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Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

zu bedauern wäre, die Demokraten schließlich doch noch den
Rat befolgen würden, mit dem gewisse außerbayerische Ge-
sinnungsgenossen ihnen ständig im Ohr liegen.

Die Demokraten werden speziell in Bayern, wo
die Dinge eben nicht ganz so wie im Reiche gelagert sind,
über kurz oder lang einer Entscheidung darüber nicht aus-
weichen können, ob sie sich der bürgerlichen Front einfügen
oder mit den Sozialdemokraten marschieren wollen. Das
wird namentlich dann der Fall sein, wenn eine durch die
Wahlen geschwächte Mehrheitssozialdemokratie mit der
U.S.P. und K.P.D. zu einer geschlossenen oppositionellen
sozialistischen Einheitsfront sich vereinigen sollte. Die Ent-
wicklung in Bayern drängt allem Anschein nach stark dahin,
und führende Größen der Mehrheitssozialdemokratie rechnen
offenbar schon mit solchen Möglichkeiten. Hat doch kürzlich
der frühere Ministerpräsident Hoffmann die Gefahr des
Ruckes nach rechts, welchen die Wahlen nach seiner Auf-
fassung bringen werden, gelegentlich einer Wahlrede in der
Pfalz recht drastisch an die Wand gemalt, und gegen diese
Gefahr und das angeblich dahinter lauernde Gespenst des
Militärputsches hat der ehemalige Chef der ersten Koalitions-
regierung im republikanischen Bayern ganz offen den Ge-
neralstreik
als einzig wirksames Mittel empfohlen.
Den haben ja allerdings auch die Demokraten schon einmal
empfohlen, aber sie werden es, wenigstens in Bayern, ganz
gewiß nicht wiederholen. Denn hier ist ihnen diese Empfeh-
lung sehr übel bekommen. Sogar die wildesten Männer der
"Neuesten Nachrichten"-Demokratie haben im politischen
Generalstreik ein ganz dickes Haar gefunden. Es kann des-
halb unseres Erachtens auch kaum ein Zweifel darüber
herrschen, wo die bürgerliche Demokratie bei uns in Bayern
ihren Platz suchen und finden würde, wenn es zu einer ge-
einigten sozialistischen Opposition und in deren Folge zum
politischen Generalstreik käme. Der Eintritt bzw. das Ver-
bleiben der Demokratie in der bürgerlichen Front ist auch
schon um deswillen für sie ein Gebot politischer Klugheit,
weil sie durch ihre Mitarbeit in der bürgerlichen Gemein-
schaft viel eher in der Lage ist, etwa auftretende reaktionäre
Tendenzen wirksam zu bekämpfen, als durch eine unfrucht-
bare und diese Tendenzen vielleicht sogar bestärkende Oppo-
sition. Die demokratische Führung in Bayern täuscht sich
auch sicher nicht über die Stimmung in den eigenen Reihen,
die heute durchaus nicht mehr dem in den ersten Sturmtagen
der Revolution gefällenen Worte "Nur Haaresbreite trennt
uns von der Sozialdemokratie" entspricht und für einen ge-
meinsam mit der Sozialdemokratie gegen das Bürgertum zu
führenden Kampf nichts weniger als disponiert erscheint.

Ein neues Moment in diesem Wahlkampf ist die Betei-
ligung der Kommunisten, die zum ersten Male seit der
Revolution selbständig und aktiv als politische Partei auf
den Plan treten und mit eigenen Kandidaten ihr Glück ver-
suchen wollen. Ob und in welcher Zahl sie auf den Landtags-
bünken tatsächlich Platz finden werden, ist unsicher, die Mög-
lichkeit, daß einige von ihnen ihren Einzug in die Pranner-
straße halten und dort als Hechte im parlamentarischen
Karpfenteich wirken werden, indes nicht ausgeschlossen. Eine
größere politische Bedeutung wäre dem aber kaum beizu-
messen, zumal sie ihre Plätze gegebenenfalls nur auf Kosten
der Unabhängigen besetzen würden. Interessant ist das Ex-
periment nur von dem Gesichtspunkte aus, daß man endlich
einmal klar sehen wird, wie stark bzw. wie schwach die An-
hängerschaft dieser Radikalsten der Radikalen eigentlich ist.

Bliebe noch von den Unabhängigen und vom Bauern-

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

bund zu reden. Was den letzteren anlangt, so wird er
sehr froh sein können, wenn er in der alten Stärke aus
der Wahlschlacht heimkehrt. Die ersten Revolutionswahlen
haben ihm seinerzeit eine überraschende Stimmenmehrung
gebracht. Ob er sie, nachdem sich der Bauernradikalismus
inzwischen ganz erheblich verflüchtigt hat, diesmal wird hal-
ten können, ist nicht ganz sicher. In seinen eigenen Reihen
scheint man von Befürchtungen darüber nicht gänzlich frei
zu sein. Eine rückläufige Bewegung beim Bauernbund würde
natürlich in erster Linie der Partei zugute kommen, auf
deren Kosten sein Wachstum sich seinerzeit vollzogen hat: das
ist die Bayerische Volkspartei. Den Löwenprofit am 6. Juni
werden zweifellos die Unabhängigen Sozial-
demokraten
machen, die in den großen Städten und
in den Industriegebieten, vielfach aber auch auf dem Lande
den Mehrheitssozialdemokraten so erfolgreich das Wasser ab-
gegraben haben, daß sie in den Landtag wohl mit einigen
12--15 Mandaten und auch in den Reichstag, wo sie bisher
nur einen Sitz hatten, mindestens mehrere Köpfe stark ein-
zurücken Aussicht haben.

In bezug auf den Landtag ist für die Berechnung
schließlich noch zu beachten, daß er nach dem neuen Wahl-
gesetz ohne die Koburger Vertreter nur noch 155 Abge-
ordnete
haben wird gegen 180 bisher. Auf diese neue
Zusammensetzung ganz roh umgerechnet würden sich die Sitze
auf die Parteien nach dem jetzigen Verhältnis etwa wie folgt
verteilen:

Bayerische Volkspartei57 bisher 66
Mehrheitssozialdemokraten53 " 61
Demokraten21 " 25
Bauernbund13 " 16
Mittelpartei8 " 9
Unabhängige Sozialdemokratie3 " 3
155 bisher 180

Die Mehrheit wird also künftig, die Koburger mitge-
zählt, welche ihre bisherigen drei Sitze einstweilen behalten,
80 Stimmen betragen. Erhält die Bayerische Volkspartei
etwa 60 Sitze, was anzunehmen sein dürfte, so wird sie
mit der Mittelpartei (in der die deutsche Volkspartei inbe-
griffen ist) und dem Bauernbund schon in der Lage sein,
diese Mehrheit zu bilden. Schließen sich auch noch die Demo-
kraten an, so wird der bürgerliche Block vielleicht sogar die
Zweidrittelmehrheit erreichen. Auf jeden Fall wird es, wie
man aus dieser nüchternen und objektiven, nur auf das
Zahlenmaterial und die tatsächliche Lage gestützten Betrach-
tung ersieht, nicht an dem sein, daß, wenn es nötig würde,
nicht auch ohne die Sozialdemokratie regiert werden könnte.

Anmerkung der Schriftleitung. Unser sehr geschätzter
Mitarbeiter hat unseres Erachtens die Stimmungen und
Verhältnisse der gegenwärtigen Wahlbewegung und die Aus-
sichten der einzelnen Parteien durchaus richtig beurteilt.
Wir stehen jedoch auf dem Standpunkt, daß eine Beteiligung
der Sozialdemokratie an der Regierung mit Rücksicht auf
den inneren Frieden und den Wiederaufbau der Volkswirt-
schaft immerhin ein Ziel wäre "aufs innigste zu wünschen".
Wissenschaft, Kultur und Technik
Ueber Lehrsilme.

Der Film zählt heute zu den wirksamsten Kulturwaffen, mit
denen der Kampf um den geistigen Fortschritt geführt wird.
Von größter Bedeutung erscheint hierbei die Tatsache, daß der
Film als Bildungsmittel im wahrsten Sinne des Wortes ein
volkstümliches ist. Die Entwicklung der Filmindustrie hat be-
reits dahin geführt, daß wir heute preiswerte Hauskinos be-
sitzen, so daß man sich im eigenen Heime den Genuß spannender
und belehrender Filme ohne Mühe verschaffen kann. Gleiches
gilt von den Schulfilmen, die, in Deutschland noch wenig bekannt,

Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920
[Spaltenumbruch]

zu bedauern wäre, die Demokraten ſchließlich doch noch den
Rat befolgen würden, mit dem gewiſſe außerbayeriſche Ge-
ſinnungsgenoſſen ihnen ſtändig im Ohr liegen.

Die Demokraten werden ſpeziell in Bayern, wo
die Dinge eben nicht ganz ſo wie im Reiche gelagert ſind,
über kurz oder lang einer Entſcheidung darüber nicht aus-
weichen können, ob ſie ſich der bürgerlichen Front einfügen
oder mit den Sozialdemokraten marſchieren wollen. Das
wird namentlich dann der Fall ſein, wenn eine durch die
Wahlen geſchwächte Mehrheitsſozialdemokratie mit der
U.S.P. und K.P.D. zu einer geſchloſſenen oppoſitionellen
ſozialiſtiſchen Einheitsfront ſich vereinigen ſollte. Die Ent-
wicklung in Bayern drängt allem Anſchein nach ſtark dahin,
und führende Größen der Mehrheitsſozialdemokratie rechnen
offenbar ſchon mit ſolchen Möglichkeiten. Hat doch kürzlich
der frühere Miniſterpräſident Hoffmann die Gefahr des
Ruckes nach rechts, welchen die Wahlen nach ſeiner Auf-
faſſung bringen werden, gelegentlich einer Wahlrede in der
Pfalz recht draſtiſch an die Wand gemalt, und gegen dieſe
Gefahr und das angeblich dahinter lauernde Geſpenſt des
Militärputſches hat der ehemalige Chef der erſten Koalitions-
regierung im republikaniſchen Bayern ganz offen den Ge-
neralſtreik
als einzig wirkſames Mittel empfohlen.
Den haben ja allerdings auch die Demokraten ſchon einmal
empfohlen, aber ſie werden es, wenigſtens in Bayern, ganz
gewiß nicht wiederholen. Denn hier iſt ihnen dieſe Empfeh-
lung ſehr übel bekommen. Sogar die wildeſten Männer der
„Neueſten Nachrichten“-Demokratie haben im politiſchen
Generalſtreik ein ganz dickes Haar gefunden. Es kann des-
halb unſeres Erachtens auch kaum ein Zweifel darüber
herrſchen, wo die bürgerliche Demokratie bei uns in Bayern
ihren Platz ſuchen und finden würde, wenn es zu einer ge-
einigten ſozialiſtiſchen Oppoſition und in deren Folge zum
politiſchen Generalſtreik käme. Der Eintritt bzw. das Ver-
bleiben der Demokratie in der bürgerlichen Front iſt auch
ſchon um deswillen für ſie ein Gebot politiſcher Klugheit,
weil ſie durch ihre Mitarbeit in der bürgerlichen Gemein-
ſchaft viel eher in der Lage iſt, etwa auftretende reaktionäre
Tendenzen wirkſam zu bekämpfen, als durch eine unfrucht-
bare und dieſe Tendenzen vielleicht ſogar beſtärkende Oppo-
ſition. Die demokratiſche Führung in Bayern täuſcht ſich
auch ſicher nicht über die Stimmung in den eigenen Reihen,
die heute durchaus nicht mehr dem in den erſten Sturmtagen
der Revolution gefällenen Worte „Nur Haaresbreite trennt
uns von der Sozialdemokratie“ entſpricht und für einen ge-
meinſam mit der Sozialdemokratie gegen das Bürgertum zu
führenden Kampf nichts weniger als disponiert erſcheint.

Ein neues Moment in dieſem Wahlkampf iſt die Betei-
ligung der Kommuniſten, die zum erſten Male ſeit der
Revolution ſelbſtändig und aktiv als politiſche Partei auf
den Plan treten und mit eigenen Kandidaten ihr Glück ver-
ſuchen wollen. Ob und in welcher Zahl ſie auf den Landtags-
bünken tatſächlich Platz finden werden, iſt unſicher, die Mög-
lichkeit, daß einige von ihnen ihren Einzug in die Pranner-
ſtraße halten und dort als Hechte im parlamentariſchen
Karpfenteich wirken werden, indes nicht ausgeſchloſſen. Eine
größere politiſche Bedeutung wäre dem aber kaum beizu-
meſſen, zumal ſie ihre Plätze gegebenenfalls nur auf Koſten
der Unabhängigen beſetzen würden. Intereſſant iſt das Ex-
periment nur von dem Geſichtspunkte aus, daß man endlich
einmal klar ſehen wird, wie ſtark bzw. wie ſchwach die An-
hängerſchaft dieſer Radikalſten der Radikalen eigentlich iſt.

Bliebe noch von den Unabhängigen und vom Bauern-

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

bund zu reden. Was den letzteren anlangt, ſo wird er
ſehr froh ſein können, wenn er in der alten Stärke aus
der Wahlſchlacht heimkehrt. Die erſten Revolutionswahlen
haben ihm ſeinerzeit eine überraſchende Stimmenmehrung
gebracht. Ob er ſie, nachdem ſich der Bauernradikalismus
inzwiſchen ganz erheblich verflüchtigt hat, diesmal wird hal-
ten können, iſt nicht ganz ſicher. In ſeinen eigenen Reihen
ſcheint man von Befürchtungen darüber nicht gänzlich frei
zu ſein. Eine rückläufige Bewegung beim Bauernbund würde
natürlich in erſter Linie der Partei zugute kommen, auf
deren Koſten ſein Wachstum ſich ſeinerzeit vollzogen hat: das
iſt die Bayeriſche Volkspartei. Den Löwenprofit am 6. Juni
werden zweifellos die Unabhängigen Sozial-
demokraten
machen, die in den großen Städten und
in den Induſtriegebieten, vielfach aber auch auf dem Lande
den Mehrheitsſozialdemokraten ſo erfolgreich das Waſſer ab-
gegraben haben, daß ſie in den Landtag wohl mit einigen
12—15 Mandaten und auch in den Reichstag, wo ſie bisher
nur einen Sitz hatten, mindeſtens mehrere Köpfe ſtark ein-
zurücken Ausſicht haben.

In bezug auf den Landtag iſt für die Berechnung
ſchließlich noch zu beachten, daß er nach dem neuen Wahl-
geſetz ohne die Koburger Vertreter nur noch 155 Abge-
ordnete
haben wird gegen 180 bisher. Auf dieſe neue
Zuſammenſetzung ganz roh umgerechnet würden ſich die Sitze
auf die Parteien nach dem jetzigen Verhältnis etwa wie folgt
verteilen:

Bayeriſche Volkspartei57 bisher 66
Mehrheitsſozialdemokraten53 „ 61
Demokraten21 „ 25
Bauernbund13 „ 16
Mittelpartei8 „ 9
Unabhängige Sozialdemokratie3 „ 3
155 bisher 180

Die Mehrheit wird alſo künftig, die Koburger mitge-
zählt, welche ihre bisherigen drei Sitze einſtweilen behalten,
80 Stimmen betragen. Erhält die Bayeriſche Volkspartei
etwa 60 Sitze, was anzunehmen ſein dürfte, ſo wird ſie
mit der Mittelpartei (in der die deutſche Volkspartei inbe-
griffen iſt) und dem Bauernbund ſchon in der Lage ſein,
dieſe Mehrheit zu bilden. Schließen ſich auch noch die Demo-
kraten an, ſo wird der bürgerliche Block vielleicht ſogar die
Zweidrittelmehrheit erreichen. Auf jeden Fall wird es, wie
man aus dieſer nüchternen und objektiven, nur auf das
Zahlenmaterial und die tatſächliche Lage geſtützten Betrach-
tung erſieht, nicht an dem ſein, daß, wenn es nötig würde,
nicht auch ohne die Sozialdemokratie regiert werden könnte.

Anmerkung der Schriftleitung. Unſer ſehr geſchätzter
Mitarbeiter hat unſeres Erachtens die Stimmungen und
Verhältniſſe der gegenwärtigen Wahlbewegung und die Aus-
ſichten der einzelnen Parteien durchaus richtig beurteilt.
Wir ſtehen jedoch auf dem Standpunkt, daß eine Beteiligung
der Sozialdemokratie an der Regierung mit Rückſicht auf
den inneren Frieden und den Wiederaufbau der Volkswirt-
ſchaft immerhin ein Ziel wäre „aufs innigſte zu wünſchen“.
Wiſſenſchaft, Kultur und Technik
Ueber Lehrſilme.

Der Film zählt heute zu den wirkſamſten Kulturwaffen, mit
denen der Kampf um den geiſtigen Fortſchritt geführt wird.
Von größter Bedeutung erſcheint hierbei die Tatſache, daß der
Film als Bildungsmittel im wahrſten Sinne des Wortes ein
volkstümliches iſt. Die Entwicklung der Filminduſtrie hat be-
reits dahin geführt, daß wir heute preiswerte Hauskinos be-
ſitzen, ſo daß man ſich im eigenen Heime den Genuß ſpannender
und belehrender Filme ohne Mühe verſchaffen kann. Gleiches
gilt von den Schulfilmen, die, in Deutſchland noch wenig bekannt,

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[202/0004] Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920 zu bedauern wäre, die Demokraten ſchließlich doch noch den Rat befolgen würden, mit dem gewiſſe außerbayeriſche Ge- ſinnungsgenoſſen ihnen ſtändig im Ohr liegen. Die Demokraten werden ſpeziell in Bayern, wo die Dinge eben nicht ganz ſo wie im Reiche gelagert ſind, über kurz oder lang einer Entſcheidung darüber nicht aus- weichen können, ob ſie ſich der bürgerlichen Front einfügen oder mit den Sozialdemokraten marſchieren wollen. Das wird namentlich dann der Fall ſein, wenn eine durch die Wahlen geſchwächte Mehrheitsſozialdemokratie mit der U.S.P. und K.P.D. zu einer geſchloſſenen oppoſitionellen ſozialiſtiſchen Einheitsfront ſich vereinigen ſollte. Die Ent- wicklung in Bayern drängt allem Anſchein nach ſtark dahin, und führende Größen der Mehrheitsſozialdemokratie rechnen offenbar ſchon mit ſolchen Möglichkeiten. Hat doch kürzlich der frühere Miniſterpräſident Hoffmann die Gefahr des Ruckes nach rechts, welchen die Wahlen nach ſeiner Auf- faſſung bringen werden, gelegentlich einer Wahlrede in der Pfalz recht draſtiſch an die Wand gemalt, und gegen dieſe Gefahr und das angeblich dahinter lauernde Geſpenſt des Militärputſches hat der ehemalige Chef der erſten Koalitions- regierung im republikaniſchen Bayern ganz offen den Ge- neralſtreik als einzig wirkſames Mittel empfohlen. Den haben ja allerdings auch die Demokraten ſchon einmal empfohlen, aber ſie werden es, wenigſtens in Bayern, ganz gewiß nicht wiederholen. Denn hier iſt ihnen dieſe Empfeh- lung ſehr übel bekommen. Sogar die wildeſten Männer der „Neueſten Nachrichten“-Demokratie haben im politiſchen Generalſtreik ein ganz dickes Haar gefunden. Es kann des- halb unſeres Erachtens auch kaum ein Zweifel darüber herrſchen, wo die bürgerliche Demokratie bei uns in Bayern ihren Platz ſuchen und finden würde, wenn es zu einer ge- einigten ſozialiſtiſchen Oppoſition und in deren Folge zum politiſchen Generalſtreik käme. Der Eintritt bzw. das Ver- bleiben der Demokratie in der bürgerlichen Front iſt auch ſchon um deswillen für ſie ein Gebot politiſcher Klugheit, weil ſie durch ihre Mitarbeit in der bürgerlichen Gemein- ſchaft viel eher in der Lage iſt, etwa auftretende reaktionäre Tendenzen wirkſam zu bekämpfen, als durch eine unfrucht- bare und dieſe Tendenzen vielleicht ſogar beſtärkende Oppo- ſition. Die demokratiſche Führung in Bayern täuſcht ſich auch ſicher nicht über die Stimmung in den eigenen Reihen, die heute durchaus nicht mehr dem in den erſten Sturmtagen der Revolution gefällenen Worte „Nur Haaresbreite trennt uns von der Sozialdemokratie“ entſpricht und für einen ge- meinſam mit der Sozialdemokratie gegen das Bürgertum zu führenden Kampf nichts weniger als disponiert erſcheint. Ein neues Moment in dieſem Wahlkampf iſt die Betei- ligung der Kommuniſten, die zum erſten Male ſeit der Revolution ſelbſtändig und aktiv als politiſche Partei auf den Plan treten und mit eigenen Kandidaten ihr Glück ver- ſuchen wollen. Ob und in welcher Zahl ſie auf den Landtags- bünken tatſächlich Platz finden werden, iſt unſicher, die Mög- lichkeit, daß einige von ihnen ihren Einzug in die Pranner- ſtraße halten und dort als Hechte im parlamentariſchen Karpfenteich wirken werden, indes nicht ausgeſchloſſen. Eine größere politiſche Bedeutung wäre dem aber kaum beizu- meſſen, zumal ſie ihre Plätze gegebenenfalls nur auf Koſten der Unabhängigen beſetzen würden. Intereſſant iſt das Ex- periment nur von dem Geſichtspunkte aus, daß man endlich einmal klar ſehen wird, wie ſtark bzw. wie ſchwach die An- hängerſchaft dieſer Radikalſten der Radikalen eigentlich iſt. Bliebe noch von den Unabhängigen und vom Bauern- _ bund zu reden. Was den letzteren anlangt, ſo wird er ſehr froh ſein können, wenn er in der alten Stärke aus der Wahlſchlacht heimkehrt. Die erſten Revolutionswahlen haben ihm ſeinerzeit eine überraſchende Stimmenmehrung gebracht. Ob er ſie, nachdem ſich der Bauernradikalismus inzwiſchen ganz erheblich verflüchtigt hat, diesmal wird hal- ten können, iſt nicht ganz ſicher. In ſeinen eigenen Reihen ſcheint man von Befürchtungen darüber nicht gänzlich frei zu ſein. Eine rückläufige Bewegung beim Bauernbund würde natürlich in erſter Linie der Partei zugute kommen, auf deren Koſten ſein Wachstum ſich ſeinerzeit vollzogen hat: das iſt die Bayeriſche Volkspartei. Den Löwenprofit am 6. Juni werden zweifellos die Unabhängigen Sozial- demokraten machen, die in den großen Städten und in den Induſtriegebieten, vielfach aber auch auf dem Lande den Mehrheitsſozialdemokraten ſo erfolgreich das Waſſer ab- gegraben haben, daß ſie in den Landtag wohl mit einigen 12—15 Mandaten und auch in den Reichstag, wo ſie bisher nur einen Sitz hatten, mindeſtens mehrere Köpfe ſtark ein- zurücken Ausſicht haben. In bezug auf den Landtag iſt für die Berechnung ſchließlich noch zu beachten, daß er nach dem neuen Wahl- geſetz ohne die Koburger Vertreter nur noch 155 Abge- ordnete haben wird gegen 180 bisher. Auf dieſe neue Zuſammenſetzung ganz roh umgerechnet würden ſich die Sitze auf die Parteien nach dem jetzigen Verhältnis etwa wie folgt verteilen: Bayeriſche Volkspartei 57 bisher 66 Mehrheitsſozialdemokraten 53 „ 61 Demokraten 21 „ 25 Bauernbund 13 „ 16 Mittelpartei 8 „ 9 Unabhängige Sozialdemokratie 3 „ 3 155 bisher 180 Die Mehrheit wird alſo künftig, die Koburger mitge- zählt, welche ihre bisherigen drei Sitze einſtweilen behalten, 80 Stimmen betragen. Erhält die Bayeriſche Volkspartei etwa 60 Sitze, was anzunehmen ſein dürfte, ſo wird ſie mit der Mittelpartei (in der die deutſche Volkspartei inbe- griffen iſt) und dem Bauernbund ſchon in der Lage ſein, dieſe Mehrheit zu bilden. Schließen ſich auch noch die Demo- kraten an, ſo wird der bürgerliche Block vielleicht ſogar die Zweidrittelmehrheit erreichen. Auf jeden Fall wird es, wie man aus dieſer nüchternen und objektiven, nur auf das Zahlenmaterial und die tatſächliche Lage geſtützten Betrach- tung erſieht, nicht an dem ſein, daß, wenn es nötig würde, nicht auch ohne die Sozialdemokratie regiert werden könnte. —n—n. Anmerkung der Schriftleitung. Unſer ſehr geſchätzter Mitarbeiter hat unſeres Erachtens die Stimmungen und Verhältniſſe der gegenwärtigen Wahlbewegung und die Aus- ſichten der einzelnen Parteien durchaus richtig beurteilt. Wir ſtehen jedoch auf dem Standpunkt, daß eine Beteiligung der Sozialdemokratie an der Regierung mit Rückſicht auf den inneren Frieden und den Wiederaufbau der Volkswirt- ſchaft immerhin ein Ziel wäre „aufs innigſte zu wünſchen“. Wiſſenſchaft, Kultur und Technik Ueber Lehrſilme. Der Film zählt heute zu den wirkſamſten Kulturwaffen, mit denen der Kampf um den geiſtigen Fortſchritt geführt wird. Von größter Bedeutung erſcheint hierbei die Tatſache, daß der Film als Bildungsmittel im wahrſten Sinne des Wortes ein volkstümliches iſt. Die Entwicklung der Filminduſtrie hat be- reits dahin geführt, daß wir heute preiswerte Hauskinos be- ſitzen, ſo daß man ſich im eigenen Heime den Genuß ſpannender und belehrender Filme ohne Mühe verſchaffen kann. Gleiches gilt von den Schulfilmen, die, in Deutſchland noch wenig bekannt,

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine21_1920/4>, abgerufen am 09.06.2024.