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Allgemeine Zeitung, Nr. 169, 17. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] Rhein und die Alpen zu nennen beliebt, und die angeblich durch die verhaßten Ver-
träge von 1815 geraubt seyn sollen. Aber die Zerreißung der Verträge von 1815
würde ihm nicht die sogenannten "natürlichen Gränzen" verschaffen. Es besaß ja
diese Gränzen weder i. J. 1790 noch in irgendeiner frühern Periode seiner Ge-
schichte. Indem er seine Politik durch persönliche Begegnungen zu sördern sucht, tritt
Louis Napoleon genau in die Fußstapfen seines Oheims. Aber die Präcedentien sind
weder nach der einen noch nach der andern Seite hin ermuthigend. Keines der
alten Geschäfte hat gute Frucht getragen. Und um von der neuesten Zeit zu spre-
chen, so hat Frankreich durch die Einverleibung von Nizza und Savoyen mehr ver-
loren als gewonnen. Dieser Anschluß war die erste Ursache der Unpepularität deren
sich der französische Handelsvertrag bei den Engländern erfreut. Sie haben gesun-
den daß er mit England einen commerciellen, gleichzeitig aber mit einem andern
Staat einen uncommerciellen Vertrag zu schließen versteht, und mit 600,000 Mann
auf den Beinen nach wie vor beren ist für eine seiner "Ideen" in den Krieg zu
zieben. Schließlich erinnert die Times daran was das Ende all der beispiellosen
Triumphe des ersten Napoleon gewesen, und wie, nach dem Zeugniß des Napoleonischeu
Geschichtschreibers, Hrn. Thiers, selber, Frankreich i. J. 1815 "sich im Zustand des
Ruins befand, noch bevor ein einziges Bataillon der Alliirten den Rhein über-
schritten hatte."
Frankreich.

Wenn noch ein Zweifel über die Absichten des zweiten Decembers gegen
Dentschland bestände, so würde ihn die neue Broschüre Edmond Abouts heben.
Daß der Autor, welcher durch seine Briefe im Moniteur die römische Frage
vorbereitete, welcher vom Figaro offen als Regierungspamphletist wieder-
holt angegriffen ward, auch hier im Auftrage gehandelt hat, kann nur jemand
bezweifeln der absichtlich die Deutschen über die Gefahr täuschen will welche
unsere Unabhängigkeit und Freiheit bedroht. Es kann dieß nur jemand be-
haupten welcher die vollständige Abhängigkeit der Presse in Frankreich von
der Regierung nicht kennt. Wer aber nicht ganz blind gegen die Erfahrungen
der Vergangenheit ist, wer sich der Mittel erinnert mit welchen der zweite
December die Verwicklungen vorzubereiten pflegt, der kann sich keiner Täu-
schung mehr hingeben. Für "die deutsche Frage" soll die About'sche Bro-
schüre das seyn was "le pape et le congres" für die italienische war. Uns
ist der Inhalt der bezüglichen Broschüre bis jetzt nur aus der nachstehenden
Correspondenz und aus dem Artikel bekannt welchen die L. C. darüber bringt.
Dieser lautet: "Wir sind in der Lage von der neuen Broschüre des Hrn.
About "Kaiser Napoleon III und Preußen" eine kurze Analyse mitzutheilen.
Hr. About versichert im Eingange seiner Schrift daß Frankreich die größten
Sympathien für Deutschland, sein Volk, seine Philosophie, seine Litteratur,
seine Kunst habe, und keinen Nationalhaß mehr besitze. Frankreichs Freund-
schaft aber habe einen gewissen Werth; denn es helfe seinen Freunden nicht
mehr mit Kammergeschwätz und Kindergeschrei in den Straßen, sondern durch
Thaten; das habe es in der Krim, an der Donau und in Italien bewiesen.
Wenn sich hier eine Nation von 26 Millionen bilde, so werde Frankreich nichts
dawider haben und seine Sonderinteressen dem allgemeinen Wohl und dem
Frieden opfern; denn die europäische Ordnung werde erst dann feststehen
wenn es keine unterdrückten Nationalitäten, noch für ihre Völker unerträg-
lichen Könige mehr gäbe. Dann folgen ein paar Seiten Banalitäten über die
deutschen Einheitsbestrebungen, vermischt mit Schmeicheleien über die Er-
hebung von 1813. Hr. About versichert: Frankreich habe keinen sehnliche-
ren und glühenderen Wunsch als Deutschland einig zu sehen; denn es liebe
Deutschland mit uneigennütziger Freundschaft. Frankreich fürchte kein Ita-
lien mit 26 Millionen Einwohnern; es werde auch keine 32 Millionen
Deutsche fürchten. Zwei große Staaten machen Anspruch darauf die deutsche
Einheit zu gründen, Oesterreich und Preußen. Ersteres habe in Deutsch-
land keine andern Sympathien als die der kleinen Fürsten und der Junker.
Preußen dagegen personificire die deutsche Nation, und wenn es in Deutschland
die Rolle Piemonts spielen wolle, so würde ihm die ganze Nation den Weg bahnen.
Der Prinz-Regent sey jetzt das Centrum der Einheitsbewegung geworden, und
es sey zu hoffen daß die Fürsten sich Preußen unterordnen, und somit Deutsch-
land ohne einen Blutstropfen zu vergießen einigen werden. Gegen ein preu-
ßisches Deutschland mit 32 Millionen Einwohnern werde die Diplomatie
nichts einzuwenden haben. Der Prinz-Regent müsse die Bewegung aber
unterstützen, und sich ganz für das populäre Princip, das allgemeine Stimm-
recht als die Basis des Staatsrechts erklären. Er müsse sich zum Testaments-
vollstrecker des Parlaments von 1849 machen, wie die Napoleons die Testa-
mentsvollstrecker der französischen Revolution seyen. Hr. About vergleicht
nun die französische Verfassung und die preußische Verfassung, und findet
daß man gut thue letztere zu modificiren, sowie auch die Presse und die Kam-
mern von herausfordernden Reden gegen Frankreich abzuhalten. Trotz aller
Herausforderungen werde letzteres indessen seine Rolle nicht aufgeben; es sey
zu großmüthig und zu gerecht um das Gebiet einer fremden Nationalität er-
obern zu wollen. Zu diesen freundschaftlichen Betrachtungen will Hr. About
noch einen guten Rath hinzusügen, welcher die preußische Bureaukratie betreffe.
Er bringt dann einen Auszug aus der Interpellation des polnischen Abgeord-
neten Niegolewski, und schließt mit folgenden Worten: "Jedermann weiß
heute daß, wenn Orsini's verbrecherischer Versuch gelungen wäre, er den künf-
tigen Befreier Italiens ermordet und seinem Lande mehr böses als gutes
gethan hätte. Man kann ebenfalls sagen daß, wenn die HH. v. Puttkammer,
v. Bärensprung und Post, ohne böse Absicht und in Folge eines unverständi-
gen Eifers, einen andern Orsini erweckt hätten, sie Preußen eines sehr nütz-
lichen Bundesgenossen beranbt hätten, welcher vielleicht berusen ist ihm große
Dienste zu erweisen, vorausgesetzt daß es ihm ein bißchen entgegenkommt." --
[Spaltenumbruch] Der Titel der Broschüre soll umgeändert werden, und "Preußen im Jahre
1860" lauten. -- Die Kleindeutschen können aus diesem Artikel wenig-
stens erkennen welche Wirkung ihre Bestrebungen auf den zweiten December
haben. Er betrachtet sie offenbar als seine stille Bundesgenossen. Das sich
einigende Italien hat bereits ziemlich beträchtliche Anzahlungen auf seine
Einigkeit hin machen müssen; das linksrheinische Land wäre das mindeste
womit sich Louis Napoleon bei den deutschen Unionisten begnügen würde.
Was der Feind wünscht, das muß unsern Interessen feindlich seyn; das ist ein
Grundsatz. Die Kleindeutschen erhalten so den indirecten Beweis wie sehr sie
die Interessen Deutschlands verkannt haben; wie gerade sie es sind welche
den zweiten December veranlassen so rasch "die deutsche Frage" zu studieren.
Die About'sche Broschüre wird unter allen Umständen die Wirkung haben die
öffentliche Meinung in Frankeich auf die "deutsche Frage" hinzulenken, sie
mit dem Gedanken vertraut zu machen daß Louis Napoleon sie demnächst in
Angriff nehmen werde, daß ihre Lösung leicht sey, da es in Deutsch-
land eine Partei gebe, die den Planen des zweiten Decembers in
die Hände arbeiten werde, wie die Italianissimi in Italien. Wenn
die öffentliche Meinung sich an diesen Gedanken gewöhnt, so ist
schon außerordentlich viel für den zweiten December gewonnen. Der Krieg
gegen Deutschland ist dann kein ungewohnter Gedanke mehr, er überrascht
niemanden. Die Einheit Italiens hat Frankreich bereits Savoyen und Nizza
eingebracht, Ligurien und die Insel Sardinien winken in nächster Nähe. Das
Annexionsfest hat den Franzosen deutlich den Gewinn zu Gemüthe führen
müssen. Für "das legitime Uebergewicht Frankreichs" sind sie
alle empfänglich, und das Rheinland wird ihnen jedenfalls noch lockender
erscheinen als Savoyen und Nizza. Der zweite December empfiehlt für die
Lösung der deutschen Frage an das allgemeine Stimmrecht zu appelliren, und in
der Handhabung dieses Mittels hat er jedenfalls seine Proben abgelegt. Es
fragt sich ob man es in Köln nicht darauf ankommen lassen will, und vielleicht
darnach trachtet zu beweisen daß bei einer Localisirung des Kriegs am Rhein
die Deutschen an der Donau kein Interesse an der Betheiligung am Krieg
haben. Doch vergessen wir das Geschehene, und wenn wir an frühere Irr-
thümmer erinnern, so ist's nur um dazu beizutragen daß sie jetzt vermieden
werden. Die Deutschen haben auf die "Deutsche Frage" nur eine Antwort:
sie liegt im Handeln, nicht im Reden. Das deutsche Volk muß sich organisi-
ren, freilich nicht um zu debattiren und zu discutiren, sondern um alle Mittel
zur Vertheidigung zu treffen, oder dafür zu sorgen daß sie getroffen werden,
welche vor allem ins Auge gefaßt werden müssen. Wir müssen den Fran-
zosen die Ueberzeugung beibringen daß sie auf den einigen, entschlossenen,
vorbereiteten Widerstand des ganzen dentschen Volkes treffen werden. Aber
freilich das Handeln kommt den Deutschen schwer an, er debattirt lieber, und
uns sollte es gar nicht wundern wenn Kleindeutschland vorschlüge eine neue
Auflage des Frankfurter Parlaments zu berufen, denn was ist für die deutsche
Träumerei unmöglich! Wir können nur täglich wiederholen: gegenüber der äu-
ßern Gefahr müssen alle innern Fragen schweigen. Am Tag vor der Schlacht darf
man Organisationsfragen nicht einmal berühren, nicht einmal Zweifel daran er-
wecken ob man mit den bestehenden Formen auskommen könne. Wir müssen unter
allen Umständen damit auskommen, und es geht wenn nur einigermaßen der
ernstliche Wille vorhanden keinen Augenblick Zeit zu verlieren und sich auf das
Aeußerstevorzubereiten. Nach dem Siege mag man ändern. Vorallem ist jeder
Pessimismus vom Uebel, denn jede auch nur vorübergehende Niederlage würde
nicht bloß uns fremder Gewalt, sondern auch der Corruption unterwerfen,
und wir würden so, wenn wir endlich das fremde Joch in Folge seiner
Unerträglichkeit abgeschüttelt, machtlos und ohnmächtig seyn, und die
Periode nach 1814 noch einmal durchleben müssen. Wir dürfen deßhalb um
unserer innern Entwicklung willen nicht unsere Kräfte vollständig verbrauchen
um dem äußern Gegner siegreich zu widerstehen, wir dürfen keinen Augen-
blick über die Sicherheit des Erfolgs zweifelhaft seyn. Die Rüstungen können
in diesem Sinn kaum zu weit getrieben werden, sie sparen uns nicht bloß
Kraft und Geld, sondern sie sichern allein die Sicherheit äußerer Entwicklung.

Kein Mensch hält es für möglich daß die am
Tag der Abreise des Kaisers nach Baden-Baden (heute) erschienene Broschüre
"Preußen im Jahr 1860" eine Privatspeculation des Hrn. E. About sey.
Er und die Regierung stehen zu einander auf so freundlichem, vertraulichem
Fuß, daß ein Wink, ein Wunsch, ein Bankbille genügt hätten das Erscheinen
jener Broschüre zu verhindern oder bis zu einer minder unpassenden Gelegen-
heit zu verschieben. Zum Ueberfluß ist sie auch im Ton eines Eingeweihten
gehalten, welcher auf höchsten Befehl schreibt. Es ist daher begreiflich daß
das Publicum aus ihr die Ueberzeugung schöpft der Kaiser befinde sich in Baden-
Baden um den Prinz-Regenten zum Cavourismus zu bekehren, nöthigenfalls
ihn dazu zu pressen. So grimmig ist noch keine Regierung und keine Dynastie in
einer inspirirten, officiösen Flugschrift beschimpft worden als die preußische in
der des E. About, welcher erst gestern Abends veranlaßt wurde den Titel Preu-
ßen
und Napoleon III abzuändern. Hr. E. About beschuldigt die preußi-
sche Polizei sie habe einen zweiten Orsini anzuwerben gesucht. Wäre es ihr
gelungen, sagter, so hätte sie Preußen um einen nützlichen Alliirten beraubt, wel-

[Spaltenumbruch] Rhein und die Alpen zu nennen beliebt, und die angeblich durch die verhaßten Ver-
träge von 1815 geraubt ſeyn ſollen. Aber die Zerreißung der Verträge von 1815
würde ihm nicht die ſogenannten „natürlichen Gränzen“ verſchaffen. Es beſaß ja
dieſe Gränzen weder i. J. 1790 noch in irgendeiner frühern Periode ſeiner Ge-
ſchichte. Indem er ſeine Politik durch perſönliche Begegnungen zu ſördern ſucht, tritt
Louis Napoleon genau in die Fußſtapfen ſeines Oheims. Aber die Präcedentien ſind
weder nach der einen noch nach der andern Seite hin ermuthigend. Keines der
alten Geſchäfte hat gute Frucht getragen. Und um von der neueſten Zeit zu ſpre-
chen, ſo hat Frankreich durch die Einverleibung von Nizza und Savoyen mehr ver-
loren als gewonnen. Dieſer Anſchluß war die erſte Urſache der Unpepularität deren
ſich der franzöſiſche Handelsvertrag bei den Engländern erfreut. Sie haben geſun-
den daß er mit England einen commerciellen, gleichzeitig aber mit einem andern
Staat einen uncommerciellen Vertrag zu ſchließen verſteht, und mit 600,000 Mann
auf den Beinen nach wie vor beren iſt für eine ſeiner „Ideen“ in den Krieg zu
zieben. Schließlich erinnert die Times daran was das Ende all der beiſpielloſen
Triumphe des erſten Napoleon geweſen, und wie, nach dem Zeugniß des Napoleoniſcheu
Geſchichtſchreibers, Hrn. Thiers, ſelber, Frankreich i. J. 1815 „ſich im Zuſtand des
Ruins befand, noch bevor ein einziges Bataillon der Alliirten den Rhein über-
ſchritten hatte.“
Frankreich.

Wenn noch ein Zweifel über die Abſichten des zweiten Decembers gegen
Dentſchland beſtände, ſo würde ihn die neue Broſchüre Edmond Abouts heben.
Daß der Autor, welcher durch ſeine Briefe im Moniteur die römiſche Frage
vorbereitete, welcher vom Figaro offen als Regierungspamphletiſt wieder-
holt angegriffen ward, auch hier im Auftrage gehandelt hat, kann nur jemand
bezweifeln der abſichtlich die Deutſchen über die Gefahr täuſchen will welche
unſere Unabhängigkeit und Freiheit bedroht. Es kann dieß nur jemand be-
haupten welcher die vollſtändige Abhängigkeit der Preſſe in Frankreich von
der Regierung nicht kennt. Wer aber nicht ganz blind gegen die Erfahrungen
der Vergangenheit iſt, wer ſich der Mittel erinnert mit welchen der zweite
December die Verwicklungen vorzubereiten pflegt, der kann ſich keiner Täu-
ſchung mehr hingeben. Für „die deutſche Frage“ ſoll die About’ſche Bro-
ſchüre das ſeyn was „le pape et le congrès“ für die italieniſche war. Uns
iſt der Inhalt der bezüglichen Broſchüre bis jetzt nur aus der nachſtehenden
Correſpondenz und aus dem Artikel bekannt welchen die L. C. darüber bringt.
Dieſer lautet: „Wir ſind in der Lage von der neuen Broſchüre des Hrn.
About „Kaiſer Napoleon III und Preußen“ eine kurze Analyſe mitzutheilen.
Hr. About verſichert im Eingange ſeiner Schrift daß Frankreich die größten
Sympathien für Deutſchland, ſein Volk, ſeine Philoſophie, ſeine Litteratur,
ſeine Kunſt habe, und keinen Nationalhaß mehr beſitze. Frankreichs Freund-
ſchaft aber habe einen gewiſſen Werth; denn es helfe ſeinen Freunden nicht
mehr mit Kammergeſchwätz und Kindergeſchrei in den Straßen, ſondern durch
Thaten; das habe es in der Krim, an der Donau und in Italien bewieſen.
Wenn ſich hier eine Nation von 26 Millionen bilde, ſo werde Frankreich nichts
dawider haben und ſeine Sonderintereſſen dem allgemeinen Wohl und dem
Frieden opfern; denn die europäiſche Ordnung werde erſt dann feſtſtehen
wenn es keine unterdrückten Nationalitäten, noch für ihre Völker unerträg-
lichen Könige mehr gäbe. Dann folgen ein paar Seiten Banalitäten über die
deutſchen Einheitsbeſtrebungen, vermiſcht mit Schmeicheleien über die Er-
hebung von 1813. Hr. About verſichert: Frankreich habe keinen ſehnliche-
ren und glühenderen Wunſch als Deutſchland einig zu ſehen; denn es liebe
Deutſchland mit uneigennütziger Freundſchaft. Frankreich fürchte kein Ita-
lien mit 26 Millionen Einwohnern; es werde auch keine 32 Millionen
Deutſche fürchten. Zwei große Staaten machen Anſpruch darauf die deutſche
Einheit zu gründen, Oeſterreich und Preußen. Erſteres habe in Deutſch-
land keine andern Sympathien als die der kleinen Fürſten und der Junker.
Preußen dagegen perſonificire die deutſche Nation, und wenn es in Deutſchland
die Rolle Piemonts ſpielen wolle, ſo würde ihm die ganze Nation den Weg bahnen.
Der Prinz-Regent ſey jetzt das Centrum der Einheitsbewegung geworden, und
es ſey zu hoffen daß die Fürſten ſich Preußen unterordnen, und ſomit Deutſch-
land ohne einen Blutstropfen zu vergießen einigen werden. Gegen ein preu-
ßiſches Deutſchland mit 32 Millionen Einwohnern werde die Diplomatie
nichts einzuwenden haben. Der Prinz-Regent müſſe die Bewegung aber
unterſtützen, und ſich ganz für das populäre Princip, das allgemeine Stimm-
recht als die Baſis des Staatsrechts erklären. Er müſſe ſich zum Teſtaments-
vollſtrecker des Parlaments von 1849 machen, wie die Napoleons die Teſta-
mentsvollſtrecker der franzöſiſchen Revolution ſeyen. Hr. About vergleicht
nun die franzöſiſche Verfaſſung und die preußiſche Verfaſſung, und findet
daß man gut thue letztere zu modificiren, ſowie auch die Preſſe und die Kam-
mern von herausfordernden Reden gegen Frankreich abzuhalten. Trotz aller
Herausforderungen werde letzteres indeſſen ſeine Rolle nicht aufgeben; es ſey
zu großmüthig und zu gerecht um das Gebiet einer fremden Nationalität er-
obern zu wollen. Zu dieſen freundſchaftlichen Betrachtungen will Hr. About
noch einen guten Rath hinzuſügen, welcher die preußiſche Bureaukratie betreffe.
Er bringt dann einen Auszug aus der Interpellation des polniſchen Abgeord-
neten Niegolewski, und ſchließt mit folgenden Worten: „Jedermann weiß
heute daß, wenn Orſini’s verbrecheriſcher Verſuch gelungen wäre, er den künf-
tigen Befreier Italiens ermordet und ſeinem Lande mehr böſes als gutes
gethan hätte. Man kann ebenfalls ſagen daß, wenn die HH. v. Puttkammer,
v. Bärenſprung und Poſt, ohne böſe Abſicht und in Folge eines unverſtändi-
gen Eifers, einen andern Orſini erweckt hätten, ſie Preußen eines ſehr nütz-
lichen Bundesgenoſſen beranbt hätten, welcher vielleicht beruſen iſt ihm große
Dienſte zu erweiſen, vorausgeſetzt daß es ihm ein bißchen entgegenkommt.“ —
[Spaltenumbruch] Der Titel der Broſchüre ſoll umgeändert werden, und „Preußen im Jahre
1860“ lauten. — Die Kleindeutſchen können aus dieſem Artikel wenig-
ſtens erkennen welche Wirkung ihre Beſtrebungen auf den zweiten December
haben. Er betrachtet ſie offenbar als ſeine ſtille Bundesgenoſſen. Das ſich
einigende Italien hat bereits ziemlich beträchtliche Anzahlungen auf ſeine
Einigkeit hin machen müſſen; das linksrheiniſche Land wäre das mindeſte
womit ſich Louis Napoleon bei den deutſchen Unioniſten begnügen würde.
Was der Feind wünſcht, das muß unſern Intereſſen feindlich ſeyn; das iſt ein
Grundſatz. Die Kleindeutſchen erhalten ſo den indirecten Beweis wie ſehr ſie
die Intereſſen Deutſchlands verkannt haben; wie gerade ſie es ſind welche
den zweiten December veranlaſſen ſo raſch „die deutſche Frage“ zu ſtudieren.
Die About’ſche Broſchüre wird unter allen Umſtänden die Wirkung haben die
öffentliche Meinung in Frankeich auf die „deutſche Frage“ hinzulenken, ſie
mit dem Gedanken vertraut zu machen daß Louis Napoleon ſie demnächſt in
Angriff nehmen werde, daß ihre Löſung leicht ſey, da es in Deutſch-
land eine Partei gebe, die den Planen des zweiten Decembers in
die Hände arbeiten werde, wie die Italianiſſimi in Italien. Wenn
die öffentliche Meinung ſich an dieſen Gedanken gewöhnt, ſo iſt
ſchon außerordentlich viel für den zweiten December gewonnen. Der Krieg
gegen Deutſchland iſt dann kein ungewohnter Gedanke mehr, er überraſcht
niemanden. Die Einheit Italiens hat Frankreich bereits Savoyen und Nizza
eingebracht, Ligurien und die Inſel Sardinien winken in nächſter Nähe. Das
Annexionsfeſt hat den Franzoſen deutlich den Gewinn zu Gemüthe führen
müſſen. Für „das legitime Uebergewicht Frankreichs“ ſind ſie
alle empfänglich, und das Rheinland wird ihnen jedenfalls noch lockender
erſcheinen als Savoyen und Nizza. Der zweite December empfiehlt für die
Löſung der deutſchen Frage an das allgemeine Stimmrecht zu appelliren, und in
der Handhabung dieſes Mittels hat er jedenfalls ſeine Proben abgelegt. Es
fragt ſich ob man es in Köln nicht darauf ankommen laſſen will, und vielleicht
darnach trachtet zu beweiſen daß bei einer Localiſirung des Kriegs am Rhein
die Deutſchen an der Donau kein Intereſſe an der Betheiligung am Krieg
haben. Doch vergeſſen wir das Geſchehene, und wenn wir an frühere Irr-
thümmer erinnern, ſo iſt’s nur um dazu beizutragen daß ſie jetzt vermieden
werden. Die Deutſchen haben auf die „Deutſche Frage“ nur eine Antwort:
ſie liegt im Handeln, nicht im Reden. Das deutſche Volk muß ſich organiſi-
ren, freilich nicht um zu debattiren und zu discutiren, ſondern um alle Mittel
zur Vertheidigung zu treffen, oder dafür zu ſorgen daß ſie getroffen werden,
welche vor allem ins Auge gefaßt werden müſſen. Wir müſſen den Fran-
zoſen die Ueberzeugung beibringen daß ſie auf den einigen, entſchloſſenen,
vorbereiteten Widerſtand des ganzen dentſchen Volkes treffen werden. Aber
freilich das Handeln kommt den Deutſchen ſchwer an, er debattirt lieber, und
uns ſollte es gar nicht wundern wenn Kleindeutſchland vorſchlüge eine neue
Auflage des Frankfurter Parlaments zu berufen, denn was iſt für die deutſche
Träumerei unmöglich! Wir können nur täglich wiederholen: gegenüber der äu-
ßern Gefahr müſſen alle innern Fragen ſchweigen. Am Tag vor der Schlacht darf
man Organiſationsfragen nicht einmal berühren, nicht einmal Zweifel daran er-
wecken ob man mit den beſtehenden Formen auskommen könne. Wir müſſen unter
allen Umſtänden damit auskommen, und es geht wenn nur einigermaßen der
ernſtliche Wille vorhanden keinen Augenblick Zeit zu verlieren und ſich auf das
Aeußerſtevorzubereiten. Nach dem Siege mag man ändern. Vorallem iſt jeder
Peſſimismus vom Uebel, denn jede auch nur vorübergehende Niederlage würde
nicht bloß uns fremder Gewalt, ſondern auch der Corruption unterwerfen,
und wir würden ſo, wenn wir endlich das fremde Joch in Folge ſeiner
Unerträglichkeit abgeſchüttelt, machtlos und ohnmächtig ſeyn, und die
Periode nach 1814 noch einmal durchleben müſſen. Wir dürfen deßhalb um
unſerer innern Entwicklung willen nicht unſere Kräfte vollſtändig verbrauchen
um dem äußern Gegner ſiegreich zu widerſtehen, wir dürfen keinen Augen-
blick über die Sicherheit des Erfolgs zweifelhaft ſeyn. Die Rüſtungen können
in dieſem Sinn kaum zu weit getrieben werden, ſie ſparen uns nicht bloß
Kraft und Geld, ſondern ſie ſichern allein die Sicherheit äußerer Entwicklung.

Kein Menſch hält es für möglich daß die am
Tag der Abreiſe des Kaiſers nach Baden-Baden (heute) erſchienene Broſchüre
„Preußen im Jahr 1860“ eine Privatſpeculation des Hrn. E. About ſey.
Er und die Regierung ſtehen zu einander auf ſo freundlichem, vertraulichem
Fuß, daß ein Wink, ein Wunſch, ein Bankbille genügt hätten das Erſcheinen
jener Broſchüre zu verhindern oder bis zu einer minder unpaſſenden Gelegen-
heit zu verſchieben. Zum Ueberfluß iſt ſie auch im Ton eines Eingeweihten
gehalten, welcher auf höchſten Befehl ſchreibt. Es iſt daher begreiflich daß
das Publicum aus ihr die Ueberzeugung ſchöpft der Kaiſer befinde ſich in Baden-
Baden um den Prinz-Regenten zum Cavourismus zu bekehren, nöthigenfalls
ihn dazu zu preſſen. So grimmig iſt noch keine Regierung und keine Dynaſtie in
einer inſpirirten, officiöſen Flugſchrift beſchimpft worden als die preußiſche in
der des E. About, welcher erſt geſtern Abends veranlaßt wurde den Titel Preu-
ßen
und Napoleon III abzuändern. Hr. E. About beſchuldigt die preußi-
ſche Polizei ſie habe einen zweiten Orſini anzuwerben geſucht. Wäre es ihr
gelungen, ſagter, ſo hätte ſie Preußen um einen nützlichen Alliirten beraubt, wel-

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[2818/0006] Rhein und die Alpen zu nennen beliebt, und die angeblich durch die verhaßten Ver- träge von 1815 geraubt ſeyn ſollen. Aber die Zerreißung der Verträge von 1815 würde ihm nicht die ſogenannten „natürlichen Gränzen“ verſchaffen. Es beſaß ja dieſe Gränzen weder i. J. 1790 noch in irgendeiner frühern Periode ſeiner Ge- ſchichte. Indem er ſeine Politik durch perſönliche Begegnungen zu ſördern ſucht, tritt Louis Napoleon genau in die Fußſtapfen ſeines Oheims. Aber die Präcedentien ſind weder nach der einen noch nach der andern Seite hin ermuthigend. Keines der alten Geſchäfte hat gute Frucht getragen. Und um von der neueſten Zeit zu ſpre- chen, ſo hat Frankreich durch die Einverleibung von Nizza und Savoyen mehr ver- loren als gewonnen. Dieſer Anſchluß war die erſte Urſache der Unpepularität deren ſich der franzöſiſche Handelsvertrag bei den Engländern erfreut. Sie haben geſun- den daß er mit England einen commerciellen, gleichzeitig aber mit einem andern Staat einen uncommerciellen Vertrag zu ſchließen verſteht, und mit 600,000 Mann auf den Beinen nach wie vor beren iſt für eine ſeiner „Ideen“ in den Krieg zu zieben. Schließlich erinnert die Times daran was das Ende all der beiſpielloſen Triumphe des erſten Napoleon geweſen, und wie, nach dem Zeugniß des Napoleoniſcheu Geſchichtſchreibers, Hrn. Thiers, ſelber, Frankreich i. J. 1815 „ſich im Zuſtand des Ruins befand, noch bevor ein einziges Bataillon der Alliirten den Rhein über- ſchritten hatte.“ Frankreich. Paris, 15 Jun. Wenn noch ein Zweifel über die Abſichten des zweiten Decembers gegen Dentſchland beſtände, ſo würde ihn die neue Broſchüre Edmond Abouts heben. Daß der Autor, welcher durch ſeine Briefe im Moniteur die römiſche Frage vorbereitete, welcher vom Figaro offen als Regierungspamphletiſt wieder- holt angegriffen ward, auch hier im Auftrage gehandelt hat, kann nur jemand bezweifeln der abſichtlich die Deutſchen über die Gefahr täuſchen will welche unſere Unabhängigkeit und Freiheit bedroht. Es kann dieß nur jemand be- haupten welcher die vollſtändige Abhängigkeit der Preſſe in Frankreich von der Regierung nicht kennt. Wer aber nicht ganz blind gegen die Erfahrungen der Vergangenheit iſt, wer ſich der Mittel erinnert mit welchen der zweite December die Verwicklungen vorzubereiten pflegt, der kann ſich keiner Täu- ſchung mehr hingeben. Für „die deutſche Frage“ ſoll die About’ſche Bro- ſchüre das ſeyn was „le pape et le congrès“ für die italieniſche war. Uns iſt der Inhalt der bezüglichen Broſchüre bis jetzt nur aus der nachſtehenden Correſpondenz und aus dem Artikel bekannt welchen die L. C. darüber bringt. Dieſer lautet: „Wir ſind in der Lage von der neuen Broſchüre des Hrn. About „Kaiſer Napoleon III und Preußen“ eine kurze Analyſe mitzutheilen. Hr. About verſichert im Eingange ſeiner Schrift daß Frankreich die größten Sympathien für Deutſchland, ſein Volk, ſeine Philoſophie, ſeine Litteratur, ſeine Kunſt habe, und keinen Nationalhaß mehr beſitze. Frankreichs Freund- ſchaft aber habe einen gewiſſen Werth; denn es helfe ſeinen Freunden nicht mehr mit Kammergeſchwätz und Kindergeſchrei in den Straßen, ſondern durch Thaten; das habe es in der Krim, an der Donau und in Italien bewieſen. Wenn ſich hier eine Nation von 26 Millionen bilde, ſo werde Frankreich nichts dawider haben und ſeine Sonderintereſſen dem allgemeinen Wohl und dem Frieden opfern; denn die europäiſche Ordnung werde erſt dann feſtſtehen wenn es keine unterdrückten Nationalitäten, noch für ihre Völker unerträg- lichen Könige mehr gäbe. Dann folgen ein paar Seiten Banalitäten über die deutſchen Einheitsbeſtrebungen, vermiſcht mit Schmeicheleien über die Er- hebung von 1813. Hr. About verſichert: Frankreich habe keinen ſehnliche- ren und glühenderen Wunſch als Deutſchland einig zu ſehen; denn es liebe Deutſchland mit uneigennütziger Freundſchaft. Frankreich fürchte kein Ita- lien mit 26 Millionen Einwohnern; es werde auch keine 32 Millionen Deutſche fürchten. Zwei große Staaten machen Anſpruch darauf die deutſche Einheit zu gründen, Oeſterreich und Preußen. Erſteres habe in Deutſch- land keine andern Sympathien als die der kleinen Fürſten und der Junker. Preußen dagegen perſonificire die deutſche Nation, und wenn es in Deutſchland die Rolle Piemonts ſpielen wolle, ſo würde ihm die ganze Nation den Weg bahnen. Der Prinz-Regent ſey jetzt das Centrum der Einheitsbewegung geworden, und es ſey zu hoffen daß die Fürſten ſich Preußen unterordnen, und ſomit Deutſch- land ohne einen Blutstropfen zu vergießen einigen werden. Gegen ein preu- ßiſches Deutſchland mit 32 Millionen Einwohnern werde die Diplomatie nichts einzuwenden haben. Der Prinz-Regent müſſe die Bewegung aber unterſtützen, und ſich ganz für das populäre Princip, das allgemeine Stimm- recht als die Baſis des Staatsrechts erklären. Er müſſe ſich zum Teſtaments- vollſtrecker des Parlaments von 1849 machen, wie die Napoleons die Teſta- mentsvollſtrecker der franzöſiſchen Revolution ſeyen. Hr. About vergleicht nun die franzöſiſche Verfaſſung und die preußiſche Verfaſſung, und findet daß man gut thue letztere zu modificiren, ſowie auch die Preſſe und die Kam- mern von herausfordernden Reden gegen Frankreich abzuhalten. Trotz aller Herausforderungen werde letzteres indeſſen ſeine Rolle nicht aufgeben; es ſey zu großmüthig und zu gerecht um das Gebiet einer fremden Nationalität er- obern zu wollen. Zu dieſen freundſchaftlichen Betrachtungen will Hr. About noch einen guten Rath hinzuſügen, welcher die preußiſche Bureaukratie betreffe. Er bringt dann einen Auszug aus der Interpellation des polniſchen Abgeord- neten Niegolewski, und ſchließt mit folgenden Worten: „Jedermann weiß heute daß, wenn Orſini’s verbrecheriſcher Verſuch gelungen wäre, er den künf- tigen Befreier Italiens ermordet und ſeinem Lande mehr böſes als gutes gethan hätte. Man kann ebenfalls ſagen daß, wenn die HH. v. Puttkammer, v. Bärenſprung und Poſt, ohne böſe Abſicht und in Folge eines unverſtändi- gen Eifers, einen andern Orſini erweckt hätten, ſie Preußen eines ſehr nütz- lichen Bundesgenoſſen beranbt hätten, welcher vielleicht beruſen iſt ihm große Dienſte zu erweiſen, vorausgeſetzt daß es ihm ein bißchen entgegenkommt.“ — Der Titel der Broſchüre ſoll umgeändert werden, und „Preußen im Jahre 1860“ lauten. — Die Kleindeutſchen können aus dieſem Artikel wenig- ſtens erkennen welche Wirkung ihre Beſtrebungen auf den zweiten December haben. Er betrachtet ſie offenbar als ſeine ſtille Bundesgenoſſen. 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Es fragt ſich ob man es in Köln nicht darauf ankommen laſſen will, und vielleicht darnach trachtet zu beweiſen daß bei einer Localiſirung des Kriegs am Rhein die Deutſchen an der Donau kein Intereſſe an der Betheiligung am Krieg haben. Doch vergeſſen wir das Geſchehene, und wenn wir an frühere Irr- thümmer erinnern, ſo iſt’s nur um dazu beizutragen daß ſie jetzt vermieden werden. Die Deutſchen haben auf die „Deutſche Frage“ nur eine Antwort: ſie liegt im Handeln, nicht im Reden. Das deutſche Volk muß ſich organiſi- ren, freilich nicht um zu debattiren und zu discutiren, ſondern um alle Mittel zur Vertheidigung zu treffen, oder dafür zu ſorgen daß ſie getroffen werden, welche vor allem ins Auge gefaßt werden müſſen. Wir müſſen den Fran- zoſen die Ueberzeugung beibringen daß ſie auf den einigen, entſchloſſenen, vorbereiteten Widerſtand des ganzen dentſchen Volkes treffen werden. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 169, 17. Juni 1860, S. 2818. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine169_1860/6>, abgerufen am 01.06.2024.