung der Zollein-
nahmen nicht ausgeschlossen ist. Soll angesichts dessen eine
weitere erhebliche Steigerung der Matricularbeiträge, die bei den
wachsenden Bedürfnissen der Einzelstaaten auf die Finanzen der-
selben einen höchst störenden Einfluß üben würde, vermieden werden,
so wird man ernstlich an eine Steigerung der eigenen Einnahmen
des Reichs denken müssen. Unter diesem Gesichtspunkte kann
der neue Etat recht wohl zur Unterstützung der Zuckersteuer-
vorlage herangezogen werden.



Preußischer Landtag.
Abgeordnetenhaus.
Telegramm
.

In der heutigen Sitzung wurde die erste
Lesung der Landgemeindeordnung fortgesetzt.

Abg. v. Heydebrand und der Lasa erklärt sich mit den
Ausführungen des Ministers in Betreff der Absicht, an das histo-
risch Gewordene anzuknüpfen, einverstanden. Im Osten der Mon-
archie seien die Verhältnisse verbesserungsbedürftig. Meine Partei
(die conservative), die auf dem Boden der Selbständigkeit der Ge-
meinde steht, ist einer Weiterbildung dieses Rechtes nicht entgegen.
Auch der Verleihung des Stimmrechts an Nichteingesessene sind wir
nicht entgegen, ebenso erkennen wir den Nutzen der Zweckverbände
an, doch müssen wir verlangen, daß die Bildung derselben in die
Hand des Kreisausschusses gelegt wird. Redner verlangt dann,
man solle die Normirung der Communalsteuern und der Grenze des
Communalwahlrechts an Stelle der Gemeindevertretung dem
Kreisausschusse übertragen, über dessen Entscheidung nicht hinans-
gegangen zu werden brauche. Auch sei nicht nur die Anhörung,
sondern auch die Zustimmung des Kreisausschusses erforderlich,
wenn man Gemeinde- und Gutsbezirke zusammenlegen wolle. Nedner
spricht schließlich die Hoffnung aus, daß die Regierung den von
seiner Partei ausgesprochenen Wünschen Rechnung trage.

Abg. Rickert constatirt, daß zwischen den Ausführungen des
Ministers im Februar und dem jetzigen Entwurf ein großer Unter-
schied bestehe, beklagt dann, daß die Reform der Landgemeinde-
ordnung so spät erfolge, und verspricht die Zustimmung seiner
Partei, wenn sich in dem Entwurfe der erste Schritt zu einer
Besserung finden lasse, doch wünsche er, daß man aus dem Werke
jedes politische Interesse, jeden Parteistandpunkt fortlasse. Sollte
[Spaltenumbruch] sich jetzt kein Fortschritt ergeben, so werde die Thätigkeit der So-
cialdemokratie denselben erzwingen. Die festeste Stütze des Staates
sei die Selbstverwaltung, nur eine Weiterbildung in dieser Richtung
könne helfen, dieselbe werde jedoch von der conservativen Neaction
perhorrescirt. Der Bauer könne verlangen, was dem Städter schon
lange verliehen sei. Die Mitwirkung des Provinciallandtages sei
für die Landgemeindeordnung nicht nothwendig, das sei Sache des
Staates. Redner geht dann auf die materielle Seite der Vorlage
ein; er erklärt, daß seine Partei nicht etwa ein kunstoolles theore-
lisches Product den Gemeinden octroyiren wolle, und erkennt an,
daß eine Anzahl Gutsbezirke lebens- und leistungsfähig sei, wenn
aber jeder Leistungsfähige allein gelassen werde, so sei das eine
Atomisirung des Staates. Wenn die Regierung dem Kreise alle
Competenz übergebe, werde die Verantwortlichkeit des Ministers
der Landesvertretung entzogen. Bezüglich des Wahlrechtes wünsche
er, daß wenigstens das Recht der dritten Classe bedeutend erweitert
werde. Redner wendet sich dann gegen die Ausführungen des
Abg. v. Meyer-Arnswalde, daß die Gemeinde nicht als Ver-
nigung von Personen, sondern von Grundstücken zu betrachten
sei. Ueberhaupt zeuge der Entwurf von großem Mißtrauen, indem
man beispielsweise die Einführung des geheimen Wahlrechts ver-
meide. Auch die Vorschriften über die Bestätigung gehen zu
weit. Zweckverbände könne man nur billigen, wenn sie als Ueber-
gänge zu Gemeindeverbänden dienen sollen. Sollte die Vorlage
nur die Bureaukratie stärken, so werde der ihr nachgesagte Zweck ver-
fehlt und nur das erreicht, daß das Volk vor der Theilnahme an
der Selbstverwaltung einen Ekel bekomme, der nicht zum Segen
des Vaterlandes gereiche.

Abg. v. Tiedemann-Labischin: Zur Regelung der Ge-
meindelasten gebe es drei Wege: den ersten gehe die Vorlage, der
zweite sei die Bildung von Zweckverbänden, der dritte die Bildung
von Sammtgemeinden. Redner vergleicht die Zustände in Schles-
wig, Westfalen und Posen, die er kenne, und erklärt sich sowohl
mit der Bildung von Sammtgemeinden wie mit der von Zweck-
verbänden einverstanden; in beiden Fällen werde auch dem Bauer
das zu Theil, was ihm gebühre, der Socialdemokratie aber werde
ein fester Damm entgegengesetzt.

Abg. v. Schalscha betont, daß außer den Abgg. v. Tiedemann
und v. Gneist sämmtliche Redner die Grundlagen der Vorlage ange-
griffen haben. Er erinnert an die von der Socialdemokratie
drohenden Gefahren und daran, daß jede Nevolution von einer
Minorität ausgegangen sei, welche die Mehrheit terrorisirt habe.
Er sehe in der Vorlage eine Verkürzung der Rechte der Ansässigen
ohne eine Compensation dafür. Es würde eine Masse von Leuten,
besonders von kleinen Beamten, das Stimmrecht erhalten, ohne
Communalsteuern zu zahlen.

Minister Herrfurth: Man könne aus den sich schroff gegen-
überstehenden verschiedenen Kritiken den Schluß ziehen, daß die
Regierung die richtige Mitte getroffen habe. Dem Abg. v. Huene
gebe er zu, daß der Entwurf nicht präcis genug den Gedanken
ausdrücke, den er ausdrücken solle, daß jede Abtheilung nur ein
Drittel der Vertreter solle stellen dürfen. Das werde zur Folge
haben, daß in den ersten beiden Abtheilungen die Vertreter Grund-
besitzer seien. Das Verhältniß der Nichtangesessenen zu den An-
gesessenen werde in der Gemeindevertretung nicht wie 1 zu 2,
sondern wie 1 zu 8 sein; das rechtfertige sich auch dadurch, daß
der Antheil der Nichtangesessenen zu den Angesessenen an den
Gemeindelasten sich wie 1 zu 17 verhalte. Der Forderung Rickerts
betreffs des geheimen Communalwahlrechts könne die Regierung
nicht zustimmen. Das könne man nur vom grünen Tisch aus
decretiren, wenn man die ländlichen Verhältnisse nicht kenne, cum
ira,
aber sine studio. Wenn Hr. v. Schalscha von der geplanten
Ausdehnung des Wahlrechts eine Socialdemokratisirung befürchte,
so sei dies ungerechtfertigt. Den Vorschlägen des Abg. v. Heyde-
brand,
die eine Stärkung des Kreisausschusses bezwecken, könne er
nicht zustimmen, da kein Organ der Selbstverwaltung der
ministeriellen Instanz entzogen werden könne. Der Minister schließt
mit den Worten: Si quid novisti rectius istis, candidus imperti,
si non, his utere mecum.

Abg. Graf Limburg-Stirum spricht die Hoffnung aus,
die Vorlage werde zu einem gedeihlichen Gesetz ausgearbeitet werden
können. Gegen den Abg. Rickert bemerke er, daß nichtleistungsfähige
Gutsbezirke auch nicht selbständig gemacht werden sollten. Wenn
aber ein bis dahin selbständiger Gutsbezirk leistungsfähig sei,
solle er auch fernerhin selbständig bleiben. Der Widerstand der
Freisinnigen gegen diese Forderung rühre daher, daß die Guts-
besitzer meist conservativ seien. Man müsse Alles thun, um
lebensfähige Verbände zu schaffen, und die abgestorbenen Theile
wegschneiden. Es empfehle sich, die Competenz der Selbst-
verwaltungskörper zu schonen, da man denselben sonst ein Miß-
trauensvotum ertheile. Redner spricht schließlich den Entschluß
seiner Partei aus, kräftig an dem Gesetze mitzuarbeiten.

Abg. Hobrecht (nat.-lib.) spricht seine lebhaste Freude über
das Gesetz aus, das in dem herrschenden Wirrwarr statutarischer
Bestimmungen von höchster Wichtigkeit sei. Die Vorlage zeichne
sich durch zweierlei aus: erstens durch Ergänzung und Erweiterung
der Verfassung unter Festhalten am alten Bewährten, zweitens
durch Schaffung leistungsfähiger Gemeinden. Die Verleihung des
Wahlrechts an Nichtangesessene bedeute einen Fortschritt, den er
gutheiße, da man durch das allgemeine Reichstagswahlrecht sämmt-
liche Bürger für competent erklärt habe, an den höchsten Aufgaben
der Menschheit durch ihr Votum mitzuwirken. Redner wünscht
eine Weiterbildung des Entwurfs in der Weise, daß der Bureau-
kratismus nicht gestärkt werde, und verlangt, daß bereits in der
Commission feste Normen für die Zusammenlegung der Gemeinden
aufgestellt werden. Redner schließt: er habe sich als Freund der
Vorlage eintragen lassen und hoffe, daß die Vorlage mit ihren
Freunden fertig werde; mit ihren Feinden werde sie schon fertig
werden.

Abg. Wessel erkennt das Bedürfniß einer Verbesserung der
Landgemeindeordnung sowohl für den Osten wie für den Westen


Allgemeine Zeitung.
Nr. 334. — 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Dienſtag, 2. December 1890.


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Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat.
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amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern. E Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert,
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Inſeratenannahme in München b. d. Expedition, Schwanthalerſtraße 73, ſerner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln,
Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg, Wien, Paris, London, Zürich, Baſel ꝛc. b. d. Annoncenbureaux G. L. Daube
u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe
. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publiſhing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.


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Inhalts-Ueberſicht.
Der Reichshaushalt.
Preußiſcher Landtag. — Zur Reform des Schulweſens
in Preußen.
Deutſches Reich. * Berlin: Gedenkfeier. Armeebefehl.
Luxemburg. ch. Luxemburg: Reiſe des Großherzogs nach
dem Haag.
Oeſterreich-Ungarn. S. Eger: Rede des Abg. Dr. Plener.
Großbritannien. [] London: Zur Parnell-Affaire.
Bayeriſche Chronik. — Weitere telegraphiſche Nachrichten.
[] Hiezu: Zweites Morgenblatt.


München, 1. December.


Der Reichshaushaltsetat.

[] Der Reichshaushaltsetat für 1891/92 enthält nichts
ſonderlich Ueberraſchendes. Senſationelle Poſitionen, wie man
ſie in den letzten Jahren wohl in den einmaligen Ausgaben
für die Heeresverwaltung fand, ſucht man diesmal vergebens.
Was am meiſten in die Augen ſpringt, iſt die Steigerung der
fortdauernden Ausgaben um 47,983,296 Mark. Es nehmen
daran vorwiegend theil die Verwaltung des Reichsheeres mit
25,754,707, das Reichsamt des Innern mit 7,302,424, die
Reichsſchuld mit 7,239,000, die Marineverwaltung mit 4,424,801,
der Allgemeine Penſionsfonds mit 2,947,077 Mark. Im Militär-
etat iſt die Mehrforderung im weſentlichen die natürliche Con-
ſequenz der im Frühjahr bewilligten Heeresverſtärkung. Hervor-
zuheben iſt der Poſten zur Beſchaffung und Erhaltung der
Munition mit einer Mehrausgabe von 6,572,282 Mark. Derſelbe
erſcheint nur zu einem Theile als Wirkung der Heeresverſtärkung;
rund 6 Millionen figuriren als Erhöhung der Anſätze zur Be-
ſchaffung, Erhaltung und Verwaltung der Munition, ſowie zu
den Schießübungen der Artillerie in Folge der Aenderungen
und Fortſchritte auf dem Gebiete des Munitionsweſens. Die
Ausgabenſteigerung im Reichsamt des Innern iſt zum weitaus
größten Theile veranlaßt durch das bevorſtehende Inkrafttreten
der Invaliditäts- und Altersverſicherung, welche für dieſes An-
fangsjahr mit einem Koſtenaufwande von 6,229,260 Mark be-
rechnet iſt. 6,213,510 Mark fallen davon auf die Zuſchüffe des
Reichs zu Altersrenten; Invaliditätsrente tritt im erſten Jahre
der Wirkſamkeit des Geſetzes noch nicht ein. Die Mehr-
erforderniſſe der Reichsſchuldenverwaltung ergeben ſich aus der
Verzinſung der neuen Reichsanleihen, die des Allgemeinen
Penſionsfonds aus der Beobachtung der thatſächlichen Geſtal-
tung der Verhältniſſe in den letzten Jahren. Was die Marine-
verwaltung anlangt, ſo fallen die Mehrausgaben überwiegend,
nämlich mit 1,831,900 Mark, auf die Indienſthaltung der
Schiffe, und mit 1,748,466 Mark auf den Werſthetrieb. Der
letztere Mehrbedarf wird mit der Vermehrung des Flotten-
materials, namentlich der Torpedofahrzeuge, und der all-
gemeinen Steigerung der Preiſe, welche nicht nur bei der Be-
ſchaffung des Materials und Inventars, ſondern auch im An-
ziehen der Arbeitslöhne zutagetrete, begründet. Sämmtliche
Verwaltungen werden durch die Aufbeſſerung der Beamten-
gehälter, manche auch durch den Eintritt der Invaliditäts- und
Altersverſicherung, d. h. durch die in Folge deſſen vom Reiche
als Arbeitgeber zu leiſtenden Wochenbeiträge, in ihrem Aus-
gabenetat geſteigert.

Ueberblickt man dieſe Zuſammenſetzung der in dem neuen
Reichshaushaltsetat geforderten dauernden Mehrausgaben, ſo
wird man nicht die Empfindung haben, daß erhebliche Abzüge
möglich ſeien. Ueber die Nothwendigkeit der bedeutenden Ver-
mehrung der Koſten der Indienſthaltung von Schiffen wird
die Marineverwaltung noch näheren Aufſchluß zu geben haben;
viel wird aber weder hier, noch bei der Munition im Militär-
etat zu erſparen ſein. Andrerſeits kann der Anſatz für den
Reichszuſchuß zur Invaliditäts- und Altersverſicherung eher
zu niedrig, als zu hoch gegriffen ſein. Selbſt bei dem All-
gemeinen Penſionsfonds wird man kaum erwarten dürfen, daß
eine gründliche Unterſuchung eine ſehr erhebliche Herabminde-
rung der Verechnung des dauernden Mehrbedarfs bewirken
wird.

Während die fortdauernden Ausgaben um 47,983,296 Mark
höher erſcheinen, ſtellen ſich die einmaligen Ausgaben des
ordentlichen Etats um 1,373,610 Mark geringer, als im Etat
für 1890/91 dar. Dieſes günſtige Ergebniß wird indeß nur da-
durch erzielt, daß der Fehlbetrag aus früheren Jahren, welcher
noch im letzten Etat rund 20 Millionen betrug, in Wegfall
gekommen iſt. Der ſtärkſte Mehrbedarf erſcheint diesmal bei
dem Etat der Reichsſchuld, nämlich 10,242,500 Mark. Dieſer
Betrag iſt indeß nur dazu beſtimmt, die am 1. April fälligen
Zinſen der Reichsſchuld, welche bisher dem am 1. April be-
ginnenden Etatsjahre zur Laſt geſtellt wurden, auf das alte
Etatsjahr, wohin ſie gehören, zu übertragen. Es iſt das alſo
eine als durchaus zweckmäßig anzuerkennende einmalige
Correctur, die noch obendrein aus den großen Ueberſchüſſen
der diesjährigen Zolleinnahmen gedeckt werden ſoll, den Etat
für 1891/92 alſo eigentlich gar nicht berührt. Im übrigen iſt
es die Marineverwaltung, welche mit 7,221,130 Mark den
größten Mehrbedarf in den einmaligen Ausgaben aufweist. Es
ſind die erſten Naten für den Bau dreier Panzerfahrzeuge,
eines Kreuzers, eines Aviſos und zur Herſtellung von Torpedo-
booten, welche dieſen Mehrbedarf bedingen. Um dieſe Forde-
rungen wird ſich wahrſcheinlich einiger Kampf entſpinnen;
allein ſie liegen im Nahmen des einmal feſtſtehenden Planes
und werden große Ermäßigungen kaum zulaſſen. Der Militär-
etat bleibt in den einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats
[Spaltenumbruch] hinter dem Vorjahre um eine Kleinigkeit zurück. Trotzdem hat
er eine Reihe von Poſitionen, welche mehr oder weniger leb-
haften Angriffen ausgeſetzt ſein werden. So werden 2,800,000
Mark gefordert zum Erwerb eines zur Abhaltung größerer
Gefechts- und Schießübungen geeigneten Uebungsplatzes im
öſtlichen Theile des 7. Armeecorpsbezirks, ferner eine erſte
Nate von 3,260,393 Mark für Schießſtände aus Anlaß der
Einführung weittragender Handfeuerwaffen; für den gleichen
Zweck wird in Elſaß-Lothringen eine erſte Rate von 1,980,500
Mark verlangt. Zur Erhöhung der Kohlenbeſtände für die
Localverwaltungen und techniſchen Inſtitute der Militärver-
waltung werden 1,563,550 Mark in Ausſicht genommen. Alle
dieſe Poſitionen werden näherer Erläuterung bedürfen. Angriffe
werden auch die Forderungen des Militäretats zur Errichtung
zweier neuer Unterofficiervorſchulen (in Jülich und Wohlau)
erfahren. Die Nützlichkeit und Nothwendigkeit dieſer Inſtitute
iſt indeß durch die Erfahrung ſo zweifellos klargeſtellt, daß
der Reichstag auch in ſeiner gegenwärtigen Zuſammenſetzung
ſich dem Gewicht der guten Gründe nicht wird entziehen
können.

Alles in Allem wird man ſagen müſſen, daß die Aus-
gaben des ordentlichen Etats — die durch Anleihe und ſonſtige
außerordentliche Deckungsmittel zu deckenden Ausgaben des
außerordentlichen Etats laſſen wir hier außer Betracht — nach
Maßgabe des wohlerwogenen Bedürfniſſes berechnet ſind. Die
in dem Etat angenommene Mehrausgabe von rund 46½ Mil-
lionen wird alſo einſtweilen feſtzuhalten ſein. Es fragt ſich
nun, ob dem gegenüber die Einnahmen einen entſprechenden
Zuwachs aufzuweiſen haben. Der Etat nimmt einen ſolchen
aus den eigenen Einnahmen des Reichs in Höhe von
15,916,108 M. an, wovon der Löwenantheil, nämlich 11,465,000
Mark, auf die Zuckerſteuer entfällt. Jenen nahezu 16 Mill.
Mark treten die oben erwähnten rund 10⅕ Millionen aus
den Zöllen und der Tabakſteuer des laufenden Jahres hinzu,
ſo daß von dem Mehrbetrage der Ausgaben noch 20,451,078
Mark durch Steigerung der Matricularbeiträge zu decken
bleiben. Dieſer Steigerung der Matricularbeiträge ſteht nun
freilich eine beträchtlich höhere Steigerung der geſetzmäßigen
Ueberweiſungen an die Bundesſtaaten, nämlich um 32,843,000
Mark, gegenüber. Es muß aber hervorgehoben werden, daß
ſich im laufenden Jahre das Verhältniß zwiſchen den Matri-
cularbeiträgen und den Ueberweiſungen erheblich verſchlechtert
hat. In dem Etat für 1889/90 betrugen die Matricularbei-
träge 228,132,691 M., der etatsmäßige Betrag der Ueber-
weiſungen 281,440,000 M., im gegenwärtigen Etatsentwurf
figuriren die Matricularbeiträge mit 322,623,505, die Ueber-
weiſungen mit 331,353,000 M. Dort alſo ein Ueberſchuß der
Ueberweiſungen von rund 53, hier von kaum 9 Millionen.
Dieſe Zahlen entſprechen nun freilich inſofern nicht der Wirk-
lichkeit, als die Ueberweiſungen auf Grund der thatſächlichen
Einnahmen den Etat weit überſchreiten. So haben im Etats-
jahr 1889/90 nach der amtlichen Ueberſicht der Ausgaben und
Einnahmen die Ueberweiſungen das Etats-Soll um 73,593,901
Mark überſchritten. Ein ähnliches Ergebniß kann auch für
das laufende Jahr erwartet werden. Nichtsdeſtoweniger wird
die Thatſache einer Verſchiebung des Verhältniſſes zu Un-
gunſten der Matricularbeiträge dadurch nicht verändert. Dazu
kommt, daß die Ausgaben des Reichs in den nächſten Jahren
ſchon durch den Reichszuſchuß zu den Invaliditäts- und Alters-
renten bedeutend wachſen werden, während andererſeits
wenigſtens die Möglichkeit einer Verminderung der Zollein-
nahmen nicht ausgeſchloſſen iſt. Soll angeſichts deſſen eine
weitere erhebliche Steigerung der Matricularbeiträge, die bei den
wachſenden Bedürfniſſen der Einzelſtaaten auf die Finanzen der-
ſelben einen höchſt ſtörenden Einfluß üben würde, vermieden werden,
ſo wird man ernſtlich an eine Steigerung der eigenen Einnahmen
des Reichs denken müſſen. Unter dieſem Geſichtspunkte kann
der neue Etat recht wohl zur Unterſtützung der Zuckerſteuer-
vorlage herangezogen werden.



Preußiſcher Landtag.
Abgeordnetenhaus.
Telegramm
.

In der heutigen Sitzung wurde die erſte
Leſung der Landgemeindeordnung fortgeſetzt.

Abg. v. Heydebrand und der Laſa erklärt ſich mit den
Ausführungen des Miniſters in Betreff der Abſicht, an das hiſto-
riſch Gewordene anzuknüpfen, einverſtanden. Im Oſten der Mon-
archie ſeien die Verhältniſſe verbeſſerungsbedürftig. Meine Partei
(die conſervative), die auf dem Boden der Selbſtändigkeit der Ge-
meinde ſteht, iſt einer Weiterbildung dieſes Rechtes nicht entgegen.
Auch der Verleihung des Stimmrechts an Nichteingeſeſſene ſind wir
nicht entgegen, ebenſo erkennen wir den Nutzen der Zweckverbände
an, doch müſſen wir verlangen, daß die Bildung derſelben in die
Hand des Kreisausſchuſſes gelegt wird. Redner verlangt dann,
man ſolle die Normirung der Communalſteuern und der Grenze des
Communalwahlrechts an Stelle der Gemeindevertretung dem
Kreisausſchuſſe übertragen, über deſſen Entſcheidung nicht hinans-
gegangen zu werden brauche. Auch ſei nicht nur die Anhörung,
ſondern auch die Zuſtimmung des Kreisausſchuſſes erforderlich,
wenn man Gemeinde- und Gutsbezirke zuſammenlegen wolle. Nedner
ſpricht ſchließlich die Hoffnung aus, daß die Regierung den von
ſeiner Partei ausgeſprochenen Wünſchen Rechnung trage.

Abg. Rickert conſtatirt, daß zwiſchen den Ausführungen des
Miniſters im Februar und dem jetzigen Entwurf ein großer Unter-
ſchied beſtehe, beklagt dann, daß die Reform der Landgemeinde-
ordnung ſo ſpät erfolge, und verſpricht die Zuſtimmung ſeiner
Partei, wenn ſich in dem Entwurfe der erſte Schritt zu einer
Beſſerung finden laſſe, doch wünſche er, daß man aus dem Werke
jedes politiſche Intereſſe, jeden Parteiſtandpunkt fortlaſſe. Sollte
[Spaltenumbruch] ſich jetzt kein Fortſchritt ergeben, ſo werde die Thätigkeit der So-
cialdemokratie denſelben erzwingen. Die feſteſte Stütze des Staates
ſei die Selbſtverwaltung, nur eine Weiterbildung in dieſer Richtung
könne helfen, dieſelbe werde jedoch von der conſervativen Neaction
perhorreſcirt. Der Bauer könne verlangen, was dem Städter ſchon
lange verliehen ſei. Die Mitwirkung des Provinciallandtages ſei
für die Landgemeindeordnung nicht nothwendig, das ſei Sache des
Staates. Redner geht dann auf die materielle Seite der Vorlage
ein; er erklärt, daß ſeine Partei nicht etwa ein kunſtoolles theore-
liſches Product den Gemeinden octroyiren wolle, und erkennt an,
daß eine Anzahl Gutsbezirke lebens- und leiſtungsfähig ſei, wenn
aber jeder Leiſtungsfähige allein gelaſſen werde, ſo ſei das eine
Atomiſirung des Staates. Wenn die Regierung dem Kreiſe alle
Competenz übergebe, werde die Verantwortlichkeit des Miniſters
der Landesvertretung entzogen. Bezüglich des Wahlrechtes wünſche
er, daß wenigſtens das Recht der dritten Claſſe bedeutend erweitert
werde. Redner wendet ſich dann gegen die Ausführungen des
Abg. v. Meyer-Arnswalde, daß die Gemeinde nicht als Ver-
nigung von Perſonen, ſondern von Grundſtücken zu betrachten
ſei. Ueberhaupt zeuge der Entwurf von großem Mißtrauen, indem
man beiſpielsweiſe die Einführung des geheimen Wahlrechts ver-
meide. Auch die Vorſchriften über die Beſtätigung gehen zu
weit. Zweckverbände könne man nur billigen, wenn ſie als Ueber-
gänge zu Gemeindeverbänden dienen ſollen. Sollte die Vorlage
nur die Bureaukratie ſtärken, ſo werde der ihr nachgeſagte Zweck ver-
fehlt und nur das erreicht, daß das Volk vor der Theilnahme an
der Selbſtverwaltung einen Ekel bekomme, der nicht zum Segen
des Vaterlandes gereiche.

Abg. v. Tiedemann-Labiſchin: Zur Regelung der Ge-
meindelaſten gebe es drei Wege: den erſten gehe die Vorlage, der
zweite ſei die Bildung von Zweckverbänden, der dritte die Bildung
von Sammtgemeinden. Redner vergleicht die Zuſtände in Schles-
wig, Weſtfalen und Poſen, die er kenne, und erklärt ſich ſowohl
mit der Bildung von Sammtgemeinden wie mit der von Zweck-
verbänden einverſtanden; in beiden Fällen werde auch dem Bauer
das zu Theil, was ihm gebühre, der Socialdemokratie aber werde
ein feſter Damm entgegengeſetzt.

Abg. v. Schalſcha betont, daß außer den Abgg. v. Tiedemann
und v. Gneiſt ſämmtliche Redner die Grundlagen der Vorlage ange-
griffen haben. Er erinnert an die von der Socialdemokratie
drohenden Gefahren und daran, daß jede Nevolution von einer
Minorität ausgegangen ſei, welche die Mehrheit terroriſirt habe.
Er ſehe in der Vorlage eine Verkürzung der Rechte der Anſäſſigen
ohne eine Compenſation dafür. Es würde eine Maſſe von Leuten,
beſonders von kleinen Beamten, das Stimmrecht erhalten, ohne
Communalſteuern zu zahlen.

Miniſter Herrfurth: Man könne aus den ſich ſchroff gegen-
überſtehenden verſchiedenen Kritiken den Schluß ziehen, daß die
Regierung die richtige Mitte getroffen habe. Dem Abg. v. Huene
gebe er zu, daß der Entwurf nicht präcis genug den Gedanken
ausdrücke, den er ausdrücken ſolle, daß jede Abtheilung nur ein
Drittel der Vertreter ſolle ſtellen dürfen. Das werde zur Folge
haben, daß in den erſten beiden Abtheilungen die Vertreter Grund-
beſitzer ſeien. Das Verhältniß der Nichtangeſeſſenen zu den An-
geſeſſenen werde in der Gemeindevertretung nicht wie 1 zu 2,
ſondern wie 1 zu 8 ſein; das rechtfertige ſich auch dadurch, daß
der Antheil der Nichtangeſeſſenen zu den Angeſeſſenen an den
Gemeindelaſten ſich wie 1 zu 17 verhalte. Der Forderung Rickerts
betreffs des geheimen Communalwahlrechts könne die Regierung
nicht zuſtimmen. Das könne man nur vom grünen Tiſch aus
decretiren, wenn man die ländlichen Verhältniſſe nicht kenne, cum
ira,
aber sine studio. Wenn Hr. v. Schalſcha von der geplanten
Ausdehnung des Wahlrechts eine Socialdemokratiſirung befürchte,
ſo ſei dies ungerechtfertigt. Den Vorſchlägen des Abg. v. Heyde-
brand,
die eine Stärkung des Kreisausſchuſſes bezwecken, könne er
nicht zuſtimmen, da kein Organ der Selbſtverwaltung der
miniſteriellen Inſtanz entzogen werden könne. Der Miniſter ſchließt
mit den Worten: Si quid novisti rectius istis, candıdus imperti,
si non, his utere mecum.

Abg. Graf Limburg-Stirum ſpricht die Hoffnung aus,
die Vorlage werde zu einem gedeihlichen Geſetz ausgearbeitet werden
können. Gegen den Abg. Rickert bemerke er, daß nichtleiſtungsfähige
Gutsbezirke auch nicht ſelbſtändig gemacht werden ſollten. Wenn
aber ein bis dahin ſelbſtändiger Gutsbezirk leiſtungsfähig ſei,
ſolle er auch fernerhin ſelbſtändig bleiben. Der Widerſtand der
Freiſinnigen gegen dieſe Forderung rühre daher, daß die Guts-
beſitzer meiſt conſervativ ſeien. Man müſſe Alles thun, um
lebensfähige Verbände zu ſchaffen, und die abgeſtorbenen Theile
wegſchneiden. Es empfehle ſich, die Competenz der Selbſt-
verwaltungskörper zu ſchonen, da man denſelben ſonſt ein Miß-
trauensvotum ertheile. Redner ſpricht ſchließlich den Entſchluß
ſeiner Partei aus, kräftig an dem Geſetze mitzuarbeiten.

Abg. Hobrecht (nat.-lib.) ſpricht ſeine lebhaſte Freude über
das Geſetz aus, das in dem herrſchenden Wirrwarr ſtatutariſcher
Beſtimmungen von höchſter Wichtigkeit ſei. Die Vorlage zeichne
ſich durch zweierlei aus: erſtens durch Ergänzung und Erweiterung
der Verfaſſung unter Feſthalten am alten Bewährten, zweitens
durch Schaffung leiſtungsfähiger Gemeinden. Die Verleihung des
Wahlrechts an Nichtangeſeſſene bedeute einen Fortſchritt, den er
gutheiße, da man durch das allgemeine Reichstagswahlrecht ſämmt-
liche Bürger für competent erklärt habe, an den höchſten Aufgaben
der Menſchheit durch ihr Votum mitzuwirken. Redner wünſcht
eine Weiterbildung des Entwurfs in der Weiſe, daß der Bureau-
kratismus nicht geſtärkt werde, und verlangt, daß bereits in der
Commiſſion feſte Normen für die Zuſammenlegung der Gemeinden
aufgeſtellt werden. Redner ſchließt: er habe ſich als Freund der
Vorlage eintragen laſſen und hoffe, daß die Vorlage mit ihren
Freunden fertig werde; mit ihren Feinden werde ſie ſchon fertig
werden.

Abg. Weſſel erkennt das Bedürfniß einer Verbeſſerung der
Landgemeindeordnung ſowohl für den Oſten wie für den Weſten

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[0001] Allgemeine Zeitung.Nr. 334. — 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Dienſtag, 2. December 1890. Abonnementspreis in München b. d. Ex- pedition oder den im Stadtbezirk errichte- ten Depots abgeholt monatl. M. 2. —, bei 2malig. Zuſtellung ins Haus M. 2.50; durch d. Poſt bezogen: vier- teljährlich f. Deutſchl. u. Oeſterreich M. 9.—, für d. Ausl. mit ent- ſprechendem Zuſchlag. Direkter Bezug unter Streifband für Deutſchland à. Oeſterreich monatl. M. 4. —, Ausland M. 5. 60. Inſertionspreis v. Colonelzeile 25 Pf.; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; Lokalanzeigen 20 Pf.; kleine Anzei- gen i. gewöhnl. Schrift 3 Pf., in fetter Schrift 5 Pf. für das Wort. Redaktion u. Expedi- tion befinden ſich Schwanthalerſtr. 73 in München. Berichte find an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedktion franko einzu- ſenden. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle. 30 Lime Str. London: für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat. Bocca in Turin, Florenz und Rom, U. Hoepli in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt- amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern. E Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert, Weſtermann u. Co., International Publiſhing Agency, 710 Broadway, in New York. Verantwortlicher Redakteur: Hugo Jacobi in München. [Abbildung] Inſeratenannahme in München b. d. Expedition, Schwanthalerſtraße 73, ſerner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln, Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg, Wien, Paris, London, Zürich, Baſel ꝛc. b. d. Annoncenbureaux G. L. Daube u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12), Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publiſhing Agency, 710 Broadway. Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München. Inhalts-Ueberſicht. Der Reichshaushalt. Preußiſcher Landtag. — Zur Reform des Schulweſens in Preußen. Deutſches Reich. * Berlin: Gedenkfeier. Armeebefehl. Luxemburg. ch. Luxemburg: Reiſe des Großherzogs nach dem Haag. Oeſterreich-Ungarn. S. Eger: Rede des Abg. Dr. Plener. Großbritannien. &#xfffc; London: Zur Parnell-Affaire. Bayeriſche Chronik. — Weitere telegraphiſche Nachrichten. &#xfffc; Hiezu: Zweites Morgenblatt. München, 1. December. Der Reichshaushaltsetat. &#xfffc; Der Reichshaushaltsetat für 1891/92 enthält nichts ſonderlich Ueberraſchendes. Senſationelle Poſitionen, wie man ſie in den letzten Jahren wohl in den einmaligen Ausgaben für die Heeresverwaltung fand, ſucht man diesmal vergebens. Was am meiſten in die Augen ſpringt, iſt die Steigerung der fortdauernden Ausgaben um 47,983,296 Mark. Es nehmen daran vorwiegend theil die Verwaltung des Reichsheeres mit 25,754,707, das Reichsamt des Innern mit 7,302,424, die Reichsſchuld mit 7,239,000, die Marineverwaltung mit 4,424,801, der Allgemeine Penſionsfonds mit 2,947,077 Mark. Im Militär- etat iſt die Mehrforderung im weſentlichen die natürliche Con- ſequenz der im Frühjahr bewilligten Heeresverſtärkung. Hervor- zuheben iſt der Poſten zur Beſchaffung und Erhaltung der Munition mit einer Mehrausgabe von 6,572,282 Mark. Derſelbe erſcheint nur zu einem Theile als Wirkung der Heeresverſtärkung; rund 6 Millionen figuriren als Erhöhung der Anſätze zur Be- ſchaffung, Erhaltung und Verwaltung der Munition, ſowie zu den Schießübungen der Artillerie in Folge der Aenderungen und Fortſchritte auf dem Gebiete des Munitionsweſens. Die Ausgabenſteigerung im Reichsamt des Innern iſt zum weitaus größten Theile veranlaßt durch das bevorſtehende Inkrafttreten der Invaliditäts- und Altersverſicherung, welche für dieſes An- fangsjahr mit einem Koſtenaufwande von 6,229,260 Mark be- rechnet iſt. 6,213,510 Mark fallen davon auf die Zuſchüffe des Reichs zu Altersrenten; Invaliditätsrente tritt im erſten Jahre der Wirkſamkeit des Geſetzes noch nicht ein. Die Mehr- erforderniſſe der Reichsſchuldenverwaltung ergeben ſich aus der Verzinſung der neuen Reichsanleihen, die des Allgemeinen Penſionsfonds aus der Beobachtung der thatſächlichen Geſtal- tung der Verhältniſſe in den letzten Jahren. Was die Marine- verwaltung anlangt, ſo fallen die Mehrausgaben überwiegend, nämlich mit 1,831,900 Mark, auf die Indienſthaltung der Schiffe, und mit 1,748,466 Mark auf den Werſthetrieb. Der letztere Mehrbedarf wird mit der Vermehrung des Flotten- materials, namentlich der Torpedofahrzeuge, und der all- gemeinen Steigerung der Preiſe, welche nicht nur bei der Be- ſchaffung des Materials und Inventars, ſondern auch im An- ziehen der Arbeitslöhne zutagetrete, begründet. Sämmtliche Verwaltungen werden durch die Aufbeſſerung der Beamten- gehälter, manche auch durch den Eintritt der Invaliditäts- und Altersverſicherung, d. h. durch die in Folge deſſen vom Reiche als Arbeitgeber zu leiſtenden Wochenbeiträge, in ihrem Aus- gabenetat geſteigert. Ueberblickt man dieſe Zuſammenſetzung der in dem neuen Reichshaushaltsetat geforderten dauernden Mehrausgaben, ſo wird man nicht die Empfindung haben, daß erhebliche Abzüge möglich ſeien. Ueber die Nothwendigkeit der bedeutenden Ver- mehrung der Koſten der Indienſthaltung von Schiffen wird die Marineverwaltung noch näheren Aufſchluß zu geben haben; viel wird aber weder hier, noch bei der Munition im Militär- etat zu erſparen ſein. Andrerſeits kann der Anſatz für den Reichszuſchuß zur Invaliditäts- und Altersverſicherung eher zu niedrig, als zu hoch gegriffen ſein. Selbſt bei dem All- gemeinen Penſionsfonds wird man kaum erwarten dürfen, daß eine gründliche Unterſuchung eine ſehr erhebliche Herabminde- rung der Verechnung des dauernden Mehrbedarfs bewirken wird. Während die fortdauernden Ausgaben um 47,983,296 Mark höher erſcheinen, ſtellen ſich die einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats um 1,373,610 Mark geringer, als im Etat für 1890/91 dar. Dieſes günſtige Ergebniß wird indeß nur da- durch erzielt, daß der Fehlbetrag aus früheren Jahren, welcher noch im letzten Etat rund 20 Millionen betrug, in Wegfall gekommen iſt. Der ſtärkſte Mehrbedarf erſcheint diesmal bei dem Etat der Reichsſchuld, nämlich 10,242,500 Mark. Dieſer Betrag iſt indeß nur dazu beſtimmt, die am 1. April fälligen Zinſen der Reichsſchuld, welche bisher dem am 1. April be- ginnenden Etatsjahre zur Laſt geſtellt wurden, auf das alte Etatsjahr, wohin ſie gehören, zu übertragen. Es iſt das alſo eine als durchaus zweckmäßig anzuerkennende einmalige Correctur, die noch obendrein aus den großen Ueberſchüſſen der diesjährigen Zolleinnahmen gedeckt werden ſoll, den Etat für 1891/92 alſo eigentlich gar nicht berührt. Im übrigen iſt es die Marineverwaltung, welche mit 7,221,130 Mark den größten Mehrbedarf in den einmaligen Ausgaben aufweist. Es ſind die erſten Naten für den Bau dreier Panzerfahrzeuge, eines Kreuzers, eines Aviſos und zur Herſtellung von Torpedo- booten, welche dieſen Mehrbedarf bedingen. Um dieſe Forde- rungen wird ſich wahrſcheinlich einiger Kampf entſpinnen; allein ſie liegen im Nahmen des einmal feſtſtehenden Planes und werden große Ermäßigungen kaum zulaſſen. Der Militär- etat bleibt in den einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats hinter dem Vorjahre um eine Kleinigkeit zurück. Trotzdem hat er eine Reihe von Poſitionen, welche mehr oder weniger leb- haften Angriffen ausgeſetzt ſein werden. So werden 2,800,000 Mark gefordert zum Erwerb eines zur Abhaltung größerer Gefechts- und Schießübungen geeigneten Uebungsplatzes im öſtlichen Theile des 7. Armeecorpsbezirks, ferner eine erſte Nate von 3,260,393 Mark für Schießſtände aus Anlaß der Einführung weittragender Handfeuerwaffen; für den gleichen Zweck wird in Elſaß-Lothringen eine erſte Rate von 1,980,500 Mark verlangt. Zur Erhöhung der Kohlenbeſtände für die Localverwaltungen und techniſchen Inſtitute der Militärver- waltung werden 1,563,550 Mark in Ausſicht genommen. Alle dieſe Poſitionen werden näherer Erläuterung bedürfen. Angriffe werden auch die Forderungen des Militäretats zur Errichtung zweier neuer Unterofficiervorſchulen (in Jülich und Wohlau) erfahren. Die Nützlichkeit und Nothwendigkeit dieſer Inſtitute iſt indeß durch die Erfahrung ſo zweifellos klargeſtellt, daß der Reichstag auch in ſeiner gegenwärtigen Zuſammenſetzung ſich dem Gewicht der guten Gründe nicht wird entziehen können. Alles in Allem wird man ſagen müſſen, daß die Aus- gaben des ordentlichen Etats — die durch Anleihe und ſonſtige außerordentliche Deckungsmittel zu deckenden Ausgaben des außerordentlichen Etats laſſen wir hier außer Betracht — nach Maßgabe des wohlerwogenen Bedürfniſſes berechnet ſind. Die in dem Etat angenommene Mehrausgabe von rund 46½ Mil- lionen wird alſo einſtweilen feſtzuhalten ſein. Es fragt ſich nun, ob dem gegenüber die Einnahmen einen entſprechenden Zuwachs aufzuweiſen haben. Der Etat nimmt einen ſolchen aus den eigenen Einnahmen des Reichs in Höhe von 15,916,108 M. an, wovon der Löwenantheil, nämlich 11,465,000 Mark, auf die Zuckerſteuer entfällt. Jenen nahezu 16 Mill. Mark treten die oben erwähnten rund 10⅕ Millionen aus den Zöllen und der Tabakſteuer des laufenden Jahres hinzu, ſo daß von dem Mehrbetrage der Ausgaben noch 20,451,078 Mark durch Steigerung der Matricularbeiträge zu decken bleiben. Dieſer Steigerung der Matricularbeiträge ſteht nun freilich eine beträchtlich höhere Steigerung der geſetzmäßigen Ueberweiſungen an die Bundesſtaaten, nämlich um 32,843,000 Mark, gegenüber. Es muß aber hervorgehoben werden, daß ſich im laufenden Jahre das Verhältniß zwiſchen den Matri- cularbeiträgen und den Ueberweiſungen erheblich verſchlechtert hat. In dem Etat für 1889/90 betrugen die Matricularbei- träge 228,132,691 M., der etatsmäßige Betrag der Ueber- weiſungen 281,440,000 M., im gegenwärtigen Etatsentwurf figuriren die Matricularbeiträge mit 322,623,505, die Ueber- weiſungen mit 331,353,000 M. Dort alſo ein Ueberſchuß der Ueberweiſungen von rund 53, hier von kaum 9 Millionen. Dieſe Zahlen entſprechen nun freilich inſofern nicht der Wirk- lichkeit, als die Ueberweiſungen auf Grund der thatſächlichen Einnahmen den Etat weit überſchreiten. So haben im Etats- jahr 1889/90 nach der amtlichen Ueberſicht der Ausgaben und Einnahmen die Ueberweiſungen das Etats-Soll um 73,593,901 Mark überſchritten. Ein ähnliches Ergebniß kann auch für das laufende Jahr erwartet werden. Nichtsdeſtoweniger wird die Thatſache einer Verſchiebung des Verhältniſſes zu Un- gunſten der Matricularbeiträge dadurch nicht verändert. Dazu kommt, daß die Ausgaben des Reichs in den nächſten Jahren ſchon durch den Reichszuſchuß zu den Invaliditäts- und Alters- renten bedeutend wachſen werden, während andererſeits wenigſtens die Möglichkeit einer Verminderung der Zollein- nahmen nicht ausgeſchloſſen iſt. Soll angeſichts deſſen eine weitere erhebliche Steigerung der Matricularbeiträge, die bei den wachſenden Bedürfniſſen der Einzelſtaaten auf die Finanzen der- ſelben einen höchſt ſtörenden Einfluß üben würde, vermieden werden, ſo wird man ernſtlich an eine Steigerung der eigenen Einnahmen des Reichs denken müſſen. Unter dieſem Geſichtspunkte kann der neue Etat recht wohl zur Unterſtützung der Zuckerſteuer- vorlage herangezogen werden. Preußiſcher Landtag. Abgeordnetenhaus. Telegramm. * Berlin, 1. Dec. In der heutigen Sitzung wurde die erſte Leſung der Landgemeindeordnung fortgeſetzt. Abg. v. Heydebrand und der Laſa erklärt ſich mit den Ausführungen des Miniſters in Betreff der Abſicht, an das hiſto- riſch Gewordene anzuknüpfen, einverſtanden. Im Oſten der Mon- archie ſeien die Verhältniſſe verbeſſerungsbedürftig. Meine Partei (die conſervative), die auf dem Boden der Selbſtändigkeit der Ge- meinde ſteht, iſt einer Weiterbildung dieſes Rechtes nicht entgegen. Auch der Verleihung des Stimmrechts an Nichteingeſeſſene ſind wir nicht entgegen, ebenſo erkennen wir den Nutzen der Zweckverbände an, doch müſſen wir verlangen, daß die Bildung derſelben in die Hand des Kreisausſchuſſes gelegt wird. Redner verlangt dann, man ſolle die Normirung der Communalſteuern und der Grenze des Communalwahlrechts an Stelle der Gemeindevertretung dem Kreisausſchuſſe übertragen, über deſſen Entſcheidung nicht hinans- gegangen zu werden brauche. Auch ſei nicht nur die Anhörung, ſondern auch die Zuſtimmung des Kreisausſchuſſes erforderlich, wenn man Gemeinde- und Gutsbezirke zuſammenlegen wolle. Nedner ſpricht ſchließlich die Hoffnung aus, daß die Regierung den von ſeiner Partei ausgeſprochenen Wünſchen Rechnung trage. Abg. Rickert conſtatirt, daß zwiſchen den Ausführungen des Miniſters im Februar und dem jetzigen Entwurf ein großer Unter- ſchied beſtehe, beklagt dann, daß die Reform der Landgemeinde- ordnung ſo ſpät erfolge, und verſpricht die Zuſtimmung ſeiner Partei, wenn ſich in dem Entwurfe der erſte Schritt zu einer Beſſerung finden laſſe, doch wünſche er, daß man aus dem Werke jedes politiſche Intereſſe, jeden Parteiſtandpunkt fortlaſſe. Sollte ſich jetzt kein Fortſchritt ergeben, ſo werde die Thätigkeit der So- cialdemokratie denſelben erzwingen. Die feſteſte Stütze des Staates ſei die Selbſtverwaltung, nur eine Weiterbildung in dieſer Richtung könne helfen, dieſelbe werde jedoch von der conſervativen Neaction perhorreſcirt. Der Bauer könne verlangen, was dem Städter ſchon lange verliehen ſei. Die Mitwirkung des Provinciallandtages ſei für die Landgemeindeordnung nicht nothwendig, das ſei Sache des Staates. Redner geht dann auf die materielle Seite der Vorlage ein; er erklärt, daß ſeine Partei nicht etwa ein kunſtoolles theore- liſches Product den Gemeinden octroyiren wolle, und erkennt an, daß eine Anzahl Gutsbezirke lebens- und leiſtungsfähig ſei, wenn aber jeder Leiſtungsfähige allein gelaſſen werde, ſo ſei das eine Atomiſirung des Staates. Wenn die Regierung dem Kreiſe alle Competenz übergebe, werde die Verantwortlichkeit des Miniſters der Landesvertretung entzogen. Bezüglich des Wahlrechtes wünſche er, daß wenigſtens das Recht der dritten Claſſe bedeutend erweitert werde. Redner wendet ſich dann gegen die Ausführungen des Abg. v. Meyer-Arnswalde, daß die Gemeinde nicht als Ver- nigung von Perſonen, ſondern von Grundſtücken zu betrachten ſei. Ueberhaupt zeuge der Entwurf von großem Mißtrauen, indem man beiſpielsweiſe die Einführung des geheimen Wahlrechts ver- meide. Auch die Vorſchriften über die Beſtätigung gehen zu weit. Zweckverbände könne man nur billigen, wenn ſie als Ueber- gänge zu Gemeindeverbänden dienen ſollen. Sollte die Vorlage nur die Bureaukratie ſtärken, ſo werde der ihr nachgeſagte Zweck ver- fehlt und nur das erreicht, daß das Volk vor der Theilnahme an der Selbſtverwaltung einen Ekel bekomme, der nicht zum Segen des Vaterlandes gereiche. Abg. v. Tiedemann-Labiſchin: Zur Regelung der Ge- meindelaſten gebe es drei Wege: den erſten gehe die Vorlage, der zweite ſei die Bildung von Zweckverbänden, der dritte die Bildung von Sammtgemeinden. Redner vergleicht die Zuſtände in Schles- wig, Weſtfalen und Poſen, die er kenne, und erklärt ſich ſowohl mit der Bildung von Sammtgemeinden wie mit der von Zweck- verbänden einverſtanden; in beiden Fällen werde auch dem Bauer das zu Theil, was ihm gebühre, der Socialdemokratie aber werde ein feſter Damm entgegengeſetzt. Abg. v. Schalſcha betont, daß außer den Abgg. v. Tiedemann und v. Gneiſt ſämmtliche Redner die Grundlagen der Vorlage ange- griffen haben. Er erinnert an die von der Socialdemokratie drohenden Gefahren und daran, daß jede Nevolution von einer Minorität ausgegangen ſei, welche die Mehrheit terroriſirt habe. Er ſehe in der Vorlage eine Verkürzung der Rechte der Anſäſſigen ohne eine Compenſation dafür. Es würde eine Maſſe von Leuten, beſonders von kleinen Beamten, das Stimmrecht erhalten, ohne Communalſteuern zu zahlen. Miniſter Herrfurth: Man könne aus den ſich ſchroff gegen- überſtehenden verſchiedenen Kritiken den Schluß ziehen, daß die Regierung die richtige Mitte getroffen habe. Dem Abg. v. Huene gebe er zu, daß der Entwurf nicht präcis genug den Gedanken ausdrücke, den er ausdrücken ſolle, daß jede Abtheilung nur ein Drittel der Vertreter ſolle ſtellen dürfen. Das werde zur Folge haben, daß in den erſten beiden Abtheilungen die Vertreter Grund- beſitzer ſeien. Das Verhältniß der Nichtangeſeſſenen zu den An- geſeſſenen werde in der Gemeindevertretung nicht wie 1 zu 2, ſondern wie 1 zu 8 ſein; das rechtfertige ſich auch dadurch, daß der Antheil der Nichtangeſeſſenen zu den Angeſeſſenen an den Gemeindelaſten ſich wie 1 zu 17 verhalte. Der Forderung Rickerts betreffs des geheimen Communalwahlrechts könne die Regierung nicht zuſtimmen. Das könne man nur vom grünen Tiſch aus decretiren, wenn man die ländlichen Verhältniſſe nicht kenne, cum ira, aber sine studio. Wenn Hr. v. Schalſcha von der geplanten Ausdehnung des Wahlrechts eine Socialdemokratiſirung befürchte, ſo ſei dies ungerechtfertigt. Den Vorſchlägen des Abg. v. Heyde- brand, die eine Stärkung des Kreisausſchuſſes bezwecken, könne er nicht zuſtimmen, da kein Organ der Selbſtverwaltung der miniſteriellen Inſtanz entzogen werden könne. Der Miniſter ſchließt mit den Worten: Si quid novisti rectius istis, candıdus imperti, si non, his utere mecum. Abg. Graf Limburg-Stirum ſpricht die Hoffnung aus, die Vorlage werde zu einem gedeihlichen Geſetz ausgearbeitet werden können. Gegen den Abg. Rickert bemerke er, daß nichtleiſtungsfähige Gutsbezirke auch nicht ſelbſtändig gemacht werden ſollten. Wenn aber ein bis dahin ſelbſtändiger Gutsbezirk leiſtungsfähig ſei, ſolle er auch fernerhin ſelbſtändig bleiben. Der Widerſtand der Freiſinnigen gegen dieſe Forderung rühre daher, daß die Guts- beſitzer meiſt conſervativ ſeien. Man müſſe Alles thun, um lebensfähige Verbände zu ſchaffen, und die abgeſtorbenen Theile wegſchneiden. Es empfehle ſich, die Competenz der Selbſt- verwaltungskörper zu ſchonen, da man denſelben ſonſt ein Miß- trauensvotum ertheile. Redner ſpricht ſchließlich den Entſchluß ſeiner Partei aus, kräftig an dem Geſetze mitzuarbeiten. Abg. Hobrecht (nat.-lib.) ſpricht ſeine lebhaſte Freude über das Geſetz aus, das in dem herrſchenden Wirrwarr ſtatutariſcher Beſtimmungen von höchſter Wichtigkeit ſei. Die Vorlage zeichne ſich durch zweierlei aus: erſtens durch Ergänzung und Erweiterung der Verfaſſung unter Feſthalten am alten Bewährten, zweitens durch Schaffung leiſtungsfähiger Gemeinden. Die Verleihung des Wahlrechts an Nichtangeſeſſene bedeute einen Fortſchritt, den er gutheiße, da man durch das allgemeine Reichstagswahlrecht ſämmt- liche Bürger für competent erklärt habe, an den höchſten Aufgaben der Menſchheit durch ihr Votum mitzuwirken. Redner wünſcht eine Weiterbildung des Entwurfs in der Weiſe, daß der Bureau- kratismus nicht geſtärkt werde, und verlangt, daß bereits in der Commiſſion feſte Normen für die Zuſammenlegung der Gemeinden aufgeſtellt werden. Redner ſchließt: er habe ſich als Freund der Vorlage eintragen laſſen und hoffe, daß die Vorlage mit ihren Freunden fertig werde; mit ihren Feinden werde ſie ſchon fertig werden. Abg. Weſſel erkennt das Bedürfniß einer Verbeſſerung der Landgemeindeordnung ſowohl für den Oſten wie für den Weſten

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-09-13T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 334. München, 2. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine334_1890/1>, abgerufen am 21.11.2024.