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Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 23. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 19 Mittwoch, den 23. Januar
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN

23. Fortsetzung

"Wissen Sie, gnädige Frau, ich habe mich
offiziell so viel mit diesem Herrn Steinmann
beschäftigen müssen, daß mir keine Zeit zur
Entgegennahme eines inoffiziellen Geredes
blieb."

"Aber Sie haben doch "großes Reine-
machen" bei ihm gehalten?" warf Estrup
ein. "Hat sich denn da kein Geld gefun-
den?"

"Knapp tausend Kronen. Und die sind
natürlich beschlagnahmt worden. -- Ach,
die Herrschaften haben sich etwas aufbinden
lassen."

"Wenn mir's doch sein Freund Morris
selber erzählt hat!" beharrte Muki.

"Herr Morris -- wie?" fuhr Lund sicht-
lich gereizt auf.

"Aber natürlich!"

"Da muß ich gestehen. -- das hätte ich
von Herrn Morris denn doch nicht erwartet.
Er ist freilich, trotz allem, von seines Freun-
des Unschuld überzeugt, aber das hätte er
mir niemals verheimlichen dürfen!"

Ussing mischte sich ein: "Was wissen Sie
überhaupt von diesem Herrn, der da so
plötzlich in unserer Gesellschaft aufgetaucht
ist? Wo sich der Verdacht nach allen Seiten
richtet -- ich selber bin ja nicht verschont ge-
blieben -- ist die Frage wohl gestattet."

Lund setzte seine beste Amtsmiene auf:
"Herr Leutnant, ich bin kein pedantischer
Aktenmensch. Aber es gibt gewisse Punkte,
über die eine Behörde zu gewissen Zeiten
die Antwort verweigern muß."

Ussing verbeugte sich schweigend.

"Und ich lasse es mir nicht nehmen!" rief
Estrup. Die Polizei hat da einen weiteren
Mißgriff getan. Steinmann ist so unschul-
dig wie ich."

"Wer weiß?" zauderte ein anderer.
Steinmann malt nicht nur famos, er zeichnet
auch geschickt. Solches Können mag eine
schlimme Verlockung sein."

[Spaltenumbruch]

"Wen alles müßten Sie da in Verdacht
ziehen? Sämtliche Künstler Dänemarks --
und die Dilettanten dazu," lachte Ussing hoch-
mütig. "Zum Beispiel mich. Früher wenig-
stens habe ich in freien Stunden mit Feuer-
eifer den Bleistift geschwungen."

"Der liebe Steinmann!" mischte sich die
alte Dame in billigem Mitleid ein. "Ich
kann es nicht glauben, nein, er hat so treue
Augen. Und wenn er es doch getan hat,
so haben ihn irgendwelche schrecklichen
Menschen hypnotisiert. Man liest ja so oft
von hypnotischen Verbrechen."

"Doch wohl nur in Romanen," warf der
Leutnant hin.

"Ich lese keine Romane und glaube nicht
an Hypnotik oder wie der Dreck heißt," ver-
sicherte Muki. "Da glaube ich viel eher an
Kosmetik, aber den Steinmann halte ich auch
für unschuldig. -- Kommen Sie, lieber
Lund, ich muß Ihnen doch meine Gedan-
kengänge mitteilen."

Damit schleppte er sein Opfer fort in eine
stille Nische. Die anderen tuschelten weiter
über den Fall Steinmann. Morris wechselte
häufig die Menschen, mit denen er sprach.

Muki -- im heimlichen Winkel mit dem
Assessor -- begann: "Soll ich Ihnen wirklich
sagen, wer hinter der ganzen Sache steckt?"

Er machte eine kunstvolle Pause. Lund
war auf Ungeheuerliches gefaßt. Seine Er-
wartungen sollten übertroffen werden.

Der kleine Baron legte die beringte Hand
an den Mund und tuschelte: "Der Hof steckt
dahinter!"

Lund war sprachlos.

"Nicht wahr, daran haben Sie nicht ge-
dacht; Sie loyaler Beamter!" In tröstendem
Tone: "Daran hat eben keiner gedacht --
außer mir."

"Aber um Gottes willen, Baron, das geht
doch über die Grenzen eines Faschingsscher-
zes hinaus."

[Spaltenumbruch]

"Kein Scherz! Hören Sie nur meine Be-
gründungen an, lieber Freund. -- Wie Sie
wissen, hat das Parlament die Erhöhung der
Zivilliste schon zweimal abgelehnt. Trotzdem
ist man an allerhöchster Stelle keineswegs
bemüht, die wachsenden Ausgaben irgend-
wie einzuschränken. Wo kommt das Geld
her, frage ich ..."

Muki schwieg, eitel, gebläht und herrlich
überlegen. Er war mit der Wirkung seiner
Worte zufrieden; denn er sah den Assessor
förmlich zusammenknicken. Lund ermannte
und besann sich. Er hielt es für unangebracht,
den Kleinen geradehin auszulachen. Es galt,
ihn auf gute Weise los zu werden. Endlich
brachte er vor: "Was Sie mir da anvertraut
haben, ist ja unmenschlich -- will sagen, un-
erhört kühnlich und mit äußerster Delika-
tesse wohl auch untersuchungswürdig; aber
ich kann es fürs erste nicht in den Kreis
meiner Nachforschungen aufnehmen. Vor
allem im Augenblick nicht, weil die Ver-
dachtsgründe gegen Steinmann so schwer-
wiegend sind, daß die Polizei sich unbedingt
veranlaßt sieht, in dieser Richtung zu arbei-
ten. Aber wie Sie gehört haben, ist Herr
Morris anderer Ansicht, und will auf eigene
Faust zu wirken beginnen. Wenden Sie sich
doch an ihn. Er ist ganz der Mann, solch
kühne Untersuchungen zu den seinen zu ma-
chen. Und sollte ich auf falscher Bahn sein,
dann ist es immer noch an der Zeit, Ihren
mutigen Fingerzeig zu berücksichtigen."

Der andere, gewohnt, überall nur spöttische
Ablehnung zu erfahren, war durch diese
halbe Zustimmung so gehoben und gefestigt,
daß er gleich auf den Wink einging. Er
machte sich davon, um ein neues Opfer zu
ergattern.

Lund atmete erleichtert auf und mischte
sich unter die Gäste. Er ging hierhin und
dorthin, sprach mit dem und jenem, aber er
war nirgends recht bei der Sache. Eine
fiebernde Neugier, was der nächste Morgen
-- ob er etwas bringen werde, füllte ihn aus.
Er kam sich vor wie ein Verkappter, der
etwas Gewichtiges mit sich herumträgt --
zwischen lauter Ahnungslosen.

Er schrak daher zusammen, als ihm je-
mand die Hand auf die Schulter legte.
Schnell drehte er sich um und stand einem

[Spaltenumbruch]

Kollegen, dem Assessor Kemmer, gegenüber.
"Eine kleine Mitteilung halb dienstlich," sagte
der. "Ich weiß, wer die Tausendkronendame
war. Sie forschen doch danach, wie? Eine
Frau Stransky, ihre gute Freundin, hat es
mir zugewispert unter dem Siegel der Ver-
schwiegenheit."

"Nun, wer?"

"Frau von Möller, die exzentrische
Witwe."

"Kenne ich nicht. Und warum verschwand
sie damals so schnell?

"Auch das hat mir die liebe Freundin
verraten mit einem Schimmer von
triumphierenden Bedauern. Die Aermste ist
wegen ihres geschmacklosen Kostümes, in
dem sie bewunderndes Aufsehen zu erregen
gedacht hatte, so viel gehänselt und bespöttet
worden, daß sie den Ball schließlich wut-
schnaubend verließ."

"Also, von hier aus laufen keine Fäden
-- nach dort hinüber," seufzte Lund.

Morris kam an den beiden vorbei und
machte dem Assessor ein Zeichen, er wünsche
ihn zu sprechen. Lund verabschiedete sich
von dem Kollegen und folgte unauffällig.

Frank verließ den Saal, ging über die
Treppe und verschwand in der Garderobe.
Als Lund zu ihm stieß, schlüpfte er schon in
den Mantel. Er warf einen Blick auf die
Garderobefrau, die eingenickt auf ihrem
Stuhle kauerte, und flüsterte dann. "Dank,
lieber Assessor, für die Uebersendung des
kleinen Idioten. Der redet sich nächstens
noch um den Hals!"

Lund lachte und fragte: "Wo wollen Sie
hin -- jetzt schon?"

"In den Weißen Elefanten. Steinmann
sitzt ja dort im Hinterzimmer -- hoffentlich
gut verborgen --, seit neun Uhr. Er wird
nicht wenig fluchen, weil ich auf mich warten
lasse. Am Ende fürchtet er schon, man holt
ihn nicht ab. Wir gehen dann gleich nach
Hause. Ich habe mich eben offiziell deutlich
hier verabschiedet, mit der Begründung, we-
gen heftiger Kopfschmerzen heim zu müssen
-- damit niemand auf den Einfall kommt,
dem Atelier noch heute einen Besuch abzu-
statten. Ein feierlicher Empfang kann erst
morgen stattfinden."
(Fortsetzung folgt)

[irrelevantes Material]
„AZ am Abend“ Nr. 19 Mittwoch, den 23. Januar
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN

23. Fortſetzung

„Wiſſen Sie, gnädige Frau, ich habe mich
offiziell ſo viel mit dieſem Herrn Steinmann
beſchäftigen müſſen, daß mir keine Zeit zur
Entgegennahme eines inoffiziellen Geredes
blieb.“

„Aber Sie haben doch „großes Reine-
machen“ bei ihm gehalten?“ warf Eſtrup
ein. „Hat ſich denn da kein Geld gefun-
den?“

„Knapp tauſend Kronen. Und die ſind
natürlich beſchlagnahmt worden. — Ach,
die Herrſchaften haben ſich etwas aufbinden
laſſen.“

„Wenn mir’s doch ſein Freund Morris
ſelber erzählt hat!“ beharrte Muki.

„Herr Morris — wie?“ fuhr Lund ſicht-
lich gereizt auf.

„Aber natürlich!“

„Da muß ich geſtehen. — das hätte ich
von Herrn Morris denn doch nicht erwartet.
Er iſt freilich, trotz allem, von ſeines Freun-
des Unſchuld überzeugt, aber das hätte er
mir niemals verheimlichen dürfen!“

Uſſing miſchte ſich ein: „Was wiſſen Sie
überhaupt von dieſem Herrn, der da ſo
plötzlich in unſerer Geſellſchaft aufgetaucht
iſt? Wo ſich der Verdacht nach allen Seiten
richtet — ich ſelber bin ja nicht verſchont ge-
blieben — iſt die Frage wohl geſtattet.“

Lund ſetzte ſeine beſte Amtsmiene auf:
„Herr Leutnant, ich bin kein pedantiſcher
Aktenmenſch. Aber es gibt gewiſſe Punkte,
über die eine Behörde zu gewiſſen Zeiten
die Antwort verweigern muß.“

Uſſing verbeugte ſich ſchweigend.

„Und ich laſſe es mir nicht nehmen!“ rief
Eſtrup. Die Polizei hat da einen weiteren
Mißgriff getan. Steinmann iſt ſo unſchul-
dig wie ich.“

„Wer weiß?“ zauderte ein anderer.
Steinmann malt nicht nur famos, er zeichnet
auch geſchickt. Solches Können mag eine
ſchlimme Verlockung ſein.“

[Spaltenumbruch]

„Wen alles müßten Sie da in Verdacht
ziehen? Sämtliche Künſtler Dänemarks —
und die Dilettanten dazu,“ lachte Uſſing hoch-
mütig. „Zum Beiſpiel mich. Früher wenig-
ſtens habe ich in freien Stunden mit Feuer-
eifer den Bleiſtift geſchwungen.“

„Der liebe Steinmann!“ miſchte ſich die
alte Dame in billigem Mitleid ein. „Ich
kann es nicht glauben, nein, er hat ſo treue
Augen. Und wenn er es doch getan hat,
ſo haben ihn irgendwelche ſchrecklichen
Menſchen hypnotiſiert. Man lieſt ja ſo oft
von hypnotiſchen Verbrechen.“

„Doch wohl nur in Romanen,“ warf der
Leutnant hin.

„Ich leſe keine Romane und glaube nicht
an Hypnotik oder wie der Dreck heißt,“ ver-
ſicherte Muki. „Da glaube ich viel eher an
Kosmetik, aber den Steinmann halte ich auch
für unſchuldig. — Kommen Sie, lieber
Lund, ich muß Ihnen doch meine Gedan-
kengänge mitteilen.“

Damit ſchleppte er ſein Opfer fort in eine
ſtille Niſche. Die anderen tuſchelten weiter
über den Fall Steinmann. Morris wechſelte
häufig die Menſchen, mit denen er ſprach.

Muki — im heimlichen Winkel mit dem
Aſſeſſor — begann: „Soll ich Ihnen wirklich
ſagen, wer hinter der ganzen Sache ſteckt?“

Er machte eine kunſtvolle Pauſe. Lund
war auf Ungeheuerliches gefaßt. Seine Er-
wartungen ſollten übertroffen werden.

Der kleine Baron legte die beringte Hand
an den Mund und tuſchelte: „Der Hof ſteckt
dahinter!“

Lund war ſprachlos.

„Nicht wahr, daran haben Sie nicht ge-
dacht; Sie loyaler Beamter!“ In tröſtendem
Tone: „Daran hat eben keiner gedacht —
außer mir.“

„Aber um Gottes willen, Baron, das geht
doch über die Grenzen eines Faſchingsſcher-
zes hinaus.“

[Spaltenumbruch]

„Kein Scherz! Hören Sie nur meine Be-
gründungen an, lieber Freund. — Wie Sie
wiſſen, hat das Parlament die Erhöhung der
Zivilliſte ſchon zweimal abgelehnt. Trotzdem
iſt man an allerhöchſter Stelle keineswegs
bemüht, die wachſenden Ausgaben irgend-
wie einzuſchränken. Wo kommt das Geld
her, frage ich ...“

Muki ſchwieg, eitel, gebläht und herrlich
überlegen. Er war mit der Wirkung ſeiner
Worte zufrieden; denn er ſah den Aſſeſſor
förmlich zuſammenknicken. Lund ermannte
und beſann ſich. Er hielt es für unangebracht,
den Kleinen geradehin auszulachen. Es galt,
ihn auf gute Weiſe los zu werden. Endlich
brachte er vor: „Was Sie mir da anvertraut
haben, iſt ja unmenſchlich — will ſagen, un-
erhört kühnlich und mit äußerſter Delika-
teſſe wohl auch unterſuchungswürdig; aber
ich kann es fürs erſte nicht in den Kreis
meiner Nachforſchungen aufnehmen. Vor
allem im Augenblick nicht, weil die Ver-
dachtsgründe gegen Steinmann ſo ſchwer-
wiegend ſind, daß die Polizei ſich unbedingt
veranlaßt ſieht, in dieſer Richtung zu arbei-
ten. Aber wie Sie gehört haben, iſt Herr
Morris anderer Anſicht, und will auf eigene
Fauſt zu wirken beginnen. Wenden Sie ſich
doch an ihn. Er iſt ganz der Mann, ſolch
kühne Unterſuchungen zu den ſeinen zu ma-
chen. Und ſollte ich auf falſcher Bahn ſein,
dann iſt es immer noch an der Zeit, Ihren
mutigen Fingerzeig zu berückſichtigen.“

Der andere, gewohnt, überall nur ſpöttiſche
Ablehnung zu erfahren, war durch dieſe
halbe Zuſtimmung ſo gehoben und gefeſtigt,
daß er gleich auf den Wink einging. Er
machte ſich davon, um ein neues Opfer zu
ergattern.

Lund atmete erleichtert auf und miſchte
ſich unter die Gäſte. Er ging hierhin und
dorthin, ſprach mit dem und jenem, aber er
war nirgends recht bei der Sache. Eine
fiebernde Neugier, was der nächſte Morgen
— ob er etwas bringen werde, füllte ihn aus.
Er kam ſich vor wie ein Verkappter, der
etwas Gewichtiges mit ſich herumträgt —
zwiſchen lauter Ahnungsloſen.

Er ſchrak daher zuſammen, als ihm je-
mand die Hand auf die Schulter legte.
Schnell drehte er ſich um und ſtand einem

[Spaltenumbruch]

Kollegen, dem Aſſeſſor Kemmer, gegenüber.
„Eine kleine Mitteilung halb dienſtlich,“ ſagte
der. „Ich weiß, wer die Tauſendkronendame
war. Sie forſchen doch danach, wie? Eine
Frau Stranſky, ihre gute Freundin, hat es
mir zugewiſpert unter dem Siegel der Ver-
ſchwiegenheit.“

„Nun, wer?“

„Frau von Möller, die exzentriſche
Witwe.“

„Kenne ich nicht. Und warum verſchwand
ſie damals ſo ſchnell?

„Auch das hat mir die liebe Freundin
verraten mit einem Schimmer von
triumphierenden Bedauern. Die Aermſte iſt
wegen ihres geſchmackloſen Koſtümes, in
dem ſie bewunderndes Aufſehen zu erregen
gedacht hatte, ſo viel gehänſelt und beſpöttet
worden, daß ſie den Ball ſchließlich wut-
ſchnaubend verließ.“

„Alſo, von hier aus laufen keine Fäden
— nach dort hinüber,“ ſeufzte Lund.

Morris kam an den beiden vorbei und
machte dem Aſſeſſor ein Zeichen, er wünſche
ihn zu ſprechen. Lund verabſchiedete ſich
von dem Kollegen und folgte unauffällig.

Frank verließ den Saal, ging über die
Treppe und verſchwand in der Garderobe.
Als Lund zu ihm ſtieß, ſchlüpfte er ſchon in
den Mantel. Er warf einen Blick auf die
Garderobefrau, die eingenickt auf ihrem
Stuhle kauerte, und flüſterte dann. „Dank,
lieber Aſſeſſor, für die Ueberſendung des
kleinen Idioten. Der redet ſich nächſtens
noch um den Hals!“

Lund lachte und fragte: „Wo wollen Sie
hin — jetzt ſchon?“

„In den Weißen Elefanten. Steinmann
ſitzt ja dort im Hinterzimmer — hoffentlich
gut verborgen —, ſeit neun Uhr. Er wird
nicht wenig fluchen, weil ich auf mich warten
laſſe. Am Ende fürchtet er ſchon, man holt
ihn nicht ab. Wir gehen dann gleich nach
Hauſe. Ich habe mich eben offiziell deutlich
hier verabſchiedet, mit der Begründung, we-
gen heftiger Kopfſchmerzen heim zu müſſen
— damit niemand auf den Einfall kommt,
dem Atelier noch heute einen Beſuch abzu-
ſtatten. Ein feierlicher Empfang kann erſt
morgen ſtattfinden.“
(Fortſetzung folgt)

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[Seite 12[12]/0012] „AZ am Abend“ Nr. 19 Mittwoch, den 23. Januar Dreifaches Gaunerspiel EIN BANKNOTENROMAN 23. Fortſetzung von A. M. FREY „Wiſſen Sie, gnädige Frau, ich habe mich offiziell ſo viel mit dieſem Herrn Steinmann beſchäftigen müſſen, daß mir keine Zeit zur Entgegennahme eines inoffiziellen Geredes blieb.“ „Aber Sie haben doch „großes Reine- machen“ bei ihm gehalten?“ warf Eſtrup ein. „Hat ſich denn da kein Geld gefun- den?“ „Knapp tauſend Kronen. Und die ſind natürlich beſchlagnahmt worden. — Ach, die Herrſchaften haben ſich etwas aufbinden laſſen.“ „Wenn mir’s doch ſein Freund Morris ſelber erzählt hat!“ beharrte Muki. „Herr Morris — wie?“ fuhr Lund ſicht- lich gereizt auf. „Aber natürlich!“ „Da muß ich geſtehen. — das hätte ich von Herrn Morris denn doch nicht erwartet. Er iſt freilich, trotz allem, von ſeines Freun- des Unſchuld überzeugt, aber das hätte er mir niemals verheimlichen dürfen!“ Uſſing miſchte ſich ein: „Was wiſſen Sie überhaupt von dieſem Herrn, der da ſo plötzlich in unſerer Geſellſchaft aufgetaucht iſt? Wo ſich der Verdacht nach allen Seiten richtet — ich ſelber bin ja nicht verſchont ge- blieben — iſt die Frage wohl geſtattet.“ Lund ſetzte ſeine beſte Amtsmiene auf: „Herr Leutnant, ich bin kein pedantiſcher Aktenmenſch. Aber es gibt gewiſſe Punkte, über die eine Behörde zu gewiſſen Zeiten die Antwort verweigern muß.“ Uſſing verbeugte ſich ſchweigend. „Und ich laſſe es mir nicht nehmen!“ rief Eſtrup. Die Polizei hat da einen weiteren Mißgriff getan. Steinmann iſt ſo unſchul- dig wie ich.“ „Wer weiß?“ zauderte ein anderer. Steinmann malt nicht nur famos, er zeichnet auch geſchickt. Solches Können mag eine ſchlimme Verlockung ſein.“ „Wen alles müßten Sie da in Verdacht ziehen? Sämtliche Künſtler Dänemarks — und die Dilettanten dazu,“ lachte Uſſing hoch- mütig. „Zum Beiſpiel mich. Früher wenig- ſtens habe ich in freien Stunden mit Feuer- eifer den Bleiſtift geſchwungen.“ „Der liebe Steinmann!“ miſchte ſich die alte Dame in billigem Mitleid ein. „Ich kann es nicht glauben, nein, er hat ſo treue Augen. Und wenn er es doch getan hat, ſo haben ihn irgendwelche ſchrecklichen Menſchen hypnotiſiert. Man lieſt ja ſo oft von hypnotiſchen Verbrechen.“ „Doch wohl nur in Romanen,“ warf der Leutnant hin. „Ich leſe keine Romane und glaube nicht an Hypnotik oder wie der Dreck heißt,“ ver- ſicherte Muki. „Da glaube ich viel eher an Kosmetik, aber den Steinmann halte ich auch für unſchuldig. — Kommen Sie, lieber Lund, ich muß Ihnen doch meine Gedan- kengänge mitteilen.“ Damit ſchleppte er ſein Opfer fort in eine ſtille Niſche. Die anderen tuſchelten weiter über den Fall Steinmann. Morris wechſelte häufig die Menſchen, mit denen er ſprach. Muki — im heimlichen Winkel mit dem Aſſeſſor — begann: „Soll ich Ihnen wirklich ſagen, wer hinter der ganzen Sache ſteckt?“ Er machte eine kunſtvolle Pauſe. Lund war auf Ungeheuerliches gefaßt. Seine Er- wartungen ſollten übertroffen werden. Der kleine Baron legte die beringte Hand an den Mund und tuſchelte: „Der Hof ſteckt dahinter!“ Lund war ſprachlos. „Nicht wahr, daran haben Sie nicht ge- dacht; Sie loyaler Beamter!“ In tröſtendem Tone: „Daran hat eben keiner gedacht — außer mir.“ „Aber um Gottes willen, Baron, das geht doch über die Grenzen eines Faſchingsſcher- zes hinaus.“ „Kein Scherz! Hören Sie nur meine Be- gründungen an, lieber Freund. — Wie Sie wiſſen, hat das Parlament die Erhöhung der Zivilliſte ſchon zweimal abgelehnt. Trotzdem iſt man an allerhöchſter Stelle keineswegs bemüht, die wachſenden Ausgaben irgend- wie einzuſchränken. Wo kommt das Geld her, frage ich ...“ Muki ſchwieg, eitel, gebläht und herrlich überlegen. Er war mit der Wirkung ſeiner Worte zufrieden; denn er ſah den Aſſeſſor förmlich zuſammenknicken. Lund ermannte und beſann ſich. Er hielt es für unangebracht, den Kleinen geradehin auszulachen. Es galt, ihn auf gute Weiſe los zu werden. Endlich brachte er vor: „Was Sie mir da anvertraut haben, iſt ja unmenſchlich — will ſagen, un- erhört kühnlich und mit äußerſter Delika- teſſe wohl auch unterſuchungswürdig; aber ich kann es fürs erſte nicht in den Kreis meiner Nachforſchungen aufnehmen. Vor allem im Augenblick nicht, weil die Ver- dachtsgründe gegen Steinmann ſo ſchwer- wiegend ſind, daß die Polizei ſich unbedingt veranlaßt ſieht, in dieſer Richtung zu arbei- ten. Aber wie Sie gehört haben, iſt Herr Morris anderer Anſicht, und will auf eigene Fauſt zu wirken beginnen. Wenden Sie ſich doch an ihn. Er iſt ganz der Mann, ſolch kühne Unterſuchungen zu den ſeinen zu ma- chen. Und ſollte ich auf falſcher Bahn ſein, dann iſt es immer noch an der Zeit, Ihren mutigen Fingerzeig zu berückſichtigen.“ Der andere, gewohnt, überall nur ſpöttiſche Ablehnung zu erfahren, war durch dieſe halbe Zuſtimmung ſo gehoben und gefeſtigt, daß er gleich auf den Wink einging. Er machte ſich davon, um ein neues Opfer zu ergattern. Lund atmete erleichtert auf und miſchte ſich unter die Gäſte. Er ging hierhin und dorthin, ſprach mit dem und jenem, aber er war nirgends recht bei der Sache. Eine fiebernde Neugier, was der nächſte Morgen — ob er etwas bringen werde, füllte ihn aus. Er kam ſich vor wie ein Verkappter, der etwas Gewichtiges mit ſich herumträgt — zwiſchen lauter Ahnungsloſen. Er ſchrak daher zuſammen, als ihm je- mand die Hand auf die Schulter legte. Schnell drehte er ſich um und ſtand einem Kollegen, dem Aſſeſſor Kemmer, gegenüber. „Eine kleine Mitteilung halb dienſtlich,“ ſagte der. „Ich weiß, wer die Tauſendkronendame war. Sie forſchen doch danach, wie? Eine Frau Stranſky, ihre gute Freundin, hat es mir zugewiſpert unter dem Siegel der Ver- ſchwiegenheit.“ „Nun, wer?“ „Frau von Möller, die exzentriſche Witwe.“ „Kenne ich nicht. Und warum verſchwand ſie damals ſo ſchnell? „Auch das hat mir die liebe Freundin verraten mit einem Schimmer von triumphierenden Bedauern. Die Aermſte iſt wegen ihres geſchmackloſen Koſtümes, in dem ſie bewunderndes Aufſehen zu erregen gedacht hatte, ſo viel gehänſelt und beſpöttet worden, daß ſie den Ball ſchließlich wut- ſchnaubend verließ.“ „Alſo, von hier aus laufen keine Fäden — nach dort hinüber,“ ſeufzte Lund. Morris kam an den beiden vorbei und machte dem Aſſeſſor ein Zeichen, er wünſche ihn zu ſprechen. Lund verabſchiedete ſich von dem Kollegen und folgte unauffällig. Frank verließ den Saal, ging über die Treppe und verſchwand in der Garderobe. Als Lund zu ihm ſtieß, ſchlüpfte er ſchon in den Mantel. Er warf einen Blick auf die Garderobefrau, die eingenickt auf ihrem Stuhle kauerte, und flüſterte dann. „Dank, lieber Aſſeſſor, für die Ueberſendung des kleinen Idioten. Der redet ſich nächſtens noch um den Hals!“ Lund lachte und fragte: „Wo wollen Sie hin — jetzt ſchon?“ „In den Weißen Elefanten. Steinmann ſitzt ja dort im Hinterzimmer — hoffentlich gut verborgen —, ſeit neun Uhr. Er wird nicht wenig fluchen, weil ich auf mich warten laſſe. Am Ende fürchtet er ſchon, man holt ihn nicht ab. Wir gehen dann gleich nach Hauſe. Ich habe mich eben offiziell deutlich hier verabſchiedet, mit der Begründung, we- gen heftiger Kopfſchmerzen heim zu müſſen — damit niemand auf den Einfall kommt, dem Atelier noch heute einen Beſuch abzu- ſtatten. Ein feierlicher Empfang kann erſt morgen ſtattfinden.“ (Fortſetzung folgt) _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-01-02T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 23. Januar 1929, S. Seite 12[12]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine19_1929/12>, abgerufen am 17.06.2024.