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Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1830.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung..
Nr. 3. 1830. (14 Jan.)



[Spaltenumbruch]
Schweiz.

Als vor zwei Jahren unruhige Volks-
bewegungen in Appenzell-Innerrhoden die eidgenössische
Dazwischenkunft nöthig machten, ist vielfach und selbst auch in
den Berichten des Repräsentanten der Eidgenossenschaft bemerkt
worden: es sey der vor 44 Jahren an dem Landammann Suter
in Appenzell verübte Justizmord noch nicht in Vergessenheit über-
gegangen, und in den nunmehrigen Parteiungen die Nemesis von
dort her unverkennbar. Bei der Regierungsveränderung, welche
voriges Jahr in Appenzell auf ruhigem Wege erwirkt ward, trat
diese vollends zu Tage, und jüngsthin nun ist durch einen denk-
würdigen Regierungsakt Suters Ehre hergestellt worden. Die
Sutersche Geschichte aus dem Zeitraum von 1770 bis 1784, wie
sie von schweizerischen Geschichtschreibern erzählt wird, ist kürz-
lich diese. Joseph Anton Suter, Gastwirth zu Gonten, war ein
Mann von weniger Kenntniß, aber fröhlichem Mutterwiz, wohl-
thätig gegen die Armen, liebreich gegen Jedermann. Ihn hatten
die Appenzeller um dieser Eigenschaften willen zum Landvogt vom
Rheinthal gewählt und ihn dem Landammann Joh. Jakob Geiger
vorgezogen; nachher wählten sie ihn zum regierenden Landammann
und sezten nochmals seinen Nebenbuhler Geiger zurük. Dadurch
wurden die ersten Feinde gewekt, die sich unter den Reichen des
kleinen Landes mehrten, als Suter verständig und mit Nachdruk ge-
gen ein unbilliges Gesez eiferte, das den inländischen Gläubigern
gegen Schuldner, die nicht zahlen können, den Rang vor ausländi-
schen Gläubigern gab. Auf seines Landes Nuzen bedacht, hatte
Suter im Rheinthal von der Gemeinde Oberried dem Kanton
Appenzell das Zugrecht auf eine der schönsten Alpen am Sentis-
berg, wenn sie je feil werden sollte, erworben. Diese Alp hat-
ten einst die Appenzeller den Oberriedern verkauft. Als nachher
ruchbar ward, daß beträchtliche Stüke der großen Sentisalp Frem-
den verpfändet waren, beredete alsbald Suter den Landrath, die
Alp schäzen, die Geldsummen anweisen, und dann von der Alp
Besiz nehmen zu lassen. Dis Verfahren war unordentlich und
übereilt. Oberried klagte gegen Appenzell bei der Tagsazung,
und der Landrath, des Schrittes reuig, zog sich zurük. Suter
jedoch wollte nicht nachgeben, sondern eigensinnig den Rechtshan-
del auf eigene Kosten führen. Als er ihn vor der Tagsazung ver-
lor (im Jahre 1775) und heimkam, schämte er sich die Wahrheit
zu bekennen; wie nun dennoch kund wurde, daß der Kanton Ap-
penzell in die Kosten verurtheilt sey, und bis zur Auszahlung die
Appenzeller Güter im Rheinthal in Beschlag genommen würden,
obwol Suter erklärt hatte Alles zu zahlen, erhoben die Wider-
sacher des Landammanns lautes Geschrei, ihn anklagend: er habe
die Regierung mit Unwahrheiten hintergangen und Innerrhoden
bei allen Eidgenossen in Schimpf und Schande gebracht; der Land-
rath, ohne ihn anzuhören, nahm ihm die Landessiegel ab, entsezte
ihn aller Ehren und Würden und erklärte ihn für alle Zukunft
jeglichen Amtes unfähig. Suter appellirte an die Landsgemeinde,
als die höchste Gewalt im Kanton. Bevor aber diese zusammen-
kam, wurde das Volk auf mancherlei Weise gegen Suter aufge-
hezt. Auch die Kapuziner, wider ihn in Bewegung, gingen von
Haus zu Haus und sprachen von geheimen Sünden und Verbre-
chen des Maunes. Als nun Landsgemeinde gehalten ward, erhob
sich im Volk gewaltiger Lärm für und wider den Angeklagten,
und man riß ihn mit Gewalt vom Stuhle des Landammanns,
wenn schon auch viele Stimmen sich zu seinem Schuze erhoben.
Während hierauf der gestürzte und verlassene Mann eine Wall-
fahrt zum Gnadenbilde nach Einsiedeln that, wurde er abwesend
vom Landrath als Störer der Religion, der Freiheit und des
Friedens auf immer aus der Eidgenossenschaft verbannt, sein
Name an den Galgen geschlagen, sein Hab und Gut zur Zahlung
von Kosten und Schulden verkauft, seine Freunde wurden aus dem
Rathe gestoßen, und sogar auch seine treue Gattin bei Verlust ihres
Land- und Erbrechts befehligt, ihn nicht mehr Ehemann zu heißen.
Niemand vernahm den Grund so schwerer Strafen. Sogar das rich-
terliche Urtheil blieb die Rechenschaft schuldig, nannte nur geringe
Vergehen, sprach hinwieder geheimnißreich von Verbrechen, die
[Spaltenumbruch] man nicht bezeichnen möge, um Aergerniß zu meiden. Es blieb
ungewiß, ob wirklich eine Schuld des Verbannten, oder des Rich-
ters zu verbüllen war. Der geächtete Greis wohnte hierauf zu
Konstanz am Bodensee. Nach einigen Jahren flehete er um un-
partelischen Richterstuhl und sicheres Geleit. Siebenzig Männer
von Appenzell verbanden sich freiwillig, ihm das Geleit zu geben.
Suters Bitten wurden aber verworfen, von den siebenzig Män-
nern sogar vier der entschlossensten zum Tode verurtheilt, auf den
Richtplaz geführt, jedoch aus Gnade dem Henker zur Stäupung
überlassen. Der Verbannte blieb in Konstanz. Da kam nach
Jahr und Tag ein Mann ins Land, Baptista Röß, der, weil er
zu Suters Anhängern gehört hatte, ehrlos erklärt worden war.
Als er ergriffen wurde, sagte er: der alte Suter werbe in den
äußeren Rhoden Mannschaft, den Fleken Appenzell zu überfaller
und das Volk zur Freiheit aufzubieten, gegen Geigers Partei. Er
berief sich sogar auf Biedermänner als Zeugen; diese jedoch straf-
ten ihn der Lüge. Dennoch ward ihm geglaubt; das Volk durch
schrekende Sagen gegen den Verbannten gereizt, und alsdann ge-
trachtet, der Person des Geächteten habhaft zu werden. Es ge-
lang dis auf schauerliche Weise. Man bediente sich dazu seiner
eigenen, zu Appenzell verheiratheten Tochter, ging freundlich zu ihr
und beredete sie trüglich, dem Vater zu schreiben und ihn einzu-
laden, er möchte den Kronenwirth in Wald, einem Kirchspiele
von Außerrhoden, besuchen, man habe ihm wichtige und gute
Nachricht zu geben. Arglos folgte der Greis der Stimme seiner
betrogenen Tochter. Man lokte ihn dann unter mancherlei Vor-
wand ins innerrhodensche Dorf Oberegg. Da ward er überfallen,
gebunden und auf offenem Schlitten nach Appenzell geschleppt
(9 Febr. 1784). Er wiederholte vor dem Blutgericht das Zeug-
niß seiner Unschuld. Dreimal in einem Tage auf die Folter ge-
spannt, wußte er kein Verbrechen zu bekennen. Dennoch wurde
der Stab über sein Leben gebrochen. Zwanzig von den Richtern
gaben ihre Stimmen nicht dazu und verwahrten sich zu Protokoll
gegen Theilnahme an dem Urtheile. Aber dasselbe ward noch
gleichen Tages (9 März 1784) vollzogen, und Suters Haupt fiel
auf dem Blutgerüst. Sechsundvierzig Jahre nun nach dieser
Gräuelthat, am 29 Nov. 1829, ward im Lande Appenzell Inner-
rhoden von allen Kanzeln das nachstehende obrigkeitliche Edikt
verlesen: "Wir Landammann und großer zweifacher Landrath,
bei Ehr und Eid gehalten den 26 Nov. 1829, wünschen allen un-
sern getreuen lieben Landsleuten Heil und Segen. Kund und
zu wissen sey Jedermann in unserm Land Appenzell Innerrboden:
Wenn eine Regierung die heiligsten Verpflichtungen hat, für die
Ehre, den Nuzen und Frieden und für die allgemeine Wohlfahrt
eines Landes zu sorgen, so liegt ihr auch ganz unstreitig ob, für
die Ehre und Wohlfahrt einzelner Familien landesbrüderlich eben
so zu sorgen, und folgsam ihre bescheidenen Bitten und dringen-
den Vorstellungen der wärmsten Beherzigung zu würdigen. Von
der Heiligkeit dieser Pflichten innigst überzeugt, wurde den hinter-
lassenen Kindern und Verwandten des seligen Herrn Landam-
manns Joseph Anton Suter, auf Schluß von Wochenrath und Zu-
zug gestattet, ihre Bitten und Vorstellungen vor einem großen
Landrathe zu eröfnen. Sie baten nemlich rührend und dringend
um die Bewilligung, die irdischen Ueberreste des Herrn Land-
ammann Suter auf geweihter Erde, dem gewöhnlichen Gottes-
aker (die Leiche des Hingerichteten war auf den Schindanger ge-
bracht worden) begraben zu dürfen. Zum Beweis, daß dieser
bescheidene Wunsch nichts weniger als Leidenschaft beabsichtige,
versicherten sie zum Voraus, daß sie keine Rache und keine Geld-
entschädigung suchen und daß es Niemanden an Ehr und Gut
schädigen solle: ja im Gegentheil, sie verzeihen allen von Herzen
und wünschen allen Verstorbenen die ewige Ruhe und Freude,
den Lebendigen aber Heil und Segen. In der Ueberzeugung,
daß Ruhe, Friede, landesbrüderliche Liebe und Eintracht zur Be-
förderung der Wohlfahrt eines Landes wesentliches Bedürfniß
sey, und daß eine beinahe fünfzigjährige Erfahrung und Beobachtung
in obwaltender Angelegenheit sattsam zeugen, daß nur eine Art
Aussöhnung die Gemüther besänftige, Ruhe, Friede, Liebe und

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung..
Nr. 3. 1830. (14 Jan.)



[Spaltenumbruch]
Schweiz.

Als vor zwei Jahren unruhige Volks-
bewegungen in Appenzell-Innerrhoden die eidgenöſſiſche
Dazwiſchenkunft nöthig machten, iſt vielfach und ſelbſt auch in
den Berichten des Repräſentanten der Eidgenoſſenſchaft bemerkt
worden: es ſey der vor 44 Jahren an dem Landammann Suter
in Appenzell verübte Juſtizmord noch nicht in Vergeſſenheit über-
gegangen, und in den nunmehrigen Parteiungen die Nemeſis von
dort her unverkennbar. Bei der Regierungsveränderung, welche
voriges Jahr in Appenzell auf ruhigem Wege erwirkt ward, trat
dieſe vollends zu Tage, und jüngſthin nun iſt durch einen denk-
würdigen Regierungsakt Suters Ehre hergeſtellt worden. Die
Suterſche Geſchichte aus dem Zeitraum von 1770 bis 1784, wie
ſie von ſchweizeriſchen Geſchichtſchreibern erzählt wird, iſt kürz-
lich dieſe. Joſeph Anton Suter, Gaſtwirth zu Gonten, war ein
Mann von weniger Kenntniß, aber fröhlichem Mutterwiz, wohl-
thätig gegen die Armen, liebreich gegen Jedermann. Ihn hatten
die Appenzeller um dieſer Eigenſchaften willen zum Landvogt vom
Rheinthal gewählt und ihn dem Landammann Joh. Jakob Geiger
vorgezogen; nachher wählten ſie ihn zum regierenden Landammann
und ſezten nochmals ſeinen Nebenbuhler Geiger zurük. Dadurch
wurden die erſten Feinde gewekt, die ſich unter den Reichen des
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gen ein unbilliges Geſez eiferte, das den inländiſchen Gläubigern
gegen Schuldner, die nicht zahlen können, den Rang vor ausländi-
ſchen Gläubigern gab. Auf ſeines Landes Nuzen bedacht, hatte
Suter im Rheinthal von der Gemeinde Oberried dem Kanton
Appenzell das Zugrecht auf eine der ſchönſten Alpen am Sentis-
berg, wenn ſie je feil werden ſollte, erworben. Dieſe Alp hat-
ten einſt die Appenzeller den Oberriedern verkauft. Als nachher
ruchbar ward, daß beträchtliche Stüke der großen Sentisalp Frem-
den verpfändet waren, beredete alsbald Suter den Landrath, die
Alp ſchäzen, die Geldſummen anweiſen, und dann von der Alp
Beſiz nehmen zu laſſen. Dis Verfahren war unordentlich und
übereilt. Oberried klagte gegen Appenzell bei der Tagſazung,
und der Landrath, des Schrittes reuig, zog ſich zurük. Suter
jedoch wollte nicht nachgeben, ſondern eigenſinnig den Rechtshan-
del auf eigene Koſten führen. Als er ihn vor der Tagſazung ver-
lor (im Jahre 1775) und heimkam, ſchämte er ſich die Wahrheit
zu bekennen; wie nun dennoch kund wurde, daß der Kanton Ap-
penzell in die Koſten verurtheilt ſey, und bis zur Auszahlung die
Appenzeller Güter im Rheinthal in Beſchlag genommen würden,
obwol Suter erklärt hatte Alles zu zahlen, erhoben die Wider-
ſacher des Landammanns lautes Geſchrei, ihn anklagend: er habe
die Regierung mit Unwahrheiten hintergangen und Innerrhoden
bei allen Eidgenoſſen in Schimpf und Schande gebracht; der Land-
rath, ohne ihn anzuhören, nahm ihm die Landesſiegel ab, entſezte
ihn aller Ehren und Würden und erklärte ihn für alle Zukunft
jeglichen Amtes unfähig. Suter appellirte an die Landsgemeinde,
als die höchſte Gewalt im Kanton. Bevor aber dieſe zuſammen-
kam, wurde das Volk auf mancherlei Weiſe gegen Suter aufge-
hezt. Auch die Kapuziner, wider ihn in Bewegung, gingen von
Haus zu Haus und ſprachen von geheimen Sünden und Verbre-
chen des Maunes. Als nun Landsgemeinde gehalten ward, erhob
ſich im Volk gewaltiger Lärm für und wider den Angeklagten,
und man riß ihn mit Gewalt vom Stuhle des Landammanns,
wenn ſchon auch viele Stimmen ſich zu ſeinem Schuze erhoben.
Während hierauf der geſtürzte und verlaſſene Mann eine Wall-
fahrt zum Gnadenbilde nach Einſiedeln that, wurde er abweſend
vom Landrath als Störer der Religion, der Freiheit und des
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Name an den Galgen geſchlagen, ſein Hab und Gut zur Zahlung
von Koſten und Schulden verkauft, ſeine Freunde wurden aus dem
Rathe geſtoßen, und ſogar auch ſeine treue Gattin bei Verluſt ihres
Land- und Erbrechts befehligt, ihn nicht mehr Ehemann zu heißen.
Niemand vernahm den Grund ſo ſchwerer Strafen. Sogar das rich-
terliche Urtheil blieb die Rechenſchaft ſchuldig, nannte nur geringe
Vergehen, ſprach hinwieder geheimnißreich von Verbrechen, die
[Spaltenumbruch] man nicht bezeichnen möge, um Aergerniß zu meiden. Es blieb
ungewiß, ob wirklich eine Schuld des Verbannten, oder des Rich-
ters zu verbüllen war. Der geächtete Greis wohnte hierauf zu
Konſtanz am Bodenſee. Nach einigen Jahren flehete er um un-
parteliſchen Richterſtuhl und ſicheres Geleit. Siebenzig Männer
von Appenzell verbanden ſich freiwillig, ihm das Geleit zu geben.
Suters Bitten wurden aber verworfen, von den ſiebenzig Män-
nern ſogar vier der entſchloſſenſten zum Tode verurtheilt, auf den
Richtplaz geführt, jedoch aus Gnade dem Henker zur Stäupung
überlaſſen. Der Verbannte blieb in Konſtanz. Da kam nach
Jahr und Tag ein Mann ins Land, Baptiſta Röß, der, weil er
zu Suters Anhängern gehört hatte, ehrlos erklärt worden war.
Als er ergriffen wurde, ſagte er: der alte Suter werbe in den
äußeren Rhoden Mannſchaft, den Fleken Appenzell zu überfaller
und das Volk zur Freiheit aufzubieten, gegen Geigers Partei. Er
berief ſich ſogar auf Biedermänner als Zeugen; dieſe jedoch ſtraf-
ten ihn der Lüge. Dennoch ward ihm geglaubt; das Volk durch
ſchrekende Sagen gegen den Verbannten gereizt, und alsdann ge-
trachtet, der Perſon des Geächteten habhaft zu werden. Es ge-
lang dis auf ſchauerliche Weiſe. Man bediente ſich dazu ſeiner
eigenen, zu Appenzell verheiratheten Tochter, ging freundlich zu ihr
und beredete ſie trüglich, dem Vater zu ſchreiben und ihn einzu-
laden, er möchte den Kronenwirth in Wald, einem Kirchſpiele
von Außerrhoden, beſuchen, man habe ihm wichtige und gute
Nachricht zu geben. Arglos folgte der Greis der Stimme ſeiner
betrogenen Tochter. Man lokte ihn dann unter mancherlei Vor-
wand ins innerrhodenſche Dorf Oberegg. Da ward er überfallen,
gebunden und auf offenem Schlitten nach Appenzell geſchleppt
(9 Febr. 1784). Er wiederholte vor dem Blutgericht das Zeug-
niß ſeiner Unſchuld. Dreimal in einem Tage auf die Folter ge-
ſpannt, wußte er kein Verbrechen zu bekennen. Dennoch wurde
der Stab über ſein Leben gebrochen. Zwanzig von den Richtern
gaben ihre Stimmen nicht dazu und verwahrten ſich zu Protokoll
gegen Theilnahme an dem Urtheile. Aber daſſelbe ward noch
gleichen Tages (9 März 1784) vollzogen, und Suters Haupt fiel
auf dem Blutgerüſt. Sechsundvierzig Jahre nun nach dieſer
Gräuelthat, am 29 Nov. 1829, ward im Lande Appenzell Inner-
rhoden von allen Kanzeln das nachſtehende obrigkeitliche Edikt
verleſen: „Wir Landammann und großer zweifacher Landrath,
bei Ehr und Eid gehalten den 26 Nov. 1829, wünſchen allen un-
ſern getreuen lieben Landsleuten Heil und Segen. Kund und
zu wiſſen ſey Jedermann in unſerm Land Appenzell Innerrboden:
Wenn eine Regierung die heiligſten Verpflichtungen hat, für die
Ehre, den Nuzen und Frieden und für die allgemeine Wohlfahrt
eines Landes zu ſorgen, ſo liegt ihr auch ganz unſtreitig ob, für
die Ehre und Wohlfahrt einzelner Familien landesbrüderlich eben
ſo zu ſorgen, und folgſam ihre beſcheidenen Bitten und dringen-
den Vorſtellungen der wärmſten Beherzigung zu würdigen. Von
der Heiligkeit dieſer Pflichten innigſt überzeugt, wurde den hinter-
laſſenen Kindern und Verwandten des ſeligen Herrn Landam-
manns Joſeph Anton Suter, auf Schluß von Wochenrath und Zu-
zug geſtattet, ihre Bitten und Vorſtellungen vor einem großen
Landrathe zu eröfnen. Sie baten nemlich rührend und dringend
um die Bewilligung, die irdiſchen Ueberreſte des Herrn Land-
ammann Suter auf geweihter Erde, dem gewöhnlichen Gottes-
aker (die Leiche des Hingerichteten war auf den Schindanger ge-
bracht worden) begraben zu dürfen. Zum Beweis, daß dieſer
beſcheidene Wunſch nichts weniger als Leidenſchaft beabſichtige,
verſicherten ſie zum Voraus, daß ſie keine Rache und keine Geld-
entſchädigung ſuchen und daß es Niemanden an Ehr und Gut
ſchädigen ſolle: ja im Gegentheil, ſie verzeihen allen von Herzen
und wünſchen allen Verſtorbenen die ewige Ruhe und Freude,
den Lebendigen aber Heil und Segen. In der Ueberzeugung,
daß Ruhe, Friede, landesbrüderliche Liebe und Eintracht zur Be-
förderung der Wohlfahrt eines Landes weſentliches Bedürfniß
ſey, und daß eine beinahe fünfzigjährige Erfahrung und Beobachtung
in obwaltender Angelegenheit ſattſam zeugen, daß nur eine Art
Ausſöhnung die Gemüther beſänftige, Ruhe, Friede, Liebe und

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[0009] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung.. Nr. 3. 1830. (14 Jan.) Schweiz. Vom 22 Decemb.Als vor zwei Jahren unruhige Volks- bewegungen in Appenzell-Innerrhoden die eidgenöſſiſche Dazwiſchenkunft nöthig machten, iſt vielfach und ſelbſt auch in den Berichten des Repräſentanten der Eidgenoſſenſchaft bemerkt worden: es ſey der vor 44 Jahren an dem Landammann Suter in Appenzell verübte Juſtizmord noch nicht in Vergeſſenheit über- gegangen, und in den nunmehrigen Parteiungen die Nemeſis von dort her unverkennbar. Bei der Regierungsveränderung, welche voriges Jahr in Appenzell auf ruhigem Wege erwirkt ward, trat dieſe vollends zu Tage, und jüngſthin nun iſt durch einen denk- würdigen Regierungsakt Suters Ehre hergeſtellt worden. Die Suterſche Geſchichte aus dem Zeitraum von 1770 bis 1784, wie ſie von ſchweizeriſchen Geſchichtſchreibern erzählt wird, iſt kürz- lich dieſe. Joſeph Anton Suter, Gaſtwirth zu Gonten, war ein Mann von weniger Kenntniß, aber fröhlichem Mutterwiz, wohl- thätig gegen die Armen, liebreich gegen Jedermann. Ihn hatten die Appenzeller um dieſer Eigenſchaften willen zum Landvogt vom Rheinthal gewählt und ihn dem Landammann Joh. Jakob Geiger vorgezogen; nachher wählten ſie ihn zum regierenden Landammann und ſezten nochmals ſeinen Nebenbuhler Geiger zurük. Dadurch wurden die erſten Feinde gewekt, die ſich unter den Reichen des kleinen Landes mehrten, als Suter verſtändig und mit Nachdruk ge- gen ein unbilliges Geſez eiferte, das den inländiſchen Gläubigern gegen Schuldner, die nicht zahlen können, den Rang vor ausländi- ſchen Gläubigern gab. Auf ſeines Landes Nuzen bedacht, hatte Suter im Rheinthal von der Gemeinde Oberried dem Kanton Appenzell das Zugrecht auf eine der ſchönſten Alpen am Sentis- berg, wenn ſie je feil werden ſollte, erworben. Dieſe Alp hat- ten einſt die Appenzeller den Oberriedern verkauft. Als nachher ruchbar ward, daß beträchtliche Stüke der großen Sentisalp Frem- den verpfändet waren, beredete alsbald Suter den Landrath, die Alp ſchäzen, die Geldſummen anweiſen, und dann von der Alp Beſiz nehmen zu laſſen. Dis Verfahren war unordentlich und übereilt. Oberried klagte gegen Appenzell bei der Tagſazung, und der Landrath, des Schrittes reuig, zog ſich zurük. Suter jedoch wollte nicht nachgeben, ſondern eigenſinnig den Rechtshan- del auf eigene Koſten führen. Als er ihn vor der Tagſazung ver- lor (im Jahre 1775) und heimkam, ſchämte er ſich die Wahrheit zu bekennen; wie nun dennoch kund wurde, daß der Kanton Ap- penzell in die Koſten verurtheilt ſey, und bis zur Auszahlung die Appenzeller Güter im Rheinthal in Beſchlag genommen würden, obwol Suter erklärt hatte Alles zu zahlen, erhoben die Wider- ſacher des Landammanns lautes Geſchrei, ihn anklagend: er habe die Regierung mit Unwahrheiten hintergangen und Innerrhoden bei allen Eidgenoſſen in Schimpf und Schande gebracht; der Land- rath, ohne ihn anzuhören, nahm ihm die Landesſiegel ab, entſezte ihn aller Ehren und Würden und erklärte ihn für alle Zukunft jeglichen Amtes unfähig. Suter appellirte an die Landsgemeinde, als die höchſte Gewalt im Kanton. Bevor aber dieſe zuſammen- kam, wurde das Volk auf mancherlei Weiſe gegen Suter aufge- hezt. Auch die Kapuziner, wider ihn in Bewegung, gingen von Haus zu Haus und ſprachen von geheimen Sünden und Verbre- chen des Maunes. Als nun Landsgemeinde gehalten ward, erhob ſich im Volk gewaltiger Lärm für und wider den Angeklagten, und man riß ihn mit Gewalt vom Stuhle des Landammanns, wenn ſchon auch viele Stimmen ſich zu ſeinem Schuze erhoben. Während hierauf der geſtürzte und verlaſſene Mann eine Wall- fahrt zum Gnadenbilde nach Einſiedeln that, wurde er abweſend vom Landrath als Störer der Religion, der Freiheit und des Friedens auf immer aus der Eidgenoſſenſchaft verbannt, ſein Name an den Galgen geſchlagen, ſein Hab und Gut zur Zahlung von Koſten und Schulden verkauft, ſeine Freunde wurden aus dem Rathe geſtoßen, und ſogar auch ſeine treue Gattin bei Verluſt ihres Land- und Erbrechts befehligt, ihn nicht mehr Ehemann zu heißen. Niemand vernahm den Grund ſo ſchwerer Strafen. Sogar das rich- terliche Urtheil blieb die Rechenſchaft ſchuldig, nannte nur geringe Vergehen, ſprach hinwieder geheimnißreich von Verbrechen, die man nicht bezeichnen möge, um Aergerniß zu meiden. Es blieb ungewiß, ob wirklich eine Schuld des Verbannten, oder des Rich- ters zu verbüllen war. Der geächtete Greis wohnte hierauf zu Konſtanz am Bodenſee. Nach einigen Jahren flehete er um un- parteliſchen Richterſtuhl und ſicheres Geleit. Siebenzig Männer von Appenzell verbanden ſich freiwillig, ihm das Geleit zu geben. Suters Bitten wurden aber verworfen, von den ſiebenzig Män- nern ſogar vier der entſchloſſenſten zum Tode verurtheilt, auf den Richtplaz geführt, jedoch aus Gnade dem Henker zur Stäupung überlaſſen. Der Verbannte blieb in Konſtanz. Da kam nach Jahr und Tag ein Mann ins Land, Baptiſta Röß, der, weil er zu Suters Anhängern gehört hatte, ehrlos erklärt worden war. Als er ergriffen wurde, ſagte er: der alte Suter werbe in den äußeren Rhoden Mannſchaft, den Fleken Appenzell zu überfaller und das Volk zur Freiheit aufzubieten, gegen Geigers Partei. Er berief ſich ſogar auf Biedermänner als Zeugen; dieſe jedoch ſtraf- ten ihn der Lüge. Dennoch ward ihm geglaubt; das Volk durch ſchrekende Sagen gegen den Verbannten gereizt, und alsdann ge- trachtet, der Perſon des Geächteten habhaft zu werden. Es ge- lang dis auf ſchauerliche Weiſe. Man bediente ſich dazu ſeiner eigenen, zu Appenzell verheiratheten Tochter, ging freundlich zu ihr und beredete ſie trüglich, dem Vater zu ſchreiben und ihn einzu- laden, er möchte den Kronenwirth in Wald, einem Kirchſpiele von Außerrhoden, beſuchen, man habe ihm wichtige und gute Nachricht zu geben. Arglos folgte der Greis der Stimme ſeiner betrogenen Tochter. Man lokte ihn dann unter mancherlei Vor- wand ins innerrhodenſche Dorf Oberegg. Da ward er überfallen, gebunden und auf offenem Schlitten nach Appenzell geſchleppt (9 Febr. 1784). Er wiederholte vor dem Blutgericht das Zeug- niß ſeiner Unſchuld. Dreimal in einem Tage auf die Folter ge- ſpannt, wußte er kein Verbrechen zu bekennen. Dennoch wurde der Stab über ſein Leben gebrochen. Zwanzig von den Richtern gaben ihre Stimmen nicht dazu und verwahrten ſich zu Protokoll gegen Theilnahme an dem Urtheile. Aber daſſelbe ward noch gleichen Tages (9 März 1784) vollzogen, und Suters Haupt fiel auf dem Blutgerüſt. Sechsundvierzig Jahre nun nach dieſer Gräuelthat, am 29 Nov. 1829, ward im Lande Appenzell Inner- rhoden von allen Kanzeln das nachſtehende obrigkeitliche Edikt verleſen: „Wir Landammann und großer zweifacher Landrath, bei Ehr und Eid gehalten den 26 Nov. 1829, wünſchen allen un- ſern getreuen lieben Landsleuten Heil und Segen. Kund und zu wiſſen ſey Jedermann in unſerm Land Appenzell Innerrboden: Wenn eine Regierung die heiligſten Verpflichtungen hat, für die Ehre, den Nuzen und Frieden und für die allgemeine Wohlfahrt eines Landes zu ſorgen, ſo liegt ihr auch ganz unſtreitig ob, für die Ehre und Wohlfahrt einzelner Familien landesbrüderlich eben ſo zu ſorgen, und folgſam ihre beſcheidenen Bitten und dringen- den Vorſtellungen der wärmſten Beherzigung zu würdigen. Von der Heiligkeit dieſer Pflichten innigſt überzeugt, wurde den hinter- laſſenen Kindern und Verwandten des ſeligen Herrn Landam- manns Joſeph Anton Suter, auf Schluß von Wochenrath und Zu- zug geſtattet, ihre Bitten und Vorſtellungen vor einem großen Landrathe zu eröfnen. Sie baten nemlich rührend und dringend um die Bewilligung, die irdiſchen Ueberreſte des Herrn Land- ammann Suter auf geweihter Erde, dem gewöhnlichen Gottes- aker (die Leiche des Hingerichteten war auf den Schindanger ge- bracht worden) begraben zu dürfen. Zum Beweis, daß dieſer beſcheidene Wunſch nichts weniger als Leidenſchaft beabſichtige, verſicherten ſie zum Voraus, daß ſie keine Rache und keine Geld- entſchädigung ſuchen und daß es Niemanden an Ehr und Gut ſchädigen ſolle: ja im Gegentheil, ſie verzeihen allen von Herzen und wünſchen allen Verſtorbenen die ewige Ruhe und Freude, den Lebendigen aber Heil und Segen. In der Ueberzeugung, daß Ruhe, Friede, landesbrüderliche Liebe und Eintracht zur Be- förderung der Wohlfahrt eines Landes weſentliches Bedürfniß ſey, und daß eine beinahe fünfzigjährige Erfahrung und Beobachtung in obwaltender Angelegenheit ſattſam zeugen, daß nur eine Art Ausſöhnung die Gemüther beſänftige, Ruhe, Friede, Liebe und

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1830, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine14_1830/9>, abgerufen am 21.11.2024.