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Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 16. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 16. Mai 1920
[Spaltenumbruch] Werk über die Pyrenäen. Auch er verdankt seinen Sieg in
dem Kampfe um das Erbe Schalls einem hochgestellten per-
sönlichen Gönner, dem Prinzen Karl von Preußen.

Im Jahre 1828 nahm die Neue Breslauer Zeitung, wie
sie sich zuerst genannt hatte, den Namen Breslauer Zeitung
an und ging vom viermaligen zum wöchentlich sechsmaligen
Erscheinen über. Die Politik spielt noch lange keine ernst-
hafte Rolle; soweit Stellung genommen wird, wie z. B. zur
Braunschweiger Revolution, geschieht es in ärmlichst gouver-
nementalem Sinne. In religiösen und sozialpolitischen Fra-
gen vertritt die Zeitung allerdings einen entschieden fort-
schrittlichen Standpunkt, und sie nimmt sich mit Wärme der
Bewegung Johannes Ronges wie der Not der Spinner und
Weber im schlesischen Gebirge an, auf die ein Artikel vom
18. November 1843 zum erstenmal nachdrücklich hinweist;
sonst aber zeigt sich, wie Oehlke selbst betont, in der inneren
wie in der äußeren Politik ein fortwährendes Schwanken
und Schaukeln. Dafür zeigte Herr v. Vaerst viel Interesse
für die Verbesserung und insbesondere für die Beschleuni-
gung des Nachrichtendienstes. Da die Berliner Zeitungen
am Tage nach ihrem Erscheinen abends um 9 Uhr in Breslau
ankamen, so daß sie den dortigen Redaktionen erst am
Morgen des dritten Tages vorlagen, ließ er sie von 1845 ab
durch besondere Boten von Berlin mit der Bahn nach Frank-
furt a. d. Oder befördern, wo sie noch an demselben Abend
anlangten; von dort nach Bunzlau (etwa 160 Kilometer)
wurde eine Reiterlinie angelegt und so der vormittags
31/2 Uhr nach Breslau abgehende Zug erreicht, der die Zei-
tungen um die Mittagszeit nach Breslau brachte. Das be-
deutete für die redaktionelle Verwertung in Breslau einen
Vorsprung um einen vollen Tag. Die Zeitung ist denn auch
um diese Zeit ein blühendes Geschäft. Eine hochinteressante
Ertragsberechnung weist für 1846 folgende Zahlen auf:
1500 Stadtabonnenten 18,000 M., 2500 auswärtige Bezieher
16,000 M., 972 Seiten Inserate zu je 480 Petitzeilen
45,000 M., zusammen 79,000 M.; Druck und Papier 35,000
Mark, Honorare 10,000 M., abonnierte Zeitungen 3000 M.,
Expedition, Redaktion, Miete usw. 6000 M., zusammen
54,000 M., macht eine Reineinnahme von jährlich 25,000 M.
Am 20. Mai des Revolutionsjahres 1848 verkündet große
Fettschrift den "ersten zensurfreien Druck". Der Gedanke
einer schlesischen Sonderrepublik wird verworfen, zunächst
aber auch der eines deutschen Kaiser- oder Königtums.
Der wahre Charakter Deutschlands werde immer der einer
föderativen Republik bleiben müssen, mit der sich eine kon-
stitutionell-monarchische Derfassung der Einzelstaaten wohl
vertrage. Ein Jahr später wird dann neuerdings die Ab-
lehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. bitter
beklagt. Besonders aktuell klingt, was die Breslauer Zei-
tung für den reinen Nationalstaat und den Völkerbund
schreibt: in Posen habe nach ihrer Meinung eine Volks-
abstimmung über die Zugehörigkeit der einzelnen Kreise zu
Polen oder zu Preußen entscheiden: "In dem Großherzog-
tum Posen lassen sich die Grenzen jetzt in ihrer Reinheit
nicht herstellen. Wir werden auch in Zukunft an den Sün-
den unserer Väter zu büßen haben. Aber Polen und Deutsche
müssen diese Strafe gemeinsam tragen, denn wir haben
gemeinsam gesündigt." Natürlich fehlte es nicht an scharfem
Widerspruch gegen diese rein demokratische Polenpolitik, der
häufig in "Inseraten", d. h. in "Eingesandten" zu Worte
kam. Aber neben dem unentschiedenen leitenden Redakteur
Dr. Nimbs trat jetzt der entschlossene demokratische Mit-
arbeiter Dr. Julius Stein hervor, der Urheber der heute
wieder merkwürdig zeitgemäßen Steinschen Anträge in der
preußischen Nationalversammlung, über die das Ministerium
Auerswald-Hansemann zu Falle kam.

Die Jahre der Reaktion von 1850--1858 brachten na-
türlich ein Abflauen des politischen Lebens in die Zeitung,
aber manchen zeitungstechnischen Fortschritt, wie die ersten
(Wolffschen) Depeschen im Jahre 1850, eine zweite Tages-
ausgabe (Mittagsblatt) im Jahre 1853, auch gelegentlich
einen journalistischen Triumph wie die vorsichtige Haltung
gegenüber der "Tatarennachricht" vom Falle Sebastopols
und die Erhebung der Breslauer Zeitung zum Regierungs-
[Spaltenumbruch] organ. Der neue politische Aufschwung aber wird bezeichnet
durch den schon erwähnten Uebergang in den Verlag Tre-
wendt und die leitende Tätigkeit Dr. Steins vom 1. April
1859 ab. Nun beginnt die Tätigkeit der besten Federn für
die Breslauer Zeitung, von denen nur Julius Rodenberg
und Dr. Alexander Meyer genannt sein mögen. Im übrigen
können wir der weiteren Entwicklung der Zeitung an dieser
Stelle leider nicht folgen. Vom Jahre 1896 an, in dem er
selbst die Leitung des Blattes übernahm, beschränkt sich der
jetzige Verleger und Chefredakteur auf einen Ueberblick
mit Namen und Daten. Auch diese Kapitel sind ein wert-
volles Stück Zeitungs- und Zeitgeschichte; bis dahin aber ist
das Jubiläumswerk Dr. Alfred Oehlkes das unterhaltendste
und anziehendste, das jemals geschrieben worden ist. Wenn
es eine gewaltige Leistung ist, daß ein vielbeschäftigter Ver-
leger und Redakteur ein solches Werk selber schreibt, noch
dazu in den Sturmtagen von Krieg und Revolution, so ist
sie hier vortrefflich gelungen. Das Buch ist durch und durch
journalistisch geschrieben und das ist ihm -- die zünftigen
Herren Historiker mögen verzeihen -- ausgezeichnet be-
kommen.

Kunst und Literatur
Hans Thoma als Dichter.

Der große deutsche Maler Hans Thoma ist auch, was nicht
alle wissen, ein Meister des Wortes, ein Gestalter der Sprache,
dem, was Urwüchsigkeit und Bildhaftigkeit des Ausdruckes an-
betrifft, wenige an die Seite zu stellen sind. Seine bei Eugen
Diederichs in Jena erschienenen Prosabücher "Die zwischen Zeit
und Ewigkeit unsicher flatternde Seele", "Seeligkeit nach Wirr-
wahns Zeit" und "Zufriedenheit", sein Erinnerungsbuch "Im
Herbste des Lebens" wie das zu seinem 80. Geburtstag erschie-
nene Werk "Im Winter des Lebens" sind in weitere Kreise ein-
gedrungen.

Weniger bekannt ist, daß Hans Thoma auch auf lyrischem
Gebiete recht Beachtenswertes geschaffen hat. Dr. Kurt Karl
Eberlein hat es in einem bei Reuß & Itta in Konstanz er-
schienenen Bändchen: Hans Thoma "Gedichte und Gedanken"
unternommen, eine Auswahl aus den Gedichten, Tagebuch-
blättern und Sprüchen des Meisters zu treffen. Der Karlsruher
Kunsthistoriker hat einen feinen, das Wesen Thomas trefflich
analysierenden Aufsatz angefügt, der, ebenso wie die stimmungs-
volle Widmung, erweist, daß hier eine Hand gewaltet hat, die
des Meisters Schaffen in seinen tiefsten Regungen erfaßt und
erfüllt hat. Hans Thoma selbst aber überrascht in den Ge-
dichten durch seine seinem malerischen und zeichnerischen Werk
kongeniale Erlebnisinnigkeit. Mit Recht weist Eberlein auf
die zahlreichen Fäden hin, die sich zwischen dem Meister Albrecht
Dürer und Hans Thoma spannen. In ihrem Empfinden, ihrer
Auffassung der Welt und ihres Wesens sind sich beide innig
verwandt. Dürer wie Thoma lieben es, sich nicht nur mit
Pinsel und Zeichenstift, sondern auch in Worten mit allem, was
ihre Tage durchzieht, auseinanderzusetzen. Wie ein Fels aus
längst vergangenen Zeiten, da sich die Welt noch im Geiste der
Meister zu vollendeter Harmonie ründete, so steht Thoma im
wirren Strudel der Gegenwart. Schlicht, ungekünstelt, ohne
jede Pose, mit offenen Augen und offenem Herzen tritt der
Künstler der Natur, die ihm Allmutter des Schaffens ist, gegen-
über; in gleicher Weise steht der Dichter Thoma der unendlichen
Herrlichkeit, dem ewig neuen Erlebnis gegenüber, das ihm
Wald, Strom, Tal und Wiesen bedeuten.

Ich forsche nicht, ich grüble nicht,
Ich glaube nicht
Was man mir auch sage,
Mein Leben treib' ich ruhig hin,
Mich kümmert nicht
Das Ende meiner Tage.

Allgemeine Zeitung 16. Mai 1920
[Spaltenumbruch] Werk über die Pyrenäen. Auch er verdankt ſeinen Sieg in
dem Kampfe um das Erbe Schalls einem hochgeſtellten per-
ſönlichen Gönner, dem Prinzen Karl von Preußen.

Im Jahre 1828 nahm die Neue Breslauer Zeitung, wie
ſie ſich zuerſt genannt hatte, den Namen Breslauer Zeitung
an und ging vom viermaligen zum wöchentlich ſechsmaligen
Erſcheinen über. Die Politik ſpielt noch lange keine ernſt-
hafte Rolle; ſoweit Stellung genommen wird, wie z. B. zur
Braunſchweiger Revolution, geſchieht es in ärmlichſt gouver-
nementalem Sinne. In religiöſen und ſozialpolitiſchen Fra-
gen vertritt die Zeitung allerdings einen entſchieden fort-
ſchrittlichen Standpunkt, und ſie nimmt ſich mit Wärme der
Bewegung Johannes Ronges wie der Not der Spinner und
Weber im ſchleſiſchen Gebirge an, auf die ein Artikel vom
18. November 1843 zum erſtenmal nachdrücklich hinweiſt;
ſonſt aber zeigt ſich, wie Oehlke ſelbſt betont, in der inneren
wie in der äußeren Politik ein fortwährendes Schwanken
und Schaukeln. Dafür zeigte Herr v. Vaerſt viel Intereſſe
für die Verbeſſerung und insbeſondere für die Beſchleuni-
gung des Nachrichtendienſtes. Da die Berliner Zeitungen
am Tage nach ihrem Erſcheinen abends um 9 Uhr in Breslau
ankamen, ſo daß ſie den dortigen Redaktionen erſt am
Morgen des dritten Tages vorlagen, ließ er ſie von 1845 ab
durch beſondere Boten von Berlin mit der Bahn nach Frank-
furt a. d. Oder befördern, wo ſie noch an demſelben Abend
anlangten; von dort nach Bunzlau (etwa 160 Kilometer)
wurde eine Reiterlinie angelegt und ſo der vormittags
3½ Uhr nach Breslau abgehende Zug erreicht, der die Zei-
tungen um die Mittagszeit nach Breslau brachte. Das be-
deutete für die redaktionelle Verwertung in Breslau einen
Vorſprung um einen vollen Tag. Die Zeitung iſt denn auch
um dieſe Zeit ein blühendes Geſchäft. Eine hochintereſſante
Ertragsberechnung weiſt für 1846 folgende Zahlen auf:
1500 Stadtabonnenten 18,000 M., 2500 auswärtige Bezieher
16,000 M., 972 Seiten Inſerate zu je 480 Petitzeilen
45,000 M., zuſammen 79,000 M.; Druck und Papier 35,000
Mark, Honorare 10,000 M., abonnierte Zeitungen 3000 M.,
Expedition, Redaktion, Miete uſw. 6000 M., zuſammen
54,000 M., macht eine Reineinnahme von jährlich 25,000 M.
Am 20. Mai des Revolutionsjahres 1848 verkündet große
Fettſchrift den „erſten zenſurfreien Druck“. Der Gedanke
einer ſchleſiſchen Sonderrepublik wird verworfen, zunächſt
aber auch der eines deutſchen Kaiſer- oder Königtums.
Der wahre Charakter Deutſchlands werde immer der einer
föderativen Republik bleiben müſſen, mit der ſich eine kon-
ſtitutionell-monarchiſche Derfaſſung der Einzelſtaaten wohl
vertrage. Ein Jahr ſpäter wird dann neuerdings die Ab-
lehnung der Kaiſerkrone durch Friedrich Wilhelm IV. bitter
beklagt. Beſonders aktuell klingt, was die Breslauer Zei-
tung für den reinen Nationalſtaat und den Völkerbund
ſchreibt: in Poſen habe nach ihrer Meinung eine Volks-
abſtimmung über die Zugehörigkeit der einzelnen Kreiſe zu
Polen oder zu Preußen entſcheiden: „In dem Großherzog-
tum Poſen laſſen ſich die Grenzen jetzt in ihrer Reinheit
nicht herſtellen. Wir werden auch in Zukunft an den Sün-
den unſerer Väter zu büßen haben. Aber Polen und Deutſche
müſſen dieſe Strafe gemeinſam tragen, denn wir haben
gemeinſam geſündigt.“ Natürlich fehlte es nicht an ſcharfem
Widerſpruch gegen dieſe rein demokratiſche Polenpolitik, der
häufig in „Inſeraten“, d. h. in „Eingeſandten“ zu Worte
kam. Aber neben dem unentſchiedenen leitenden Redakteur
Dr. Nimbs trat jetzt der entſchloſſene demokratiſche Mit-
arbeiter Dr. Julius Stein hervor, der Urheber der heute
wieder merkwürdig zeitgemäßen Steinſchen Anträge in der
preußiſchen Nationalverſammlung, über die das Miniſterium
Auerswald-Hanſemann zu Falle kam.

Die Jahre der Reaktion von 1850—1858 brachten na-
türlich ein Abflauen des politiſchen Lebens in die Zeitung,
aber manchen zeitungstechniſchen Fortſchritt, wie die erſten
(Wolffſchen) Depeſchen im Jahre 1850, eine zweite Tages-
ausgabe (Mittagsblatt) im Jahre 1853, auch gelegentlich
einen journaliſtiſchen Triumph wie die vorſichtige Haltung
gegenüber der „Tatarennachricht“ vom Falle Sebaſtopols
und die Erhebung der Breslauer Zeitung zum Regierungs-
[Spaltenumbruch] organ. Der neue politiſche Aufſchwung aber wird bezeichnet
durch den ſchon erwähnten Uebergang in den Verlag Tre-
wendt und die leitende Tätigkeit Dr. Steins vom 1. April
1859 ab. Nun beginnt die Tätigkeit der beſten Federn für
die Breslauer Zeitung, von denen nur Julius Rodenberg
und Dr. Alexander Meyer genannt ſein mögen. Im übrigen
können wir der weiteren Entwicklung der Zeitung an dieſer
Stelle leider nicht folgen. Vom Jahre 1896 an, in dem er
ſelbſt die Leitung des Blattes übernahm, beſchränkt ſich der
jetzige Verleger und Chefredakteur auf einen Ueberblick
mit Namen und Daten. Auch dieſe Kapitel ſind ein wert-
volles Stück Zeitungs- und Zeitgeſchichte; bis dahin aber iſt
das Jubiläumswerk Dr. Alfred Oehlkes das unterhaltendſte
und anziehendſte, das jemals geſchrieben worden iſt. Wenn
es eine gewaltige Leiſtung iſt, daß ein vielbeſchäftigter Ver-
leger und Redakteur ein ſolches Werk ſelber ſchreibt, noch
dazu in den Sturmtagen von Krieg und Revolution, ſo iſt
ſie hier vortrefflich gelungen. Das Buch iſt durch und durch
journaliſtiſch geſchrieben und das iſt ihm — die zünftigen
Herren Hiſtoriker mögen verzeihen — ausgezeichnet be-
kommen.

Kunſt und Literatur
Hans Thoma als Dichter.

Der große deutſche Maler Hans Thoma iſt auch, was nicht
alle wiſſen, ein Meiſter des Wortes, ein Geſtalter der Sprache,
dem, was Urwüchſigkeit und Bildhaftigkeit des Ausdruckes an-
betrifft, wenige an die Seite zu ſtellen ſind. Seine bei Eugen
Diederichs in Jena erſchienenen Proſabücher „Die zwiſchen Zeit
und Ewigkeit unſicher flatternde Seele“, „Seeligkeit nach Wirr-
wahns Zeit“ und „Zufriedenheit“, ſein Erinnerungsbuch „Im
Herbſte des Lebens“ wie das zu ſeinem 80. Geburtstag erſchie-
nene Werk „Im Winter des Lebens“ ſind in weitere Kreiſe ein-
gedrungen.

Weniger bekannt iſt, daß Hans Thoma auch auf lyriſchem
Gebiete recht Beachtenswertes geſchaffen hat. Dr. Kurt Karl
Eberlein hat es in einem bei Reuß & Itta in Konſtanz er-
ſchienenen Bändchen: Hans Thoma „Gedichte und Gedanken“
unternommen, eine Auswahl aus den Gedichten, Tagebuch-
blättern und Sprüchen des Meiſters zu treffen. Der Karlsruher
Kunſthiſtoriker hat einen feinen, das Weſen Thomas trefflich
analyſierenden Aufſatz angefügt, der, ebenſo wie die ſtimmungs-
volle Widmung, erweiſt, daß hier eine Hand gewaltet hat, die
des Meiſters Schaffen in ſeinen tiefſten Regungen erfaßt und
erfüllt hat. Hans Thoma ſelbſt aber überraſcht in den Ge-
dichten durch ſeine ſeinem maleriſchen und zeichneriſchen Werk
kongeniale Erlebnisinnigkeit. Mit Recht weiſt Eberlein auf
die zahlreichen Fäden hin, die ſich zwiſchen dem Meiſter Albrecht
Dürer und Hans Thoma ſpannen. In ihrem Empfinden, ihrer
Auffaſſung der Welt und ihres Weſens ſind ſich beide innig
verwandt. Dürer wie Thoma lieben es, ſich nicht nur mit
Pinſel und Zeichenſtift, ſondern auch in Worten mit allem, was
ihre Tage durchzieht, auseinanderzuſetzen. Wie ein Fels aus
längſt vergangenen Zeiten, da ſich die Welt noch im Geiſte der
Meiſter zu vollendeter Harmonie ründete, ſo ſteht Thoma im
wirren Strudel der Gegenwart. Schlicht, ungekünſtelt, ohne
jede Poſe, mit offenen Augen und offenem Herzen tritt der
Künſtler der Natur, die ihm Allmutter des Schaffens iſt, gegen-
über; in gleicher Weiſe ſteht der Dichter Thoma der unendlichen
Herrlichkeit, dem ewig neuen Erlebnis gegenüber, das ihm
Wald, Strom, Tal und Wieſen bedeuten.

Ich forſche nicht, ich grüble nicht,
Ich glaube nicht
Was man mir auch ſage,
Mein Leben treib’ ich ruhig hin,
Mich kümmert nicht
Das Ende meiner Tage.
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[184/0006] Allgemeine Zeitung 16. Mai 1920 Werk über die Pyrenäen. Auch er verdankt ſeinen Sieg in dem Kampfe um das Erbe Schalls einem hochgeſtellten per- ſönlichen Gönner, dem Prinzen Karl von Preußen. Im Jahre 1828 nahm die Neue Breslauer Zeitung, wie ſie ſich zuerſt genannt hatte, den Namen Breslauer Zeitung an und ging vom viermaligen zum wöchentlich ſechsmaligen Erſcheinen über. Die Politik ſpielt noch lange keine ernſt- hafte Rolle; ſoweit Stellung genommen wird, wie z. B. zur Braunſchweiger Revolution, geſchieht es in ärmlichſt gouver- nementalem Sinne. In religiöſen und ſozialpolitiſchen Fra- gen vertritt die Zeitung allerdings einen entſchieden fort- ſchrittlichen Standpunkt, und ſie nimmt ſich mit Wärme der Bewegung Johannes Ronges wie der Not der Spinner und Weber im ſchleſiſchen Gebirge an, auf die ein Artikel vom 18. November 1843 zum erſtenmal nachdrücklich hinweiſt; ſonſt aber zeigt ſich, wie Oehlke ſelbſt betont, in der inneren wie in der äußeren Politik ein fortwährendes Schwanken und Schaukeln. Dafür zeigte Herr v. Vaerſt viel Intereſſe für die Verbeſſerung und insbeſondere für die Beſchleuni- gung des Nachrichtendienſtes. Da die Berliner Zeitungen am Tage nach ihrem Erſcheinen abends um 9 Uhr in Breslau ankamen, ſo daß ſie den dortigen Redaktionen erſt am Morgen des dritten Tages vorlagen, ließ er ſie von 1845 ab durch beſondere Boten von Berlin mit der Bahn nach Frank- furt a. d. Oder befördern, wo ſie noch an demſelben Abend anlangten; von dort nach Bunzlau (etwa 160 Kilometer) wurde eine Reiterlinie angelegt und ſo der vormittags 3½ Uhr nach Breslau abgehende Zug erreicht, der die Zei- tungen um die Mittagszeit nach Breslau brachte. Das be- deutete für die redaktionelle Verwertung in Breslau einen Vorſprung um einen vollen Tag. Die Zeitung iſt denn auch um dieſe Zeit ein blühendes Geſchäft. Eine hochintereſſante Ertragsberechnung weiſt für 1846 folgende Zahlen auf: 1500 Stadtabonnenten 18,000 M., 2500 auswärtige Bezieher 16,000 M., 972 Seiten Inſerate zu je 480 Petitzeilen 45,000 M., zuſammen 79,000 M.; Druck und Papier 35,000 Mark, Honorare 10,000 M., abonnierte Zeitungen 3000 M., Expedition, Redaktion, Miete uſw. 6000 M., zuſammen 54,000 M., macht eine Reineinnahme von jährlich 25,000 M. Am 20. Mai des Revolutionsjahres 1848 verkündet große Fettſchrift den „erſten zenſurfreien Druck“. Der Gedanke einer ſchleſiſchen Sonderrepublik wird verworfen, zunächſt aber auch der eines deutſchen Kaiſer- oder Königtums. Der wahre Charakter Deutſchlands werde immer der einer föderativen Republik bleiben müſſen, mit der ſich eine kon- ſtitutionell-monarchiſche Derfaſſung der Einzelſtaaten wohl vertrage. Ein Jahr ſpäter wird dann neuerdings die Ab- lehnung der Kaiſerkrone durch Friedrich Wilhelm IV. bitter beklagt. Beſonders aktuell klingt, was die Breslauer Zei- tung für den reinen Nationalſtaat und den Völkerbund ſchreibt: in Poſen habe nach ihrer Meinung eine Volks- abſtimmung über die Zugehörigkeit der einzelnen Kreiſe zu Polen oder zu Preußen entſcheiden: „In dem Großherzog- tum Poſen laſſen ſich die Grenzen jetzt in ihrer Reinheit nicht herſtellen. Wir werden auch in Zukunft an den Sün- den unſerer Väter zu büßen haben. Aber Polen und Deutſche müſſen dieſe Strafe gemeinſam tragen, denn wir haben gemeinſam geſündigt.“ Natürlich fehlte es nicht an ſcharfem Widerſpruch gegen dieſe rein demokratiſche Polenpolitik, der häufig in „Inſeraten“, d. h. in „Eingeſandten“ zu Worte kam. Aber neben dem unentſchiedenen leitenden Redakteur Dr. Nimbs trat jetzt der entſchloſſene demokratiſche Mit- arbeiter Dr. Julius Stein hervor, der Urheber der heute wieder merkwürdig zeitgemäßen Steinſchen Anträge in der preußiſchen Nationalverſammlung, über die das Miniſterium Auerswald-Hanſemann zu Falle kam. Die Jahre der Reaktion von 1850—1858 brachten na- türlich ein Abflauen des politiſchen Lebens in die Zeitung, aber manchen zeitungstechniſchen Fortſchritt, wie die erſten (Wolffſchen) Depeſchen im Jahre 1850, eine zweite Tages- ausgabe (Mittagsblatt) im Jahre 1853, auch gelegentlich einen journaliſtiſchen Triumph wie die vorſichtige Haltung gegenüber der „Tatarennachricht“ vom Falle Sebaſtopols und die Erhebung der Breslauer Zeitung zum Regierungs- organ. Der neue politiſche Aufſchwung aber wird bezeichnet durch den ſchon erwähnten Uebergang in den Verlag Tre- wendt und die leitende Tätigkeit Dr. Steins vom 1. April 1859 ab. Nun beginnt die Tätigkeit der beſten Federn für die Breslauer Zeitung, von denen nur Julius Rodenberg und Dr. Alexander Meyer genannt ſein mögen. Im übrigen können wir der weiteren Entwicklung der Zeitung an dieſer Stelle leider nicht folgen. Vom Jahre 1896 an, in dem er ſelbſt die Leitung des Blattes übernahm, beſchränkt ſich der jetzige Verleger und Chefredakteur auf einen Ueberblick mit Namen und Daten. Auch dieſe Kapitel ſind ein wert- volles Stück Zeitungs- und Zeitgeſchichte; bis dahin aber iſt das Jubiläumswerk Dr. Alfred Oehlkes das unterhaltendſte und anziehendſte, das jemals geſchrieben worden iſt. Wenn es eine gewaltige Leiſtung iſt, daß ein vielbeſchäftigter Ver- leger und Redakteur ein ſolches Werk ſelber ſchreibt, noch dazu in den Sturmtagen von Krieg und Revolution, ſo iſt ſie hier vortrefflich gelungen. Das Buch iſt durch und durch journaliſtiſch geſchrieben und das iſt ihm — die zünftigen Herren Hiſtoriker mögen verzeihen — ausgezeichnet be- kommen. D … z Kunſt und Literatur Hans Thoma als Dichter. Von Hans Gäfgen. Der große deutſche Maler Hans Thoma iſt auch, was nicht alle wiſſen, ein Meiſter des Wortes, ein Geſtalter der Sprache, dem, was Urwüchſigkeit und Bildhaftigkeit des Ausdruckes an- betrifft, wenige an die Seite zu ſtellen ſind. Seine bei Eugen Diederichs in Jena erſchienenen Proſabücher „Die zwiſchen Zeit und Ewigkeit unſicher flatternde Seele“, „Seeligkeit nach Wirr- wahns Zeit“ und „Zufriedenheit“, ſein Erinnerungsbuch „Im Herbſte des Lebens“ wie das zu ſeinem 80. Geburtstag erſchie- nene Werk „Im Winter des Lebens“ ſind in weitere Kreiſe ein- gedrungen. Weniger bekannt iſt, daß Hans Thoma auch auf lyriſchem Gebiete recht Beachtenswertes geſchaffen hat. Dr. Kurt Karl Eberlein hat es in einem bei Reuß & Itta in Konſtanz er- ſchienenen Bändchen: Hans Thoma „Gedichte und Gedanken“ unternommen, eine Auswahl aus den Gedichten, Tagebuch- blättern und Sprüchen des Meiſters zu treffen. Der Karlsruher Kunſthiſtoriker hat einen feinen, das Weſen Thomas trefflich analyſierenden Aufſatz angefügt, der, ebenſo wie die ſtimmungs- volle Widmung, erweiſt, daß hier eine Hand gewaltet hat, die des Meiſters Schaffen in ſeinen tiefſten Regungen erfaßt und erfüllt hat. Hans Thoma ſelbſt aber überraſcht in den Ge- dichten durch ſeine ſeinem maleriſchen und zeichneriſchen Werk kongeniale Erlebnisinnigkeit. Mit Recht weiſt Eberlein auf die zahlreichen Fäden hin, die ſich zwiſchen dem Meiſter Albrecht Dürer und Hans Thoma ſpannen. In ihrem Empfinden, ihrer Auffaſſung der Welt und ihres Weſens ſind ſich beide innig verwandt. Dürer wie Thoma lieben es, ſich nicht nur mit Pinſel und Zeichenſtift, ſondern auch in Worten mit allem, was ihre Tage durchzieht, auseinanderzuſetzen. Wie ein Fels aus längſt vergangenen Zeiten, da ſich die Welt noch im Geiſte der Meiſter zu vollendeter Harmonie ründete, ſo ſteht Thoma im wirren Strudel der Gegenwart. Schlicht, ungekünſtelt, ohne jede Poſe, mit offenen Augen und offenem Herzen tritt der Künſtler der Natur, die ihm Allmutter des Schaffens iſt, gegen- über; in gleicher Weiſe ſteht der Dichter Thoma der unendlichen Herrlichkeit, dem ewig neuen Erlebnis gegenüber, das ihm Wald, Strom, Tal und Wieſen bedeuten. Ich forſche nicht, ich grüble nicht, Ich glaube nicht Was man mir auch ſage, Mein Leben treib’ ich ruhig hin, Mich kümmert nicht Das Ende meiner Tage.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 19, 16. Mai 1920, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine19_1920/6>, abgerufen am 10.06.2024.