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Allgemeine Zeitung, Nr. 16, 17. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung Nr. 16 Donnerstag, den 17. Januar 1924.
[Spaltenumbruch]

durch riesige Zentralbehörden
verwaltet werden müsse. Die Begriffe Ein-
heitsstaat
und Zentralisation
haben aber in Wirklichkeit gar nichts mit-
einander zu tun. Der Einheitsstaat, d. h.
ein Staat, in dem die wichtigsten Gebiete
des staatlichen Lebens durch die gleichen
Gesetze geregelt werden und in dem eine
einheitliche Vollzugsgewalt besteht, kann
zentralisiert werden, aber das ist keines-
wegs nötig, wie das Beispiel Englands
zeigt, in dem die weitestgehende Selbstver-
waltung herrscht. Die Dezentralisa-
tion
ist in doppelter Weise durchführbar,
einmal dadurch, daß die höchsten Zentral-
stellen des Reiches auf verschiedene Orte
verteilt werden, zweitens dadurch, daß die
Zuständigkeit der mittleren und unteren
Reichsstellen erweitert wird. In ersterer
Hinsicht wurde bei uns ein verheißungs-
voller Anfang damit gemacht, daß als Sitz
des Reichsgerichtes Leipzig, als Sitz des
Reichsfinanzhofs München bestimmt wurde.
Es wäre aber dringend zu wünschen, daß
noch mehr in der Richtung geschähe; denn
es liegt darin eine wertvolle Stärkung des
Reichsgedankens. Es wird dadurch vor
Augen geführt, daß das Reich überall und
nicht nur in Berlin ist. In der Schweiz,
die uns in vielem als Vorbild dienen kann,
ist man auch in gleicher Weise vorgegangen.
In Bern haust der Bundesrat, das Bundes-
gericht ist in Lausanne Zürich ist eidgenössi-
scher Waffenplatz und Sitz des eidgenössi-
schen Polytechnikums. Bedauerlich ist es
auch, daß der Reichstag nicht in Weimar
bleiben konnte; denn es ist gewiß ein Vor-
teil, wenn die gesetzgebende Versammlung
nicht in einer der volkreichsten Städte tagt.
Das hat man auch in den Vereinigten
Staaten richtig empfunden, als man das
ruhige Washington zur Bundeshauptstadt
erwählte. Oft habe ich es von Abgeord-
neten, die schon in der Nationalversamm-
lung saßen, gehört, daß sie die Art der
Arbeit in Weimar als ersprießlicher und
befriedigender empfunden hätten; aber
technische Schwierigkeiten standen Weimar
im Wege und noch unmöglicher wäre es
heutzutage, daß der Reichstag wie in den
Zeiten des alten Reiches bald in dieser, bald
in jener Stadt zusammenträte. Das würde
deutscher Sinnesart, der es ganz fern liegt,
einen einzelnen Ort als Brennpunkt des
nationalen Lebens anzuerkennen, am besten
entsprechen; denn gerade wir Einheits-
freunde sind der Zusammenballung riesiger
Zentralbehörden mit einem Stab von
Tausenden von Beamten durchaus abhold.
Wir wollen, daß der Reichsgedanke in allen,
auch den entferntesten Teilen des Reiches
gleich lebendig wirkt und durch Träger der
Reichsgewalt vertreten wird. Aber gerade
diese Art der Bekämpfung der Zentralisa-
tion ist den Einzelstaatlern nicht einmal er-
wünscht; das erfuhr ich z. B., als mein
Antrag, die Zentralstelle des Arbeitsnach-
weises außerhalb Berlins zu verlegen, nicht
einmal von der Bayerischen Volkspartei
unterstützt wurde.
(Schluß folgt).

[Spaltenumbruch]
Nach der englischen Thronrede
Gegen den Separatismus

In seiner Rede im
Oberhaus verlangte Grey, daß die Alliierten im
Rheinland jede separatistische Bewe-
gung energisch bekämpfen,
die nicht auf
gesetzmäßigem Wege versucht, eine Volksbewe-
gung zu verwirklichen.

In seiner Entgegnung sagte Lord Curzon,
die separatistische Bewegung sei keine Volks-
bewegung,
sondern von wenigen unerfreu-
lichen Elementen der Bevölkerung getragen.
England habe gegen die Anerkennung der Ver-
ordnungen der Pfalzregierung protestiert, weil
die Rheinlandskommission überhaupt nicht
das Recht habe,
zur innerpolitischen Gestal-
tung Deutschlands Stellung zu nehmen, sondern
nur da sei, um über die Sicherheit der Besat-
zungstruppen zu wachen. Frankreichs Wider-
stand gegen eine englische Untersuchung in der
Pfalz durch den zuständigen englischen Konsul
sei unbegreiflich.

Die Aussprache im englischen Unterhaus

Im Unterhaus begann
gestern nachmittags die Debatte über die Thron-
rede. Nachdem für die Konservativen Dr.
Banks und Lord Apsley Erklärungen ab-
gegeben und die Ausführungen der Thronrede
gebilligt hatten, erhob sich der Führer der
Arbeiterpartei, Ramsay Macdo-
nald
. Er erklärte, er begrüße die in der Thron-
rede enthaltenen Aeußerungen über die aus-
wärtige Politik, aber die Lage werde von
Augenblick zu Augenblick ernsthafter, und
es sei dringend notwendig, eine entscheidenere
und wirksamere englische Politik nach außen ein-
zuschlagen. Die Aussicht eines Regierungswech-
sels in England habe mehr Einfluß ausgeübt,
als 12 Monate des Wirkens der gegen-
wärtigen Regierung
.

Wenn England den festen Entschluß habe, dem
Chaos ein Ende zu machen, würde auch eine Än-
derung in der politischen Lage Deutschlands ein-
treten, die gegenwärtig mit der von 1914 zu ver-
gleichen sei.

Zur Frage der Ruhrbesetzung erklärte der Redner:
Vor 12 Monaten sei das englische Kabinett mit der
französischen Ruhrpolitik nicht einverstanden ge-
wesen. Als die englische Regierung von ihren eigenen
Ratgebern erfuhr, daß die Ruhrbesetzung ungesetzlich
war, habe sie sich darauf beschränkt, den Verbündeten
zu sagen: Wenn wir uns auch dem Unternehmen nicht
anschließen, weil wir überzeugt sind, daß ihr unrecht
habt, so hoffen wir doch, daß es auch gelingt Welch
ein Wahnsinn!
England müsse die verschiedenen
Schwierigkeiten die ihm entgegenstehen, überwinden,
um seine Autorität wieder zu gewinnen.

Man müsse um jeden Preis neue Wege in der
Politik
einschlagen und dürfe nicht dulden, daß man
übergangen werde Keine Nation in ganz Europa
werde England beiseite stehen lassen, wenn es aus-
drücklich bekundete, daß es seinem Entschluß Geltung
verschaffen würde. Nach einem Vorwurf über die
unschlüssige Politik nach dem Januar 1923, sowie der
Note über die Ungesetzmäßigkeit der Ruhrbesetzung,
erklärte Macdonald, eine Regierung, die so ungesetz-
liche Politik treibe, habe keinen Anspruch auf das
Vertrauen des Landes

Als nächster Redner verlangte Lloyd George Auf-
schluß über das Tangerabkommen, die rheinische
Abfallbewegung,
sowie über gewisse Abmachungen
der französischen Regierung mit deutschen Finanz-
leuten in der Frage der Kohlengruben. Wenn
unsere Verbündeten die Separatisten gefördert haben,
haben sie damit einen schändlichen Bruch des
Versailler Vertrags
begangen." Es sei mit ge-

nügender Klarheit bewiesen worden, daß Frank-
reich Gelder zur Unterstützung der Abfall-
bewegung verwendet habe
. Wenn die franzö-
sichen Annexionisten mit ihren Plänen Erfolg haben,
werde der europäische Friede bedroht sein und
ein ernster Konflikt sei unvermeidlich

Zum Schluß ergriff noch Premierminister Baldwin
das Wort: In einem Parlament mit drei ungleichen
Parteien, von denen keine ohne die Unterstützung der
beiden anderen Politik machen könne, bestehe das
[Spaltenumbruch] einzige Mittel zur Lösüng dieses Problems darin,
eine Konferenz von Vertretern sämtlicher Parteien
herbeizuführen, ob eine Verständigung über eine
gemeinsame Politik
zu erreichen ist Im Hinblick
an die neuen von der Reparationskommision ernann-
ten Sachverständigenausschüsse bemerkte Bald-
win, daß dieser Ausschuß den ersten wahren Ver-
such zur Erzielung eines Ergebnisses
seit
einem Jahr darstelle. Es sei möglich, daß die fran-
zösische Regierung auf Grund des gegenwärtigen
Meinungsaustausches zur Erkenntnis komme, daß
das ganze Reparationsproblem unverzüglich zur Lösung
gebracht werden müsse. Der rheinisch-westfälische
Separatismus bereite der Regierung lebhafte Be-
sorgnis
. Aus diesem Grunde sei der englische Ver-
treter nach der Pfalz gesandt worden

Zum Schluß erklärte Baldwin unter lebhaftem
Beifall der Konservativen, daß, wenn die Opposition
ihm den Fehdehandschuh hinwerfe, die Regierung
ihn sofort aufnehmen werde.


Die große Tagesordnung
der Arbeiterpartei in Erwiderung der
Thronrede wird dem Unterhaus morgen unter-
breitet werden. Sie wird mit folgenden Worten
schließen:

"Es ist unsere Pflicht, Ew. Majestät mitzu-
teilen, daß Ew. Majestät gegenwärtige Ratgeber
nicht mehr das Vertrauen dieses Hauses be-
sitzen."
Clive bei den Pfälzern

Der englische Gene-
ralkonsul und Botschaftsrat Clive hat dem
Wunsche der pfälzischen Regierung entsprochen
und im Parkhotel in Mannheim, wo er abge-
stiegen war, Vertreter der Pfalz zu einer Aus-
sprache empfangen. Die Aussprache ergab ein
erschütterndes Bild über die Qua-
len
der pfälzischen Bevölkerung unter der sepa-
ratistischen Herrschaft. Einen besonders tiefen
Eindruck machten die Erklärungen eines Arbeiter-
vertreters, daß 99 Prozent der Bevölkerung die
Separatistenherrschaft auf das Einmütigste ver-
urteilen und die unlauteren Elemente, die die
Gewalt an sich gerissen haben, niemals als eine
rechtmäßige Regierung anerkennen werde. Nie
in einem kritischen Zeitpunkt habe die pfälzische
Arbeiterschaft so fest beieinander gestanden, wie
zur Zeit bei der Ablehnung des Separatismus.

Es war ein Augenblick von historischer Bedeu-
tung, als die berufenen Vertreter der Pfalz, der
Bischof von Speyer und der Präsi-
dent der protestantischen Landes-
kirche
durch Erhebung von den Sitzen ihre Zu-
stimmung an folgender Kundgebung gaben:

Die berufensten Vertreter sämtlicher Weltan-
schauungen, aller politischen, wirtschaftlichen und
Berufsverbände der Pfalz erklären dem Herrn
englischen Generalko Konsul Clive als dem Abge-
sandten der Regierung Großbritanniens, daß die
pfälzische Bevölkerung auch unter den fürchter-
lichsten Drangsalen der Gewaltherrschaft der so-
genannten separatistischen Regierung dieser als
einer Horde landfremder, geistig minderwertiger
Elemente niemals folgen werde. Nur
durch die Unterstützung
der Separatisten
durch die französische Besatzungsbehörde
wurde diese Gewaltherrschaft gegen ein wehr-
und waffenloses Volk möglich. Im Namen der
Menschenrechte und der Selbstbestimmung einer
kulturell und wirtschaftlich hochstehenden Bevöl-
kerung von 800 000 treudeutschen Pfälzern bitten
wir den Herrn Vertreter der britischen Nation,
bei seiner Regierung dahin wirken zu wollen,
daß in unserer Pfalz wieder der Rechtsboden der
deutschen und der bayerischen Verfassung im
Versailler Vertrag und im Rheinlandsabkom-
men geschaffen und die pfälzische Bevölkerung
von der separatistischen Tyrannei befreit werde.



Der englische Gene-
ralkonsul Clive hat sich nach Speyer be-
geben, wo er von dem französischen Provinzial-
delegierten, General de Metz, empfangen
wurde. Der Oberdelegierte hatte für diesen Be-
such eine kleine Anzahl Pfälzer eingeladen, von
denen er glaubt, daß sie dem Separatismus
günstig gegenüberstehen.

[Spaltenumbruch]
Für die Einheit des Reiches

Der Provinzialausschuß
der rheinischen Zentrumspartei
hielt hier eine aus allen Teilen der Provinz
außerordentlich zahlreich besuchte Tagung ab.
Der Wille, an der politischen Ein-
heit des Deutschen Reiches unter
allen Umständen festzuhalten,
kam
in der Versammlung stark zum Ausdruck. Zur
Reichsregierung erklärt die Versammlung in
einer einstimmig angenommenen Entschließung
das Vertrauen, daß sie alle Möglichkeiten
ausnutzen wird, um unter Wahrung der
Einheit des Vaterlandes
der Lage des
besetzten Gebietes gerecht zu werden. Die Ver-
sammlung forderte mit Nachdruck die Rückkehr
der Ausgewiesenen und Freilassung der Ge-
fangenen.

Der Entwurf zur 3. Steuernotverordnung

Der vom Reichs-
finanzministerium ausgearbeitete Entwurf
der 3. Steuernotverordnung, in der auch
die Frage der Hypothekenaufwer-
tung
behandelt wird, soll am Donnerstag
dem Reichskabinett zur Beschlußfas-
sung vorgelegt werden.

Der Entwurf weicht von dem ursprüng-
lichen Plan des Reichsfinanzministeriums,
vor allem in der Frage der Hypothekenauf-
wertung, ab. Eine beschränkte und bedingte
Hypothekenaufwertung ist darin vorge-
sehen, wobei aber in den Ausführungsbe-
stimmungen den Ländern sehr weite
Vollmachten gegeben werden.

Diese Aenderung des Entwurfes ist
hauptsächlich auf die Fühlungnahme zurück-
zuführen, die der Reichsfinanzminister bei
seiner Reise nach Süddeutschland mit den
Finanzministern der Einzelländer gehabt
hat.

Zum italienisch-jugoslawischen Uebereinkommen

Die gesamte Presse
begrüßt
das erzielte Einvernehmen
mit Italien
mit freudiger Genugtuung und
spendet der Regierung ungeteilte Anerkennung.
Die Blätter schreiben hierbei der letzten Konfe-
renz der Kleinen Entente zu einem nicht gerin-
gen Teil das Zustandekommen zu. Selbst die
Presse der äußersten Opposition verzeichnet mit
Befriedigung das nunmehrige Ende einer jahre-
langen Spannung zwischen zwei Nachbarvölkern
deren friedliches Zusammenwirken sowohl in po-
litischer als wirtschaftlicher Richtung ein Gebot
der Notwendigkeit sei. Die Lösung in der Fi-
umefrage
sieht u. a. vor, daß der Hafen von
Fiume von Jugoslawien vorläufig 50 Jahre hin-
durch frei benützt werden kann. Fiume selbst
bleibt unter italienischer Verwaltung, ohne daß
jedoch formell eine Annexion ausgesprochen wäre.

Tschechien will Verträge auch mit Italien
und England

Während seiner Bel-
grader Anwesenheit war der tschechische Außen-
minister Dr. Benesch von Pressevertretern über
das tschechisch-französische Bündnis befragt wor-
den. Er erklärte, der Vertrag sei nur eine Folge
der bisherigen tschechischen Außenpolitik zur Auf-
rechterhaltung der durch die Friedensverträge
geschaffenen Lage. Die Tschechoslowakei beab-
sichtige keineswegs die Schaffung eines Konti-
nentalblocks und sei bereit, ähnliche Ver-
träge auch mit England und Ita-
lien
abzuschließen. Gänzlich aus der Luft ge-
griffen sei die Behauptung, daß sich die Tschecho-
slowakei für die französische Ruhrpolitik ver-
pflichtet oder irgendwelche Garantien für die
Einhaltung der Reparationen übernommen habe.



[Spaltenumbruch]
Deplacierte Predigt-Texte

Kurz nach der Kriegserklärung des Jahres 1870
wurde von König Wilhelm von Preußen ein Bet-
und Bußtag ausgeschrieben. Das ist nicht weiter
verwunderlich, vielmehr war es das in solchen
Fällen Altherkömmliche. Verwunderlich war je-
doch der dafür aus dem "Buch der Bücher" aus-
gewählte Predigttext: Jeremia XIV, 7 und 8.
Dieser lautete nämlich:

Ach, Herr, unsere Missetaten ha-
ben's ja verdient;
aber hilf doch um
deines Namens willen, denn unser Ungehor-
sam ist groß, damit wir wider dich gesündigt
haben.
Du bist der Trost Israels und sein Not-
helfer; warum stelltest du dich, als wärest du
ein Gast im Lande, und ein Fremder, der
nur über Nacht drinnen bleibt?

Diese ausgegebene "Parole" erregte vielerorten
Befremden, doch man fügte sich, bis auf den Rek-
tor und Prediger Gittermann in Esens
(Ostfriesland), der Sonntags darauf an dem
Texte und an der von einem seiner dortigen
Herren Amtsbrüder darüber gehaltenen Predigt
öffentlich Kritik übte. Die Strafe dafür blieb
nicht aus: Gittermann wurde kurz darauf seines
Amtes entsetzt und erst nach ein paar Jahren als
Lehrer an der Kgl. Navigationsschule in Leer
wieder angestellt, wo er im Jahre 1892 hoch-
betagt starb. Gerade der beherzte Gittermann
hätte sich aber eigentlich von der (damals in Ost-
friesland neuen) preußischen Regierung anderen
Dank verdient, denn er war der Verfasser jener
Wirdumer Proklamation von 1866, für
die Bismarck in einem längeren Handschreiben
dankte und die später Heinrich v. Treitschke
mit den Worten würdigte: "Die Ersten in Deutsch-
land haben die Ostfriesen den engherzigen
Pariikularismus der Staatenbildung des Wiener
Kongresses durchbrochen und mit mutiger Hand
das politische Band zerrissen, um das nationale,
[Spaltenumbruch] sie an ihr großes deutsches Vaterland knüpfende
Band desto enger zu binden, desto unzerreißbarer
zu befestigen."

Von einem anderen Predigttexte, der durch seine
Verfehltheit berühmt wurde, wird erzählt:
Bald nachdem Stanislaus Lesczynski
zum König von Polen gewählt worden war, be-
gleitete er seinen Gönner, König Karl XII. von
Schweden, im Jahre 1706 bei dessen Einfall in
Sachsen, wo der Schwedenkönig seinen Feldpre-
diger über Hesekiel XXI, 25 und 26 predigen ließ.
Dieser Text enthielt die ominösen, sich gar bald
bewahrheitenden Worte:

Tue weg den Hut und hebe ab die Krone,
denn es wird weder der Hut noch
die Krone bleiben
-- und ich will die
Krone zu nichte, zu nichte, zu nichte machen,
bis der komme, der sie haben soll, dem will
ich sie geben.

In einem dritten derartigen Falle schuf ein
harmloser Schreib- oder Lesefehler einem Prediger
arge Pein. Zur Feier der Krönung König
Friedrich Wilhelms I. von Preußen im
Jahre 1713 war als Predigttext die Stelle
Daniel II, 20 und 21 vorgeschrieben, die sich sehr
wohl für eine solche Gelegenheit eignet. Ein
Geistlicher las aber statt Kapitel II Kapitel 11
und kam dadurch auf folgenden Text:

Und an seiner Statt wird einer aufkom-
men, der wird in königlichen Ehren
sitzen wie ein Scherge,
aber nach
wenig Tagen wird er brechen, doch weder
durch Zorn noch durch Streit. An dessen
Statt wird aufkommen ein Ungeachteter,
welchem die Ehre des Königreichs nicht be-
dacht war; der wird kommen, und wird ihm
gelingen, und das Königreich mit süßen Wor-
ten einnehmen.

Der Pfarrer gab sich zwar alle Mühe, den be-
fremdlichen Text in Einklang mit der Festfeier
zu bringen, allein sein guter Wille scheiterte schon
an den Eingangsworten, und als die Sache dem
König zu Ohren kam, schickte er den Unglücklichen
auf sechs Monate nach Spandau!

[Spaltenumbruch]

Recht kitzlich war auch folgender Fall: Durch
den Frieden von Preßburg vom 26. Dezember
1805 ist Württemberg ansehnlich vergrößert
und zum Königreich erhoben worden. Dem-
gemäß nahm Friedrich II. am 1. Januar 1806
den Königstitel an und ließ in allen Kirchen einen
Dankgottesdienst halten, zu dessen Predigt er selbst
den Text angab, nämlich Psalm XXI, 7 und S:

Du setzest ihn zum Segen ewiglich und
erfreuest ihn mit den Freuden deines Ant-
litzes; denn der König hofft auf den Herrn
und wird durch die Güte des Herrn fest-
bleiben.

Das war ein passender Text für die prote-
stantischen
Pastoren; als aber die katho-
lischen
Pfarrer ihre Bibel aufschlugen, fanden
sie an der angegebenen Stelle zu ihrem Entsetzen
etwas ganz anderes, nämlich folgendes:

Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein
Spott der Leute und Verachtung
des Volkes; alle, die mich sehen,
spotten meiner, sperren das Maul
auf und schütteln den Kopf
.

Darüber ließ sich natürlich nicht predigen. Dem
König war unbekannt geblieben, daß die katholische
und die protestantische Bibel in der Numerierung
der Psalmen sich unterscheiden, so daß der Katholik
in Psalm 22 suchen muß, was der Protestant in
Psalm 21 hat. Das Versehen wurde schleunigst
wieder gut gemacht, aber ganz Württemberg hat
lange über das drollige Mißverhältnis gelacht.

Angst vor Wiener Konkurrenz

Für das kommende Frühjahr
ist bekanntlich der Besuch der Wiener
Staatsoper,
Solisten, Chor, Philharmoniker
mit Richard Strauß und Schalk in London
geplant. Die Nachrichten, ob das Gastspiel zu-
stande kommt oder nicht, wechseln. Kaum scheint
alles geregelt, gibt es neue unerwartete Schwie-
rigkeiten. Die letzte war die Honorierung des
Wiener Chores. Diese schien den Chormitgliedern
wesentlich zu niedrig, Verhandlungen schweben.

[Spaltenumbruch]

Nun ist aber ein neues Hindernis aufgetreten:
die Londoner Orchestermusiker, weit entfernt, sich
auf den Besuch des ersten Orchesters Europas zu
freuen, protestieren. Sie haben ein Gesuch an die
Regierung eingereicht in dem sie bitten, die "Ein-
wanderung" ausländischer Spieler
zu verbieten,
was auch nach dem gegenwär-
tigen Gesetz möglich ist. Seit dem Kriege haben
wir hier nur eine erstklassige Operngesellschaft
gehabt: die British National Opera
Company,
eine kooperative Gesellschaft. Nach
schlechten Zeiten kommt diese nun auf einen grü-
nen Zweig und sieht es natürlich nicht gerne, daß
die Wiener Oper ihnen für den Sommer den
Grund unter den Füßen wegnimmt. Denn wir
haben in London nur ein Opernhaus: Covent
Garden. Es sei hier auch erwähnt, daß die British
National Opera Company deutschen Opern einen
sehr großen Raum in ihrem Repertoire einräumt:
neben dem "Ring", "Tristan" und den "Meister-
singern" gelangen "Rosenkavalier" und "Hänsel
und Gretel" zur regelmäßigen Aufführung.

Die Wiener Orchesterfrage harrt der Lösung!


Arne Garborg, der norwegische Dichter, ist,
73 Jahre alt, in Asker gestorben. Unter den
epischen Dichtern Skandinabiens war er der-
jenige, der neben J. P. Jakobsen und Knut
Hamsum die deutsche naturalistische Literatur um
die Jahrhundertwende am stärksten beeinflußt
hat. Seine Romane, "Bauernstudenten", "Aus
der Männerwelt", "Bei Mama" und "Müde
Seelen" wurden von der damals jungen Poeten-
generation als Offenbarungen eines neuen Kunst-
stils und einer neuen Welt- und Lebensanschau-
ung mit Begeisterung aufgenommen und vielfach
nachgeahmt. Seit zwei Jahrzehnten hörte man
in Deutschland kaum noch etwas von ihm. Ein
neues Geschlecht war herangewachsen, das auch
in der Dichtung neue Pfade einschlug. So wird
es unter den jungen Literaten unserer Tage
manchen geben, der den Namen Arne Garborg
heute zum erstenmal hört. Einen Namen, der
vor einem Menschenalter in aller Munde war
und den man damals für unsterblich hielt.

Allgemeine Zeitung Nr. 16 Donnerstag, den 17. Januar 1924.
[Spaltenumbruch]

durch rieſige Zentralbehörden
verwaltet werden müſſe. Die Begriffe Ein-
heitsſtaat
und Zentraliſation
haben aber in Wirklichkeit gar nichts mit-
einander zu tun. Der Einheitsſtaat, d. h.
ein Staat, in dem die wichtigſten Gebiete
des ſtaatlichen Lebens durch die gleichen
Geſetze geregelt werden und in dem eine
einheitliche Vollzugsgewalt beſteht, kann
zentraliſiert werden, aber das iſt keines-
wegs nötig, wie das Beiſpiel Englands
zeigt, in dem die weiteſtgehende Selbſtver-
waltung herrſcht. Die Dezentraliſa-
tion
iſt in doppelter Weiſe durchführbar,
einmal dadurch, daß die höchſten Zentral-
ſtellen des Reiches auf verſchiedene Orte
verteilt werden, zweitens dadurch, daß die
Zuſtändigkeit der mittleren und unteren
Reichsſtellen erweitert wird. In erſterer
Hinſicht wurde bei uns ein verheißungs-
voller Anfang damit gemacht, daß als Sitz
des Reichsgerichtes Leipzig, als Sitz des
Reichsfinanzhofs München beſtimmt wurde.
Es wäre aber dringend zu wünſchen, daß
noch mehr in der Richtung geſchähe; denn
es liegt darin eine wertvolle Stärkung des
Reichsgedankens. Es wird dadurch vor
Augen geführt, daß das Reich überall und
nicht nur in Berlin iſt. In der Schweiz,
die uns in vielem als Vorbild dienen kann,
iſt man auch in gleicher Weiſe vorgegangen.
In Bern hauſt der Bundesrat, das Bundes-
gericht iſt in Lauſanne Zürich iſt eidgenöſſi-
ſcher Waffenplatz und Sitz des eidgenöſſi-
ſchen Polytechnikums. Bedauerlich iſt es
auch, daß der Reichstag nicht in Weimar
bleiben konnte; denn es iſt gewiß ein Vor-
teil, wenn die geſetzgebende Verſammlung
nicht in einer der volkreichſten Städte tagt.
Das hat man auch in den Vereinigten
Staaten richtig empfunden, als man das
ruhige Waſhington zur Bundeshauptſtadt
erwählte. Oft habe ich es von Abgeord-
neten, die ſchon in der Nationalverſamm-
lung ſaßen, gehört, daß ſie die Art der
Arbeit in Weimar als erſprießlicher und
befriedigender empfunden hätten; aber
techniſche Schwierigkeiten ſtanden Weimar
im Wege und noch unmöglicher wäre es
heutzutage, daß der Reichstag wie in den
Zeiten des alten Reiches bald in dieſer, bald
in jener Stadt zuſammenträte. Das würde
deutſcher Sinnesart, der es ganz fern liegt,
einen einzelnen Ort als Brennpunkt des
nationalen Lebens anzuerkennen, am beſten
entſprechen; denn gerade wir Einheits-
freunde ſind der Zuſammenballung rieſiger
Zentralbehörden mit einem Stab von
Tauſenden von Beamten durchaus abhold.
Wir wollen, daß der Reichsgedanke in allen,
auch den entfernteſten Teilen des Reiches
gleich lebendig wirkt und durch Träger der
Reichsgewalt vertreten wird. Aber gerade
dieſe Art der Bekämpfung der Zentraliſa-
tion iſt den Einzelſtaatlern nicht einmal er-
wünſcht; das erfuhr ich z. B., als mein
Antrag, die Zentralſtelle des Arbeitsnach-
weiſes außerhalb Berlins zu verlegen, nicht
einmal von der Bayeriſchen Volkspartei
unterſtützt wurde.
(Schluß folgt).

[Spaltenumbruch]
Nach der engliſchen Thronrede
Gegen den Separatismus

In ſeiner Rede im
Oberhaus verlangte Grey, daß die Alliierten im
Rheinland jede ſeparatiſtiſche Bewe-
gung energiſch bekämpfen,
die nicht auf
geſetzmäßigem Wege verſucht, eine Volksbewe-
gung zu verwirklichen.

In ſeiner Entgegnung ſagte Lord Curzon,
die ſeparatiſtiſche Bewegung ſei keine Volks-
bewegung,
ſondern von wenigen unerfreu-
lichen Elementen der Bevölkerung getragen.
England habe gegen die Anerkennung der Ver-
ordnungen der Pfalzregierung proteſtiert, weil
die Rheinlandskommiſſion überhaupt nicht
das Recht habe,
zur innerpolitiſchen Geſtal-
tung Deutſchlands Stellung zu nehmen, ſondern
nur da ſei, um über die Sicherheit der Beſat-
zungstruppen zu wachen. Frankreichs Wider-
ſtand gegen eine engliſche Unterſuchung in der
Pfalz durch den zuſtändigen engliſchen Konſul
ſei unbegreiflich.

Die Ausſprache im engliſchen Unterhaus

Im Unterhaus begann
geſtern nachmittags die Debatte über die Thron-
rede. Nachdem für die Konſervativen Dr.
Banks und Lord Apsley Erklärungen ab-
gegeben und die Ausführungen der Thronrede
gebilligt hatten, erhob ſich der Führer der
Arbeiterpartei, Ramſay Macdo-
nald
. Er erklärte, er begrüße die in der Thron-
rede enthaltenen Aeußerungen über die aus-
wärtige Politik, aber die Lage werde von
Augenblick zu Augenblick ernſthafter, und
es ſei dringend notwendig, eine entſcheidenere
und wirkſamere engliſche Politik nach außen ein-
zuſchlagen. Die Ausſicht eines Regierungswech-
ſels in England habe mehr Einfluß ausgeübt,
als 12 Monate des Wirkens der gegen-
wärtigen Regierung
.

Wenn England den feſten Entſchluß habe, dem
Chaos ein Ende zu machen, würde auch eine Än-
derung in der politiſchen Lage Deutſchlands ein-
treten, die gegenwärtig mit der von 1914 zu ver-
gleichen ſei.

Zur Frage der Ruhrbeſetzung erklärte der Redner:
Vor 12 Monaten ſei das engliſche Kabinett mit der
franzöſiſchen Ruhrpolitik nicht einverſtanden ge-
weſen. Als die engliſche Regierung von ihren eigenen
Ratgebern erfuhr, daß die Ruhrbeſetzung ungeſetzlich
war, habe ſie ſich darauf beſchränkt, den Verbündeten
zu ſagen: Wenn wir uns auch dem Unternehmen nicht
anſchließen, weil wir überzeugt ſind, daß ihr unrecht
habt, ſo hoffen wir doch, daß es auch gelingt Welch
ein Wahnſinn!
England müſſe die verſchiedenen
Schwierigkeiten die ihm entgegenſtehen, überwinden,
um ſeine Autorität wieder zu gewinnen.

Man müſſe um jeden Preis neue Wege in der
Politik
einſchlagen und dürfe nicht dulden, daß man
übergangen werde Keine Nation in ganz Europa
werde England beiſeite ſtehen laſſen, wenn es aus-
drücklich bekundete, daß es ſeinem Entſchluß Geltung
verſchaffen würde. Nach einem Vorwurf über die
unſchlüſſige Politik nach dem Januar 1923, ſowie der
Note über die Ungeſetzmäßigkeit der Ruhrbeſetzung,
erklärte Macdonald, eine Regierung, die ſo ungeſetz-
liche Politik treibe, habe keinen Anſpruch auf das
Vertrauen des Landes

Als nächſter Redner verlangte Lloyd George Auf-
ſchluß über das Tangerabkommen, die rheiniſche
Abfallbewegung,
ſowie über gewiſſe Abmachungen
der franzöſiſchen Regierung mit deutſchen Finanz-
leuten in der Frage der Kohlengruben. Wenn
unſere Verbündeten die Separatiſten gefördert haben,
haben ſie damit einen ſchändlichen Bruch des
Verſailler Vertrags
begangen.“ Es ſei mit ge-

nügender Klarheit bewieſen worden, daß Frank-
reich Gelder zur Unterſtützung der Abfall-
bewegung verwendet habe
. Wenn die franzö-
ſichen Annexioniſten mit ihren Plänen Erfolg haben,
werde der europäiſche Friede bedroht ſein und
ein ernſter Konflikt ſei unvermeidlich

Zum Schluß ergriff noch Premierminiſter Baldwin
das Wort: In einem Parlament mit drei ungleichen
Parteien, von denen keine ohne die Unterſtützung der
beiden anderen Politik machen könne, beſtehe das
[Spaltenumbruch] einzige Mittel zur Löſüng dieſes Problems darin,
eine Konferenz von Vertretern ſämtlicher Parteien
herbeizuführen, ob eine Verſtändigung über eine
gemeinſame Politik
zu erreichen iſt Im Hinblick
an die neuen von der Reparationskommiſion ernann-
ten Sachverſtändigenausſchüſſe bemerkte Bald-
win, daß dieſer Ausſchuß den erſten wahren Ver-
ſuch zur Erzielung eines Ergebniſſes
ſeit
einem Jahr darſtelle. Es ſei möglich, daß die fran-
zöſiſche Regierung auf Grund des gegenwärtigen
Meinungsaustauſches zur Erkenntnis komme, daß
das ganze Reparationsproblem unverzüglich zur Löſung
gebracht werden müſſe. Der rheiniſch-weſtfäliſche
Separatismus bereite der Regierung lebhafte Be-
ſorgnis
. Aus dieſem Grunde ſei der engliſche Ver-
treter nach der Pfalz geſandt worden

Zum Schluß erklärte Baldwin unter lebhaftem
Beifall der Konſervativen, daß, wenn die Oppoſition
ihm den Fehdehandſchuh hinwerfe, die Regierung
ihn ſofort aufnehmen werde.


Die große Tagesordnung
der Arbeiterpartei in Erwiderung der
Thronrede wird dem Unterhaus morgen unter-
breitet werden. Sie wird mit folgenden Worten
ſchließen:

„Es iſt unſere Pflicht, Ew. Majeſtät mitzu-
teilen, daß Ew. Majeſtät gegenwärtige Ratgeber
nicht mehr das Vertrauen dieſes Hauſes be-
ſitzen.“
Clive bei den Pfälzern

Der engliſche Gene-
ralkonſul und Botſchaftsrat Clive hat dem
Wunſche der pfälziſchen Regierung entſprochen
und im Parkhotel in Mannheim, wo er abge-
ſtiegen war, Vertreter der Pfalz zu einer Aus-
ſprache empfangen. Die Ausſprache ergab ein
erſchütterndes Bild über die Qua-
len
der pfälziſchen Bevölkerung unter der ſepa-
ratiſtiſchen Herrſchaft. Einen beſonders tiefen
Eindruck machten die Erklärungen eines Arbeiter-
vertreters, daß 99 Prozent der Bevölkerung die
Separatiſtenherrſchaft auf das Einmütigſte ver-
urteilen und die unlauteren Elemente, die die
Gewalt an ſich geriſſen haben, niemals als eine
rechtmäßige Regierung anerkennen werde. Nie
in einem kritiſchen Zeitpunkt habe die pfälziſche
Arbeiterſchaft ſo feſt beieinander geſtanden, wie
zur Zeit bei der Ablehnung des Separatismus.

Es war ein Augenblick von hiſtoriſcher Bedeu-
tung, als die berufenen Vertreter der Pfalz, der
Biſchof von Speyer und der Präſi-
dent der proteſtantiſchen Landes-
kirche
durch Erhebung von den Sitzen ihre Zu-
ſtimmung an folgender Kundgebung gaben:

Die berufenſten Vertreter ſämtlicher Weltan-
ſchauungen, aller politiſchen, wirtſchaftlichen und
Berufsverbände der Pfalz erklären dem Herrn
engliſchen Generalko Konſul Clive als dem Abge-
ſandten der Regierung Großbritanniens, daß die
pfälziſche Bevölkerung auch unter den fürchter-
lichſten Drangſalen der Gewaltherrſchaft der ſo-
genannten ſeparatiſtiſchen Regierung dieſer als
einer Horde landfremder, geiſtig minderwertiger
Elemente niemals folgen werde. Nur
durch die Unterſtützung
der Separatiſten
durch die franzöſiſche Beſatzungsbehörde
wurde dieſe Gewaltherrſchaft gegen ein wehr-
und waffenloſes Volk möglich. Im Namen der
Menſchenrechte und der Selbſtbeſtimmung einer
kulturell und wirtſchaftlich hochſtehenden Bevöl-
kerung von 800 000 treudeutſchen Pfälzern bitten
wir den Herrn Vertreter der britiſchen Nation,
bei ſeiner Regierung dahin wirken zu wollen,
daß in unſerer Pfalz wieder der Rechtsboden der
deutſchen und der bayeriſchen Verfaſſung im
Verſailler Vertrag und im Rheinlandsabkom-
men geſchaffen und die pfälziſche Bevölkerung
von der ſeparatiſtiſchen Tyrannei befreit werde.



Der engliſche Gene-
ralkonſul Clive hat ſich nach Speyer be-
geben, wo er von dem franzöſiſchen Provinzial-
delegierten, General de Metz, empfangen
wurde. Der Oberdelegierte hatte für dieſen Be-
ſuch eine kleine Anzahl Pfälzer eingeladen, von
denen er glaubt, daß ſie dem Separatismus
günſtig gegenüberſtehen.

[Spaltenumbruch]
Für die Einheit des Reiches

Der Provinzialausſchuß
der rheiniſchen Zentrumspartei
hielt hier eine aus allen Teilen der Provinz
außerordentlich zahlreich beſuchte Tagung ab.
Der Wille, an der politiſchen Ein-
heit des Deutſchen Reiches unter
allen Umſtänden feſtzuhalten,
kam
in der Verſammlung ſtark zum Ausdruck. Zur
Reichsregierung erklärt die Verſammlung in
einer einſtimmig angenommenen Entſchließung
das Vertrauen, daß ſie alle Möglichkeiten
ausnutzen wird, um unter Wahrung der
Einheit des Vaterlandes
der Lage des
beſetzten Gebietes gerecht zu werden. Die Ver-
ſammlung forderte mit Nachdruck die Rückkehr
der Ausgewieſenen und Freilaſſung der Ge-
fangenen.

Der Entwurf zur 3. Steuernotverordnung

Der vom Reichs-
finanzminiſterium ausgearbeitete Entwurf
der 3. Steuernotverordnung, in der auch
die Frage der Hypothekenaufwer-
tung
behandelt wird, ſoll am Donnerstag
dem Reichskabinett zur Beſchlußfaſ-
ſung vorgelegt werden.

Der Entwurf weicht von dem urſprüng-
lichen Plan des Reichsfinanzminiſteriums,
vor allem in der Frage der Hypothekenauf-
wertung, ab. Eine beſchränkte und bedingte
Hypothekenaufwertung iſt darin vorge-
ſehen, wobei aber in den Ausführungsbe-
ſtimmungen den Ländern ſehr weite
Vollmachten gegeben werden.

Dieſe Aenderung des Entwurfes iſt
hauptſächlich auf die Fühlungnahme zurück-
zuführen, die der Reichsfinanzminiſter bei
ſeiner Reiſe nach Süddeutſchland mit den
Finanzminiſtern der Einzelländer gehabt
hat.

Zum italieniſch-jugoſlawiſchen Uebereinkommen

Die geſamte Preſſe
begrüßt
das erzielte Einvernehmen
mit Italien
mit freudiger Genugtuung und
ſpendet der Regierung ungeteilte Anerkennung.
Die Blätter ſchreiben hierbei der letzten Konfe-
renz der Kleinen Entente zu einem nicht gerin-
gen Teil das Zuſtandekommen zu. Selbſt die
Preſſe der äußerſten Oppoſition verzeichnet mit
Befriedigung das nunmehrige Ende einer jahre-
langen Spannung zwiſchen zwei Nachbarvölkern
deren friedliches Zuſammenwirken ſowohl in po-
litiſcher als wirtſchaftlicher Richtung ein Gebot
der Notwendigkeit ſei. Die Löſung in der Fi-
umefrage
ſieht u. a. vor, daß der Hafen von
Fiume von Jugoſlawien vorläufig 50 Jahre hin-
durch frei benützt werden kann. Fiume ſelbſt
bleibt unter italieniſcher Verwaltung, ohne daß
jedoch formell eine Annexion ausgeſprochen wäre.

Tſchechien will Verträge auch mit Italien
und England

Während ſeiner Bel-
grader Anweſenheit war der tſchechiſche Außen-
miniſter Dr. Beneſch von Preſſevertretern über
das tſchechiſch-franzöſiſche Bündnis befragt wor-
den. Er erklärte, der Vertrag ſei nur eine Folge
der bisherigen tſchechiſchen Außenpolitik zur Auf-
rechterhaltung der durch die Friedensverträge
geſchaffenen Lage. Die Tſchechoſlowakei beab-
ſichtige keineswegs die Schaffung eines Konti-
nentalblocks und ſei bereit, ähnliche Ver-
träge auch mit England und Ita-
lien
abzuſchließen. Gänzlich aus der Luft ge-
griffen ſei die Behauptung, daß ſich die Tſchecho-
ſlowakei für die franzöſiſche Ruhrpolitik ver-
pflichtet oder irgendwelche Garantien für die
Einhaltung der Reparationen übernommen habe.



[Spaltenumbruch]
Deplacierte Predigt-Texte

Kurz nach der Kriegserklärung des Jahres 1870
wurde von König Wilhelm von Preußen ein Bet-
und Bußtag ausgeſchrieben. Das iſt nicht weiter
verwunderlich, vielmehr war es das in ſolchen
Fällen Altherkömmliche. Verwunderlich war je-
doch der dafür aus dem „Buch der Bücher“ aus-
gewählte Predigttext: Jeremia XIV, 7 und 8.
Dieſer lautete nämlich:

Ach, Herr, unſere Miſſetaten ha-
ben’s ja verdient;
aber hilf doch um
deines Namens willen, denn unſer Ungehor-
ſam iſt groß, damit wir wider dich geſündigt
haben.
Du biſt der Troſt Israels und ſein Not-
helfer; warum ſtellteſt du dich, als wäreſt du
ein Gaſt im Lande, und ein Fremder, der
nur über Nacht drinnen bleibt?

Dieſe ausgegebene „Parole“ erregte vielerorten
Befremden, doch man fügte ſich, bis auf den Rek-
tor und Prediger Gittermann in Eſens
(Oſtfriesland), der Sonntags darauf an dem
Texte und an der von einem ſeiner dortigen
Herren Amtsbrüder darüber gehaltenen Predigt
öffentlich Kritik übte. Die Strafe dafür blieb
nicht aus: Gittermann wurde kurz darauf ſeines
Amtes entſetzt und erſt nach ein paar Jahren als
Lehrer an der Kgl. Navigationsſchule in Leer
wieder angeſtellt, wo er im Jahre 1892 hoch-
betagt ſtarb. Gerade der beherzte Gittermann
hätte ſich aber eigentlich von der (damals in Oſt-
friesland neuen) preußiſchen Regierung anderen
Dank verdient, denn er war der Verfaſſer jener
Wirdumer Proklamation von 1866, für
die Bismarck in einem längeren Handſchreiben
dankte und die ſpäter Heinrich v. Treitſchke
mit den Worten würdigte: „Die Erſten in Deutſch-
land haben die Oſtfrieſen den engherzigen
Pariikularismus der Staatenbildung des Wiener
Kongreſſes durchbrochen und mit mutiger Hand
das politiſche Band zerriſſen, um das nationale,
[Spaltenumbruch] ſie an ihr großes deutſches Vaterland knüpfende
Band deſto enger zu binden, deſto unzerreißbarer
zu befeſtigen.“

Von einem anderen Predigttexte, der durch ſeine
Verfehltheit berühmt wurde, wird erzählt:
Bald nachdem Stanislaus Leſczynski
zum König von Polen gewählt worden war, be-
gleitete er ſeinen Gönner, König Karl XII. von
Schweden, im Jahre 1706 bei deſſen Einfall in
Sachſen, wo der Schwedenkönig ſeinen Feldpre-
diger über Heſekiel XXI, 25 und 26 predigen ließ.
Dieſer Text enthielt die ominöſen, ſich gar bald
bewahrheitenden Worte:

Tue weg den Hut und hebe ab die Krone,
denn es wird weder der Hut noch
die Krone bleiben
— und ich will die
Krone zu nichte, zu nichte, zu nichte machen,
bis der komme, der ſie haben ſoll, dem will
ich ſie geben.

In einem dritten derartigen Falle ſchuf ein
harmloſer Schreib- oder Leſefehler einem Prediger
arge Pein. Zur Feier der Krönung König
Friedrich Wilhelms I. von Preußen im
Jahre 1713 war als Predigttext die Stelle
Daniel II, 20 und 21 vorgeſchrieben, die ſich ſehr
wohl für eine ſolche Gelegenheit eignet. Ein
Geiſtlicher las aber ſtatt Kapitel II Kapitel 11
und kam dadurch auf folgenden Text:

Und an ſeiner Statt wird einer aufkom-
men, der wird in königlichen Ehren
ſitzen wie ein Scherge,
aber nach
wenig Tagen wird er brechen, doch weder
durch Zorn noch durch Streit. An deſſen
Statt wird aufkommen ein Ungeachteter,
welchem die Ehre des Königreichs nicht be-
dacht war; der wird kommen, und wird ihm
gelingen, und das Königreich mit ſüßen Wor-
ten einnehmen.

Der Pfarrer gab ſich zwar alle Mühe, den be-
fremdlichen Text in Einklang mit der Feſtfeier
zu bringen, allein ſein guter Wille ſcheiterte ſchon
an den Eingangsworten, und als die Sache dem
König zu Ohren kam, ſchickte er den Unglücklichen
auf ſechs Monate nach Spandau!

[Spaltenumbruch]

Recht kitzlich war auch folgender Fall: Durch
den Frieden von Preßburg vom 26. Dezember
1805 iſt Württemberg anſehnlich vergrößert
und zum Königreich erhoben worden. Dem-
gemäß nahm Friedrich II. am 1. Januar 1806
den Königstitel an und ließ in allen Kirchen einen
Dankgottesdienſt halten, zu deſſen Predigt er ſelbſt
den Text angab, nämlich Pſalm XXI, 7 und S:

Du ſetzeſt ihn zum Segen ewiglich und
erfreueſt ihn mit den Freuden deines Ant-
litzes; denn der König hofft auf den Herrn
und wird durch die Güte des Herrn feſt-
bleiben.

Das war ein paſſender Text für die prote-
ſtantiſchen
Paſtoren; als aber die katho-
liſchen
Pfarrer ihre Bibel aufſchlugen, fanden
ſie an der angegebenen Stelle zu ihrem Entſetzen
etwas ganz anderes, nämlich folgendes:

Ich bin ein Wurm und kein Menſch, ein
Spott der Leute und Verachtung
des Volkes; alle, die mich ſehen,
ſpotten meiner, ſperren das Maul
auf und ſchütteln den Kopf
.

Darüber ließ ſich natürlich nicht predigen. Dem
König war unbekannt geblieben, daß die katholiſche
und die proteſtantiſche Bibel in der Numerierung
der Pſalmen ſich unterſcheiden, ſo daß der Katholik
in Pſalm 22 ſuchen muß, was der Proteſtant in
Pſalm 21 hat. Das Verſehen wurde ſchleunigſt
wieder gut gemacht, aber ganz Württemberg hat
lange über das drollige Mißverhältnis gelacht.

Angſt vor Wiener Konkurrenz

Für das kommende Frühjahr
iſt bekanntlich der Beſuch der Wiener
Staatsoper,
Soliſten, Chor, Philharmoniker
mit Richard Strauß und Schalk in London
geplant. Die Nachrichten, ob das Gaſtſpiel zu-
ſtande kommt oder nicht, wechſeln. Kaum ſcheint
alles geregelt, gibt es neue unerwartete Schwie-
rigkeiten. Die letzte war die Honorierung des
Wiener Chores. Dieſe ſchien den Chormitgliedern
weſentlich zu niedrig, Verhandlungen ſchweben.

[Spaltenumbruch]

Nun iſt aber ein neues Hindernis aufgetreten:
die Londoner Orcheſtermuſiker, weit entfernt, ſich
auf den Beſuch des erſten Orcheſters Europas zu
freuen, proteſtieren. Sie haben ein Geſuch an die
Regierung eingereicht in dem ſie bitten, die „Ein-
wanderung“ ausländiſcher Spieler
zu verbieten,
was auch nach dem gegenwär-
tigen Geſetz möglich iſt. Seit dem Kriege haben
wir hier nur eine erſtklaſſige Operngeſellſchaft
gehabt: die Britiſh National Opera
Company,
eine kooperative Geſellſchaft. Nach
ſchlechten Zeiten kommt dieſe nun auf einen grü-
nen Zweig und ſieht es natürlich nicht gerne, daß
die Wiener Oper ihnen für den Sommer den
Grund unter den Füßen wegnimmt. Denn wir
haben in London nur ein Opernhaus: Covent
Garden. Es ſei hier auch erwähnt, daß die Britiſh
National Opera Company deutſchen Opern einen
ſehr großen Raum in ihrem Repertoire einräumt:
neben dem „Ring“, „Triſtan“ und den „Meiſter-
ſingern“ gelangen „Roſenkavalier“ und „Hänſel
und Gretel“ zur regelmäßigen Aufführung.

Die Wiener Orcheſterfrage harrt der Löſung!


Arne Garborg, der norwegiſche Dichter, iſt,
73 Jahre alt, in Asker geſtorben. Unter den
epiſchen Dichtern Skandinabiens war er der-
jenige, der neben J. P. Jakobſen und Knut
Hamſum die deutſche naturaliſtiſche Literatur um
die Jahrhundertwende am ſtärkſten beeinflußt
hat. Seine Romane, „Bauernſtudenten“, „Aus
der Männerwelt“, „Bei Mama“ und „Müde
Seelen“ wurden von der damals jungen Poeten-
generation als Offenbarungen eines neuen Kunſt-
ſtils und einer neuen Welt- und Lebensanſchau-
ung mit Begeiſterung aufgenommen und vielfach
nachgeahmt. Seit zwei Jahrzehnten hörte man
in Deutſchland kaum noch etwas von ihm. Ein
neues Geſchlecht war herangewachſen, das auch
in der Dichtung neue Pfade einſchlug. So wird
es unter den jungen Literaten unſerer Tage
manchen geben, der den Namen Arne Garborg
heute zum erſtenmal hört. Einen Namen, der
vor einem Menſchenalter in aller Munde war
und den man damals für unſterblich hielt.

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[2/0002] Allgemeine Zeitung Nr. 16 Donnerstag, den 17. Januar 1924. durch rieſige Zentralbehörden verwaltet werden müſſe. Die Begriffe Ein- heitsſtaat und Zentraliſation haben aber in Wirklichkeit gar nichts mit- einander zu tun. Der Einheitsſtaat, d. h. ein Staat, in dem die wichtigſten Gebiete des ſtaatlichen Lebens durch die gleichen Geſetze geregelt werden und in dem eine einheitliche Vollzugsgewalt beſteht, kann zentraliſiert werden, aber das iſt keines- wegs nötig, wie das Beiſpiel Englands zeigt, in dem die weiteſtgehende Selbſtver- waltung herrſcht. Die Dezentraliſa- tion iſt in doppelter Weiſe durchführbar, einmal dadurch, daß die höchſten Zentral- ſtellen des Reiches auf verſchiedene Orte verteilt werden, zweitens dadurch, daß die Zuſtändigkeit der mittleren und unteren Reichsſtellen erweitert wird. In erſterer Hinſicht wurde bei uns ein verheißungs- voller Anfang damit gemacht, daß als Sitz des Reichsgerichtes Leipzig, als Sitz des Reichsfinanzhofs München beſtimmt wurde. Es wäre aber dringend zu wünſchen, daß noch mehr in der Richtung geſchähe; denn es liegt darin eine wertvolle Stärkung des Reichsgedankens. Es wird dadurch vor Augen geführt, daß das Reich überall und nicht nur in Berlin iſt. In der Schweiz, die uns in vielem als Vorbild dienen kann, iſt man auch in gleicher Weiſe vorgegangen. In Bern hauſt der Bundesrat, das Bundes- gericht iſt in Lauſanne Zürich iſt eidgenöſſi- ſcher Waffenplatz und Sitz des eidgenöſſi- ſchen Polytechnikums. Bedauerlich iſt es auch, daß der Reichstag nicht in Weimar bleiben konnte; denn es iſt gewiß ein Vor- teil, wenn die geſetzgebende Verſammlung nicht in einer der volkreichſten Städte tagt. Das hat man auch in den Vereinigten Staaten richtig empfunden, als man das ruhige Waſhington zur Bundeshauptſtadt erwählte. Oft habe ich es von Abgeord- neten, die ſchon in der Nationalverſamm- lung ſaßen, gehört, daß ſie die Art der Arbeit in Weimar als erſprießlicher und befriedigender empfunden hätten; aber techniſche Schwierigkeiten ſtanden Weimar im Wege und noch unmöglicher wäre es heutzutage, daß der Reichstag wie in den Zeiten des alten Reiches bald in dieſer, bald in jener Stadt zuſammenträte. Das würde deutſcher Sinnesart, der es ganz fern liegt, einen einzelnen Ort als Brennpunkt des nationalen Lebens anzuerkennen, am beſten entſprechen; denn gerade wir Einheits- freunde ſind der Zuſammenballung rieſiger Zentralbehörden mit einem Stab von Tauſenden von Beamten durchaus abhold. Wir wollen, daß der Reichsgedanke in allen, auch den entfernteſten Teilen des Reiches gleich lebendig wirkt und durch Träger der Reichsgewalt vertreten wird. Aber gerade dieſe Art der Bekämpfung der Zentraliſa- tion iſt den Einzelſtaatlern nicht einmal er- wünſcht; das erfuhr ich z. B., als mein Antrag, die Zentralſtelle des Arbeitsnach- weiſes außerhalb Berlins zu verlegen, nicht einmal von der Bayeriſchen Volkspartei unterſtützt wurde. (Schluß folgt). Nach der engliſchen Thronrede Gegen den Separatismus London, 16. Januar. In ſeiner Rede im Oberhaus verlangte Grey, daß die Alliierten im Rheinland jede ſeparatiſtiſche Bewe- gung energiſch bekämpfen, die nicht auf geſetzmäßigem Wege verſucht, eine Volksbewe- gung zu verwirklichen. In ſeiner Entgegnung ſagte Lord Curzon, die ſeparatiſtiſche Bewegung ſei keine Volks- bewegung, ſondern von wenigen unerfreu- lichen Elementen der Bevölkerung getragen. England habe gegen die Anerkennung der Ver- ordnungen der Pfalzregierung proteſtiert, weil die Rheinlandskommiſſion überhaupt nicht das Recht habe, zur innerpolitiſchen Geſtal- tung Deutſchlands Stellung zu nehmen, ſondern nur da ſei, um über die Sicherheit der Beſat- zungstruppen zu wachen. Frankreichs Wider- ſtand gegen eine engliſche Unterſuchung in der Pfalz durch den zuſtändigen engliſchen Konſul ſei unbegreiflich. Die Ausſprache im engliſchen Unterhaus London, 16. Januar. Im Unterhaus begann geſtern nachmittags die Debatte über die Thron- rede. Nachdem für die Konſervativen Dr. Banks und Lord Apsley Erklärungen ab- gegeben und die Ausführungen der Thronrede gebilligt hatten, erhob ſich der Führer der Arbeiterpartei, Ramſay Macdo- nald. Er erklärte, er begrüße die in der Thron- rede enthaltenen Aeußerungen über die aus- wärtige Politik, aber die Lage werde von Augenblick zu Augenblick ernſthafter, und es ſei dringend notwendig, eine entſcheidenere und wirkſamere engliſche Politik nach außen ein- zuſchlagen. Die Ausſicht eines Regierungswech- ſels in England habe mehr Einfluß ausgeübt, als 12 Monate des Wirkens der gegen- wärtigen Regierung. Wenn England den feſten Entſchluß habe, dem Chaos ein Ende zu machen, würde auch eine Än- derung in der politiſchen Lage Deutſchlands ein- treten, die gegenwärtig mit der von 1914 zu ver- gleichen ſei. Zur Frage der Ruhrbeſetzung erklärte der Redner: Vor 12 Monaten ſei das engliſche Kabinett mit der franzöſiſchen Ruhrpolitik nicht einverſtanden ge- weſen. Als die engliſche Regierung von ihren eigenen Ratgebern erfuhr, daß die Ruhrbeſetzung ungeſetzlich war, habe ſie ſich darauf beſchränkt, den Verbündeten zu ſagen: Wenn wir uns auch dem Unternehmen nicht anſchließen, weil wir überzeugt ſind, daß ihr unrecht habt, ſo hoffen wir doch, daß es auch gelingt Welch ein Wahnſinn! England müſſe die verſchiedenen Schwierigkeiten die ihm entgegenſtehen, überwinden, um ſeine Autorität wieder zu gewinnen. Man müſſe um jeden Preis neue Wege in der Politik einſchlagen und dürfe nicht dulden, daß man übergangen werde Keine Nation in ganz Europa werde England beiſeite ſtehen laſſen, wenn es aus- drücklich bekundete, daß es ſeinem Entſchluß Geltung verſchaffen würde. Nach einem Vorwurf über die unſchlüſſige Politik nach dem Januar 1923, ſowie der Note über die Ungeſetzmäßigkeit der Ruhrbeſetzung, erklärte Macdonald, eine Regierung, die ſo ungeſetz- liche Politik treibe, habe keinen Anſpruch auf das Vertrauen des Landes Als nächſter Redner verlangte Lloyd George Auf- ſchluß über das Tangerabkommen, die rheiniſche Abfallbewegung, ſowie über gewiſſe Abmachungen der franzöſiſchen Regierung mit deutſchen Finanz- leuten in der Frage der Kohlengruben. Wenn unſere Verbündeten die Separatiſten gefördert haben, haben ſie damit einen ſchändlichen Bruch des Verſailler Vertrags begangen.“ Es ſei mit ge- nügender Klarheit bewieſen worden, daß Frank- reich Gelder zur Unterſtützung der Abfall- bewegung verwendet habe. Wenn die franzö- ſichen Annexioniſten mit ihren Plänen Erfolg haben, werde der europäiſche Friede bedroht ſein und ein ernſter Konflikt ſei unvermeidlich Zum Schluß ergriff noch Premierminiſter Baldwin das Wort: In einem Parlament mit drei ungleichen Parteien, von denen keine ohne die Unterſtützung der beiden anderen Politik machen könne, beſtehe das einzige Mittel zur Löſüng dieſes Problems darin, eine Konferenz von Vertretern ſämtlicher Parteien herbeizuführen, ob eine Verſtändigung über eine gemeinſame Politik zu erreichen iſt Im Hinblick an die neuen von der Reparationskommiſion ernann- ten Sachverſtändigenausſchüſſe bemerkte Bald- win, daß dieſer Ausſchuß den erſten wahren Ver- ſuch zur Erzielung eines Ergebniſſes ſeit einem Jahr darſtelle. Es ſei möglich, daß die fran- zöſiſche Regierung auf Grund des gegenwärtigen Meinungsaustauſches zur Erkenntnis komme, daß das ganze Reparationsproblem unverzüglich zur Löſung gebracht werden müſſe. Der rheiniſch-weſtfäliſche Separatismus bereite der Regierung lebhafte Be- ſorgnis. Aus dieſem Grunde ſei der engliſche Ver- treter nach der Pfalz geſandt worden Zum Schluß erklärte Baldwin unter lebhaftem Beifall der Konſervativen, daß, wenn die Oppoſition ihm den Fehdehandſchuh hinwerfe, die Regierung ihn ſofort aufnehmen werde. London, 16. Januar. Die große Tagesordnung der Arbeiterpartei in Erwiderung der Thronrede wird dem Unterhaus morgen unter- breitet werden. Sie wird mit folgenden Worten ſchließen: „Es iſt unſere Pflicht, Ew. Majeſtät mitzu- teilen, daß Ew. Majeſtät gegenwärtige Ratgeber nicht mehr das Vertrauen dieſes Hauſes be- ſitzen.“ Clive bei den Pfälzern Mannheim, 16. Januar. Der engliſche Gene- ralkonſul und Botſchaftsrat Clive hat dem Wunſche der pfälziſchen Regierung entſprochen und im Parkhotel in Mannheim, wo er abge- ſtiegen war, Vertreter der Pfalz zu einer Aus- ſprache empfangen. Die Ausſprache ergab ein erſchütterndes Bild über die Qua- len der pfälziſchen Bevölkerung unter der ſepa- ratiſtiſchen Herrſchaft. Einen beſonders tiefen Eindruck machten die Erklärungen eines Arbeiter- vertreters, daß 99 Prozent der Bevölkerung die Separatiſtenherrſchaft auf das Einmütigſte ver- urteilen und die unlauteren Elemente, die die Gewalt an ſich geriſſen haben, niemals als eine rechtmäßige Regierung anerkennen werde. Nie in einem kritiſchen Zeitpunkt habe die pfälziſche Arbeiterſchaft ſo feſt beieinander geſtanden, wie zur Zeit bei der Ablehnung des Separatismus. Es war ein Augenblick von hiſtoriſcher Bedeu- tung, als die berufenen Vertreter der Pfalz, der Biſchof von Speyer und der Präſi- dent der proteſtantiſchen Landes- kirche durch Erhebung von den Sitzen ihre Zu- ſtimmung an folgender Kundgebung gaben: Die berufenſten Vertreter ſämtlicher Weltan- ſchauungen, aller politiſchen, wirtſchaftlichen und Berufsverbände der Pfalz erklären dem Herrn engliſchen Generalko Konſul Clive als dem Abge- ſandten der Regierung Großbritanniens, daß die pfälziſche Bevölkerung auch unter den fürchter- lichſten Drangſalen der Gewaltherrſchaft der ſo- genannten ſeparatiſtiſchen Regierung dieſer als einer Horde landfremder, geiſtig minderwertiger Elemente niemals folgen werde. Nur durch die Unterſtützung der Separatiſten durch die franzöſiſche Beſatzungsbehörde wurde dieſe Gewaltherrſchaft gegen ein wehr- und waffenloſes Volk möglich. Im Namen der Menſchenrechte und der Selbſtbeſtimmung einer kulturell und wirtſchaftlich hochſtehenden Bevöl- kerung von 800 000 treudeutſchen Pfälzern bitten wir den Herrn Vertreter der britiſchen Nation, bei ſeiner Regierung dahin wirken zu wollen, daß in unſerer Pfalz wieder der Rechtsboden der deutſchen und der bayeriſchen Verfaſſung im Verſailler Vertrag und im Rheinlandsabkom- men geſchaffen und die pfälziſche Bevölkerung von der ſeparatiſtiſchen Tyrannei befreit werde. Mannheim, 16. Januar. Der engliſche Gene- ralkonſul Clive hat ſich nach Speyer be- geben, wo er von dem franzöſiſchen Provinzial- delegierten, General de Metz, empfangen wurde. Der Oberdelegierte hatte für dieſen Be- ſuch eine kleine Anzahl Pfälzer eingeladen, von denen er glaubt, daß ſie dem Separatismus günſtig gegenüberſtehen. Für die Einheit des Reiches Köln, 16. Januar. Der Provinzialausſchuß der rheiniſchen Zentrumspartei hielt hier eine aus allen Teilen der Provinz außerordentlich zahlreich beſuchte Tagung ab. Der Wille, an der politiſchen Ein- heit des Deutſchen Reiches unter allen Umſtänden feſtzuhalten, kam in der Verſammlung ſtark zum Ausdruck. Zur Reichsregierung erklärt die Verſammlung in einer einſtimmig angenommenen Entſchließung das Vertrauen, daß ſie alle Möglichkeiten ausnutzen wird, um unter Wahrung der Einheit des Vaterlandes der Lage des beſetzten Gebietes gerecht zu werden. Die Ver- ſammlung forderte mit Nachdruck die Rückkehr der Ausgewieſenen und Freilaſſung der Ge- fangenen. Der Entwurf zur 3. Steuernotverordnung * Berlin, 16. Januar. Der vom Reichs- finanzminiſterium ausgearbeitete Entwurf der 3. Steuernotverordnung, in der auch die Frage der Hypothekenaufwer- tung behandelt wird, ſoll am Donnerstag dem Reichskabinett zur Beſchlußfaſ- ſung vorgelegt werden. Der Entwurf weicht von dem urſprüng- lichen Plan des Reichsfinanzminiſteriums, vor allem in der Frage der Hypothekenauf- wertung, ab. Eine beſchränkte und bedingte Hypothekenaufwertung iſt darin vorge- ſehen, wobei aber in den Ausführungsbe- ſtimmungen den Ländern ſehr weite Vollmachten gegeben werden. Dieſe Aenderung des Entwurfes iſt hauptſächlich auf die Fühlungnahme zurück- zuführen, die der Reichsfinanzminiſter bei ſeiner Reiſe nach Süddeutſchland mit den Finanzminiſtern der Einzelländer gehabt hat. Zum italieniſch-jugoſlawiſchen Uebereinkommen Belgrad, 16. Januar. Die geſamte Preſſe begrüßt das erzielte Einvernehmen mit Italien mit freudiger Genugtuung und ſpendet der Regierung ungeteilte Anerkennung. Die Blätter ſchreiben hierbei der letzten Konfe- renz der Kleinen Entente zu einem nicht gerin- gen Teil das Zuſtandekommen zu. Selbſt die Preſſe der äußerſten Oppoſition verzeichnet mit Befriedigung das nunmehrige Ende einer jahre- langen Spannung zwiſchen zwei Nachbarvölkern deren friedliches Zuſammenwirken ſowohl in po- litiſcher als wirtſchaftlicher Richtung ein Gebot der Notwendigkeit ſei. Die Löſung in der Fi- umefrage ſieht u. a. vor, daß der Hafen von Fiume von Jugoſlawien vorläufig 50 Jahre hin- durch frei benützt werden kann. Fiume ſelbſt bleibt unter italieniſcher Verwaltung, ohne daß jedoch formell eine Annexion ausgeſprochen wäre. Tſchechien will Verträge auch mit Italien und England Belgrad, 16. Januar. Während ſeiner Bel- grader Anweſenheit war der tſchechiſche Außen- miniſter Dr. Beneſch von Preſſevertretern über das tſchechiſch-franzöſiſche Bündnis befragt wor- den. Er erklärte, der Vertrag ſei nur eine Folge der bisherigen tſchechiſchen Außenpolitik zur Auf- rechterhaltung der durch die Friedensverträge geſchaffenen Lage. Die Tſchechoſlowakei beab- ſichtige keineswegs die Schaffung eines Konti- nentalblocks und ſei bereit, ähnliche Ver- träge auch mit England und Ita- lien abzuſchließen. Gänzlich aus der Luft ge- griffen ſei die Behauptung, daß ſich die Tſchecho- ſlowakei für die franzöſiſche Ruhrpolitik ver- pflichtet oder irgendwelche Garantien für die Einhaltung der Reparationen übernommen habe. Deplacierte Predigt-Texte Von Dr. Johannes Kleinpaul Kurz nach der Kriegserklärung des Jahres 1870 wurde von König Wilhelm von Preußen ein Bet- und Bußtag ausgeſchrieben. Das iſt nicht weiter verwunderlich, vielmehr war es das in ſolchen Fällen Altherkömmliche. Verwunderlich war je- doch der dafür aus dem „Buch der Bücher“ aus- gewählte Predigttext: Jeremia XIV, 7 und 8. Dieſer lautete nämlich: Ach, Herr, unſere Miſſetaten ha- ben’s ja verdient; aber hilf doch um deines Namens willen, denn unſer Ungehor- ſam iſt groß, damit wir wider dich geſündigt haben. Du biſt der Troſt Israels und ſein Not- helfer; warum ſtellteſt du dich, als wäreſt du ein Gaſt im Lande, und ein Fremder, der nur über Nacht drinnen bleibt? Dieſe ausgegebene „Parole“ erregte vielerorten Befremden, doch man fügte ſich, bis auf den Rek- tor und Prediger Gittermann in Eſens (Oſtfriesland), der Sonntags darauf an dem Texte und an der von einem ſeiner dortigen Herren Amtsbrüder darüber gehaltenen Predigt öffentlich Kritik übte. Die Strafe dafür blieb nicht aus: Gittermann wurde kurz darauf ſeines Amtes entſetzt und erſt nach ein paar Jahren als Lehrer an der Kgl. Navigationsſchule in Leer wieder angeſtellt, wo er im Jahre 1892 hoch- betagt ſtarb. Gerade der beherzte Gittermann hätte ſich aber eigentlich von der (damals in Oſt- friesland neuen) preußiſchen Regierung anderen Dank verdient, denn er war der Verfaſſer jener Wirdumer Proklamation von 1866, für die Bismarck in einem längeren Handſchreiben dankte und die ſpäter Heinrich v. Treitſchke mit den Worten würdigte: „Die Erſten in Deutſch- land haben die Oſtfrieſen den engherzigen Pariikularismus der Staatenbildung des Wiener Kongreſſes durchbrochen und mit mutiger Hand das politiſche Band zerriſſen, um das nationale, ſie an ihr großes deutſches Vaterland knüpfende Band deſto enger zu binden, deſto unzerreißbarer zu befeſtigen.“ Von einem anderen Predigttexte, der durch ſeine Verfehltheit berühmt wurde, wird erzählt: Bald nachdem Stanislaus Leſczynski zum König von Polen gewählt worden war, be- gleitete er ſeinen Gönner, König Karl XII. von Schweden, im Jahre 1706 bei deſſen Einfall in Sachſen, wo der Schwedenkönig ſeinen Feldpre- diger über Heſekiel XXI, 25 und 26 predigen ließ. Dieſer Text enthielt die ominöſen, ſich gar bald bewahrheitenden Worte: Tue weg den Hut und hebe ab die Krone, denn es wird weder der Hut noch die Krone bleiben — und ich will die Krone zu nichte, zu nichte, zu nichte machen, bis der komme, der ſie haben ſoll, dem will ich ſie geben. In einem dritten derartigen Falle ſchuf ein harmloſer Schreib- oder Leſefehler einem Prediger arge Pein. Zur Feier der Krönung König Friedrich Wilhelms I. von Preußen im Jahre 1713 war als Predigttext die Stelle Daniel II, 20 und 21 vorgeſchrieben, die ſich ſehr wohl für eine ſolche Gelegenheit eignet. Ein Geiſtlicher las aber ſtatt Kapitel II Kapitel 11 und kam dadurch auf folgenden Text: Und an ſeiner Statt wird einer aufkom- men, der wird in königlichen Ehren ſitzen wie ein Scherge, aber nach wenig Tagen wird er brechen, doch weder durch Zorn noch durch Streit. An deſſen Statt wird aufkommen ein Ungeachteter, welchem die Ehre des Königreichs nicht be- dacht war; der wird kommen, und wird ihm gelingen, und das Königreich mit ſüßen Wor- ten einnehmen. Der Pfarrer gab ſich zwar alle Mühe, den be- fremdlichen Text in Einklang mit der Feſtfeier zu bringen, allein ſein guter Wille ſcheiterte ſchon an den Eingangsworten, und als die Sache dem König zu Ohren kam, ſchickte er den Unglücklichen auf ſechs Monate nach Spandau! Recht kitzlich war auch folgender Fall: Durch den Frieden von Preßburg vom 26. Dezember 1805 iſt Württemberg anſehnlich vergrößert und zum Königreich erhoben worden. Dem- gemäß nahm Friedrich II. am 1. Januar 1806 den Königstitel an und ließ in allen Kirchen einen Dankgottesdienſt halten, zu deſſen Predigt er ſelbſt den Text angab, nämlich Pſalm XXI, 7 und S: Du ſetzeſt ihn zum Segen ewiglich und erfreueſt ihn mit den Freuden deines Ant- litzes; denn der König hofft auf den Herrn und wird durch die Güte des Herrn feſt- bleiben. Das war ein paſſender Text für die prote- ſtantiſchen Paſtoren; als aber die katho- liſchen Pfarrer ihre Bibel aufſchlugen, fanden ſie an der angegebenen Stelle zu ihrem Entſetzen etwas ganz anderes, nämlich folgendes: Ich bin ein Wurm und kein Menſch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volkes; alle, die mich ſehen, ſpotten meiner, ſperren das Maul auf und ſchütteln den Kopf. Darüber ließ ſich natürlich nicht predigen. Dem König war unbekannt geblieben, daß die katholiſche und die proteſtantiſche Bibel in der Numerierung der Pſalmen ſich unterſcheiden, ſo daß der Katholik in Pſalm 22 ſuchen muß, was der Proteſtant in Pſalm 21 hat. Das Verſehen wurde ſchleunigſt wieder gut gemacht, aber ganz Württemberg hat lange über das drollige Mißverhältnis gelacht. Angſt vor Wiener Konkurrenz London, 11. Jan. Für das kommende Frühjahr iſt bekanntlich der Beſuch der Wiener Staatsoper, Soliſten, Chor, Philharmoniker mit Richard Strauß und Schalk in London geplant. Die Nachrichten, ob das Gaſtſpiel zu- ſtande kommt oder nicht, wechſeln. Kaum ſcheint alles geregelt, gibt es neue unerwartete Schwie- rigkeiten. Die letzte war die Honorierung des Wiener Chores. Dieſe ſchien den Chormitgliedern weſentlich zu niedrig, Verhandlungen ſchweben. Nun iſt aber ein neues Hindernis aufgetreten: die Londoner Orcheſtermuſiker, weit entfernt, ſich auf den Beſuch des erſten Orcheſters Europas zu freuen, proteſtieren. Sie haben ein Geſuch an die Regierung eingereicht in dem ſie bitten, die „Ein- wanderung“ ausländiſcher Spieler zu verbieten, was auch nach dem gegenwär- tigen Geſetz möglich iſt. Seit dem Kriege haben wir hier nur eine erſtklaſſige Operngeſellſchaft gehabt: die Britiſh National Opera Company, eine kooperative Geſellſchaft. Nach ſchlechten Zeiten kommt dieſe nun auf einen grü- nen Zweig und ſieht es natürlich nicht gerne, daß die Wiener Oper ihnen für den Sommer den Grund unter den Füßen wegnimmt. Denn wir haben in London nur ein Opernhaus: Covent Garden. Es ſei hier auch erwähnt, daß die Britiſh National Opera Company deutſchen Opern einen ſehr großen Raum in ihrem Repertoire einräumt: neben dem „Ring“, „Triſtan“ und den „Meiſter- ſingern“ gelangen „Roſenkavalier“ und „Hänſel und Gretel“ zur regelmäßigen Aufführung. Die Wiener Orcheſterfrage harrt der Löſung! Dr. G. A. Pfister. Arne Garborg, der norwegiſche Dichter, iſt, 73 Jahre alt, in Asker geſtorben. Unter den epiſchen Dichtern Skandinabiens war er der- jenige, der neben J. P. Jakobſen und Knut Hamſum die deutſche naturaliſtiſche Literatur um die Jahrhundertwende am ſtärkſten beeinflußt hat. Seine Romane, „Bauernſtudenten“, „Aus der Männerwelt“, „Bei Mama“ und „Müde Seelen“ wurden von der damals jungen Poeten- generation als Offenbarungen eines neuen Kunſt- ſtils und einer neuen Welt- und Lebensanſchau- ung mit Begeiſterung aufgenommen und vielfach nachgeahmt. Seit zwei Jahrzehnten hörte man in Deutſchland kaum noch etwas von ihm. Ein neues Geſchlecht war herangewachſen, das auch in der Dichtung neue Pfade einſchlug. So wird es unter den jungen Literaten unſerer Tage manchen geben, der den Namen Arne Garborg heute zum erſtenmal hört. Einen Namen, der vor einem Menſchenalter in aller Munde war und den man damals für unſterblich hielt.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-12-19T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 16, 17. Januar 1924, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine16_1924/2>, abgerufen am 10.06.2024.