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Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920.

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20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Jüdin von Toledo stets problematisch, denn unser vertiefteres
psychologisches Empfinden fühlt sich unbefriedigt. Alfonsos
Moral, insbesondere sein brutales Abwenden von der toten
Rahel, ist nicht die unsrige. Jn Erkenntnis dieses Mangels hat
der Dichter sein Werk stark, allzustark mit Reflexion belastet,
zum Schaden des dramatischen Lebens. Wenn das Drama aber
heute noch hoch gewertet wird, so liegt dies in der erhellten,
gegensätzlichen Charakterschilderung des Königs und der Jüdin.

Walter Reymer ist ganz der reflektierende, in seiner Schwäche
durch neue und aber neue Scheingründe sich Cäuschende. Halb
Herrscher, halb Liebhaber. Dielleicht kam der erstere im An-
fang vor der Begegnung mit Rahel etwas zu kurz, denn das
innerlich Unstete tritt ja erst unter dem Einfluß der Jüdin in
Erscheinung. Am überzeugendsten wirkte Reymer in den Schluß-
ßenen des zweiten und vierten Aktes, wo Rhetorik und Spiel
sich zu plastischem Erleben formten. Es war eine noch nicht
völlig ausgereifte, aber verheißungsvolle Leistung. Helene Rit-
scher wußte den Weg zu Grillparzers Stil nicht zu finden und
verschob dadurch das Profil des Dramas. Sie lebte und pulsierte,
eigensinnig, verträumt, eitel und in sinnlichster Triebhaftigkeit,
ließ aber die ihr namentlich zu Beginn eigene kindliche Ver-
zagtheit, ja naive Anmut, vermissen. Als Einzelgestaltung gewiß
von Bedeutung, aber aus dem Rahmen Grillparzers fallend.
Emil Höfers mit einfachen Strichen gezeichneter Jude Jsaak
stand im Schatten unseres bisherigen, jahrzehntelangen Ver-
treters Alois Wohlmuth, dessen ausgezeichnete Verkörperung
längst klassisch geworden ist. Fräulein Persing als Eleonore
blieb um schlichte Größe bemüht, während Frau v. Jacobi über
die Schablone nicht hinauskam. Würdig im Männerstolz vor
Königsthronen stand Georg Putscher als aufrechter Manriquez.
Szenisch war von einer Neueinstudierung wenig zu spüren, es
war alles altes Theater im Sinne einer vergangenen Zeit.


Theater am Gärtnerplatz. Viktor Jacobis neuestes
Opus "Sybill" zeigt in Handlung, musikalischer Erfindung und
Sorgfalt der Ausarbeitung Ansätze zur Besserung aus schier
hoffnungslosem Tiefstand der zeitgenössischen Operette. Die
endlich einmal nicht albernen Vorgänge mit leicht tragischem
Anklang sind getragen von einer wohligen, anschmiegenden
Musik, slawisch sentimental leicht orientiert. Sybills Auftritt
im Briefmonolog und ihr Liebesduett mit dem Großfürsten im
zweiten Akt zeigen neben Melodie auch Begabung zu thema-
tischer Gestaltung. Freilich fanden diese Hauptträger der
Operette -- Sybill und Großfürst -- in Tina Hellina und Emil
Graf Vertreter, an denen man seine helle Freude haben konnte.
In ausgezeichneter stimmlicher Disposition wurden sie rasch zum
Mittelpunkt des Interesses und erfreuten noch durch einen mit
Geschmack getanzten Jazz. Rudolf Seibold hatte als "auf den
Kopf gefallener" Jmpresario Poire die Lacher auf seiner Seite
und Mizzi Weißmann war ihm eine ebenbürtige Partnerin.
Graselli erwies sich wieder als ein Regisseur von Phantasie
und Geschmack und Werther hielt sein leider noch immer zu
dünnes Orchester mit kräftiger Hand zusammen. Ein ohne
Zweifel erfreulicher Abend. Trotzdem, wie wäre es mit der
Neubelebung einer guten Operette der klassischen Zeit?

Feuilleton
Klytämestra.

*

Klytämestra.

Aegisth.

*

Die Szene ist ein Gemach im Palaste. Jm Hintergrund
ein schwerer, dunkelroter Vorhang. -- Nacht, Mondschein.

Wenn der Vorhang aufgeht, hört man den Todesschrei
eines Ermordeten und dessen dumpfen Fall. Gleich darauf
kommt Klytämestra in wilder Erregung hinter dem
Vorhang hervorgestürzt. Jn der schlaff herabhängenden Rech-
ten hält sie noch mechanisch das Mordbeil, mit der Linken
klammert sie sich an dem Vorhang fest, um nicht zusammen-
zubrechen. Schwer atmend steht sie einige Augenblicke völlig
erschöpft.

*

Klytämestra: Ah -- -- was war das! -- -- Schau-
derst du nicht? -- -- Jch? -- -- Jch nicht! -- -- -- Es ist
so still hier -- so totenstille! -- -- Kein Haß mehr -- -- alles
schweigt. -- Horch! Nur sein rinnendes Blut tropft leise zu
Boden und der bleiche Mondstrahl glitzert gespenstig in der
roten Lache. -- -- Dein Blut, Agamemnon! -- Für Rache

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geopfert! -- -- Geopfert? -- Nein, nein! Geschlachiet hab
ich! -- (Sie bemerkt das Beil und schleudert es von sich.)
Fort! Mir ekelt! Mir graut vor dir! -- (Sie sinkt schwer
in einen Sessel.) -- Geschlachtet -- wie der Henker einen ver-
verendenden Stier. -- -- Jst das meine Rache? Das?
Das! -- -- (Sie stöhnt schwer auf und versinkt in düsteres
Brüten.)

Aegisth (kommt scheu und vorsichtig): Gelang es? --
-- Ist er --? -- Sprich doch! -- -- Rede! -- -- (Er rührt
sie an der Schulter an.)

Klytämestra (fährt mit einem Schrei auf): Wer --
-- Ah, du -- --

Aegisth: Nun --?

Klytämestra (schwer): Er fiel -- --

Aegifth: O namenlose Freude! -- Liebste!

Klytämestra: Schweig stille, Mann!

Aegisth: Wie? -- Sollen wir nicht jubeln, daß wir
nicht mehr vor ihm zu zittern brauchen, wenn wir uns in
den Armen liegen? -- Welch Glück!

Klytämestra: Du lachst -- -- -- und ich verzweifle!

Aegisth: Warum? Sind wir doch so glücklich -- jetzt,
wo wir frei uns lieben, besitzen, genießen können!

[irrelevantes Material]
20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Jüdin von Toledo ſtets problematiſch, denn unſer vertiefteres
pſychologiſches Empfinden fühlt ſich unbefriedigt. Alfonſos
Moral, insbeſondere ſein brutales Abwenden von der toten
Rahel, iſt nicht die unſrige. Jn Erkenntnis dieſes Mangels hat
der Dichter ſein Werk ſtark, allzuſtark mit Reflexion belaſtet,
zum Schaden des dramatiſchen Lebens. Wenn das Drama aber
heute noch hoch gewertet wird, ſo liegt dies in der erhellten,
gegenſätzlichen Charakterſchilderung des Königs und der Jüdin.

Walter Reymer iſt ganz der reflektierende, in ſeiner Schwäche
durch neue und aber neue Scheingründe ſich Cäuſchende. Halb
Herrſcher, halb Liebhaber. Dielleicht kam der erſtere im An-
fang vor der Begegnung mit Rahel etwas zu kurz, denn das
innerlich Unſtete tritt ja erſt unter dem Einfluß der Jüdin in
Erſcheinung. Am überzeugendſten wirkte Reymer in den Schluß-
ſzenen des zweiten und vierten Aktes, wo Rhetorik und Spiel
ſich zu plaſtiſchem Erleben formten. Es war eine noch nicht
völlig ausgereifte, aber verheißungsvolle Leiſtung. Helene Rit-
ſcher wußte den Weg zu Grillparzers Stil nicht zu finden und
verſchob dadurch das Profil des Dramas. Sie lebte und pulſierte,
eigenſinnig, verträumt, eitel und in ſinnlichſter Triebhaftigkeit,
ließ aber die ihr namentlich zu Beginn eigene kindliche Ver-
zagtheit, ja naive Anmut, vermiſſen. Als Einzelgeſtaltung gewiß
von Bedeutung, aber aus dem Rahmen Grillparzers fallend.
Emil Höfers mit einfachen Strichen gezeichneter Jude Jſaak
ſtand im Schatten unſeres bisherigen, jahrzehntelangen Ver-
treters Alois Wohlmuth, deſſen ausgezeichnete Verkörperung
längſt klaſſiſch geworden iſt. Fräulein Perſing als Eleonore
blieb um ſchlichte Größe bemüht, während Frau v. Jacobi über
die Schablone nicht hinauskam. Würdig im Männerſtolz vor
Königsthronen ſtand Georg Putſcher als aufrechter Manriquez.
Szeniſch war von einer Neueinſtudierung wenig zu ſpüren, es
war alles altes Theater im Sinne einer vergangenen Zeit.


Theater am Gärtnerplatz. Viktor Jacobis neueſtes
Opus „Sybill“ zeigt in Handlung, muſikaliſcher Erfindung und
Sorgfalt der Ausarbeitung Anſätze zur Beſſerung aus ſchier
hoffnungsloſem Tiefſtand der zeitgenöſſiſchen Operette. Die
endlich einmal nicht albernen Vorgänge mit leicht tragiſchem
Anklang ſind getragen von einer wohligen, anſchmiegenden
Muſik, ſlawiſch ſentimental leicht orientiert. Sybills Auftritt
im Briefmonolog und ihr Liebesduett mit dem Großfürſten im
zweiten Akt zeigen neben Melodie auch Begabung zu thema-
tiſcher Geſtaltung. Freilich fanden dieſe Hauptträger der
Operette — Sybill und Großfürſt — in Tina Hellina und Emil
Graf Vertreter, an denen man ſeine helle Freude haben konnte.
In ausgezeichneter ſtimmlicher Dispoſition wurden ſie raſch zum
Mittelpunkt des Intereſſes und erfreuten noch durch einen mit
Geſchmack getanzten Jazz. Rudolf Seibold hatte als „auf den
Kopf gefallener“ Jmpreſario Poire die Lacher auf ſeiner Seite
und Mizzi Weißmann war ihm eine ebenbürtige Partnerin.
Graſelli erwies ſich wieder als ein Regiſſeur von Phantaſie
und Geſchmack und Werther hielt ſein leider noch immer zu
dünnes Orcheſter mit kräftiger Hand zuſammen. Ein ohne
Zweifel erfreulicher Abend. Trotzdem, wie wäre es mit der
Neubelebung einer guten Operette der klaſſiſchen Zeit?

Feuilleton
Klytämeſtra.

*

Klytämeſtra.

Aegiſth.

*

Die Szene iſt ein Gemach im Palaſte. Jm Hintergrund
ein ſchwerer, dunkelroter Vorhang. — Nacht, Mondſchein.

Wenn der Vorhang aufgeht, hört man den Todesſchrei
eines Ermordeten und deſſen dumpfen Fall. Gleich darauf
kommt Klytämeſtra in wilder Erregung hinter dem
Vorhang hervorgeſtürzt. Jn der ſchlaff herabhängenden Rech-
ten hält ſie noch mechaniſch das Mordbeil, mit der Linken
klammert ſie ſich an dem Vorhang feſt, um nicht zuſammen-
zubrechen. Schwer atmend ſteht ſie einige Augenblicke völlig
erſchöpft.

*

Klytämeſtra: Ah — — was war das! — — Schau-
derſt du nicht? — — Jch? — — Jch nicht! — — — Es iſt
ſo ſtill hier — ſo totenſtille! — — Kein Haß mehr — — alles
ſchweigt. — Horch! Nur ſein rinnendes Blut tropft leiſe zu
Boden und der bleiche Mondſtrahl glitzert geſpenſtig in der
roten Lache. — — Dein Blut, Agamemnon! — Für Rache

[Spaltenumbruch]

geopfert! — — Geopfert? — Nein, nein! Geſchlachiet hab
ich! — (Sie bemerkt das Beil und ſchleudert es von ſich.)
Fort! Mir ekelt! Mir graut vor dir! — (Sie ſinkt ſchwer
in einen Seſſel.) — Geſchlachtet — wie der Henker einen ver-
verendenden Stier. — — Jſt das meine Rache? Das?
Das! — — (Sie ſtöhnt ſchwer auf und verſinkt in düſteres
Brüten.)

Aegiſth (kommt ſcheu und vorſichtig): Gelang es? —
— Iſt er —? — Sprich doch! — — Rede! — — (Er rührt
ſie an der Schulter an.)

Klytämeſtra (fährt mit einem Schrei auf): Wer —
— Ah, du — —

Aegiſth: Nun —?

Klytämeſtra (ſchwer): Er fiel — —

Aegifth: O namenloſe Freude! — Liebſte!

Klytämeſtra: Schweig ſtille, Mann!

Aegiſth: Wie? — Sollen wir nicht jubeln, daß wir
nicht mehr vor ihm zu zittern brauchen, wenn wir uns in
den Armen liegen? — Welch Glück!

Klytämeſtra: Du lachſt — — — und ich verzweifle!

Aegiſth: Warum? Sind wir doch ſo glücklich — jetzt,
wo wir frei uns lieben, beſitzen, genießen können!

[irrelevantes Material]
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[231/0009] 20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung Jüdin von Toledo ſtets problematiſch, denn unſer vertiefteres pſychologiſches Empfinden fühlt ſich unbefriedigt. Alfonſos Moral, insbeſondere ſein brutales Abwenden von der toten Rahel, iſt nicht die unſrige. Jn Erkenntnis dieſes Mangels hat der Dichter ſein Werk ſtark, allzuſtark mit Reflexion belaſtet, zum Schaden des dramatiſchen Lebens. Wenn das Drama aber heute noch hoch gewertet wird, ſo liegt dies in der erhellten, gegenſätzlichen Charakterſchilderung des Königs und der Jüdin. Walter Reymer iſt ganz der reflektierende, in ſeiner Schwäche durch neue und aber neue Scheingründe ſich Cäuſchende. Halb Herrſcher, halb Liebhaber. Dielleicht kam der erſtere im An- fang vor der Begegnung mit Rahel etwas zu kurz, denn das innerlich Unſtete tritt ja erſt unter dem Einfluß der Jüdin in Erſcheinung. Am überzeugendſten wirkte Reymer in den Schluß- ſzenen des zweiten und vierten Aktes, wo Rhetorik und Spiel ſich zu plaſtiſchem Erleben formten. Es war eine noch nicht völlig ausgereifte, aber verheißungsvolle Leiſtung. Helene Rit- ſcher wußte den Weg zu Grillparzers Stil nicht zu finden und verſchob dadurch das Profil des Dramas. Sie lebte und pulſierte, eigenſinnig, verträumt, eitel und in ſinnlichſter Triebhaftigkeit, ließ aber die ihr namentlich zu Beginn eigene kindliche Ver- zagtheit, ja naive Anmut, vermiſſen. Als Einzelgeſtaltung gewiß von Bedeutung, aber aus dem Rahmen Grillparzers fallend. Emil Höfers mit einfachen Strichen gezeichneter Jude Jſaak ſtand im Schatten unſeres bisherigen, jahrzehntelangen Ver- treters Alois Wohlmuth, deſſen ausgezeichnete Verkörperung längſt klaſſiſch geworden iſt. Fräulein Perſing als Eleonore blieb um ſchlichte Größe bemüht, während Frau v. Jacobi über die Schablone nicht hinauskam. Würdig im Männerſtolz vor Königsthronen ſtand Georg Putſcher als aufrechter Manriquez. Szeniſch war von einer Neueinſtudierung wenig zu ſpüren, es war alles altes Theater im Sinne einer vergangenen Zeit. Theater am Gärtnerplatz. Viktor Jacobis neueſtes Opus „Sybill“ zeigt in Handlung, muſikaliſcher Erfindung und Sorgfalt der Ausarbeitung Anſätze zur Beſſerung aus ſchier hoffnungsloſem Tiefſtand der zeitgenöſſiſchen Operette. Die endlich einmal nicht albernen Vorgänge mit leicht tragiſchem Anklang ſind getragen von einer wohligen, anſchmiegenden Muſik, ſlawiſch ſentimental leicht orientiert. Sybills Auftritt im Briefmonolog und ihr Liebesduett mit dem Großfürſten im zweiten Akt zeigen neben Melodie auch Begabung zu thema- tiſcher Geſtaltung. Freilich fanden dieſe Hauptträger der Operette — Sybill und Großfürſt — in Tina Hellina und Emil Graf Vertreter, an denen man ſeine helle Freude haben konnte. In ausgezeichneter ſtimmlicher Dispoſition wurden ſie raſch zum Mittelpunkt des Intereſſes und erfreuten noch durch einen mit Geſchmack getanzten Jazz. Rudolf Seibold hatte als „auf den Kopf gefallener“ Jmpreſario Poire die Lacher auf ſeiner Seite und Mizzi Weißmann war ihm eine ebenbürtige Partnerin. Graſelli erwies ſich wieder als ein Regiſſeur von Phantaſie und Geſchmack und Werther hielt ſein leider noch immer zu dünnes Orcheſter mit kräftiger Hand zuſammen. Ein ohne Zweifel erfreulicher Abend. Trotzdem, wie wäre es mit der Neubelebung einer guten Operette der klaſſiſchen Zeit? Dr. Ed. Scharrer-Santen. Feuilleton Klytämeſtra. Von Heinz W. L. Doering * Klytämeſtra. Aegiſth. * Die Szene iſt ein Gemach im Palaſte. Jm Hintergrund ein ſchwerer, dunkelroter Vorhang. — Nacht, Mondſchein. Wenn der Vorhang aufgeht, hört man den Todesſchrei eines Ermordeten und deſſen dumpfen Fall. Gleich darauf kommt Klytämeſtra in wilder Erregung hinter dem Vorhang hervorgeſtürzt. Jn der ſchlaff herabhängenden Rech- ten hält ſie noch mechaniſch das Mordbeil, mit der Linken klammert ſie ſich an dem Vorhang feſt, um nicht zuſammen- zubrechen. Schwer atmend ſteht ſie einige Augenblicke völlig erſchöpft. * Klytämeſtra: Ah — — was war das! — — Schau- derſt du nicht? — — Jch? — — Jch nicht! — — — Es iſt ſo ſtill hier — ſo totenſtille! — — Kein Haß mehr — — alles ſchweigt. — Horch! Nur ſein rinnendes Blut tropft leiſe zu Boden und der bleiche Mondſtrahl glitzert geſpenſtig in der roten Lache. — — Dein Blut, Agamemnon! — Für Rache geopfert! — — Geopfert? — Nein, nein! Geſchlachiet hab ich! — (Sie bemerkt das Beil und ſchleudert es von ſich.) Fort! Mir ekelt! Mir graut vor dir! — (Sie ſinkt ſchwer in einen Seſſel.) — Geſchlachtet — wie der Henker einen ver- verendenden Stier. — — Jſt das meine Rache? Das? Das! — — (Sie ſtöhnt ſchwer auf und verſinkt in düſteres Brüten.) Aegiſth (kommt ſcheu und vorſichtig): Gelang es? — — Iſt er —? — Sprich doch! — — Rede! — — (Er rührt ſie an der Schulter an.) Klytämeſtra (fährt mit einem Schrei auf): Wer — — Ah, du — — Aegiſth: Nun —? Klytämeſtra (ſchwer): Er fiel — — Aegifth: O namenloſe Freude! — Liebſte! Klytämeſtra: Schweig ſtille, Mann! Aegiſth: Wie? — Sollen wir nicht jubeln, daß wir nicht mehr vor ihm zu zittern brauchen, wenn wir uns in den Armen liegen? — Welch Glück! Klytämeſtra: Du lachſt — — — und ich verzweifle! Aegiſth: Warum? Sind wir doch ſo glücklich — jetzt, wo wir frei uns lieben, beſitzen, genießen können! _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine24_1920/9>, abgerufen am 24.11.2024.