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Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 22. Januar 1929.

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Dienstag, den 22. Januar "AZ am Abend" Nr. 18


Der Sonneburger Zuchthausprozeß
Die Gefangenen mit Tabakspfeife
und Taschenmesser

Die ersten der 21 angeklagten Beamten werden vernommen


In der Kirche
des Sonnenburger Zuchthauses, die proviso-
risch als Gerichtssaal eingerichtet ist, trat
gestern vormittag das Erweiterte Schöffen-
gericht Frankfurt a. d. O. unter dem Vorsitz
des Amtsgerichtsdirektors Wrege zu dem
aufsehenerregenden Prozeß gegen 21 Be-
amte dieser Strafanstalt zusammen. Die
Anklageschrift wirft den angeklagten Be-
amten
Diebstahl, Unterschlagung, Hehlerei und
Verleitung zum Meineid

vor, und zwar im Zusammenhang mit der
in der letzten Zeit vielfach erörterten Ver-
schleuderung von ehemaligem Heeresgut.
Das Gericht beschloß trotz Protestes des Ver-
teidigers Verbindung der Verfahren zu ge-
meinsamer Verhandlung und Entscheidung
und wies die Ablehnung des von der Ver-
teidigung als befangen erklärten Sachver-
ständigen, Staatsanwaltschaftsrat Gnobloch,
als unbegründet zurück.

Als erster der Angeklagten
wurde Hilfswachtmeister Weitel vernom-
men, dem zur Last gelegt wird, daß er sich
Militärkleidungsstücke aus dem Altverwer-
tungsbetrieb durch Vermittlung von Gefan-
genen angeeignet habe. Weitel bestritt, daß
er diese Gegenstände unrechtmäßig erworben
habe. Er soll versucht haben, den Gefange-
nen Pasch zum Meineid zu verleiten, indem
Pasch angeben sollte, daß die von Weitel
[Spaltenumbruch] empfangenen Sachen ordnungsmäßig gebucht
seien.

Während Weitel in seinen Aussagen ziem-
lich unsicher war, bestritten die nach ihm
vernommenen angeklagten Beamten sehr
entschieden und klar jegliches Verschulden,
und zwar setzten sie auseinander, in welcher
Weise die Vorwürfe als
Racheaktion von Gefangenen
zustande gekommen seien.

Hauptwachtmeister Henschke, der 28
Jahre in Sonnenburg war, erklärte: Jm
letzten Jahre herrschte hier eine so zügellose
Führung, daß wir
keine Unterstützung durch den Direktor
fanden. In der Schneiderstube arbeiteten von
32 Leuten nur 7. Als ich ihnen allen Arbeit
zuteilte, da haben sie trotzdem nur das ge-
arbeitet, was ihnen gepaßt hat. Es wurde
auch
heimlich geraucht und Karten gespielt.
Alle unsere Anzeigen an Hauptwachtmeister
Schulz waren vergeblich und gingen in den
Papierkorb.

Hauptwachtmeister Klucke bekundete:
Eine Zeitlang erschienen die Gefangenen zur
Freistunde so, daß sie in der linken Hand
die Tabakspfeife, in der rechten Hand das
Taschenmesser trugen. Direktor Lödecke ist
ja auch schon von einem Gefangenen ver-
wundet worden. Die Verhandlung wird mor-
gen fortgesetzt. (Siehe auch Seite 10.)



Die Langenbacher Berufungsverhandlung
Urteil: Gefängnisstrafe
wird bedingt erlassen

Ausstecken eines Langsamfahrsignals ist versäumt worden


Nachdem die Sach-
verständigen mit ihren Gutachten gehört
worden waren (siehe zunächst S. 10), wurde
auf alle anderen Zeugen verzichtet. Die
Sachverständigen selbst waren sich über die
Ursachen des Eisenbahnunglückes
nicht ganz einig.
Der Staatsanwalt betonte in seinem Plä-
doyer, daß der Angeklagte eine besondere
Vorsicht hätte verwenden müssen, da es sich
um ein unerprobtes Sicherheitsverfahren
handelte. Weiter bestehen zwei Vorschriften,
wonach das Ausstecken eines Langsamfahr-
signals geboten war, weil der Oberbau un-
vollständig war. Er beantragte Aufhebung
des erstinstanziellen Urteils und eine Verur-
teilung zu einer höheren Strafe, nämlich zu
einem Jahr und vier Monaten Gefängnis.
Der Verteidiger plädierte in erster Linie für
Freisprechung, da die Vorschriften für die
Bahnmeistereien nicht eindeutig genug seien
und der Angeklagte von der Zuverlässigkeit
der von ihm angewendeten Sicherheitsmaß-
nahme fest überzeugt war, eventuell bitte
der Verteidiger um mäßige Strafe und be-
dingten Straferlaß.
Das Gericht fällte dann folgendes
Berufungsurteil
Die Berufung des Angeklagten und die des
Staatsanwalts gegen das Urteil des Frei-
singer Schöffengerichts wird verworfen. Der
Angeklagte hat die Kosten seiner Berufung
zu tragen, die Kosten der staatsanwaltschaft-
lichen Berufung werden der Staatskasse
überbürdet. Weiterhin erging Beschluß:
Die durch Anteil vom Schöffengericht
Freising dem Angeklagten auferlegte
Gefängnisstrafe wird bedingt erlassen.

In den Gründen des Urteils heißt es unter
anderem: Das Berufungsgericht hat die
Ueberzeugung, daß der Kasseler Wagen die
Entgleisung nicht herbeigeführt hat, wie die
Sachverständigen festgestellt haben und wie
aus der nach dem Unfall festgestellten Spur
zu schließen war. Weiter war das Gericht
der Ueberzeugung, daß das Entgleisen der
anderen Wagen, wie des Packwagens und
der folgenden Wagen, durch das Heraus-
springen der Spindel verursacht wurde. Bei
der Frage, ob der Angeklagte die Spindel
bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt,
verwenden durfte, kam das Gericht zu der
Auffassung, daß diese Frage zu verneinen
sei. Der Angeklagte hat nicht voraussehen
können, daß die Spindel abspringen werde.
Zum Ausstecken eines Langsamfahr-
siguals sei er aber verpflichtet gewesen.

[Spaltenumbruch] weil es sich um die Anwendung eines uner-
probten Verfahrens handelte. Zumal schrieb
eine Vorschrift das Ausstecken des Signales
vor. Wenn auch das Gericht anerkannte,
daß die betreffende Vorschrift nicht eindeutig
war, so mußte der Angeklagte das Signal
doch ausstecken, weil es sich um ein noch
nicht bewährtes Verfahren handelte, und
weil er von seinem Vorgesetzten den Befehl
dazu bekommen hatte.



Erdrosselt
und aufgehängt
Bestätigtes Todesurteil gegen einen
70jährigen Gattenmörder

Das Schwur-
gericht Lyck hatte am 20. September 1928
den Altbesitzer Johann Sebrowski wegen
Mordes zum Tode verurteilt. Dem 70jähri-
gen Angeklagten war zur Last gelegt, am
15. Mai 1928 seine eigene Frau, mit der er
seit dem Jahre 1914 in zerrütteten Ehever-
hältnissen lebte, ermordet zu haben. Se-
browski leugnet die Tat, gilt aber als über-
führt, seine Frau, der er Beziehungen zu
Soldaten während der Kriegsjahre vorwarf,
von hinten überfallen, gedrosselt und dann
mit einem zurechtgelegten Strick aufgehängt
zu haben. Durch Verwerfung der Revision
durch den zweiten Strafsenat des Reichs-
gerichts, in der in der Hauptsache Verfah-
rensrügen bemängelt wurden, ist das Urteil
somit rechlskräftig geworden.

[Spaltenumbruch]
Amerikaner im Irakgebiet überfallen

Ein Missionar erschossen * 100 Wahabiten im Hinterhalt


Eine Gesellschaft
von vier Amerikanern, die gestern früh im
Automobil von Basra abgefahren waren,
um Kuweit zu besuchen, fielen unterwegs in
einen Wahabitenhinterhalt. Einer der Ame-
rikaner, der Missionar Bilkert, wurde er-
schossen, während die drei anderen unverletzt
blieben. Der Ueberfall wurde von schätzungs-
weise 100 Mann diesseits der Irakgrenze
verübt.

Der erschossene Missionar Bilkert war elf
Jahre lang in der amerikanischen Presby-
terianer-Mission am Persischen Golf tätig
gewesen. Einer der entkommenen Amerikaner
erzählte, die Angreifer hätten sich im Dickicht
versteckt, so daß keiner zu sehen war; auch
habe man keine Pferde oder Kamele wahr-
genommen. Dem Ueberfall wird große poli-
tische Bedeutung beigemessen, da die Stim-
mung der Amerikaner gegen den Wahabiten-
führer Ibn Saud gerichtet ist.



Der jüngste Zuwachs der deutschen Reichsmarine
[Abbildung]

ist das Torpedoboot "Tiger" von der sogenannten Raubtierklasse, das auf der Torpedo-
werft in Wilhelmshaven in Dienst gestellt wurde. Der "Tiger" hat zwei Vorgänger ge-
habt, deren zweiter im Jahre 1914 in Tsingtau von der eigenen Besatzung versenkt
wurde, um ihn nicht in Feindeshand fallen zu lassen.



Anklage gegen Stinnes
Anklageschrift umfaßt 7 Personen

Nach der Anklage-
schrift in der Kriegsanleiheaffäre, die sich
gegen Hugo Stinnes und Genossen richtet,
sind folgende
sieben Personen unter Anklage
gestellt worden: Der Kaufmann Hugo
Stinnes, der Kaufmann Erich Noth-
mann
, der Landwirt Wolf Alexander
von Waldow, der Kaufmann Bela
Grosz aus Wien, der Kaufmann Leon
Hirsch, österreichischer Staatsangehöriger
und der Kaufmann Eugen Hirsch aus
Paris wegen versuchten Betruges, in dem
sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen
das Deutsche Reich um etwa 2 Millionen
Mark schädigen wollten. Ferner ist ange-
klagt der frühere Generaldirektor des
Delphipalastes, Schneid, österreichischer
Staatsangehöriger, wegen Beihilfe zum ver-
suchten Betruge der übrigen Angeklagten.

Rechtsanwalt Dr. Alsberg hat für Hugo
Stinnes eine Erklärungsfrist zur Anklage
von einem Monat beantragt, die vom Ge-
[Spaltenumbruch] richt bewilligt worden ist. Außerdem hat die
Verteidigung von Hugo Stinnes die kommis-
sarische Vernehmung einer [Reihe von Zeu-]
gen im Auslande beantragt. Die Hauptver-
handlung in dieser Staatssache, die unter
Vorsitz von Landgerichtsdirektor Arndt vor
einer Sonderabteilung des Großen Schöffen-
gerichts Berlin-Mitte vor sich gehen wird,
wird
erst im Mai
beginnen.

[irrelevantes Material]


Eine Kindsleiche im Dachsbau
vergraben

Wegen Ver-
dachtes der Abtreibung wurden die Witwe
Steuer und der Arbeiter Berg von hier
zur Anzeige gebracht. Berg hatte nachweis-
lich die Leiche eines sechs Monate alten
Kindes der Witwe Steuer, welches nach
Aussagen von Zeugen gelebt haben soll, in
einem Dachsbau vergraben. Nachgrabungen
durch die Kriminialpolizei waren insofern
von Erfolg, als nur das zum Einhüllen der
Leiche benutzte Papier und Zeuglappen ge-
funden wurden. Die Kindsleiche selbst ist
anscheinend von Füchsen gefressen worden.



Lessing-Geld,
[Abbildung]

Münzen zu 3 und 5 Reichsmark mit dem Kopf des Dichters, wurden zu dessen
200. Geburtstag (22. Januar) geprägt.

[Spaltenumbruch]
Besatzung noch an Bord
Der Dampfer "President Garfield"
wird wieder flottgemach!

Der Kapitän und
die 120 Mann starke Besatzung des Passa-
gierdampfers "President Garfield", der, wie
gemeldet, auf dem Matanilla-Riff auf der
Höhe der Bahama-Insel aufgelaufen war,
sind an Bord geblieben, da sie hoffen, der
Dampfer werde binnen zwei bis drei Tagen
wieder flottgemacht werden können. Von
der Agentur der Schiffahrtsgesellschaft wird
erklärt, der Dampfer sei nur leicht beschä-
digt und es sei nicht nötig gewesen, die
Pumpen in Tätigkeit zu setzen.



Gefängnisstrafen
Das Urteil gegen die Bremer
Nationalsozialisten

Vor dem Schöffen-
gericht wurden die jugendlichen National-
sozialisten, die im August und September
vorigen Jahres Ueberfälle auf deutsche
Staatsbürger jüdischen Glaubens und ver-
sehentlich auch auf den brasilianischen Kon-
sul in Bremen verübt hatten, zu Gefängnis-
strafen von 6 Wochen bis zu 1 Jahr ver-
urteilt. Gegen den Hauptschuldigen Thelen
wurde sofort Haftbefehl erlassen, bei zwei
Jugendlichen wurde auf Strafaussetzung bis
31. Januar 1932 erkannt.

Dienstag, den 22. Januar „AZ am Abend“ Nr. 18


Der Sonneburger Zuchthausprozeß
Die Gefangenen mit Tabakspfeife
und Taſchenmeſſer

Die erſten der 21 angeklagten Beamten werden vernommen


In der Kirche
des Sonnenburger Zuchthauſes, die proviſo-
riſch als Gerichtsſaal eingerichtet iſt, trat
geſtern vormittag das Erweiterte Schöffen-
gericht Frankfurt a. d. O. unter dem Vorſitz
des Amtsgerichtsdirektors Wrege zu dem
aufſehenerregenden Prozeß gegen 21 Be-
amte dieſer Strafanſtalt zuſammen. Die
Anklageſchrift wirft den angeklagten Be-
amten
Diebſtahl, Unterſchlagung, Hehlerei und
Verleitung zum Meineid

vor, und zwar im Zuſammenhang mit der
in der letzten Zeit vielfach erörterten Ver-
ſchleuderung von ehemaligem Heeresgut.
Das Gericht beſchloß trotz Proteſtes des Ver-
teidigers Verbindung der Verfahren zu ge-
meinſamer Verhandlung und Entſcheidung
und wies die Ablehnung des von der Ver-
teidigung als befangen erklärten Sachver-
ſtändigen, Staatsanwaltſchaftsrat Gnobloch,
als unbegründet zurück.

Als erſter der Angeklagten
wurde Hilfswachtmeiſter Weitel vernom-
men, dem zur Laſt gelegt wird, daß er ſich
Militärkleidungsſtücke aus dem Altverwer-
tungsbetrieb durch Vermittlung von Gefan-
genen angeeignet habe. Weitel beſtritt, daß
er dieſe Gegenſtände unrechtmäßig erworben
habe. Er ſoll verſucht haben, den Gefange-
nen Paſch zum Meineid zu verleiten, indem
Paſch angeben ſollte, daß die von Weitel
[Spaltenumbruch] empfangenen Sachen ordnungsmäßig gebucht
ſeien.

Während Weitel in ſeinen Ausſagen ziem-
lich unſicher war, beſtritten die nach ihm
vernommenen angeklagten Beamten ſehr
entſchieden und klar jegliches Verſchulden,
und zwar ſetzten ſie auseinander, in welcher
Weiſe die Vorwürfe als
Racheaktion von Gefangenen
zuſtande gekommen ſeien.

Hauptwachtmeiſter Henſchke, der 28
Jahre in Sonnenburg war, erklärte: Jm
letzten Jahre herrſchte hier eine ſo zügelloſe
Führung, daß wir
keine Unterſtützung durch den Direktor
fanden. In der Schneiderſtube arbeiteten von
32 Leuten nur 7. Als ich ihnen allen Arbeit
zuteilte, da haben ſie trotzdem nur das ge-
arbeitet, was ihnen gepaßt hat. Es wurde
auch
heimlich geraucht und Karten geſpielt.
Alle unſere Anzeigen an Hauptwachtmeiſter
Schulz waren vergeblich und gingen in den
Papierkorb.

Hauptwachtmeiſter Klucke bekundete:
Eine Zeitlang erſchienen die Gefangenen zur
Freiſtunde ſo, daß ſie in der linken Hand
die Tabakspfeife, in der rechten Hand das
Taſchenmeſſer trugen. Direktor Lödecke iſt
ja auch ſchon von einem Gefangenen ver-
wundet worden. Die Verhandlung wird mor-
gen fortgeſetzt. (Siehe auch Seite 10.)



Die Langenbacher Berufungsverhandlung
Urteil: Gefängnisſtrafe
wird bedingt erlaſſen

Ausſtecken eines Langſamfahrſignals iſt verſäumt worden


Nachdem die Sach-
verſtändigen mit ihren Gutachten gehört
worden waren (ſiehe zunächſt S. 10), wurde
auf alle anderen Zeugen verzichtet. Die
Sachverſtändigen ſelbſt waren ſich über die
Urſachen des Eiſenbahnunglückes
nicht ganz einig.
Der Staatsanwalt betonte in ſeinem Plä-
doyer, daß der Angeklagte eine beſondere
Vorſicht hätte verwenden müſſen, da es ſich
um ein unerprobtes Sicherheitsverfahren
handelte. Weiter beſtehen zwei Vorſchriften,
wonach das Ausſtecken eines Langſamfahr-
ſignals geboten war, weil der Oberbau un-
vollſtändig war. Er beantragte Aufhebung
des erſtinſtanziellen Urteils und eine Verur-
teilung zu einer höheren Strafe, nämlich zu
einem Jahr und vier Monaten Gefängnis.
Der Verteidiger plädierte in erſter Linie für
Freiſprechung, da die Vorſchriften für die
Bahnmeiſtereien nicht eindeutig genug ſeien
und der Angeklagte von der Zuverläſſigkeit
der von ihm angewendeten Sicherheitsmaß-
nahme feſt überzeugt war, eventuell bitte
der Verteidiger um mäßige Strafe und be-
dingten Straferlaß.
Das Gericht fällte dann folgendes
Berufungsurteil
Die Berufung des Angeklagten und die des
Staatsanwalts gegen das Urteil des Frei-
ſinger Schöffengerichts wird verworfen. Der
Angeklagte hat die Koſten ſeiner Berufung
zu tragen, die Koſten der ſtaatsanwaltſchaft-
lichen Berufung werden der Staatskaſſe
überbürdet. Weiterhin erging Beſchluß:
Die durch Anteil vom Schöffengericht
Freiſing dem Angeklagten auferlegte
Gefängnisſtrafe wird bedingt erlaſſen.

In den Gründen des Urteils heißt es unter
anderem: Das Berufungsgericht hat die
Ueberzeugung, daß der Kaſſeler Wagen die
Entgleiſung nicht herbeigeführt hat, wie die
Sachverſtändigen feſtgeſtellt haben und wie
aus der nach dem Unfall feſtgeſtellten Spur
zu ſchließen war. Weiter war das Gericht
der Ueberzeugung, daß das Entgleiſen der
anderen Wagen, wie des Packwagens und
der folgenden Wagen, durch das Heraus-
ſpringen der Spindel verurſacht wurde. Bei
der Frage, ob der Angeklagte die Spindel
bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt,
verwenden durfte, kam das Gericht zu der
Auffaſſung, daß dieſe Frage zu verneinen
ſei. Der Angeklagte hat nicht vorausſehen
können, daß die Spindel abſpringen werde.
Zum Ausſtecken eines Langſamfahr-
ſiguals ſei er aber verpflichtet geweſen.

[Spaltenumbruch] weil es ſich um die Anwendung eines uner-
probten Verfahrens handelte. Zumal ſchrieb
eine Vorſchrift das Ausſtecken des Signales
vor. Wenn auch das Gericht anerkannte,
daß die betreffende Vorſchrift nicht eindeutig
war, ſo mußte der Angeklagte das Signal
doch ausſtecken, weil es ſich um ein noch
nicht bewährtes Verfahren handelte, und
weil er von ſeinem Vorgeſetzten den Befehl
dazu bekommen hatte.



Erdroſſelt
und aufgehängt
Beſtätigtes Todesurteil gegen einen
70jährigen Gattenmörder

Das Schwur-
gericht Lyck hatte am 20. September 1928
den Altbeſitzer Johann Sebrowſki wegen
Mordes zum Tode verurteilt. Dem 70jähri-
gen Angeklagten war zur Laſt gelegt, am
15. Mai 1928 ſeine eigene Frau, mit der er
ſeit dem Jahre 1914 in zerrütteten Ehever-
hältniſſen lebte, ermordet zu haben. Se-
browſki leugnet die Tat, gilt aber als über-
führt, ſeine Frau, der er Beziehungen zu
Soldaten während der Kriegsjahre vorwarf,
von hinten überfallen, gedroſſelt und dann
mit einem zurechtgelegten Strick aufgehängt
zu haben. Durch Verwerfung der Reviſion
durch den zweiten Strafſenat des Reichs-
gerichts, in der in der Hauptſache Verfah-
rensrügen bemängelt wurden, iſt das Urteil
ſomit rechlskräftig geworden.

[Spaltenumbruch]
Amerikaner im Irakgebiet überfallen

Ein Miſſionar erſchoſſen * 100 Wahabiten im Hinterhalt


Eine Geſellſchaft
von vier Amerikanern, die geſtern früh im
Automobil von Basra abgefahren waren,
um Kuweit zu beſuchen, fielen unterwegs in
einen Wahabitenhinterhalt. Einer der Ame-
rikaner, der Miſſionar Bilkert, wurde er-
ſchoſſen, während die drei anderen unverletzt
blieben. Der Ueberfall wurde von ſchätzungs-
weiſe 100 Mann diesſeits der Irakgrenze
verübt.

Der erſchoſſene Miſſionar Bilkert war elf
Jahre lang in der amerikaniſchen Presby-
terianer-Miſſion am Perſiſchen Golf tätig
geweſen. Einer der entkommenen Amerikaner
erzählte, die Angreifer hätten ſich im Dickicht
verſteckt, ſo daß keiner zu ſehen war; auch
habe man keine Pferde oder Kamele wahr-
genommen. Dem Ueberfall wird große poli-
tiſche Bedeutung beigemeſſen, da die Stim-
mung der Amerikaner gegen den Wahabiten-
führer Ibn Saud gerichtet iſt.



Der jüngſte Zuwachs der deutſchen Reichsmarine
[Abbildung]

iſt das Torpedoboot „Tiger“ von der ſogenannten Raubtierklaſſe, das auf der Torpedo-
werft in Wilhelmshaven in Dienſt geſtellt wurde. Der „Tiger“ hat zwei Vorgänger ge-
habt, deren zweiter im Jahre 1914 in Tſingtau von der eigenen Beſatzung verſenkt
wurde, um ihn nicht in Feindeshand fallen zu laſſen.



Anklage gegen Stinnes
Anklageſchrift umfaßt 7 Perſonen

Nach der Anklage-
ſchrift in der Kriegsanleiheaffäre, die ſich
gegen Hugo Stinnes und Genoſſen richtet,
ſind folgende
ſieben Perſonen unter Anklage
geſtellt worden: Der Kaufmann Hugo
Stinnes, der Kaufmann Erich Noth-
mann
, der Landwirt Wolf Alexander
von Waldow, der Kaufmann Bela
Grosz aus Wien, der Kaufmann Leon
Hirſch, öſterreichiſcher Staatsangehöriger
und der Kaufmann Eugen Hirſch aus
Paris wegen verſuchten Betruges, in dem
ſie durch Vorſpiegelung falſcher Tatſachen
das Deutſche Reich um etwa 2 Millionen
Mark ſchädigen wollten. Ferner iſt ange-
klagt der frühere Generaldirektor des
Delphipalaſtes, Schneid, öſterreichiſcher
Staatsangehöriger, wegen Beihilfe zum ver-
ſuchten Betruge der übrigen Angeklagten.

Rechtsanwalt Dr. Alsberg hat für Hugo
Stinnes eine Erklärungsfriſt zur Anklage
von einem Monat beantragt, die vom Ge-
[Spaltenumbruch] richt bewilligt worden iſt. Außerdem hat die
Verteidigung von Hugo Stinnes die kommiſ-
ſariſche Vernehmung einer [Reihe von Zeu-]
gen im Auslande beantragt. Die Hauptver-
handlung in dieſer Staatsſache, die unter
Vorſitz von Landgerichtsdirektor Arndt vor
einer Sonderabteilung des Großen Schöffen-
gerichts Berlin-Mitte vor ſich gehen wird,
wird
erſt im Mai
beginnen.

[irrelevantes Material]


Eine Kindsleiche im Dachsbau
vergraben

Wegen Ver-
dachtes der Abtreibung wurden die Witwe
Steuer und der Arbeiter Berg von hier
zur Anzeige gebracht. Berg hatte nachweis-
lich die Leiche eines ſechs Monate alten
Kindes der Witwe Steuer, welches nach
Ausſagen von Zeugen gelebt haben ſoll, in
einem Dachsbau vergraben. Nachgrabungen
durch die Kriminialpolizei waren inſofern
von Erfolg, als nur das zum Einhüllen der
Leiche benutzte Papier und Zeuglappen ge-
funden wurden. Die Kindsleiche ſelbſt iſt
anſcheinend von Füchſen gefreſſen worden.



Leſſing-Geld,
[Abbildung]

Münzen zu 3 und 5 Reichsmark mit dem Kopf des Dichters, wurden zu deſſen
200. Geburtstag (22. Januar) geprägt.

[Spaltenumbruch]
Beſatzung noch an Bord
Der Dampfer „Preſident Garfield“
wird wieder flottgemach!

Der Kapitän und
die 120 Mann ſtarke Beſatzung des Paſſa-
gierdampfers „Preſident Garfield“, der, wie
gemeldet, auf dem Matanilla-Riff auf der
Höhe der Bahama-Inſel aufgelaufen war,
ſind an Bord geblieben, da ſie hoffen, der
Dampfer werde binnen zwei bis drei Tagen
wieder flottgemacht werden können. Von
der Agentur der Schiffahrtsgeſellſchaft wird
erklärt, der Dampfer ſei nur leicht beſchä-
digt und es ſei nicht nötig geweſen, die
Pumpen in Tätigkeit zu ſetzen.



Gefängnisſtrafen
Das Urteil gegen die Bremer
Nationalſozialiſten

Vor dem Schöffen-
gericht wurden die jugendlichen National-
ſozialiſten, die im Auguſt und September
vorigen Jahres Ueberfälle auf deutſche
Staatsbürger jüdiſchen Glaubens und ver-
ſehentlich auch auf den braſilianiſchen Kon-
ſul in Bremen verübt hatten, zu Gefängnis-
ſtrafen von 6 Wochen bis zu 1 Jahr ver-
urteilt. Gegen den Hauptſchuldigen Thelen
wurde ſofort Haftbefehl erlaſſen, bei zwei
Jugendlichen wurde auf Strafausſetzung bis
31. Januar 1932 erkannt.

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[3/0003] Dienstag, den 22. Januar „AZ am Abend“ Nr. 18 Der Sonneburger Zuchthausprozeß Die Gefangenen mit Tabakspfeife und Taſchenmeſſer Die erſten der 21 angeklagten Beamten werden vernommen Sonnenburg, 22. Januar. In der Kirche des Sonnenburger Zuchthauſes, die proviſo- riſch als Gerichtsſaal eingerichtet iſt, trat geſtern vormittag das Erweiterte Schöffen- gericht Frankfurt a. d. O. unter dem Vorſitz des Amtsgerichtsdirektors Wrege zu dem aufſehenerregenden Prozeß gegen 21 Be- amte dieſer Strafanſtalt zuſammen. Die Anklageſchrift wirft den angeklagten Be- amten Diebſtahl, Unterſchlagung, Hehlerei und Verleitung zum Meineid vor, und zwar im Zuſammenhang mit der in der letzten Zeit vielfach erörterten Ver- ſchleuderung von ehemaligem Heeresgut. Das Gericht beſchloß trotz Proteſtes des Ver- teidigers Verbindung der Verfahren zu ge- meinſamer Verhandlung und Entſcheidung und wies die Ablehnung des von der Ver- teidigung als befangen erklärten Sachver- ſtändigen, Staatsanwaltſchaftsrat Gnobloch, als unbegründet zurück. Als erſter der Angeklagten wurde Hilfswachtmeiſter Weitel vernom- men, dem zur Laſt gelegt wird, daß er ſich Militärkleidungsſtücke aus dem Altverwer- tungsbetrieb durch Vermittlung von Gefan- genen angeeignet habe. Weitel beſtritt, daß er dieſe Gegenſtände unrechtmäßig erworben habe. Er ſoll verſucht haben, den Gefange- nen Paſch zum Meineid zu verleiten, indem Paſch angeben ſollte, daß die von Weitel empfangenen Sachen ordnungsmäßig gebucht ſeien. Während Weitel in ſeinen Ausſagen ziem- lich unſicher war, beſtritten die nach ihm vernommenen angeklagten Beamten ſehr entſchieden und klar jegliches Verſchulden, und zwar ſetzten ſie auseinander, in welcher Weiſe die Vorwürfe als Racheaktion von Gefangenen zuſtande gekommen ſeien. Hauptwachtmeiſter Henſchke, der 28 Jahre in Sonnenburg war, erklärte: Jm letzten Jahre herrſchte hier eine ſo zügelloſe Führung, daß wir keine Unterſtützung durch den Direktor fanden. In der Schneiderſtube arbeiteten von 32 Leuten nur 7. Als ich ihnen allen Arbeit zuteilte, da haben ſie trotzdem nur das ge- arbeitet, was ihnen gepaßt hat. Es wurde auch heimlich geraucht und Karten geſpielt. Alle unſere Anzeigen an Hauptwachtmeiſter Schulz waren vergeblich und gingen in den Papierkorb. Hauptwachtmeiſter Klucke bekundete: Eine Zeitlang erſchienen die Gefangenen zur Freiſtunde ſo, daß ſie in der linken Hand die Tabakspfeife, in der rechten Hand das Taſchenmeſſer trugen. Direktor Lödecke iſt ja auch ſchon von einem Gefangenen ver- wundet worden. Die Verhandlung wird mor- gen fortgeſetzt. (Siehe auch Seite 10.) Die Langenbacher Berufungsverhandlung Urteil: Gefängnisſtrafe wird bedingt erlaſſen Ausſtecken eines Langſamfahrſignals iſt verſäumt worden München, 21. Januar. Nachdem die Sach- verſtändigen mit ihren Gutachten gehört worden waren (ſiehe zunächſt S. 10), wurde auf alle anderen Zeugen verzichtet. Die Sachverſtändigen ſelbſt waren ſich über die Urſachen des Eiſenbahnunglückes nicht ganz einig. Der Staatsanwalt betonte in ſeinem Plä- doyer, daß der Angeklagte eine beſondere Vorſicht hätte verwenden müſſen, da es ſich um ein unerprobtes Sicherheitsverfahren handelte. Weiter beſtehen zwei Vorſchriften, wonach das Ausſtecken eines Langſamfahr- ſignals geboten war, weil der Oberbau un- vollſtändig war. Er beantragte Aufhebung des erſtinſtanziellen Urteils und eine Verur- teilung zu einer höheren Strafe, nämlich zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis. Der Verteidiger plädierte in erſter Linie für Freiſprechung, da die Vorſchriften für die Bahnmeiſtereien nicht eindeutig genug ſeien und der Angeklagte von der Zuverläſſigkeit der von ihm angewendeten Sicherheitsmaß- nahme feſt überzeugt war, eventuell bitte der Verteidiger um mäßige Strafe und be- dingten Straferlaß. Das Gericht fällte dann folgendes Berufungsurteil Die Berufung des Angeklagten und die des Staatsanwalts gegen das Urteil des Frei- ſinger Schöffengerichts wird verworfen. Der Angeklagte hat die Koſten ſeiner Berufung zu tragen, die Koſten der ſtaatsanwaltſchaft- lichen Berufung werden der Staatskaſſe überbürdet. Weiterhin erging Beſchluß: Die durch Anteil vom Schöffengericht Freiſing dem Angeklagten auferlegte Gefängnisſtrafe wird bedingt erlaſſen. In den Gründen des Urteils heißt es unter anderem: Das Berufungsgericht hat die Ueberzeugung, daß der Kaſſeler Wagen die Entgleiſung nicht herbeigeführt hat, wie die Sachverſtändigen feſtgeſtellt haben und wie aus der nach dem Unfall feſtgeſtellten Spur zu ſchließen war. Weiter war das Gericht der Ueberzeugung, daß das Entgleiſen der anderen Wagen, wie des Packwagens und der folgenden Wagen, durch das Heraus- ſpringen der Spindel verurſacht wurde. Bei der Frage, ob der Angeklagte die Spindel bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt, verwenden durfte, kam das Gericht zu der Auffaſſung, daß dieſe Frage zu verneinen ſei. Der Angeklagte hat nicht vorausſehen können, daß die Spindel abſpringen werde. Zum Ausſtecken eines Langſamfahr- ſiguals ſei er aber verpflichtet geweſen. weil es ſich um die Anwendung eines uner- probten Verfahrens handelte. Zumal ſchrieb eine Vorſchrift das Ausſtecken des Signales vor. Wenn auch das Gericht anerkannte, daß die betreffende Vorſchrift nicht eindeutig war, ſo mußte der Angeklagte das Signal doch ausſtecken, weil es ſich um ein noch nicht bewährtes Verfahren handelte, und weil er von ſeinem Vorgeſetzten den Befehl dazu bekommen hatte. Erdroſſelt und aufgehängt Beſtätigtes Todesurteil gegen einen 70jährigen Gattenmörder Leipzig, 22. Januar. Das Schwur- gericht Lyck hatte am 20. September 1928 den Altbeſitzer Johann Sebrowſki wegen Mordes zum Tode verurteilt. Dem 70jähri- gen Angeklagten war zur Laſt gelegt, am 15. Mai 1928 ſeine eigene Frau, mit der er ſeit dem Jahre 1914 in zerrütteten Ehever- hältniſſen lebte, ermordet zu haben. Se- browſki leugnet die Tat, gilt aber als über- führt, ſeine Frau, der er Beziehungen zu Soldaten während der Kriegsjahre vorwarf, von hinten überfallen, gedroſſelt und dann mit einem zurechtgelegten Strick aufgehängt zu haben. Durch Verwerfung der Reviſion durch den zweiten Strafſenat des Reichs- gerichts, in der in der Hauptſache Verfah- rensrügen bemängelt wurden, iſt das Urteil ſomit rechlskräftig geworden. Amerikaner im Irakgebiet überfallen Ein Miſſionar erſchoſſen * 100 Wahabiten im Hinterhalt Basra, 22. Januar. Eine Geſellſchaft von vier Amerikanern, die geſtern früh im Automobil von Basra abgefahren waren, um Kuweit zu beſuchen, fielen unterwegs in einen Wahabitenhinterhalt. Einer der Ame- rikaner, der Miſſionar Bilkert, wurde er- ſchoſſen, während die drei anderen unverletzt blieben. Der Ueberfall wurde von ſchätzungs- weiſe 100 Mann diesſeits der Irakgrenze verübt. Der erſchoſſene Miſſionar Bilkert war elf Jahre lang in der amerikaniſchen Presby- terianer-Miſſion am Perſiſchen Golf tätig geweſen. Einer der entkommenen Amerikaner erzählte, die Angreifer hätten ſich im Dickicht verſteckt, ſo daß keiner zu ſehen war; auch habe man keine Pferde oder Kamele wahr- genommen. Dem Ueberfall wird große poli- tiſche Bedeutung beigemeſſen, da die Stim- mung der Amerikaner gegen den Wahabiten- führer Ibn Saud gerichtet iſt. Der jüngſte Zuwachs der deutſchen Reichsmarine [Abbildung iſt das Torpedoboot „Tiger“ von der ſogenannten Raubtierklaſſe, das auf der Torpedo- werft in Wilhelmshaven in Dienſt geſtellt wurde. Der „Tiger“ hat zwei Vorgänger ge- habt, deren zweiter im Jahre 1914 in Tſingtau von der eigenen Beſatzung verſenkt wurde, um ihn nicht in Feindeshand fallen zu laſſen.] Anklage gegen Stinnes Anklageſchrift umfaßt 7 Perſonen Berlin, 22. Januar. Nach der Anklage- ſchrift in der Kriegsanleiheaffäre, die ſich gegen Hugo Stinnes und Genoſſen richtet, ſind folgende ſieben Perſonen unter Anklage geſtellt worden: Der Kaufmann Hugo Stinnes, der Kaufmann Erich Noth- mann, der Landwirt Wolf Alexander von Waldow, der Kaufmann Bela Grosz aus Wien, der Kaufmann Leon Hirſch, öſterreichiſcher Staatsangehöriger und der Kaufmann Eugen Hirſch aus Paris wegen verſuchten Betruges, in dem ſie durch Vorſpiegelung falſcher Tatſachen das Deutſche Reich um etwa 2 Millionen Mark ſchädigen wollten. Ferner iſt ange- klagt der frühere Generaldirektor des Delphipalaſtes, Schneid, öſterreichiſcher Staatsangehöriger, wegen Beihilfe zum ver- ſuchten Betruge der übrigen Angeklagten. Rechtsanwalt Dr. Alsberg hat für Hugo Stinnes eine Erklärungsfriſt zur Anklage von einem Monat beantragt, die vom Ge- richt bewilligt worden iſt. Außerdem hat die Verteidigung von Hugo Stinnes die kommiſ- ſariſche Vernehmung einer Reihe von Zeu- gen im Auslande beantragt. Die Hauptver- handlung in dieſer Staatsſache, die unter Vorſitz von Landgerichtsdirektor Arndt vor einer Sonderabteilung des Großen Schöffen- gerichts Berlin-Mitte vor ſich gehen wird, wird erſt im Mai beginnen. _ Eine Kindsleiche im Dachsbau vergraben Wernigerode, 22. Januar. Wegen Ver- dachtes der Abtreibung wurden die Witwe Steuer und der Arbeiter Berg von hier zur Anzeige gebracht. Berg hatte nachweis- lich die Leiche eines ſechs Monate alten Kindes der Witwe Steuer, welches nach Ausſagen von Zeugen gelebt haben ſoll, in einem Dachsbau vergraben. Nachgrabungen durch die Kriminialpolizei waren inſofern von Erfolg, als nur das zum Einhüllen der Leiche benutzte Papier und Zeuglappen ge- funden wurden. Die Kindsleiche ſelbſt iſt anſcheinend von Füchſen gefreſſen worden. Leſſing-Geld, [Abbildung Münzen zu 3 und 5 Reichsmark mit dem Kopf des Dichters, wurden zu deſſen 200. Geburtstag (22. Januar) geprägt.] Beſatzung noch an Bord Der Dampfer „Preſident Garfield“ wird wieder flottgemach! Neuyork, 22. Januar. Der Kapitän und die 120 Mann ſtarke Beſatzung des Paſſa- gierdampfers „Preſident Garfield“, der, wie gemeldet, auf dem Matanilla-Riff auf der Höhe der Bahama-Inſel aufgelaufen war, ſind an Bord geblieben, da ſie hoffen, der Dampfer werde binnen zwei bis drei Tagen wieder flottgemacht werden können. Von der Agentur der Schiffahrtsgeſellſchaft wird erklärt, der Dampfer ſei nur leicht beſchä- digt und es ſei nicht nötig geweſen, die Pumpen in Tätigkeit zu ſetzen. Gefängnisſtrafen Das Urteil gegen die Bremer Nationalſozialiſten Bremen, 22. Januar. Vor dem Schöffen- gericht wurden die jugendlichen National- ſozialiſten, die im Auguſt und September vorigen Jahres Ueberfälle auf deutſche Staatsbürger jüdiſchen Glaubens und ver- ſehentlich auch auf den braſilianiſchen Kon- ſul in Bremen verübt hatten, zu Gefängnis- ſtrafen von 6 Wochen bis zu 1 Jahr ver- urteilt. Gegen den Hauptſchuldigen Thelen wurde ſofort Haftbefehl erlaſſen, bei zwei Jugendlichen wurde auf Strafausſetzung bis 31. Januar 1932 erkannt.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-01-02T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 22. Januar 1929, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1929/3>, abgerufen am 17.06.2024.