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Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.

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Freitag
Beilage zu Nr. 167 der Allg. Zeitung.
15 Junius 1860.


[Spaltenumbruch]
Uebersicht.
Shakespeare's Zeitgenossen und ihre Werke. Von Fr. Bodenstedt. --
Die Gräfin Dora d'Istria über die Frauen im Orient. (II.) -- Beitrag
zu der Sprachenfrage in Ungarn.
Neueste Posten. Baden. (Die erwarteten Gäfte.) -- Berlin.
(Tagesbericht.) -- Wien. (Tagesbericht.) -- Madrid. (Die Cortes. Auf-
lösung der carlistischen Preffe. -- London. (Parlamentsdebatten. Aus
Neapel.) -- Paris. (Inhalt der Tagesblätter.) -- Turin. (Aus Neapel.
Maßregelungen gegen die Priester. Abreise des Marschalls Vaillant.) --
Bucharest. (Das neue Ministerium.)
Aus meinem Amtsleben. Von Dr. Aloys Fischer.


Telegraphische Berichte.

Der Prinz-Regent ist,
nach abgehaltener Revue, nach Baden-Baden abgereist. Der König
von Hannover passirt morgen früh nach Baden durch. Ob auch der
König von Sachsen kommen wird, ist zweifelhaft.

*) Die Patrie meldet: Die ganze nea-
politanische Flotte wird ausgerüstet um zu kreuzen. -- Malta,
9 Jun. Die englische Flotte unter Admiral Martin geht nach der
Besika-Bay. -- Konstantinopel, 6 Jun. Eine neue russische Note
präcisirt die Beschwerden der Christen.

Der Minister hat ein Project zu einem
Anlehen von 150 Mill. Fr. vorgelegt. Der Marschall Vaillant ist zu
Turin angekommen, und wohnt im königl. Palast.

Oesterr. 5proc. National-Anleihe 59:
5proc. Metall. 513/4; Bankactien 765; Lotterie-Anlebensloose von 1854 74; von
1858 943/4; von 1860 73 3/8 ; Ludwigsbafen-Bexbacher C.-B.-A. 124 5/8 ; bayer.
Ostb.-Actien 101; voll eingezahlt 1013/4 P.; österr. Credit-Mobilier-Actien 1683/4.
Wechselcurse: Paris 93; Loudon 117; Wien 89 5/8 bez.

Oesterr. 5proc. National-Anleihe 79.30; 5proc. Metall.
69.50; Lotterie-Anleh. von 1854 99.50; von 1858 106.25; von 1860 95.50; Bauk-
actien 862; österr. Credit-Mobilieractien 186.30; Donaudampfschifffahrtsactien 440;
Staatsbahuactien 267.50; Rordbahnactien 187.20. Wechselcurse: Augsburg 3 M.
110.50; London 129.

3proc. Consols 93[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]/4.



Shakespeare's Zeitgenossen und ihre Werke.
In Charakteristiken und Uebersetzungen von Friedrich Bodenstedt.
Zweiter Band. John Ford. (Berlin, 1860.)

L. Rellstab sagt über dieses Buch in einer Beilage zur Berlinischen
Zeitung: Wir treffen den geistvollen Verfasser hier bei der Fortsetzung einer
interessanten Arbeit. Es sind die jedenfalls denkwürdigen und zum Lesen her-
ausfordernden Werke der Zeitgenossen und Vorgänger Shakespeare's, denen
er seine schriststellerische Kraft widmet. Es kann nicht der Ort hier seyn auf
die genaue und fleißige Arbeit einzugehen; wir wollen dem Leser nur sagen was er
von der Thätigkeit des Verfassers zu erwarten hat. Derselbe hat neun Stücke
Fords, nicht ganz vollständig, sondern meist in Auszügen, vor unser Auge
gebracht, über die sich schon verständiges Urtheil geltend gemacht hat. So z. B.
ist das Trauerspiel "Giovanni Arabella" (wie er die deutsche Bearbeitung
nennt) von Ludwig Tieck mit der höchsten Bewunderung aufgenommen wor-
den -- eine Ansicht welche der Herausgeber nicht theilt, und worin wir vollkom-
men auf seiner Seite stehen, wiewohl, in Anbetracht der Zeit in der das Stück
geschrieben ist, schöne Sachen in demselben enthalten sind. Andererseits da-
gegen gibt der Dichter dem Trauerspiel "Warbeck" den Vorzug, und sagt von
demselben: "Die geringe Gunst welche Perkin Warbeck auf der englischen
Bühne gefunden, soll mich nicht abhalten einen Versuch zu machen ihn auf die
deutsche Bühne zu bringen." Es soll uns sehr erfreuen wenn dieser Versuch
ins Leben tritt, auch sind wir für die Wirksamkeit einzelner Scenen, und für
die treffliche Darstellung des edlen Charakters der Katharina Gordon ganz der
Meinung daß sie auf der Scene von Erfolg seyn wird. Ueber das Ganze aber
müssen wir durch die Darstellung anders belehrt werden als es uns jetzt er-
scheint, wenn wir Erfolg davon hoffen sollen. -- Wir haben hier nur dieser
zwei Stücke gedacht. Doch auch die andern geben interefsante Anknüpfungs-
punkte für den Leser, und insofern heißen wir sie willkommen, wiewohl man-
ches uns, durch die Uebersetzung im bloß erzählenden Dialog, doch das Werk
zu gering anschlägt. -- Jedenfalls werden die Freunde englischer Litteratur
durch diesen zweiten Band der Forschungen unseres geschätzten Dichters sehr
geseffelt werden, und sie dürfen sich mit uns vereinigen ihm Dank auch für
diese Seite seiner Bemühungen zu sagen, und um Fortsetzung derselben zu bitten.



** Ohne Zweifel sind viele dieser altenglischen Schauspiele aus der in
der Geschichte der Dramaturgie so merkwürdigen Periode unter Elisa-
beth und Jakob I an sich interessant genug, um auch jetzt noch außerhalb Eng-
[Spaltenumbruch] ands studiert zu werden, und unsere an Erfindungsgabe nicht überreiche
moderne Bühne mag noch einen und den andern einer Umarbeitung im Sinn
und Geschmack der Jetztzeit würdigen Stoff darin entdecken. Indessen ein
Hauptaugenmerk von Bodenstedts verdienstlichem Unternehmen ist doch wohl,
wie schon der Titel des Werks andeutet, dessen Beziehung auf Shakespeare.
Es gilt diesen Genius litterarhistorisch im Zusammenhang mit der Poesie
seiner Zeit aufzufassen, nachzuweisen wie seine Wundererscheinung auf einer
Reihe vorausgegangener ähnlicher Bestrebungen gipfelt, und wie nach ihm
die dramatische Kunst seines Vaterlands allgemach zerfällt und ausartet.
Insofern könnte man fragen: warum Bodenstedt nicht lieber von vornherein
den chronologischen Weg einschlug, und uns die angesehensten von Shake-
speare's Vorgängern, J. Heywood, Lyly, George Peele, Green u. s. w.,
besonders aber den energischen Marlowe, in solchen Charakteristiken und
Proben vorführte, anstatt zuerst zwei seiner Nachfolger zu behandeln, den
zur Ben Jonson'schen Schule hinüberleitenden John Webster und nun
diesen John Ford, der unter Ben Jonsons Schülern nach der Ansicht
mancher Kritiker, z. B. Ulrici's, im Vergleich mit Beanmont und Fletcher,
so wie auch mit seinem nächsten Genossen Massinger, weniger bedeutend ist. Je-
doch, mag es nun Zusall seyn daß der Verfasser sein Studium zuerst auf diese
beiden Poeten richtete, oder hat er sie gerade als zwei minder bekannte aus-
gewählt, wir dürfen darüber mit ihm nicht rechten, und zwar um so weniger,
als, wie er uns im Vorwort dieses zweiten Bandes sagt, das Geschichtliche
im fünften oder Schluß-Bande zusammengefaßt werden soll, für welchen
Bodenstedts letzter Aufenthalt in England, nach seiner Versicherung, allerlei
interessante Ausbeute geliefert hat. Der dritte Band wird, wenn wir recht
gehört haben, Marlowe enthalten. Das obengenannte Trauerspiel Warbeck
ist uns Deutschen namentlich auch dadurch interessant daß Schiller sich lange
mit dem Gedanken trug die Geschichte jenes Prätendenten zu dramatisiren.
Bodenstedt vergleicht in seiner Einleitung den Schiller'schen Entwurf mit
Ford's Ausführung, welche unserm Dichter wahrscheinlich ganz unbekannt
war. "Giovanni und Annabella," das seiner Zeit zu den beliebtesten
Bühnenstücken gehörte, führt im Original einen Titel ("T is Pity She's
a Whore
") der heutzutage auf keinem Theaterzettel geduldet werden würde,
und noch anstößiger für das sittliche Gefühl der Gegenwart ist die Fabel selbst.
Es ist eine auffallende Erscheinung daß die englische schöne Litteratur, welche
jetzt decent und sittenstreng bis zur Prüderie ist, und in welcher schon Byrons
Don Juan ein Zetergeschrei verursachte, früher an Licenz in geschlechtlichen
Dingen mit den ärgsten Auswüchsen der französischen Muse wetteiferte; und
wenn die Puritaner, als sie zur Herrschaft gelangten, alle Theater schlossen,
so war diese Maßregel zwar verkehrt und geistesbeschränkt, aber allerdings
nicht ohne scheinbar triftigen Anlaß. Freilich konnte der Puritanismus
das Uebel nur dämmen, aber nicht heilen, und nach seinem Sturz brach es
unter dem liederlichen Karl II mit einem Wycherley, Congreve u. a. nur noch
unverhüllter hervor. Shakespeare aber stand auch darin hoch über den meisten
seiner Kunstgenossen daß er, wiewohl hin und wieder in Worten dreist ge-
nug, doch die Grundlage seiner Dramen immer sittlich edel hielt. Bodenstedt
kann diese Schattenseite seiner Autoren nicht ganz unberührt lassen, geht aber
so schnell und discret als möglich daran vorüber. In formaler Beziehung
schließt er sich seinen besten Vorgängern auf diesem Felde, Tieck und Wolf
Grafen v. Baudissin ("Ben Jonson und seine Schule") würdig an, und seine
Arbeit wird vor allen ähnlichen die Uebersichtlichkeit einer ganzen wichtigen
Litteratur-Epoche voraushaben.

Die Gräfin Dora d'Istria über die Franen im Orient.
Les femmes en Orient, par Madame la Comtesse Dora d'Istria, 2 vol.,
pag. VII. 1008, Zurich
1860.
II.

++ Von dem Lob welches der erlauchten Verfasserin im ersten Artikel
gespendet wurde, *) wird im zweiten wohl einiges wo nicht ganz zurückzuneh-
men, so doch wenigstens auf ein bescheideneres Maß herabzusetzen seyn. Die
Macht des Jugeniums und die bezaubernde Eleganz des Styls offenbaren sich
zwar auch hier in ungeschwächter Majestät und Kraft. Allein gegen die hel-
lenischen Ueberschwänglichkeiten und gegen die Kunst mit welcher die edle
Gräfin die historischen Thatsachen gruppirt, einiges verschweigt, anderes nicht
ganz mit Recht zu ihrem Vortheil wendet, aus allem aber ihre eigenthümli-
chen Consequenzen zieht, wird man wohl seine Bedenken äußern, und hie und
da sogar im Namen der Logik, der gesunden Kritik und der geschichtlichen
Wahrheit bescheiden und schüchtern Protest einlegen dürfen.

Wenn wir in den Aufstellungen über Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft der Hellenen die geistoolle Verfasserin der "Condition des femmes
en Orient
" gar nicht mehr erkennen, und die peinliche Bemerkung machen

*) Diese Depesche aus dem gestrigen Hauptblatt hier wiederholt.
*) Cum grano salis!
Freitag
Beilage zu Nr. 167 der Allg. Zeitung.
15 Junius 1860.


[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.
Shakeſpeare’s Zeitgenoſſen und ihre Werke. Von Fr. Bodenſtedt. —
Die Gräfin Dora d’Iſtria über die Frauen im Orient. (II.) — Beitrag
zu der Sprachenfrage in Ungarn.
Neueſte Poſten. Baden. (Die erwarteten Gäfte.) — Berlin.
(Tagesbericht.) — Wien. (Tagesbericht.) — Madrid. (Die Cortes. Auf-
löſung der carliſtiſchen Preffe. — London. (Parlamentsdebatten. Aus
Neapel.) — Paris. (Inhalt der Tagesblätter.) — Turin. (Aus Neapel.
Maßregelungen gegen die Prieſter. Abreiſe des Marſchalls Vaillant.) —
Buchareſt. (Das neue Miniſterium.)
Aus meinem Amtsleben. Von Dr. Aloys Fiſcher.


Telegraphiſche Berichte.

Der Prinz-Regent iſt,
nach abgehaltener Revue, nach Baden-Baden abgereist. Der König
von Hannover paſſirt morgen früh nach Baden durch. Ob auch der
König von Sachſen kommen wird, iſt zweifelhaft.

*) Die Patrie meldet: Die ganze nea-
politaniſche Flotte wird ausgerüſtet um zu kreuzen. — Malta,
9 Jun. Die engliſche Flotte unter Admiral Martin geht nach der
Beſika-Bay. — Konſtantinopel, 6 Jun. Eine neue ruſſiſche Note
präciſirt die Beſchwerden der Chriſten.

Der Miniſter hat ein Project zu einem
Anlehen von 150 Mill. Fr. vorgelegt. Der Marſchall Vaillant iſt zu
Turin angekommen, und wohnt im königl. Palaſt.

Oeſterr. 5proc. National-Anleihe 59:
5proc. Metall. 51¾; Bankactien 765; Lotterie-Anlebenslooſe von 1854 74; von
1858 94¾; von 1860 73⅜; Ludwigsbafen-Bexbacher C.-B.-A. 124⅝; bayer.
Oſtb.-Actien 101; voll eingezahlt 101¾ P.; öſterr. Credit-Mobilier-Actien 168¾.
Wechſelcurſe: Paris 93; Loudon 117; Wien 89⅝ bez.

Oeſterr. 5proc. National-Anleihe 79.30; 5proc. Metall.
69.50; Lotterie-Anleh. von 1854 99.50; von 1858 106.25; von 1860 95.50; Bauk-
actien 862; öſterr. Credit-Mobilieractien 186.30; Donaudampfſchifffahrtsactien 440;
Staatsbahuactien 267.50; Rordbahnactien 187.20. Wechſelcurſe: Augsburg 3 M.
110.50; London 129.

3proc. Conſols 93[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]/4.



Shakeſpeare’s Zeitgenoſſen und ihre Werke.
In Charakteriſtiken und Ueberſetzungen von Friedrich Bodenſtedt.
Zweiter Band. John Ford. (Berlin, 1860.)

L. Rellſtab ſagt über dieſes Buch in einer Beilage zur Berliniſchen
Zeitung: Wir treffen den geiſtvollen Verfaſſer hier bei der Fortſetzung einer
intereſſanten Arbeit. Es ſind die jedenfalls denkwürdigen und zum Leſen her-
ausfordernden Werke der Zeitgenoſſen und Vorgänger Shakeſpeare’s, denen
er ſeine ſchriſtſtelleriſche Kraft widmet. Es kann nicht der Ort hier ſeyn auf
die genaue und fleißige Arbeit einzugehen; wir wollen dem Leſer nur ſagen was er
von der Thätigkeit des Verfaſſers zu erwarten hat. Derſelbe hat neun Stücke
Fords, nicht ganz vollſtändig, ſondern meiſt in Auszügen, vor unſer Auge
gebracht, über die ſich ſchon verſtändiges Urtheil geltend gemacht hat. So z. B.
iſt das Trauerſpiel „Giovanni Arabella“ (wie er die deutſche Bearbeitung
nennt) von Ludwig Tieck mit der höchſten Bewunderung aufgenommen wor-
den — eine Anſicht welche der Herausgeber nicht theilt, und worin wir vollkom-
men auf ſeiner Seite ſtehen, wiewohl, in Anbetracht der Zeit in der das Stück
geſchrieben iſt, ſchöne Sachen in demſelben enthalten ſind. Andererſeits da-
gegen gibt der Dichter dem Trauerſpiel „Warbeck“ den Vorzug, und ſagt von
demſelben: „Die geringe Gunſt welche Perkin Warbeck auf der engliſchen
Bühne gefunden, ſoll mich nicht abhalten einen Verſuch zu machen ihn auf die
deutſche Bühne zu bringen.“ Es ſoll uns ſehr erfreuen wenn dieſer Verſuch
ins Leben tritt, auch ſind wir für die Wirkſamkeit einzelner Scenen, und für
die treffliche Darſtellung des edlen Charakters der Katharina Gordon ganz der
Meinung daß ſie auf der Scene von Erfolg ſeyn wird. Ueber das Ganze aber
müſſen wir durch die Darſtellung anders belehrt werden als es uns jetzt er-
ſcheint, wenn wir Erfolg davon hoffen ſollen. — Wir haben hier nur dieſer
zwei Stücke gedacht. Doch auch die andern geben interefſante Anknüpfungs-
punkte für den Leſer, und inſofern heißen wir ſie willkommen, wiewohl man-
ches uns, durch die Ueberſetzung im bloß erzählenden Dialog, doch das Werk
zu gering anſchlägt. — Jedenfalls werden die Freunde engliſcher Litteratur
durch dieſen zweiten Band der Forſchungen unſeres geſchätzten Dichters ſehr
geſeffelt werden, und ſie dürfen ſich mit uns vereinigen ihm Dank auch für
dieſe Seite ſeiner Bemühungen zu ſagen, und um Fortſetzung derſelben zu bitten.



** Ohne Zweifel ſind viele dieſer altengliſchen Schauſpiele aus der in
der Geſchichte der Dramaturgie ſo merkwürdigen Periode unter Eliſa-
beth und Jakob I an ſich intereſſant genug, um auch jetzt noch außerhalb Eng-
[Spaltenumbruch] ands ſtudiert zu werden, und unſere an Erfindungsgabe nicht überreiche
moderne Bühne mag noch einen und den andern einer Umarbeitung im Sinn
und Geſchmack der Jetztzeit würdigen Stoff darin entdecken. Indeſſen ein
Hauptaugenmerk von Bodenſtedts verdienſtlichem Unternehmen iſt doch wohl,
wie ſchon der Titel des Werks andeutet, deſſen Beziehung auf Shakeſpeare.
Es gilt dieſen Genius litterarhiſtoriſch im Zuſammenhang mit der Poeſie
ſeiner Zeit aufzufaſſen, nachzuweiſen wie ſeine Wundererſcheinung auf einer
Reihe vorausgegangener ähnlicher Beſtrebungen gipfelt, und wie nach ihm
die dramatiſche Kunſt ſeines Vaterlands allgemach zerfällt und ausartet.
Inſofern könnte man fragen: warum Bodenſtedt nicht lieber von vornherein
den chronologiſchen Weg einſchlug, und uns die angeſehenſten von Shake-
ſpeare’s Vorgängern, J. Heywood, Lyly, George Peele, Green u. ſ. w.,
beſonders aber den energiſchen Marlowe, in ſolchen Charakteriſtiken und
Proben vorführte, anſtatt zuerſt zwei ſeiner Nachfolger zu behandeln, den
zur Ben Jonſon’ſchen Schule hinüberleitenden John Webſter und nun
dieſen John Ford, der unter Ben Jonſons Schülern nach der Anſicht
mancher Kritiker, z. B. Ulrici’s, im Vergleich mit Beanmont und Fletcher,
ſo wie auch mit ſeinem nächſten Genoſſen Maſſinger, weniger bedeutend iſt. Je-
doch, mag es nun Zuſall ſeyn daß der Verfaſſer ſein Studium zuerſt auf dieſe
beiden Poeten richtete, oder hat er ſie gerade als zwei minder bekannte aus-
gewählt, wir dürfen darüber mit ihm nicht rechten, und zwar um ſo weniger,
als, wie er uns im Vorwort dieſes zweiten Bandes ſagt, das Geſchichtliche
im fünften oder Schluß-Bande zuſammengefaßt werden ſoll, für welchen
Bodenſtedts letzter Aufenthalt in England, nach ſeiner Verſicherung, allerlei
intereſſante Ausbeute geliefert hat. Der dritte Band wird, wenn wir recht
gehört haben, Marlowe enthalten. Das obengenannte Trauerſpiel Warbeck
iſt uns Deutſchen namentlich auch dadurch intereſſant daß Schiller ſich lange
mit dem Gedanken trug die Geſchichte jenes Prätendenten zu dramatiſiren.
Bodenſtedt vergleicht in ſeiner Einleitung den Schiller’ſchen Entwurf mit
Ford’s Ausführung, welche unſerm Dichter wahrſcheinlich ganz unbekannt
war. „Giovanni und Annabella,“ das ſeiner Zeit zu den beliebteſten
Bühnenſtücken gehörte, führt im Original einen Titel („T is Pity She’s
a Whore
“) der heutzutage auf keinem Theaterzettel geduldet werden würde,
und noch anſtößiger für das ſittliche Gefühl der Gegenwart iſt die Fabel ſelbſt.
Es iſt eine auffallende Erſcheinung daß die engliſche ſchöne Litteratur, welche
jetzt decent und ſittenſtreng bis zur Prüderie iſt, und in welcher ſchon Byrons
Don Juan ein Zetergeſchrei verurſachte, früher an Licenz in geſchlechtlichen
Dingen mit den ärgſten Auswüchſen der franzöſiſchen Muſe wetteiferte; und
wenn die Puritaner, als ſie zur Herrſchaft gelangten, alle Theater ſchloſſen,
ſo war dieſe Maßregel zwar verkehrt und geiſtesbeſchränkt, aber allerdings
nicht ohne ſcheinbar triftigen Anlaß. Freilich konnte der Puritanismus
das Uebel nur dämmen, aber nicht heilen, und nach ſeinem Sturz brach es
unter dem liederlichen Karl II mit einem Wycherley, Congreve u. a. nur noch
unverhüllter hervor. Shakeſpeare aber ſtand auch darin hoch über den meiſten
ſeiner Kunſtgenoſſen daß er, wiewohl hin und wieder in Worten dreiſt ge-
nug, doch die Grundlage ſeiner Dramen immer ſittlich edel hielt. Bodenſtedt
kann dieſe Schattenſeite ſeiner Autoren nicht ganz unberührt laſſen, geht aber
ſo ſchnell und discret als möglich daran vorüber. In formaler Beziehung
ſchließt er ſich ſeinen beſten Vorgängern auf dieſem Felde, Tieck und Wolf
Grafen v. Baudiſſin („Ben Jonſon und ſeine Schule“) würdig an, und ſeine
Arbeit wird vor allen ähnlichen die Ueberſichtlichkeit einer ganzen wichtigen
Litteratur-Epoche voraushaben.

Die Gräfin Dora d’Iſtria über die Franen im Orient.
Les femmes en Orient, par Madame la Comtesse Dora d’Istria, 2 vol.,
pag. VII. 1008, Zurich
1860.
II.

‡ Von dem Lob welches der erlauchten Verfaſſerin im erſten Artikel
geſpendet wurde, *) wird im zweiten wohl einiges wo nicht ganz zurückzuneh-
men, ſo doch wenigſtens auf ein beſcheideneres Maß herabzuſetzen ſeyn. Die
Macht des Jugeniums und die bezaubernde Eleganz des Styls offenbaren ſich
zwar auch hier in ungeſchwächter Majeſtät und Kraft. Allein gegen die hel-
leniſchen Ueberſchwänglichkeiten und gegen die Kunſt mit welcher die edle
Gräfin die hiſtoriſchen Thatſachen gruppirt, einiges verſchweigt, anderes nicht
ganz mit Recht zu ihrem Vortheil wendet, aus allem aber ihre eigenthümli-
chen Conſequenzen zieht, wird man wohl ſeine Bedenken äußern, und hie und
da ſogar im Namen der Logik, der geſunden Kritik und der geſchichtlichen
Wahrheit beſcheiden und ſchüchtern Proteſt einlegen dürfen.

Wenn wir in den Aufſtellungen über Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft der Hellenen die geiſtoolle Verfaſſerin der „Condition des femmes
en Orient
“ gar nicht mehr erkennen, und die peinliche Bemerkung machen

*) Dieſe Depeſche aus dem geſtrigen Hauptblatt hier wiederholt.
*) Cum grano salis!
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[0009] Freitag Beilage zu Nr. 167 der Allg. Zeitung. 15 Junius 1860. Ueberſicht. Shakeſpeare’s Zeitgenoſſen und ihre Werke. Von Fr. Bodenſtedt. — Die Gräfin Dora d’Iſtria über die Frauen im Orient. (II.) — Beitrag zu der Sprachenfrage in Ungarn. Neueſte Poſten. Baden. (Die erwarteten Gäfte.) — Berlin. (Tagesbericht.) — Wien. (Tagesbericht.) — Madrid. (Die Cortes. Auf- löſung der carliſtiſchen Preffe. — London. (Parlamentsdebatten. Aus Neapel.) — Paris. (Inhalt der Tagesblätter.) — Turin. (Aus Neapel. Maßregelungen gegen die Prieſter. Abreiſe des Marſchalls Vaillant.) — Buchareſt. (Das neue Miniſterium.) Aus meinem Amtsleben. Von Dr. Aloys Fiſcher. Telegraphiſche Berichte. ⸫ Frankfurt a. M., 14 April. Der Prinz-Regent iſt, nach abgehaltener Revue, nach Baden-Baden abgereist. Der König von Hannover paſſirt morgen früh nach Baden durch. Ob auch der König von Sachſen kommen wird, iſt zweifelhaft. ⸫ Paris, 13 Jun. *) Die Patrie meldet: Die ganze nea- politaniſche Flotte wird ausgerüſtet um zu kreuzen. — Malta, 9 Jun. Die engliſche Flotte unter Admiral Martin geht nach der Beſika-Bay. — Konſtantinopel, 6 Jun. Eine neue ruſſiſche Note präciſirt die Beſchwerden der Chriſten. ⸫ Paris, 14 Jun. Der Miniſter hat ein Project zu einem Anlehen von 150 Mill. Fr. vorgelegt. Der Marſchall Vaillant iſt zu Turin angekommen, und wohnt im königl. Palaſt. • Frankfurt a. M., 14 Jun. Oeſterr. 5proc. National-Anleihe 59: 5proc. Metall. 51¾; Bankactien 765; Lotterie-Anlebenslooſe von 1854 74; von 1858 94¾; von 1860 73⅜; Ludwigsbafen-Bexbacher C.-B.-A. 124⅝; bayer. Oſtb.-Actien 101; voll eingezahlt 101¾ P.; öſterr. Credit-Mobilier-Actien 168¾. Wechſelcurſe: Paris 93; Loudon 117; Wien 89⅝ bez. . Wien, 14 Jun. Oeſterr. 5proc. National-Anleihe 79.30; 5proc. 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Derſelbe hat neun Stücke Fords, nicht ganz vollſtändig, ſondern meiſt in Auszügen, vor unſer Auge gebracht, über die ſich ſchon verſtändiges Urtheil geltend gemacht hat. So z. B. iſt das Trauerſpiel „Giovanni Arabella“ (wie er die deutſche Bearbeitung nennt) von Ludwig Tieck mit der höchſten Bewunderung aufgenommen wor- den — eine Anſicht welche der Herausgeber nicht theilt, und worin wir vollkom- men auf ſeiner Seite ſtehen, wiewohl, in Anbetracht der Zeit in der das Stück geſchrieben iſt, ſchöne Sachen in demſelben enthalten ſind. Andererſeits da- gegen gibt der Dichter dem Trauerſpiel „Warbeck“ den Vorzug, und ſagt von demſelben: „Die geringe Gunſt welche Perkin Warbeck auf der engliſchen Bühne gefunden, ſoll mich nicht abhalten einen Verſuch zu machen ihn auf die deutſche Bühne zu bringen.“ Es ſoll uns ſehr erfreuen wenn dieſer Verſuch ins Leben tritt, auch ſind wir für die Wirkſamkeit einzelner Scenen, und für die treffliche Darſtellung des edlen Charakters der Katharina Gordon ganz der Meinung daß ſie auf der Scene von Erfolg ſeyn wird. Ueber das Ganze aber müſſen wir durch die Darſtellung anders belehrt werden als es uns jetzt er- ſcheint, wenn wir Erfolg davon hoffen ſollen. — Wir haben hier nur dieſer zwei Stücke gedacht. 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Indeſſen ein Hauptaugenmerk von Bodenſtedts verdienſtlichem Unternehmen iſt doch wohl, wie ſchon der Titel des Werks andeutet, deſſen Beziehung auf Shakeſpeare. Es gilt dieſen Genius litterarhiſtoriſch im Zuſammenhang mit der Poeſie ſeiner Zeit aufzufaſſen, nachzuweiſen wie ſeine Wundererſcheinung auf einer Reihe vorausgegangener ähnlicher Beſtrebungen gipfelt, und wie nach ihm die dramatiſche Kunſt ſeines Vaterlands allgemach zerfällt und ausartet. Inſofern könnte man fragen: warum Bodenſtedt nicht lieber von vornherein den chronologiſchen Weg einſchlug, und uns die angeſehenſten von Shake- ſpeare’s Vorgängern, J. Heywood, Lyly, George Peele, Green u. ſ. w., beſonders aber den energiſchen Marlowe, in ſolchen Charakteriſtiken und Proben vorführte, anſtatt zuerſt zwei ſeiner Nachfolger zu behandeln, den zur Ben Jonſon’ſchen Schule hinüberleitenden John Webſter und nun dieſen John Ford, der unter Ben Jonſons Schülern nach der Anſicht mancher Kritiker, z. B. Ulrici’s, im Vergleich mit Beanmont und Fletcher, ſo wie auch mit ſeinem nächſten Genoſſen Maſſinger, weniger bedeutend iſt. Je- doch, mag es nun Zuſall ſeyn daß der Verfaſſer ſein Studium zuerſt auf dieſe beiden Poeten richtete, oder hat er ſie gerade als zwei minder bekannte aus- gewählt, wir dürfen darüber mit ihm nicht rechten, und zwar um ſo weniger, als, wie er uns im Vorwort dieſes zweiten Bandes ſagt, das Geſchichtliche im fünften oder Schluß-Bande zuſammengefaßt werden ſoll, für welchen Bodenſtedts letzter Aufenthalt in England, nach ſeiner Verſicherung, allerlei intereſſante Ausbeute geliefert hat. Der dritte Band wird, wenn wir recht gehört haben, Marlowe enthalten. Das obengenannte Trauerſpiel Warbeck iſt uns Deutſchen namentlich auch dadurch intereſſant daß Schiller ſich lange mit dem Gedanken trug die Geſchichte jenes Prätendenten zu dramatiſiren. Bodenſtedt vergleicht in ſeiner Einleitung den Schiller’ſchen Entwurf mit Ford’s Ausführung, welche unſerm Dichter wahrſcheinlich ganz unbekannt war. „Giovanni und Annabella,“ das ſeiner Zeit zu den beliebteſten Bühnenſtücken gehörte, führt im Original einen Titel („T is Pity She’s a Whore“) der heutzutage auf keinem Theaterzettel geduldet werden würde, und noch anſtößiger für das ſittliche Gefühl der Gegenwart iſt die Fabel ſelbſt. Es iſt eine auffallende Erſcheinung daß die engliſche ſchöne Litteratur, welche jetzt decent und ſittenſtreng bis zur Prüderie iſt, und in welcher ſchon Byrons Don Juan ein Zetergeſchrei verurſachte, früher an Licenz in geſchlechtlichen Dingen mit den ärgſten Auswüchſen der franzöſiſchen Muſe wetteiferte; und wenn die Puritaner, als ſie zur Herrſchaft gelangten, alle Theater ſchloſſen, ſo war dieſe Maßregel zwar verkehrt und geiſtesbeſchränkt, aber allerdings nicht ohne ſcheinbar triftigen Anlaß. 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II. ‡ Von dem Lob welches der erlauchten Verfaſſerin im erſten Artikel geſpendet wurde, *) wird im zweiten wohl einiges wo nicht ganz zurückzuneh- men, ſo doch wenigſtens auf ein beſcheideneres Maß herabzuſetzen ſeyn. Die Macht des Jugeniums und die bezaubernde Eleganz des Styls offenbaren ſich zwar auch hier in ungeſchwächter Majeſtät und Kraft. Allein gegen die hel- leniſchen Ueberſchwänglichkeiten und gegen die Kunſt mit welcher die edle Gräfin die hiſtoriſchen Thatſachen gruppirt, einiges verſchweigt, anderes nicht ganz mit Recht zu ihrem Vortheil wendet, aus allem aber ihre eigenthümli- chen Conſequenzen zieht, wird man wohl ſeine Bedenken äußern, und hie und da ſogar im Namen der Logik, der geſunden Kritik und der geſchichtlichen Wahrheit beſcheiden und ſchüchtern Proteſt einlegen dürfen. Wenn wir in den Aufſtellungen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Hellenen die geiſtoolle Verfaſſerin der „Condition des femmes en Orient“ gar nicht mehr erkennen, und die peinliche Bemerkung machen *) Dieſe Depeſche aus dem geſtrigen Hauptblatt hier wiederholt. *) Cum grano salis!

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine167_1860/9>, abgerufen am 08.07.2024.