Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1872.[Spaltenumbruch]
wöhnlichen Vorwürfe weiter. Er sei erst seit kurzem in London und habe da auch Ueber John Brights Stellung im Cabinet deim Ausbruche des Krieges Für das Staff-College, die Generalstabsschule, bricht mit der Abschaffung Frankreich. Paris, 11 Jan. * Ein ganzer klerikaler Kreuzzug organisirt sich gegenwärtig gegen das vor- In dem großen Saale des Grand-Hotel wurde gestern eine Versammlung Das amtliche Blatt schreibt in gereiztem Tone: Der Minister des Innern, Hr. Casimir Perier, ist durch den plötzlichen Tod Nationalversammlung. Sitzung vom 10 Jan. Die Verhandlung über [Spaltenumbruch]
wöhnlichen Vorwürfe weiter. Er ſei erſt ſeit kurzem in London und habe da auch Ueber John Brights Stellung im Cabinet deim Ausbruche des Krieges Für das Staff-College, die Generalſtabsſchule, bricht mit der Abſchaffung Frankreich. Paris, 11 Jan. * Ein ganzer klerikaler Kreuzzug organiſirt ſich gegenwärtig gegen das vor- In dem großen Saale des Grand-Hôtel wurde geſtern eine Verſammlung Das amtliche Blatt ſchreibt in gereiztem Tone: Der Miniſter des Innern, Hr. Caſimir Périer, iſt durch den plötzlichen Tod Nationalverſammlung. Sitzung vom 10 Jan. Die Verhandlung über <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0005" n="[197]"/><cb/> wöhnlichen Vorwürfe weiter. Er ſei erſt ſeit kurzem in London und habe da auch<lb/> die Theater beſucht; dieſe kämen ihm in vieler Hinſicht ähnlich vor wie das parla-<lb/> mentariſche Leben. Die Schauſpieler thäten dort was ſie wollten, möge das Publicum<lb/> nun klatſchen oder nicht. In gleicher Weiſe ſtellte ſich der ehrenwerthe Sir die brittiſche<lb/> Nation vor als ein Publicum, vor dem die Regierung Senſationsdramen von<lb/> eigener Erfindung aufführt. Wir denken denn doch daß die Schauſpieler ſo ganz<lb/> ohne Inſtructionen nicht ſind — Inſtructionen die ihnen eben jene „ernſthafte<lb/> Sinnesweiſe der engliſchen Nation,“ an die der Redner ſo oft anklopft, dictirt hat.<lb/> Sein großer Fehler beſteht aber darin daß er vergißt welche Mehrheit hinter der<lb/> Regierung ſteht. Da war doch Lord Derby, über deſſen Liverpooler Rede wir<lb/> geſtern berichteten, einſichtsvoller. Er beſaß wenigſtens die Klugheit die Ver-<lb/> gangenheit anzuerkennen, mit der Gegenwart gemäßigt zu verfahren, und alles auf<lb/> die Zukunft zu ſetzen. Letzteres ſcheint nun Hr. Pakington auch thun zu wollen,<lb/> wenn er den Conſervativen von Rochdale räth das Wort „Fortſchritt“ auf ihre<lb/> Fahne zu ſchreiben; in Wahrheit aber würde er den „Rückſchritt“ wohl vorziehen.<lb/> Auch die Kundgebungen am Krankenbette des Prinzen von Wales deutete er als<lb/> Ausflüſſe des conſervativen Einfluſſes. Die „Times“ bemerkt dazu: daß die eng-<lb/> liſche Nation andere Gefühle im Grunde ihres Herzens hege als die eines conſer-<lb/> vativen Politikers, und daß ihr die Geſundheit des Prinzen von Wales mehr am<lb/> Herzen liege als eine conſtitutionelle Predigt, die „in der Krankheit“ des Prinzen vielen<lb/> die Augen geöffnet habe. Sie räth Hrn. Pakington an aufs Land zurückzugehen.<lb/> Nur in <hi rendition="#g">einem</hi> Punkte ſtimmt Lord Derby mit Hrn. Pakington überein: in dem<lb/> daß er ſeinen Freunden anräth zuzuwarten. Erſt nur dann wenn ſie die Mehrheit<lb/> haben, wird es ihre Pflicht und ihre Politik ſein müſſen die Verantwortlichkeiten<lb/> der Macht auf ſich zu nehmen. Das iſt eine weiſe Vorſchrift, aber man wirft ſich<lb/> dabei immer die Frage auf: ob ſie in der That praktiſch durchführbar iſt. Als ſich<lb/> die beiden letzten conſervativen Adminiſtrationen bildeten, waren es gewiß nicht<lb/> die ſchlechteſten ihrer Mitglieder die ſich weigerten die Laſt der Geſchäfte und ihre<lb/> Verantwortlichkeit ſich aufzubürden; aber ſie wurden von den übrigen dazu ge-<lb/> drängt. Sie wußten wohl daß ſie, wenn ſie mit einer Minderheit handelten, ge-<lb/> zwungen ſein würden den Willen der Oppoſition mehr durchzuſetzen als ihren eige-<lb/> nen — aber was wollten ſie machen? Können nicht, ſo meint die „Times,“ wieder<lb/> ähnliche Zuſtände eintreten? Man braucht, was gar nicht ſo undenkbar wäre, bloß<lb/> anzunehmen daß das jetzige Miniſterium im Laufe der kommenden Seſſion in Miß-<lb/> credit geriethe. Es gibt dazu mehrere Anläſſe, etwa die iriſche Univerſitätsfrage,<lb/> die Berufung Sir Robert Colliers und anderes, der kritiſchen Angriffe gar nicht zu<lb/> gedenken. Würde ſich nun daraus eine miniſterielle Niederlage entwickeln, wie<lb/> dann? Für die Conſervativen ſelbſt, wie für das Land, wäre es entſchieden beſſer<lb/> wenn ſie in der Oppoſition blieben. Wir wiſſen freilich alle daß dieß nicht gut<lb/> geht. Eine Partei die gar keine Hoffnung hat je die Macht zu erlangen ſtirbt all-<lb/> mählich ab, und wenn die Conſervativen nicht hin und wieder die Süßigkeiten des<lb/> Amtes koſten, ſo werden ſie davon abſehen ſich mit der Oppoſition zu beſchäftigen.<lb/> Wenn Lord Derby ſich genau an ſein Programm halten könnte, ſo würde ihm die<lb/> Nation Gelegenheit geben während einer Saiſon ſeine Plane auszuführen. Sein<lb/> kühles, wenn nicht kaltes Urtheil, ſeine Geſchäftstüchtigkeit und ſein praktiſcher<lb/> Sinn laſſen ihn eine Seite Sir Robert Peels repräſentiren. Aber wir fürchten<lb/> daß Lord Derby, wenn er mit der Macht bekleidet iſt, durch ſeine Freunde gedrängt<lb/> würde die Schranken zu verlaſſen die er ſich ſelbſt in Liverpool gezogen hat. Man<lb/> muß daher hoffen daß das jetzige Miniſterium in Kraft bleibt, an Kraft zunimmt,<lb/> und daß die conſervative Oppoſition ſelbſt das ihrige thut zu Gunſten des eigenen<lb/> Landes es in Kraft zu erhalten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Ueber John Brights Stellung im Cabinet deim Ausbruche des Krieges<lb/> theilte in dieſen Tagen Hr. T. L. Potter, Parlamentsmitglied für Rochdale, vor<lb/> dem liberalen Verein am letztern Orte, wo bekanntlich Brights Fabrik gelegen iſt,<lb/> einige erwähnenswerthe Einzelheiten mit. Er erinnerte ſeine Zuhörer wie er im Juli<lb/> 1870 mit unter jenen 7 Parlamentsmitgliedern geweſen welche die Vermehrung<lb/> der Armee um 20,000 Mann und eine nachträgliche Bewilligung von 2,000,000<lb/> Pf. St. nicht gewähren wollten, und rief dabei den Spottnamen der ſieben weiſen<lb/> Meiſter zurück, welcher der kleinen Schaar im Unterhauſe beigelegt wurde. Er be-<lb/> merkte ferner: die Torypartei habe ihm den Vorwurf ins Geſicht: geſchleudert er<lb/> bedecke Rochdale mit Schande. In der Zwiſchenzeit ſei übrigens Vright wieder-<lb/> geneſen, und habe ihm, dem Redner, mitgetheilt daß er zu einer Zeit, wo ſeine Ge-<lb/> ſundheit in ſehr üblem Zuſtande war, von dieſer Angelegenheit und ihrer Erörte-<lb/> rung vor dem Unterhauſe gehört habe, und daß er in Uebereinſtimmung mit den<lb/> „ſieben weiſen Meiſtern,“ doch ohne etwas von ihrer Abſtimmung zu wiſſen, in<lb/> Beziehung auf gerade dieſe Frage dem Premier ſeine Entlaſſung eingereicht habe.<lb/> Wahrſcheinlich habe er indeſſen aus Rückſicht für die Stellung der Regierung nicht<lb/> auf ſeine Entlaſſung gedrungen. Heute gereiche es ihm, bemerkte Hr. Potter im<lb/> weiteren — zur Befriedigung zu denken wie er damals geſtimmt, und er ſei feſt<lb/> überzeugt: es gebe viele Unterhausmitglieder welche wünſchten ſie hätten damals<lb/> ein gleiches gethan, namentlich da bis zum heutigen Tage der damals begangene<lb/> grobe Fehler für die Regierung ein Stein des Anſtoßes ſei.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Für das Staff-College, die Generalſtabsſchule, bricht mit der Abſchaffung<lb/> des Stellenkaufs eine neue beſſere Zeit an. Bisher nahm man es mit der Quali-<lb/> fication für Generalſtabsſtellen und Adjutantur ſo wenig genau, daß eine Maſſe<lb/> ſolcher Stellen mit vornehmen und eleganten Officieren ohne wiſſenſchaftliche<lb/> Befähigung oder natürliche Begabung beſetzt war, während eine ganze Menge<lb/> tüchtiger Schüler des Staff-College in der Front dienen mußte, und viele<lb/> Jahre vergeblich auf andere Verwendung wartete. Die Erfahrungen des Krieges<lb/> in Frankreich, auf Seite der Franzoſen ſowohl als der deutſchen Heere, werden<lb/> dieſen Officieren weſentlich zum Vortheile gereichen. Aus dem Kriegsminiſterium<lb/> find über die weitere praktiſche Ausbildung ſolcher Officiere welche den Studien-<lb/> kreis der Generalſtabsſchule hinter ſich haben, und zu anderen Waffengattungen<lb/> commandirt werden, längere Inſtructionen hervorgegangen, welche ſich durchweg<lb/> an die Praxis der preußiſchen Armee anſchließen und keiner beſonderen Erwähnung<lb/> bedürfen. Auch in Bezug auf die Bedingungen für den Zulaß zum Staff-College<lb/> liegt eine neue Verfügung vor, welche auf den neuen Erſatz von 25 Officieren be-<lb/> reits Anwendung finden wird. Nach dieſer Inſtruction muß jeder Officier welcher<lb/> fich zum Examen für die Generalſtabsſchule meldet wenigſtens 5 Jahre gedient<lb/> haben, und ein Zeugniß von ſeinem Commandeur beibringen daß er im Regiment<lb/> ſich als einen durchaus tüchtigen Officier bewieſen hat. Außerdem iſt jedoch ein<lb/> zweites Zeugniß, ausgeſtellt vom Commandeur und von den im Rang auf denſelben<lb/> zunächſt folgenden zwei Officieren nöthig, welches über eine ganze Reihe verſchiedener<lb/> Punkte Auskunft gibt. In demſelben wird unter anderem mitgetheilt: ob die<lb/> Führung des Candidaten von Charakterfeſtigkeit und Umſicht zeugt, ob er mäßig<lb/> in ſeinen Gewohnheiten und nicht verſchwenderiſch in ſeiner Lebensweiſe iſt, ob er<lb/> Gifer, Verſtändniß und Tact im Dienſte zeigt, Thätigkeit und Thatkraft beweist,<lb/> und gute Augen hat. Sind alle Fragen über die hier angeführten Punkte in be-<lb/><cb/> friedigender Weiſe beantwortet, ſo kommt noch die Haupt- und Schlußfrage aus-<lb/> zufüllen: „Iſt ſeine Befähigung derart, daß ſie ihn in Stand ſetzen würde die Pflich-<lb/> ten eines Generalſtabsofficiers mit Tact und Umſicht und in einer Weiſe zu er-<lb/> füllen welche geeignet iſt die muntere Ausführung der Befehle, welche er zu über-<lb/> bringen hat, zu ſichern; oder aber ſind ſeine Manieren und ſein Charakter unange-<lb/> nehm, und ſolcherart daß ſie ihn leicht in Uneinigkeit mit denjenigen bringen wür-<lb/> den welchen er beigeſellt würde, oder mit denen er zufällig in Berührung käme.“<lb/> Fallen die Zeugniſſe alle genügend aus, ſo wird der betreffende Officier zum<lb/> Examen vor eine Commiſſion von Officieren unter Vorſitz des Generaldirectors<lb/> für das Militärunterrichtsweſen gezogen, wo er in ſchriftlichen Arbeiten den Nach-<lb/> weis zu führen hat daß er mit militäriſchem Planzeichnen, mit der Fortification,<lb/> Taktik, Kriegsgeſchichte, Geographie, Mathematik, Deutſch und Franzöſiſch vertraut<lb/> iſt. Auch eine gewiſſe Kenntniß im Hindoſtaniſchen iſt erforderlich. Erſt wenn<lb/> dieſes Examen die Tüchtigkeit des Candidaten dargethan hat, kann ſeine Zulaſſung<lb/> in das Staff-College erfolgen.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 11 Jan.</dateline><lb/> <p>* Ein ganzer klerikaler Kreuzzug organiſirt ſich gegenwärtig gegen das vor-<lb/> gelegte Unterrichtsgeſetz. Bekanntlich war ſchon vor einiger Zeit der Erzbiſchof<lb/> von Rouen mit ſeinen Suffraganen in einer Petition gegen das Geſetz zu Felde<lb/> gezogen. Nun haben der Biſchof von Nevers, die Erzbiſchöfe und Biſchöfe von<lb/> Cambrai, Bourges, Arras, Autun und Amiens, die Biſchöfe der Normandie wie<lb/> der Biſchof von Vannes ihre Zuſtimmung zu jener Petition erklärt. Der Biſchof<lb/> von Beauvais glaubte in einem beſonderen Schreiben an die Mitglieder der Natio-<lb/> nalverſammlung ſich wenden zu müſſen, worin er verſichert: der Mangel an Unter-<lb/> richt ſei keineswegs ſo mißlich als man ſich vorſtelle. „Wir werden,“ ruft der Prä-<lb/> lat, „uns nicht ſcheuen es zu ſagen und laut zu verkünden, trotz der Unpopularität<lb/> welche ſich an die Feſtſtellung einer ſolchen Thatſache knüpfen kann, der Mangel<lb/> an Unterricht iſt für Frankreich nicht die ſchreckliche Gefahr wie man es gewöhnlich<lb/> zu ſagen pflegt.“ Der Biſchof ſchließt mit der Forderung: daß der Unterricht in<lb/> die Hände der Kirche zurückgegeben werde.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>In dem großen Saale des Grand-H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel wurde geſtern eine Verſammlung<lb/> von 700 bis 800 Pariſer Induſtriellen abgehalten, die von den Syndikatskam-<lb/> mern eingeladen waren ihre Anſicht über die Steuerprojecte der Regierung und<lb/> über die Kündigung des Handelsvertrags abzugeben. Neben mehreren Kauf-<lb/> leuten und Fabricanten ließen ſich auch die Abgeordneten F<hi rendition="#aq">é</hi>ray und Wolowski<lb/> in freihändleriſchem Sinne vernehmen. Man beſchloß zuletzt beinahe einſtimmig<lb/> eine Tagesordnung welche „entſchiedenen Proteſt erhebt gegen die Beſteuerung<lb/> der Rohſtoffe, dagegen alle anderen Laſten, als Zölle, nöthigenfalls willig zu<lb/> ertragen erklärt.“</p><lb/> <p>Das amtliche Blatt ſchreibt in gereiztem Tone: <cit><quote>„Man liest im „Figaro“<lb/> vom 7 Januar: „„Man verſichert daß Hr. Thiers in dieſem Augenblicke mit dem<lb/> Pariſer Gemeinderath wegen Verkaufs der Reſte ſeines H<hi rendition="#aq">ô</hi>tels an der Place St.<lb/> Georges verhandelt; man würde die Trümmer wegräumen und an ihrer Stelle<lb/> einen Square anlegen. Was ſoll aber dann aus der von der Nationalverſamm-<lb/> lung votirten Million werden?““ Dieſes von dem „Figaro“ hinterbrachte oder<lb/> erfundene Gerücht iſt ganz und gar unbegründet. Es iſt eine der tauſend lügneri-<lb/> ſchen Erfindungen welchen dieſes Blatt nur allzu oft ſeine Spalten öffnet, und die<lb/> es ohne Rückſicht auf die Perſonen und ohne Achtung der Wahrheit zu verbreiten<lb/> ſich befleißigt.“</quote></cit></p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der Miniſter des Innern, Hr. Caſimir P<hi rendition="#aq">é</hi>rier, iſt durch den plötzlichen Tod<lb/> ſeiner Tochter, der Gräfin S<hi rendition="#aq">é</hi>gur, in Trauer verſetzt worden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p><hi rendition="#g">Nationalverſammlung. Sitzung vom</hi> 10 Jan. Die Verhandlung über<lb/> die projectirte Steuer auf das bewegliche Vermögen wird fortgeſetzt. Hr. <hi rendition="#g">Pag<hi rendition="#aq">é</hi>s-Duport</hi><lb/> unterſtützt den Vorſchlag unter Hinweis auf das Vorbild von Italien und Oeſterreich, wo<lb/> dieſe Beſteuerung, trotz alles Geſchreies das ſich in Europa erhob, dem Curſe der Renten<lb/> keinen Eintrag zu thun vermochte. Hr. <hi rendition="#g">Tolain</hi> empfiehlt den Antrag unter den ge-<lb/> wohnten Ausfällen gegen die „Sparſamkeitsſucht“ der Bourgeoiſie, in welcher jeder<lb/> gern nur Actionär oder Obligationär werden möchte. Hr. <hi rendition="#g">Benoiſt d’Azy</hi> bekämpft<lb/> die Vorlage vom Standpunkte der Eiſenbahn-Induſtrie. — Hier wird die Debatte ab-<lb/> gebrochen, nachdem man nur noch auf Antrag des Hrn. <hi rendition="#g">Thiers</hi> beſchloſſen hat das<lb/> Votum auch über dieſe Steuervorlage offen zu halten, bis man das Project eines<lb/> Zuſchlags zu den drei directen Steuern und einer Beſteuerung der Rohſtoffe einer ver-<lb/> gleichenden Prüfung unterzogen habe. Hr. <hi rendition="#g">Buiſſon</hi> erſtattet Bericht im Namen der<lb/> Militär-Commiſſion über den Antrag auf Rückverlegung der Nationalverſammlung<lb/> nach Paris. Die Commiſſion ſpricht ſich bekanntlich im verwerfenden Sinn aus. Die<lb/> Kammer, ſagt ſie, müſſe ſich ſelbſt und ihren Grundſätzen treu bleiben; in Bordeaux<lb/> habe Hr. Thiers ſelbſt anerkannt daß die Verlegung der Landesvertretung nach einem<lb/> andern Ort als Verſailles eine conſtitutive Frage ſei, die man nicht in Angriff nehmen<lb/> könne ohne das Land aufs neue zu ſpalten; man könne nur mit Schrecken daran denken<lb/> was geſchehen wäre wenn die Kammer ſich hätte vor dem 18 März nach Paris locken<lb/> laſſen (ſehr gut!); der Verwaltungsdienſt möge allerdings unter dieſen Verhältniſſen<lb/> leiden, aber das Wohl des Landes müſſe über die Bequemlichkeit der Regierungsbeamten<lb/> geſtellt werden; noch weniger könne man von einer Vereinſamung der Kammer in Verſailles<lb/> ſprechen, da ihr hier ſo gut wie in Paris alle Kundgebungen der öffentlichen Meinung<lb/> zukommen, wogegen ſie freilich von den Schlagworten der falſchen öffentlichen Meinung<lb/> und dem wüſten Lärm der revolutionären Parteien verſchont bleibe, wie es z. B. ſchon<lb/> jetzt heiße: die Nationalverſammlung ſolle nur deßhalb nach Paris verlegt werden um<lb/> ſich hier aufzulöſen. (Bravo!) Man bleibe alſo, fährt der Bericht fort, in Verſailles,<lb/> dem ſtrategiſchen Hauptquartier von Paris. Damit wollen wir keinesfalls, wie man<lb/> aus Bosheit ſagte, Paris, das ſich im Kriege ſo heldenmüthig benahm, eine Strafe oder<lb/> Lection ertheilen, ſondern nur der Hauptſtadt wie dem ganzen Lande die Zeit laſſen<lb/> ſich in Ruhe von ihrem Fall wieder aufzurichten. (Lebhafter Beifall und Bewegung.) —<lb/> Man kehrt dann zur Finanzdebatte zurück und eröffnet die Verhandlung über die 20procen-<lb/> tige Beſteuerung der Rohſtoffe. Hr. <hi rendition="#g">Tirard</hi> hält dieſe Steuer für die verderblichſte von<lb/> allen; ſie würde eine viel ſchlimmere Inquiſition nach ſich ziehen als man von der Einkom-<lb/> menſteuer befürchtete, und namentlich die Pariſer Induſtrie, welche oft für einen einzigen<lb/> Artikel die verſchiedenſten Rohſtoffe combinire, würde dieſe erhöhten Zölle mit Draw-<lb/> backs nicht aushalten können. Herzog <hi rendition="#g">Decazes</hi> entwickelt ebenfalls die mit den Draw-<lb/> backs verbundenen Uebelſtände und Mißbräuche; zudem könne die Regierung nach den<lb/> mit dem Auslande geſchloſſenen Handelsverträgen ja doch in einem Jahr keine weſent-<lb/> liche Veränderung an den Tarifen vornehmen. Auch berechnet der Redner an der Hand<lb/> ſtatiſtiſcher Aufnahmen daß dieſe Steuer einmal viel weniger die Luxusartikel als die<lb/> Bedürfniſſe der unvermögenden Leute (Baumwolle) treffen, zweitens aber nicht, wie die<lb/> Regierung annimmt, 60 Millionen, ſondern höchſt wahrſcheinlich nur die Hälfte ein-<lb/> tragen würde. Dagegen erklärt ſich Redner für eine Erhöhung der directen Steuern,<lb/> wobei der Grundbeſitz es an patriotiſcher Bereitwilligkeit nicht fehlen laſſen werde. (Zu-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[197]/0005]
wöhnlichen Vorwürfe weiter. Er ſei erſt ſeit kurzem in London und habe da auch
die Theater beſucht; dieſe kämen ihm in vieler Hinſicht ähnlich vor wie das parla-
mentariſche Leben. Die Schauſpieler thäten dort was ſie wollten, möge das Publicum
nun klatſchen oder nicht. In gleicher Weiſe ſtellte ſich der ehrenwerthe Sir die brittiſche
Nation vor als ein Publicum, vor dem die Regierung Senſationsdramen von
eigener Erfindung aufführt. Wir denken denn doch daß die Schauſpieler ſo ganz
ohne Inſtructionen nicht ſind — Inſtructionen die ihnen eben jene „ernſthafte
Sinnesweiſe der engliſchen Nation,“ an die der Redner ſo oft anklopft, dictirt hat.
Sein großer Fehler beſteht aber darin daß er vergißt welche Mehrheit hinter der
Regierung ſteht. Da war doch Lord Derby, über deſſen Liverpooler Rede wir
geſtern berichteten, einſichtsvoller. Er beſaß wenigſtens die Klugheit die Ver-
gangenheit anzuerkennen, mit der Gegenwart gemäßigt zu verfahren, und alles auf
die Zukunft zu ſetzen. Letzteres ſcheint nun Hr. Pakington auch thun zu wollen,
wenn er den Conſervativen von Rochdale räth das Wort „Fortſchritt“ auf ihre
Fahne zu ſchreiben; in Wahrheit aber würde er den „Rückſchritt“ wohl vorziehen.
Auch die Kundgebungen am Krankenbette des Prinzen von Wales deutete er als
Ausflüſſe des conſervativen Einfluſſes. Die „Times“ bemerkt dazu: daß die eng-
liſche Nation andere Gefühle im Grunde ihres Herzens hege als die eines conſer-
vativen Politikers, und daß ihr die Geſundheit des Prinzen von Wales mehr am
Herzen liege als eine conſtitutionelle Predigt, die „in der Krankheit“ des Prinzen vielen
die Augen geöffnet habe. Sie räth Hrn. Pakington an aufs Land zurückzugehen.
Nur in einem Punkte ſtimmt Lord Derby mit Hrn. Pakington überein: in dem
daß er ſeinen Freunden anräth zuzuwarten. Erſt nur dann wenn ſie die Mehrheit
haben, wird es ihre Pflicht und ihre Politik ſein müſſen die Verantwortlichkeiten
der Macht auf ſich zu nehmen. Das iſt eine weiſe Vorſchrift, aber man wirft ſich
dabei immer die Frage auf: ob ſie in der That praktiſch durchführbar iſt. Als ſich
die beiden letzten conſervativen Adminiſtrationen bildeten, waren es gewiß nicht
die ſchlechteſten ihrer Mitglieder die ſich weigerten die Laſt der Geſchäfte und ihre
Verantwortlichkeit ſich aufzubürden; aber ſie wurden von den übrigen dazu ge-
drängt. Sie wußten wohl daß ſie, wenn ſie mit einer Minderheit handelten, ge-
zwungen ſein würden den Willen der Oppoſition mehr durchzuſetzen als ihren eige-
nen — aber was wollten ſie machen? Können nicht, ſo meint die „Times,“ wieder
ähnliche Zuſtände eintreten? Man braucht, was gar nicht ſo undenkbar wäre, bloß
anzunehmen daß das jetzige Miniſterium im Laufe der kommenden Seſſion in Miß-
credit geriethe. Es gibt dazu mehrere Anläſſe, etwa die iriſche Univerſitätsfrage,
die Berufung Sir Robert Colliers und anderes, der kritiſchen Angriffe gar nicht zu
gedenken. Würde ſich nun daraus eine miniſterielle Niederlage entwickeln, wie
dann? Für die Conſervativen ſelbſt, wie für das Land, wäre es entſchieden beſſer
wenn ſie in der Oppoſition blieben. Wir wiſſen freilich alle daß dieß nicht gut
geht. Eine Partei die gar keine Hoffnung hat je die Macht zu erlangen ſtirbt all-
mählich ab, und wenn die Conſervativen nicht hin und wieder die Süßigkeiten des
Amtes koſten, ſo werden ſie davon abſehen ſich mit der Oppoſition zu beſchäftigen.
Wenn Lord Derby ſich genau an ſein Programm halten könnte, ſo würde ihm die
Nation Gelegenheit geben während einer Saiſon ſeine Plane auszuführen. Sein
kühles, wenn nicht kaltes Urtheil, ſeine Geſchäftstüchtigkeit und ſein praktiſcher
Sinn laſſen ihn eine Seite Sir Robert Peels repräſentiren. Aber wir fürchten
daß Lord Derby, wenn er mit der Macht bekleidet iſt, durch ſeine Freunde gedrängt
würde die Schranken zu verlaſſen die er ſich ſelbſt in Liverpool gezogen hat. Man
muß daher hoffen daß das jetzige Miniſterium in Kraft bleibt, an Kraft zunimmt,
und daß die conſervative Oppoſition ſelbſt das ihrige thut zu Gunſten des eigenen
Landes es in Kraft zu erhalten.
Ueber John Brights Stellung im Cabinet deim Ausbruche des Krieges
theilte in dieſen Tagen Hr. T. L. Potter, Parlamentsmitglied für Rochdale, vor
dem liberalen Verein am letztern Orte, wo bekanntlich Brights Fabrik gelegen iſt,
einige erwähnenswerthe Einzelheiten mit. Er erinnerte ſeine Zuhörer wie er im Juli
1870 mit unter jenen 7 Parlamentsmitgliedern geweſen welche die Vermehrung
der Armee um 20,000 Mann und eine nachträgliche Bewilligung von 2,000,000
Pf. St. nicht gewähren wollten, und rief dabei den Spottnamen der ſieben weiſen
Meiſter zurück, welcher der kleinen Schaar im Unterhauſe beigelegt wurde. Er be-
merkte ferner: die Torypartei habe ihm den Vorwurf ins Geſicht: geſchleudert er
bedecke Rochdale mit Schande. In der Zwiſchenzeit ſei übrigens Vright wieder-
geneſen, und habe ihm, dem Redner, mitgetheilt daß er zu einer Zeit, wo ſeine Ge-
ſundheit in ſehr üblem Zuſtande war, von dieſer Angelegenheit und ihrer Erörte-
rung vor dem Unterhauſe gehört habe, und daß er in Uebereinſtimmung mit den
„ſieben weiſen Meiſtern,“ doch ohne etwas von ihrer Abſtimmung zu wiſſen, in
Beziehung auf gerade dieſe Frage dem Premier ſeine Entlaſſung eingereicht habe.
Wahrſcheinlich habe er indeſſen aus Rückſicht für die Stellung der Regierung nicht
auf ſeine Entlaſſung gedrungen. Heute gereiche es ihm, bemerkte Hr. Potter im
weiteren — zur Befriedigung zu denken wie er damals geſtimmt, und er ſei feſt
überzeugt: es gebe viele Unterhausmitglieder welche wünſchten ſie hätten damals
ein gleiches gethan, namentlich da bis zum heutigen Tage der damals begangene
grobe Fehler für die Regierung ein Stein des Anſtoßes ſei.
Für das Staff-College, die Generalſtabsſchule, bricht mit der Abſchaffung
des Stellenkaufs eine neue beſſere Zeit an. Bisher nahm man es mit der Quali-
fication für Generalſtabsſtellen und Adjutantur ſo wenig genau, daß eine Maſſe
ſolcher Stellen mit vornehmen und eleganten Officieren ohne wiſſenſchaftliche
Befähigung oder natürliche Begabung beſetzt war, während eine ganze Menge
tüchtiger Schüler des Staff-College in der Front dienen mußte, und viele
Jahre vergeblich auf andere Verwendung wartete. Die Erfahrungen des Krieges
in Frankreich, auf Seite der Franzoſen ſowohl als der deutſchen Heere, werden
dieſen Officieren weſentlich zum Vortheile gereichen. Aus dem Kriegsminiſterium
find über die weitere praktiſche Ausbildung ſolcher Officiere welche den Studien-
kreis der Generalſtabsſchule hinter ſich haben, und zu anderen Waffengattungen
commandirt werden, längere Inſtructionen hervorgegangen, welche ſich durchweg
an die Praxis der preußiſchen Armee anſchließen und keiner beſonderen Erwähnung
bedürfen. Auch in Bezug auf die Bedingungen für den Zulaß zum Staff-College
liegt eine neue Verfügung vor, welche auf den neuen Erſatz von 25 Officieren be-
reits Anwendung finden wird. Nach dieſer Inſtruction muß jeder Officier welcher
fich zum Examen für die Generalſtabsſchule meldet wenigſtens 5 Jahre gedient
haben, und ein Zeugniß von ſeinem Commandeur beibringen daß er im Regiment
ſich als einen durchaus tüchtigen Officier bewieſen hat. Außerdem iſt jedoch ein
zweites Zeugniß, ausgeſtellt vom Commandeur und von den im Rang auf denſelben
zunächſt folgenden zwei Officieren nöthig, welches über eine ganze Reihe verſchiedener
Punkte Auskunft gibt. In demſelben wird unter anderem mitgetheilt: ob die
Führung des Candidaten von Charakterfeſtigkeit und Umſicht zeugt, ob er mäßig
in ſeinen Gewohnheiten und nicht verſchwenderiſch in ſeiner Lebensweiſe iſt, ob er
Gifer, Verſtändniß und Tact im Dienſte zeigt, Thätigkeit und Thatkraft beweist,
und gute Augen hat. Sind alle Fragen über die hier angeführten Punkte in be-
friedigender Weiſe beantwortet, ſo kommt noch die Haupt- und Schlußfrage aus-
zufüllen: „Iſt ſeine Befähigung derart, daß ſie ihn in Stand ſetzen würde die Pflich-
ten eines Generalſtabsofficiers mit Tact und Umſicht und in einer Weiſe zu er-
füllen welche geeignet iſt die muntere Ausführung der Befehle, welche er zu über-
bringen hat, zu ſichern; oder aber ſind ſeine Manieren und ſein Charakter unange-
nehm, und ſolcherart daß ſie ihn leicht in Uneinigkeit mit denjenigen bringen wür-
den welchen er beigeſellt würde, oder mit denen er zufällig in Berührung käme.“
Fallen die Zeugniſſe alle genügend aus, ſo wird der betreffende Officier zum
Examen vor eine Commiſſion von Officieren unter Vorſitz des Generaldirectors
für das Militärunterrichtsweſen gezogen, wo er in ſchriftlichen Arbeiten den Nach-
weis zu führen hat daß er mit militäriſchem Planzeichnen, mit der Fortification,
Taktik, Kriegsgeſchichte, Geographie, Mathematik, Deutſch und Franzöſiſch vertraut
iſt. Auch eine gewiſſe Kenntniß im Hindoſtaniſchen iſt erforderlich. Erſt wenn
dieſes Examen die Tüchtigkeit des Candidaten dargethan hat, kann ſeine Zulaſſung
in das Staff-College erfolgen.
Frankreich.
Paris, 11 Jan.
* Ein ganzer klerikaler Kreuzzug organiſirt ſich gegenwärtig gegen das vor-
gelegte Unterrichtsgeſetz. Bekanntlich war ſchon vor einiger Zeit der Erzbiſchof
von Rouen mit ſeinen Suffraganen in einer Petition gegen das Geſetz zu Felde
gezogen. Nun haben der Biſchof von Nevers, die Erzbiſchöfe und Biſchöfe von
Cambrai, Bourges, Arras, Autun und Amiens, die Biſchöfe der Normandie wie
der Biſchof von Vannes ihre Zuſtimmung zu jener Petition erklärt. Der Biſchof
von Beauvais glaubte in einem beſonderen Schreiben an die Mitglieder der Natio-
nalverſammlung ſich wenden zu müſſen, worin er verſichert: der Mangel an Unter-
richt ſei keineswegs ſo mißlich als man ſich vorſtelle. „Wir werden,“ ruft der Prä-
lat, „uns nicht ſcheuen es zu ſagen und laut zu verkünden, trotz der Unpopularität
welche ſich an die Feſtſtellung einer ſolchen Thatſache knüpfen kann, der Mangel
an Unterricht iſt für Frankreich nicht die ſchreckliche Gefahr wie man es gewöhnlich
zu ſagen pflegt.“ Der Biſchof ſchließt mit der Forderung: daß der Unterricht in
die Hände der Kirche zurückgegeben werde.
In dem großen Saale des Grand-Hôtel wurde geſtern eine Verſammlung
von 700 bis 800 Pariſer Induſtriellen abgehalten, die von den Syndikatskam-
mern eingeladen waren ihre Anſicht über die Steuerprojecte der Regierung und
über die Kündigung des Handelsvertrags abzugeben. Neben mehreren Kauf-
leuten und Fabricanten ließen ſich auch die Abgeordneten Féray und Wolowski
in freihändleriſchem Sinne vernehmen. Man beſchloß zuletzt beinahe einſtimmig
eine Tagesordnung welche „entſchiedenen Proteſt erhebt gegen die Beſteuerung
der Rohſtoffe, dagegen alle anderen Laſten, als Zölle, nöthigenfalls willig zu
ertragen erklärt.“
Das amtliche Blatt ſchreibt in gereiztem Tone: „Man liest im „Figaro“
vom 7 Januar: „„Man verſichert daß Hr. Thiers in dieſem Augenblicke mit dem
Pariſer Gemeinderath wegen Verkaufs der Reſte ſeines Hôtels an der Place St.
Georges verhandelt; man würde die Trümmer wegräumen und an ihrer Stelle
einen Square anlegen. Was ſoll aber dann aus der von der Nationalverſamm-
lung votirten Million werden?““ Dieſes von dem „Figaro“ hinterbrachte oder
erfundene Gerücht iſt ganz und gar unbegründet. Es iſt eine der tauſend lügneri-
ſchen Erfindungen welchen dieſes Blatt nur allzu oft ſeine Spalten öffnet, und die
es ohne Rückſicht auf die Perſonen und ohne Achtung der Wahrheit zu verbreiten
ſich befleißigt.“
Der Miniſter des Innern, Hr. Caſimir Périer, iſt durch den plötzlichen Tod
ſeiner Tochter, der Gräfin Ségur, in Trauer verſetzt worden.
Nationalverſammlung. Sitzung vom 10 Jan. Die Verhandlung über
die projectirte Steuer auf das bewegliche Vermögen wird fortgeſetzt. Hr. Pagés-Duport
unterſtützt den Vorſchlag unter Hinweis auf das Vorbild von Italien und Oeſterreich, wo
dieſe Beſteuerung, trotz alles Geſchreies das ſich in Europa erhob, dem Curſe der Renten
keinen Eintrag zu thun vermochte. Hr. Tolain empfiehlt den Antrag unter den ge-
wohnten Ausfällen gegen die „Sparſamkeitsſucht“ der Bourgeoiſie, in welcher jeder
gern nur Actionär oder Obligationär werden möchte. Hr. Benoiſt d’Azy bekämpft
die Vorlage vom Standpunkte der Eiſenbahn-Induſtrie. — Hier wird die Debatte ab-
gebrochen, nachdem man nur noch auf Antrag des Hrn. Thiers beſchloſſen hat das
Votum auch über dieſe Steuervorlage offen zu halten, bis man das Project eines
Zuſchlags zu den drei directen Steuern und einer Beſteuerung der Rohſtoffe einer ver-
gleichenden Prüfung unterzogen habe. Hr. Buiſſon erſtattet Bericht im Namen der
Militär-Commiſſion über den Antrag auf Rückverlegung der Nationalverſammlung
nach Paris. Die Commiſſion ſpricht ſich bekanntlich im verwerfenden Sinn aus. Die
Kammer, ſagt ſie, müſſe ſich ſelbſt und ihren Grundſätzen treu bleiben; in Bordeaux
habe Hr. Thiers ſelbſt anerkannt daß die Verlegung der Landesvertretung nach einem
andern Ort als Verſailles eine conſtitutive Frage ſei, die man nicht in Angriff nehmen
könne ohne das Land aufs neue zu ſpalten; man könne nur mit Schrecken daran denken
was geſchehen wäre wenn die Kammer ſich hätte vor dem 18 März nach Paris locken
laſſen (ſehr gut!); der Verwaltungsdienſt möge allerdings unter dieſen Verhältniſſen
leiden, aber das Wohl des Landes müſſe über die Bequemlichkeit der Regierungsbeamten
geſtellt werden; noch weniger könne man von einer Vereinſamung der Kammer in Verſailles
ſprechen, da ihr hier ſo gut wie in Paris alle Kundgebungen der öffentlichen Meinung
zukommen, wogegen ſie freilich von den Schlagworten der falſchen öffentlichen Meinung
und dem wüſten Lärm der revolutionären Parteien verſchont bleibe, wie es z. B. ſchon
jetzt heiße: die Nationalverſammlung ſolle nur deßhalb nach Paris verlegt werden um
ſich hier aufzulöſen. (Bravo!) Man bleibe alſo, fährt der Bericht fort, in Verſailles,
dem ſtrategiſchen Hauptquartier von Paris. Damit wollen wir keinesfalls, wie man
aus Bosheit ſagte, Paris, das ſich im Kriege ſo heldenmüthig benahm, eine Strafe oder
Lection ertheilen, ſondern nur der Hauptſtadt wie dem ganzen Lande die Zeit laſſen
ſich in Ruhe von ihrem Fall wieder aufzurichten. (Lebhafter Beifall und Bewegung.) —
Man kehrt dann zur Finanzdebatte zurück und eröffnet die Verhandlung über die 20procen-
tige Beſteuerung der Rohſtoffe. Hr. Tirard hält dieſe Steuer für die verderblichſte von
allen; ſie würde eine viel ſchlimmere Inquiſition nach ſich ziehen als man von der Einkom-
menſteuer befürchtete, und namentlich die Pariſer Induſtrie, welche oft für einen einzigen
Artikel die verſchiedenſten Rohſtoffe combinire, würde dieſe erhöhten Zölle mit Draw-
backs nicht aushalten können. Herzog Decazes entwickelt ebenfalls die mit den Draw-
backs verbundenen Uebelſtände und Mißbräuche; zudem könne die Regierung nach den
mit dem Auslande geſchloſſenen Handelsverträgen ja doch in einem Jahr keine weſent-
liche Veränderung an den Tarifen vornehmen. Auch berechnet der Redner an der Hand
ſtatiſtiſcher Aufnahmen daß dieſe Steuer einmal viel weniger die Luxusartikel als die
Bedürfniſſe der unvermögenden Leute (Baumwolle) treffen, zweitens aber nicht, wie die
Regierung annimmt, 60 Millionen, ſondern höchſt wahrſcheinlich nur die Hälfte ein-
tragen würde. Dagegen erklärt ſich Redner für eine Erhöhung der directen Steuern,
wobei der Grundbeſitz es an patriotiſcher Bereitwilligkeit nicht fehlen laſſen werde. (Zu-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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